Feststellung von Gefährdungslagen
6- Feststellung von Gefährdungslagen
Ganz grundsätzlich zeigt der Landkreis Regen ein recht intaktes und gut überliefertes Landschaftsbild. Dennoch geht der Strukturwandel und die damit einhergehenden, tief greifenden Veränderungen in den Bereichen Einzelhandel, produzierendem Gewerbe, Holz- und Landwirtschaft nicht am Landkreis vorbei. Die Konsequenzen sind zwar nicht überall offensichtlich, doch deshalb nicht weniger gravierend und folgenschwer. Die sich daraus ergebenden Gefährdungslagen sind sowohl allgemeiner Natur, können sich aber auch in ganz spezifischen, ortsbezogenen Symptomen niederschlagen. Im Folgenden wird auf die auffälligsten und gravierendsten Fälle eingegangen.
Zwischen den benannten Punkten gibt es durchaus Überschneidungen.
6.1 Allgemeine Gefährdungslagen
Zersiedlung
Zersiedlung ist ein wiederkehrendes Problem, das nicht nur im Landkreis Regen die gewachsene Kulturlandschaft bedroht. Positiv lässt sich vermerken, dass es das Phänomen im Landkreis zwar durchaus gibt; insgesamt jedoch von einer vergleichweise moderaten Gefährdungslage gesprochen werden kann. Ausufernde Einfamilienhaussiedlungen oder ausgelagerte Einkaufszentren sind eher selten anzutreffen und konzentrieren sich auf die Mittelzentren. Aufgefallen sind hier vor allem die Bereiche Geiersthal / Teisnach und die Einfamilienhaussiedlungen um die Mittelzentren Regen, Viechtach und Zwiesel. In Bischofsmais zeigt sich, dass der Bebauungsplan für die Einfamilienhaussiedlung dazu führt, dass der ursprünglich als Einsiedelei entstandene Wallfahrtsort St. Hermann (090) nicht mehr als solcher erkennbar ist.
Gravierende Problem der Zersiedlung sind nicht nur der extrem hohe Landschaftsverbrauch, die Versiegelung und die auf der Hand liegenden negativen ökologischen Implikationen, sondern vor allem die Ortlosig- und Beliebigkeit der Architektur. Gemeint sind sowohl die zu Grunde liegenden Bebauungspläne, die gewählten Gebäudekubaturen und die Materialwahl.
Verlust von Ortsstrukturen
Dieses Phänomen ist sehr breit gefächert und zeigt sich in sehr unterschiedlichen Symptomen wie dem Verlust von materiellem Kulturerbe, dem Leerstand von Gebäuden mit zentraler Bedeutung für die Siedlung oder dem Verlust von immateriellem Erbe. Die Gründe sind mindestens ebenso vielfältig wie die Symptome.
Drei Beispiele:
Fast jeder Ort ist vom fortschreitenden Verlust der agrarisch geprägten Architektur bedroht. Es gibt zwar noch vergleichsweise viele kleinere und mittlere Höfe in Betrieb, doch was ursprünglich der vorherrschende, ortbildprägende Bautyp war – das Bauerngehöft – wird heute nicht selten durch Wohngebäude ersetzt. In Orten wie Zachenberg (Nr. 046, vgl. Abb. 6.1.1) ist der Verlust der gewachsenen Ortstruktur zu beklagen. Diese Prozesse laufen schleichend und fortwährend und beruhen auf individuellen Entscheidungen der Eigentümer und Eigentümerinnen. So handelt es sich hier nicht um eine den
Abb. 6.1.1:
Zachenberg (046). Das historische Ortsbild eines Bauerndorfs ist Schritt für Schritt durch eine reine Wohnsiedlung ersetzt worden.

