Appenzeller Magazin Juni 2020

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MONAT 2013 / APPENZELLER MAGAZIN / RUBRIK / 1

NR. 6 CHF 8.–

JUNI.2020/DORFLEBEN ÜBER DEN TÜFENBACH

WALDPÄDAGOGIK FÜR ALLE SINNE MIT COVID-19-SONG AUF YOUTUBE


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JUNI 2020 / APPENZELLER MAGAZIN / EDITORIAL /

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JA

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AOP (geschützte Ursprungsbezeichnung) und IGP (geschützte geografische Angabe) bezeichnen Produkte, die in ihrem Herkunftsgebiet in der Schweiz nach traditionellen Methoden und unter Wahrung des authentischen Geschmacks hergestellt werden.

In Schönengrund wäre diesen Sommer Feiern angesagt gewesen. Und das mit gutem Grund. 300 Jahre ist es her, seit mit dem Kirchenbau der Grundstein für die Gemeinde gelegt wurde. Als Auftakt war ein Kirchgang nach Urnäsch geplant. Also in jene Gemeinde, von der sich die damals als «Hinterhammer» bezeichneten Schönengründler losgelöst hatten. Ende August sollte ein grosses Jubiläumsfest mit Pauken und Trompeten folgen. Die Coronakrise macht dem einen Strich durch die Rechnung, sämtliche Feierlichkeiten werden auf 2021 verschoben. Im Appenzeller Magazin stellen wir die bevölkerungsmässig kleinste Ausserrhoder Gemeinde auch ohne Fest ins Zentrum. Wir haben zur Vergangenheit recherchiert und mit Schönengründlerinnen und Schönengründlern gesprochen, wie sie die Dorfgemeinschaft erleben und weshalb es sie über den Tüfenbach ins st. gallische Wald zieht. Dabei wurde klar: Hier denkt und lebt man über die Grenzen hinaus. Den abonnierten Ausgaben des Appenzeller Magazins liegt die aktuelle Broschüre «höckle ond gnüüsse» bei. Darin werden besonders empfehlenswerte Restaurants im Appenzellerland vorgestellt. Wir wünschen viel Spass beim Entdecken und «en Guete». JOLANDA SPENGLER

Jetzt wählen. Im Laden: TITELBILD: Carmen Wueest (Dorfzentrum von Schönengrund mit Kirche) HERAUSGEBER: Appenzeller Verlag AG, Schwellbrunn. VERLEGER: Marcel Steiner. REDAKTION: Jolanda Spengler, E-Mail: jolanda.spengler@appenzellerverlag.ch

(Leitung), Roger Fuchs, Katja Nideröst, Yvonne Steiner.

FOTOGRAFIE: Carmen Wueest, Jolanda Spengler. ADRESSE: Appenzeller Magazin, Im Rank 83, 9103 Schwellbrunn,

verlag@appenzellerverlag.ch, www.appenzellermagazin.ch.

VERLAGSSERVICE/ABONNEMENTE: Tel. 071 353 77 55,

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PREISE: Einzelnummer Fr. 8.–, Jahresabonnement Fr. 84.–, erscheint monatlich,

24. Jahrgang.

GESTALTUNG/PRODUKTION: Brigitte Knöpfel, Daniela Saravo, Josef Scheuber. ANZEIGENVERKAUF: Luca Giovanettoni, Tel. 071 353 77 42,

luca.giovanettoni@appenzellerverlag.ch.

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JUNI 2020 / APPENZELLER MAGAZIN / INHALT /

INHALT HEIMAT 4 KOMPAKT 6 NOTIERT 9 AUF DEM «NATURPFAD DER SINNE» DURCH DEN WALD 10 EIN APPENZELLER NAMENS … 15 DAS DORF ZWISCHEN HAMM UND TÃœFENBACH 16

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GLOSCHTIG OND GMÖGIG 28 «MISTER SANDMAN» WIRD ZUM APPENZELLER COVID-19-SONG 30 HIESIGS 33

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WANDERN 34 NATÃœRLICH HEILEN 41 MENSCH UND RAUM 42 HÖCKLE OND GNÜÜSSE  IM «FREUDENBERG»â€‚46 DIVERSICUM 47 CHEERAB 48

