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Toggenburger Verlag Leseprobe

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Ebnat-Kappler Mosaik 2017

Vielfältige Industrie

Halszitherspiel mit Hingabe

Offenes Kirchenzentrum

Wie alteingesessene Firmen die Veränderungen der Wirtschaft bewältigt haben und wie sie sich für die Zukunft wappnen.

Traditionelles Liedgut pflegen die Frauen der Ebnat-Kappler Halszithergruppe – so wie es Gründer Albert Edelmann vorgegeben hat.

Um die Ebnater Grubenmann-Kirche entsteht ein neues Begegnungszentrum. Die Türen der gastlichen Ellipse stehen allen offen.


INHALT

Inhalt 1 Editorial 2 4

Gesellschaft Alle für einen, einer für alle, falls das Töfli streikt: Teilnehmerrekord und prächtiges Wetter für sechstes 2Takt Challenge in Ebnat-Kappel.

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Verkehrsverein Auf Du und Du im Du-Dorf: Verkehrsvereinspräsident Patrick Zollinger weiss, weshalb die Ebnat-Kappler am Dorffest Duzis gemacht haben.

Industrie Dorfgemeinschaft fördert gemeinsamen Geist: Als Industriestandort besticht Ebnat-Kappel durch Branchenvielfalt. Das war nicht immer so.

10 Kultur Die Proben sind wie ein Wunschkonzert: Die Ebnat-Kappler Halszithergruppe pflegt mit Hingabe traditionelles Liedgut. 12 Kirche / Historisches Offenes Kirchenzentrum mit gastlicher Ellipse: Um die Grubenmann-Kirche entsteht ein neues Begegnungszentrum mit offenen Türen für alle. 16

Politik Die Ortsgemeinde bestärkt das Gefühl von Heimat: Was die Ortsgemeinde Kappel von der Politischen Gemeinde Ebnat-Kappel unterscheidet und was sie verbindet.

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Soziales Gemeinsames Lachen hilft oft mehr als harte Worte: Im Stüssihaus leben Flüchtlinge, deren Asylgesuch pendent ist. Sie werden von Huli Bolt betreut.

20 Natur Pilze wachsen wann und wie sie wollen: Im Gemeindewald unterwegs mit Pilzkontrolleurin Marijke Frater-Schröder. 22 Bildung Bibliothek als schulischer Lernort: Die Bibliothek in Ebnat-Kappel ist gleichzeitig Gemeinde- und Schulbibliothek. 24

Porträt «Das Runden war mir ein Gräuel»: Als Dorfpolizist sorgte Max Büchel in Ebnat-Kappel ein Vierteljahrhundert für Recht und Ordnung.

26 Dorfchronik 34 Nekrologe 35 Adressen Gewerbeverein Ebnat-Kappel Arbeitgebervereinigung Ebnat-Kappel

Titelbild: Fliegenpilze in Ebnat-Kappel sonnenhalb.

Impressum Herausgeber Politische Gemeinde Ebnat-Kappel Gewerbeverein Ebnat-Kappel Arbeitgebervereinigung Ebnat-Kappel Toggenburger Verlag Redaktion Jolanda Spengler / Katja Nideröst / Yvonne Steiner / Carmen Wueest Toggenburger Verlag, Schwellbrunn Layout, Gestaltung Toggenburger Verlag, Schwellbrunn Vertrieb und Versand Toggenburger Verlag Im Rank 83 9103 Schwellbrunn Telefon 071 353 77 55 www.toggenburgerverlag.ch ISBN: 978-3-908166-80-1

Bildnachweis Carmen Wueest: Titel, 1, 5, 6, 7, 8 (links), 9, 12, 14 (oben), 15 (unten), 23 Jolanda Spengler: 14 (unten), 15 (oben, Mitte), 19, 25 Katja Nideröst: 3, 11, 20, 21 Charlotte Linsener: 8 (rechts) Archiv Toggenburger Tagblatt: Chronik Seiten 27, 29, 31, 33 zVg Ortsgemeinde Kappel: 17


EDITORIAL

Der Geruch von Turnhalle und DUL-X Liebe Leserinnen, liebe Leser Zu Turnhallen habe ich eine besondere Beziehung. In der Ostschweiz gibt es wohl kaum eine Halle, die ich nicht aus meiner Aktivzeit als Volleyballerin von innen kenne. Und mit den Sportgeräten der Alder + Eisenhut ist Ebnat-Kappel nahezu in jeder Halle präsent. Mit Turnhallen verbinde ich aber auch den Geruch von DUL-X. Es war ein gutes Gefühl, die schmerzlindernde Creme in der Sporttasche zu wissen, um damit vor und nach Training oder Match die angespannten Muskeln zu lockern. Und wenn mein zu grosser Eifer auf dem Spielfeld zu einer Verstauchung führte, stand in der privaten Hausapotheke das kühlende grüne DUL-X-Gel parat. Aber auch in anderen Belangen stehen EbnatKappler Produkte für Qualität. Als von Digitalfotografie noch keine Rede war, habe ich regelmässig an der Tür der Belcolor geläutet, Fotofilmrollen zum Entwickeln abgegeben oder fertige Abzüge abgeholt. Und im Fabrikladen der Morga gehörten Goldmelissentee und fettfreie Gemüse-Bouillon zu meinen Favoriten. Auch wenn ich nicht mehr im Dorf wohne, begleiten mich Produkte «made in Ebnat-Kappel» noch heute: Wenn eine Wand neu gestrichen wird, ist die Chance gross, einen PEKA-Pinsel in der Hand zu haben. Den Boden wische ich mit einem Ebnat-Besen, und auf dem Bügelbrett liegen immer öfter Kauf-Hemden. Mit Begeisterung habe ich für die Industrie-Geschichte im vorliegenden Mosaik in alteingesessenen Ebnat-Kappler Betrieben vorbeigeschaut und gestaunt, mit welch grosser Innovationskraft sie auch im Jahr 2017 unterwegs sind. Recht und Ordnung braucht es in jeder Gemeinde. Was heute von einem zentralen Polizeiposten aus für das ganze Toggenburg geregelt wird, war bis 2001 Aufgabe des Dorfpolizisten. Ein Vierteljahrhundert hatte Max Büchel in Ebnat-Kappel diese Rolle inne. Im Beruf war er stets gewissenhaft und korrekt, privat liebt er es gesellig. Aus der Zeit als Ordnungshüter erzählt er im «Porträt». In der 35. Ausgabe des Ebnat-Kappler Mosaiks erfahren Sie zudem, was die Töfflibuebe und -maitli auf der Tour des 2Takt Challenge erlebten, wie es zur gastlichen Ellipse neben der Grubenmann-Kirche kam, wo in Ebnat-Kappel die schönsten Pilze wachsen und weshalb die Ortsgemeinde Kappel das Gefühl von Heimat stärkt. Viel Vergnügen bei der Lektüre.

