Die Wirtschaft - Nr. 49 und 50 vom 9. Dezember 2016

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Nr. 49-50 · 9. Dezember 2016

10 · Interview der Woche · Die Wirtschaft

Trendforscherin: Der Zukunft auf der Spur Die Digitalisierung stellt den Handel auf den Kopf. Die Läden, also ihre Verkaufsflächen, die Produktauswahl, ihre Infrastruktur - all das wird in Zukunft hoch individuell, agiler und kontextbasiert. So beschreibt es Zukunftsforscherin Theresa Schleicher im Interview mit „Die Wirtschaft“. Frau Schleicher, stirbt der klassische Einzelhandel allmählich aus? Definitiv nein. Der Handel lebt von Erlebnissen, Produkten zum Anfassen und echten Begegnungsstätten. Nicht ohne Grund eröffnen viele Onlineshops gerade eine reale Begegnungsfläche. Wichtig ist aber, auch im stationären Handel im Kern digital zu denken. Heißt: flexibler, offener, interaktiver und kundenzentrierter. Der Handel muss sich als datengetriebenes, offenes Unternehmen verstehen - egal, ob dann die Präsenz am Schluss on- oder offline ist. Als Trendforscherin arbeiten Sie auch daran, die Zukunftsperspektiven des Handels aufzuzeigen. Bei welchem Trend sehen Sie das meiste Potenzial - und warum? Das ist klar der Trend Digitalisierung und die damit verbundene Disruption im Handel. Die Digitalisierung ist keine neue Ent-

Zukunft hoch individuell, agiler und kontextbasiert. Letztendlich bedeutet das, dass sich der Handel noch stärker mit seinem Kunden auseinandersetzen muss. Für uns beginnt die größte Veränderung des klassischen Ladens mit einem neuen Verständnis des Point of Sale (Anm. Verkaufsort) als individueller Point of Situation. Der zukünftige Laden muss sich von der klassischen Standortdenke lösen und sich dort zeigen, wo der Kunde im Alltag ist und eine Produktauswahl bieten, die den Kunden in dieser Situation unterstützt.

Theresa Schleicher ist der Zukunft des Handels auf der Spur.

Foto: Zukunftsinstitut

wicklung im Handel. Ganz im Gegenteil: Der Handel war eine der ersten Branchen, die von der Digitalisierung erfasst wurde. Händlern wird aber mehr und mehr Wissen zu IT und Technologie abverlangt. Das bedeutet, dass Technologie und ihre sinnvolle und sichere Anwendung den Handel in Zukunft prägen und stark verändern wird. Was bedeutet das in der Praxis? Eng damit zusammen hängt zum Beispiel das Aufkommen bran-

n Erstausgabe Ein Interview mit Zukunftsforscherin Theresa Schleicher können Sie auch in Bonus, dem neuen Magazin der Fachgruppe Versand-, Internet- und allgemeiner Handel in der WKV, lesen. Daneben bietet es für die Mitgliedsbetriebe viele Tipps und Informationen zu Fakten und Trends in der Branche. Mit interessanten Zahlen zum Online-Shopping und weiteren informativen Interviews und Porträts erfahren Sie Neues und sammeln Anregungen. Kontakt: FG Versand-, Internet- und allgemeiner Handel, T 05522 305 344, E pfeifer.birgit@wkv.at

chenfremder Mitbewerber, die genau wegen ihres neuen Blickwinkels die HandelsLandschaft in Zukunft komplett verändern. Für Retailer bedeutet das vor allem zu lernen, clever mit Daten umzugehen. Aus diesem Grund wird die nächste große Veränderungswelle nicht von Händlern kommen, sondern von IT-Unternehmen, die in die Handelsbranche eindringen und sie umkrempeln. Dadurch werden sich auch die Läden verändern. Wie werden diese aussehen? Die Läden, also ihre Verkaufsflächen, die Produktauswahl, ihre Infrastruktur - all das wird in

Haben Sie ein Beispiel? Wir haben das schon vor ein paar Jahren von Tesco gesehen. Der virtuelle Supermarkt in der U-Bahn, der den viel beschäftigten Kunden neue Lösungen bietet. Aber es gibt noch unzählige weitere Beispiele von Pop-up-Zelten auf Festivals, mobilen Showrooms oder Amazon-Pick-up-Stations an Universitäten, die jungen Studenten ihren Studienalltag vereinfachen. Wie können sich Händler heute schon darauf einstellen? Indem sie sich eingestehen, dass sie nicht mehr so weitermachen können wie bisher und wesentlich kundenzentrierter denken. Holger Jung von Jung von Matt beschrieb den Kunden einmal als „verwöhnte Diva“. Das passt gut zu den aktuellen Herausforderungen. Der große Erfolg der reinen E-Commerce-Unternehmen in den letzten Jahren war es zum Beispiel, dass sie von Anfang an mehr Technologie-Konzern als Händler waren. Sie sind agiler und fluider aals traditionelle Einzelhändler. W Während Händler aktuell dabei ssind, ihre Kanäle zum Kunden zu eerweitern, haben viele Online-Untternehmen die Kanaldenke bereits h hinter sich gelassen und sind dab bei, durch Personalisierung neue E Erlebnisse und Services nah am K Kunden zu bieten. Diesen Schritt w wird auch der klassische Handel g gehen müssen. Vielen Dank für das Gespräch! V IInterview: Sabine Barbisch


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