Ort erweiternde Einfamilienhaussiedlung, sondern vielmehr um die Transformation einer Binnenkolonisation, die eine ganz grundlegende Veränderung des gewachsenen Ortsbildes mit sich bringt. Sie ist vor diesem Hintergrund – und in Abgrenzung zur Einfamlienhaussiedlung – noch bedrohlicher und fundamentaler, als dass sie den unwiederbringlichen Verlust gebauter Kultur mit sich bringt. Ein anderes Symptom ist die Aufgabe und der Leerstand von Wirtshäusern in den Orten. Wie in Kapitel 3.4.5 dargelegt, sind die Wirtshäuser oft die größten Gebäude im Ort, sie liegen zentral und weisen oft auch Elemente bescheidener Repräsentation auf (z. B. Dachreiter, Freitreppen, Eingangssituationen, Fassadendekoration). Hier findet die enorme Bedeutung der Wirtshäuser für das soziale Gefüge der Orte seinen architektonischen Niederschlag. Was die Kirche spirituell oder das Rathaus administrativ bedeutete, war das Gasthaus gesellschaftlich. Die Bedeutung dieses zentralen Versammlungsortes kann kaum überschätzt werden – es war der Knotenpunkt des sozialen Beziehungsgeflechtes eines jeden Ortes. Heute fallen Gasthäuser in den Orten vor allem durch Leerstand auf. Sie sind damit gleichermaßen Ausdruck und Symptom eines Verlustes einer ganz grundlegenden gesellschaftlichen Struktur, die dem Dorfleben zu Grunde lag.
Mit dem Verlust der Dorfkrüge jedoch geht auch ein Ort der lokalen Grundversorgung verloren. Die Gastwirtschaften betrieben gleichermaßen auch Metzgereien und Brauereien, beides Funktionen, die mit der Gastronomie auf das Engste verflochten sind und ursprünglich auch überhaupt der Grund für das Entstehen einer Bewirtungsstätte waren. Damit waren diese Betriebe darüber hinaus auch Produzenten von regionaltypischen Nahrungsmitteln und damit ein Stück lokaler und regionaler Identität.
Kristallisationspunkte dieser Art sind heute nur noch sehr vereinzelt anzutreffen.
Ein weiteres Beispiel ist der fortschreitende Verlust an kleinen Orten der Nahversorgung: In den wenigsten Orten gibt es noch Läden. Auch hier – ähnlich wie im Fall der Gastwirtschaften – ist dieser Verlust gleichermaßen Grund und Symptom einer Veränderung gesellschaftlicher Entwicklungen.
Verlust von regionaltypischen Industriestandorten Gemeint sind hier vor allem die Produktionsstätten für Glas in der Region in und um Zwiesel, aber auch Standorte des holzverarbeitenden Gewerbes oder dem Bergbau.
Die Bedeutung der Glasproduktion war vor allem für die östlichen Teile des Landkreis von fundamentaler Bedeutung. Als wichtigster Wirtschaftszweig war sie Grundlage und Bedingung der Besiedlung und beeinflusste Grundformen der Landschaftsnutzung. Heute ist von den ca. 40 nachweisbaren
Glashüttenstandorten nur noch einer in Betrieb (Zwiesel). Im Fall von Theresienthal besteht immerhin Hoffnung auf die Wiederaufnahme des Betriebs. Doch sind Orte wie Regenhütte, Frauenau oder Ludwigsthal stark vom Verlust der Glasproduktion betroffen und geprägt. Auch die zur Zeit ruhende Hütte in Theresienthal wirkt wie ein Ort einer aufgegebenen Industrie. Die Hütte in Frauenau war noch bis in die 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts so bedeutend, dass der Siedlungsschwerpunkt des Ortes sich durch dessen Betrieb verlagerte. Umso schwerer wiegt der Verlust. Die große Anlage ist auf der einen Seite von größter geschichtlicher Bedeutung für Frauenau; ihr Erhalt stellt jedoch auch eine enorme Herauforderung dar. Ein weiteres Beispiel sind Bauwerke der holzverarbeitenden Industrie. Vor allem die Sägewerke sind typisch für den Landkreis – und dies gilt, anders als im Fall der Glasindustrie, für alle seine Teile. Viele der Sägewerke sind in Betrieb. Dennoch ist auch ihr Bestand gefährdet. Stillgelegte Sägewerke in Gotteszell, Viechtach oder Reibenmühle sind nur willkürliche Beispiele. In allen drei Fällen wird zudem deutlich, dass die Sägewerke nicht nur als Produktionsstätte eine Rolle spielten, sondern dass ihr Betrieb auch eng mit der Pflege der Kulturlandschaft in Verbindung steht. Die Energieerzeugung, aber auch die Beschaffung der Stämme lief fast immer über die Wasserläufe sowie eigens angelegte Kanäle.