Jolanda Spengler

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GESELLSCHAFT

Alle für einen, einer für alle, falls das Töffli streikt Teilnehmerrekkord und prächtiges Wetter für sechstes 2Takt Challenge in Ebnat-Kappel − von Katja Nideröst

Tross Richtung Bendel. Via Hemberg, Bächli und Urnäsch führt die Töfflitour zum offiziellen Halt auf die Schwägalp. Viele gönnen sich in den Beizen am Strassenrand schon vorher einen Drink. Der ungeübten Fahrerin schmerzt das Hinterteil. Mit fünf Stundenkilometern krächzt das Töffli aufwärts. Es ist schwierig, im Schritttempo das Gleichgewicht zu halten, überall lauern fiese Strassenrillen. Aus den Augenwinkeln erkennbar hantiert ein Töfflibub mit Schraubenschlüssel unter seinem Zweirad. Er ist nicht der Erste, dessen Töffli plötzlich streikt. Helfen wäre angesagt. Aber das kann ja nur, wer Ahnung vom Reparieren hat. Der Schalldämpfer am eigenen Töffli fällt fast aus dem Auspuff, was geübte Töfflibuben schnell erkennen. Sofort sind mehrere Hilfsbereite zur Stelle. Einer greift in seine Lederjacke und zückt ein Döschen voller Schrauben. «Wer hat eine M7?», fragt er die Kollegen. Zuerst Kopfschütteln, aber dann dreht ein Töffmechaniker das richtige Teilchen zwischen zwei Fingern. Gewinnerlächeln, und nach fünf Minuten kann es weitergehen. Harmlose Pannen befeuern den Abenteuergeist. Fröhliche Frauen winken am Strassenrand, Bauern stellen die Heugabel in die Wiese und staunen den knatternden Zweirädern hinterher.

Rad an Rad stehen Mofas mit angelehnten Felltornistern auf dem Bahnhofplatz in Ebnat-Kappel. Die «Haaraffen» gehören Töfflibuben mit Wikingerhelm und Rübenzahlbart. Noch schriller mag es eine Gruppe etwa Dreissigjähriger mit einem knallbunten Bürstenkamm auf dem Helm. Fast dezent wirken im Vergleich die Toggenburger Töfflibuben in ihren Edelweisshemden. Silvio Schnelli aus Bütschwil nutzt die Gelegenheit, unter Gleichgesinnten Werbung für einen lokalen Töfflievent zu verteilen. Man suche hier am 2Takt Challenge auch nach weiteren Vereinsmitgliedern, die Lust verspüren, gemeinschaftlich mit alten Mofas unterwegs zu sein. Silvio Schnelli erteilt Neulingen Tipps für die gleich startende, 50 Kilometer lange Rundtour: «Weit vorausschauen, genügend Abstand halten. Und weiche den Schachtdeckeln nicht aus, überfahre sie einfach, das verhindert Zusammenstösse.» Ein guter Ratschlag angesichts des grossen Ansturms. 213 Teilnehmende am 2Takt Challenge, das bedeutet für die Veranstalter einen neuen Rekord. OK-Präsident Kevin Rückmar schwitzt. Eben sind die Anmeldeformulare ausgegangen. Er muss für Nachdruck sorgen im temporär eingerichteten Büro im Bahnhofschuppen. Hundert Fahrer hatten sich im Vorfeld angemeldet. Die anderen Hundert müssen sich bei der Registrierung gedulden. Die Stimmung ist entspannt, man wirft sich vor der Kamera einer Helferin gutgelaunt in Pose. Die Jury wird später die originellsten Fahrer und Gruppen erküren.

Es muss ein bisschen wehtun Auf der Schwägalp sind zwei Drittel der Strecke überwunden. Die letzten Haarnadelkurven lassen die Motoren heiss und die Arme lahm werden. «Das Füdli muss einem weh tun, das gehört dazu», sagt ein Mitfahrer bei der Ankunft auf der Passhöhe. Hier absolvieren alle ein Geschicklichkeitsballwerfen vom fahrenden Mofa aus. Zurück geht es rasant mit im Wind flatternden Fuchsschwänzen Richtung Nesslau. Via Brandholz nähert man sich dem Start- und Zielpunkt in Ebnat-Kappel. Die schnellsten Töfflibuben sind innert drei Stunden wieder am Ziel. «Wir wollen keinen Geschwindigkeitswettbewerb, sondern einfach gemeinsam Plausch haben», betont Kevin Rückmar. Die gleiche Motivation trieb Chrigel Frey an, der das 2Takt Challenge vor sechs Jahren initiierte: «Mir ging es darum, einen coolen Event für die Leute hier auf die Beine zu stellen.» Die Teilnehmenden wissen das zu schätzen. Sie sind voll des Lobes für die gute Ausschilderung, die schöne Strecke und die Kameradschaft untereinander.

