Spiel der Kulturen

Page 1

Spiel der Kultur/en Asien neu ausgestellt

FormatOst Leseprobe

Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Bilder, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen. © Verlag FormatOst www.formatost.ch



l e i p S r de r u t l u K ne Asien n

ellt t s e g s eu au


Historisches und Völkerkundemuseum, Museumstrasse 50, 9000 St. Gallen

© 2019 Verlag FormatOst, CH-9103 Schwellbrunn Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Radio und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, ­elektronische ­Datenträger, auch auszugsweiser Nachdruck sind vorbehalten. Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung «Spiel der Kultur/en. Asien neu ausgestellt» ab 16. Februar 2019 im Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen. Herausgeber: Jeanne Fichtner-Egloff, Ralf Müller Umschlagbild: Porträt von Modedesignerin und Bloggerin Diana Rikasari in Kombination mit einer indonesischen Schattenfigur aus der Museumssammlung des HVM St. Gallen. Gestaltung: Janine Durot Druckvorstufe: Verlagshaus Schwellbrunn Fotografie und Bildbearbeitung: Michael Elser, Raphaël Maussion, Can Asan Druck: Galledia AG, Flawil Bindung: Bubu AG, Mönchaltorf Gesetzt in Din Pro Gedruckt auf Lessebo Smooth white, 120 g/m² ISBN 978-3-03895-010-3 www.verlagshaus-schwellbrunn.ch


INHALT 7 9 11 15 27 33 35 47 59 71 85 101 121 131 139 151 153

Vom Sankt Galler Jugendstil zu den Kulturen Asiens Grusswort des Direktors Asiatische Objekte für ein Mosaik der Kultur Vorwort der Herausgeber Formen im Spiel der asiatischen Kultur/en entdecken Thematische Einleitung Asien im Museum sammeln und zeigen Historischer Kontext Das Spiel der Kultur/en im Museum Theoretische Grundlagen Katalog Menschen Spiel der Begegnung Götter Spiel der Transzendenz Wünsche Spiel des Schicksals Rituale Spiel der Symbolik Geister Spiel der Beschwörung Kunstwerke Spiel der Meister Theater Spiel der Schatten Kleider Spiel der Verwandlung Unterhaltung Spiel des Spiels Spiel der Kultur/en Zum Nachblättern Zitate und Leseempfehlungen



VOM SANKT GALLER JUGENDSTIL ZU DEN KULTUREN ASIENS

Grusswort des Direktors Mit der Neueinrichtung des Asiensaals erfährt die Asien-Abteilung des HVM eine enorme Aufwertung. Und so kommen mit «Spiel der Kultur/ en» ein gutes halbes Jahr nach der Eröffnung der Ausstellung «Jugendstil» im August 2018 die verschiedenen Neueinrichtungen der Dauerausstellungen zu einem krönenden Ende. Voraussetzung dafür war eine intensive Beschäftigung mit der Sammlung der Asiatica, die nun mit dem Umzug in das südliche Obergeschoss ihren Abschluss findet. Dabei geht die räumliche Nähe zwischen der Jugendstil-Dauerausstellung und dem neuen Asiensaal Hand in Hand mit einer thematischen Nähe. Beide Ausstellungen nehmen Bezug auf das, was die Kulturenvielfalt in Asien prägt, aber auch die kulturelle Verschiedenheit überhaupt erst ausbildet: das Spiel. Der Jugendstil selbst bringt dieses zentrale Element der Kulturbildung in mehrfacher Hinsicht zum Ausdruck. Als Kunstrichtung vereinigt er das Spielerische sowohl in seiner äusseren Gestaltungsweise und Farbgebung als auch in der Verschiedenheit der Kulturen, die er in sich aufnimmt. Ein anschauliches Beispiel dafür ist der Japonismus, in dem sich sowohl das Spiel der Kultur wie auch das der Kulturen zeigt. Wesentliche Vorausset-

7


Titelblatt mit Iris, aus: «Japanischer Formenschatz», 3. Jahrgang (1890), Heft 27, hg. von Siegfried Bing

zung dafür war, den Blick nach aussen auf fremde Kulturen zu richten. Die Beschäftigung mit weniger bekannten Formenwelten ermöglichte es seinerzeit, die künstlerischen Bewegungen des Westens mit neuem Leben zu füllen. Es waren insbesondere die aussereuropäischen Kulturen, die in ihrer «Jugendlichkeit» und «Frische» ein Interesse erregten. In ihrer «Verspieltheit» gaben sie dazu Anlass, mit den Formen der «Anderen» zu spielen und aus der Hinwendung zum Kunsthandwerk wie im Jugendstil die kulturellen Erzeugnisse kolonialisierter Länder erstmals auf Augenhöhe zu betrachten.

