Toggenburger Jahrbuch 2022

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TOGGENBURGER JAHRBUCH 2022

Toggenburger Verlag Leseprobe

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Die Herausgabe des Toggenburger Jahrbuchs 2022 wurde ermöglicht durch folgende Firmen und Personen (12er-Klub): Stiftungen: Heberlein-Stiftung für die Förderung gemeinnütziger Werke Firmen: Wattwil FRITZ SCHIESS AG | Feinschnitt-Stanzwerk | CH-9620 Lichtensteig

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Personen: Fredi Högg, Wattwil Vreni Hüberli, Lichtensteig Peter Ledergerber, Wattwil Bruno Sutter, Lichtensteig Paul Widmer, Bern

Umschlagbild Erstes Plakat zur Tourismuswerbung im Toggenburg, 1931, geschaffen vom Nesslauer Maler, Grafiker und Zeichenlehrer Hans Looser (1897–1984). Staatsarchiv St. Gallen.


Toggenburger Jahrbuch 2022 Redaktionsteam Hans Büchler, Wattwil Irène Häne-Ebneter, Kirchberg Anton Heer, Flawil Administration Arthur Lieberherr, Ebnat-Kappel Geschichte/Kultur Barbara Anderegg, Wattwil Serge Hediger, Wattwil Albert Holenstein, Jonschwil Bruno Wickli, Neu St. Johann/ Wil Paul Widmer, Bern Literatur Peter Weber, Wattwil/Zürich Musik Hermann Ostendarp, Wattwil

Toggenburger Verlag

Natur René Güttinger, Nesslau Chronik Marlis Kaufmann, Wattwil Willy Schönenberger, Gähwil Lektorat Elisabeth Rohner, Zürich


© 2021 Toggenburger Verlag, CH-9103 Schwellbrunn Herstellung Toggenburger Verlag CH-9103 Schwellbrunn ISBN 978-3-908166-96-2 Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Radio und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.


Inhalt

Vorwort 7 Irène Häne-Ebneter

Klosterheilkunde im Toggenburg Kerstin Kury Fäs

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Elisabeth von Matsch, Gräfin von Toggenburg Beat Bühler / Bruno Wickli

Degersheim – zwei lokalhistorische Schwerpunkte Silvan Locher / Leo Kessler

171

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Touristische Werbung für die Landschaft Toggenburg Hans Büchler

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Neue Vision für das älteste Museum in der Region Bruno Wickli / Christelle Wick

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Militärsport im Toggenburg Alois Oberlin

87

Lichtensteiger Kirchengeschichte – eine Spurensuche René Stäheli / Serge Hediger

107

Zur «Schärfung des Gewissens» und zur «Vertiefung der Seele» Daniel Klingenberg

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«O ihr Geister, bringet herfür die 133 Schätze!» (Über eine Zauberhandschrift) Serge Hediger Heinrich Hanselmann (1885–1960), ein 145 Toggenburger Pionier der Heilpädagogik Fabian Brändle

Schutzmasken aus dem Untertoggenburg 181 Anton Heer Zwischen Engi und Neudietfurt Anton Heer / Leo Rüthemann

187

Ein Leben für Tiere und Menschen Dr. med. vet. Willy Eppenberger (1923–2020), Nesslau/Wildhaus Matthias Eppenberger

203

Buchbesprechungen 215 Irène Häne-Ebneter Corona-Pandemie im Toggenburg 221 Marlis Kaufmann / Willy Schönenberger Chronik der Toggenburger Gemeinden 223 Marlis Kaufmann / Willy Schönenberger Die Autorinnen und Autoren

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Vorwort

In den vergangenen Monaten wurde unser Dasein kräftig durchgerüttelt, und nichts mehr baute auf Bestehendem auf. Der Alltag wurde stiller und enger. Das Leben fand wohl statt, aber auf einer unsicheren Ebene, die keine grossen Luftsprünge zuliess. Auch dieser zeitliche Einschnitt wird einst in einer Chronik, einem Jahrbuch erwähnt werden – später, vielleicht für nächste Generationen. Noch beschäftigt uns eine enorme Wissensfülle, welche innerhalb der Talschaft des Toggenburgs schlummert. Dieses Wissen weiterzugeben, ans Licht zu bringen, ist unser Bestreben. Es umfasst ganz unterschiedliche Themenbereiche. Eine Vielfalt an Historischem, an Natur, Kultur und Kunst prägt seit je das Toggenburg und seine Bewohner und Bewohnerinnen. Nur wenn wir die Vergangenheit verstehen, können wir auf ihr aufbauen und das Rad weiterdrehen. Zurückschauen heisst nicht stehen bleiben, sondern das Erworbene, Erlebte, Erfundene als Nährboden weiternutzen. Auch im vorliegenden Jahrbuch dürfen wir auf verschiedene Autorinnen und Autoren zurückgreifen. Sie haben Themen für Sie aufgearbeitet, indem sie mit unserer Sprache und mit aussagekräftigem Bildmaterial Vergangenes unmittelbar erlebbar machen. Mit grossem Engagement haben viele an diesem Jahrbuch mitgearbeitet. Sie sind die Vermittler und helfen wesentlich mit, dass Toggenburger Vergangenheit in die Gegenwart integriert wird. Wir wünschen Ihnen eine spannende Lesezeit. Irène Häne

Vorwort

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Elisabeth von Matsch, Gräfin von Toggenburg Adelige Frauen erscheinen kaum als eigenständige Personen in den mittelalterlichen Quellen, welche vielmehr von den Aktivitäten ihrer Ehemänner berichten. Auch Elisabeth von Matsch stand im Schatten ihres Gatten, des letzten Grafen von Toggenburg. Doch als dieser 1436 vor ihr und ohne Nachkommen starb, geriet sie plötzlich in den Mittelpunkt politischer Querelen, was ihr viel Leid bescherte. Beat Bühler / Bruno Wickli (Bilder)

In Leipzig erschien 1789 ein historischer Roman mit dem Titel «Elisabeth, Erbin von Toggenburg: Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz». Dessen Autorin Benedikte Naubert war offenbar von historischen Quellen aus der Schweiz inspiriert worden. Ihr Buch wiederum regte den Wiener Hofschauspieler Matthäus Stegmayer zwanzig Jahre später an, ein Libretto zu schreiben, als dessen Hauptfigur dieselbe «Elisabeth von Mätsch» agierte. Nauberts Roman erzählt vom Aufenthalt der Witwe im Kloster und zitiert die Überlegungen eines Abtes Konrad von Churwalden zu ihren Beweggründen mit den fol-

Tod des Grafen Friedrich VII. von Toggenburg 1436 auf der Schattenburg in Feldkirch. Aus: Chronik von Diebold Schilling, 1484, Burgerbibliothek Bern.

Gräfin Elisabeth von Matsch

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genden Worten: «Elisabeth brauchte nicht Erbin von Toggenburg zu werden, um gross und reich zu seyn; das Glück bedachte sie […] reichlich genug, um ihr ein Beyspiel der Verleugnung, das sie der Nachwelt zu geben hat, leicht zu machen.» Unweigerlich fragt man sich, was für ein Schicksal dahintersteckt und was es mit der Verleugnung auf sich hat. Naheliegend ist ein Zusammenhang mit den politischen Folgen, die der Tod ihres Gatten Friedrich VII. von Toggenburg mit sich brachte, und damit mit dem Alten Zürichkrieg (1436–1450). Auf dem bekannten Bild der Amtlichen Chronik des Diebold Schilling ist Friedrich VII. sterbend in seinem Bett auf der Feldkircher Schattenburg zu sehen, umgeben von Geistlichen. Eine der abgebildeten Frauen dürfte wohl Elisabeth sein, die mit dem Tod ihres Mannes auf die politische Bühne trat. Es lohnt sich, zuerst einen Blick auf Elisabeths Leben in der Zeit vor diesem einschneidenden Ereignis zu werfen, soweit anhand der verfügbaren Quellen nachvollziehbar. Herkunft von Südtirol Das Dorf Matsch (Gemeinde Mals) in einem Seitental des Vinschgaus (Südtirol) mit Blick in die Ötztaler Alpen. Durch einen Grossbrand 1902 brannte der Dorfkern voll­ ständig ab. Foto: H. Büchler.