Zur Not hilft der Mann im Besenwagen Einheimische sitzen auf Festbänken, geniessen Würste vom Grill und verfolgen das bunte Treiben. Vor dem Massenstart greift OK-Chef Rückmar zum Mikrofon. Er beschwört alle Fahrer, die Verkehrsregeln einzuhalten. Falls ein Töffli stehenbleibe, gelte es zu helfen. Alle für einen, einer für alle, lautet die geltende Pfadfinderregel. «Geht gar nichts mehr, dann könnt ihr Jürg Brunner im Besenwagen anrufen», erklärt Kevin Rückmar. Der Hinweis beruhigt. Ausserdem, ein Töffli-Automat sei verglichen mit einem handgeschalteten Modell kinderleicht zu beherrschen, erklären Töfflifreaks der Schreibenden. «Ich gehe davon aus, dass heute kein frisiertes Mofa auf der Strasse ist», ruft Rückmar in die belustigte Menge. Der Startschuss fällt. Dröhnend, knatternd und stinkend steuert der

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GESELLSCHAFT

Gemeinsam ist der Plausch am grössten. Ob im Dirndl von heute oder im DandyLook von gestern, auffallen ist beim 2Takt Challenge erwünscht.

Sorgen für Leben auf dem Bahnhofplatz: Präsident Kevin Rückmar und Vorgänger Chrigel Frey lieben das Organisieren von Anlässen noch mehr als das Töfflifahren.

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INDUSTRIE

Dorfgemeinschaft fördert gemeinsamen Geist Als Industriestandort besticht Ebnat-Kappel durch Branchenvielfalt. Das war nicht immer so − von Jolanda Spengler

Diversifikation ist gut. Was für ein Unternehmen als Erfolgsrezept propagiert wird, gilt auch für eine Region. Oder genauer gesagt: Lassen sich in einer Gemeinde Industriebetriebe verschiedenster Branchen nieder, so trägt diese Vielfalt zur Belebung des Dorfs ebenso bei, wie sie das wirtschaftliche Klumpenrisiko schmälert. In Ebnat-Kappel ist diese Branchendiversifikation gegeben. Die Palette an Produkten «made in Ebnat-Kappel» ist beachtlich. Es gibt Besen, Pinsel, Zahnbürsten, Hemden, Barren, Sprungmatten, Suppen, Tee, Temperatursensoren, Naturkosmetik, Fotogeschenke und Raffeltrommeln für Küchenmaschinen. Und auch das Baugewerbe hat sich gut positioniert. Diese Vielfalt ist zum Teil Zufall, sie ist aber auch das Resultat von Unternehmern, die sich in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts aktiv für eine Branchenmischung einsetzten. So entstand beispielsweise die Toggenburgische Holzwaren- und Bürstenfabrik AG (heute Ebnat AG) nicht einfach so: Mit ihrer Gründung im Jahr 1914 suchten initiative Ebnater eine Alternative zur einheimischen Textilfabrikation. Ihr Blick schwenkte ins benachbarte Ausland, wo der Schwarzwald gute Geschäfte mit Bürsten machte. Die cleveren Geschäftsleute waren überzeugt: Das ist auch im Toggenburg möglich. Mit der Ansiedlung eines neuen Wirtschaftszweigs wollte man der Monostruktur, wie sie die Textilindustrie lange Zeit förderte, aktiv entgegenwirken. Denn wie nahezu die ganze Ostschweiz war auch das Toggenburg bis Anfang des 20. Jahrhunderts stark von der Textilindustrie geprägt. Sie brachte Wohlstand und Arbeitssicherheit. Das änderte sich schlagartig, als die Weltwirtschaftskrise 1929 das Ende des Textilzeitalters einläutete. Viele Leute verloren ihre Arbeit, und ehemalige Stickereifabriken standen leer oder waren schlecht genutzt.

1934 quartierte sich die frisch gegründete Pinselfabrik in einer stillgelegten Zwirnerei und Stickerei an der Industriestrassse ein, der Hemdenfabrikant Kauf fand 1939 eine passende Produktionsstätte in einer Stickerei im Hof und auch die Biokosma profitierte 1945 vom Platzangebot einer leerstehenden Stickerei. Dass sich die Industriebetriebe auf gesundem Boden entfalten konnten, ist unter anderem auch das Verdienst der «Dorfgemeinschaft Ebnat-Kappel», der heutigen Arbeitgebervereinigung. Initiiert wurde sie von Max Steidle, Mitbegründer der Biokosma. «Den gemeinsamen Geist im Innern fördern und diesen Geist gegen aussen sichtbar machen», mit diesen Worten umschrieb er das Ziel der Vereinigung. Steidle war überzeugt: Sollen neue Firmen angesiedelt und damit neue Arbeitsplätze geschaffen werden, ist eine Zusammenarbeit der Industriebetriebe in Ebnat und Kappel die Grundvoraussetzung. In diesem Sinne setzte sich die «Dorfgemeinschaft» auch für die Verschmelzung der damals noch getrennten Gemeinden Ebnat und Kappel ein.

Arbeitgebervereinigung engagiert sich für Sport und Kultur Ebnat-Kappel überregional bekannt zu machen, war den Unternehmern ein wichtiges Anliegen. Dabei kam ihnen der Skisport mit Weltcuprennen am Girlen in den 1970er- und 1980er-Jahren zugute. Die Arbeitgebervereinigung war diesen Rennen wohlgesinnt und unterstützte die örtlichen Skiclubs bei der Organisation finanziell und ideell. Für Michael Kauf, Inhaber der Kauf AG, waren es die goldenen Zeiten. «Der Skisport war damals im Dorf das beherrschende Thema. Die Weltcuprennen eine ideale Plattform, um Ebnat-Kappel als attraktiven Industriestandort mit einer aktiven Dorfgemeinschaft darzustellen. Die Botschaft kam an, alle haben profitiert.» Nach wie vor nimmt die Arbeitgebervereinigung ihre Verantwortung für den Industriestandort und die Dorfgemeinschaft wahr. Unter anderem hat sie den «Kapplerhof» bis zu seinem Ende betrieben und sich grosszügig beim Gordon Bennett-Race 2012 engagiert. Sie bezieht Stellung in politischen Sachfragen und organisiert Weiterbildungen für die Arbeitnehmer. Und dank André Keller von der Frike Cosmetic AG bleibt die Kirche als Stätte der Kultur weiterhin im Dorf. Dass unter den Firmen auch Synergien diskutiert und genutzt werden, zeigen zwei Beispiele: Die Belcolor bedruckt Besen für die Ebnat AG, und die Alex Neher liefert Barrenkappen und Verbindungsstücke für die Tauaufhängung der Ringe an die Alder + Eisenhut AG.