8

Die Ausstellung «Spiel der Kultur/en» erzeugt mit ihrem Doppeltitel eine Ambiguität, die es erlaubt, die Tendenz zum Exotismus zu markieren und zurückzunehmen. Wurde bisweilen in frü-

heren Ausstellungen noch in den «Primitiven» ein besonderes Mass an «ursprünglicher» Kultur erblickt, legt die Ausstellung vielmehr nah, in der schöpferischen Formenbildung überhaupt eine wesentliche Leistung von Kultur zu erkennen. Ein vermeintlicher Abstand zwischen den verschiedenen Kulturen und «Kulturkreisen» erweist sich als obsolet. Es ist klar, dass sich das Spiel der Kultur (im Singular) nur in der Vielfalt der Kulturen manifestiert. Natürlich kann die Welt nicht auf die Dimension des Spiels reduziert werden. Unser Museum bewegt sich mit der neuen Ausstellung hin zur Vielfalt der Kulturen in Zeiten, die von krisenbedingter Migration einerseits und der Abwehr des exotisch Anderen andererseits geprägt sind. Wir hoffen, auf inspirierende Weise einen Ort zu schaffen, an dem Kultur vielleicht neu gesehen wird. Mein herzlicher Dank gilt der Kuratorin Jeanne Fichtner-Egloff. Sie hat ihre Aufgabe ausgezeichnet gelöst. Die produktive Zusammenarbeit mit dem Kulturphilosophen Ralf Müller als Konzeptbegleiter bestätigt ein weiteres Mal die interdisziplinäre Ausrichtung unseres Hauses, die sich schon in früheren Ausstellungen bewährt hat. Ich bin froh, dass wir nun wieder einen Asiensaal haben, der den aktuellen wissenschaftlichen Ansprüchen entspricht. Daniel Studer, Direktor


ASIATISCHE OBJEKTE FÜR EIN MOSAIK DER KULTUR

Vorwort der Herausgeber Mit der Ausstellung «Spiel der Kultur/en» wird erstmals seit 1993 der Asiensaal neu eingerichtet. Die gemeinsame Arbeit an der inhaltlichen Neukonzeption dieses Saals hat uns dazu motiviert, nicht nur einen Ausstellungskatalog der Sammlung zu präsentieren, sondern auch in einer Reihe von Essays das neue Ausstellungskonzept zu erläutern. Wir laden Sie ein, die Vielfalt der asiatischen Kulturen zu erkunden und dabei immer wieder Momente von Spiel zu entdecken. «Spiel» ist dabei nicht primär im Sinn von «Glücksspiel», «Gesellschaftsspiel» oder «sportlicher Wettkampf» gemeint. Dennoch sind es gerade die Charakteristika solcher Spiele, anhand derer das kulturelle Leben insgesamt beschrieben werden kann. Unser konzeptioneller Ausgangspunkt war die Frage, wie das spielerische Element in den Dingen unmittelbar in Erscheinung tritt: in den vielfältigen Möglichkeiten ihrer Gestalt. Die Dinge in ihrer spezifischen Form sind durch Kontingenz gekennzeichnet. Anders gesagt, die menschliche Welt in ihrer kulturellen Gestaltung trägt immer den Charakter des «Als-ob». Die Form der Dinge hätte immer auch eine andere sein können, ohne dass die Dinge die ihnen eigene Funktion verlieren.

9


Spielfigur aus dem indonesischen Schattentheater wayang kulit, Java 20. Jh.

10

Vor allem zwei Fragen stellten sich im gemeinsamen Gespräch über die Ausstellung: Wie steht es um das spielerische Element in der Kultur Asiens? Und wie lässt es sich in der Vielfalt der asiatischen Kulturen zeigen? Im methodischen Perspektivenwechsel zwischen philosophischer Kulturanthropologie, ostasiatischer Kunstgeschichte und Ethnologie wurde deutlich, dass sich in diesen Fragen nicht wirklich Alternativen stellen und diese für die Umsetzung des Ausstellungskonzepts aufeinander bezogen werden müssen. Es schien uns deshalb nur konsequent, den Fokus auf das Spielerische als Grundstruktur der Kultur zu legen, um Objekte der Asien-Sammlung des Museums auszuwählen und neu zu präsentieren. So haben wir uns entschieden, die Vielfalt der asiatischen Kulturen innerhalb des Systems der Kultur zu präsentieren. Uns interessierte die Bedeutung von Spiel und sein Verhältnis zur Kultur als solcher und zwar verzweigt bis in die unterschiedlichen Bereiche der Kultur hinein.