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Oberhalb von Schluderns im Südtiroler Vintschgau steht die Churburg, von wo aus nordwestlich in einem Seitental wiederum die Burgruinen von (Ober- und Unter-) Matsch zu sehen sind. Alle drei Burgen erinnern an die Familie von Matsch (oder auch Mätsch, lateinisch Amatia), welche dort im Mittelalter


ihren Wohnsitz hatte. Die männlichen Familienmitglieder nannten sich Vögte von Matsch, weil sie die Vogtei über das nördlich von Mals gelegene Kloster Marienberg innehatten. Um 1390 besassen sie auch im heutigen Graubünden Güter und Burgen. Elisabeths Vater, Ulrich IV. von Matsch, war wie viele Adlige seiner Zeit Militärunternehmer. In dieser Funktion begleitete er König Karl IV. 1368 mit fünfzig Reitern nach Rom. Dann aber wurde er in Tirol gebraucht, da bayrische Truppen ins Land zogen, und gar aufgefordert, als Landeshauptmann tätig zu werden. Als zweitjüngste Tochter von Ulrich IV. verlebte Elisabeth ihre Kindheit wohl auf der Burg Untermatsch oder auf der Churburg. Ihr Geburtsdatum ist nicht bekannt, und so kann nicht gesagt werden, wie alt sie bei der Heirat war. Ihr Bräutigam war Friedrich, der Sohn des Grafen Diethelm VI. von Toggenburg und der Katharina von Werdenberg-Heiligenberg. Ein Ehevertrag zwischen den Vätern der Brautleute ist für Elisabeth, im Gegensatz zu ihrem jüngsten Bruder Ulrich, nicht überliefert. Aus der Zeit der Verlobung bzw. Hochzeit ist im Registrum Goswins von Marienberg eine grössere Steuerliste der klösterlichen Eigenleute aufgeführt, wo es heisst: «Die eben beschriebenen Steuern unserer Leute hob der von Matsch alle ein und nahm die Schätzung vor in der Zeit, da er seine Tochter dem von Toggenburg gab [. . .]». Diese Schätzung erfolgte im Jahr 1392.

Friedhof und Kirche des heiligen Florinus am Eingang des Dorfes. Blick vom Dorfeingang nach Sü­ den zur ursprünglich romanischen Kirche und in die Ortlergruppe. Fotos: H. Büchler.

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Dorf und Kirche mit Blick in den oberen Vinschgau und das Müns­ tertal (links). Foto: H. Büchler.

Offenbar befanden sich damals die Vögte von Matsch auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Als ihnen jedoch später die Vogtei über das Kloster Marienberg entzogen wurde, kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Bischof von Chur. Rechtstage brachten keine Lösung der unterschiedlichen Standpunkte. Schliesslich vermittelte Kaiser Sigmund zwischen dem Churer Bischof Hartmann und den Vögten von Matsch und konnte 1421 deren Streit beilegen. Glaubensbekenntnisse in Maienfeld

Spätestens seit 1359 gehörten den Toggenburgern Herrschaft und Burg von Maienfeld. Im Toggenburger Teilungsvertrag bekam Graf Donat 1394 das Thur- und das Neckertal, sein Neffe Friedrich VII. hingegen die Herrschaften im heutigen Graubünden, wozu die «Veste» Maienfeld gehörte. Friedrich sah sich 1398 veranlasst, mit Bischof Hartmann von Chur ein gegen Donat gerichtetes Hilfsbündnis zu schliessen, trat bald darauf in österreichischen Dienst und nannte sich nun «Rat und Diener der Herrschaft Österreich». Zu Beginn der Appenzeller Kriege übernahm er von Herzog Leopold von Tirol die militärische Führung, wie die Klingenberg-Chronik berichtet: «In disen tagen […] lag graff friderich von toggenburg ze sargans […]. Es lagent och sunst vil ander soldner da, denen die herrschaft von österreich sold gab; doch füert der von toggenburg den krieg vff die von appenzell […]».

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Schloss Brandis bei Maienfeld um 1880. Toggenburger Museum Lichtensteig (TML).

In den Jahren 1400 und 1405 schloss Friedrich VII. mit der Stadt Zürich einen Burgrechtsvertrag, welcher gegenseitige Unterstützung beinhaltete und 1416 erneuert wurde. Sollte Friedrich vor Ablauf des Vertrags sterben, konnte dieser mit den Erben verlängert werden. 1417 dann unterzeichnete der Toggenburger Graf, wiederum zwecks militärischer Unterstützung, ein Abkommen mit den Landleuten von Schwyz und wurde dadurch – als Adeliger – gleichzeitig zum Schwyzer Landmann. 1419 verband sich der Graf mittels Landrechtsvertrag auch noch mit den Glarnern. In jenen konfliktreichen Jahren brachte es Friedrich VII. zustande, dass ihm die Gebiete zwischen dem Toggenburg und seinen bündnerischen Besitzungen übereignet wurden. Im Spätsommer 1413 kam es zur reichsrechtlichen Verleihung sämtlicher Besitzungen durch König Sigmund, womit der Toggenburger als Landesherr innerhalb des Reiches bestätigt wurde. Über Maienfeld schreibt Otto P. Clavadetscher im «Burgenbuch von Graubünden», man könne bei der kleinen Anzahl dort ausgestellter Dokumente nicht von Friedrichs Lieblingsresidenz sprechen. Wegen vieler Gunsterweise gegenüber der örtlichen Kirche kommt man eher zum Schluss, dass es Elisabeth in Maienfeld gefiel, wo sie sich oft wochenlang allein mit ihren Bediens­ teten aufgehalten haben dürfte. Sicher stand in dieser Zeit die Frage einer möglichen Schwangerschaft – ob ausgesprochen oder nicht – im Mittelpunkt des Interesses. 1411 erstellte ein Kaplan Dietrich von Lichtensteig für Elisabeth von Matsch eine prachtvolle Abschrift der Weltchronik des Rudolf von Ems. Weil diese Chronik mit dem Alten Testament beginnt, sprach man damals von der «Toggenburger Bibel».

Der Turmbau von Babel aus der Toggenburger Bibel des Jahres 1411. TML.

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Elisabeths Name erscheint dann zwischen 1418 und 1428 explizit in den päpstlichen Registern. In diesen wurden Genehmigungen und Vergünstigungen vonseiten der Päpste bzw. der kurialen Instanzen eingetragen. Zunächst erbaten Friedrich VII. und seine Frau Elisabeth 1418 die Genehmigung für einen Tragaltar, welcher auch ausserhalb von Kirchen die Messfeier ermöglichte. Namentlich für Elisabeth wurde um die Erlaubnis gebeten, ein Frauenkloster zu betreten. Offenbar gab es in Maienfeld einen solchen Konvent. Die Verbundenheit einer Adeligen mit einem Kloster war nicht aussergewöhnlich: Elisabeths Schwägerin, Barbara von Starkenberg, erbat sich in jenen Jahren ebenfalls eine solche Zutrittsgenehmigung. Und schliesslich ging es um einen Ablass für die Pfarrkirche in Maienfeld, «ad quam Elizabeth comitissa de Toggenburg gerit affectum» (der sich Elisabeth von Toggenburg verbunden weiss), wie in den Regis­ tern wörtlich steht. Der Ablass wurde 1425 auf Begehren der Gräfin um zehn Jahre verlängert. Solche Anliegen waren Ausdruck spätmittelalterlicher Frömmigkeit und sind auch für die Diözese Chur vielfach belegt. Ganz in diesem Sinn beantragten Elisabeth und Friedrich VII. in Rom die Inkorporation der beiden Pfarrkirchen von Wangen (SZ) und Elsau bei Winterthur. Begründet wurde dies in der entsprechenden Urkunde unter anderem mit der «Frömmigkeit, weil Donat und seine Vorfahren in Rüti ihr Grab haben». Nach einem aufwendigen Verfahren konnte diese Inkorporation am 15. November 1426 für vollzogen erklärt werden. Höfisches Leben in Feldkirch