Arbeitskräfte und leerstehende Fabriken als Pluspunkte Anders als in der Nachbargemeinde Wattwil, wo die Textilfamilie Heberlein bis in die 1970er-Jahre wirtschaftsprägend war, entwickelte sich Ebnat-Kappel im 20. Jahrhundert zu einem Industriedorf mit breiter Branchenausrichtung. Ebnat-Kappel hatte zwei Pluspunkte: Es gab genügend Arbeitskräfte, die es gewohnt waren anzupacken, und es gab leerstehende Fabrikgebäude als gute Voraussetzung für Neuansiedlungen. Für die Turngerätefabrik Alder + Eisenhut zum Beispiel, die 1913 für die Produktion ihrer Geräte in einer stillgelegten Färberei an der Thur ideale Voraussetzungen fand: nämlich viel Platz und Wasserkraft für die Maschinen. Oder für die Morga, die 1930 mit der ehemaligen Nudelfabrik in der Eich zusammenarbeitete und sechs Jahre später in die Räume einer Stickerei eingangs des Dorfs Kappel zügelte.

Wie alteingesessene Firmen die Veränderungen der Wirtschaft bewältigt haben, wo sie sich heute positionieren und wie sie sich für die Zukunft wappnen, erzählen acht Unternehmer auf den folgenden Seiten.

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INDUSTRIE

Michael Kauf, Inhaber und Geschäftsführer der Kauf AG.

Ruedi Lieberherr, Inhaber und Geschäftsführer der Morga AG.

Morga AG

Kauf AG

Firmengründer: Ernst Lieberherr Gründungsjahr: 1930 Geschäftsführer: Ruedi Lieberherr (seit 1996, 3. Generation) Personalbestand 2017: 110 Tätigkeitsfeld: natürliche, biologische Lebensmittel Verkaufsschlager: Tee, Suppen, Teigwaren

Firmengründer: Wilhelmine und Jacob Kauf Gründungsjahr: 1904, ab 1939 in Ebnat-Kappel Geschäftsführer: Michael Kauf (seit 1990, 4. Generation) Personalbestand 2017: 20 Tätigkeitsfeld: Hemden Verkaufsschlager: bügelfreie Hemden mit Jojobaöl

Tee und Soja standen am Anfang der Morga AG. Diese Produkte hatte mein Grossvater Ernst Lieberherr im Gepäck, als er 1930, nach zwanzig Jahren in Indien, in die Schweiz zurückkehrte. Noch im selben Jahr gründete er die Morga AG, die auf Geschmacksrichtungen und Ernährungsformen aufbauen sollte, wie er sie in Südasien kennengelernt hatte. Das ist lange her, vieles hat sich seither verändert. Geblieben ist das Credo der natürlichen und gesunden Ernährung. Und die entsprechenden Lebensmittel, die heute noch die Basis des Unternehmens bilden: Teigwaren, Suppen, Würzmittel, Tees, Sirup, Müesli, Trockenfrüchte, Nüsse … Alles Produkte aus biologischem Anbau und ohne Konservierungsmittel weiterverarbeitet. Um sich am Lebensmittelmarkt behaupten zu können, braucht es innovative Ideen. Mit grossen Anbietern mithalten können und wollen wir nicht. Unsere Chance liegt in der Nische, bei glutenfreien und veganen Produkten zum Beispiel. Oder bei laktosefreiem Milchersatz. Die Morga AG ist heute Produktions- und Handelsfirma. 60 Prozent unseres Umsatzes generieren wir mit eigenen Produkten, 40 Prozent mit dem Handel. Nach wie vor ein wichtiges Standbein des Unternehmens ist der Tee. Rund 80 Millionen Beutel verlassen jährlich unsere Produktionshalle. Auch wenn ein grosser Teil des Morga-Sortiments im Ausland produziert wird, ist Ebnat-Kappel Dreh- und Angelpunkt. In der hauseigenen Entwicklungsabteilung werden Ideen ausgeheckt und zur Produktionsreife gebracht. Eine Neuheit sind ConvenienceProdukte mit Beluga-Linsen, Quinoa und Bulgur. Die Herausforderung besteht nun darin, sie bei den Konsumenten bekannt zu machen. Der Lebensmittelhandel steht vor grossen Herausforderungen. Stichworte sind Online-Verkauf mit Distribution, Konkurrenzdruck von ausländischen Anbietern, Frankenstärke und Lebensmittelsicherheit beziehungsweise -hygiene. Da braucht es Innovation und Flexibilität im Denken und Handeln. Und genau das sind unsere Stärken.

