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Der Finanzplatz Österreich hat eine lange Tradition

Die Wiener Börse feiert 2021 ihr 250-Jahr-Jubiläum. Während der Coronakrise haben die Österreicher ihre Liebe zu Aktien neu entdeckt.

j von Reinhard Krémer

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Das Jahr 2021 steht im Zeichen eines österreichischen Finanzmarkt-Jubiläums: Heuer wird die Wiener Börse 250 Jahre alt. Gegründet 1771 von Maria Theresia, ist sie eine der ältesten Nationalbörsen weltweit. Doch nicht nur Tradition, auch modernste Technologien und ein immer vorwärts gerichteter Blick kennzeichnen die heimische Börse. Aus diesem Anlass startete die Wiener Börse ein Zukunftsforum und lädt heuer regelmäßig nationale und internationale Experten dazu ein, über Innovation, den Wandel und die Wirtschaft der Zukunft zu diskutieren.

Eröffnet wurde das Jubiläumsjahr mit einer Gratulation von Bundespräsident Alexander Van der Bellen: „Die Wiener Börse hat eine spannende Reise gemacht. Maria Theresia holte fortschrittliche Geister nach Wien, kurbelte die Wirtschaft an und legte dabei den Grundstein für unsere heutige Börse. Diese spielt auch heute eine entscheidende Rolle. Bei der Bewältigung der Pandemie brauchen die Betriebe Mut, Zuversicht und natürlich ausreichend Eigenkapital. Dann kann es auch schneller wieder bergauf gehen.“ (Van der Bellens vollständige Videobotschaft ist auf der Website der Wiener Börse zu sehen.)

Zehn Jahre bis zur Geburt

„Beethoven, der im vergangenen Jahr seinen 250. Geburtstag feierte, zählte zu den ersten Aktionären in Österreich. Auch er wusste: Was Vermögensaufbau anlangt, spielt die Musik an der Börse. Daran hat sich in 250 Jahren nichts geändert. Auch in Krisen wie der aktuellen Pandemie zeigt sich, dass Volkswirtschaften mit entwickelten Kapitalmärkten deutlich widerstandsfähiger sind. Diese und viele weitere Zukunftsthemen diskutieren wir heuer in einem dichten inhaltlichen Programm“, sagt Christoph Boschan, CEO der Wiener Börse.

Erste Bestrebungen zur Gründung einer Börse gab es bereits im Jahr 1761. Zehn Jahre später wurden die Pläne in die Tat umgesetzt: Maria Theresia erließ am 1. August 1771 per Patent die Eröffnung einer staatlichen Börse, um das Vertrauen in den Staatshaushalt der Habsburger zu stärken. Der erste Handelstag fand am 2. September 1771 statt. Anfänglich wurden Anleihen, Wechsel und Devisen gehandelt. Börsenmakler, auch Sensale genannt, sorgten

© PhilippLipiarski

Im alten Börsegebäude an der Wiener Ringstraße wurden ab 1877 die Wertpapiere gehandelt; seit 2002 residiert man in der Wallnerstraße.

für den reibungslosen Handel und erhielten für die Vermittlung der Geschäfte eine Provision. Die erste Börse war am Kohlmarkt 12 (jetzt Kohlmarkt 16) untergebracht. Von dort ist sie in diesem Vierteljahrtausend mehrfach umgezogen, aktuell residiert sie – unweit von ihrem ersten Sitz – in der Wallnerstraße 8.

Mit der Oesterreichischen Nationalbank notierte ab 1818 die erste Aktie in Wien. Seit 1869 können Anleger auf den Handel von Porr- und Wienerberger-Aktien bauen, die ältesten durchgehend notierten Gesellschaften an der Wiener Börse. Im Mai 1991 wurde der österreichische Leitindex ATX ins Leben gerufen und der Handel zunehmend elektronisch gestaltet. Seit der Einführung von Xetra im Jahr 1999 wird der Handel komplett digital abgewickelt und mit der Anbindung ausländischer Bankhäuser auf Internationalisierung gesetzt. Mit Kooperationsabkommen in Zentral- und Osteuropa – und Mitte der 2000er-Jahre auch durch Beteiligungen – erschloss sich die Wiener Börse Partner in der Region. Heute punktet sie dort als Börsen-Infrastruktur-Anbieterin mit IT-Services. Kaum eine andere europäische Börse der gleichen Größenordnung in Europa weist einen Diversifikations- und Effizienzgrad wie die Wiener Börse auf. „In der vierteljahrtausendlangen Geschichte und trotz der technologischen Modernisierung hat sich an unserem grundsätzlichen Auftrag nichts geändert. Wir sind der zentrale Marktplatz für die Preisermittlung von Wertpapieren, schaffen mit unserem Angebot und unserer Zuverlässigkeit Vertrauen und Transparenz. Das beweisen wir in einem höchstregulierten Umfeld mit intensivem Wettbewerb Tag für Tag“, weiß Boschan.

