Werdenberger Jahrbuch 2021

Page 1

FormatOst Leseprobe

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Bilder, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen. © Verlag FormatOst www.formatost.ch



WERDENBERGE JAHRBUC

2021 Frauen

Beiträge zur Geschichte der Gemeinden Wartau, Sevelen, Buchs, Grabs, Gams und Sennwald

Historischer Verein der Region Werdenberg 34. Jahrgang


© 2021 by Verlag FormatOst, CH-9103 Schwellbrunn Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Radio und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten. Herausgeber: Historischer Verein der Region Werdenberg HVW Redaktion: Sarah Mehrmann (Leitung), Clara Müller, René Oehler, Hanna Rauber (Bildredaktion). Für den Inhalt der einzelnen Beiträge sind die Autorinnen und Autoren verantwortlich. Umschlagbild: Daniela Kneer-Heinz, Foto: Sarah Mehrmann Gestaltung: Brigitte Knöpfel Gesetzt in ITC Stone Serif Std und ITC Stone Sans Std Druckvorstufe: Verlagshaus Schwellbrunn Druck: Galledia AG, Flawil Bindung: BuBu AG, Mönchaltorf ISBN 978-3-03895-037-0 www.formatost.ch


Inhalt 6 Dank 8 An die Leserinnen und Leser 10 FOKUS 12 Werdenberger sagten erst 1972 Ja zum Frauenstimmrecht Heini Schwendener 28 Prof. Dr. Carl Hilty und die Frauen Otto Ackermann 38 Schlossfrauen eine Stimme geben Thomas Gnägi 46 Die heilige Anna der Kirche Salez Heinz Gabathuler 50 Grabser Beginen Claudia Finkele 56 «Hatte ich gehofft und gewünscht, wenn nur das Kind tot wäre» – Ein Kindsmordfall um 1900 Martina Sochin-D’Elia 64 Wackere Werdenbergerinnen René Oehler 68 Die Frauen vom Bahnhof Buchs Hanna Rauber 80 Zwischen Ersatzmutter und Angebeteter – Frauen(rollen) in der Gastronomie Sarah Mehrmann 90 Kicking Girls im FC Buchs Christoph Wick 92 Gemeinsam sind wir stark Alice Gabathuler 96 Porträts Michael Berger, Jolanda Fäh, Susanne Keller-Giger, Clara Müller 122 124 130 134 144 152 160 168 178

PANORAMA Ein Streit um die Hebamme in Wartau 1794 Martin Graber Objekt des Jahres: Eine alte Truhe Judith Kessler-Dürr Aufwertungsprojekt Rietli Buchs – Ein Lebensraummosaik Jürg Mäder und Rudolf Staub Die Gründung der Werdenbergischen Rettungsanstalt 1846 Clara Müller Zwischen Gold und Silber, zwischen Ober- und Unterland: Die Münzwirren im Fürstentum Liechtenstein 1874 –1878 Elias Quaderer Ein Landvogt auf der Suche nach einem Mörder Georg Schuler Buchbesprechungen Werdenberger Kulturschaffen: Von Prägungen und Heimat Sarah Mehrmann

186 CHRONIK 188 Vereinstätigkeit der HHVW/HVW Juli 2020 bis Juni 2021 Susanne Keller-Giger und Hanna Rauber 192 Schloss Werdenberg – Rückblick Juli 2020 bis Juni 2021 Thomas Gnägi 196 Jahresrückblick der Werdenberger Gemeinden Heidy Beyeler 206 Werdenberger Bevölkerungsstatisik 2019 und 2020 207 Kommunale Abstimmungen und Wahlen der Werdenberger Gemeinden 212 Unsere Verstorbenen 226 Abbildungsnachweis 228 Werdenberger Jahrbuch: Bisher erschienene Publikationen


DAN

Folgende Gemeinden, Firmen und Personen unterstützten die Herausgabe des Werdenberger Jahrbuchs 2021: – – – – – –

Politische Gemeinde Politische Gemeinde Stadt Buchs Politische Gemeinde Politische Gemeinde Politische Gemeinde

Wartau Sevelen Grabs Gams Sennwald


ACV Treuhand AG, Buchs, acv.ch Berufs- und Weiterbildungszentrum Buchs, Buchs, bzbuchs.ch Blattner-Vetsch Ruth, Ermatingen booksinbuchs GmbH, Buchs, booksinbuchs.ch Dr. med. Thomas Buchalla-Stüdli , Sevelen, praxisdrbuchalla.ch Eggenberger Haustechnik AG, Buchs Elektrizitätswerk Sennwald, Sennwald, ewsennwald.ch Graf Malerei AG, Buchs, grafmalerei.ch Hilty Mode AG, Buchs, trendhouse-hilty.ch Hotel Buchserhof, Buchs, Buchserhof.ch K + R Malerei AG, Sevelen, kundr.ch Kuhn Felix, dipl. Architekt ETH SIA, Buchs, felixkuhn.ch LANDI Werdenberg AG, Buchs, landiwerdenberg.ch L. Spreiter AG Baugeschäft, Sevelen, l-spreiter.ch Marty Gruppe, Azmoos/Sennwald, marty-gruppe.ch Meier-Joos Annamarie und Willi, Zürich Müko Gartengestaltung AG, Buchs/Mauren, mueko.ch Schrybi AG, Buchs, schrybi.com Secli Weinwelt AG, Buchs, secli-weinwelt.ch SLB MEDIA AG, Buchs, slbmedia.ch St. Galler Kantonalbank, Buchs, sgkb.ch Ungenannte Freunde /Gönner


An die Leserinnen und Leser Vor 50 Jahren wurde das Frauenstimmrecht in der Schweiz ange­ nommen – allerdings nicht im Kanton St. Gallen und im Werden­ berg. Wie die drei Abstimmungen zum Frauenstimmrecht in der Re­ gion polarisierten und wie sie ausgegangen sind, erläutert Heini Schwendener im Einstiegsartikel in den 34. Jahrgang des Werdenber­ ger Jahrbuchs. Im Fokus stehen auch in den weiteren Beiträgen die Frauen. Als Leitfaden dient die Frage, wie sich die Werdenbergerinnen ihren Platz in der Öffentlichkeit erobert haben. Ein früher Kämpfer für das Frauenstimmrecht in der Schweiz war der Staatsrechtler Carl Hilty, der sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts in verschiedenen Schriften dafür einsetzte, wie Otto Ackermann in seinem Beitrag auf­ zeigt. Zu den historischen Rückblicken gesellen sich Beiträge in un­ terschiedlichen Formaten, die thematisieren, welchen Platz die Frau­ en im Werdenberg zu verschiedenen Zeiten und an unterschiedlichen Orten in der Gesellschaft einnahmen. Thomas Gnägi berichtet über die Sonderausstellung Schlossfrauen, die während der Saison 2021 im Schlossmuseum Werdenberg zu sehen war. Ziel der Ausstellung war es, Frauen aus unterschiedlichen Jahrhunderten vorzustellen, die auf Schloss Werdenberg gelebt oder gearbeitet hatten. Heinz Gabathuler befasst sich in seinem Beitrag mit der Kirche Salez, der einzigen Pfarrkirche im Werdenberg, die unter dem Patronat einer weiblichen Heiligen steht. Auch Claudia Finkele widmet sich einem Thema aus dem Mittelalter, dem Beginenwesen. Sie zeichnet die Spu­ ren nach, die diese frommen Frauengemeinschaften in unserer Re­ gion hinterlassen haben. Martina Sochin-D’Elia beschreibt die Ge­ schichte von Anna, die im Jahr 1895 unehelich schwanger und dann des Kindsmordes angeklagt wurde. Auf diese tragische Geschichte folgt eine musikalische Spurensuche. René Oehler rekonstruiert die Herkunft des Werdenbergerlieds, in dem die Tüchtigkeit der hiesigen Frauen hervorgehoben wird. Diese kommt nicht von ungefähr – im Ersten Weltkrieg mussten die Frauen zu Hause «ihren Mann stehen», während die Männer Militärdienst leisteten. Trotz der eigenen Sor­ gen und Nöte setzten sich viele Werdenbergerinnen in Kriegs- und


