Steinbachs Reise

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Rolf Käppeli Steinbachs Reise

orte Verlag Leseprobe

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Rolf Käppeli

Steinbachs Reise Roman

edition punktuell.


Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden.

© 2018 by edition punktuell, ch-9103 Schwellbrunn Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Radio und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten. Umschlaggestaltung: Janine Durot Lektorat: das Buch – der Text, Irène Kost Gesetzt in Arno Pro Regular Satz: edition punktuell, Schwellbrunn isbn 978-3-905724-58-5 www.editionpunktuell.ch


 

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In der Dampfsauna 1 Ich schliesse die Glastür und schaue in den Raum: Da sitzt er. Splitternackt.  Im Wassernebel sehe ich die Umrisse seines Körpers. Wir sind allein. Ich drehe die Sanduhr, spüre ein Zucken in der Hand. Das letzte Mal sah ich Alfred C. Knecht vor Gericht. Die Ohrfeige, die ich ihm verabreichen wollte, hätte meine Chancen vor dem Richter verschlechtert. Zehn Jahre sind es her. Die Busse hat das Unternehmen bezahlt, das er präsidiert. Jetzt wird er seine persönliche Strafe erhalten. Ich mache die Dampfsauna zur Kampfsauna. Es ist anfangs Januar, Mitte der neunziger Jahre. Die Direktion hat ihren Marketing-Spezialisten unerwartet zu einer Besprechung an den Hauptsitz vorgeladen. Seit zwei Jahren ergänzt Florian Steinbach das direktorale Trio zum führenden Quartett der Firma Knecht & Co. Als Berater und Entwickler, ein wenig auch als Querdenker. Das belebe die Unternehmensspitze und öffne neue Perspektiven, fand Alfred C. Knecht. Er hatte die Neuanstellung angeregt. Steinbach schnauft die Zürichbergstrasse hoch. Der Weg wird zunehmend enger. Links säumt ein alter Holzzaun mit spitzen Latten die ansteigende Strasse, rechts erinnern Baumskelette an eine frühere Naturlandschaft. Gelbe Linien auf dem Asphalt signalisieren ein Parkverbot. Eine Baustelle versperrt den Fussweg. Steinbach weicht auf die Strasse aus. Lieferwagen und offene Container besetzen die blau markierte Zone am rechten Strassenrand. Rechts wartet ein schmaler Kran auf Transportgüter. 7


Die Strasse ist hier nur in einer Richtung befahrbar, nach oben. Fünf Minuten später sieht er die Villa. Das herrschaftliche Haus ist umgeben von geometrisch streng geschnittenen Hecken und Zierbäumen, dazwischen führen Kieselwege rund um das Gebäude. Am Giebeldach klebt eine massive Lukarne. Dort oben sind die Arbeitsplätze für jene Kadermitglieder, die anderswo arbeiten und nur zeitweise die Unternehmenszentrale frequentieren, sei es aus Kostengründen, sei es, weil die Distanz zum Sitz am Zürichberg zu weit ist. Der Mann ist gross, fast zwei Meter, wenn er steht. Hat er mich erkannt? Ich greife zum Wasserschlauch. Der Strahl soll ihn wuchtig und spitz treffen. Die kalte Dusche wird ihn zum Tanzen bringen, er wird aufschnellen. Wie Sumokämpfer werden wir aufeinander losgehen. Unsere Leiber werden die Nasszelle in eine Ringkammer verwandeln. Ich prüfe meine Chance, aus dem Nebelraum als Gewinner hin­auszugehen. Drei Sitze sind leer. Auf dem vierten hockt mein Opfer. Sechs Fenster mit schmiedeisernen Gittern und blauen Läden schauen im ersten Stock zur Strasse hin. Eine Tür führt auf den Balkon. Dahinter ist das Büro von Luzius Knecht, dem einzigen Sprössling der Besitzerfamilie. Sein Vater Alfred Cornelius hat dem Sohn das grösste Zimmer überlassen. Für sich beansprucht der Präsident den kleinen, mit Stuckaturen ausgestatteten Raum auf der Rückseite der Villa. Francesco Ballerini, der dritte Mann in der Direktion, hat am Zürichberg keinen Arbeitsraum. Er hätte in dem dreistöckigen Haus ein eigenes Büro haben können. Aus Gründen, die nicht alle durchschauten, zog er einen temporären Arbeitsplatz im Dachraum vor. Er sei viel unterwegs, begründete er. Zu Hause am Hall8