Bedrohung des Landschaftsbildes
Viele der oben benannten Bedrohungslagen beinhalten bereits auch Gefährdungspotenzial für die Kulturlandschaft – es sei hier auf die Veränderungen in der Landwirtschaft oder der Landschaftsverbrauch durch Neubausiedlungen hingewiesen. Es gibt aber auch darüber hinaus weitere Faktoren, die eine Bedrohung für das überlieferte Landschaftsbild darstellen. Hier wären zum Beispiel der verstärkt vorangetriebene Ausbau von Photovoltaikanlagen auf eigentlich agrarisch genutzten Flächen zu nennen, aber auch die Aufgabe von Trift- oder Mühlkanälen.
6.2 Ortsbezogene Gefährdungslagen
Ortsspezifische Bedrohungslagen sind zumeist der Ausdruck der oben genannten allgemeinen Bedrohungslagen.
Gotteszell
Abb. 6.2.1:
Gotteszell (049). Situation innerhalb des ehemals von einer Mauer umgebenen Klosterbezirks.

In Gotteszell (049) ist die Gefahrenlage besonders prägnant. Dies liegt an dem ungefilterten Gegensatz, der sich aus der besonderen kulturellen und historischen Bedeutung des Ortes ergibt und den Auswirkungen des Verlustes überlieferter Ortsstrukturen. Auf der einen Seite ist die Qualität der überlieferten historischen Bausubstand herausragend, auf der anderen Seite stehen dieser fehlende Nutzung, banale Architektur und Vernachlässigung gegenüber. Auch hier ist die Funktion des Gasthauses mit Brauerei ein Baustein, dessen Fehlen maßgeblich zum heutigen Ortsbild beigetragen hat. Das Potenzial ist beträchtlich, die Ausgangslage gut; zur Zeit jedoch ist der Ort wenig attraktiv und zeigt unter heutigen Bedingungen keinen Weg in eine Belebung und Erfahrbarmachung des Klosterbezirkes auf.

Viechtach
Viechtach (029) ist ein besonderer Ort. Dies zum einen, weil er einen auffällig hohen, wertvollen historischen Baubestand aufweist und zum anderen, weil er aus diesem Guthaben keinen Gewinn schlägt. Zur Verdeutlichung: Innerstädtisch sind zahlreiche Bauwerke aus dem Spätmittelalter oder der frühen Neuzeit erhalten, so zum Beispiel der Kernbau des Rathauses aus dem 17. Jh., das ehemalige Bürgerspital aus dem 16. Jh., die Apotheke im Kern spätgotisch, der ehemalige Pfarrhof aus dem Spätmittelalter, das spätgotische ‚Schulbeckhaus‘ oder das Wohn- und Geschäftshaus in der Linprunstraße 9 aus dem Spätmittelalter. Die Beispiele sind willkürlich gewählt, können aber den beeindruckenden Denkmalbestand im Kern gut verdeutlichen. Dem uneingeweihten Besucher jedoch bleibt dieser Schatz vorenthalten. Der Fall des Pfarrhofs ist insofern positiv zu erwähnen, als dass er sorgfältig restauriert wurde – doch Informationen zur Anlage mit Wehrturm werden nicht gegeben. Das selbe gilt für die Apotheke, an der man vergeblich Tafeln zur Baugeschichte sucht. Noch tragischer jedoch ist der Zustand des Bürgerspitals, das – bis auf einzelne Veranstaltungen – leer steht und deutliche Spuren der Vernachlässigung zeigt. Informationstafeln sind nicht vorhanden. Beklagenswert ist der Zustand des Schulbeckhauses, das sogar in seiner Substanz bedroht ist. Hier drückt sich für den Besucher eine Gleichgültigkeit dem historischen Erbe gegenüber aus, die letztlich zu dessen Verlust führt.
Ein ganz anders gelagertes Beispiel aus Viechtach stellt das Brechwerk für Schotter, die so genannte ‚Sporer Quetsch‘ dar. Sie ist ein beeindruckendes Zeugnis des Steinbergbaus am ‚Pfahl‘. Gemeinsam mit den Anlagen im Steinbruch, den Resten der Lorenbahn sowie der Seilbahn stellt es ein in seiner Gesamtheit extrem gut und anschaulich überliefertes Relikt eines wichtigen Industriezweigs im westlichen Landkreis dar. Hinzu kommt, dass auch große Teile der Anlagen im Inneren des Bauwerks noch in situ sind, also in kaum vergleichbarer Weise geeignet sind, die technischen Abläufe zu veranschaulichen.
Durch den Leerstand ist die Anlage jedoch in ihrer Substanz bedroht und es wäre sinnvoll und auch touristisch interessant das Objekt in eine Nutzung zu bringen.