Einleitung  9

Krisenzeiten auch für hilfsbedürftige Menschen aus den umliegen­ den Staaten ein, wie Hanna Rauber in ihrem spannenden Beitrag über die «Frauen vom Bahnhof Buchs» aufzeigt. Weiter finden sich vier Porträts, die verdeutlichen, auf welch unterschiedliche Art Wer­ denbergerinnen einen Platz in der Gesellschaft einnehmen konnten und können. Mit speziellen Rollenbildern und der Veränderung von Genderklischees beschäftigen sich Alice Gabathuler und Sarah Mehr­ mann. Auch der Panoramateil wird von einem Beitrag zum Thema Frauen eröffnet. Anhand eines Verhandlungsprotokolls vom April 1794 schildert Martin Graber einen Streitfall um die Entlöhnung der Wartauer Hebamme. Einem ganz besonderen Neujahrsgeschenk, nämlich einer alten, handbemalten Truhe aus dem Jahr 1803, wid­ met sich Judith Kessler-Dürr in der Rubrik Objekt des Jahres. Jürg Mä­ der und Rudolf Staub stellen das ökologische Aufwertungsprojekt der Scuola Vivante im Rietli Buchs vor. Weitere Themen im Panorama sind die Gründung der Werdenbergischen Rettungsanstalt, des heu­ tigen Lukashaus, vor 175 Jahren sowie die Münzwirren im Fürsten­ tum Liechtenstein 1874 – 1878. Georg Schuler erzählt in seinem Bei­ trag von einem Mordfall, der 1712 hohe Wellen schlug: Das Opfer war kein geringerer als der Sohn des damaligen Werdenberger Land­ vogts, der in der Folge alles daran setzte, den mutmasslichen Mörder zur Rechenschaft zu ziehen. Das Panorama schliesst mit der Rubrik Werdenberger Kulturschaffen. Sarah Mehrmann stellt die Buchser Künstlerin Daniela Kneer-Heinz und ihr aktuelles Projekt – Porträts von Frauen aus dem Werdenberg – vor. Viel Vergnügen bei der Lektüre! Vorstand HVW und die Redaktion



FOKU

Frauen 12 Werdenberger sagten erst 1972 Ja zum Frauenstimmrecht 28 Prof. Dr. Carl Hilty und die Frauen 38 Schlossfrauen eine Stimme geben 46 Die heilige Anna der Kirche Salez 50 Grabser Beginen 56 «Hatte ich gehofft und gewünscht, wenn nur das Kind tot wäre» – Ein Kindsmordfall um 1900 64 Wackere Werdenbergerinnen 69 Die Frauen vom Bahnhof Buchs 80 Zwischen Ersatzmutter und Angebeteter – Frauen(rollen) in der Gastronomie 90 Kicking Girls im FC Buchs 92 Gemeinsam sind wir stark 96 Porträts


Heini Schwendener

Werdenberger sagten erst 1972 Ja zum Frauenstimmrecht Lang und steinig war der Weg zur politischen Gleich­berechtigung der Schweizer Frauen. 1959 wurde das Frauenstimmrecht an der Urne abgelehnt, 1971 gab es im zweiten Anlauf endlich ein Ja – allerdings nicht im Kanton St. Gallen und im Werdenberg. Blicken wir zurück auf die Geschichte des Frauenstimmrechts sowie die damalige lokale Berichterstattung über die drei Abstimmungen von 1959, 1971 und 1972.

Frauen können wählen und abstimmen. Heute scheint dies zu Recht eine Selbstver­ ständlichkeit zu sein. In der Schweiz war dafür allerdings ein langer Kampf notwen­ dig. Ausgerechnet in unserer Musterdemo­ kratie taten sich die Männer schwerer als andernorts, den Frauen die politische Gleichberechtigung zu gewähren. Vor fünfzig Jahren, am 7. Februar 1971, war es dann aber doch soweit: Die Schweizer – in diesem Fall explizit nur die Männer – sag­ ten an einer eidgenössischen Urnenab­ stimmung Ja zum Frauenstimmrecht. Davor war unser Land viele Jahr­ zehnte ein Unikum in der politischen Landschaft des Westens, hatten doch spä­ testens nach dem Zweiten Weltkrieg die letzten Länder die politische Gleichbe­ rechtigung der Frauen vollzogen. Ausnah­

men bildeten die Schweiz, das diktato­ risch regierte Portugal (Einführung des vollen Frauenwahlrechts um 1976) und die kleinen Fürstentümer Monaco (Ein­ führung 1963) und Liechtenstein (Einfüh­ rung 1984).

Abstimmungen nur auf Druck von unten Warum dauerte es in der Schweiz so lange bis zur Einführung des Frauenstimm­ rechts? Die Historikerin Elisabeth Joris, die als eine der Ersten die Geschichte der Schweizer Frauen erforscht hat, sagte in einem Interview auf diese Frage, das liege auch an der direkten Demokratie in der Schweiz:


Werdenberger sagten erst 1972 Ja zum Frauenstimmrecht  13

In keinem anderen Land musste die Mehrheit der Männer von den Frauen überzeugt werden, ihre Privilegien abzugeben. Das war aber nur ein Grund. In all unseren Nachbarländern haben die Regierungen selbst die Initiative ergriffen. In der Schweiz hin­ gegen kamen beide Abstimmungen nur auf Druck von unten zustande, sowohl 1959 als auch 1971.1

Weil in der Schweiz das Volk bei Sachvor­ lagen mitentscheiden kann, bedurfte die Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Frauen auf kommunaler, kantonaler und eidgenössischer Ebene jeweils der mehrheitlichen Genehmigung der stim­ menden Männer. Bei eidgenössischen Vorlagen war zudem das Ständemehr not­ wendig. In den Zeiten des gesellschaftli­ chen Aufbruchs nach den beiden Welt­ kriegen verhielten sich die Schweizer Stimmbürger bei kantonalen Abstimmun­ gen mehrheitlich konservativ und lehn­ ten beim eidgenössischen Urnengang von 1959 mit einer Zweidrittelmehrheit das Stimm- und Wahlrecht für Frauen ab. Die Eidgenössische Kommission für Frauen­ fragen schrieb in einer historischen Ab­ handlung: Es ist fraglich, ob die politische Gleichstellung der Frau viel früher verwirklicht worden wäre, wenn in der Schweiz – wie in repräsentativen Demokratien – allein das Parlament hätte entscheiden können. Die Mehrheit der Parlamentarier stand dem Stimmund Wahlrecht für Frauen nämlich lange Zeit ablehnend oder gleichgültig gegenüber. Aber auch Bundesrat und Verwaltung trugen mit der schleppenden Behandlung der Frauenstimmrechtsfrage dazu bei, die politi-

sche Gleichstellung der Frauen während langer Jahre zu verhindern.2

Die neue Bundesverfassung von 1848 garantierte den Schweizer Männern das allgemeine und direkte Stimm- und Wahl­ recht. Hingegen blieben die Frauen von der politischen Mitbestimmung ausge­ schlossen. Vorstösse, die Verfassung neu zu interpretieren und den Begriff «Schwei­ zer» ohne Ausnahme auf Männer und Frauen auszudehnen, scheiterten am Wi­ derstand der politischen Behörden und des Bundesgerichts. Dieses hielt ein Jahr­ hundert lang daran fest, dass unter dem Begriff «Schweizer» in den Verfassungsbe­ stimmungen über das Wahl- und Stimm­ recht nur Männer zu verstehen seien. Seit Mitte der 1880-er Jahre gab es vereinzelte Stimmen von Staatsrechtlern, Sozialreformern und Politikern, die sich für die politische Gleichstellung der Frau einsetzten. 1893 forderte dann der Schwei­ zerische Arbeiterinnenverband offiziell das Frauenstimm- und -wahlrecht.