wilersee habe er zudem den unmittelbaren Zugang zu seinem Archiv, dem Tresor für die Geistesarbeit. Vater und Sohn Knecht schätzen den Arbeitsort am Zürichberg. Sie legen Wert darauf, dass die Bildungswelt weiss, wo die Firma ihr Machtzentrum hat. Es ist Steinbach gelungen, zum Hauptsitz auf Distanz zu bleiben. Am liebsten arbeitet er im Zug. Die Direktion zahlt ihm in Wollishofen ein Büro, auf Zusehen hin. Der Nebelgenerator pustet neue Schwaden in den Raum. Schwach leuchten die farbigen Lämpchen an der Decke. Die feuchte Umgebung und die schlechte Sicht schränken die Kampfkraft ein. Die Erfolgsaussicht ist ungewiss. Ich verwerfe die Sumokämpfer-Idee. Jetzt nur die Wut nicht verlieren. Mein erster Schlag, das verlangt die Logik der Lokalität, muss den Gegner kampfunfähig machen. Was passiert, wenn ich ungenau zuschlage? Was mache ich mit dem schweren Körper, wenn der Mann bewusstlos zu Boden fällt? Drücke ich den Alarmknopf? Lasse ich ihn im Dampf schmoren und hole Hilfe im oberen Stock des Gesundheitszentrums? Was sage ich der Aufsichtsdame am Schalter? «Da unten liegt ein Mann in der Dampfsauna, es scheint ihm schlecht geworden zu sein, er ist bestimmt dankbar für Ihre Hilfe …» Ich fürchte, dass ich die dem Fall angemessenen Worte nicht finden werde. Der letzte Anstieg ist steil. Steinbach schwitzt, gleichzeitig geht ein unangenehmes Frösteln durch seinen Oberkörper. Die Vorladung hat ihn verunsichert. Die Zeit der Günstlings­ position in der Firma scheint passé. In den vergangenen Monaten ist es vermehrt zu leidigen Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und der Direktion gekommen. 9


Vor der Gartentür hält Steinbach inne. Er betrachtet das Firmenschild «Knecht & Co. – Die Schweizer Bildungsanstalt». Den Namen der Firma hat er mehrmals kritisiert. Er sollte in den Augen der Knechts Qualität ausstrahlen. In Steinbachs Ohren klang er unzeitgemäss, ja verstaubt. Der Name entsprach der angestrebten internationalen Ausrichtung des Unternehmens keineswegs. «Fehlt nur noch die Armbrust im Logo», hat Steinbach einmal an einer Geschäftssitzung bemerkt. Vater Knecht entlockte er damit ein verlegenes Lächeln. Es blieb die einzige Reaktion. Kurz vor elf. In vier Minuten beginnt die Besprechung. Steinbach zieht den Schlüssel aus der Tasche. Er öffnet das Tor und tritt über eine kurze Gartentreppe ins Haus. Die Januarkälte weicht einer wohligen Wärme. «Man erwartet dich im oberen Stock, Florian, in Luzius’ Büro», begrüsst ihn Irma Stöckli, die in der Eingangshalle am Kaffeeautomaten hantiert. Ihm ist, als schwinge im Lächeln der Chefsekretärin des Hauses etwas Verlegenes mit. «Inhalieren Sie tief den feinen Wasserdampf. Er wirkt schleim­ lösend und hilft bei Heiserkeit und Bronchitis. Der Dampf befreit von innen.» Das stand aussen neben der Tür. Versprochen wird mir ein Relax-Erlebnis mit optischen und duftenden Highlights. «In der Dampfsauna lösen sich angestaute Aggressionen. Der Dampf massiert und entspannt den Körper.» Ich brauche keine Saunatipps, will mich rächen, nichts anderes. Das Thermometer zeigt sechzig Grad. Ich werde nass, ohne zu schwitzen. Chancenlos bin ich nicht. Langsam drehe ich am Wasserhahn, mit der andern Hand drücke ich den Daumen auf das Schlauchende, ein starker Strahl spritzt hervor. Ich richte die Fontäne auf den freien Platz neben dem Mann im Nebel, säubere die Sitzfläche. 10


