FormatOst Leseprobe
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This Isler | Text Mirella Weingarten | Fotos
Geschichten
800 Jahre Werdenberg in 100
SSRQ Schweizerische Rechtsquellen
SG Staatsarchiv St. Gallen
LAGL Landesarchiv Glarus
OG Archiv Ortsgemeinde Grabs
5 DIE ZEIT DER ADLIGEN | 1200 BIS 1485 Inhaltsverzeichnis 10 Vorwort 12 Einleitung
Zeit der Adligen | 1200 bis 1485 | Kapitel 1 18 Innovationen im Rheintal | um 1200 22 Macht, Politik und Steuern | um 1210 26 Bau der Burg Werdenberg | um 1220 30 Clementa von Kyburg | um 1230 34 Differenzen im Haus Montfort | um 1240 38 Ein neuer Name: Werdenberg | 1259 42 Wie wird man Herr im Lande? | um 1260 46 Graf Hugo I. von Werdenberg-Heiligenberg | um 1270 50 Der Todessturz des Bischofs | 1290 54 Freiheitskämpfe? | 1291 58 Raubritter Rudolf II. von Werdenberg-Sargans | um 1300 62 Aufbau einer Herrschaft | um 1310 66 Der Verkauf von Wildhaus | um 1320 70 Albrecht I. und Albrecht II. | um 1330 74 Schwarze Wolken | um 1340 78 Die Tosterser Fehde | um 1350 82 Die Geschichte der Burg Wartau | um 1360 86 Was wird kommen? | um 1370 90 Auf den Schlachtfeldern von Sempach und Näfels | um 1380 94 Die Grafen von Werdenberg verlieren die Grafschaft | um 1390 98 Graf Rudolf und die Schlacht am Stoos | 1405 102 Wilhelm V. von Montfort-Tettnang | um 1404 106 Der «Bund ob dem See» | um 1408 110 Kirchliche und weltliche Sicherheiten | um 1410 114 Adlige und Dienstadlige | um 1420 118 Freiheit für Sargans? | um 1430 122 Krieg auf der Alp | um 1440 126 Es bröckelt | um 1450 130 Der Besitzstand wird geregelt | um 1460
Die
134 Schramhans und Hotterer | um 1470
138 Adel in Bedrängnis | um 1480
142 Die «Schwäbische Chronik» des Thomas Lirer | 1486
Besitzerwechsel für Werdenberg | 1485 bis 1517 | Kapitel 2
150 Werdenberg und Luzern | um 1490
154 Die Herren von Castelwart | um 1490
158 Bischof Heinrich von Hewen | um 1500
162 Der Schwabenkrieg | 1499
166 Ulrich VIII. von Sax-Hohensax | um 1500
170 Die Freiherren von Hewen – abwesende Besitzer | um 1510
174 Graf Felix von Werdenberg – ein Mörder | um 1510
Die Zeit der Glarner Herrschaft | 1517 bis 1798 | Kapitel 3
182 Werdenberg kommt zu Glarus | 1517
186 Reformation in Werdenberg | um 1525
190 Der Eid der Untertanen | um 1530
194 Die Wahl des Landvogts | 1544
198 Der Zerfall der Kapellen | um 1550
202 Attestations- und Fähnlibrief | 1565
206 Sorglosigkeit? | um 1570
210 Eine Wallfahrt ins Unglück | 1587
214 Rechtssprechung | um 1590
218 Ordnung und Moral | um 1600
222 Die verschwenderische Adlige | um 1615
226 Die Schrecken der Pest | 1629
230 Freiherr Johann Philipp von Hohensax | um 1630
234 Die Rechte der Stadtner | um 1640
238 Hexenjagd in Liechtenstein | um 1650
242 Nutzung der Weinberge und Äcker durch die Landvögte | um 1660
246 Das Kornhaus auf dem Wuhr | 1674
250 Jahresrechnung | um 1680
254 Eine traurige Geschichte vom Grabserberg | 1688
258 Der Schlossbrand | 1695
262 Die Landvogtfrau auf Forstegg | um 1700
266 Der Schmerz des Landvogts König | 1712
270 Es brodelt in Werdenberg | 1718
274 Unruhen in Werdenberg – der Landhandel | 1720
278 Der Einmarsch | 1722
282 Söldner für fremde Könige | um 1730
286 Ein Querulant aus Preussen | um 1740
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290 Die Familien Hilty | um 1750
