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Natürlich mit Ilona
NATURWEIN ZU TISCH
Wie serviert man einen Naturwein am besten und wann? Zentral bei dieser Überlegung ist, mit wem man diesen Wein geniesst. Denn bekanntlich hat Weingenuss verschiedene Toleranzzonen.
Text ________ Ilona Thétaz Illustrationen ________ Emma
Da hat man erfolgreich einen Naturwein gekauft. Man ging zu diesem Zweck gut gelaunt in einen modisch eingerichteten kleinen Laden in einem hippen Kreis. Dort standen die Flaschen in Etageren, in Reih und Glied. Allesamt bunt etikettiert, gut benannt. Aus allen Ecken der Welt. Der Verkäufer konnte mit einigen gut platzierten Adjektiven DEN Wein für dich auswählen.
Den Wein eingepackt in eine Craftpacktasche, schlendert man raus aus dem Kreis in seinen eigenen. Man fühlt sich zeitgenössisch, und mit dabei hat man das Gefühl, quasi einen Rebstock in besagter Lage mit Aussicht in seiner Tasche zu haben. Der Einkauf fühlt sich gut an, irgendwie aufregend, ein Naturwein! Der Wein wird im Weinregal neben Pingus, Fendant les Terrasses und Co. verstaut und wartet auf seinen Wirkungskreis. Jetzt aber, wann soll der angesagte Naturwein auf den Tisch? Kann ich unseren Gästen vom Vorstandsessen des Turnvereins Obergastatelen solch einen Tropfen entkorken? Darf man das? Und wenn er dann offen ist, wie geht man mit dem Gefühl und der Nase um, weil man zu grösserer Sicherheit einmal denkt, OUPS, der Wein ist nicht mehr gut? Wie setzt man Naturwein in unseren Weinalltagen ein? Und wem soll man ihn eigentlich ganz und gar nicht vorsetzen? Übermütig hole ich eine Birnenwähe aus dem Backofen, es riecht milde nach der Frucht, es liegt Butter in der Luft und die angerösteten Haselnüsse verleiten dazu, sich zu Hause zu fühlen. In diesem Moment denke ich an einen Wein, einen Altesse aus der Savoie. Klirrend wie

eine Bergquelle, ich denke an Herrn und Frau Apffel – solltet ihr mal probieren, bei Maison Libre gibt es den. Ich denke, das würde jetzt passen. Genau das will ich jetzt versuchen. Dies ist ein geschilderter Idealfall. Meiner kreativen Nase entgeht kein Geruch, ohne dass er eingeordnet zu einem Wein, in einem Wein oder sonst irgendwo in meinen Gehirngängen verstaut wird. Wem es aber nicht so leicht von der Hand geht, sich an Gerüche zu erinnern und sich einen Wein dazu vorzustellen, für die gibt es hier einige «Eselsbrücken», wie auch ihr ein aufregendes und genüssliches Weinerlebnis mit einem Naturwein haben könnt. Eine Geschmacksrichtung, welche wunderbar zu den wildesten Weinen passt, ist Umami. Für uns Westeuropäerinnen ungewohnt, vermag es mit seinem undefinierbaren Geschmack zwischen den manchmal ebenfalls undefinierbaren Nuancen eines solchen Gewächses seinen Platz finden – in Speisen aus den asiatischen Räumen, aber auch in unserer Küche, zum Beispiel zu einer Bratwurst an AprikosenChutney, dazu eine Rösti mit gerösteten Zwiebeln. Dazu könnte ich mir vorstellen, den Omnis Orange von «den Töchtern» von Henry Cruchon zu trinken. Eine knackige Gemüsepfanne mit Ingwer, Sojasauce und Reis würde ich zu einem Räuschling Nature von Besson-Strasser kombinieren. Mutig sollte man sich den Wein, die Rebsorte und das, was man gerne essen würde, vorstellen. Auch die Farbe eines Weines kann eine gute Inspiration sein. Grapefruit und Lachs auf Toast zu einem Rosé de Gamay Beaujolais Village vom Weingut Séléné. Eine Panna Cotta zu HolunderbeerCoulis und ein Pétillant Naturel ROT wie der von Les Maoù aus dem Rhonetal. Eigentlich geht ja probieren über studieren. Daher nur Mut, die unkonventionellsten Sachen funktionieren oftmals wunderbar. Am besten macht man es sich nicht zu kompliziert und verwendet einfache Lebensmittel, um sie mit diesen Weinen zu kombinieren. Wenn ich einen Naturwein kaufe, ist es mir wichtig, vorher zu wissen, wie «wild» ist er und mit welcher Weinpersönlichkeit ich es zu tun habe. Gerne weiss ich auch, ob der Wein so viel flüchtige Säure hat, dass man damit fast einen