Wahlrecht zuerst beschnitten, dann abgelehnt Als erste Partei bekannte sich 1912 die So­ zialdemokratische Partei der Schweiz (SPS) an ihrem Parteitag in Neuenburg auf Drängen des Arbeiterinnenverbandes offi­ ziell zum Stimm- und Wahlrecht für Frau­ en. Im gleichen Jahr verlangte im St. Gal­ ler Grossen Rat die SP-Fraktion in einer Motion die Ausdehnung des kantonalen Stimm- und Wahlrechts auf die Frauen. Diese Forderung wurde beschnitten auf die Wählbarkeit von Frauen in Schul- und


14  Heini Schwendener

Diese beiden Stimmzettel lagen lose in der gebundenen W&O-Ausgabe des Jahres 1959.

Kirchenbehörden und erst neun Jahre später, am 4. September 1921, zur Urnen­ abstimmung gebracht. Die St. Galler Män­ ner lehnten selbst diese minimalen politi­ schen Frauenrechte deutlich ab.3 Zur Jahreswende 1918/19 schien das Stimm- und Wahlrecht für Frauen näher zu rücken. Denn inzwischen hatten die skandinavischen und angelsächsischen Länder, die Nachbarstaaten Deutschland und Österreich und viele andere Natio­ nen zwischen 1913 und 1919 den Frauen das Wahlrecht gewährt. Schnell stabili­ sierte sich jedoch die bürgerliche Gesell­ schaft wieder, und das Thema der politi­ schen Gleichstellung verschwand von der politischen Agenda der Schweiz. Abstim­ mungen über das Stimm- und Wahlrecht für Frauen in den Kantonen Neuenburg, Basel-Stadt, Glarus, St. Gallen, Genf und Zürich ergaben nach heftigen Debatten durchwegs ablehnende Resultate. Nach dem Ende des Zweiten Welt­ kriegs verliefen Abstimmungen über das Frauenstimmrecht in neun Kantonen ne­ gativ, darunter auch in St. Gallen. Andrea Scheck, Präsidentin der SP-Frauen des Kantons St. Gallen, schrieb dazu: «1947 verhandelte der St. Galler Grosse Rat wie­ der über das Frauenstimmrecht, befeuert

von der Argumentation, die grossen Leis­ tungen der Frauen während der Kriegs­ jahre müssten so gewürdigt werden – ver­ geblich.»4 1950 schlug CVP-Nationalrat Peter von Roten bei der Revision des National­ ratswahlgesetzes vor, den Frauen sei das passive Wahlrecht zu gewähren. «Die Idee sorgte für einen Skandal, das Ehepaar von Roten gerät in seinem Heimatkanton Wal­ lis in massive Kritik», notierte die Journa­ listin Anna Miller in ihrer Chronologie «50 Jahre Frauenstimmrecht». Die beiden Juristen liessen sich aber nicht unterkrie­ gen, Iris von Roten wurde zu einer «Ikone der Frauenbewegung». Der Nationalrat lehnte den Vorschlag von Rotens als «ab­ surde Idee» ab, «doch der Stein für eine Änderung der Bundesverfassung kommt ins Rollen».5

Niederschmetterndes Resultat am 1. Februar 1959 Angesichts der Reaktion des Nationalrates auf Peter von Rotens Vorschlag und ange­ sichts der vielen Nein zum Frauenstimm­ recht bei kantonalen Abstimmungen stand der eidgenössische Urnengang vom


Werdenberger sagten erst 1972 Ja zum Frauenstimmrecht  15

1. Februar 1959 unter keinem guten Stern. Erstmals konnten die Schweizer Männer über die Einführung des Stimm- und Wahlrechts für Frauen auf Bundesebene abstimmen. Das Resultat war ernüchternd bis niederschmetternd für fortschrittlich denkende Bürgerinnen und Bürger. Bei den auf dem Status quo beharrenden Kräf­ ten löste es hingegen Freude aus: 654 939 (66,9 Prozent) Nein gegen 323 727 (33,1 Prozent) Ja bei einer Stimmbeteiligung von 66,7 Prozent. Einzig die Kantone Waadt, Genf und Neuenburg stimmten der Vorlage zu.6 Betrachten wir nun die damaligen Ereignisse auf regionaler Ebene. Wie ha­ ben sich die St. Galler und Werdenberger Männer vor der eidgenössischen Abstim­ mung von 1959 ihre Meinung gebildet? Wie lauteten die Argumente der Befür­ worter und der Gegner? Was meinten die Frauen? Wie ging die Abstimmung aus? Beantwortet werden diese Fragen anhand der damaligen Berichterstattung der Lo­ kalzeitung Werdenberger  & Obertoggen­ burger (kurz W&O).

Erinnerungen von Gertrud Künzler, Grabs, Jahrgang 1939 Mein Vater ist früh gestorben, und meine Mutter hatte neun Kinder zu versorgen. Da habe ich realisiert, wie wenig Rechte Frauen hatten. Bei der Abstimmung 1959 arbeitete ich in Lausanne. Dort wurde das Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene angenommen. Später, zurück in der Deutschschweiz, fand ich es schlimm, dass es hier viele Frauen gab, die das Stimmrecht nicht wollten – aus Angst oder aus religiösen Gründen, denn die Katholiken waren eher dagegen. Ich habe in Vereinen und im persönlichen Umfeld indirekt für das Frauenstimmrecht geworben. Mir war klar: Ohne Frauenstimmrecht würde auch das Eherecht nie erneuert, was wichtig für die Gleichberech­tigung der Frauen war.