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ANGEKOMMEN Nach einem langen Fussmarsch ist der Urnäscher Landwirt Walter Nabulon mit seinem Vieh auf der Alp Unterer Stofel auf der Kleinen Schwägalp angekommen. Für die letzten Meter des Öberefahre werden die Leitkühe entlastet und die Schellen von den Sennen zur Alphütte getragen. CARMEN WUEEST Bild


JUNI 2017 / APPENZELLER MAGAZIN / HEIMAT / HEIMAT / 4 / 5 / 5


/ KOMPAKT / APPENZELLER MAGAZIN / JUNI 2020

weba Weberei Appenzell AG einen antiviralen und antibakteriellen Stoff für waschbare Gesichtsmasken entwickelt. «Für so etwas benötigen wir eigentlich ein Jahr. Aber jetzt hatten wir freie Kapazitäten und können mit dem Produkt einen Mehrwert schaffen», sagt CEO Benjamin Fuchs (im Bild). Anfragen für das Gewebe, das einen besseren Schutz vor Viren verspricht, treffen aus aller Welt ein, etwa vom englischen Gesundheitsministerium und einem amerikanischen Luxuswarenhersteller. Verkauft wird auch in die Nähe, ans Modeunternehmen Goldener in Appenzell.

Bild: Carmen Wueest

APPENZELL Innert sechs Wochen hat die

HERISAU Viele Menschen haben

schoben und ausgebaut. Es wurden auch neue Kühlzellen, Lagerflächen und eine Ausgabestelle für die Gartenwirtschaft gebaut. AUSSERRHODEN Per 1. Mai übernahm Silvan Eugster die Aufgabe als neuer Wildhüter von Appenzell Ausserrhoden. Der 34-Jährige ist in Gais aufgewachsen. Er arbeitete seit 2014 als Wildhüter im Kanton St. Gallen. WALZENHAUSEN Das ehe-

jetzt Zeit, ihre Wohnungen zu räumen. Dies führt vor allem bei der Entsorgungsstelle des WinWin-Markts zu Staus. Entlastend wirken soll eine temporäre Entsorgungsstelle beim Kammerholz an der Saumstrasse.

malige Ferienzentrum Sonneblick könnte ab Anfang 2021 als Asylzentrum genutzt werden. So hat es – zur Freude der Ausserrhoder Regierung – das Bundesgericht entschieden. Jetzt muss die Baubewilligung noch mit Auflagen ergänzt werden.

ALPSTEIN Die Bergrestaurants

URNÄSCH Das Reka-Feriendorf

im Alpstein haben geöffnet, und alle öffentlichen Parkplätze in Wasserauen und Brülisau stehen wieder zur Verfügung.

ALPSTEIN Nach einem Umbau konnte auch das Berggasthaus Aescher in die Sommersaison starten. Gäste- und Arbeitsbereiche wurden beim Umbau getrennt, die Sanitäranlagen ver-

hat Mitte Mai die Türen wieder geöffnet. «Die Schweizer brauchen einen Tapetenwechsel», sagt Damian Pfister, Leiter Geschäftseinheit Reka-Ferien. Er freut sich über viele Buchungen für die Sommer- und Herbstferien. In den Ferienwohnungen sei es gut möglich, das Social Distancing einzuhalten. Ein Teil des Bäderbereichs bleibt noch zu.

Bild:zVG

A P P E NZE L L E R L A N D Das Ausserrhoder Bildungsdepartement hat entschieden, dass Maturandinnen und Maturanden der Kantonsschule Trogen trotz Coronapandemie zu den schriftlichen Maturaprüfungen antreten müssen. Die Studierenden beklagen in einem Brief an die Regierung die zu kurze Vorbereitungszeit. Auch in Innerrhoden finden Maturaprüfungen statt, aber nur mündlich.

Bild: zVg

KOMPAKT

Bild: Carmen Wueest

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Die Gemeinde verkauft dem Velomuseum das «Sprötzehüsli» an der Heidenerstrasse. Damit kann die Genossenschaft «Kultur im Sprötzehüsli» gegründet werden. Walter Wagner, Daniel Bartholdi, Gemeindeschreiber Stefan Weber, Gemeindepräsident Urs Rohner, Monika Golay-Boller und Roger Kast (von links) stossen auf die Überschreibung an.