Salat abschmecken kann. Der Toleranz und Genussgrenze bei solchen Geschmäckern sind keine Grenzen gesetzt. Anstatt die Nase zu rümpfen, heisst es, kreativ sein. Der nächste Schritt nach der Wein-, respektive Menü-Auswahl ist das Verfahren der Weinöffnung, welche beim Naturwein ein bisschen eine Herausforderung sein kann, wenn man es gerne richtig macht. Erstmal sollte man, wenn man den Naturwein öffnet, Zeit dafür haben und ihn öffnen wollen. Versuchen sollte man auch, den Tropfen nicht spontan nach einem Pouilly-Fumé einschenken zu wollen. Bei ganz vielen Weinen, welche nach den Grundregeln der Naturweine hergestellt wurden, kommt es vor, dass der Wein ein bisschen stinkig ist. Ich stelle mir gerne den Wein als kleines wildes Tier vor, welches genervt ist, so lange in einer Flasche eingesperrt gewesen zu sein. Also wenn wir es rauslassen, motzt es ein bisschen rum, ist ganz kratzbürstig und ist noch ganz verkrügelet, aber sobald es durchgeatmet hat, wird es ganz milde und gemütlich und zeigt sich von seiner lieblichsten Seite. Der Naturwein macht sich auch gerne in einer Karaffe breit, darin kann zum Beispiel ein fetter, reifer Orange-Wein sich gut entspannen. Ein frischer Weisswein darf gerne eher kühl getrunken werden, ist aber dennoch wesentlich angenehmer, wenn er vor dem Kühlstellen geöffnet wurde. Bei den Roten ist der Trinkspass ein bisschen komplexer, da mag ich persönlich gerne, wenn gewisse Stile und Rebsorten, wie die aus dem Beaujolais, Burgund und die alpineren Weine, leicht, fruchtig und eher kühl sind. Bei den roten Naturweinen ist der beerige Aspekt vielmals intensiver und kann durch die Kühlschrank-Frische wunderbar unterstrichen werden. Bei Weinen mit mehr Gehalt und Gerbstoffen ist die Zimmertemperatur
OMNIS ORANGE 2019, DOMAINE HENRI CRUCHON
MORGES , LA CÔTE AOC
UHWIESEN AM RHEINFALL
WEIN.CH/REBEN BEAUJOLAIS ROSÉ SÉLÉNÉ 2020
BEAUJOLAIS
STUDIOWINO.CH
angemessen, und man kann rote Naturweine in etwa fast wie traditionelle Weine geniessen. Weil die Abwesenheit von zugefügten Sulfiten paradoxerweise eher verschlossene Weine macht, ist auch da Zeit und Luft gefragt. Nur weil ein Wein keine Sulfite aus menschlicher Hand enthält, heisst das nicht, dass der Wein nicht stabil ist, und sich nicht wunderbar einige Tage in der Frigo-Tür hält. Auch wenn jederfrau und -mann mittlerweile von Naturweinen gehört hat und mancher es gerne ausprobieren will, sollte die Auswahl des Gegenübers dem Wein ebenfalls angepasst sein. Es gibt charmante Naturweine, welche fast allen Gaumen munden. Aber wenn ich bei meinem Schwiegervater-WinzerBauer zu Gast bin, nehme ich einen Wein mit, welcher in beide Ecken passt. Ein Mensch, welcher sich gerne etwas Klassisches à la Dôle Blanche und Co. einschenkt, ist schwierig zu überzeugen, und ehrlich gesagt trinke ich meinen Jus Jus dann einfach lieber selber als mit einem schlecht gelaunten Gegenüber.
Santé

PÉTILLANT NATUREL, ROUGE, LES MAOÙ
VAUCLUSE, VENTOUX
SUPERGLOU.COM/LES-MAOU Ilona Thétaz

Ilona Thétaz lebt mit ihrer Tochter Emma und ihren Tieren auf dem Bauernhof ô fâya in Saxon im Wallis. Dort produziert sie Aprikosen, Wein, Gemüse und Fleisch nach den Vorgaben des ökologischen Landbaus. Sie ist eine der talentiertesten Jungwinzerinnen der Schweiz.
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