Einige Vorbemerkungen sind aller­ dings nötig: Der W&O von 1959 – glei­ ches gilt für 1971 (zweite eidgenössische Abstimmung) und 1972 (kantonale Ab­ stimmung) – ist nicht mit dem W&O von heute zu vergleichen. Unterschiedliche journalistische Darstellungsformen (Be­ richte, Kommentare, Reportagen, Leitarti­ kel, Interviews, Bilder, aber auch Leserbrie­ fe) gab es damals noch nicht beziehungs­ weise nur sehr selten. Meist war nicht ein­ mal klar, wer einen Artikel verfasst hatte. Die Lokalberichterstattung nahm nur ei­ nen kleinen Teil der Zeitung ein. Die meis­ ten Artikel beinhalteten reine Nachrich­ ten, Einordnungen und Debatten zu wich­ tigen politischen Themen waren selten. Unter dem Titel «Im rechten Maß ins neue Jahr» schwadronierte Nationalrat Dr. Ernst Boerlin, Liestal, darüber, welche Probleme es 1959, einem Jahr mit eidge­ nössischen Wahlen, auf wirtschaftlichem, militärischem, sozialem und geistigem Gebiet besonders zu beachten gelte. In seiner Tour d’Horizon erwähnte Boerlin die bevorstehende Abstimmung über das Frauenstimmrecht mit keinem Wort.7 Tage später war dann tatsächlich ein Teil der W&O-Titelseite dieser Abstim­ mung gewidmet.8 «Gedanken zur Abstim­ mung über das Frauenstimmrecht» laute­ te die Überschrift. Im Artikel erläuterte der Autor die Argumente der Befürworter. Es sei für die Frau «nicht würdig, ihre An­ sicht nicht direkt an der Wahlurne abge­ ben zu können», schrieb er. Thematisiert wurde auch der «Sonderfall Schweiz», weil bei uns ja die Männer nicht nur das Parlament zu wählen, sondern auch über Sachfragen abzustimmen hatten. Dass die Frauen dafür keine Zeit hätten, stellte der Autor in Abrede. Die Schweizerinnen wür­ den durch das Wahlrecht «ihrer Fähigkeit zur Erfüllung ihrer Aufgaben in Familie,


16  Heini Schwendener

Die Gewerkschaft VHTL (Verkauf Handel Transport Lebensmittel) warb im W&O vom 9. Januar 1959 für einen Vortrag zum Thema Frauenstimmrecht.

Die Freisinnig-demokratische Partei des Bezirks Obertoggenburg lud im W&O vom 16. Januar 1959 zu einem kontradiktorischen Anlass ein.

Aus einem Inserat im W&O vom 23. Januar 1959: General Guisan wird vom Landesring der Unabhängigen als Befürworter des Frauenstimmrechts zitiert.

Aus dem W&O vom 26. Januar 1959: Schon damals waren Zeitungsinserate wichtig für die politische Meinungsbildung.

Am 30. Januar 1959 warb das Aktionskomitee für das Frauenstimm- und -wahlrecht im W&O.

Das Schweizerische Frauen­ komitee warb im W&O vom 28. Januar 1959 gegen das Frauenstimmrecht.

Dieses Argument aus einem Inserat im W&O vom 30. Januar 1959 war damals immer wieder zu hören.


Werdenberger sagten erst 1972 Ja zum Frauenstimmrecht  17

Dass viele Frauen nichts für das Frauen­ stimmrecht übrighätten, sei nur ein Schein­ argument. Der Autor zitierte aus der Bot­ schaft des Bundesrates: «Der Anspruch auf rechtsgleiche Behandlung steht jeder Frau zu, selbst wenn die Mehrheit auf ihn kei­ nen Wert legt.» Dass der Bundesrat noch immer Rollenklischees bediente, zeigte dessen Argumentation auf den Einwand, Frauen seien gefühlsmässig eingestellt und könnten darum in der Politik nicht sachlich mitsprechen:

dass die allgemeine Menschenwürde, die der Frau in nicht geringerem Maße als dem Manne zukommt, ihre prinzipielle Gleich­ behandlung mit ihm verlangt.» Dem Standpunkt der Gegner der Frauenstimmrechtsvorlage wurde zwei Tage später Platz im W&O eingeräumt, al­ lerdings nicht mehr auf der Titelseite.9 Es stehe zweifellos der wichtigste Entscheid seit Bestehen des schweizerischen Bun­ desstaates bevor, schrieb der Autor. Wenn der heutige Volkssouverän Ja sage, wäre «die Verfassungsänderung vom 1. Februar 1959 unwiderruflich». Die Vorlage wolle den Frauen «ein Maß an politischen Rech­ ten und Pflichten zuweisen, wie es sonst nirgends in der Welt besteht». In allen an­ deren Ländern beschränke sich das Stimmrecht der Frau wie des Mannes auf die alle paar Jahre stattfindenden Wahlen. Die politische Willensbildung zu den Sachfragen vollziehe sich in diesen Staaten in den Parlamenten und sei dort praktisch trotzdem in der Hand der Män­ ner geblieben, weil weibliche Parlaments­ mitglieder nur eine verschwindende Min­ derheit ausmachten. Es gebe also keine auch nur annähernde Erfahrung, wie sich das Frauenstimmrecht auswirken könnte. Der Autor kommentierte:

Was das Denken der Frau vielleicht hie und da an logischer Konsequenz vermißen lässt, ersetzt sie durch ihre eigene, auf das Praktische und Konkrete gerichtete Klugheit, die ihr oft ein unmittelbares Erkennen des Richtigen und Wesentlichen gestattet.

Kann man erwarten, daß die Kantonshoheit in ihrer Geltung und ihrem Einfluß unangetastet bleibt, wenn inskünftig die eidgenössischen, nicht aber die kantonalen Gesetze von einer aus Männern und Frauen zusammengesetzten Mehrheit sanktioniert sind?

Der Bundesrat fordere das uneingeschränk­ te Stimmrecht auf eidgenössischem Boden für die Frauen mit den durchschlagenden Argumenten «Gerechtigkeit, Rechtsgleich­ heit und Demokratie», war im W&O wei­ ter nachzulesen. «Es ist heute anerkannt,

Der Autor kam «nach nüchterner Betrach­ tung aller Argumente» zu folgendem Schluss: «Die Einführung des vollen eid­ genössischen Frauenstimmrechtes […] wäre weder der Würde und dem Werte der Frau selbst, noch der Familie, noch den

Haus und Beruf» nicht wesentlich beein­ trächtigt. Gegner des Frauenstimmrechts argu­ mentierten, mit einem Nein könnte man verhindern, dass Frauen «in den soge­ nannten Schmutz der Politik hineingezo­ gen» würden. Dem wurde entgegengehal­ ten, Frauen würden schon heute in vielen Parteien mitarbeiten, links wie rechts. «Die Politik ist so sauber wie die Men­ schen, die sie betreiben; nichts hindert die Frauen, für eine anständige Politik mitzuwirken.»

«Gerechtigkeit, Rechts­ gleichheit und Demokratie»



PANORAM

124 Ein Streit um die Hebamme in Wartau 1794 130 Objekt des Jahres: Eine alte Truhe 134 Aufwertungsprojekt Rietli Buchs – Ein Lebensraummosaik 144 Die Gründung der Werdenbergischen Rettungsanstalt 1846 152 Zwischen Gold und Silber, zwischen Ober- und Unterland: Die Münzwirren im Fürstentum Liechtenstein 1874  – 1878 160 Ein Landvogt auf der Suche nach einem Mörder 168 Buchbesprechungen 178 Werdenberger Kultur­ schaffen: Von Prägungen und Heimat


Martin Graber

Ein Streit um die Hebamme in Wartau 1794 Als die Wartauer Hebamme einen Seveler heiratet, löst das in der Gemeinde einen Streit über ihre Entlöhnung aus. Ein Verhandlungsprotokoll des Sarganser Oberamts gibt Auskunft über diesen Fall.