1414 traf sich in Konstanz anlässlich des Allgemeinen Konzils alles, was in der damaligen Christenheit Rang und Namen hatte. Dem Konstanzer Chronisten Ulrich von Richental war es ein Bedürfnis, sämtliche Teilnehmer festzuhalten. Gemäss hierarchischer Ordnung in Kirche und Staat folgen in seiner Chronik den Königen und Herzögen die vielen angereisten Grafen, inklusive Friedrich VII. von Toggenburg. Mit einem Gefolge von zwanzig Personen war er in Konstanz eingezogen, und auch die Vögte von Matsch waren auf dem Konzil anwesend. Als mit Johannes XXXIII. einer der drei im Grossen Schisma konkurrierenden Päpste das Konzil durch Flucht zu sprengen suchte, unterstützt durch Herzog Friedrich von Tirol, reagierte Kaiser Sigmund heftig und sprach über Letzteren die Reichsacht aus. Er verpfändete im Februar 1417 dessen dem Reich zugefallene Herrschaften Feldkirch, Rankweil, Sulz, Alt- und Neu-

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montfort dem Grafen Friedrich VII. für 3000 rheinische Gulden. Einen Monat später wurden die Untertanen vom Kaiser zum Gehorsam gegenüber ihrem neuen Herrn aufgefordert. Nach einem kurzen Habsburger Zwischenspiel stand Friedrich VII. im Mai 1417 mit einem grossen militärischen Aufgebot vor Feldkirch, das er «mit Gottes Hilfe» zu erobern hoffte. Er bat Zürich um ein grosses Geschütz, 50 Büchsensteine und 10 Zentner Büchsenpulver. Auch von Konstanz wurde ein Geschütz herangeführt, so konnten Stadt und Burg schliesslich eingenommen werden. In der Vorarlberger Stadt agierte Friedrich VII. vor allem als Militärunternehmer. Der Kaiser konnte die vom Toggenburger erbrachten Dienstleistungen jeweils mit der Feldkircher Pfandschaft verrechnen. Im Mai 1417 tat er dies mit dem Sold von 200 Fussknechten, im August des gleichen Jahres mit 4000 Gulden für Kriegsdienste sowie 800 Gulden für die Auslösung der Burg von Feldkirch. Ähnlich verhielt es sich mit den Investitionen in die bauliche Erneuerung der Burg: Im November 1417 wurden dafür 1000 Gulden ausgegeben, im März 1423 kamen nochmals 2000 Gulden hinzu. Mit dem Ausbau der Burg förderte der Toggenburger Graf die Entwicklung von Feldkirch erheblich. KarlHeinz Burmeister erwähnt in seiner Kulturgeschichte der Stadt, dass der Effekt durch Kaiserbesuche eine weitere Steigerung erfuhr. Er verweist auf den Umstand, dass der Adel in der Stadt nun wieder in so grosser Anzahl vorhanden war, dass offenbar Turniere abgehalten werden konnten. Kaiser Sigmund stationierte 1418 sein Hofpersonal in Feldkirch und liess es von den Bürgern verköstigen. Im Herbst 1431 hielt er dann für vier Wochen Hof, was wiederum die Einquartierung eines grossen Personenkreises zur Folge hatte. Die kaiserliche Kanzlei stellte täglich Urkunden aus, welche im gesamten Reich zu verteilen waren. Jede Urkunde erforderte Zeugen, welche mit ihrer Gegenwart die Echtheit des Dokuments belegten. In einer Urkunde vom 1. Oktober 1431 erscheint denn auch Graf Friedrich VII. als solcher. Während sich Feldkirch zu einem politischen und kulturellen Zentrum entwickelte, blieb Elisabeth von Toggenburg, die Gattin des Stadtherrn, im Hintergrund. Im Gegensatz zu Maienfeld finden sich von ihr in Feldkirch keine Gunsterweise für Kirchen. Dafür scheint immer häufiger Besuch von erbberechtigten Verwandten gekommen zu sein, da die Ehe mit Friedrich kinderlos geblieben war. Der Historiker Johannes Müller hat einst Folgendes dazu festgehalten: «An dem Hoflager Friedrichs war ein Zusammenfluss der Grossen aus den Vorlanden, aus Rätien und

Wappen der Vögte von Matsch. Die Burgen von Ober- und Unter­ matsch sind nicht mehr erhalten.

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Straussenei-Reliquiar, gestiftet von Elisabeth von Matsch, um 1440, Stadtmuseum Rapperswil. Foto: Bernhard Anderes.

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Helvetien, der Verwandten des Hauses, die im Testament erwähnt seyn wollten, vieler Hauptleute und Vögte, vieler dienstsuchenden jungen Ritter […]; hier glänzten die von Raron, die Werdenberg, die Aarburg, die Sax, die Metsch, die von Kirchberg, die von Brandis, alle um den Preis der grossen Kunst zu gefallen wetteifernd.» Erst 1431 wurde die Kinderlosigkeit schriftlich thematisiert, als nämlich Kaiser Sigmund dem Grafen Friedrich VII. erlaubte, für den Fall, «daz er kain libserben gewünne», seine Herrschaften der Ehefrau und den Verwandten zusammen oder getrennt zu übertragen; 1434 wurde dieses Privileg bestätigt. In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, dass Friedrich VII. offensichtlich einen leiblichen Sohn hatte, welchem freilich der Status eines unehelichen und damit nicht erbberechtigten Kindes anhaftete. Es handelt sich dabei wohl um den Hans oder Johannes von Toggenburg, der 1475 auf der Tagsatzung in Luzern eine Botschaft von Kaiser Friedrich III. überbrachte. In den Eidgenössischen Abschieden steht: «Herr Hans von Toggenburg [habe] berichtet, was er unsertwegen mit dem Kaiser geredet habe und was des Kaisers Wille sei.» Der St. Galler Historiker Ildefons von Arx zählt die Erben von Graf Friedrich auf und nennt dann Hans von Toggenburg, der «wegen seiner unehe­ lichen Geburt von der Erbschaft ausgeschlossen wurde». Ferner sagt von Arx, Hans sei Bürger von Zürich und ein Landmann von Schwyz gewesen. Für die Schwyzer ging er gar als Gesandter zu König Ludwig von Frankreich und brachte ihnen im Frühjahr 1481 von Tours die Reliquien des heiligen Martin, ihres Kirchenpatrons, mit. Schriftliche Hinweise auf Elisabeths Anwesenheit in Feldkirch finden sich hingegen keine, vielleicht weil diese jeweils nur temporär war. Vorübergehend dürften auch äussere Ereignisse den Aufenthalt dort beeinträchtigt haben, etwa eine Brandkatastrophe in der Burg samt Pulverexplosion. Nach Johannes Stumpf geschah dieses Unglück am 25. Februar 1427. Es brannte in einem Turm der Schattenburg, wo drei Fässer mit Pulver gelagert waren. Zwei davon konnten herausgeschafft werden, das dritte aber explodierte und erforderte Todesopfer, unter ihnen Friedrichs Neffe Walraff von Thierstein. Das Ereignis schlug sich 1428 in einer Jahrzeitstiftung nieder, welche Friedrich VII. an der Churer Domkirche errichtete. Danach sollten alljährlich am 13. März Gebetsgedenken gehalten werden für den Grafen und seine Vorfahren, für Elisabeth von Matsch und deren Vorfahren sowie für den Grafen Walraff von Thierstein.


