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Meine Mama und die Buschors

«Der bärenstarke Pellegrini aus Graubünden …»

ren. Unter anderem war dort zu lesen: «Der bärenstarke Pellegrini aus Graubünden …» Ich war richtig stolz, einen so starken Papa zu haben.

Meiner Mama hingegen waren solche Errungenschaften gleichgültig, um nicht zu sagen vollkommen egal. Anders kann ich das nicht erklären. Als Schulbub bekam ich mit, wie Mama eine Kartonschachtel voller Schwingfestkränze und ein Turnerband mit Fest-Medaillen «entsorgte», einfach so in den Kehricht beförderte. Den Grund zu ihrem Tun habe ich nie herausfinden können. Diese leichtfertige Entsorgung kam früher oder später ans Licht. Die Enttäuschung meines Vaters muss gross gewesen sein, waren das alles doch Erinnerungsstücke, vielleicht die einzigen, an seine Schwingerzeit. Ich erinnere mich noch heute an das fürchterliche, lautstarke Donnerwetter eines Abends in der Stube.

Meine Mama und die Buschors

Nun zu meiner Mutter, Ida Maria Pellegrini, geborene Buschor. Sie kam am 25. Juli 1921 auf die Welt. Ihre Eltern betrieben ein Bauerngütlein im Burst, weit draussen im Riet in der weiten Ebene des Rheintals, mitten im Dreieck von Altstätten, Montlingen und Kriessern. Die Grossmutter hiess Rosa, eine geborene

Pooscht Karli (ein Bruder von Mama) mit seinem Sohn im Riet beim Torf stechen

Lenherr von Grabs; der Grossvater hiess Karl. Leider habe ich ihn nie gekannt.

Die Gegend zwischen Montlingen und Altstätten wird Burst genannt. Im Rheintaler Dialekt ausgesprochen: Pooscht. Die Leute dort nannte man die Pooschtli. Da gab’s die Pooscht Lisa, den Pooscht Karli und den Pooscht Wisi, allesamt Ureinwohner der weiten Rietebene im St.Galler Rheintal. Um das bescheidene Einkommen zu verbessern, wurde dort, wie in den 1920er-Jahren üblich, auch Torf gestochen.

Von den fünf Buschor-Kindern war Mama das älteste. Das Leben zu dieser Zeit im Riet war geprägt von Arbeit und Bürde, es war ein hartes Leben, ein sehr hartes sogar. Oft erzählte sie mir vom Leben im Riet, von den rauen Wintern, vom langen Schulweg mit den Chnoschpla, den Holzschuhen an den Füssen, und von der täglichen Arbeit. Ihr Vater starb an einem Weissen Sonntag, als sie 14 Jahre alt war. Ihre Geschwister waren noch klein, gingen kaum zur Schule. Der Sozialstaat Schweiz existierte damals noch nicht. Die AHV gab’s erst nach dem Zweiten Weltkrieg, Unterstützungsbeiträge waren ein Fremdwort. Schaut selber, wie ihr zurechtkommt, lautete die Devise. Nach der Schulzeit musste Mama das Elternhaus verlassen, um Geld zu verdienen. Mit ihrem kleinen Lohn half sie mit, die Familie zu unterstützen. Sie erzählte uns auch von ihrer Stelle in einem Berg-

Hochzeit von Ida und Schaggi am Samstag, 6. Mai 1944, in der Viamalaschlucht.

gasthaus namens Ruhsitz weit oberhalb Brülisau im Appenzellischen. Es war Krieg, und die Säumer befanden sich damals im Aktivdienst. Als Mädchen für alles wurde ihr neben der Arbeit im Gasthaus auch noch das Säumerhandwerk übertragen, worauf sie stolz war. Ein- oder zweimal pro Woche ging’s mit den beiden Mulis (den Maultieren) hinunter nach Brülisau, wo sie mit Getränken und Lebensmittel beladen wurden, um die Lasten hinauf in den Ruhsitz zu transportieren.

Gegen Ende 1943 nahm meine Mama eine Stelle als Serviertochter im Restaurant Sonne in Thusis an. Dort lernte sie den knapp 40-jährigen Maurerpolier Giacomo Paolo Pellegrini kennen. Bald einmal kündigte sich bei meiner Mama Nachwuchs an und im Frühling 1944 wurde geheiratet.