294 Geld und Wert | um 1760
298 Landschreiber Fridolin Luchsinger | 1779
302 Grabs im Streit | 1790
306 Marx Vetsch aus Grabs | um 1792
Übergang in die Freiheit | 1798 bis 1848 | Kapitel 4
314 Der Zusammenbruch | 1798
318 Einmarsch der Franzosen | 1798
322 Der Werdenberger General | 1799
326 Das Chaos | um 1800
330 Anfangswirren der neuen Freiheit | um 1810
334 Der Brand von Oberschan | 1821
338 Ein Schloss ohne Zweck | um 1830
Auf dem Weg zur Gegenwart | 1847 bis 2021 | Kapitel 5
346 Die moderne Schweiz entsteht | 1848
350 Christian Zogg – Opfer des Sonderbundskriegs | um 1850
354 Die Kirche von Gams | um 1860
358 Auswanderung – eine Lebensperspektive | um 1860 362
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Haag
Werdenberger
Bahnhof Buchs
Centenarfeier
378 Carl Hilty – der bedeutendste Werdenberger?
um 1900
Ein besonderer Zug aus Österreich
Streik der Sticker | um 1920
Krisenzeit in Werdenberg
um 1930
Der Werdenberger Brunnenstreit
398 Wehrsystem im Berg | um 1940 402 Das Geschenk | 1956 406 Energie | um 1960 410 Nationalstrasse N 13 | um 1970 414 Erinnern | um 1980 418 Richtungsänderungen? | um 1990 422 Wissen und Gewissen | um 2000 426 Stadt Buchs | um 2010 430 Plötzlicher Stillstand | um 2020 434 Bildnachweis 463 Literatur 485 Dank
und die Rheinnot | 1868 366
Schulen | um 1870 370
| um 1880 374
im Langen Graben | 1891
|
382
| 1919 386
390
|
394
| 1939
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Vorwort und Einleitung
BILDNACHWEIS 9
Vorwort
Die Burgen in Gams, Grabs, Sax und Salez, Sevelen und Wartau prägten im Hochmittelalter unterschiedlich stark die Entwicklung der Region und ihrer Gesellschaft. Aber nur Schloss Werdenberg mit dem heute noch intakten Burgstädtli hat eine durchgehende 800-jährige Präsenz. Von ihm stammt der Name des heutigen Bezirks, es ist das Wahrzeichen, das stellvertretend für eine bewegte Geschichte des gesamten Werdenbergs steht. Das Schloss ist seit 1956 Eigentum des Kantons St. Gallen und steht wie auch das Städtli unter Bundesschutz. Die Gemeinde Grabs verfügt damit zusätzlich zum Industriedenkmal Mühlbach über gleich 25 Wohnbauten und das Schloss als Kulturdenkmäler von nationaler Bedeutung. Zusammen mit der Alten Rheinbrücke in Sevelen, den neolithischen Funden und der Burgruine in Wartau sowie den dortigen Festungswerken befinden sich in Werdenberg eine beträchtliche Anzahl anerkannter historischer Sehenswürdigkeiten, die über die Region hinausweisen. Die jüngsten denkmalpflegerischen Forschungen für den Kunstdenkmäler-Band der Schweizerischen Gesellschaft für Kunstgeschichte belegen die reichhaltige Architekturgeschichte in jeder der sechs Werdenberger Gemeinden. Die seit den 1980er-Jahren regelmässig erschienenen Werdenberger Jahrbücher haben zudem in zahlreichen Beiträgen Hintergründe für diverse Bereiche der regionalen Kulturgeschichte geliefert. Das nun hier vorliegende Buch des Grabsers This Isler bündelt die auf verschiedene Publikationen zerstreuten Berichte in einem kompakten Lesebuch über 800 Jahre Werdenberger Geschichte.
Mit den Museen Werdenberg im Schloss und im Städtli ist Mitte der 2010er-Jahre ein Kulturort geschaffen worden, der für Menschen von nah und fern die Werdenberger Geschichte beispielhaft und anschaulich erzählt. This Isler war damals bei der Aufarbeitung der Geschichte und der Realisierung der Museen Werdenberg massgeblich beteiligt. Er hat es verstanden und beweist immer wieder aufs Neue – bei Schloss-, Städtli- und
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Mühlbachführungen sowie in seinen historischen Reenactments und Theaterprojekten im Schloss –, dass die Vermittlung von Geschichte wesentlich im Erzählerischen liegt. Vermittlung ist die zentrale Aufgabe von Museen. Aber erst mit einer guten Geschichte, im Sinne einer Erzählung, kann Wissen anschaulich weitergegeben werden, sodass es Eingang ins historische Gedächtnis einer Region findet. This Isler hat 100 solche Geschichten geschrieben und zu einer Anthologie über Werdenberg zusammengestellt. In chronologischer Reihenfolge und in Abständen von zehn Jahren, bilden diese Geschichten die Zeitspanne von 800 Jahren ab. Selbstverständlich erzählt das Buch nicht alles über die Region, doch macht es die langen 800 Jahre greifbar.
Schloss Werdenberg ist nicht nur Museum, sondern auch Veranstaltungsort. Seit 2012 konnte sich mit der Schlossmediale ein Musik- und Kunstfestival etablieren, das mit seiner künstlerischen Vielfalt die Hauptund Zwischentöne des Schlosses und der Region aufnimmt und sie in Konzerten und Ausstellungen wiedergibt. Die Intendantin der Schlossmediale, Mirella Weingarten, hat Werdenberg seit Beginn ihrer Arbeit im Schloss fotografisch festgehalten. Diese Fotografien stellen den Geschichten von This Isler ihre je eigene Bilderzählung zur Seite und verleihen dem Historischen einen gegenwärtigen Bildbezug.
Der Verein Schloss Werdenberg dankt This Isler für seine unermüdliche und aufwendige Arbeit, die komplexe Geschichte in verständliche Texte zu übersetzen und sie mit dieser Publikation zur Verfügung zu stellen. Er hat Mirella Weingarten mit ins Buchprojekt geholt und mit ihr zusammen ihren Fundus nach Fotografien durchsucht, die Ort und Bedeutung der Texte zu spiegeln vermögen; auch ihr sei herzlich für ihre Arbeit gedankt. Der Verein bedankt sich bei der Standortgemeinde Grabs und dem Verein Südkultur für die namhaften Beiträge. Zudem dankt er den Werdenberger Gemeinden und dem Kanton St. Gallen für ihre generelle finanzielle Unterstützung. Nur so konnte der Verein Schloss Werdenberg das Buch als Herausgeber realisieren. Dem Verlagshaus Schwellbrunn mit seinem Verlag FormatOst dankt der Verein für seine sorgfältige verlegerische Betreuung.
Werdenberg, Anfang 2023
Katrin Glaus, Präsidentin Verein Schloss Werdenberg und Thomas Gnägi, Leiter Schloss und Museen Werdenberg
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Einleitung
1956 schenkte Fräulein Frida Hilty dem Kanton St. Gallen das Schloss Werdenberg. Damit kam das bald 800 Jahre alte Wahrzeichen der Region in den Besitz der Öffentlichkeit. Ruhig und erhaben thront es über dem Städtli und ergibt zusammen mit dem See und den Bergen des Alpsteins im Hintergrund ein weitbekanntes Kalenderbild. Werdenberg – eine Idylle. «Paradiesisch anmutend» meint das Wort, was früher wie heute nur bedingt auf Werdenberg zutreffen mag. Kriegsnot, Armut, Krankheiten und Naturgewalten beherrschten die Region während Jahrhunderten, inzwischen ist ein Grossteil der Bevölkerung vom Reichtum verwöhnt. Noch nie ist es ihr, rein äusserlich betrachtet, besser ergangen als in den letzten siebzig Jahren. Während einige Menschen schon seit Längerem Zweifel am ungebremsten Wachstum hegen, fahren und fliegen andere in der wenig vorausschauenden Hoffnung durch die Welt, das Ganze werde zumindest für ihre Lebensfrist hinreichen.
Zwischen den unterschiedlichen Anschauungen und den Möglichkeiten zur Gestaltung der eigenen Zeit kann heute ein Graben liegen. Hat es einen solchen schon immer gegeben? Wie sah das Leben in Werdenberg unter der Herrschaft der Grafen von Montfort und Werdenberg aus? Was bedeutete es für die Werdenbergerinnen und Werdenberger, Untertanen der Eidgenossen zu sein? Welche Veränderungen und Umbrüche brachten Wohlergehen, und welche führten ins Abseits? Das vorliegende Buch möchte mit Geschichten – damit sind im doppeldeutigen Sinne historische Erzählungen meint – Einblicke in das Leben der Region während der letzten 800 Jahre vermitteln.