Im Konflikt um das Toggenburger Erbe

Inzwischen warfen die Ereignisse der kommenden Jahre ihre Schatten voraus. Aufgrund des Burgrechts trat Zürich an Graf Friedrich VII. heran und drängte ihn, einen Erben zu nennen, welcher Bürger ihrer Stadt sein sollte. Im September 1433 kam der Toggenburger Graf in Rapperswil mit Vertretern Zürichs zusammen und erklärte diesen, dass er seine Frau zur Alleinerbin eingesetzt habe. Das Burgrecht mit Zürich solle fünf Jahre über seinen Tod hinaus gelten und Elisabeth ins Burgrecht aufgenommen werden. Als Friedrich VII. im November 1435 aufgrund «von krankheit wegen sines lips» um die Verschiebung eines angesetzten Rechtstages bitten musste, waren offenbar schon Bemühungen im Gange, die Frage der Toggenburger Erbschaft durch Übergabe der gesamten Herrschaften oder von einzelnen Teilen an bestimmte Verwandte zu lösen. Im Februar 1436 begab sich Friedrich VII. in Begleitung zahlreicher Adeliger von Feldkirch nach Sargans, wohin er die vornehmsten Amtleute aus dem Toggenburg und von Uznach beschieden hatte. In deren Gegenwart setzte er seinen Schwager Wolfhart von Brandis zum Herrn und Erben von Toggenburg und Uznach ein, empfahl ihm, ein Burgrecht mit Zürich die nächsten fünf Jahre nach seinem Tode zu halten und sodann in ein ewiges und ausschliessliches Landrecht mit Schwyz und Glarus zu treten. Es wurde aber nichts schriftlich festgehalten und allen Anwesenden Geheimhaltung befohlen. Einen ähn­ lichen Plan führt auch Elisabeth Meyer-Marthaler in ihrer Abhandlung zum Toggenburger Erbfall an, wonach Friedrich VII. in früheren Jahren die Nachfolge seinem Neffen Walraff von Tierstein hatte zuhalten wollen. Als dieser 1427 tödlich verunglückte, habe Friedrich schliesslich einen Verkauf von Toggenburg und Uznach an Wolfhart von Brandis ins Auge gefasst. Friedrichs VII. Tod auf der Schattenburg in Feldkirch am 30. April 1436 fand in Chroniken und Totenbüchern seinen Niederschlag, etwa wie folgt in der Klingenberger Chronik: «Anno d. MCCCCXXXVj an dem mai abent starb Graff Fridrich der hindrost von Toggenburg, mit dem ward schilt vnd helm begraben, vnd was der mechtigost von Toggenburg an lüt vnd land, der vnder sinem geschlecht je was getan.» Im Kloster Magdenau (Toggenburg) wurde sein Tod genauso vermerkt wie im Kloster Pfäfers. Dieser Graf Friedrich verkörperte, wie Erwin Eugster im Historischen Lexikon der Schweiz schreibt, den Typ eines «kaum in die Landesherrschaften integrierten Adeligen mit einer nur

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Totenfahne Friedrichs VII. TML.

von wenigen Beamten getragenen, nur ansatzweise verschriftlichten Herrschaft». Gemäss Eugster war er «mit einer kleinen, schlagfähigen Gefolgschaft einer der erfolgreichsten adeligen Militärunternehmer seiner Zeit» gewesen. Wegen «Mannigfaltigkeit von Rechten und Forderungen» kam es nach dem Tod des Grafen zu Auseinandersetzungen. Bereits am 8. Juni 1436 billigte Gräfin Elisabeth den Zusammenschluss der Zehn Gerichte im heutigen Graubünden, was von den späteren Erben auch anerkannt wurde. Stadt und Herrschaft Feldkirch waren ein Pfand Herzog Friedrichs IV. gewesen und sollten nun an dessen Bevollmächtigte Ulrich von Matsch und Wolfhart V. von Brandis gehen. Entsprechend forderte Elisabeth die Stadt Feldkirch auf, den beiden neuen Herren zu huldigen. Jedoch hatte sich bereits im Mai eine Erbengemeinschaft konstituiert, welche Elisabeths Anrecht bestritt. Diese verwies am Tag vor Allerheiligen 1436 auf das mit der Stadt Zürich geschlossene Burgrecht, welches nun auf Lebenszeit verlängert wurde und neu die Möglichkeit zur Stationierung von Zürcher Truppen im Toggenburger Gebiet vorsah. Zudem deklarierte Elisabeth, dass die Stadt Zürich nach ihrem Tod Uznach, Schmerikon und Uznaberg erhalten sollte. Offenbar bereitete ihr der Anspruch als Alleinerbin einige Schwierigkeiten, weshalb sie Kaiser Sigmund klagend um Unterstützung anrief: «So hab ich sölich gross kumber und betrüb-

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nüsse gehept von dem tode mines lieben Herrn gemachels seligen.» Am 21. November 1436 schrieben Bürgermeister und Rat von Zürich dem Kaiser in derselben Angelegenheit. Sie berichteten von einem offenbar nicht zielführenden Treffen der Erben in Maienfeld. Die Absender verwiesen darauf, dass die Witwe Unterstützung brauche, «wann sy ein zuo mal verkümberti frow ist, der sölich sachen sider Irs gemahels tod begegnet sind, die einem Herren zu swer werind», weil ihr also Dinge widerfahren seien, die selbst für einen Herrn schwer zu ertragen gewesen wären. An Neujahr 1437 informierten die Zürcher dann Luzern und Bern, dass Elisabeth Uznach und Uznaberg der Stadt übertragen hatte. Doch Schwyz und Glarus hätten das Gebiet militärisch besetzt und die Bewohner ins Landrecht aufgenommen. Zürich bat deshalb Luzern um Unterstützung.

Die Johanniterkommende Bubikon um 1750 nach einem Kupferstich von David Herrliberger. Sie diente seit dem Ende des 12. Jahrhun­ derts mehreren Mitgliedern der Grafenfamilie von Toggenburg als letzte Ruhestätte, nicht aber Friedrich VII. und seiner Gattin ­Elisabeth von Matsch.

Auch Gräfin Elisabeth selbst klagte gegen Schwyz und Glarus. Beim Schiedsgericht hatte sie anfänglich selbst erscheinen wollen, liess sich dann aber durch Zürich vertreten. Es ging letztlich um den Begriff der «Gewere», d. h. den Umstand, dass die Gräfin ihr Erbe wegen der Besetzung durch Schwyz und Glarus nicht in Besitz nehmen konnte. Als am 9. März 1437 ein erster Spruch der neunzehn eidgenössischen Schiedsboten zwischen Zürich und der Gräfin von Toggenburg einerseits und den Ländern Schwyz und Glarus andererseits erfolgte, fiel dieser weitgehend zuguns­ ten von Schwyz aus. Dieses hatte die Rechtmässigkeit der geschlossenen Landrechtsverträge belegen können. Wenige Wochen nach diesem Entscheid übergab Elisabeth die gesamte Toggenburger Erbschaft an ihren Neffen Ulrich IX. und ihren Bruder Ulrich VI. von Matsch. Diese in der Urkunde

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Die Toggenburger Erbschaft 1436. TML.

vom 11. April 1437 aufgeführten Erben schlossen mit Schwyz und Glarus einen Landrechtsvertrag. Am selben Tag bestätigte derselbe Personenkreis, dass er «mit Ausnahme ihres väter­ lichen Erbes, der Morgengabe und Haimsteuer vor dem Gericht in Feldkirch die ganze Erbschaft» angetreten habe, die ihm von der Witwe übertragen worden sei. Deren Rechte wollten sie schützen und sich bei Streitigkeiten dem Urteil eines Schiedsgerichts unter Leitung von Landammann Ital von Schwyz unterwerfen. Dieses Gremium hatte am 3. September 1437 wiederum zwischen den Ansprüchen der Gräfin Elisabeth und jenen ihrer Miterben über Folgendes zu entscheiden: «1. das Leibgeding der Gräfin, das […] bisher auf Maienfeld mit seiner Zugehör und auf Gütern zu Seewis im Prättigau gelegen hatte. 2. die von Friedrich VII. hinterlassene Fahrhabe [bewegliche Sache]. 3. die Morgengabe [Zuwendung des Mannes an die Frau anlässlich der Hochzeit] von 2000 pf. Heller, auf die Elisabeth in den Leibgedingbriefen bereits angewiesen ist. 4. die Einnahme der Lösungssumme von 22 000 Gl. aus den österreichischen Pfandschaften.

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5. die Besorgung und Anweisung eines Leibgedinges durch Wilhelm von Montfort und Wolfhart von Brandis, ihren Frauen und Erben sowie die Entschädigung dafür durch ihre Miterben.»