In den ersten Jahren zügelte meine Mutter mit ihrem Schaggi auf seine Baustellen nach Hinterrhein, ins Safiental, nach Pignia und Vals. Während mein Vater die Baustelle besorgte, kochte Mama für die Arbeiterschaft und kümmerte sich um deren Unterkunft. Ihr kleiner Bub Silvio war natürlich immer mit dabei – ich kann mich noch schwach daran erinnern.

Die Freude an der Arbeit war meiner Mama zugetan. Besonders gefiel ihr das Mithelfen im Gastbetrieb. 57 Jahre lang half sie im Hotel Weiss Kreuz in Thusis

Mama an ihrem Lieblingsort im Nolla Mama im Hotel Weiss Kreuz, Thusis

mit. Voller Stolz erzählte sie von den Banketten, an denen sie Regierungsräte, ja sogar Bundesräte, bedienen durfte.

Später stand der Nolla im Zentrum ihres Tuns, der Nolla mit den Kaninchen, mit der Hühnerschar, mit den schönen Blumen und mit den Früchten aus dem Garten. Im Nolla wurde gearbeitet, geschwatzt und gelacht. Hier trafen sich Verwandte und Bekannte. Im Nolla freuten sich die Enkelkinder an den Tieren und an den frischen Erdbeeren.

Im hohen Alter, als ihr der steile Nollastutz zu beschwerlich wurde, erfreute sie sich am Jassen. In ihrem Altstätter Dialekt, den sie nie ablegte, gab sie ihrer Leidenschaft beim Jassen Ausdruck.

In ihren letzten Jahren ist meine Mama müde geworden. Es gelang uns nicht, sie von den Bequemlichkeiten eines Altersheims zu überzeugen. Am Barbaratag im Jahre 2008 ist sie zu Hause für immer eingeschlafen. Ihr Wesen war geprägt von Arbeit, Bescheidenheit und Fürsorge, aber auch von Freude und Begeisterung an den kleinen Dingen des Lebens.

Wegen ihrer unerbittlich harten Jugendzeit, haftete an meiner Mama eine Eigenschaft, die ihr ganzes späteres Leben prägte. Je nachdem aus welcher Sicht betrachtet, mag es eine gute oder schlechte Veranlagung gewesen sein. Zusam-

menfassend könnte ich es so beschreiben: Arbeite hart und verdiene dein Geld, dass es dir im späteren Leben einmal gut geht. Genuss, Bequemlichkeit, Gefühle, Freizeit, Werte wie sie heute zu oberst auf der Liste stehen, waren Begriffe, die, wenn überhaupt, erst in zweiter Linie wichtig waren. Fest steht, dass sie wahrscheinlich aus mir das Beste machen wollte. Ihre Erziehungsmethoden waren streng, um nicht zu sagen knallhart. Als kleiner Bub schon galt es, gehorsam zu sein. Während der Schulzeit wurde Leistung verlangt: in der Schule und zu Hause.

Im Sommer half sie den Bauern beim Heuen in den Lösern, auf Übernolla und in der Metzgerei Marxer in Carschenna. Offenbar gefiel ihr diese Arbeit: Sie erinnerte sie vielleicht an ihre Jugendzeit, war sie doch im Riet bei den Pooschtlis, den Bauern, aufgewachsen.

Eine kleine Geschichte muss ich hier noch erzählen: Im Laufe meiner Berufszeit hatte ich als junger Bauleiter auf einer Tunnelbaustelle mit einem altgedienten Polier zu tun. Wir beide kannten uns kaum, seinen Namen weiss ich nicht mehr. An unsere erste Begegnung jedoch, erinnere ich mich noch genau. Seinem Dialekt nach musste er ein waschechter Rhientler (ein Rheintaler) gewesen sein. Zuerst besprachen wir die Belange der Baustelle. Am Schluss schaute er mir in die Augen und sagte: «Ezz mosch gaad no säga du siischt epa an Pooschtli?» Erstaunt antwortete ich ihm, dass er gut geraten habe, dass meine Mutter im Altstätter Riet draussen aufgewachsen sei und ich zumindest ein Nachfahre dieser Pooschtli-Waar sei. «As häd mer gaad no wella sii, me seachst der am Grend aa, as du ann vo dei ossa bescht.» Am selben Abend noch erzählte ich meiner Mutter von dieser Begegnung. Ein Leuchten ging über Mein Onkel Karli, ein wasch- ihre Augen, und sie freute sich, dass ihr Sohn ein äusechter Pooschtli seres Merkmal vom Riet auf sich trug.

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