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Ich glaube, ich habe Glück...

... mit meinen lieben Schulkindern und ihren unkomplizierten und netten Eltern!

Bereits der erste Schultag zeigte, dass uns allen das Glück hold ist, denn trotz der schlechten Wettervorhersage kam um Punkt 10.30 Uhr die Sonne hervor und begleitete die Kinder durch das wunderschöne Blumentor. Zum ersten Mal in unserer Schulgeschichte fand diese Begrüßung im Freien statt, und alle waren positiv überrascht und zufrieden. Selten, aber doch findet man auch schöne Nebenwirkungen der Corona-Zeit.

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Die ersten Wochen sind nun verflogen – es war ein Höhenflug für uns alle.

Welch großes Geschenk, 29 neugierige Augenpaare am Morgen begrüßen zu dürfen! Ihre Hinwendung an uns Erwachsene ist groß und großartig: Das Kind möchte gesehen werden; es fragt jeden Morgen: „Siehst Du mich wirklich?“

Wenn man sich als Pädagogin dieser Herausforderung tatsächlich bewusst ist, kann man auch schon mal kalte Füße bekommen: Wie gelingt mir dieser offene und freie Blick tagtäglich und immer wieder aufs Neue? Der großen Lernbereitschaft der Kinder gilt es mit „vollen Körben“ entgegenzutreten – diese Neugierde ist ein Geschenk für jede Lehrerin, jeden Lehrer. Gleichzeitig wird einem auch die Verantwortung bewusst, die man zu tragen hat: Wie mache ich diese Kinder satt und zufrieden? Auf ihre Fragen „Wozu? Woher? Warum?...“ braucht es sinnvolle Antworten.

In diesem Begriff „sinnvoll“ steckt für mich bereits eine wichtige Antwort: Mit allen Sinnen wollen wir lernen und die Welt entdecken. Mit allen Sinnen wollen wir unseren Willen schulen, mit allen Sinnen einander begegnen, emotional reifen und wachsen.

von Sabine Trierenberg

Wir haben Glück, denn wir dürfen uns jeden Morgen in Bewegung begeben, Beziehungen aufbauen, erproben, uns gegenseitig helfen, stützen und tragen. Wir arbeiten nach dem Modell des Bewegten Klassenzimmers und dürfen das tolle Mobiliar einer Vorgängerklasse benützen, gebaut von fleißigen Eltern (Uschi Iragorri und Familie Berke) für die damalige Klassenlehrerin Barbara Pazmandy. Karl Hruza, die ewig gute Seele unseres Hauses, hat im Sommer alle Bänke überarbeitet, zum Teil neu gebaut und gestrichen.

Meine Entscheidung, den Unterricht auf diese Art und Weise zu gestalten, wurde mir während meines Waldorfpädagogik-Studiums am Zentrum für Kultur und Pädagogik klar. Ich durfte Wolfgang Auer, den Mitbegründer des „Bochumer Modells des Bewegten Klassenzimmers“ als Dozenten kennenlernen. Bereits nach der ersten Fortbildungseinheit zu diesem Unterrichtskonzept war mir klar, dass ich als Sonder- und Heilpädagogin mit einer Ausbildung als Tanzpädagogin von Herzen gerne mit viel Bewegung und dem nötigen Raum dazu unterrichten möchte. Aus der Entwicklungspsychologie, aus der Hirn- und Lernforschung wissen wir schon lange, dass eine gute Bewegungsentwicklung ein wesentliches Fundament für alle seelischen und geistigen Fähigkeiten ist. Was gibt es Schöneres, als den Tag mit Bewegung zu beginnen?

Ein Bewegungsparcours mit verschieden Formen (meist die, die wir am Vortag schon auf andere Art und Weise kennengelernt haben) begrüßt die Kinder jeden Morgen: die Krumme und die Gerade, der Kreis, das Dreieck und viele mehr. „Er hört nie auf, er hört nie auf“, ruft ein Kind laut, währen es im Kreis läuft und hüpft. Später stehe ich an der Tafel und nehme das Geschenk dieses Kindes auf und singe: „Er hört nie auf, er hört nie auf…“, während ich den Kreis male. An einem anderen Tag dürfen die Kinder selbst eine Form bauen und sich dann darauf bewegen – „die Gerade, die in den Himmel wächst“, schmückt unser Klassenzimmer.

Rudolf Steiner regt uns Pädagoginnen und Pädagogen an, alles, was wir im Denken bearbeiten wollen, erst im Gefühlsleben der Kinder zu verankern, um dann diese Inhalte mit unserem Handeln umsetzen zu können. So eine selbst gebaute Gerade ist einfach schön, noch schöner, wenn diese großartige Idee von den Kindern selbst kommt und stolz gebaut wird. Wir können uns an ihr erfreuen, wir können sie selber bauen, und schlussendlich verstehen wir, wie so eine Gerade nicht nur auf dem Boden, nicht nur auf dem Blatt liegen, sondern eben auch im Raum stehen kann.

Meinen kleinen Einblick in das Klassenzimmer meiner 1. Klasse möchte ich mit einer Anekdote beenden: Kürzlich öffne ich eine Tafelseite, die Kinder entdecken das neue Engelsbild eines Vokals, ein Kind atmet aus und meint: „Ich hät- te nicht gedacht, dass die Frau Trierenberg so viel Arbeit mit uns hat“.

Ja es ist viel, ja es ist viel Schönes, das gelingen kann, wenn man so wie ich Klasseneltern hat, die eine unterstützen, die zum Glück auch in diesen Zeiten ihre Kinder mit Schnupfen in die Schule lassen, weil sie wissen, wie viele Geschichten, Lieder und Momente der Begegnung ihre Kinder versäumen würden.

Da ich weiß, dass dieser Klassenzug mein einziger sein wird, genieße auch ich jeden Augenblick in vollen Zügen.

Den Drachen haben wir bereits besiegt – die mutigen Rittersfrauen und Rittersmänner mit ihren selbstgeschnitzten Schwertern, mit Liedern und Sprüchen. Gemeinsam werden wir hoffentlich auch in Zukunft noch viele Abenteuer meistern.

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