Es ging dabei vor allem um das, was Elisabeth selbst beanspruchen konnte und besitzen sollte. Gemäss Meyer-Marthaler wurden das von Friedrich VII. von Toggenburg verbriefte und auf Maienfeld sowie Güter zu Seewies versicherte Leibgeding und die in bar aus der Verlassenschaft zu leistende Morgengabe zusammengelegt und in eine Geldrente umgewandelt, die toggenburgischen Güter von der Auflage befreit und die Mont­ fort’sche Herrschaft Werdenberg sowie die Brandis’sche von Vaduz als Unterpfand herangezogen. Trauer und Terror im Kloster Rüti

Im Gedenken an ihren Mann, an dessen und ihre eigenen Vorfahren übergab Elisabeth von Matsch ihr mitgebrachtes Eigengut jener Institution, welche ihr Unterschlupf gewährt hatte, nämlich dem Prämonstratenserkloster Rüti, wo traditionell die Toggenburger Grafen bestattet waren. Ende Dezember 1436 erklärte sie in einer Urkunde, dass damit die Jahrzeiten, Vigilien und andere Gottesdienste begangen werden sollten. An ihrem früheren Wohnort Maienfeld stiftete sie ebenfalls etwas, nämlich für die Pfarrkirche eine Messpfründe «zum Seelenheil ihres Gemahls und ihrer beider Vorfahren», wie es in der Urkunde heisst. 1439 liess sie zugunsten einer neuerbauten Seitenkapelle im Kloster Rüti eine Messstiftung für das eigene Seelenheil und das ihres Mannes errichten. Danach musste in der Kapelle täglich ein von der Stifterin bestimmter Priester die Messe halten. Priester, Laienbrüder und Schüler sollten ebenfalls aus der Stiftung ein Entgelt bekommen sowie «die Armen 2 Viertel Weizen für Brot». Nach der Weihe durch den Konstanzer Weihbischof konnte hier auch der Leichnam von Graf Friedrich beigesetzt werden. Der Tag der Kirchweihe wurde 1442 für den Sonntag nach dem 1. Mai angesetzt, verbunden mit einem Ablass für jeden Kirchenbesucher. Bei der Toggenburgerkapelle handelte es sich um einen tonnengewölbten Raum von 7,5 Metern westöstlicher Länge und 7 Metern Breite, der 1771 im Zuge eines Totalumbaus und der damit verbundenen Verkürzung der Kirche abgebrochen wurde. Für Elisabeth von Toggenburg gewann in diesen Jahren neben Rüti auch die nicht weit entfernte Stadt Rapperswil an Bedeutung, zumal sie dort ein Haus besass. Auch in dieser Stadt beabsichtigte sie, für sich und ihren Gemahl eine Jahrzeitstif-

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Die Toggenburgergruft für Graf Friedrich VII. und seine Gattin ­Elisabeth von Matsch in der ­Klosterkirche Rüti, heute evange­ lische Kirche. Foto: Wikimedia.

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tung zu errichten. Im März 1442 erhielten Schultheiss und Rat zu diesem Zweck 800 Gulden. Im Mai 1443 erklärte Schwyz der Stadt den Krieg und begann unmittelbar danach mit der Belagerung. In diesem Zusammenhang kam es zu zahlreichen Raubzügen und Verwüstungen in der näheren Umgebung. Neben dem Kloster Wurmsbach war vor allem das Kloster Rüti Ziel der Schwyzer und ihrer Verbündeten. Sie machten in ihrer Zerstörungswut auch nicht vor den dortigen Adelsgräbern halt. Elisabeth musste hier – ausser sie wäre zu diesem Zeitpunkt in Rapperswil gewesen – wohl mit eigenen Augen zusehen, wie die Gräber ihres Mannes und seines Neffen Walraff von Thierstein geschändet wurden. Unter der Überschrift «Die aidtgenossen taten vnchristlich sachen, als man von inen sait» hält die Klingenbergchronik fest: «It si nament ze rüti in dem closter all ir gloggen vnd alles das si funden [. . .] si brachen die greber in dem münster vff, vnd truogent die todten lichnam heruss, graf fridrichen von toggenburg, vnd schlugent jm ain stain in den mund; graf waldraffen von tierstein schutten si vss dem bom, vnd wurffen ainander mit sinen gebainen.» Eigentlich hätte der Toggenburger Erbfall längst abgeschlossen sein sollen. Doch am 3. Oktober 1446 entschied ein aus Bürgermeister und den Ratsherren der Stadt Lindau bestehendes Schiedsgericht zwischen Elisabeth von Matsch, der Witwe Friedrichs VII. von Toggenburg, und dem Sohn des verstorbenen Heinrich von Montfort und Wolfhart V. von Brandis dahingehend, dass diese als Erben die hinterlassenen Geldschulden Friedrichs von Toggenburg zu übernehmen hatten.


Am 24. November stiftete dann Gräfin Elisabeth auch in der Pfarrkirche Johannes des Täufers und Johannes des Evangelisten zu Rapperswil eine Jahrzeit. Damit verbunden war die Stiftung einer eigenen Pfründe, welche den Lebensunterhalt des eigens dazu bestimmten Priesters gewährleistete: Jedes Jahr erhielt dieser 50 Gulden aus der Stiftung. Schultheiss und Rat hatten die Einhaltung der Bestimmungen zu gewährleisten. Am 3. Dezember bestätigte der Konstanzer Generalvikar die Stiftung dieser Allerheiligenpfründe, und diese wurde im Jahrzeitenbuch festgehalten. Das Todesdatum von Gräfin Elisabeth war nicht zu ermitteln; es ist aber nach dem 24. November 1446 anzusetzen. Als Ort ihres Begräbnisses kommt am ehesten Rüti infrage, zumal das geschändete Grab des Toggenburgers wahrscheinlich notdürftig wiederhergestellt werden konnte. Elisabeth von Matsch stand zeitlebens im Schatten von Friedrich VII. Ihre Person weckte erst Interesse, als eine Schwangerschaft und damit die Geburt eines Nachfolgers des Grafen nicht mehr möglich schien. Nach dem Tod ihres Gatten rückte sie in den Vordergrund und bekam den Druck ihrer Verwandten wie auch des Landes Schwyz und der Stadt Zürich zu spüren. Als eigenständig handelnde Frau erscheint sie in den Quellen vor allem dank zahlreichen Bekundungen ihrer Religiosität. Wohl waren solche im Spätmittelalter gerade für die höheren Schichten der Gesellschaft üblich, in Elisabeths Fall aber vielleicht auch dem besonderen Schicksal geschuldet.

Im Hintergrund die einstigen Kernteile des Klosters Rüti nach einem Kupferstich von David Herrliberger 1741. TML.

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Grabplatte der Toggenburgergruft in Rüti. Foto: Wikimedia.

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Quellen Urkundenbuch des Stadtarchivs Rapperswil, hrsg. von Carl Helbling, Typoskript, Rapperswil 1917–1919: 114. Nr. 200 (C 4f IIb 1) 1442, März 6. Stadt Rapperswil-Jona C 4f. IIb 2; ebd. E 1: Jahrzeitenbuch. Gedruckte Quellen / Quellensammlungen: Archiv für Schweizer Geschichte (ArchSG) 10, 1855, S.256–267. Bern, Burgerbibliothek Mss.h.h.I.2: Amtliche Berner Chronik Band 2, Bern 1478– 1483 (online-Ausgabe). Die Klingenberg-Chronik, hrsg. von Anton Henne, Gotha 1861, S.161–162: Nr.161. Liechtensteinisches Urkundenbuch II, Regestensammlung (LUB digital II, http:// www.lub.li), nach Datum: 28. 2. 1434 Februar 1436; 19. 9. 1436(1); 28. 9. 1436 11. 4. 1437 (1); 11. April 1437 (2); 3. 9. 1437, 3. 10. 1446 Regesta imperii (RI) Online: RI VIII n.487 vom 21. 9. 1368 RI X,1n. 2135 vom 23. 3. 1417 RI XI,1n. 2258 vom 5. 5. 1417; n. 2518 vom 12. 8. 1417; n. 2663 vom 6. 11. 1417; RI XI,1n. 5486 vom 12. 3. 1423; n. 5499 vom 6. 4. 1423 RI XI, 2n. 8912 vom 12. 10. 1431 Das Registrum Goswins von Marienberg, bearb. von Christine Roilo, übersetzt von Raimund Senoner, Innsbruck 1996. R(epertorium) G(ermanicum) (RG) Online RG III 00322 RG IV 02644; RG IV 03175; RG IV 10874 RG V 01671 vom 16. 2. 1437. Ulrich Richental, Concilium zu Costencz, Druckausgabe von Anton Sorg, Augsburg 1483; URL: digi.ub.uni-heidelberg.de/digit/ir00196000; Zugriff am 16. 6. 2014. Stumpf Johannes, Gemeiner loblicher Eydgnoschafft Stetten, Landen und Völkeren Chronik wirdiger Thaaten Beschreybung, 5. Buch, Zürich 1548. Stumpf Johannes, Gemeiner loblicher Eydgnoschafft Stetten, Landen und Völkeren Chronik wirdiger Thaaten Beschreybung, 10. Buch, Zürich 1548. Aegidius Tschudi, Chronicon Helveticum, 1. Teil, hrsg. von Johann Rudolf Iselin, Basel 1734. Urkundenregesten des Staatsarchivs des Kantons Zürich Bd. 4, bearb. von Urs Amacher und Peter Niederhäuser, Zürich 1999: Nr. 5008 vom 1. 6. 1405 Nr. 6730 vom 3. 4. 1425 Nr. 6827 vom 20. 9. 1426; Nr. 6831 vom 6. 10. 1426; Nr. 6835 vom 17. und 26. 10. 1426; Nr.6840 vom 5. 11. 1426; Nr. 6841 vom 6. 11. 1426; Nr. 6844 vom 9. 11. 1426; Nr. 6849 vom 15. 11. 1426. Urkundenregesten des Staatsarchivs des Kantons Zürich Bd. 5, bearb. von Peter Niederhäuser, Zürich 2002: Nr. 6081 vom 26. 3. 1416 Nr. 6134 vom 24. 1. 1417 Nr. 6841 vom 6. 11. 1426. Urkundenregesten des Staatsarchivs des Kantons Zürich Bd. 6, bearb. von Christian Sieber, Zürich 2005: Nr. 7611 vom 7. 9. 1433; Nr. 7862 vom 22. 11. 1435 Nr. 7997 vom 31. 10. 1436; Nr. 7998 vom 31. 10. 1436; Nr. 8006 vom 16. 11. 1436; Nr. 8007 vom 21. 11. 1436; Nr. 8025 vom 27. 12. 1436 Nr. 8034 vom 1.1.1437; Nr. 8035 vom 1.1.1437; Nr. 8077 vom 9. 3. 1437 Nr. 8479 vom 5. 9. 1439 Nr. 8765 vom 16. 1. 1442; Nr. 8814 vom 20. 6. 1442.