Der ATX ist heuer 30 Jahre alt

Der ATX bildet die Entwicklung der 20 größten und meistgehandelten Aktien der Wiener Börse ab. Allein die in den Börsenkursen abgebildete Einschätzung der Anlegerinnen und Anleger bestimmt den Verlauf des Börsenbarometers. Im 250. Jubiläumsjahr der Wiener Börse feiert auch der Nationalindex Austrian Traded Index (ATX) einen runden Jahrestag. Am Geburtstag der Börsen-Gründerin Maria Theresia, dem 13. Mai, wurde das österreichische Börsenbarometer zum ersten Mal veröffentlicht. Zum Börsenschluss des 13. Mai 1991 flimmerte ein Punktestand von 1.192,95 über die Röhrenbildschirme. Knapp 30 Jahre später, am 10. Mai 2021, weist der österreichische Nationalindex inklusive Dividenden zum Börsenschluss 6.688,08 Punkte aus (exkl. Dividenden: 3.376,39 Punkte). Damit ist er nur 40 Punkte vom bisherigen Höchststand (6.727,44 Punkte, 9. Juli 2007) entfernt. Anlegerinnen und Anleger, die seit Anfang Jänner 1991 durchgehend auf ATX-Aktien setzten, können sich heuer über eine Gesamtperformance von +678 Prozent (jährliche Durchschnittsrendite: 6,51 Prozent) freuen.

Der Börsepreis für die Besten

Auch in diesem Jahr wurde wieder der Börsepreis vergeben: Die Preisträgerinnen und Preisträger werden Jahr für Jahr durch Fach-

juries der ÖVFA (ATX-, Mid Cap- und Corporate Bond-Preis), Finanzjournalisten, koordiniert durch APA Finance (JournalistenPreis), sowie des VÖNIX-Beirats (Nachhaltigkeitspreis) unabhängig evaluiert. Die Gewinnerinnen und Gewinner nehmen die Preise nach den fünf Kategorien gestaffelt in der Wiener Börse entgegen.

Die Wienerberger AG konnte aufgrund der guten Performance im außerordentlichen Covid-Jahr 2020, sehr guter Finanzberichterstattung und laufender Investor Relations-Tätigkeit die Königsdisziplin ATX-Preis für sich entscheiden. Laut der Jury der ÖVFA trugen ein lückenloser Informationsfluss, das Commitment des Vorstands zu Investor Relations, Analysten und Investoren, nachhaltige Ausrichtung auf ESG und ein Fokus auf Digitalisierung zu dieser Entscheidung bei.

Außerdem wurde die Wienerberger AG auch mit dem Corporate Bond-Preis ausgezeichnet. In der Kategorie Nachhaltigkeit erhalten im Jahr 2021 Agrana-Beteiligungs AG, BKS Bank AG und Palfinger AG den Wiener Börse Preis. Sie sind Teil des VÖNIX-Universums (Nachhaltigkeitsbenchmark des österreichischen Aktienmarkts; Anm.) und werden daher für den Nachhaltigkeits-Preis bewertet; die anderen Kategorien (ATX, Mid Cap, Corporate Bond, Journalisten) berücksichtigen ausschließlich ATX- und prime market-Titel. Alle drei Unternehmen erhielten erstmals diese Auszeichnung, als Grundlage gilt das VÖNIX-Rating 2020/2021.

Die AMAG Austria Metall AG war heuer bereits zum vierten Mal Preisträger des Mid Cap-Preises und erstmals Erstplatzierter. Begründung der Jury: Das Unternehmen erzielte Höchstwerte bei den Kriterien Finanzberichterstattung und Investor Relations; ebenso in den Bereichen Strategie und Unternehmensführung rangierte die Amag Austria Metall AG nach Ansicht der Jury an der Spitze.

Der Journalisten-Preis ging das zweite Jahr in Folge an die Erste Group Bank AG. Die Jury der APA-Finance lobt die souveräne, professionelle, schnelle sowie offene Kommunikation. Die Erste Group Bank AG punktet mit guter Erreichbarkeit, hoher Transparenz, professionellen Unterlagen und ist auch bereit für Hintergrundgespräche.

Geändertes Verhalten

Lockdowns, hohe Arbeitslosenzahlen und Kurzarbeit strapazieren nach wie vor die finanzielle Situation vieler Österreicherinnen und Österreicher; Auswirkungen zeigen sich somit auch im Hinblick auf das Spar- und Anlageverhalten. Aktuell ist die Investitionsbereitschaft noch verhalten, aber für die kommenden zwölf Monate zeigt sich bereits ein zuversichtlicheres Bild, wie eine Studie unter 1.000 Befragten im Auftrag der Erste Bank zeigt.