Er klopft. Der Mann, der die Tür einen Spalt breit öffnet, ist ihm nicht bekannt. «Einen Moment, Herr Steinbach. Wir sind gleich so weit.» Noch nie musste er im Korridor vor dem grossen Büro auf seinen Zutritt warten. Entweder empfing man ihn mit einem Kaffee unten beim Empfang, oder es kam zu spontanen Kontakten mit Kollegen, die durch die Gänge eilten und für einen Schwatz ihre Geschäftigkeit unterbrachen. Auf der Wartebank fühlt er sich unbehaglich, die ungewöhnliche Stille erinnert ihn an eine Abdankungshalle. Steinbach trägt Arbeitskleider, dunkelblaue Jeans, ein farbiges Hemd, einen lockeren Pullover. Repräsentationspflichten sind nicht vorgesehen, ihn erwartet eine Arbeitssitzung. Eine klärende, hofft er. Der Blick streift über die Kunstdruckbilder an der Wand. Käthe Kollwitz: Kinder, geborgen auf dem Mutterschoss, hungernd mit Essschalen. Getragen von starkem Männerarm. Er hat die Gemälde bisher wenig beachtet. Die Gefahr besteht, dass ich mit einer eleganten Körpertäuschung in der glitschigen Umgebung das Gleichgewicht verliere. Ich muss darauf achten, dass ich nicht auf der Natursteinbank aufschlage. Wenn ich nicht blitzartig zurückweiche, schnellt das gegnerische Bein gegen meinen Unterleib. Ich nutze das Überraschungsmoment. Schlage ich, aufgebaut vor dem Gegner, direkt in seinen Bauch, zuckt der Ahnungslose wie ein Messer zusammen – er wird um Atem ringen. Meine Finger ballen sich zu Fäusten. Noch zögere ich. Der lange Arm des Gegners fährt mir womöglich ins Gesicht. Vielleicht versucht der Typ, sich an meinen Hals zu klammern. Eine Umarmung möchte ich vermeiden. 11


Ihm gegenüber sitzt der Unbekannte. Dunkelblauer Anzug, hellgrüne Krawatte, weisses Hemd. Der Mann grinst, als wäre er der neue Herr im Haus. «Mein Name ist Jean-Michel Klarer. Ich bin Rechtsanwalt und leite die Sitzung.» Steinbach starrt wortlos in die Runde. Er wähnt sich in einem Bühnenstück. Das Triumvirat hat neben dem Vorsitzenden Platz genommen: der Baron und der Kuli rechts, links Ballerini, die Primadonna. Der Chorleiter hebt an. «Wir haben Sie aus besonderem Grund hierher geladen, Herr Steinbach. Die Direktion von Knecht & Co. will das Arbeitsverhältnis mit Ihnen auflösen. Ich bin beauftragt, Ihren Abgang sauber über die Bühne zu bringen.» Das Triumvirat schweigt. Ausdruckslos fixiert ihn Alfred C. Knecht. Der Kuli mustert seinen sportlich abgewetzten Pullover. Die Primadonna wischt ein unsichtbares Stäubchen vom Ärmel der Jacke. Klarer schielt zu Alfred C. Knecht, der unauffällig nickt. Der Advokat holt neu Atem. Der Dampfgenerator surrt. Ein neuer Nebelschub quillt in die dunkle Kammer und umhüllt die Silhouette meines Feindes. Ich rieche einen vertrauten Duft. Ist es Zitrone, Lavendel oder Blutorange? Die Nase gehört nicht zu meinen stärksten Organen. Irgendeine Kräuteressenz wird dem Gebläse beigemischt worden sein. Die Faust lockert sich. Ich warte mit dem finalen Hieb. Der erste Schlag wird verbal sein. Ich werde ihn anbrüllen, ihm ins Gesicht schreien, ohne vorgängiges Gesäusel sagen, was ich von ihm halte. Du bist ein dreckiges Schwein, Knecht, ein Arschlecker. Ein schleimiger, arschfotziger Widerling. Ein unerträglicher Wichtigtuer. Ein Verräter.