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Literatur Karl Heinz Burmeister, Kulturgeschichte der Stadt Feldkirch bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, Sigmaringen 1985. Placid Bütler, Graf Friedrich VII., der letzte Graf von Toggenburg, St. Gallen 1887. Otto P. Clavadetscher, Werner Meyer, Das Burgenbuch von Graubünden, Zürich und Schwäbisch Hall 1984. Erwin Eugster, Toggenburg, Friedrich VII., in: HLS online: www.hls-dhs-dss.ch. Erika Kustatscher, Die Vogtei des Klosters Marienberg. Kontinuität und Wandel im Übergang von der mittelalterlichen «advocatia» zu Jurisdiktion und Schirmvogtei in der Neuzeit, in: 900 Jahre Benediktinerabtei Marienberg 1096–1996), red. von Rainer Loose, Lana 1996, S.107–162. Justinian Ladurner, Die Vögte von Matsch, später auch Grafen von Kirchberg, in: Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg, 3. Folge, 16. Heft, Innsbruck 1871, S. 6–291. Elisabeth Meyer-Marthaler, Der Toggenburger Erbfall von 1436 als Frage von Erbund Lehenrecht, in: St. Galler Kultur und Geschichte Bd. 11, Rorschach 1981. Johannes Müller, Der Geschichten schweizerischer Eidgenossenschaft Drittes Buch, zweite Abteilung, Leipzig 1795. Benedikte Naubert, Elisabeth, Erbin von Toggenburg: Oder Geschichte der Frauen von Sargans in der Schweiz, Teil 1 Leipzig 1789 und Teil 2 Leipzig 1791 (Bayerische Staatsbibliothek digital); eine Neuauflage des Romans, transkribiert von Sylvia Kolbe, Leipzig 2015. Peter Niederhäuser und Raphael Sennhauser, Adelsgrablegen und Adelsmemoria im Kloster Rüti, in: Kunst + Architektur in der Schweiz 54 (2003), S. 31. Peter Niederhäuser und Christian Sieber, Ein «Bruderkrieg» macht Geschichte. Neue Zugänge zum Alten Zürichkrieg, Zürich 2006. Arnold Nüscheler, Die Gotteshäuser der Schweiz, 1. Heft, Zürich 1864.

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Touristische Werbung für die Landschaft Toggenburg Von der Aufklärung motivierte Forscher, Künstler und Reisende hatten ab dem 18. Jahrhundert die Bergwelt von Alpstein und Churfirsten erkundet. Um 1800 machten erste Reiseführer auf das Thurtal aufmerksam. Doch erst nach dem Bau der Toggenburger-Bahn unternahmen die Sektion Toggenburg des Schweizer Alpenclubs und am Tourismus Interessierte erste Schritte. Die Werbung war einheitlich für alle Toggenburger Gemeinden und Wil geplant. Zu diesem Zweck wurde 1892 der Toggenburger Verkehrsverband gegründet. Dieser und die Nachfolgeorganisation Toggenburg Tourismus bemühen sich seit rund 130 Jahren, den Herausforderungen der Technik, den Ansprüchen der Gäste, dem Schutz der Natur und den lokalen sowie toggenburgischen Interessen gerecht zu werden. Hans Büchler

Inspiriert von Johann Wolfgang von Goethe, Lord Byron oder durch Schillers «Wilhelm Tell» strömten nach 1800 die ersten Touristen in die Schweiz. Zahlreiche Schriftsteller, unter ihnen Johann Gottfried Ebel, beschrieben ihre Eindrücke von den Menschen, ihren Sitten und Gebräuchen und den begeisternden Naturlandschaften. Im Alpenraum hatte sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts auch die Schweiz zu einem wichtigen Reiseziel entwickelt. 1841 organisierte Thomas Cook die erste touris­ tische Gruppenreise in die Schweiz, und nur vier Jahre später wurde das erste gleichnamige Reisebüro der Welt eröffnet. Die in grossen Auflagen gedruckten deutschsprachigen Führer des Verlages Baedeker gaben wertvolle Hinweise zur Vorbereitung und Durchführung von Reisen. Die Anfänge der Tourismuswerbung

Hand in Hand mit dieser Entwicklung wurde das europäische Schienennetz ausgebaut. Fähren verbanden Länder, die bisher nur umständlich erreichbar oder abgeschottet waren. Das Rei­ sen wurde schneller, bequemer und preisgünstiger. In der Schweiz gehörten kühne Eisenbahnstrecken, der Ausbau von

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Ältestes bekanntes Werbeplakat des Toggenburgs ist eine Lithografie für die Industrie- und Gewerbeausstellung 1888 in Wattwil: Blick von der Gruben ob Wattwil ins obere Toggenburg, unten das Ausstellungsgebäude im Neudorf, links der Fahrplan und rechts der Text des Ausstellungsreglementes.

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Alpenpässen und die Eröffnung von Dampfschifffahrts-Routen zur Attraktion der touristischen Infrastruktur. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden die ersten Kurorte mit ihren gros­ sen Hotelbauten. Die wachsende Konkurrenz unter den ver­ schiedenen Destinationen zwang diese, sich als Zentrum für Gesundheit, als Ort des Vergnügens oder Anbieter von Sport­ einrichtungen zu spezialisieren. Um auf diese speziellen Attrak­ tionen hinzuweisen und die europäische Konkurrenz in Schach zu halten, waren Ideen für die Werbung gefragt. Zu wichtigen Werbeträgern entwickelten sich seit 1880 die Postkarte und das Plakat, nach dem Ersten Weltkrieg auch der Prospekt mit Foto­ grafien. Die ersten Plakate des 19. Jahrhunderts setzen sich aus meh­ reren kleinen Bildern und einem beherrschenden Text zusam­ men, der nur aus nächster Nähe gelesen werden konnte. Wichtig war der Text, die farbigen Bildmotive auf dem grossformatigen Papierbogen hatten nur eine sekundäre Aufgabe. Bald jedoch wurde erkannt, dass die Passanten durch ein einzelnes Bildmotiv stärker gefesselt wurden. Das Plakat begann sich vom schrift­ lichen zum augenfälligen Medium zu entwickeln. Texte wurden


nun im handlichen Prospekt integriert, dessen Umschlag eben­ falls als Blickfang diente. Erfindung und Verbreitung neuer Druck- und Kopierverfahren beschleunigten auch die Produk­ tion von Ansichtskarten mit fotografischen Motiven. Diese wur­ den in prächtig ausgestatteten Alben gesammelt und animierten den Betrachter zu Reisen, Kur- und Ferienaufenthalten. Der Toggenburger Tourismus erwacht

