orte Verlag Leseprobe
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Zufall
Texte der Kolumination 2022 auf dem Säntis
ZUFALL
Texte der Kolumination 2022 auf dem Säntis
© 2022 by orte Verlag, CH-9103 Schwellbrunn
Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Radio und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.
Gestaltung: Janine Durot/Brigitte Knöpfel Umschlagbild/Bilder im Inhalt: Carmen Wueest Gesetzt in Minion Pro Regular und Gotham Narrow Herstellung: Verlagshaus Schwellbrunn ISBN 978-3-85830-319-6 www.orteverlag.ch
INHALT
7 Hans Höhener 13 Margit Hinterholzer 19 Rainer Hank Kolumnen 33 Gerhard Schwarz 39 Christian Seiler 49 Tillmann Prüfer 59 Peter Ruch 67 Ursula Weidenfeld Slam Texte 73 Alex Simm 87 Elena Sarto 103 Ralph Weibel
«Preis der Kolumination» 115 Axel Hacke (Laudator) 129 Doris Knecht 134 Anhang
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Hans Höhener
ZUFALL! ZUFALL? JA, ZUFALL!
Einen Zufall erleben Sie gerade jetzt! Ja, unmittelbar jetzt! Mir als Präsident des Vereins Kolumination fällt die schöne Aufgabe zu, Sie alle, liebe Anwesende, hier auf dem Säntis zur 3. Kolumination begrüssen zu dürfen.
Jetzt kann man natürlich sagen, das sei kein richtiger Zufall. Es ist sozusagen ein von Amtes wegen geplanter Zufall, also kein zufälliger Zufall. Und schon sind wir mitten im Thema: Zufall. Was ist denn ein Zufall? Ich bin echt gespannt, was unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten, unsere Slammerinnen und Slammer dazu sagen. Ich habe mich im Vorfeld dieses Anlasses, wie möglicherweise einige – oder sagen wir: nicht ganz zufällig einige – von Ihnen auch, mit dem Begriff «Zufall» auseinandergesetzt. Ja klar, ich habe auch gegoogelt. Und unheimlich viele Zitate, Aphorismen und Sprüche ge-
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funden und gelesen. Und dieser Zufall – also der Zufall dieser Aufgabe, Sie zu diesem Thema der diesjährigen Kolumination begrüssen zu dürfen – hat nicht ganz zufälligerweise dazu geführt, dass ich den Zufall, zumindest den Begriff, noch weniger verstehen, einordnen, geschweige denn definieren kann, als ich vorher glaubte, tun zu können. Ja, so ist es, solche Zufälle bringen es mit sich, dass man mit einem Thema konfrontiert wird und plötzlich feststellt, dass man gar nicht so gescheit ist, wie man glaubte. Ja, rein zufällig. Sonst hätte ich’s ja wissen müssen.
Ich freue mich sehr, dass Sie da sind, ich Sie alle willkommen heissen darf, zumal Sie ja nicht durch Zufall hier sind. Kein Zufall ist es auch, dass wir hier auf dem Säntis «kolumnieren». Lassen Sie mich kurz einschieben: Ist jetzt diese Wortkreation ein Zufall? Oder ist sie uns als Veranstalter bzw. Ihnen, liebe Gäste, als Folge der dritten Kolumination, womit aus einer zufälligen Idee sozusagen eine Tradition geworden ist, zwangsläufig zugefallen?
Aber zurück zum Standort: zum Säntis. Wie gesagt kein Zufall. Weil wir hier auf einem, wie es der Zürcher Geologe Albert Heim vor über 100 Jahren mal sagte, «der schönsten, vielleicht sogar schönsten Gebirgsstück der Erde» sind und weil wir hier freien Blick in die unmittelbare Bezugsregion der Kolumination, nach Deutschland, Österreich, Liechtenstein und in die Schweiz haben. Und dass wir hier zum dritten Mal gutes Wetter haben – wenn das kein glücklicher Zufall ist?
In Anbetracht des Themas bin ich froh, dass wir auch dieses Jahr auf dem Säntis tagen. Also «kolumnieren»! Je länger ich mich mit dem Thema «Zufall» ausei-
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nandergesetzt habe, umso mehr hatte ich ein schlechtes Gewissen. Mit den Themen der ersten und zweiten Kolumination, «Grenzen» und «Leistung», hatten wir wesentlich griffigere Themen vorgegeben. Aber jetzt? Mit Zufall? Nun, der Zufall will es, dass der Säntis auch ein ganz besonderer Kraftort ist. Man spricht deshalb oft auch vom «Spirit of Säntis». Ich bin überzeugt, dass dieser Geist unsere Kolumnistinnen und Kolumnisten, Slammerinnen und Slammer, die zufälligerweise dieses Jahr eingeladen wurden und sich ausgerechnet mit dem «Zufall» auseinandersetzen müssen, beseelen wird und wir zwei spannende, interessante und witzige Halbtage vor uns haben.
Liebe Anwesende – übrigens: auch diese Anrede ist kein Zufall! –, lassen wir uns anregen, erleben wir über Kolumnen und Slam-Poetry einmal mehr ein Stück jener unverzichtbaren journalistischen und publizistischen Kultur, die uns zum Nachdenken, Schmunzeln, zu – auch stets fordernden, kontroversen – Diskussionen veranlasst. Eine liberale Gesellschaft, eine lebendige Demokratie braucht diese Auseinandersetzung. Immer wieder, tagtäglich, nicht endend! Dazu brauchen wir entsprechende Medien, Plattformen und Foren. Nie, aber gar nie dürfen wir offene, kritische, provozierende, inspirierende und bereichernde Auseinandersetzungen und «Ihr-Stattfinden-Können» dem blossen Zufall überlassen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen zwei erfolgreiche Tage mit vielen guten, kleineren und grösseren Zu-Fällen!