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«Die Unternehmensleitung hat Sie vor zwei Jahren eingestellt, um der Firma neue Impulse zu geben. Ihre Ideen, wie Sie die Aufgabe angepackt haben, fielen eine Zeitlang auf fruchtbaren Boden. Nach dem ersten Jahr verdüsterte sich das Klima. Ihr Umgang mit einzelnen Mitarbeiterinnen war zu emotional. Er belastete die Atmosphäre in mehreren Unternehmensbereichen. Ihre Ziele waren unrealistisch gesetzt. Mit der Stossrichtung, einen grossen Lehrmittelverlag mit ins Boot zu holen, übernahmen Sie sich endgültig, Herr Steinbach. Ein solches Vorgehen entspricht in keiner Weise der unternehmerischen Familienphilosophie. Hinzu kam Ihre Tendenz», der Blick des Juristen streift Luzius Knechts Gesicht, «die Dinge stur durch eine rosa Brille zu sehen. Das erschwerte die Kommunikation im operativen Geschäft massiv. Die vergangenen Wochen haben gezeigt, dass eine weitere Zusammenarbeit zwischen Ihnen und der Direktion nicht sinnvoll ist.» Klarer zieht ein Papier aus der Mappe. «Ich unterbreite Ihnen hier ein Schreiben, das Sie bitte unterzeichnen wollen, damit die Angelegenheit den rechten Gang geht. Die Geschäftsleitung ist Ihnen dankbar, wenn die Sache ohne Lärm erledigt wird.» Steinbach ist sprachlos. Er wirft einen Blick auf das Papier, legt den Wisch beiseite, schaut den Arbeitskollegen ins Gesicht, verwundert und aufgewühlt. Das Triumvirat zeigt keine Regung. In Steinbachs Kopf vibriert es. Was zum Teufel geht da vor? Wo bin ich? Er zwingt sich, tief zu atmen. «Sie müssen das nicht persönlich nehmen, Herr Steinbach. Es gehört zu den üblichen Vorgängen eines grossen Unternehmens, ihre Chefs auszuwechseln. Entlassungen sind hier Courant normal. Nehmen Sie die führenden Medienunternehmen in der Schweiz, da wird rotiert und bugsiert, dass es eine wahre Freude ist. Das ist Teil des Lebens in den Teppichetagen.» 13