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Der Begriff Werdenberg hatte in dieser Epoche verschiedene Bedeutungen, sei es als Grafengeschlecht, Grafschaftsname, Untertanengebiet, Stadt- oder Bezirksname. Die Auswahl der Erzählungen weist keine lückenlose Abfolge auf, sondern reiht besondere Ereignisse in Zeitabschnitten von jeweils zehn Jahren chronologisch aneinander. Zusammen mit den Fotografien von Mirella Weingarten zeigen sie die wechselvolle Entwicklung Werdenbergs. Die Zeit schreitet, unbeeindruckt vom Geschehen der Welt, gleichmässig voran. Ihre Geschichte aber ist nie linear, sie besteht aus ruhigen Phasen und dramatischen Einschnitten, Stillstand und rasanten Veränderungen, Aufbau und Zerstörung, Glück und Leid. Solches sichtbar zu machen, soll wesentlicher sein als die reine Sachlichkeit.
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BILDNACHWEIS 15
Die Zeit der Adligen 1200 bis 1485
Vor 50 000 Jahren hinterliessen erstmals Menschen nachweislich ihre Spuren in der Ostschweiz. Neandertaler benutzten zeitweise Höhlen auf ihren Jagdzügen, wurden aber vor 30 000 Jahren von den Gletschern verdrängt, die bis über den Bodensee vorstiessen. 15 000 Jahre später, nach dem Abklingen der Eiszeit, dehnte sich die Wasserfläche des Bodensees bis zum heutigen Chur aus. Während der Rhein und die Seitenflüsse das Tal mit Geschiebe auffüllten, kehrten allmählich die Menschen zurück. Nur wenige Bodenfunde erzählen aus jener Zeit. Ab 800 nach Christus mehren sich die schriftlichen Zeugnisse, um das Jahr 1200 erhält die Romanisch sprechende Bevölkerung Werdenbergs mit Adligen aus dem süddeutschen Raum neue Herren.
Um 1200 gehört das Rheintal bereits seit 400 Jahren zum Heiligen Römischen Reich deutscher Nation. Kirchenrechtlich untersteht manches dem Bistum Chur, die weltliche Macht liegt im Besitz der Grafen von Bregenz. Die Güter und die Hörigen in den Rodungsinseln Buchs, Grabs und Gams sind zum Grossteil im Besitz des Klosters Einsiedeln. Die deutschen Könige übergeben treuen adligen Heeresführern und Klöstern Gebiete als Lehen zur Verwaltung. Die Lehen bringen Macht und Reichtum, der Besitz aber muss gesichert und verteidigt werden. Viele weithin sichtbare Burgen zeigen an, wer jeweils Herr im Lande ist. Im Rheintal dominieren die Grafen von Montfort sowie die Freiherren von Sax und Sagogn. Die Adligen haben ihre Eigenleute zu schützen und ihren Zugang zum kirchlichen Gottesdienst sicherzustellen. Die Menschen verstehen ihr Dasein auf Erden nur als kurzes Vorspiel auf dem Weg in die Ewigkeit. Sie tun fast alles dafür, nicht in der Hölle zu landen.
Bauherren der Burgen bei Buchs und Sargans sind die Montforter. Aus diesem Adelsgeschlecht entstehen zwischen 1260 und 1483 die Dynastien der Grafen von Werdenberg-Sargans und Werdenberg-Heiligenberg sowie weiterer Seitenlinien. Der Wirkungsraum der Werdenberger Grafen liegt selten im Bereich ihrer Stammburgen, sondern eher im Schwabenland. Beinahe schicksalshaft werden die Verbindungen zum Haus Habsburg, die für den Aufstieg und Niedergang der Werdenberger entscheidend sind.
Unnötige und verlorene Kriege, Schuldenberge und ein ausschweifender Lebensstil sorgen dafür, dass die Adligen spätestens um 1500 nicht nur mittellos werden, sondern auch ihre Macht verlieren.
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Die Zeit der Freiherren von Sax und der Grafen von Montfort und Werdenberg ist geprägt von Dauerstreit, einem permanenten Wechsel zwischen Einfluss, Macht und Besitz, einem unübersichtlichen Miteinander, Gegeneinander und Durcheinander. Detaillierte Beschreibungsversuche wirken verwirrend und ermüdend, Vereinfachungen bergen die Gefahr von Ungenauigkeiten und Fehlern. Vom Leben der einfachen Menschen bleibt vieles unbekannt, dabei haben sie das zum Teil masslos verschwenderische Leben der Oberschicht ermöglicht.
Letzte Eiszeit Würmeiszeit, zwischen 115 000 und 10 000 Jahren vor Christus, Rheingletscher reichte teilweise bis weit über den Bodensee, vor 50 000 Jahren kurzzeitiger Rückzug des Eises, vor 30 000 Jahren Höchststand
Adlige Angehörige des Adelsstandes, die Herrschaft ausüben und direkt dem König oder Kaiser unterstellt sind
von Sagogn Freiherrengeschlecht aus der Surselva, Stammburg in der Nähe von Laax
Habsburger mächtiges Adelsgeschlecht, ursprüngliches Stammland im Aargau und Elsass, stellte Könige und Königinnen im Römisch-deutschen Reich, später auch in Österreich und Spanien
Bistum Chur umfasste im Mittelalter Bormio, das Vintschgau, Chiavenna, Graubünden, Teile Vorarlbergs und des Rheintals
Hörige im Mittelalter auf Herrenhöfen arbeitende, vom Grundherrn abhängige, unfreie Bauern
Einsiedeln Wallfahrtskloster im Kanton Schwyz, um 934 gegründete Benediktinerabtei
Lehen Leihgabe des Königs an Adlige oder Klöster zur Verwaltung, fiel mit dem Tod des Königs an das Reich zurück, Adlige mussten die erneute Verleihung durch Treueeid beim neuen König erbitten
Eigenleute Adelsgeschlechtern oder Klöstern zugehörige Personen mit Einschränkungen bei Heiratsrecht, Erbfähigkeit und Niederlassungsfreiheit
17 DIE ZEIT DER ADLIGEN | 1200 BIS 1485
Zwischen 1200 und 1300 entstand im Römisch-deutschen Reich eine Vielzahl befestigter Anlagen, mehr als zwanzig Burgen im Umkreis von zwanzig Kilometern um Werdenberg. Von einigen ist der Name des Bauherrn überliefert, von anderen ist nichts über ihre Entstehung bekannt. Nur vier Gebäude sind bis heute als Schlösser erhalten, alle anderen zerfielen im Laufe der Zeit zu Ruinen. Die Bevölkerungszahl der Schweiz stieg zwischen den Jahren 1000 und 1300 von 500 000 auf 750 000 Personen. Dadurch vergrösserte sich der Bedarf an
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neuen Landwirtschaftsflächen, was zu umfangreichen Rodungen führte. Das Klima war günstig, teilweise ergab sich eine Überproduktion. Weit verzweigte Wegnetze förderten Handel und Austausch. Der König besass damals allen Grund und Boden, die Nutzungsrechte und Gebäude, die politische Macht und sogar die Menschen in seinem Reich. Für den Schutz und die Verwaltung setzte er Adlige und Klöster ein. Die belehnten Grafen und Freiherren liessen Burgen als befestigte Orte und sichtbare Zeugen ihrer Macht errichten. Die Kirche war für die Menschen besonders wichtig, denn das kurze Leben auf Erden entschied über das ewige Leben im Jenseits.