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Wolfgang Heyer führte als Moderator durch das Programm der 3. Kolumination.
Margit Hinterholzer
AUF DEM GIPFEL DER WORT-KUNST
Die besten Kolumnistinnen und Kolumnisten sowie Slammerinnen und Slammer trafen sich am 28. und 29. Oktober 2022 auf dem Säntis zur dritten Kolumination. Sie lasen Beiträge zum Thema «Zufall». Doris Knecht, Kolumnistin bei der Wiener Wochenzeitung «Falter», wurde mit dem Preis der Kolumination 2022 ausgezeichnet.
Als im Jahr 2019 die neue Veranstaltung rund um die besten Kolumnisten aus dem deutschsprachigen Raum auf dem Säntis erstmals stattfand, machte sich gleich eine weltoffene, gemütliche und gleichzeitig knisternde Atmosphäre breit: Die «Kolumination» kann sich zwischenzeitlich, bei der dritten Durchführung, wahrlich als den «Gipfel der Wort-Kunst» bezeichnen. Die Zutaten für das Gipfel-Treffen der Kolumnisten und der jüngeren Generation der Slam-Wortakro-
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baten sind einfach, aber die Mischung macht es aus: ein Motto, 2022 war dies «Zufall»; bekannte Kolumnisten und Slam-Poeten aus Deutschland, der Schweiz und Österreich; die Wahl für den «Preis der Kolumination», bei dem eine oder einer der Zunft für das Lebenswerk ausgezeichnet wird. Und schliesslich der besondere Austragungsort auf dem Säntis auf 2502 Metern.
Von Zufallsgewinnen, Zwiebeln und Kinder-Neugierde Gleich zum Auftakt wurde der Schriftsteller, Dichter, Zeichner und Maler Robert Gernhardt gewürdigt, und zwar von Rainer Hank (FAZ). Gerhard Schwarz, der sich selbst googelte, um eine seiner Kolumnen rund um das Motto «Zufall» zu finden, machte in seinen Ausführungen die «Übergewinnsteuer» zum «Zufallsgewinn». Mit Tillmann Prüfer, der einige der wohl Tausenden Fragen seiner Töchter zitierte, und Christian Seiler, der über das Zwiebel-Schneiden philosophierte, ging es in den humorvollen Teil der Kolumnen-Vielfalt über.
Weiter gings mit Ursula Weidenfeld (via Videoschaltung aus der Corona-Quarantäne) sowie mit «Weltwoche»-Kolumnist Peter Ruch, der «Gott und die Welt» in seine Kolumnen verpackt. Er brachte die Gästeschar mit den Worten «bitter und unverbittert» ebenso zum Nachdenken wie mit seinen Gedanken um den tatsächlichen «Dachschaden» der Pariser Notre Dame beziehungsweise jenem von Marine Le Pen. Eine Besonderheit der «Kolumination» ist die Zu-
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falls-Themenzuteilung für die drei Slam-Poeten, die über Nacht einen Text dazu verfassen müssen. Bravourös gemeistert haben dies Elena Sarto aus Wien (Humpelfuss und Heilige Nacht), Ralph Weibel aus St. Gallen (Gipfel und Schienenersatzverkehr) sowie der Süddeutsche Alex Simm (Seitenscheitel).
Moderation und Musik ist mehr als ein Nebengeräusch Nicht nur Moderator, sondern auch selbst begeisterter Slammer, leidenschaftlicher Dialekt-Schwabe und Journalist ist Wolfgang Heyer, der die «Kolumination» mit zu dem macht, was sie auszeichnet: ein Fest der Worte, ein Treffpunkt der Sprach-Liebhaber. Und auch die musikalischen Beiträge sind immer von höchster Qualität: So überzeugten diesmal das Bregenzerwälder Duo Evelyn Fink-Mennel und Philipp Lingg mit ihrer Virtuosität und Wortgewalt ebenso wie die beiden Hackbrett-Spielerinnen Hanna Keller und Alessia Heim. «Preis der Kolumination» als Highlight Höhepunkt des Jahrestreffens ist die Verleihung des «Preises der Kolumination»: Jedes Jahr wählt die Jury eine Kolumnistin oder einen Kolumnisten, um das jeweilige Lebenswerk in den Mittelpunkt zu rücken. 2019 war dies der Wirtschafts-Kolumnist Beat Kappeler (geb. 1946). Nach der Corona-Pause folgte im vergangenen Jahr Axel Hacke (geb. 1956), der seit Jahr-
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zehnten unter dem Titel «Das Beste aus aller Welt» im «Süddeutsche Zeitung Magazin» seine Kolumnen veröffentlicht. 2022 wurde Doris Knecht (geb. 1966) gewählt, welche als Kolumnistin für mehrere Zeitungen, unter anderem für den «Falter», die Vorarlberger Nachrichten oder den «Standard», schreibt. Das Besondere am Preis, der in einer Skulptur des Bregenzerwälder Künstlers Herbert Meusburger materialisiert ist: Die Laudatio hält jeweils der Vorgänger auf seinen Nachfolger.
Und so kam das Publikum in den Genuss, eine brillante Lobrede von Axel Hacke auf die Doris Knecht zu hören.
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