Bild: zVg

REHETOBEL

INNERRHODEN Statt wegen

Bild: Carmen Wueest

Bild: zVg

ausbleibender Gäste tatenlos im Büro herumzusitzen, sorgen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Appenzellerland Tourismus AI für frisch markierte Wanderwege. Was im Bezirk Schlatt-Haslen begonnen hat, soll in den Bezirken Gonten und Rüte fortgesetzt werden. REGION Regelmässig werden in Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden die Fliessgewässer untersucht. Die neuen Daten zeigen gegenüber 2013 eine Verbesserung der Wasserqualität und der Lebensbedingungen für Fauna und Flora. Untersucht wurden die Bäche an 62 Stellen. APPENZELL Alles war bereit, aber wegen der Coronakrise wird das Eidgenössische Jubiläumsschwingfest Ende August auf der «Bleiche» auf 2021 verschoben. APPENZELL Wegen des Verbots für Grossveranstaltungen kann die Innerrhoder Landsgemeinde auch im August nicht stattfinden, vielleicht überhaupt nicht mehr dieses Jahr. Zur Debatte steht eine Urnenabstimmung. TEUFEN Der Bahnhof Teufen ist

Bild: zVg

seit dem 11. Mai nach intensiver Bauphase wieder in Betrieb. Neu steht den Fahrgästen ein überdachtes Mittelperron mit behindertengerechtem Zugang zu den Zügen zur Verfügung. Und eine Lichtsignalanlage bei der Bahnhofkreuzung sorgt für erhöhte Sicherheit.

REGION Die Verwaltungsräte der Appenzeller Bahnen und der Frauenfeld-Wil-Bahn wollen eine Fusion ihrer Bahnen prüfen. Bis

Ende Jahr werden die zur Entscheidungsfindung notwendigen Grundlagen ausgearbeitet. REGION Alpauffahrten sind trotz Coronakrise erlaubt, so hat es das Bundesamt für Landwirtschaft entschieden. Die Bauern müssen sich aber an Auflagen halten, Zuschauer sind unerwünscht. Die Daten der Alpaufzüge bleiben geheim, und auf den festlichen Teil des traditionellen Anlasses soll verzichtet werden.

Der finanzielle Schaden durch die Coronakrise ist zu gross, deshalb geben die Pächter des «Urwaldhauses» auf. Seit 2018 hatten Michèle Müller und Frey Lüscher den Betrieb gepachtet. Sie investierten viel und wären gut gebucht gewesen.

REHETOBEL

URNÄSCH «Heimat und Geselligkeit» heisst das Filmprojekt, mit dem Schauspieler Philipp Langenegger und seine Familie die Bewohner von Altersheimen erfreut. philipplangenegger.com HERISAU Die Zukunft des Res-

taurants Treffpunkt liegt neu in den Händen des St. Galler Gastrounternehmers Florian Reiser. Im Mai wurde die Inneneinrichtung erneuert. Der Chef der Focacceria St. Gallen möchte in Herisau Grossstadtflair einziehen lassen, auch mit dem Angebot einer durchgehend warmen Küche.

BRÜLISAU Statt erst im Okto-

ber wurden die Bauarbeiten auf dem Hohen Kasten im Mai begonnen. Der Tunnel wird verbreitert und ein Schräglift eingebaut. Danach können auch Personen mit körperlicher Beeinträchtigung das Drehrestaurant erreichen. Die Seilbahn bleibt bis zu den Sommerferien geschlossen. Aktuelle Informationen: hoherkasten.ch.

REGION Mit einer schweizweit kostenlosen An- und Rückreise per Bahn will Appenzellerland Tourismus AI mehr Gäste anlocken. Profitieren kann, wer in Appenzell und Umgebung ein Hotel bucht und mindestens drei Nächte bleibt.


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JUNI 2020 / APPENZELLER MAGAZIN / NOTIERT /

Bild: Carmen Wueest

Hanspeter Spörri, 1953 in Teufen geboren, ist freischaffender Journalist und Autor und befasst sich oft mit appenzellischen Themen. h.spoerri@bluewin.ch

APPENZELLISCHE ORDNUNGSLIEBE WENN MAN SICH und Natur entscheiden muss.