Um 1200 besitzt das Kloster Einsiedeln den Grossteil der Gebiete von Gams, Grabs und Buchs. Könige haben dem Kloster viele Rechte verliehen. Der Besitz in Gams besteht aus einem grossen Hof samt Kirche und 6,5 Huben. Auf einem Hof stehen mehrere Häuser, in denen Leibeigene mit ihren Familien wohnen und für sich und den Verwalter, den Meier, arbeiten. Sie alle haben den zehnten Teil des Bodenertrags als Steuer für die Kirche abzugeben. Zentrum des Einsiedler Klosterbesitzes ist Gams. Grabs gehört als Reichsgut zum Römisch-deutschen Reich. 949 hat es Kaiser Otto der Grosse ebenfalls dem Kloster Einsiedeln verschrieben. Aber nicht als Besitz, sondern als Schenkung, welche mit dem Tod des Königs wieder an das Reich zurückfällt. Nach Kaiser Otto haben fünf weitere Könige diese Vergabe von Grabs und Lims an Einsiedeln bestätigt. Zum Reichsgut zählen die Kirche mit den Zehnten, das Land mit allen Höfen, Gebäuden, Zinsen, Ländern, Äckern, Wiesen, Weiden, Wäldern, Seen, Bächen, Mühlen und Teichen. In Grabs und Gams leben Menschen, die ver-
19 DIE ZEIT DER ADLIGEN | 1200 BIS 1485
Innovationen im Rheintal um 1200
liehene Reichsfreiheiten geniessen und somit unabhängiger sind als die Leibeigenen auf den Höfen. Um 1200 spricht ein Grossteil der Bevölkerung noch keineswegs Deutsch, sondern einen altromanischen Dialekt.
In Buchs liegen Königsgüter, die einst zu Einsiedeln gehörten. Sie bestehen aus der Kirche mit Äckern, Wiesen und Zehnten sowie dem Hof Räfis mit Wiesen, Weingärten, Huben, Wäldern und einer Mühle. Die Bodenerträge müssen vor Ort eingezogen, gelagert und verwaltet werden. Den Boden besitzen in der Regel nie die Bauern, die ihn bewirtschaften, denn Nichtadlige können weder Grund noch Boden ihr Eigentum nennen.
Bestimmend im Rheintal sind darum neben den Klöstern die Adligen. 1182 übernimmt Graf Hugo I. einen Teil des Erbes der Grafen von Bregenz. Aus den ersten zwanzig Jahren nach Erbantritt siegelt er keine einzige Urkunde, vielleicht hat er sich, wie viele Ritter jener Zeit, einem Kreuzzug angeschlossen. Der Papst hat sich beinahe wahnhaft dem Ziel verschrieben, das Heilige Land mit Waffengewalt aus muslimischer Herrschaft zu befreien und motiviert tausende Adlige, als Kreuzritter in Richtung Jerusalem zu ziehen. Viele kehren nie mehr zurück. Der Bregenzer Graf Hugo I. überlebt sein kriegerisch-kirchliches Engagement, denn nach 1200 lässt er Feldkirch zu einer Stadt ausbauen und auf dem Bergrücken darüber die Schattenburg errichten. Zudem unterstützt er den Verkehr über den Arlbergpass und erwirbt in Buchs Rechte und Güter als neuen Lehensbesitz.
Im mittleren Rheintal ist noch ein anderer Adliger aktiv. Der aus dem süddeutschen Raum stammende Freiherr Heinrich II. von Sax gibt um 1206 den Auftrag, die Burg Hohensax sowie möglicherweise Burg Forstegg zu errichten. Zudem fördert er die Rodungsarbeit. Die Wälder in diesem Gebiet sind weder im Besitz des Klosters Einsiedeln noch in jenem der Grafen von Bregenz. Um die Standorte der Burgen hat sich bestimmt auch Bruder Ulrich von Sax, der aktuelle Abt des Klosters St. Gallen, bemüht.
Noch während der Bauzeit von Hohensax begibt sich der Bauherr Heinrich II. auf einen Kriegszug nach Spanien. Das liegt etwas weit weg, denn Gegner würde er auch in der Nähe finden. Die neu entstehenden Burgen sind dem Bregenzer Grafen Hugo I. ein Dorn im Auge. Während der langen Abwesenheit des Saxers taucht er mit seinen Kriegern vor der im Bau befindlichen Burg Hohensax auf und beginnt mit dem zerstörerischen Abbruch. Nicht einmal in der Karwoche lässt er die Waffen ruhen, wie es die kirchliche Bestimmung vorschreibt. Auch der Bruder des abwesenden Saxers kümmert sich trotz seiner Funktion als Abt nicht besonders
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um die kirchlichen Friedensregelungen. In aller Eile lässt er Truppen zusammenziehen und verhindert erfolgreich die Zerstörung des Baus. Nach seiner Rückkehr aus Spanien gelingt es dem Freiherrn Heinrich II. von Sax, mit Forstegg, Hohensax und der Wildenburg eine kleine Herrschaft zu etablieren.