Mit der Eröffnung der Toggenburger-Bahn im Jahre 1870 waren Erwartungen der aufstrebenden Industrie im mittleren und un­ teren Toggenburg von schnelleren und günstigeren Verbindun­ gen nach St. Gallen, Süddeutschland, Winterthur und Zürich verbunden. Nach dem Niedergang der Buntweberei und dem Verlust der Heimarbeit hoffte auch die überwiegend ländliche Bevölkerung von Thur- und Neckertal, am Aufschwung des einsetzenden Fremdenverkehrs in den Alpen profitieren zu kön­ nen. Das Toggenburg wurde 1871 in den «Wanderstudien aus der Schweiz» von Eduard Osenbrüggen erstmals vorgestellt. Die Gründer der Sektion Toggenburg des Schweizer Alpenclubs (SAC) hatten sich 1870 ebenfalls das Ziel gesetzt, durch den Ausbau leicht begehbarer Wege am Speer und im Alpstein die Bergwelt und Natur für Fremde zu erschliessen und weitere touristische Aktivitäten zu unterstützen. 1877 publizierte der Lichtensteiger J. J. Hagmann im Auftrag des SAC den ersten Toggenburger Reiseführer. Die Interessenvertreter von Indus­ trie und Tourismus stammten weitgehend aus der Bevölkerung des mittleren und unteren Toggenburgs. Im heutigen Zentrum

Reiseführer von Wil bis Wildhaus von J. J. Hagmann, 1877 herausgegeben von der Sektion Toggenburg SAC. Er enthält 11 Lithografien, 2 Holzstiche, eine Karte und ein Panorama vom Speer.

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Reiseführer des Zürchers Johann Jakob Hardmeyer, 1890. Er umfasst den Raum von Wil bis Wildhaus mit 33 Holzstichen von Johannes Weber und einer kleinen Europakarte mit Hinweis auf die Lage des Toggenburgs. Statuten des Toggenburger Verkehrsvereins, 1893. Der Verein wurde 1905 in Verband umbe­ nannt.

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des Tourismus, im oberen Toggenburg, war anfänglich wenig Pioniergeist zu spüren. Deshalb gründeten am Tourismus Interessierte aus verschie­ denen Berufsgruppen im Dezember 1892 den Toggenburger Verkehrsverein (TVV), 1905 umbenannt in Verkehrsverband, dem 17 lokale Verkehrsvereine zwischen Wil und Wildhaus angehörten. Dessen Zweck war, «alle Interessen des Fremdenverkehrs in Zusammenarbeit mit Behörden und Privaten zu wahren und zu fördern, indem die Vorzüge des Toggenburgs in der Touris­ tenwelt bekannt gemacht werden». Kurz: Das Toggenburg als Kurlandschaft bekannt zu machen, um dem Tal zu wirtschaftli­ chem Aufstieg zu verhelfen. Es galt, für den «Mittelstand oder kleinen Mann» ein Ferienparadies durch gut geführte Gasthäu­ ser und Privatpensionen mit bescheidenen Preisen zu schaffen. Dieses Ziel wollte man durch die Herausgabe von reich illustrier­ ten, informativen Reiseführern, kollektiven Inseraten und redak­ tionellen Beiträgen in Tageszeitungen oder grösseren Zeitschrif­ ten erreichen. Mit den Bahnen handelte man bessere Fahrpläne und vermehrte Schnellzugshalte in Wil aus, und im Pferdepost­ verkehr auf den Strassen strebte man grössere Pünktlichkeit und ein einheitliches Taxsystem an. Als wichtigste Einrichtung des


Verkehrsverbandes wirkte das gemeinsame Verkehrsbüro in Lichtensteig. Es diente als Anlaufstelle für die Kurlandschaft Toggenburg und koordinierte alle Werbung. Das Verkehrsbüro Lichtensteig

Die erfolgreiche Arbeit des Verkehrsbüros im Städtli war weit­ gehend von einer einzigen Person geleistet worden: Carl Gott­ lieb Würth. Neben seinem Beruf als Lehrer und dem Einsatz als Leiter des Verkehrsbüros führte Würth auch den Verkehrsverein Lichtensteig und vertrat verschiedene Versicherungsagenturen aus dem In- und Ausland. Er leitete das Büro von 1892 bis zu seinem Tod im Jahr 1916. Der Jahresbericht für das Jahr 1900 weist 2707 Korrespondenznummern auf. Dazu gehörten die Beantwortung oder Vermittlung von Gästeanfragen sowie der Versand und die Verteilung der Werbeunterlagen. Daneben ver­ fasste er Zeitungsartikel über das Toggenburg und aktualisierte laufend das Reisehandbuch von Hagmann oder den Baedeker. Bereits ein Jahr nach der Gründung des TVV erschien ein mit acht farbigen Lithografien illustriertes Heft in einer damals grossen Auflage von 12 000 Exemplaren, das ins In- und Ausland versandt wurde. Akribisch bearbeitete Würth die Publikationen

Titelbild des ersten Werbehefts des Toggenburger Verkehrsverbandes aus dem Jahr 1893, verfasst von seinem Leiter C. G. Würth aus Lichtensteig. Zweites und drittes Heft sind inhaltlich identisch. Faltprospekt mit Xylografien (Holzstich), um 1895.

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von 11 Heften mit einer Gesamtzahl von 92 000 Exemplaren und gab Aufträge für Litho- und Xylografien (Holzstiche). Die Foto­ grafien liess er von lokalen Fotoateliers erstellen oder beauftrag­ te führende Unternehmen wie Photoglob in Zürich. Würth hat­ te früh die Bedeutung der Fotografie zur Unterstützung des Textes erkannt.

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Toggenburger Heft in der Reihe «Schweizerische Kurgebiete und Schweizertouren» 1899/1900. Verfasser: C. G. Würth. Das vierte Heft enthält die gleichen Holzstiche, zusätzlich aber ausführliche Texte über Land und Leute sowie touristische Hinweise.

Rückseitiges Inserat der fünften Ausgabe um 1901/02. Mit der Generalagentur Lloyd wurde vereinbart, auf den Passagierdampfern den Toggenburger Reiseführer aufzulegen.

Die sechste Auflage (1903), neu geschrieben und gestaltet, enthält erstmals Fotografien von Land und Leuten und erste Winterbilder.

Die siebte Auflage (1904).

Die achte Auflage (1908) enthält erste Fotos vom Skisport.

Die neunte Auflage (1911) wurde erstmals je hälftig dem Sommerund Wintertourismus gewidmet. Sie ist mit 128 Seiten die umfangreichste Publikation.

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Die zehnte Auflage (1916) wurde nach dem Tod C. G. Würths von seinem Nachfolger Karl Schöbi herausgegeben.

Die 20 Farbfotografien von Wil bis Wildhaus wurden von C. G. Würth zusammengestellt, erschienen ohne Begleittext und Datum, vermutlich um 1903. Es folgte noch kurz vor seinem Tod 1916 eine Sonderausgabe der Edition Photoglob Zürich mit hervorragenden Schwarz-Weiss-Aufnahmen fast aller Dörfer des Thur- und des Neckertals.