Die Worte haben Steinbach überrascht. Der Anwalt seines Arbeitgebers war kein Unhold. Der Entscheid war strategisch begründet, Teil unternehmerischen Denkens. Der Mann neben mir schweigt. Er starrt vor sich hin, verloren im gelichteten Wasserdampf, den Oberkörper leicht vorgebeugt, die Ellbogen auf die Oberschenkel gestützt. Eine im Sitzen triefende Statue. Müde. Kein römischer Cäsar, auch kein griechischer Denker. Der Wasserdampf in der Schwitzkammer hat sich weitgehend aufgelöst. Die Luft ist knapp über vierzig Grad warm. Der nächste Nebelschub wird uns wieder einhüllen. Ich lege das linke Bein über das rechte, sodass ein Teil des Hodensackes zwischen den Beinen nach oben drückt. Die Haut des Geschlechtsteils ist glattrot angespannt wie eine Leber. Ich möchte kämpfen, nicht beobachten. «Warum schlägst du nicht zu?» Knecht spricht leise. Ohne Ausdruck, ohne Bewegung. Mir stockt der Atem. Ich starre auf ihn. Er schaut an die feuchte Wand uns gegenüber. Sein Rücken ist gebeugt, den rechten Ellbogen stützt er auf den Oberschenkel, die linke Hand umfasst das Kinn. Krumm drückt der Zeigfinger auf den Mund. Knecht studiert die Wassertropfen, die an den Wänden hinunterrieseln. «Warum schlägst du nicht zu, Florian Steinbach?» Er hat mich erkannt; die Frage habe ich nicht erwartet. Schatten von Personen ziehen an der Tür des Dampfbades vorbei. Die Trockensauna nebenan erhält Besuch. Was ist mit meiner Rache? Löst sich die Abrechnung in warmer Luft auf? Ich zwinge mich, gelassen zu reden. «Wie kommst du darauf?» «Dein aggressiver Vorsatz funkelt durch den Nebel. Ein Blinder merkt’s.» 14


Ich presse die Lippen aufeinander, die Faust ballt sich erneut. Wie redet der Kerl mit mir! Was zum Teufel soll ich tun? Knecht richtet sich auf. «Du störst den Saunagenuss, Steinbach. Es war friedlich, bis du kamst, ich konnte mich entspannen. Ich will mich erholen. Ärger hatte ich genug.» «Ärger?» Knecht mustert mich, als hätte ich eine unanständige Frage gestellt. Mich durchzuckt ein peinliches Gefühl. Ich kann den Blick, der für Sekunden meinen Körper durchbohrt, nicht ertragen. Es wird mir bewusst, wie nackt und ungeschützt ich neben meinem einstigen Arbeitgeber sitze. «Nicht der, den du meinst. Dein fataler Auftritt im Unternehmen ist längst Geschichte. Niemand mehr interessiert sich für den Ritter von der traurigen Gestalt.» Ich drücke die Hand auf den Steinsitz. «Ich kann nicht behaupten, dass mir dein Ärger leidtut.» «Ich werde nichts erzählen.» Eine heisse Nebelfahne strömt durch das Gitter des Dampfgenerators. Sie legt sich um unsere Körper. «Auch nicht vom Ritter von der traurigen Gestalt?» Knecht schweigt. «Du findest, ich sei gegen Windmühlen gerannt?» Stille. Der Mann neben mir ist nicht derselbe, der mich als Marketing-Mann in sein Unternehmen geholt hatte. Auch nicht der, den das Gericht zu hunderttausend Franken Wiedergutmachung verurteilt hat. Alfred C. Knecht redet eine andere Sprache als damals. Der ehrgeizige Verwaltungsratspräsident, der sich im Glanz der Öffentlichkeit sonnte, ist zum einsamen Saunagänger geworden. Ist es Enttäuschung, die aus seinen Worten klingt? Resignation? Ich überlege, wie ich Knecht aus der Reserve locke. «Warum hast du mich damals fallen gelassen, Knecht?» Stille. 15