Es ist schwierig, Quellen zu Hebammen im dörflichen Umfeld vor 1800 zu finden, allgemein wurde das damalige Leben nur selten dokumentiert. Insbesondere wur­ den Frauen nur in Ausnahmefällen ge­ nannt. Die Zurücksetzung der Frauen war so selbstverständlich, dass das alleinige Stimmrecht der Männer in den Rechts­ quellen nicht erwähnt wurde. In der Mitte des 17. Jahrhunderts wurden die Gemeinden des Sarganser­ lands verpflichtet, eine Hebamme anzu­ stellen, die vom Sarganser Landvogt verei­ digt werden sollte. Damit sollte verhin­ dert werden, dass Neugeborene ohne Tau­ fe starben. Die diesbezüglichen Vorschrif­ ten des Churer Bischofs wurden im refor­ mierten Wartau nicht angewendet.1 Um 1640 scheinen in Wartau zwei Hebam­ men tätig gewesen zu sein: Maria Stricker wurde von 1630 bis 1649 als Hebamme in Azmoos genannt, und zwischen 1632 und 1645 wurde Barbara Fingier, die mit Hans Gafafer verheiratet war, als Hebamme in Oberschan erwähnt.2 Barbara Sulser muss

um 1806/07 eine Hebamme gewesen sein, weil deren Mann Thomas Stricker von der Wartauer Armenfürsorge – damals Spen genannt – ein Wartgeld ausbezahlt be­ kam.3 1794 kam es in Wartau zu einem Streit um die Entlohnung der dortigen Hebamme. Der Auslöser war, dass sich diese – deren Name bezeichnenderweise nicht genannt wurde – mit einem Seveler verheiratet hatte. Darauf wurde an einer Gemeindeversammlung beschlossen, der Hebamme die Neugüter zu entziehen, die diese als Lohn erhielt. Neugüter waren Grundstücke, deren landwirtschaftliche Nutzung an die Gemeindegenossen aus­ geteilt wurde, die aber im Eigentum der Gemeinde verblieben. Die Vorgesetzten der Gemeinde wehrten sich gegen diesen Be­ schluss der Gemeindegenossen und zogen deshalb den Streit vor das Sarganser Ober­ amt, das Appellationsgericht im Sarganser­ land. Das Zeitgericht in Azmoos als erste Gerichtsinstanz wurde wohl übersprun­ gen, weil dessen Richter als Wartauer be­


Ein Streit um die Hebamme in Wartau 1794  125

fangen waren. Der Sarganser Landvogt als Vorsitzender des Oberamts urteilte, die Einstellung und die Festlegung des Lohns einer Hebamme liege allein in der Kompe­ tenz der Vorgesetzten. Actum vor lob[lichen] oberambt, den 26ten Apprilis 1794. Jn streithigkeithen, welche sich gehalten entzwüschen vorsteher, richter Vllrich Müller 4 | von Fontnas und altlandtammann Oswald Sulser 5 von Azmos im namen einiger | vorgesetzten der ehrsamen gemeindt Warthauw, an einem, und richteren | Iacob Sulser 6, Adlerwürth 7 von Azmos, und richter Hanns Gabathuohler 8 von Fontnas | im namen der ehrsamen gemeindt Warthauw (nach jhrem vorgeben), am anderen | theihl. Da klägere angebracht: Es wollen die der heebame in ihrer gemeindt | geordnete neü­ güether von darumen entzogen werden, weilen sie sich an einen von | Sevelen ver­ heürathet. Darum die heebam ihren dienst versechen könne und werde, | als in dem fahl, so sie ledig oder mit einem gemeindts-

gnoßen verehlichet wäre, | so hofen sie, es werden der heebame ihre neügüether belassen werden, alles | mit weit mehrerem. Worgegen antworthere versetzten: Die neü­ güether gehören | der gemeindt, welche ermehret, mann solle solche der heebame nemen, solche denen | an der rood auß­ theihlen und die heebamme mit geldt abfinden, so aus der | spenndt könne genomen werden. Bitten bey jhrem meehr geschützt und | geschirmet zu werden, auch mit vil mehrerem etc. Jst nach etc. von tit[uliert] herren | landtvogt sambt dem oberambt zu rechtem erkenndt: Weilen laut grossen | landtsmandat9 sich jede gemeindt mit einer erfahrnen heebam versechen soll und | muß, die außwahl und besetzung aber einer heebamme nicht dem mehr einer | gantzen gemeindt, sonderem dem gutbefinden derer vorgesetzten allein zustehet, | so sollen die sambtliche vorgesetzte der ehrsamen gmeindt Warthauw sich zusamen | verfüegen und mit der dießmahligen heebame sich wegen dero warthgeldt abfündig | machen, damit sie ihre dienst ferners leisten


126  Martin Graber

Erste Seite des Eintrags vom 26. April 1794 im Protokollbuch des Sarganser Oberamts, Staatsarchiv St. Gallen, AA 4 B 8-28.


Ein Streit um die Hebamme in Wartau 1794   127

könne, welches bey jedem abgang | einer heebam also solle gehalten werden. Worgegen niemandt einiger jntrag soll | gemacht werden, sonderen was die vorgesetzte einer heebame für ihr warthgeldt | an geldt oder neügüetheren bestimmet, bey deme solle es sein verbleiben haben. | Eß werden die vorgesetzte nach ihrer pflicht erfinden, das es der gemeindt nutzlicher | und minder beschwährlich fallen thün, das wartgeldt der heebame nicht gantz mit | baarem geldt, sonderen zum theihl auch mit allmeindt boden zum pflantzen | außfündig zu machen und zu bestimmen. Da endtlichen die dermahlige heebam jhr | von denen vorgesetzten bestimbtes warthgeldt bißdahin richtig genossen, so soll | jhro annoch 2 jahr alles ohne mindeste abänderung verbleiben und jhro verabfolget | werden. Heüthiges audienzgeldt soll die gmeindt Warthauw mit f. 2 bezahlen. Kundtschafften in obiger causa: Weibel Hanns Müller10 von Fontnas redt bey dem eydt: In der kirchen zu Gritschins | seye das mehr wegen neügüetheren das erste mahl so gewesen, das er solches nicht | habe können entscheiden. Das andere mahl aber seye dess vorstehers rathschlag | und meinung zum mehr geworden. Endet. Gschworner Mathias Gabathuohler11 von Schaan redt auf ansinnung derer | antwor­ theren bey dem eydt: Die heebame habe jhne als geschwornen nicht | ersuchet, das mann ihro die neügüether lassen möchte. Endet. Mathias Rissin12 von Azmos, gschworner, redt auf beyder theihlen ansinnung | bey dem eydt: Vor 4 wochen seye in der kirchen zu Azmos gemehret worden, | mann solle der heebame die neügüether nemmen und seye niemandt wider | dieseres mehr gewe-

sen, als der alt landtammann Iacob Sulser13 mit sagen: Er | wolle es übergeben, er brauche solche nicht mehr! Vor 3 wochen seye das mehr wegen | dießer sach gewesen, mann wolle bey dem aufsatz bleiben. Endet.14

Bevor Azmoos kirchlich von der Kirchge­ meinde Gretschins abgetrennt wurde, hielt man Gemeindeversammlungen in der Kirche Gretschins ab. Dadurch konnte bei Abstimmungen die Mehrheit einfach abgeschätzt werden. Nachher gingen die Einwohner des Dorfs Azmoos und dessen Umgebung für Gemeindeversammlungen in die Kirche Azmoos, die übrigen Wartau­ er weiterhin in die Kirche Gretschins, ein Abstimmungsresultat musste jetzt aus zwei Mehren bestimmt werden.