Zwei Gründe gaben 1939 den Ausschlag, dass mein Grossvater Otto Kauf mit seiner Hemdenfabrik von Wangen bei Olten nach EbnatKappel zog: die grosszügigen Produktionshallen einer ehemaligen Stickerei und die Liegenschaft Rosenbüel mit der schönen Villa, die Teil der Fabrik war. Kam hinzu, dass im ländlichen Toggenburg genügend Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Es war ein guter Entscheid: Die Hemdenproduktion florierte, und die Zahl der Beschäftigten stieg auf 150. In den 1990er-Jahren wurde es jedoch zusehends schwieriger; Rationalisierung war unumgänglich. Trotz aller Bemühungen liess sich die komplette Auslagerung der Produktion ins Werk in Tschechien nicht verhindern, der Kostendruck war zu gross. Dass ich vor elf Jahren aus wirtschaftspolitischen Gründen auch diesen Betrieb auflösen musste, ging mir sehr nah. Seither werden die Kauf-Hemden im Lohnauftrag in der Türkei produziert. Auch 2009 war ein schwieriges Jahr: Die Wirtschaftskrise liess den Export zusammenbrechen. Wir waren gezwungen, unsere Strukturen zu hinterfragen und entschieden uns, mit Messeauftritten und Outlets neue Kanäle zu erschliessen. Im Rückblick betrachtet war die Krise eine Chance. Bereits ein Jahr später ging es wieder aufwärts. Das Factory-Outlet an der Rosenbüelstrasse entwickelte sich zu einer Erfolgsgeschichte. Aktuell produzieren wir im Jahr 150 000 Hemden. Hemden sind ein Massenprodukt. Mit hoher Qualität wollen wir uns im Schweizer Hemdenmarkt abheben. Das ist unser Rezept für die Zukunft. Diesen Herbst haben wir unter dem Label «Jacob Kauf» ein neues Produkt im Hochpreissegment auf den Markt gebracht. Der Stoff wurde in Appenzell gewoben und im Tessin konfektioniert. Mit dem 100-Prozent-swissmade-Hemd wollen wir ein Zeichen für einen sinnvollen Umgang mit Ressourcen und für den Werkplatz Schweiz setzen. Wenn sich das Produkt etabliert, kann ich mir vorstellen, die Hemden in Ebnat-Kappel zu konfektionieren. In jenen Hallen, in denen bis 1999 genäht wurde.

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INDUSTRIE

Michele Vela, Geschäftsführer der Ebnat AG.

Samuel Schiess, Geschäftsführer der Alex Neher AG.

Ebnat AG

Alex Neher AG

Firmengründer: Geschäftsleute aus Ebnat, Martin Flubacher (Geschäftsführer). Gründungsjahr: 1914 Geschäftsführer: Michele Vela (seit 2015) Personalbestand 2017: 180 Tätigkeitsfeld: Bürsten für Haushalt und Dental Verkaufsschlager: Zahnbürste Curaprox

Firmengründer: Alex Neher Gründungsjahr: 1937 Geschäftsführer: Samuel Schiess (seit 2008) Personalbestand 2017: 38 Tätigkeitsfeld: Stanzen, Blechbearbeitung, Werkzeugbau Verkaufsschlager: Raffeltrommeln für Küchenmaschine Zyliss

Die Ebnat AG hat es gut gemacht. Mit Zahnbürsten sind wir in aller Munde und mit Besen und Schrubber in Haushalt und Industrie. Auch wenn die Bürsti bewegte Zeiten erlebt hat, sich 1987 von der Ulrich Jüstrich AG übernehmen lassen musste und ein Jahr später zur TrisaGruppe stiess, war die Produktion von Bürsten am Standort EbnatKappel nie in Gefahr. Im Gegenteil. Seit über zehn Jahren ist Ebnat innerhalb der Trisa-Gruppe das Kompetenzzentrum für Interdental- und Haushaltbürsten und so stark wie nie. Ob das an der Beharrlichkeit und Bodenständigkeit der Toggenburger liegt? Gut möglich. Sich auf die eigenen Wurzeln besinnen, sich selbst nicht allzu wichtig nehmen und vorausschauend geschäften, das zeichnet diesen Menschenschlag aus. Auch die Mitarbeitenden stehen hinter der Firma, die Fluktuationsrate ist tief. Das ist mit ein Grund, weshalb der Produktionsstandort nie in Frage gestellt worden ist. Der vor drei Jahren errichtete Erweiterungsbau ist ein Zeichen dafür. In den Sparten Zahn- und Interdentalbürsten gehört die Ebnat AG zu den Marktleadern mit grossen Kunden im In- und Ausland. Die bei Ebnat entwickelte Belladent-Zahnbürste, heute bekannt als Curaprox, ist seit Jahrzehnten ein Kassenschlager und bereits hundertmillionenfach verkauft. Auch Besen, Handbürsten und Schrubber sind Klassiker. Da findet jede und jeder das Passende – egal, ob man auf Rosshaar, Naturfaser oder synthetische Borsten schwört. Selbstverständlich spüren auch wir den Druck aus Billiglohnländern. Die grösste Konkurrenz kommt aus China. Dank Innovation, Kreativität, Verlässlichkeit und Funktionalität können wir uns aber gut behaupten. Qualität ist unsere Stärke: Kompromisse machen wir nicht. Die Auftragslage ist derzeit prächtig, der 2014 errichtete Neubau hat seine Kapazitätsgrenze bereits erreicht. Für einen nächsten Ausbauschritt ist es aber noch zu früh. Wachstum um jeden Preis ist nicht unser Ziel, sondern Nachhaltigkeit. Erst wenn die finanziellen Mittel vorhanden sind, wird investiert. Die Zeichen stehen gut.

Die Raffeltrommel ist unser bekanntestes Produkt. Obwohl sie in den Küchenmaschinen von Zyliss und KitchenAid lediglich eine Nebenrolle spielt. 200 000 Stück verlassen jährlich unsere Produktionshalle an der Felsensteinstrasse. Und das seit zwanzig Jahren. Diese Raffel ist eines der ersten Produkte aus der Ära meines Vaters Eduard Schiess. Er ist 1992 als Geschäftsleiter in die Alex Neher AG eingetreten und hat die Firma drei Jahre später von Konrad Neher übernommen. Grosse Veränderungen brachte der Führungswechsel nicht: Personal, Kundenstamm und Produkte blieben dieselben. Da sich das Unternehmen in der Branche einen guten Namen erarbeitet hatte, gab es keinen Grund für einen Wandel. Schon unter der Regie von Konrad Neher war der Betrieb innovativ unterwegs und setzte frühzeitig auf neue Technologien. 1982 schaffte sich die Alex Neher AG als einer der ersten Betriebe in der Ostschweiz eine Laserschneidanlage an. Werkzeugbau, Stanzen und Lasern von Aluminium und Stahl sind die wichtigsten Standbeine des Unternehmens. So sind wir flexibel und können unseren Kunden je nach gewünschter Stückzahl eine optimale Lösung bieten. Es gibt Produkte, die von der Stückzahl den Bau eines Werkzeugs finanziell nicht rechtfertigen. Dass wir verschiedene Techniken anbieten können, macht uns weniger anfällig, wenn die eine oder andere Sparte kriselt. Dank eines grossen Kundenstamms im In- und Ausland besteht auch kein Klumpenrisiko. Vor neun Jahren konnte ich die Alex Neher AG von meinem Vater übernehmen. Druck hatte ich keinen, die Metallbranche hat mich schon immer interessiert. Nach der Lehre zum Konstrukteur studierte ich in Rapperswil Maschinenbau. Dass die Alex Neher AG ein kleiner Betrieb ist, passt mir. Die Entscheidungswege sind kurz, Ideen können direkt umgesetzt werden. Für die Zukunft stellt sich die Frage, wie die Abläufe weiter optimiert werden können. Denn nur wenn der Preis des Endprodukts stimmt, bleiben wir auf dem Markt konkurrenzfähig.