Der Wasserdampf wird dichter, der Temperaturmesser zeigt fünfundsechzig Grad. Aus dem Vorraum der Saunaanlage hört man Stimmen. Mein Angriff erlaubt keine Zeugen, das Verhör keine Mithörenden. Wenn sich jetzt die Tür öffnet, ist meine Chance vorbei, mit Knecht abzurechnen. «Ich fand es gemein, wie du dich mir gegenüber verhalten hast.» Meine Worte tönen dünn. Der Typ macht mich unsicher. Von draussen dringt Gelächter durch die Tür. Der rieselnde Sand hat den dritten Minutenstrich überschritten. Die Zeit läuft mir davon. Was, wenn Knecht jetzt aufsteht und die Kammer verlässt? Ich muss ihn an empfindlicher Stelle treffen. «Du warst feige, Knecht.» Sein Kopf bewegt sich in meine Richtung, er schaut schräg an mir vorbei. Wortlos. «Dein machtvolles Schweigen erinnert mich an den Moment am Zürichberg, als dein Anwalt mir die Nachricht an den Kopf warf, ich sei fristlos entlassen. Du warst für mich eine riesengrosse Enttäuschung.» Knecht erhebt sich. «Ich bin nicht dein Therapeut, Steinbach. Such dir einen andern Mülleimer. Dein Leben hat nichts mehr mit mir zu tun.» Ich schnelle auf, packe ihn am Oberarm. «So kannst du nicht verschwinden. Wenn du die Dampfsauna jetzt verlässt, mach ich ernst.» Über Knechts Gesicht huscht ein Lächeln. Es versprüht Mitleid, Hohn und Ärger. Als er sich zur Tür wendet, schlage ich zu, mit voller Wucht.

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Der Gegner 2 Das private Unternehmen für Aus- und Weiterbildung der Familie Knecht war Ende der 1980er-Jahre in Oerlikon angesiedelt. Schon bald nach der Firmengründung, wenn Besucher das Büro betraten, glaubte Luzius Knecht, ein feines Stirnrunzeln der Kunden zu bemerken. Als dynamischer Manager sah er die Ursache im Standort. «Die Location ist nicht zeitgemäss. Wir müssen unseren Sitz ins Zentrum verlegen», verkündete er der Geschäftsleitung. Weder sein mächtiges Schreibpult aus glanzlackiertem Mahagoni-Holz noch der teure Bürosessel vermochten die Repräsentationsmängel des Hauptsitzes zu kompensieren. Steinbach, der Neuling, der sich zu Wort gemeldet hatte, sah den Grund in der Geschichte des Quartiers. Mit dem Namen Oerlikon verknüpfe ein Teil der Kundschaft noch die Stimmen der Arbeiter in mächtigen Industriehallen. Zu vieles in der Gegend erinnere an die gewerkschaftliche Vergangenheit der Quartierbewohner, an wilde Streiks und rüden Klassenkampf. So oder so, das passte schlecht zu den ambitiösen Zielen, die er, Luzius Knecht, mit dem Unternehmen verband. Die Firma sollte international erfolgreich werden, kapitalkräftige Kunden gewinnen und nicht gegen ein Image aus den 1950er-Jahren anrennen. Luzius Knecht hatte noch einen andern Grund, weshalb er zu einem Ortswechsel drängte. Die Lehrerorganisation, deren Mitglied sein Vater gewesen war und die in Oerlikon ihren Sitz hatte, war ursprünglich mit der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz verknüpft. Mit dieser wurde die Direktion des jungen Bildungsunternehmens ungern in Verbindung gebracht. Sie provozierte störende Fragen. Fünf Jahre nach der Firmengründung überzeugte Luzius 17