Um 1208 taucht in drei Urkunden erstmals der Name Montfort auf. Der Bregenzer Graf Hugo I., Herr über die Schattenburg und die Stadt Feldkirch, gibt seinem Geschlecht diesen Prunknamen. Montfort bedeutet «starker Berg» und ist Hinweis darauf, dass auch er im mittleren Rheintal Besitz und Rechte sichern und eine Grafschaft aufbauen will. Das Erstellen weiterer Burgen wird dafür unerlässlich sein.
Klosterbesitz Güter und Boden eines Klosters, müssen nicht mehr an das Reich oder an den König zurückgegeben werden
Reichsgut dem Reich gehörende Güter, können vom König oder Kaiser verliehen und als Lehen vergeben werden
Königsgüter Güterbesitz des jeweils regierenden Königs, können in der Königsfamilie weitervererbt werden
Huben grosse Landstücke, Acker-, Weide-, Wiesen- oder Gartenflächen, auf denen aber keine Gebäude stehen
Leibeigene unfreie Menschen, gehören Adligen oder Klöstern, sind aber keine Sklaven
Meier Verwalter von Höfen der Adligen oder Klöster
Zehnten ursprünglich Steuer an die Kirche, später von den Besitzern der Kirche auch für sich selbst eingezogen, zehnter Teil des Bodenertrags
Kreuzzug kriegerische Rückeroberung des Heiligen Landes für die christliche Kirche
Muslime Gläubige der Lehren Mohammeds, um 1200 Bezeichnung für arabische Bevölkerung
Herrschaft Verwaltungsgebiet eines Freiherren
Grafschaft Verwaltungsgebiet eines Grafen
21 DIE ZEIT DER ADLIGEN | 1200 BIS 1485
Der christliche Glaube dominierte im Mittelalter das Leben in Europa. In den Raum der Ostschweiz brachten ihn nach 610 die aus Irland kommenden Glaubensboten Kolumban und Gallus. In der Folge entwickelten sich bedeutende Klöster wie St. Gallen, Einsiedeln, Pfäfers, Mehrerau bei Bregenz oder St. Johann im Obertoggenburg. Kirchliches Oberhaupt war der Papst, der sich als Nachfolger des Apostels Petrus verstand. Im Jahr 800 krönte Papst Leo III. erstmals einen König zum Kaiser: Karl den Grossen, dessen Reich weite Teile
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Europas umfasste. Für den Aufbau einer staatlichen Einheit mit straffer Verwaltung waren die Distanzen und Informationswege zu gross, weshalb die Könige das Reich in kleinere Gebiete aufteilten und sie mit zugehörigen Rechten als Lehen an Adlige und Klöster vergaben. Dafür verlangten sie eine durch Eid garantierte Treue. Adlige unterstützten mit kriegerischen Mitteln den Machterhalt der Könige, die Klöster übernahmen die Aufgabe, Zentren der Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und des Glaubens zu sein. Ab dem Jahr 1000 steckten Adlige vermehrt Söhne in die Klöster, um sie vom Erbe auszuschliessen. Rasch galten Arbeit, Bildung und Beten nicht mehr als die wesentlichsten Bestandteile des Klosterlebens. Mönche nannten sich Chorherren und waren sich gewohnt, zu reiten und mit Waffen umzugehen. Lesen und schreiben konnten bald nur noch wenige.
Macht, Politik und Steuern
um 1210
Alljährlich brechen Männer von Gams, Grabs und Buchs auf, um mit ihren Saumtieren einen Teil der Zehnten zu den kirchlichen Herren in Einsiedeln zu transportieren. Im Urbar, dem klösterlichen Besitzverzeichnis, ist genau aufgelistet, in welcher Form die Steuern zu entrichten sind: 268,5 Käselaibe aus Gams, 224 aus Grabs und 39 aus Buchs, dazu kommen zahlreiche Ellen Tuch, Filz, Tierhäute sowie Bohnen. Den Einzug der Abgaben organisiert der äbtische Verwalter, der Meier. Er entscheidet, wie viel nach Einsiedeln geliefert und was an Ort verbraucht wird. Weil sein Amt inzwischen vererbbar geworden ist, übernehmen vermehrt Ammänner diese Aufgabe. Das Kloster Einsiedeln besitzt das Kollaturrecht von Gams, Grabs und Buchs. Das Pfarramt ist mit einer Pfründe verbunden, dem Besitz von Boden, Gütern, Gebäuden und Eigenleuten und den Einkünften der Ortskirche. Die Zehnten der Pfründe stehen den amtierenden Pfarrherren zu, dafür müssen die Prediger dem Kloster wiederum Zins zahlen. Die Erträge aus den drei Kirchen erge-
23 DIE ZEIT DER ADLIGEN | 1200 BIS 1485
ben für das Kloster Einsiedeln jährlich 24 Käselaibe, 2 Filzstücke und 2 Tierhäute.
Der Saumtross wählt auf seinem Weg nach Einsiedeln den Pfad von Gams her über Wildhaus und durch das Toggenburg. Auf der Passhöhe bei Wildhaus sehen die Säumer Rodungsbauern bei ihrer Arbeit. Es sind Eigenleute des Klosters Einsiedeln oder der Freiherren von Sax. Hoch auf einem Felsbrocken thront die neue Wildenburg, ein Wohnturm der Saxer Freiherren. Mit ihm soll die Route über Wildhaus und das nutzbar gemachte Land im obersten Toggenburg gesichert werden. Auf solche Wohntürme sind die Adligen auch auf ihren Reisen angewiesen, sie dienen ihnen als befestigte Stützpunkte und Unterkünfte. Nur hinter dicken und starken Mauern fühlen sie sich geschützt.
Auf ihrer Route treffen die Männer vereinzelt auf andere Gruppen. Manchmal sind es Händler mit Säumern, begleitet von Soldaten, welche die Personen und ihre Ware behüten. Sie begegnen Pilgern auf ihrer Fahrt nach Einsiedeln oder gar Gläubigen, deren Wallfahrtsziel die Heilige Stadt Rom ist. Einmal kreuzen sie einen Trupp von Mönchskriegern. Das weisse Kreuz auf rotem Grund kennzeichnet sie als Johanniter, Mitglieder eines im Heiligen Land entstandenen Ritterordens, die sich als wohltätige Mönche und todesmutige Krieger verstehen. Ihr Ziel ist die Johanniterkommende in Feldkirch, die Graf Hugo I. von Montfort 1218 gestiftet hat. Die Kommende bietet den Johannitern eine Herberge mit Stallungen, eine Kirche sowie ein Spital. Um deren Unterhalt zu bestreiten, hat der Graf dem Ritterorden die Einkünfte aus dem Klostertal übertragen. Seither benutzen immer mehr Reisende den Arlbergpass, um nach Tirol zu gelangen. Das beschert Feldkirch wiederum Einkünfte und Bedeutung.