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KULTUR

Die Proben sind wie ein Wunschkonzert Ebnat-Kappler Halszithergruppe pflegt mit Hingabe traditionelles Liedgut − von Katja Nideröst

singen, die anderen störten sich an diesen, wie sie fanden, stupiden Gofenliedern. Sie wollten lieber moderne, anspruchsvollere Stücke für einen Chor singen.» So kam es zum Bruch mit der Trachtengruppe.

Vor ungefähr hundert Jahren schenkte ein Schüler dem Dickener Bergschullehrer Albert Edelmann ein sonderbares Instrument. Der Lehrer war fasziniert von diesem wunderschönen Gegenstand mit dem mandelförmigen Resonanzkasten und dem langen Griffbrett. Nur den Namen dieses Dings, das weder Mandoline noch Laute war, den kannte er nicht. Durch Zufall konnte ihn die betagte Nachbarin Verena Braunwalder aufklären, dass es sich bei seinem Instrument um eine Toggenburger Halszither handle, und sie zeigte ihm auch gleich die Spielweise. Vermutlich nur dank Albert Edelmann, der seinen Schülern das Halszitherspiel vermittelte, überlebte der Gebrauch des traditionellen Begleitinstruments mit den 13 Saiten im Toggenburg. Zusammen mit seiner Haushälterin Ida Bleiker gründete der Lehrer und Sammler 1960 die Halszithergruppe Ebnat-Kappel. Mehrere der heute zwölf aktiven Sängerinnen und Saitenspielerinnen sind seit über 50 Jahren in der Gruppe. Gemeinsam haben sie viel erlebt. Man trat auf in Kirchen, an Stobeten oder an Seniorennachmittagen. Mehrere Male sogar im Fernsehen, wie in der Volksmusiksendung «Für Stadt und Land» von Wysel Gyr. Der letzte öffentliche Auftritt am Halszitherfestival in der evangelischen Kirche Ebnat liegt inzwischen drei Jahre zurück. Aus Altersgründen wollen die Frauen keine öffentlichen Anlässe mehr bestreiten. Doch das gemeinsame Musizieren, Singen und Zusammensitzen soll so lange wie möglich gepflegt werden.

Der Bendel, die Nationalhymne Die Frauen der Ebnat-Kappler Halszithergruppe halten bis heute am Traditionellen fest. Unterschieden wird im Repertoire zwischen den frommen und den Lumpenliedli mit ihren leicht frivolen Texten. Wenn sich die Spielerinnen wie heute im Bauernhaus von Susi Bösch zur Probe treffen, gibt es Kaffee und Kuchen, und jede der Anwesenden darf einen Titel wünschen, der dann gemeinsam gespielt wird. «‹Der Bendel› heisst unser liebstes Stück und ist so etwas wie unsere Nationalhymne», sagt Mechthild Koller. Magdalena Wagner, die Jüngste in der Runde, möchte das alte Liedgut erhalten, weil es eben so bescheiden und für alle leicht zugänglich sei. Und weil es an die pietistische Hochblüte vor zweihundert Jahren im Toggenburg erinnere. An eine Zeit, als die Menschen zu Hause musizierend ihre religiösen Gefühle ausdrückten. Heute treffen sich die Frauen der Halszithergruppe jeden ersten Donnerstag im Monat im Ackerhus. Früher abends, seit der Erweiterung und Renovation des Heimatmuseums öfters auch am Nachmittag. «Allerdings offenbart die tolle Akkustik im neuen Raum unsere Fehler beim Singen gnadenlos», sagt Mechthild Koller. Das Spielen auf der Halszither sei nicht schwierig, sagen die Spielerinnen unisono. Man müsse eigentlich nur zwei Griffe beherrschen. Wenn es, wie bei ihr selbst, an Musiktalent fehle, sei es aber nicht so einfach, findet Marlies Bösch, eine der sechs Töchter von Susi Bösch. Wie ihre fünf Schwestern bekam sie von Vater Josef Bösch, einem ehemaligen Schüler und Verehrer von Albert Edelmann, eine selbst gebaute Toggenburger Halszither geschenkt. «Unser 2013 verstorbener Vater hat die Halszithern erst im Pensionsalter aus trockenem Holz von alten Kommoden und Kästen gebaut. Da war es für einen Einstieg in die Halszithergruppe irgendwie schon zu spät für uns. Und als wir jünger waren, hatten unsere Eltern als langjährige Wirte der Alpwirtschaft Oberbächen wenig Zeit selber zu musizieren.» Das Gastgeberinsein hat Susi Bösch jedoch nicht verlernt. Sie lädt ihre Mitspielerinnen gerne zu sich nach Hause ein, für ein gemeinsames und gemütliches Singen und Musizieren.