Knecht den Vater, einen neuen Geschäftssitz zu suchen. Teilhaber Ballerini nickte, er kannte die Machtverhältnisse an seinem Arbeitsplatz. Am Zürichberg war man fündig geworden. Das «Dolder Grand» lag noch nicht in finanzieller Reichweite; den Schritt in die neue Umgebung feierte man in Basel, wo die Knechts ihre Wurzeln hatten. Im «Les Trois Rois». Es gab bretonischen Hummer mit frischer Bergamotte, Seezungenfilet und Bresse-Tauben. Man entspannte sich im Outdoor-Whirlpool hoch über den Dächern der Altstadt mit Sicht auf den Rhein. Dass Alfred C. Knecht für die Neuanstellung von Steinbach verantwortlich war, nahm Luzius Knecht in Kauf. Schliesslich musste und wollte er dem Alten seine Spielwiese lassen. Den einsamen Entscheid des Vaters nahm Luzius gelassen. Florian Steinbach kannte er damals noch nicht. Im dümmsten Fall würde man es mit einem unternehmerischen Greenhorn zu tun bekommen. Dann würde man den Neuling Mores lehren. Die erste Arbeitssitzung mit Steinbach wurde für Luzius Knecht zum Albtraum. Die Direktion traf sich einmal im Jahr abwechselnd bei jedem Mitglied privat zu Hause; der Präsident wollte das so. Man tagte bei Steinbach in der engen Drei-Zimmer-Genossenschaftswohnung in Wollishofen. Für Luzius Knecht blinkte die Warnlampe bereits zu Beginn des Treffens. Zum Auftakt zog der Alte aus einem Stofftäschchen die afrikanischen Kultfigürchen, mit denen er, wenn er seine unantastbare Macht demonstrieren wollte, esoterische Spielchen spielte: Wer war warum da, mit wem und zu welchem Nutzen? Mit ­einem kleinen Ritual fügte sein Vater eine neue Figur zum Set und inthronisierte den Nobody. Luzius Knecht schüttelte es noch Jahre später, wenn er an die Sitzung bei Steinbach zu Hause dachte. Die Wohnung roch nach alternativer Subkultur mit Che-Guevara-Groove und Ikea-Touch. An den Utensilien im Bad merkte man, dass in der schmuddeligen 18


Wohnung noch andere ein- und ausgingen. Offenbar lebte Steinbach in einer Wohngemeinschaft. Als Luzius Knecht der Verlockung nicht widerstand, im Bad ein Kästchen zu öffnen, machte er grosse Augen: Dildos und Penisringe lagen darin, Vibratoren und Liebeskugeln. Ekelhaft. In welchen Kreisen verkehrte der Typ? Mit was für einem Subjekt hatte es die Direktion zu tun? Die Partnerin sei gerade auf einer Geschäftsreise, erklärte Steinbach den Kollegen. Undurchsichtige Verhältnisse, fand Luzius Knecht. Den Vater schien dies nicht besonders zu stören und Ballerini kümmerten keine persönlichen Details. Er zog es vor, nicht auf privates Glatteis zu rutschen. Den Vogel abgeschossen hatte Steinbach mit dem Mittagessen, das er ihnen servieren wollte. Er müsse die Lasagne nur noch kurz in den Ofen schieben und die Salatsauce zubereiten, hatte er sie zu Beginn orientiert. Für die Broccoli habe er eine Spezialpfanne angeschafft, die Strom spare und die Vitamine im Gemüse schone. Er und Ballerini nickten und wechselten Blicke. Als sie die Sitzung für die Mittagspause unterbrachen und Steinbach in der Küche verschwand, traten er, Ballerini und sein Vater auf den Balkon. Luzius Knecht war drauf und dran loszuprusten. An Vaters strengem Blick erkannte er, dass er saloppe Sprüche über Steinbachs Behausung im Moment besser unterliess. Nachdem Ballerini nach einer Weile in die Küche gegangen war, um zu fragen, wann man essen könne, kam er zurück auf den Balkon, stülpte die Lippen nach vorn, zog die Augenbrauen hoch und meinte maliziös, dem Kollegen sei ein Malheur passiert: Das Essen sei angebrannt. Steinbach werde nun, wenn man einverstanden sei, beim besten Pizza-Kurier in Wollishofen Ersatz bestellen. Oder man gehe gemeinsam ins «Casa Nostrana», auf Steinbachs Rechnung. Alfred C. Knechts Machtwort kam schnell. Er lud die Geschäftsleitung ins Restaurant Bürgli, das oberhalb des linken Zürichseeufers thronte, zum Mittagessen ein.

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