plötzlich zwischen Ordnung HANSPETER SPÖRRI

Appenzeller seien ordnungsliebend. Das sagte mir John Eugster. Er war um 1920 als mittelloser junger Knecht von Speicher in den US-Bundesstaat Wisconsin ausgewandert. Ich hatte ihn 1978 auf seiner Farm besucht, die von seinem Sohn bewirtschaftet wurde. 500 Milchkühe standen in den Ställen, alle sauber gestriegelt. «Wie im Appenzellerland, nur etwas grösser», sagte er augenzwinkernd. Bis zu seinem 80. Lebensjahr war er nie mehr in seine Heimat gereist, sprach aber einen fast reinen Appenzeller Dialekt. Die grosse Weltwirtschaftskrise ab 1929, sagte Eugster, habe er als Bauer dank seiner Ordnungsliebe und Sparsamkeit überlebt. Ordnungsliebe und Sparsamkeit hielt auch meine Grossmutter, die Naturärztin, für Tugenden. Sie war auf einem Bauernhof mit einem Dutzend Geschwister aufgewachsen, hatte wirtschaftlich schwierige Zeiten erlebt. Oft ärgerte sie sich, wenn ein Bauer eine Böschung nicht mähte oder bei Bäumen und Zäunen «Schnäuze» stehen liess. Sie empfand dies als unordentlich und verschwenderisch. Fast jedes Wochenende war ich unterwegs mit ihr. An Bachufern, auf Sumpf- oder Bergwiesen sammelten wir Heilkräuter. Anfänglich hatte sie die Modernisierung der Landwirtschaft mit Genugtuung beobachtet. Den Bauernfamilien ging es nach und nach besser. In den 1960er-Jahren wurden jedoch die Schattenseiten sichtbar. Tierbestände wuchsen, die Düngung wurde intensiviert, Moore wurden trockengelegt. Innerhalb weniger Jahre wurde die Appenzeller Flora eintönig. Ungedüngte Böschungen waren die letzten Refugien von früher

verbreiteten Heilkräutern. Oft wurden auch diese Wiesenborde von fleissigen Bauern gemäht – was bei meiner Grossmutter auf einmal Entsetzen hervorrief. Es muss für sie ein Dilemma gewesen sein: Sie hatte es gerne sauber. Ihr missfiel jedoch, dass Kiesplätze asphaltiert und bröckelnde Sandsteinsockel durch Beton ersetzt wurden und viele Bauern mit Gift gegen Unkraut vorgingen. In der neuen Aufgeräumtheit der 1960er-Jahre, die auch private Gärten erfasste, hatte beispielsweise das von ihr geschätzte Schöllkraut keinen Lebensraum mehr. Die stickstoffliebende Pflanze wächst vornehmlich in der Nähe menschlicher Wohnstätten, auf Schuttplätzen und in Mauerspalten. Dank meiner Grossmutter weiss ich: Unordnung macht das Leben schwer. Übertriebene Ordnung ist aber noch schädlicher. Das Schöllkraut wurde für mich zum Symbol des durch die Moderne Gefährdeten. Die gelb blühende Pflanze, die an Rissstellen einen gelb-orangen Milchsaft absondert, ist ein bewährtes Mittel gegen Warzen und wurde auch bei Leber- und anderen Leiden eingesetzt. Laien sollten mit ihr vorsichtig umgehen und sie höchstens äusserlich anwenden, warnte meine Grossmutter. Schöllkraut gehöre in die Hand von Kennern. Dies vermittelte mir eine weitere Lebensweisheit: Selbst einfache Dinge wie das unscheinbare Schöllkraut sind so komplex, dass man sich als Laie nicht einmal vorstellen kann, was man über sie alles nicht weiss. Schöllkraut – in Amerika ein hart bekämpfter Neophyt – gedieh übrigens auch bei John Eugsters Farmhaus.

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/ WALDERLEBNISRAUM GAIS / APPENZELLER MAGAZIN / JUNI 2020

WALDPÄDAGOGIK

e n n i S e l l a r fü

Den Waldboden mit den Händen begreifen oder barfuss spüren, den würzigen Duft von Tannen einatmen und Wildbienen beim Pollenflug beobachten – auf Entdeckungstour durch den Rietlerwald werden alle Sinne angesprochen. 2010 wurde der Walderlebnisraum Gais eröffnet und seither stetig erweitert. Ein Augenschein anlässlich des Jubiläums. JOLANDA SPENGLER Text // CARMEN WUEEST Bilder


JUNI 2020 / APPENZELLER MAGAZIN / WALDERLEBNISRAUM GAIS /

HANSJÜRG HÖRLER zeigt eine Rinde mit Borkenkäferspuren.