Immer gleiches Liedgut Heute sitzen die Halszitherspielerinnen versammelt um den Stubentisch von Susi Bösch, schattenhalb in der Schwendi. Sie hegen wenig Hoffnungen, dass ihre Gruppe noch viele Jahre weiter bestehen kann. Umso lieber erzählen sie von ihren Erinnerungen und zupfen zwischendurch die Saiten zu einem bekannten Liedchen: «Dar i nöd es bitzeli, dar i nöd echli, dar i nöd es bitzeli luuuschtig si.» Fröhliches Gelächter erfüllt die warme Stube. Fast entschuldigend erklärt Mechthild Koller, dass man immer noch die Kinderlieder von einst singe und auf der Halszither begleite. Etwas anderes spielen habe sie persönlich gar nie gewollt. Die Wahl des Liedguts hat in EbnatKappel vor der Gründung der Halszithergruppe zu einem veritablen Krach innerhalb der örtlichen Trachtengruppe geführt, erinnert sich die 90-jährige Frieda Ammann: «Ein Teil von uns wollte nur die überlieferten Schullieder von Lehrer Edelmann

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KULTUR

Die Halszithergruppe in heutiger Formation und von einst als Kalendersujet: Bild oben (von links) Susi Bösch, Mechthild Koller, Magdalena Wagner, Heidi Koller, Frieda Ammann, Annarösli Faust. Auf dem aktuellen Foto fehlen Ruth Müller, Elisabeth Giger und Paul Koller.

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KIRCHE / HISTORISCHES

Ein neuer Begegnungsort in Ebnat-Kappel: die Grubenmann-Kirche mit dem sanierten Pfarrhaus, dem Pavillon-Anbau und dem neu gestalteten Aussenraum.

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KIRCHE / HISTORISCHES

Offenes Kirchenzentrum mit gastlicher Ellipse Um die Grubenmann-Kirche entsteht ein neues Begegnungszentrum mit offenen Türen für alle − von Jolanda Spengler

Kirchbürgerinnen und Kirchbürger grünes Licht für die Projektierung des Kirchenzentrums bei der Grubenmann-Kirche, und ein Jahr später sprachen sie den Baukredit von zusätzlich 2,5 Millionen Franken gut. Nun steht der Um- und Neubau kurz vor der Vollendung. Links das ortsbildgeschützte Pfarrhaus und rechts die moderne Ellipse. Noch geben sich die Handwerker auf der Baustelle die Klinke in die Hand: Im Haus erhalten die Böden den Feinschliff, die Wände werden gestrichen und die Elektronik installiert. Auf dem Platz zwischen Kirche und Pfarrhaus reihen Bauarbeiter Bsetzistein an Bsetzistein, und zwischen den Sitzmauern verteilen sie feinen Kies für die Parkflächen. Dass der Kies vom Steinbruch im Starkenbach stammt, erzählt Hans Looser nicht ohne Stolz. «Die Wertschöpfung im Tal zu behalten, war uns wichtig. Achtzig Prozent der gesamten Baukosten wurden im Toggenburg ausgegeben, davon die Hälfte in Ebnat-Kappel.»

Der Standort ist gut gewählt. Die auf dem Ebnet stehende Grubenmann-Kirche wacht seit über 255 Jahren über den Dorfteil Ebnat. Und seit ihre Schwesterkirche in Kappel zum «Dömli» für Kulturveranstaltungen und Events wurde, hält das Gotteshaus seine schützende Hand über die ganze Gemeinde. Für die Zukunft stellt die Evangelisch-Reformierte Kirchgemeinde den Ort zwischen Steinfels und Schafbüchel ins Zentrum ihrer Aktivitäten. Nicht nur die Kirche soll anziehen und ausstrahlen, sondern auch der Platz davor und das Pfarrhaus. Eine umfassende Sanierung des 1888 erbauten Hauses und der neue, ellipsenförmige Anbau sollen diese Bedeutung gegen aussen sichtbar machen. Hans Looser spricht von einem generationenfreundlichen, gastlichen Alltagszentrum für die ganze Gemeinde, von einer «niederschwelligen Drehscheibe». «Hier sollen sich Menschen begegnen, alt und jung», fügt der Präsident der Kirchenvorsteherschaft (Kivo) an.

Vierzigjähriger Prozess mit Nebengeräuschen Der Bündelung der Evangelisch-Reformierten Kirchgemeinde Ebnat-Kappel mit Kirche, Sekretariat und Gemeinschaftsräumen an einem Ort ging ein langer Prozess voraus. Begonnen wurde dieser 1972, als erste Gedanken zum Abbruch der Kirche Kappel laut wurden. Die Verschmelzung der Kirchgemeinden Ebnat und Kappel zur Evangelisch-Reformierten Kirchgemeinde Ebnat-Kappel lag damals acht Jahre zurück und die Konzentration auf einen Kirchenstandort war für die Kivo ein logischer nächster Schritt. Die Bürgerinnen und Bürger sahen das allerdings anders. Die Wogen gingen hoch, in den Leserbriefspalten der Lokalpresse kreuzten Befürworter und Gegner ihre Klingen. Wobei die Gegner klar in der Überzahl waren. So blieb die Kirche Kappel im Dorf und ein gemeinsames Kirchenzentrum Zukunftsmusik. Vor vier Jahren war die Zeit dann reif und die Konzentration auf einen Kirchenstandort mehrheitsfähig: Die Kirche Kappel wurde verkauft, und die Idee eines modernen Kirchenzentrums bei der Grubenmann-Kirche nahm mehr und mehr Formen an. Ein einladendes Kirchenzentrum mit offenen Türen hat man sich zum Ziel gesetzt. Dafür soll das Pfarrhaus saniert und mit einem Neubau ergänzt werden. Der Erlös aus dem Verkauf von Kirche und Pfarrhaus Kappel samt dazugehörender Landreserve und die grosszügige Lösung im Finanzausgleich innerhalb der Kantonalkirche bildeten die finanzielle Grundlage für die Investition. Vor zwei Jahren gaben die