Die Propaganda von Würth nutzte viele Wege. Kollektivinse­ rate mit der Überschrift «Toggenburg» umfasste die Gasthäuser und Pensionen, von denen viele ermuntert wurden, noch eigene Werbung anzufügen. Jedes Frühjahr zog er mit dem Handwagen zur Post, um Ärzte und Zahnärzte mit kostenlosen Führern zum Auflegen in den Praxen zu bedienen. Die Verkehrsbüros der Schweizer Städte und vor allem Süddeutschlands erhielten Pros­ pekte und Führer zur Gratisabgabe an Interessenten. Würth bediente zudem gegen 160 Zeitungen (!) mit Propagandakorres­ pondenzen. Das Verkehrsbüro organisierte auch zahlreiche Schaufenster-Ausstellungen oder Bahnhofreklamen in der gan­ zen Schweiz. Zudem liess es Postkarten der prächtigen Land­ schaft drucken, da die wenigsten Besucher einen Fotoapparat besassen. Der inhaltliche Aufbau der Werbebroschüren blieb während Würths Tätigkeit weitgehend der gleiche. Im einleitenden Kapi­ tel über Land und Leute wird das Toggenburg als verkehrstech­ nisch gut erschlossenes ländliches Gebiet und deshalb idealer Ferienort dargestellt. Bergtouren und Wanderungen im Stil ei­ nes Tourenführers widmet sich das zweite Kapitel. Der heilen­ den Wirkung der Alpenluft gegen unzählige Krankheiten und weiteren medizinischen Aspekten widmet sich das dritte. Weite­ re Kapitel werden als geschichtlicher Überblick, Ortsbeschrei­

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bungen oder Beurteilungen aus anderen Reiseführern angefügt. Die Qualität der Werbung war derart überzeugend, dass Würth 1914 im Auftrag der sankt-gallischen Verkehrsvereine einen Reiseführer für den ganzen Kanton erstellen durfte. Nach dem Tod des äusserst aktiven Leiters mitten im Ersten Weltkrieg übernahm der Lichtensteiger Lehrer Karl Schöbi die Leitung des Verkehrsbüros. Wegen Geldmangel und Neuerungen im Stil der Werbung beschränkte sich der Verband auf eine letzte Ausgabe im Jahr 1921. Infrastrukturen für den Tourismus

Die Verantwortlichen des Verbandes hatten erkannt, dass ein Schwergewicht auf Luxustourismus im Toggenburg nicht erfolg­ reich sein würde. Der aufkommende Massentourismus eröffne­ te eine Marktnische, da sich mit dem Wachsen der Löhne der bürgerliche Mittelstand und die Arbeiterschaft Ferien leisten konnten. Das Thur- und Neckertal wurden auch als Ziel für Gruppen- und Gesellschaftsreisen empfohlen. Im Gegensatz zur Konkurrenz musste der Aufenthalt im Toggenburg gut und bil­ lig sein. Diese Philosophie wird in allen Werbeschriften heraus­ gestrichen und beibehalten bis in die 60er-Jahre. Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich Tourismus und Wer­ bung durch das Aufkommen eines Wintertourismus gründlich gewandelt. Der Bau der Bodensee-Toggenburg-Bahn 1910 und die Erweiterung der einstigen Toggenburger-Bahn von Ebnat nach Nesslau im Jahr 1912 verkürzten die Wege ins Toggenburg. Die Postkutsche ab Nesslau und Buchs wurde 1918 durch Post­ autos ersetzt. Der zunehmende Automobilverkehr brachte zwar willkommene Kurgäste, wurde aber auf den staubigen, unge­ teerten Strassen eine unangenehme Belästigung. Ende der 20erJahre warb der Verband sogar einmalig für Autofahrten durch das Toggenburg, realisierte aber schnell, dass der Tagestouris­ mus die Hotelbetriebe konkurrenzierte. Mit der 1918 gegründe­ ten Schweizerischen Verkehrszentrale (SVZ, seit 1996 Schweiz Tourismus) betrieb der Verband eine enge Zusammenarbeit, ebenso mit der ein Jahr früher gegründeten Nordostschweizeri­ schen Verkehrsvereinigung (NOV). Nach dreissig Jahren grosser Aktivität war die Gründergene­ ration des Verbandes durch frische Kräfte abgelöst worden. Der Wandel der Werbung verlangte nach neuen Ideen. Das schnelle Wachstum des Wintertourismus hatte die Attraktivität schwer­ gewichtig ins oberste Toggenburg verlagert und unter den Ver­ kehrsvereinen Verteilkämpfe um die knappen Finanzen ausge­

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löst. Es entstand ein Problem, das auch hundert Jahre später grosse Solidarität und regionales Denken erfordert. Hoteliers und Betreiber von Pensionen, Bergbahnen und Ski­ liften begannen neben der Werbung des TVV auch solche in eigener Sache zu betreiben. Eine ausführliche Beschreibung der umfangreichen Prospekt- und Inserate-Werbung durch die zahlreichen Hotels und Pensionen in der rund 130 Jahre dauern­ den Geschichte des Toggenburger Tourismus würde den Rah­ men dieser Arbeit sprengen. Sie bleiben einer späteren Publika­ tion vorbehalten.

Werbeprospekte aus den 1920er-Jahren.

Das illustrierte Fremdenblatt «Das Toggenburg»

Anfang der 20er-Jahre begann der Toggenburgische Verkehrs­ verband seine inzwischen etwas altbackene Werbung zu über­ denken. Realisiert wurde schliesslich die Idee einer regelmässig erscheinenden Gästezeitschrift nach dem Muster der erfolgrei­ chen Kurorte St. Moritz, Davos, Interlaken oder Zermatt. Das Hauptproblem war die Überwindung der Lokalinteressen im Hinblick auf die aufkommende Wintersaison im obersten Tog­ genburg. «Wahrung der Interessen aller» lautete die Devise, und in der ersten Ausgabe vom Mai 1926 betonte man in vielen

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Beiträgen das gemeinsame Vorgehen anstelle von Einzelaktio­ nen. Die Kurlandschaft Toggenburg sollte als «Toggenburg» und nicht als «Wildhaus» oder «Unterwasser» vermarktet werden. Das Fremdenblatt wurde im Sommer mindestens alle 14 Tage und im Winter in höchstens drei Ausgaben unter dem Titel «Das Toggenburg. Illustriertes Fremdenblatt» in einer anfänglichen Auflage von 2000 Exemplaren herausgegeben. Es galt als Binde­ glied zwischen Gast und Gastgeber. Nebst vielen grosszügigen Illustrationen und Texten zum Fremdenverkehr im Toggenburg waren vor allem die Themen Erholung, Sport und Unterhaltung gefragt. Die einstigen Werbeschlager Ruhe, Gesundheit, Medi­ zin oder Kuren interessierten immer weniger. Die ersten Win­ terausgaben des Fremdenblattes beschäftigten sich vorwiegend mit Wildhaus, Unterwasser und Alt St. Johann im obersten Tog­ genburg. Äusserst beliebt bei Besuchern war die Publikation von Gäs­ te­listen der verschiedenen Pensionen und Hotels. Sie gaben Hin­ weise auf die Zusammensetzung der Reisenden und verhalfen diesen zu Ferienbekanntschaften und Kontakten. Die Betriebe konnten aus ihnen den Gradmesser ihrer Beliebtheit ersehen und sich zu noch besseren Leistungen anspornen – sofern die Mitteilungen nicht übertrieben waren. Zu Beginn der 30er-Jah­ re war der Werbeerfolg dieses Blattes offenkundig. Fast die Hälf­ te des Umfanges wurde durch Inserate des Gastgewerbes beige­ steuert. Die goldenen 30er-Jahre

Die langen unwirtlichen Winter und die wenig lohnende Frühund Spätsaison des Sommertourismus konnten die Unterneh­ mungen nicht begeistern. Erst die Entdeckung des Winters brachte für den einheimischen Tourismus die ersehnte zweite Saison, die Investitionen wieder lohnte. Wem Kutschenfahrten und Spaziergänge zu langweilig wurden, dem empfahl man jetzt Wintersportarten wie Schlitteln, Schlittschuhlaufen und später das Skifahren. Nach der Entdeckung und ersten Entwicklung des Skisports im toggenburgischen Stein boten die neu gegrün­ deten Skiklubs dreitägige Skikurse für Herren und Damen an und organisierten Skirennen, Sprungkonkurrenzen und Läufe. Als Impulsgeber und Koordinator wirkte der bereits 1910 ge­ gründete Toggenburger Skiclubverband, der 1945 im Ostschwei­ zerischen Skiverband aufging. Parallel dazu entwickelten die Hotelbetriebe die Skichilbi mit Tanz zu einem eigentlichen Ri­ tual. Nach dem Bau der ersten Wintersportbahnen ab 1934

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Die Titelseiten des illustrierten Fremdenblattes 1926–1940

Erste Ausgabe 1926.

Ausgabe 1928 und erste Winterausgabe im Dezember 1927.

Ausgabe 1929.

Winternummer ab 1929/30.

Ausgaben 1930–1937 und 1938/39.

Ausgabe 1938.

Winterausgabe 1937/38.

Winterausgabe 1939/40.


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