Langeweile kennt man hier nicht. Dafür bietet der Walderlebnisraum im Rietlerwald am östlichen Zipfel der Gemeinde Gais zu viel. Im Waldhaus wird mit Spielen und Anschauungsmaterial die Experimentierfreude geweckt, auf dem Barfussweg kann der Waldboden erspürt werden, Informationstafeln erweitern das botanische, zoologische und ökologische Wissen. Und wer sich auf der Erkundungstour an Streuwiesen und Moorgebieten vorbei in den Wald hinein von versierten Naturkennern begleiten lässt, kann sogar noch tiefer blicken. Hansjürg Hörler ist in seinem Element. Er weiss viel zu Fauna, Flora, Riet, Wald und Bewirtschaftung. Seit drei Jahren ist der 65-Jährige Präsident des Trägervereins Walderlebnisraum Gais, das Amt ist für den Ingenieur-Agronomen eine Herzensangelegenheit. Naturthemen begleiten ihn, der sich beruflich auf Ausstellungen im Bereich Landwirtschaft spezialisiert hat, seit

Jahrzehnten. Auch der vor zwei Jahren neu gestaltete «Naturpfad der Sinne» im Walderlebnisraum trägt seine Handschrift. Fünfzig Tafeln säumen den Weg und vermitteln eine Fülle an zusätzlichen Informationen. Hansjürg Hörler zeigt auf eine Ansammlung von Eschen. Im Appenzellerland sei die Esche der Hauptlaubbaum, oft finde man ihn neben Bauernhäusern, sagt er. «Im Wald hingegen ist Nadelholz vorherrschend. Drei Viertel aller Bäume sind Fichten oder Weisstannen.» Eine Station weiter steht mit den Rhoden in Gais Geschichtliches im Fokus, beispielsweise zur Rhode Rietli Schachen, auf deren Gebiet sich der Walderlebnisraum befindet. Es folgen Informationen zu Riet, Moos, Pilzen, Kleiber, Feldhase, zum Wald im Wandel der Zeit … Hansjürg Hörler lässt den Blick über das Flachmoor schweifen und spricht von einem perfekten Beispiel für Biodiversität. Am Rand sind Schlüssel- und

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/ SCHÖNENGRUND / APPENZELLER MAGAZIN / JUNI 2020


JUNI 2020 / APPENZELLER MAGAZIN / SCHÖNENGRUND /

Vor 300 Jahren suchten die Schönengründler die Eigenständigkeit und lösten sich von Urnäsch ab. Den offenen Geist haben sich die Menschen zwischen Hamm und Tüfenbach bewahrt – und heben damit Grenzen auf. Mit dem ennet des Tüfenbachs liegenden st. gallischen Dorf Wald arbeiten sie nachbarschaftlich zusammen. Ein Blick in die Vergangenheit und auf die Gegenwart im Gespräch mit Menschen, die das Dorf prägen. JOLANDA SPENGLER Text // CARMEN WUEEST Bilder

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/ SCHÖNENGRUND / APPENZELLER MAGAZIN / JUNI 2020

DORFZENTRUM mit Häusern, die unmittelbar nach dem Kirchenbau vor 300 Jahren errichtet wurden.

DIE SCHÖNENGRÜNDLER lieben das

Kleinräumige ihres Dorfs. Sie freuen sich an der intakten Natur und schätzen die Geselligkeit.

Der St. Peterzeller Dorfteil Wald (Gemeinde Neckertal) ist nah. Von aussen betrachtet nimmt man die beiden Dörfer als Einheit wahr – auch wenn der Tüfenbach dazwischen eine klare Grenze zieht. Die Bevölkerung des appenzellischen Schönengrund und des st. gallischen Wald schert sich nicht um diese Grenze. Das zeigt sich insbesondere im Vereinsleben: Turnverein, Schützengesellschaft, Gewerbeverein, Musikgesellschaft – sie alle tragen den Zusatz Schönengrund-Wald. DAS HÜBEN UND DRÜBEN des Tüfenbachs ist Teil des Alltags von

526 Einwohner und 520 Hektaren Bodenfläche. Damit reiht sich die Gemeinde Schönengrund in der Ausserrhoder Statistik weit hinten ein. Bevölkerungsmässig bildet sie das Schlusslicht, und betreffend Grösse liegt sie auf dem viertletzten Platz. Die Schönengründlerinnen und Schönengründler können mit diesen Fakten gut leben, sie kokettieren sogar damit. Sie lieben das Kleinräumige ihres Dorfs, sie freuen sich an der intakten Natur und schätzen die Geselligkeit. Man lässt sich leben. Und vor allem: Hier lässt sich gut leben. Spricht man von Schönengrund, ist meist auch Wald eingeschlossen. Das hat einen guten Grund:

Thorsten Friedel. Der 51-Jährige wohnt in Schönengrund und ist dort seit einem Jahr Gemeindepräsident in einem 25-Prozent-Pensum. Friedel arbeitet auch ennet des Bachs; sein auf Gebäudeautomation spezialisiertes Unternehmen befindet sich im Industriegebiet Bleiche auf Wäldliger Boden. Auch die Freizeit verbringt er grenzübergreifend: Er ist Mitglied der Männerriege Schönengrund-Wald, Verwaltungsrat der Raiffeisenbank Neckertal und aktiver Feuerwehrler. Bei der Integration der Schönengründler Ortsfeuerwehr in die Feuerwehr Neckertal vor neun Jahren hat er aktiv im Stab mitgewirkt. «Schönengrund


und die Dörfer im Neckertal sind damit näher zusammengerückt, alle haben profitiert», sagt er. Mit dem Bau eines neuen Feuerwehrdepots hat Schönengrund damals in die Infrastruktur investiert. Errichtet wurde das Depot allerdings nicht im eigenen Dorf, sondern an der Hauptstrasse in Wald. Mit dieser Liegenschaft hat Schönengrund seither eine «Exklave» auf St. Galler Boden. Wie mehr als die Hälfte der Ausserrhoder Gemeinden kann sich auch Schönengrund nicht mit der eigenen Steuerkraft über Wasser halten und ist auf Beiträge aus dem Finanzausgleich angewiesen. Den Finanzhaushalt habe man mit diesen Mitteln aber gut im Griff, sagt Thorsten Friedel. «Die Gemeindeanlagen sind im Schuss, und der Steuerfuss liegt, verglichen mit den anderen Gemeinden, im mittleren Bereich.» Und trotzdem: Wäre eine Fusion mit einer Nachbargemeinde nicht sinnvoll? Mit Waldstatt, Schwellbrunn oder Urnäsch arbeitet man bereits jetzt in Teilen der Verwaltung zusammen. Friedel winkt ab und führt an: «Wir möchten die Geschicke der Gemeinde gern selbst lenken. Ich bin überzeugt, dass wir Schönengründler die richtigen Weichen stellen werden, wenn die Zeit für diesen Schritt reif ist.»

Der Höhenzug des Hochhamms war es, der die «Hinterhammer» vor 300 Jahren zur Eigenständigkeit bewog. Bis 1720 gehörte das Siedlungsgebiet Schönengrund zu Urnäsch und war dort kirchgenössig. Der Kirchgang über den Tüfenberg war beschwerlich und im Winter gefährlich. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts regten sich bei den «Hinterhammern» deshalb Unabhängigkeitsgelüste. Ihr Antrag zum Bau einer eigenen Kirche wurde vom Grossen Rat jedoch zweimal (1680 und 1700) abgewiesen, da die von der Landesregierung geforderten finanziellen Sicherheiten nicht gewährleistet werden konnten. Konkret wurde die Loslösung erst, als Jacob Alder im Hof Schönengrund einen Bauplatz für Kirche und Friedhof zur Verfügung stellte. Grünes Licht gab der Grosse Rat aber erst, als die sieben reichsten Anwohner hinter dem Hamm die volle Bürgschaft für das Bauvorhaben übernahmen. Am 4. Mai 1720 wurde im Hofgut der Grundstein für die Kirche gesetzt. Die erste Kirchhöri mit der Wahl der Behördenmitglieder fand 1721 statt, und am 22. November 1722 wurde die Trennung von Urnäsch offiziell besiegelt.


28 / 2 9 / GLOSCHTIG OND GMÖGIG / APPENZELLER MAGAZIN / JUNI 2020

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Landfrauen aus Appenzell Ausserrhoden offenbaren in der Serie «gloschtig ond gmögig» Geheimnisse aus ihren Rezeptbüchern. Sie kochen regional und saisonal, bevorzugt mit Produkten, die vom eigenen Feld, Hof und Garten kommen. Freuen Sie sich auf Traditionelles, Kreatives, Überraschendes. Viel Spass beim Nachkochen.