Auf der Hochebene im oberen Toggenburg liegt St. Johann, ein Kloster mit weit verstreutem Besitz im unteren Toggenburg, am Zürichsee und in Vorarlberg. Die hier wohnenden klösterlichen Eigenleute roden neue Gebiete, was zu Konflikten führt, denn im oberen Toggenburg beanspruchen die Freiherren von Sax ebenso wie die Grafen von Montfort Boden und Rechte und beauftragen ihre Hörigen, strenge Rodungsarbeiten zu verrichten. Klöster besitzen stets einen ritterlichen Beschützer. Eine halbe Stunde vom Kloster entfernt, dort wo die Thur in eine kurze Schlucht gedrängt wird, erhebt sich auf einem Sporn die Burg Starkenstein, der Sitz des Schirmherrn und Klostervogts. Die Schutzherrschaft über ein Kloster ist mit Prestige verbunden und ein Zeichen der Stärke. Der Vogt auf Starkenstein waltet als Dienstherr des Grafen von Toggenburg. Die Freiherren
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von Sax ihrerseits sind Schirmvögte der Klöster Churwalden, Disentis und Pfäfers.
Bis die Leute aus Gams, Grabs und Buchs mit ihren Käselaiben, den Früchten und Tüchern in Einsiedeln eintreffen, werden sie noch durch mehrere Herrschaften ziehen, an anderen Klöstern vorbeikommen und weitere, neu erbaute Burgen sehen. Da die Steuern weitgehend aus Naturalgaben und Esswaren bestehen, beschert deren Abgabe den Steuerpflichtigen oft viel Tragarbeit und weite Marschstrecken.
Elle altes Naturmass, rund 45 Zentimeter
Urbar Verzeichnis der Besitzrechte, später auch von Grenzsteinen und Wegen
Ammann Vorsteher eines Dorfes
Kollatur Recht, den Pfarrherren einer Kirchgemeinde zu bestimmen
Pfründe Einnahmen aus Besitz einer Kirchgemeinde
Johanniter Ritterorden mit Mönchskriegern
Kommende Klostereinrichtung für die Beherbergung von Mitgliedern eines Ritterordens
Pilger Personen auf Wanderschaft zu einem heiligen Ort als Busse, zum Sündenerlass, zur Bitterfüllung oder aus tiefem Glauben
Schirmvogt vom König, Grafen oder Freiherrn eingesetzte militärische Beschützer eines Klosters
25 DIE ZEIT DER ADLIGEN | 1200 BIS 1485
Um 1228 gab Graf Hugo I. von Montfort den Auftrag für den Bau einer Burg am Fuss des Buchserbergs. Wahrscheinlich hatte er das Werk zusammen mit seinem älteren Sohn Rudolf geplant, den er mit Clementa, einer Tochter der mächtigen Kyburger verheiraten konnte. Gleichzeitig erfuhr die Burg Sargans in seinem Auftrag einen Ausbau. Der Bau der hohen Türme und repräsentativen Wohnbereiche erforderte die Handwerkskunst und das Sachverständnis von Facharbeitern. Leibeigene mussten Frontage leisten, transportierten
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mit ihren Ochsenkarren Holz, Mörtel und Gesteinsbrocken zur Baustelle und erledigten dort harte Arbeit. Die Bauzeit für die Burg bei Buchs dürfte gemäss bauhistorischen Untersuchungen rund sieben Jahre gedauert haben. Das Bild aus der schweizerischen Gründungsgeschichte mit geknechteten Bauern, welche unter Peitschenhieben die Burg Zwing Uri zu errichten hatten, entspricht kaum den historischen Tatsachen. Früher wie heute entstehen Engagement und Motivation nicht durch Demütigung und Unterdrückung.
Es sind ausgewiesene und erfahrene Fachkräfte, die mit dem Errichten der Burg beauftragt werden. Als Erstes gilt es, alles zu roden, was die Baustelle und den Transport behindern könnte. Auf dem grossen Bauplatz muss nicht viel Erde entfernt werden, denn die Arbeiter stossen rasch auf eine feste Gesteinsschicht, die heute als Garschellafels bezeichnet wird. Es ist ein Ablagerungsgestein mit sandiger Zusammensetzung, Einschlüssen von Kieseln sowie Schichten mit hartem, dichtem dunkelbraunem bis schwarzem Kalksandstein.
Den Felsen am Burghügel verwenden die Steinhauer, um daraus die Mauerquader herzustellen. Der Abbau ist oft mühsam, denn es fehlen Schichtfolgen, die den Bruch flacher Platten erleichtern würden. Der Kalk für das Brennen des Mörtels wird ebenfalls in kleineren Steinbrüchen, einige Minuten von der Baustelle entfernt, gewonnen. Die grossen Mengen an Holz, welche die Zimmerleute für die Zwischenböden und den Dachaufbau benötigen, schlagen sie in den umliegenden Wäldern. Das Mauer-
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Bau der Burg Werdenberg um 1220
werk selbst entsteht direkt auf dem vorhandenen Garschellafels. Im Keller des Palasgebäudes wird dies sogar sichtbar bleiben. Zu einer Burganlage gehört ein mehrstöckiger Turm mit Weitsicht, der Bergfried. Sein Gemäuer erhält eine Stärke von zwei Metern. Ebenso dick wird der Steinmantel des Wohngebäudes, Palas genannt. Verbunden sind die beiden Bauteile der Anlage mit der Ringmauer, die einen Innenhof umfasst. Sie wird mit über drei Metern Breite noch massiver.
Alle Mauern sind zweischalig. Die äussere Schale baut sich aus erstaunlich grossen Quadern auf, für die innere Schale verwenden die Bauleute kleinere, sauber zugehauene Steine. Den Raum zwischen den beiden Schalen füllen sie mit Splittern und Brocken, die beim Herstellen der Mauersteine abfallen und vermischen sie mit Mörtel. Die Felsquader werden lagig gefügt, also streng auf eine waagrechte Linie gesetzt, verbaut und die Fugen teilweise mit Mörtel verstrichen. Je höher die Mauern, desto anspruchsvoller ist es, die schweren Steine auf die Mauerkrone zu hieven. Dazu sind stabile Gerüste und lange Hanfseile notwendig. Klemmzangen halten die mächtigen Quader, wenn sie nach oben gezogen werden.