Die rechtliche Stellung der Frauen im 18. Jahrhundert Die Frauen besassen keine politischen Rechte, sie durften also an den Gemeinde­ versammlungen nicht teilnehmen und konnten nicht in Ämter gewählt werden. Auch im Erbrecht waren die Frauen be­ nachteiligt, sie erhielten einen Drittel, die männlichen Erben zwei Drittel.15 Dage­ gen behielten Frauen nach ihrer Heirat ih­ ren Nachnamen. Falls jemand aus der Grafschaft Sar­ gans eine Frau heiraten wollte, die nicht in dieser Grafschaft wohnte, so musste die Frau über ein Vermögen von mindestens 200 Gulden verfügen. Damit sollte ver­ hindert werden, dass bedürftige Frauen sich einheiraten konnten.16 In der Graf­ schaft Werdenberg galt eine ähnliche Regelung.17 1679 musste Heinrich Staub


128  Martin Graber

seiner Tochter 200 Gulden Heiratsgut ver­ sprechen, damit sie heiraten konnte. Die Gemeinde Malans bestätigte 1788, dass Anna Barbara Nutt über ein Vermögen von 200 Gulden und sechs Louis d’or ver­ füge.18 Am Ende des 17. Jahrhunderts begann die Gemeinde Wartau, im grösseren Umfang Neugüter an ihre Gemeindegenossen aus­ zuteilen. Deshalb wollte die Gemeinde 1696 von einem Genossen, der Neugüter bezog und eine auswärtige Frau heiratete, dreissig Gulden einziehen. Die Tag­satzung bestätigte 1705 diesen Einzug, reduzierte aber den Betrag auf 25 Gulden und nahm Frauen, die aus den regierenden Orten, aus dem Sarganserland oder aus dem Wer­ denberg stammten, davon aus.19 Diese Gebühr wurde bis 1804 eingezogen und war anscheinend eine bedeutende Einnah­ mequelle.20 Sevelen erhielt 1745 das Recht, von auswärtigen Frauen, die einen Seveler Gemeindegenossen heirateten, dreissig Gulden für das Gemeinderecht zu verlan­ gen. Vier Jahre später durfte Grabs eben­ falls eine solche Gebühr erheben.21 Martin Graber, geboren 1975, Abschluss als Inge­nieur HTL/FH am NTB in Buchs, ab 2000 als Software­entwickler tätig, hobbymässiger Sammler von Quellen zur Wartauer Geschichte und Verfasser von lokal­historischen Arbeiten.

Anmerkungen 1 Reich-Langhans 1921, S. 227; Malamud/Sutter 2013, S. 751 f. und 1069. Die Gemeinde Wartau gehörte bis 1798 zum Sarganserland. 2 Kuratli 1940, Bd. 9, S. 192 – 195; Kuratli 1950, S. 403, Anmerkung 115. 1632 wurde eine Barbara Stucki als Hebamme erwähnt, dieser Name scheint aber für Barbara Fingier verschrieben zu sein, was eine Korrektur von 1635 nahelegt. 3 Gabathuler 1989, S. 89, 93 und 96; Kuratli 1940, Bd. 11, Nr. 163. 4 Ulrich Müller, 1761 – 1814 (Kuratli 1940, Bd. 6, Nr. 1368), Vorsteher zu Wartau 1794. 5 Oswald Sulser, 1735 – 1808 (Kuratli 1940, Bd. 11, Nr. 78), Landammann zu Sargans 1783 – 1785. 6 Jakob Sulser, 1748 – 1819 (Kuratli 1940, Bd. 11, Nr. 161). 7 Adler, ehemaliges Gasthaus in Azmoos, Gemeinde Wartau. Vergleiche Gabathuler 1989, S. 144. 8 Hans Gabathuler, 1759 – 1802 (Kuratli 1940, Bd. 6, Nr. 1337). 9 Malamud/Sutter 2013, S. 751 f. (Grosses Mandat des Sarganserlands, Artikel 27). 10 Hans Müller, 1750 – 1810 (Kuratli 1940, Bd. 6, Nr. 1251). 11 Mathias Gabathuler, 1758 – 1805 (Kuratli 1940, Bd. 6, Nr. 1313). 12 Mathias Rissi, 1744 – 1819 (Kuratli 1940, Bd. 6, Nr. 1164). 13 Jakob Sulser, 1724 – 1804 (Kuratli 1940, Bd. 11, Nr. 70), Landammann zu Sargans 1769 – 1771 und 1779 – 1783. 14 Staatsarchiv St. Gallen, AA 4 B 8-28, im Heft unter dem Datum eingetragen. 15 Sarganser Erbrecht: Malamud/Sutter 2013, S. 948 – 951. Werdenberger Erbrecht: Malamud 2020, Bd. 2, S. 474 – 477. 16 Malamud/Sutter 2013, S. 953 (Sarganser Landrecht 1674). Ein Vermögen von 100 Gulden verlangt das Grosse Mandat des Sarganserlands, Artikel 26: Reich-Langhans 1921, S. 226 f.; Malamud/Sutter 2013, S. 750 f. 17 Senn 1862, S. 240 f.; Beusch 1918, S. 62 f.; Malamud 2020, Bd. 2, S. 484 (Werdenberger Landbuch, Artikel 56). 18 1679: Reich-Langhans 1921, S. 310 f. 1788: Ortsgemeindearchiv Wartau, Nr. 48 (Urkunde 10./21. Oktober 1788). 19 1696: Kuratli 1937, S. 14; Kuratli 1940, Bd. 13, S. 146. 1705: Staatsarchiv Aargau, AA/2402, f. 424 – 424v (Entwurf einer Urkunde vom 21. Juli 1705).


Ein Streit um die Hebamme in Wartau 1794   129

20 Reich-Langhans 1921, S. 335; Gabathuler 1990, S. 145. 21 1745: Malamud 2020, Bd. 2, S. 640 f. 1749: Beusch 1918, S. 63. Vergleiche Gabathuler 2011, S. 126 f. 22 Staatsarchiv St. Gallen, ZVA 9; Kantonsbibliothek St. Gallen (Vadiana), Magazin, Signatur VS Q 251, sowie in Archiven und bei Privaten in Wartau. Quellen Beusch 1918 Hans Beusch: Rechtsgeschichte der Grafschaft Werdenberg, St. Gallen 1918. Gabathuler 1989 Jakob Gabathuler: Die Spen zu Wartau, St. Gallen 1989. Gabathuler 1990 Jakob Gabathuler: Die neue Gemeinde Wartau als Zankapfel, in: Werdenberger Jahrbuch 1991 (4), 1990, S. 142 – 149. Gabathuler 2011 Hansjakob Gabathuler: Hintersassen – die Ein­wohner minderen Rechts, in: Werdenberger Jahrbuch 2012 (25), 2011, S. 125 – 131. Kuratli 1937 Jakob Kuratli: Wartau, aus dem alten Geschlechterbuch, Azmoos 1937. Kuratli 1940 Jakob Kuratli. Genealogisches Werk über die Geschlechter Wartaus von 1630 bis ans Ende des 19. Jahrhunderts, sowie Abschriften von Urkunden. Bd. 6: Familienbuch von Wartau-Gretschins, 3. Teil. Bd. 9: Geschichtliches von Wartau. Bd. 11: Familienbuch von Azmoos, 1. Teil. Bd. 13: Die gefreiten Walser. Um 1940, 13 Bände. Faksimile der handschriftlichen Bände.22 Kuratli 1950 Jakob Kuratli: Geschichte der Kirche von WartauGretschins, Buchs 1950, 21984. Malamud/Sutter 2013 Sibylle Malamud/Pascale Sutter: Die Rechtsquellen des Sarganserlandes, Basel 2013. Malamud 2020 Sibylle Malamud: Die Rechtsquellen der Region Werdenberg: Grafschaft Werdenberg und Herrschaft Wartau, Freiherrschaft Sax-Forstegg und Herrschaft Hohensax-Gams, Basel 2020. Ortsgemeindearchiv Wartau Ortsgemeindearchiv Wartau, Nr. 48, Urkunde 10./21. Oktober 1788.