Nach vielen Monaten im Coronakrisen-Modus ist das Bedürfnis nach einem finanziellen Sicherheitspolster groß. Laut der repräsentativen Umfrage geben 38 Prozent der Befragten an, dass sie aufgrund von Existenzängsten ihr Geld lieber am Konto belassen. Das belegen auch folgende Zahlen: Laut aktuellem Stand betragen alle Sicht- und Spareinlagen der privaten Haushalte in Österreich (2020) knapp 190 Mrd. Euro. Das sind um 20 Mrd. Euro mehr als noch 2019 (170 Mrd. Euro). Dieses Plus von 11,9 Prozent beruht hauptsächlich auf den pandemiebedingten Lockdowns – die Haushalte konnten das Geld nicht für den Konsum ausgeben – und den zahlreichen damit einhergehenden Unsicherheiten. „Dieses Horten von Cash ist in manchen Fällen nachvollziehbar, aber langfristig von Nachteil. Inflation und Nullzinsen knabbern täglich an dieser Liquiditätsreserve“, so Thomas Schaufler, Privatkundenvorstand der Erste Bank. Nach wie vor gilt die Empfehlung, rund drei Netto-Monatsgehälter jederzeit verfügbar zu haben und

Die Erste Group Bank AG, kurz Erste Group, hat 16 Millionen Kunden in CEE. Gegründet 1819, ist sie heute einer der größten Finanzdienstleister in Zentral- und Osteuropa.

Ersparnisse so zu veranlagen, dass inflationsbereinigt ein Plus übrig bleibt. Laut Umfrage geben 18 Prozent an, ihr „Geld mehr investiert bzw. veranlagt zu haben, um auch Rendite zu machen“. Bei 17 Prozent hat der Konsum Vorrang – sie geben ihr Geld lieber aus, als es anzulegen. Alarmierend ist allerdings, dass jeder Vierte aufgrund seiner prekären finanziellen Lage keinen Cent zur Seite legen kann.

Neue Liebe zu Wertpapieren

Optimistischer zeigen sich die Befragten beim Spar- und Anlageverhalten für die nächsten zwölf Monate: Acht von zehn Österreicherinnen und Österreichern wollen Geld veranlagen. Im Schnitt planen sie ein Investitionsbudget von rund 4.800 Euro – um 200 Euro mehr als im Vergleichszeitraum zu Q1/2020. Sparklassiker wie Sparbuch mit 57 Prozent (-1 Prozentpunkt; PP) und Bausparvertrag mit 39 Prozent (-2PP) bleiben die erste Wahl, gefolgt von der Pensionsvorsorge (31 Prozent, +4PP) und Lebensversicherung (30 Prozent, +3PP).

Fonds, Aktien und Anleihen rücken langsam, aber dennoch stetig in den Fokus der Befragten: 32 Prozent (+2PP) wollen in diese Wertpapiere investieren. „Der Trend geht in die richtige Richtung, denn ohne Wertpapiere lässt sich kein Ertrag erwirtschaften. Eine steigende Nachfrage verzeichnen wir speziell bei nachhaltigen Investmentfonds“, so Schaufler. Den größten Zuwachs bei den Anlageformen verzeichnen Immobilien (19 Prozent) mit einem Plus von sechs Prozentpunkten. Jeder Dritte (34 Prozent, -3PP) plant in naher Zukunft eine größere Anschaffung und veranschlagt dafür ein Budget von 116.400 Euro. Im Vergleich zum Vorjahr legt dieser Betrag (93.800 Euro) ordentlich zu: +24 Prozent. Nach wie vor soll diese Anschaffung großteils über eigene Ersparnisse finanziert werden. Anders als im Q1/2020 wollen die Österreicherinnen und Österreicher dabei aber vermehrt auf einen Bankkredit oder ein Bauspardarlehen zurückgreifen (20 Prozent, +6 PP).

Auch das Bezahlverhalten hat sich geändert

Seit Ausbruch der Coronakrise hat die Kartenzahlung einen regelrechten Boom bei den Österreichern erlebt. Denn erstmalig in der Geschichte wurden im Jahr 2020 in Österreich mehr als 1,2 Mrd. Transaktionen mit Debitkarten abgewickelt. „Wir sehen bei uns auch nach wie vor um ein Drittel höhere Transaktionszahlen als vor einem Jahr“, sagt Schaufler.

Inwieweit der Trend zur Kartenzahlung auch nach Corona anhält, darüber sind sich die Österreicher in ihrer Einschätzung nicht einig: 48 Prozent könnten sich vorstellen, dass einige wieder verstärkt zum Bargeld zurückkehren, 49 Prozent hingegen sehen die verstärkte Nutzung von Karten als dauerhaft an. „Durch die Pandemie sind vielen die Vorteile vor Augen geführt und auch Berührungsängste abgebaut worden. Wir sehen das bei allen Altersgruppen – auch Ältere zahlen jetzt wie selbstverständlich mit dem Handy“, erklärt Schaufler. ◆

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