Um zu zeigen, wie verschiedenartig Spiel in der Kultur in Erscheinung tritt, haben wir neun Bereiche der Kultur ausgewählt: von der Alltagswelt über das religiöse Leben bis hin zu den Künsten. Spiel im engeren Sinn von Unterhaltung wird in der Ausstellung ebenfalls dargestellt. In diesem Horizont lässt sich dann das Verhältnis der Kulturen zueinander in seiner Vielschichtigkeit wiederum als Spiel begreifen. Die asiatischen Objekte zu einem Mosaik zusammenzufügen – um einen Satz des ehemaligen Direktors Hans Krucker aufzugreifen – und im Spiegel der eigenen Kultur zu entdecken, ist das, wozu wir Sie sehr herzlich einladen möchten. Wenn auf dem Umweg über Asien unbekannte Momente der Ihnen vertrauten Kultur in den Blick rücken, ist unser Konzept aufgegangen. Jeanne Fichtner-Egloff, Kuratorin Ralf Müller, Konzeptbegleiter


FORMEN IM SPIEL DER ASIATISCHEN KULTUREN ENTDECKEN

Thematische Einleitung Die Asien-Sammlung des HVM umfasst eine grosse Breite an Objekten: von Alltagsbesteck über rituelle Waffen bis hin zu prächtigen Buddha-Statuen. Damit birgt sie einen Formenschatz, der sich in einer Vielzahl von künstlerischen oder kunstvoll gestalteten Werken aus allen Regionen Asiens zeigt. Dieser Formenschatz hat faszinierende Geschichten zu erzählen und widerlegt mit seinem Reichtum das Selbstverständnis der europäischen Kunstgeschichte von einst. Demzufolge sollten sich europäische Kulturschöpfungen von anderen durch einen höheren Grad der Perfektion abheben. Gerade auch die Neubewertung des ostasiatischen Kunsthandwerks zur Wende ins 19. Jahrhundert hat dazu geführt, dass sich eine solche eurozentrische Sicht auf die aussereuropäischen Kulturen kritisch wandelt. Eine gewandelte Sichtweise ist heute selbstverständlich geworden, hat die Bestimmung

11


SCHIFFSMODELL «CARACOA» Holz, Leinen Südostasien, Philippinen 19. Jahrhundert Sammlung Labhard-Lutz, Inv. Nr. VK 2006.130

38

Zu einem Spiel gehört nicht nur der Wettkampf der Formenvielfalt, sondern auch das Abenteuer: Die Begegnung mit dem Fremden ist oft von Unsicherheit und Unberechenbarkeit geprägt. Philippinische Händler bereisten bereits ab dem 8. Jahrhundert das südchinesische Meer und viele Küstengebiete des Pazifiks. Das Segeln und der Verkauf von Waren auf ihren Booten war seit jeher Teil ihres Lebens und der vielfältigen Kultur des fünftgrössten Inselstaates der Welt. Während der Kolonialzeit im 17. Jahrhundert entstand der Schiffstyp Caracoa unter spanischem Einfluss. Besonders auffällig ist das Schutzschild am Bug: Die Mannschaft verteidigte sich bei Angriffen durch Piraten mit Kanonen, welche hinter dem Schild aufgestellt waren. Wegen der langen Ruderreihe galt die Caracoa lange Zeit als schnellstes Schiff in Indonesien.



ANTIKER NOMADENSATTEL Ostasien, Mongolei oder Nordchina Holz, Leder, Wolle, Weissmetall, Email Cloisonnée Altbestand, Inv. Nr. VK 2006.331 Frühes 19. Jahrhundert

40

Nomaden waren geschickte Reiter, die von Viehzucht, Handel und Jagd lebten. Heute gibt es noch etwa 900 000 Nomaden, die in den weiten Steppe der Mongolei leben und die Traditionen ihrer Vorfahren fortführen. Dieser vornehme Sattel stammt vermutlich aus dem Nordwesten Chinas und zeigt prachtvolle Ornamente. Verschiedene Plaketten in Email Cloisonnée zieren die Beschläge und Steigbügel, die Satteloberdecke ist von geprägtem Leder überzogen. Ein Knüpfteppichfragment mit Blumenmuster und glücksbringenden Swastika-Symbolen aus der Region dient als Sattelkissen.



PALMBLATTMANUSKRIPT Südasien, Sri Lanka Tinte und Farbe auf Blätter der Talipot Palme 17./18. Jahrhundert Sammlung Steiner, Inv. Nr. VK B 4253

42

Die Formenvielfalt zeigt sich auch in den Schriften, wofür im vorliegenden Fall ein Zauberbuch und ein singhalesisches Palmblattmanuskript beispielgebend sind. Die Notwendigkeit der Kommunikation in Wort und Schrift tritt der absoluten Gestaltungsfreiheit des Menschen gegenüber und realisiert sich in dem Bestehen mehrerer Hundert Schriftsysteme und mehreren Tausend Sprachen und noch mehr Dialekten. Die singhalesische Schrift gehört zu den indischen Schriften und stellt eine Zwischenform aus Alphabet und Silbenschrift dar. Die runde Form der Buchstaben entwickelte sich wie bei den anderen südindischen Schriften dadurch, dass hauptsächlich auf Palmblättern geschrieben wurde, die bei geraden Linien gespalten worden wären. Manuskripte wie diese wurden typischerweise für Bibliotheken erstellt, die an buddhistische Klöster in Sri Lanka angeschlossen waren. Die frühesten wurden bereits im 5. Jh. v. Chr. in Südindien und Sri Lanka verwendet. Solche Schriften waren massgeblich an der Verbreitung von religiösen Texten in ganz Südostasien beteiligt. Illustrierte Exemplare stellen eine Seltenheit dar.



Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.