Bodenmais
Bodenmais (027) ist gut dazu geeignet zu veranschaulichen, welche Auswirkungen die Adaption eines implantierten Wirtschaftszweigs ohne die Berücksichtigung der vorhandenen gewachsenen Strukturen in sich birgt. Die Vorgehensweise mag sich rein wirtschaftlich für die Stadt gelohnt haben, doch hinterlässt der gezielt angesiedelte Tourismus eine zerrissene Ortsstruktur. Das Unterdorf, historisch durch kleine Industriebetriebe am Fluss geprägt, ist heute stark von Leerstand geprägt. Bedroht ist die im Kern noch ablesbare Struktur durch sich heranschiebende Hotelgroßbauten. Ihre Präsenz marginalisiert das historische Bauerbe, das auf Grund seiner Vernachlässigung auch kaum mehr Argumente für seinen Erhalt liefern kann. Dabei ist das Potenzial der kleinteiligen Industriegebäude am Fluss enorm. Im Oberdorf sieht es ähnlich aus: Während der Marktplatz mit historischer Bebauung, trotz erkennbarer Anstrengungen, eher ein Schattendasein führt, beweisen die unweit liegenden Hotel- und Gastronomiekomplexe mit Tiefgarage und Einkaufsmöglichkeit eine große Anziehungskraft. Der zurückbleibende Gesamteindruck ist ein Ort mit verschüttetem eigenen Charakter. Ein Schicksal, das typisch ist für ungesteuerten Ausbau von touristischer Infra-
struktur.
Waldbahn
Welche Bedeutung die Waldbahn für den Landkreis Regen hat, wird spätestens bei einem Besuch des Museums in Bayerisch Eisenstein deutlich. Von diesem ursprünglichen Entwicklungsturbo, den sie darstellte, ist heute nur noch wenig erfahrbar. Grundsätzlich ist zunächst positiv hervorzuheben, dass die Strecke mit ihren Abzweigungen nach Viechtach, Bodenmais und in Richtung Spiegelau mit vergleichsweise dichtem Takt befahren wird. Ihre Nutzung scheint gut und am Knotenpunkt Zwiesel wird bei jedem Eintreffen der Bahnen dessen Bedeutung offensichtlich. Dass sie jedoch nicht mehr an ihre Bedeutung aus den Zeiten der ersten fünf Jahrzehnte ihres Betriebes anknüpfen kann, ist auch der Aufgabe des Güterbetriebes zuzuschreiben. Dieser war stets ein wichtiger Pfeiler und ermöglichte sowohl die Beschaffung von Waren, aber auch die Verschickung von regionalen Produkten (nicht zuletzt Holz) in die Welt. Die Aufgabe von Güterverkehr hat sicherlich Gründe, die hier im einzelnen nicht behandelt werden können. Doch wurde mit damit und mit dem folgenden Rückbau oder der Einstellung der Betriebsfähigkeit der Anlagen ein Zustand geschaffen, von dem nur schwer der Weg zur Reaktivierung genommen werden kann. Mit diesem Verlust ist die Bahn auch in ihrer Gesamtheit immer bedroht. Deutlich wird dies an dem schwierigen und langwierigen, wenngleich zum Glück auch erfolgreichen, Prozess zur Wiederaufnahme des Bahnverkehrs zwischen Gotteszell und Viechtach.
Eine ganz konkrete Bedrohung geht überdies nun durch die anstehende Sanierung von größeren Ingenieursbauwerken aus, die auf der Strecke liegen. Besonders ist hier die Ohetalbrücke bei Regen gemeint. Hier ist von Seiten der Deutschen Bahn ein Neubau geplant, welcher mit einer längeren Sperrung der Strecke einhergehen wird. Sowohl der mögliche Verlust der heutigen Eisenfachwerkbrücke, als auch die drohende langjährige Stilllegung der Strecke ist für den Bestand der Bahn natürlich eine Bedrohung. Die Tatsache, dass eine neue Brücke geplant ist, lässt aber gleichzeitig erkennen, dass die Strecke in ihrem Bestand grundsätzlich nicht in Frage gestellt wird. Hier wird es also maßgeblich darum gehen, den Bauprozess denkmalpflegerisch aber auch infrastrukturell so durchzuführen, dass Schäden von der Bahn und fürs Landschaftsbild insgesamt abgewendet werden.