Pavillon als Herzstück des neuen Zentrums Im Dezember können die Mitarbeitenden das neue Zentrum beziehen. Dass sich damit sämtliche Arbeitsplätze unter einem Dach befinden, bezeichnet Hans Looser als Gewinn für alle. «Die Wege sind kürzer, für die Mitarbeitenden ebenso wie für die Kirchbürger.» Neben dem grosszügigen Eingangsbereich mit dem Sekretariat befindet sich ein gemütlich eingerichtetes Foyer. «Wird hier gearbeitet, stehen die Türen für jedermann offen. Es freut uns, wenn sich der Raum zum Treffpunkt entwickelt», sagt Hans Looser. In den Obergeschossen sind die Arbeitsplätze des Seelsorgeteams, ein Sitzungszimmer, ein Unterrichtszimmer und Reserveräume Bei der Sanierung des Pfarrhauses wurden die Eingriffe in die Gebäudesubstanz auf das Notwendigste beschränkt. In den oberen Stockwerken blieb die Raumeinteilung praktisch unverändert. Die Kassettentäfer an Wänden und Decken wurden aufgefrischt und frisch gestrichen und die Parkettböden abgeschliffen und geölt. Neu ist der fugenlose Naturboden aus Starkenbacher Kies im Erdgeschoss und im Keller. Geschliffen und versiegelt ist er in der Optik vergleichbar mit einem Terrazzoboden. Der ellipsenförmige Pavillon bildet das Herzstück des Kirchenzentrums. Durch seine Form hebt er sich optisch vom Stammhaus ab. Der Zugang durch das Foyer entlang der neuen Küche schafft die Verbindung. Der Neubau stehe für eine verstärkte Beheimatung innerhalb der Kirchgemeinde,

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KIRCHE / HISTORISCHES

Die Gebäudehülle des 1888 erbauten Pfarrhauses erstrahlt in neuem Glanz.

Der ellipsenförmige Pavillon ist vom Pfarrhaus mit einem Durchgang erschlossen.

sagt Hans Looser und richtet einen speziellen Dank an die Kappler Bevölkerung, die durch das Ja zum Verkauf «ihrer» Kirche den Bau dieses neuen Zentrums erst möglich gemacht habe. «Jetzt haben wir einen gemeinsamen Ort, um Feste zu feiern, zu essen und zu trinken. So wie es eine christliche Gemeinschaft voraussetzt», betont der Kivo-Präsident. Ein gastliches Haus soll es sein. Ein Haus, das keine Glaubens- und Kulturgrenzen kennt. Ein Alltagszentrum mit Anziehung und Ausstrahlung.

gen für Schatten. Dieser Bereich ist mit WLAN erschlossen und nimmt so die Bedürfnisse der heutigen Kommunikation auf. Als «Baum der Erinnerung» steht die Linde beim Pfarrhaus. Als Symbol für Gerechtigkeit, Liebe, Frieden und Heimat. Bis die noch junge Linde so prächtig und stolz dasteht wie ihre Vorgängerinnen, wird es aber noch einige Jahre dauern. Teil der Aussengestaltung ist auch der Brunnen, der schon vorher auf dem Platz vor dem Pfarrhaus stand. Er wurde saniert. Und dann ist da noch die Kunst am Bau. «Elemente des Glaubens» nennt sich die Sandsteinbank des Bildhauers Franz Wanner aus Walenstadtberg. Einem offenen Buch gleich liegen darauf auf fünf Marmortafeln die Worte «Im Anfang war das Wort» (Neues Testament, Johannes, Kapitel 1, Vers 1). Mit ihrer konkaven Krümmung nimmt die Bank das Oval des Pavillons auf, zieht, einem Planeten gleich, den (unsichtbaren) Bogen um die Ellipse und tangiert dabei die seitliche Eingangstür zur Kirche. Womit der Kreis des Kirchenzentrums mit Kirche, Pfarrhaus, Ellipse und Aussenbereich geschlossen ist.

Aussengestaltung mit vertrauten Elementen Zwischen Kirche und Zentrum entsteht ein Park, der zum Verweilen einladen soll. Einer Spende von 400 000 Franken ist es zu verdanken, dass die Aussenplätze besonders aufwändig gestaltet werden können. Der Geldgeber ist mit Ebnat-Kappel verbunden und möchte so der Gemeinde etwas zurückgeben. Im gegen die Ebnaterstrasse abgestuften Gelände befinden sich Betonmauern, auf denen sich gut sitzen lässt. Feldahorne sor-

Historisches zur Grubenmann-Kirche und zum Pfarrhaus Ebnat Wie es zur Kirchgemeindegründung kam Ebnat, das frühere Oberwattwil, hatte keine eigene Kirche. Zu Wattwil gehörend, waren die Ebnaterinnen und Ebnater dort auch kirchengenössig. Als 1667 im Nachbardorf Kappel eine Kirche gebaut wurde, erhielten sie das Recht, dieses näher gelegene Gotteshaus mitzubenutzen. Da die Bevölkerung in Ebnat stark zunahm, stiess die Kappler Kirche aber bald an ihre Kapazitätsgrenze. Die Kappler liebäugelten mit einem Erweiterungsoder gar Neubau und wollten dafür die Oberwattwiler finanziell in die Pflicht nehmen. Ein Mitspracherecht beim Bau wurde ihnen aber verwehrt. Das passte den Ebnatern nicht. Sie entschieden, sich von Wattwil loszukaufen und eine eigene Kirchgemeinde zu gründen. 1761 gab Wattwil das Einverständnis. Und jetzt konnte es den Ebnatern nicht schnell genug gehen: Im Winter wurde das Material hergerichtet, am 9. April 1762 wurden die Gruben für das Fundament ausgehoben, am 8. Juli war die Kirche aufgerichtet, am 25. September kamen die in Lindau gegossenen Glocken in Ebnat-Kappel an, am 10. Oktober wurde die evangelische Kirche Ebnat eingeweiht, und zwei Wochen später hielt Pfarrer Johann Valentin seine Antrittspredigt. Die Ebnater hatten ihre eigene Kirche mit stolzem Geläut. 21 Häuser zählte das Dorf, und die Kirche stand mittendrin.

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Dokumente aus der Zeit der Ebnater Kirchengründung.


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