Staatsarchiv Aargau Staatsarchiv Aargau, AA/2402, f. 424 – 424v, Entwurf einer Urkunde vom 21. Juli 1705. Staatsarchiv St. Gallen Staatsarchiv St. Gallen, AA 4 B 8-28. Reich-Langhans 1921 Ulrich Reich-Langhans: Beiträge zur Chronik der Bezirke Werdenberg und Sargans, Bd. 1, Buchs 1921, 21988. Senn 1862 Nikolaus Senn: Werdenberger Chronik, Chur 1860 – 1862, 21983.


Judith Kessler-Dürr

Objekt des Jahres: Eine alte Truhe Eine alte, bemalte Truhe steht jahrelang unbeachtet in einem Haushalt. Bis jemand die Inschrift in gotischen Lettern entziffert. Nun werden Erinne­ rungen wach und Fragen tauchen auf.

Der Neujahrstag war für uns Kinder in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahr­ hunderts eine willkommene Gelegenheit, unser Sparkässeli etwas aufzufüllen. Nach­ barn und Bekannte ringsum wurden auf­ gesucht, um ihnen mit einem alten Se­ gensspruch Glück zu wünschen. I wüüsch der e guets nöis Johr, dass d lang lebscht und gsund blibscht und vil Glügg und Sege und zletscht no s ewig Lebe.

Dafür wurde man mit einer kleinen Mün­ ze oder einem Chrömli belohnt. Beim Götti gab es vielleicht sogar einen Fünfli­ ber. Der Höhepunkt aber war der Besuch bei der Gotte, der Taufpatin, die schon ei­ nen Silberlöffel für die künftige Aussteuer verpackt und obendrauf eine Frigor-Schog­ gi gelegt hatte. Manchmal war noch ein Silva-Buch dabei. Derart reich beschenkt, blieb der Neujahrstag in guter Erinnerung. Der Brauch des Segenwünschens und Beschenkens am ersten Tag eines neuen Jahres wurde schon in früheren Zeiten gepflegt. Der ehemalige Professor für Volkskunde, Paul Hugger, schreibt in seiner Werdenberg-Monografie:

Arme Leute zogen von Haus zu Haus, auch in die Nachbargemeinden, brachten ihre Wünsche an und erhielten als selbstverständliche Gegengabe Geld oder Lebensmittel. Auch Verwandte und Nachbarn entboten einander durch Hausbesuche ihre Wünsche. Die Kinder brachten sie bei Paten an, und da hiess es dann etwa: Magsch e Chrömli? Wer an Weihnachten kein Götti­ geschenk erhalten hatte, bekam es jetzt.1

Ein ganz besonderes Neujahrsgeschenk muss die reich bemalte Truhe aus Grabs gewesen sein, wie die Inschrift bezeugt. Disse Kofferen verehret Ulrich Schlegel u Anna Litschere Ihrer Liebw Tauf Gotten Cathrina Rutze zu einem Grossen gut Jahr 1803.

Wie ist das nun, fragt man sich irritiert nach dem Lesen dieser Widmung, wurde hier die Taufgotte von ihren Patenkindern beschenkt statt umgekehrt? Des Rätsels Lösung kommt vom Sprachwissenschaft­ ler Hans Stricker, der erklärt, dass Gotte hier auch Gottenkind, Götti auch Götti­ bub bedeuten kann. Diese Besonderheit


Objekt des Jahres: Eine alte Truhe   131

sei im Schweizerischen Idiotikon auch für andere Gegenden belegt. So hat also alles seine Ordnung: Ul­ rich Schlegel, der Pate, und Anna Litscher, die Patin, haben ihrer «liebwerten Tauf­ gotte» Cathrina Rutz zum Neujahr 1803 eine kunstvoll bemalte Truhe geschenkt. Vielleicht hat das Mädchen später, als jun­ ge Braut, in dieser «Kofferen» seine Aus­ steuer ins neue Heim gebracht, wie es da­ mals üblich war. Das Schenken war aber nicht die Hauptaufgabe der Paten. Vor allem hatten sie einzuspringen, wenn den Eltern etwas zustiess, Krankheit, Unfall, Tod. Sie waren sozusagen die Lebensversicherung des Kin­ des. Die Kirchen hingegen sahen im Eh­ renamt des Paten den Auftrag, die christli­ che Erziehung des Täuflings sicherzustel­ len. Vielleicht wurde das Kind sogar auf den Namen von Gotte oder Götti getauft. Es war eine Ehre, als Pate angefragt zu wer­ den. Die Gegenleistung, nämlich die Ver­ antwortung für das Kind zu übernehmen, musste ja nicht so oft erbracht werden.

Hugger: «Die Wahl der Taufpaten war meist zum voraus geregelt, da man für alle Kinder den gleichen Götti, die gleiche Gotte nahm, einen Onkel oder eine Tante. Das war eine einfache und praktische Lö­ sung, zumal die Taufgeschenke beschei­ den ausfielen.»2 Hugger schildert den Taufsonntag als richtiges kleines Fest: In der Frühe kamen die Paten ins Taufhaus. Sie waren schwarz gekleidet. In Buchs überreichte nun der Götti den schön gefalteten Taufzettel. Darin steckte der Taufbatzen, ein Fünffränkler. Der Zettel zeigte entfaltet einen Sinnspruch zum Tage mit allerlei Verzierungen: Engeln, Blumen und dergleichen. Den Namen des Täuflings und das Tauf­ datum hatte der Götti eigenhändig hingesetzt.3

Dann wurde den Paten eine Wein­suppe gereicht: geröstete Brotwürfel, mit Zucker und Zimt bestreut und im Rotwein ge­ kocht.

Das besondere Neujahrsgeschenk.


132  Judith Kessler-Dürr

Couvert zum Taufzettel aus Grabs.

Taufzettel aus Buchs, 1858.

Taufzettel aus Grabs, 1878.