Im Erdgeschoss des Bergfrieds befindet sich ein fensterloser Keller von sieben Metern Höhe. Wer ihn betreten will, muss über eine Leiter vom ersten Stock hinabsteigen. Über dem Keller befindet sich die grosse Gewölbeküche. Den nur über Leitern erreichbaren Raum über der Küche bewohnen manchmal bewaffnete Knechte. Die oberste Plattform, die einen freien Überblick über das weite Land ermöglicht, erhält einen Zinnenkranz. Der einzige Zugang zum Bergfried befindet sich nicht am Boden, sondern im ersten Stock und führt direkt in die Küche. In den Turm würden sich die Bewohner der Burg nur im äussersten Notfall zurückziehen. Er ist der sicherste Ort der Anlage.
Vermutlich folgt nach der Vollendung des Bergfrieds ein Bauunterbruch. Einige Jahre später wird eine mächtige Ringmauer erstellt, innerhalb derselben entstehen die Wohnräume.
Der Palas kommt auf zwei mächtigen und hohen Kellern zu stehen. Im ersten Stock liegen zwei in ihrem Volumen ähnliche Räume, die jeweils eine Feuerstelle am Boden der äusseren Längswand aufweisen. Ein Grossteil der Wärme steigt in den trichterförmigen Rauchfang und gelangt durch die in der Aussenmauer eingelassenen Kamine ins Freie. Der grössere Raum erfüllt den Zweck eines Prunksaals der Adligen, es handelt sich um den Rittersaal. Im Stockwerk darüber befinden sich drei Kammern.
Der Wohntrakt würde ein durchaus angenehmes Leben ermöglichen, und
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die Burg erfüllt alle sicherheitstechnischen Voraussetzungen, doch die Geschichte wird zeigen: Solange Adlige in ihrem Besitz sind, bleibt die Burg die meiste Zeit unbewohnt, kalt und leer. Für die Grafen ist die Wehranlage am Fuss des Buchserbergs nicht die einzige ihrer Art. Andere Regionen gewinnen an Bedeutung, eine Burg nördlich des Bodensees erfüllt ihren Zweck für längere Zeit als Wohnsitz der gräflichen Familie.
Der Zwinger, ein der Burg angebauter Raum, sichert den Zugang in den offenen Innenhof. Er besteht aus einem länglichen, überdeckten Gang, dessen Aussen- und Innentüre mit schweren, in Mauern eingelassenen Balken verriegelt werden kann. Unwillkommene Besucher oder Feinde müssen im Zwinger eine tendenziell unfreundliche Begrüssung der gröberen Art erwarten. Die flachen Dächer von Palas und Zwinger sind mit schweren Schieferplatten bedeckt. Die Burg erhält die Funktion eines grossen Lagerorts für die abgegebenen Erträge der Eigenleute, bildet fortan einen geschützten Ort für seine Besitzer und ein weithin sichtbares Zeichen ihres Reichtums und ihrer Macht.
Fronarbeit meist vertraglich festgehaltene Arbeit ohne Bezahlung
Kyburger bedeutendes Hochadelsgeschlecht in der Ostschweiz, Stammburg bei Winterthur, stirbt 1263 im Mannesstamm aus
Mörtel Kalk, Sand und Wasser als Bindemittel für den Mauerbau
Bergfried Turm einer Burg, Eingangspforte in sieben Metern Höhe, besitzt nur schmale Licht- und Luftschlitze, sogenannte Luziden
Palas Wohngebäude einer Burg, meist mit Kellern, einem Rittersaal und mehreren Schlafkammern, im oberen Bereich mit Fensteröffnungen
Zwinger erster Raum einer Burg, der alle Besucher zwingt, dort durchzugehen, bietet Möglichkeiten zur Verteidigung
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Fragen rund um das Thema Eheschliessung sind politisch und gesellschaftlich aktuell. Die verschiedenen Möglichkeiten des Zusammenlebens haben einen beachtlichen Variantenreichtum gewonnen. In westlich orientierten Gesellschaften entscheiden meist Verliebtheit und Liebe über die Wahl der Partnerinnen und Partner. Wenn heute in diesen Kulturkreisen die Eltern über die Heirat ihrer Kinder bestimmen wollten, wären Protest und Widerstand vorprogrammiert, und eine Vermählung Minderjähriger würde zu einem
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Gerichtsfall führen. Im Mittelalter hatten Kinder zur Eheschliessung wenig zu sagen, die Entscheidung traf ihr Vater oder der Vormund. Wegen der geringen Lebenserwartung wurden Frauen früh verheiratet. Die adligen Väter sahen in der Vermählung ihrer Kinder eine wesentliche Strategie zur Gebietssicherung und Machtentfaltung. Mit Verlobungen vor der Geschlechtsreife konnten wichtige Bündnisse und Verträge vorsorglich fixiert werden.
Hugo I. von Montfort entwickelt und sichert mit den Burgen bei Buchs und Sargans sowie der Förderung der Stadt Feldkirch die Grafschaft. Durch die Ehe mit seiner ersten Frau Mechthild von Eschenbach-Schnabelburg, die drei Söhne zur Welt bringt, entstehen zusätzlich wichtige Verbindungen zum Raum Zürich. Durch die Heirat mit seiner zweiten Frau, Mechthild von Wangen, ergeben sich Beziehungen zum Vintschgau, zwei weitere Söhne und drei Töchter kommen dazu. Die beiden Söhne aus erster Ehe werden für das weltliche Leben und das Erbe auserkoren, die drei aus der zweiten Ehe sind für kirchliche Karrieren vorgesehen und somit vom Erbe ausgeschlossen. Die älteste Tochter verheiratet Graf Hugo I. mit einem Adligen aus dem Engadin, die zweite mit dem Bündner Freiherrn von Vaz, die Jüngste mit einem Grafen im süddeutschen Raum. Sie heiratet dreimal in ihrem Leben, ihre Gatten sterben früh. Die Ehen seiner Töchter sichern wichtige Machtverbindungen und bedeuteten deshalb keineswegs nur ein Verlustgeschäft, obwohl die Mitgift kaum bescheiden ausfällt.