Objekt des Jahres: Eine alte Truhe   133

Nun folgte der Kirchgang mit dem Kind auf dem Tragkissen, das die Gotte durchs Kirchenportal hineintragen durfte, während Vater und Götti mit den andern Gläubigen schon das Gotteshaus betreten hatten. Sie trugen zur Taufe die langen, schwarzen Mäntel, die in unserer Region auch zu Trauerfeiern angezogen wurden. Die Gemeinde begann ein Lied zu singen, die Taufleute stellten sich am Taufstein auf. Der Pfarrer sprach das Glaubensbekennt­ nis und stellte die üblichen Fragen, die durch Kopfnicken beantwortet wurden. In Grabs habe dann der Götti das «Iibindgeld» für den Täufling der Gotte überreicht. Nach der Taufrede des Pfarrers verliess die Patin mit dem Kind die Kirche, Vater und Götti blieben bis zum Ende des Gottesdienstes. Das mittägliche Taufmahl bestand aus einer Fleischsuppe mit Safran, Schafs­ voressen, Kartoffeln und «Öpfelstüggli». Es war eine kulinarische Abwechslung vom alltäglichen Einerlei. Am Nachmittag besuchte vielleicht der Vater mit Götti und Gotte ein Wirts­ haus, oder man machte eine Spazierfahrt mit dem Leiterwagen. Wieder zu Hause, gab es Kaffee mit zuckerbestreutem Hefe­ gebäck (Bischgetmiili). Dann war der Festtag zu Ende, und die grösseren Kinder meinten: «I wett mr wuren bald wider toofe, so chönnten mr Chnochen abschlegge». Von Taufpaten und ihren Geschen­ ken liest man auch in alten Geschichten: Im Grimm-Märchen vom Gevatter Tod wird der Pate mit diesem heute ausgestor­ benen Wort bezeichnet. Bei E.T.A. Hoff­ mann bringt der Patenonkel den Kindern einen hölzernen Nussknacker als Weih­

nachtsgeschenk. In Gotthelfs Ueli der Knecht ist der gefürchtete Hagel-Hans der Götti des ersten Kindes, und in Anne Bäbi Jowäger sorgt sich die junge Gotte Meyeli, ob sie bei der Taufe wohl alles richtig ma­ chen könne, wenn sie von der ganzen Ge­ meinde beobachtet werde. Und die Patenkinder, die Göttibuben, die Gottemeitli? Der Knabe im GrimmMärchen wird ein berühmter Arzt, nach­ dem ihm der «Gevatter» ein wirksames Heilkraut gegeben hat. In Hoffmanns Nussknacker und Mausekönig erleben die Kinder mit der Gabe des Paten allerlei fan­ tastische Abenteuer. Cathrina Rutz aber wird sich wohl zeitlebens an ihrem praktischen und schö­ nen Neujahrsgeschenk gefreut haben. Und wir staunen nach über zweihundert Jahren über den Kunstsinn und die Gross­ zügigkeit der damaligen Paten. Judith Kessler-Dürr ist ausgebildete Lehrerin und war in verschiedenen Bereichen der Volksschule tätig. Die Mutter von zwei erwachsenen Töchtern und nun passionierte Grossmutter lebt in Gams und beschäftigt sich gerne intensiv mit Geschichte und Volkskunde. Anmerkungen 1 Hugger 1974, S. 108. 2 Hugger 1974, S. 30. 3 Hugger 1974, S. 31. Literatur Gotthelf Jeremias Gotthelf: Uli der Pächter. Jeremias Gotthelf: Anne Bäbi Jowäger, 2. Teil. Grimm 1978 Grimms Märchen, Gesamtausgabe, Bayreuth 1978. Hoffmann E.T.A. Hoffmann: Nussknacker und Mausekönig. Hugger 1974 Paul Hugger: Werdenberg. Eine volkstümliche Monographie, Zürich 1974.


Jürg Mäder und Rudolf Staub

Aufwertungsprojekt Rietli Buchs – Ein Lebensraummosaik Das Bundesamt für Umwelt schreibt: «Die Resultate zeigen, dass die bisherigen Bemühungen nicht ausreichen, um die Artenvielfalt in der Schweiz langfristig zu erhalten. Ein Aussterben von lokalem, regionalem und nationalem Niveau findet statt.»1 Das Aufwertungsprojekt Rietli Buchs setzt dieser Tendenz – wenn auch in kleinem Rahmen – etwas entgegen.

Im Frühjahr 2015 entdecken Basisstufen­ schüler der Scuola Vivante auf einem ih­ rer Spaziergänge im Rietli Froschlaich. Das Rietli ist ein kleines 3,5 Hektar grosses Stück Wiesland, angrenzend an einen Wald, südlich von Buchs an der Grenze zu Sevelen. Das Gebiet ist oft vernässt – der Name Rietli deutet auf das moorige Ried hin – zum Leidwesen des Bauers, der das Gras zur Futterverwertung nutzt, zur Freu­ de der Schülerschar, die das bunte Treiben der Kaulquappen auf der vernässten Wie­ se beobachtet. Der stete Versuch zur Tro­ ckenlegung dieser ursprünglich tieftorfi­ gen Riedfläche durch punktuelle Auf­ schüttungen empört die Kinder. Sie retten die Kaulquappen in Eimern und siedeln sie um. In einer kleinen Grube hinter dem Schulhaus schaffen sie ein kleines Frosch­ asyl. In täglichen Beobachtungen verfolgt

die Gesamtschule die Entwicklung dieser faszinierenden Wesen und fügt das Ganze zu einem Wissenskurzfilm zusammen.2 Im April 2016 wird der Film beim Wettbe­ werb «Stell dir die Schweiz von morgen vor», im Palais des Nations in Genf vor 1500 Schülern und Schülerinnen, Lehr­ personen und politischen Verantwortli­ chen für die Umsetzung der «Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung» mit dem zweiten Preis und dem Preis der Jury ausgezeichnet.

Ein Gebiet mit hohem ökologischem Potential Die Idee der Schüler und Schülerinnen, im Rietli ein Feuchtbiotop anzusiedeln, stösst auf Resonanz. Fachleute begutach­


Aufwertungsprojekt Rietli Buchs – Ein Lebensraummosaik  135

Die Basisstufenschüler der Scuola Vivante mit Mitinitiatorin Veronika Müller Mäder im Projektgebiet. Die Betroffenheit der Schülerinnen und Schüler über die drohende Zuschüttung der vernässten Stellen, in denen sich Kaulquappen tummelten, gaben dem Aufwertungsprojekt die Initialzündung.

ten das Gebiet. Es zeigt sich ein grosses ökologisches Potenzial. Aus der Karstquel­ le am Rande der Wiese fliessen, selbst bei längerer Trockenheit, pro Minute 600 Liter frisches Wasser, die allerdings gefasst und in den nahen Röllbach geleitet wer­ den. Die Quelle könnte geöffnet und da­ durch ein grösserer Teich gespiesen wer­ den. Unmittelbar daneben befinden sich ein sonnenexponierter Waldrand, eine eingefallene und zugewachsene Trocken­ mauer, dahinter eine Extensivwiese, die früher als Wingert genutzt wurde. Das Areal bietet in der Verbindung von Feucht­ flächen und Trockenstandorten einen Le­ bensraum für unzählige Pflanzen-, Insek­ ten-, Reptilien-, Amphibien-, Vogelarten und Säugetiere – inmitten eines gut fre­ quentierten Naherholungsgebiets. Auf dem Areal ein Aufwertungspro­ jekt zu lancieren, stösst bei den Grundei­ gentümern, der Ortsgemeinde Buchs und

zwei Privatpersonen, auf sofortiges Inte­ resse. Die Notwendigkeit zur Schaffung solcher Lebensräume ist unbestritten – beim Kanton St. Gallen, bei der Umwelt­ schutzkommission der Stadt Buchs, bei der lokalen Bevölkerung. Das gesamte Gebiet bleibt auch nach der Aufwertung landwirtschaftliche Nutz­ fläche und wird vom Pächter weiterhin unterhalten. Anstelle der intensiven tritt eine extensive Nutzung, die über Biodi­ versitätsbeiträge entschädigt wird.

Das «Grustloch» Im südlichen Teil des Projektgebietes be­ findet sich eine belastete Zone – im Volks­ mund «Grustloch» genannt. Dabei han­ delt es sich um eine Altablagerung von Siedlungsabfällen und Ausbruchmaterial aus den Jahren 1910 bis 1962.3 2019 wur­


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.