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Clementa von Kyburg um 1230
Bei seinen zwei Erbfolgern muss der Vater auf eine besonders vorteilhafte, gebietserweiternde Verheiratung achten. Durch die arrangierte Ehe seines älteren Sohns Rudolf mit Clementa von Kyburg gelingt ihm eine überaus bemerkenswerte Verbindung, die Kyburger gelten als mächtigstes Geschlecht im Raum der heutigen Ostschweiz. 1228, zum Zeitpunkt der Hochzeit von Rudolf und Clementa, fasst deren Vater, Werner I. von Kyburg, einen verhängnisvollen Entschluss: Mit dem Heer des Kaisers Friedrich zieht er als Kreuzritter in Richtung Jerusalem. Dieser fünfte Kreuzzug endet erstaunlich unblutig, doch der Kyburger kehrt nicht zurück. Die Umstände seines Todes sind ungewiss, sein Grab soll sich in der Stadt Akkon im Heiligen Land befinden.
Die beiden Väter haben gewiss frühzeitig die Höhe und Art der Mitgift vereinbart, die Vater Werner seiner Tochter übergibt. Damit scheidet sie aus dem Hausverband der Kyburger aus. Weil die Mitgift den Vorbezug ihres Erbes darstellt, verliert die Tochter normalerweise alle weiteren Ansprüche. Der Ehemann geniesst ein beschränktes Verfügungsrecht über die Mitgift. Mit der Heirat kommt Clementa von Kyburg unter die Munt ihres Ehemanns Rudolf I. von Montfort. Sie und die gemeinsamen Kinder zu schützen, ist die Aufgabe des neuen Hausherrn, dafür aber muss sie sich ihm unterwerfen. Er hat das Recht, sie zu schlagen, sollte Clementa sich seinem Willen widersetzen. Zudem muss eine Ehefrau sich bei einem Gerichtsfall von ihrem Gatten vertreten lassen. Wird ein Sohn 21 Jahre alt oder verheiratet und somit mündig, verlässt er den Schutz und die Bestimmungsgewalt seines Vaters. Die Frauen hingegen bleiben zeitlebens unter Vormundschaft. Einzig als vermögende Witwen erlangen sie eine gewisse Autonomie. Das Gesinde einer Adligenburg untersteht zeitlebens der Munt ihres Herrn.
Nach der Hochzeit entrichtet der Ehemann die Morgengabe. Bei der Braut muss dazu der Verlust ihrer Jungfräulichkeit kontrolliert werden. Die Gabe besteht aus Geld, Schmuck, Vieh oder Grundstücken. Die Verfügungsgewalt wird bereits vor der Heirat ausgehandelt und bleibt oft in der Hand der Ehefrau. Die Morgengabe kann zusammen mit der Mitgift ihre persönliche Altersvorsorge bilden. Sie fällt aber an den Ehemann zurück, wenn die Gattin vor ihm stirbt oder keine Kinder gebären kann. Wiederverheiratete Witwen erhalten meist ebenfalls eine Morgengabe, obwohl die Jungfräulichkeit kaum Grund dafür sein dürfte. Wie damals üblich, behält die Frau auch nach der Heirat ihren vollen Namen. So nennt sich Clemen-
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ta weiterhin «von Kyburg». Ihr Gatte Rudolf I. siegelt zeitlebens mit dem Titel «Graf von Montfort».
Seinen Wohnsitz bezieht das Paar in Sargans. Drei Töchter und zwei Söhne werden ihnen geschenkt. Die Namen ihrer beiden Söhne bezeugen die gleichwertige Stellung der zwei Grafengeschlechter. Hugo ist typisch für die Montforter, Hartmann für die Kyburger Linie. Über die Verheiratung ihrer Töchter wird später Clementa entscheiden müssen, was ihr ziemlich viel Ärger und Ungemach bescheren wird.
Mitgift Gabe des Vaters an seine Tochter bei deren Heirat
Morgengabe vor der Ehe ausgehandeltes Geschenk des Gatten an seine Braut nach der Hochzeitsnacht
Munt Schutzaufgabe des Ehemanns gegenüber seiner Gattin, des Vaters gegenüber seinen Kindern, verbunden mit ihrer Unterwerfung, auch Schutzaufgabe des Vormunds gegenüber Witwen und Mündel
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Rudolf I. von Montfort versuchte nach dem Tod seines Vaters, zusammen mit dem jüngeren Bruder Hugo II. das Erbe zu verwalten. Hugo II. übernahm das väterliche Stammland zwischen Bregenz und Feldkirch, Rudolf wich auf die Güter zwischen Sargans, Werdenberg und dem Walgau aus. Für die drei Montforter Söhne aus zweiter Ehe hatte ihr Vater eine geistliche Laufbahn vorbestimmt. Somit blieb ihnen die Ehe verboten. Von ihrer Seite waren keine erbberechtigten Söhne zu erwarten, was aber keineswegs bedeutete,
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dass die kirchlichen Würdenträger keine eigenen Kinder gezeugt hätten. 1245 war der Streit zwischen Papst Innozenz und Kaiser Friedrich II. wegen Differenzen in der Kreuzzugsfrage derart eskaliert, dass der Papst den Kaiser absetzte, exkommunizierte und allen Adligen des Reiches die Nachfolge und Unterstützung des Entmachteten verbot. Dieser Streit führte zu kaum lösbaren Konflikten im Römisch-deutschen Reich und in der Montforter Familie zu einem Bruch.
Graf Rudolf I. von Montfort kann die neue Burg bei Buchs sowie die Burg Sargans als möglichen Familiensitz bewohnen. Sargans mit seiner Kirche, die dem Kloster Mehrerau bei Bregenz gehört, scheint für Rudolf I. strategisch besser gelegen. Für die Montforter ist das Hauskloster Mehrerau von grosser Bedeutung. Politisch hat Graf Rudolf Pläne, die sich eher nach Süden zu den Alpenpässen richten. Die Burg bei Buchs verfügt weder über einen Namen noch eine ihr zugehörige Kirche.
1243 begibt sich Graf Rudolf I. im Gefolge des Kaisers Friedrich II. auf eine Reise nach Italien. In dieser Zeit steht er an der Spitze des lokalen Adels im rätischen Raum. Mit etwas Glück sollte er seine Macht ausbauen und sichern können. Doch das Schicksal will es anders, denn bereits um
1244 stirbt Rudolf I. von Montfort. Die Gründe für seinen frühen Tod sind nicht bekannt. Er hinterlässt neben der Witwe Clementa von Kyburg fünf Kinder im unmündigen Alter. Clementa von Kyburg bleibt in Sargans und bezeichnet sich 1248 in einer Urkunde als «comitissa de Sanegans», Gräfin
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Differenzen im Haus Montfort um 1240