Wo Elisabeth Müller Frey ihre Wurzeln hat, ist nicht zu überhören. Auch acht Jahre nach ihrem Umzug ins Appenzellerland spricht die 72-Jährige den Baslerdialekt unverfälscht. Das will sie nicht ändern. «Basel war lange Zeit meine Heimat, dazu gehört auch der Dialekt.» In den letzten Jahren sei sie nun aber von der Städterin mehr und mehr zur Landfrau geworden, fügt sie an. Und in dieser neuen Rolle fühle sie sich ausgesprochen wohl. Dazu beigetragen habe in erster Linie die Herzlichkeit, mit der sie im Landfrauenverein Wald aufgenommen wurde. Seit sieben Jahren ist sie Mitglied. Elisabeth Müller-Frey kocht leidenschaftlich gern. Auf die Schnelle ein Gericht auf den Tisch zu zaubern, ist allerdings nicht ihr Ding. Lieber nimmt sie sich Zeit. «Kochen hat viel mit Genuss und Sinnlichkeit zu tun.» Schmorgerichte haben es ihr besonders angetan. Da werden Erinnerun-

gen an Grossmutters Küche wach. Nicht dass sie das Kochen von ihr gelernt habe, nein. Und auch nicht von der Mutter. Sie lacht: «Meine Lehrmeisterin war ‹Betty Bossi›.» Noch heute greift sie zu diesen Kochbüchern, interpretiert die Gerichte nach eigenem Gutdünken. Beispielsweise wenn sie ihren Gästen als Gastgeberin der «Swiss tavolata» in ihrem Esszimmer Köstlichkeiten aus dem Schmortopf auftischt. Kalbskopfbäggli, Haxen und Fleischvögel sind ihre Spezialitäten, dazu serviert sie Beilagen nach Wahl und Saisongemüse. Mit «hiesigen» Zutaten gibt sie den Speisen einen Appenzeller Touch, mit Appenzeller Käse oder Mostbröckli. Dass sie die Produkte in der Region bezieht, ist selbstverständlich. Genuss geht bei der Landfrau aus Wald aber nicht nur durch den Magen. Wer sich an ihre «Tavolata» setzt, tut dies an einem stilvoll gedeckten Tisch. «Da muss alles stimmen.» Text: jsp


K a l b s ko p f b ä g g l i

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30 / 3 0 / RICCARDA NEFF / APPENZELLER MAGAZIN / JUNI 2020

RICCARDA NEFF aus Meistersrüte spielt seit ihrem vierten Lebensjahr Geige.


JUNI 2020 / APPENZELLER MAGAZIN / RICCARDA NEFF /

Damit hat Riccarda Neff aus Meistersrüte nicht gerechnet: Ihre Coverversion von «Mister Sandman» mit einem Text zu Corona wird innert wenigen Tagen auf Youtube fast 11 000 Mal angeklickt. Die 18-Jährige stammt aus einer musikalischen Familie. Sie hat den Lockdown genossen. ROGER FUCHS Text // CARMEN WUEEST Bilder

Riccarda Neff in vierfacher Ausführung: Die Appenzellerin nutzt die moderne Technik und singt vierstimmig einen Coronasong zur Melodie von «Mister Sandman» aus dem Jahre 1954. Nach der Aufnahme der einzelnen Stimmen nimmt sie sich im Musikzimmer ihres Zuhauses viermal unterschiedlich gekleidet mit der iPad-Kamera auf, schneidet auf dem Computer alles zusammen und stellt den Clip auf Youtube. Was die «geklonte Riccarda» nicht erwartet: Die Klickzahlen schnellen sofort in die Höhe. Der Song gefällt, und in Kommentaren wird ihre Leistung gewürdigt: «U huere guet!» ist ebenso zu lesen wie «Hey Wahnsinn, super!!». Musik begleitet Riccarda Neff bereits ein Leben lang. «Mit vier Jahren habe ich das Geigenspiel erlernt, und im Kindergarten gründete ich zusammen mit drei Kolleginnen das Appenzeller Gesangsquartett Meedle», erzählt sie. Später wurde sie Mitglied der Streichmusikformation Neff, der familieneigenen Kapelle. Sie bestreitet Auftritte in Sendungen wie «Viva Volksmusik» oder «Potzmusig».

arbeiten, in einen anderen sozialen Bereich einsteigen oder auf die Musik setzen und ein Konservatorium besuchen will – sie weiss es noch nicht. Fakt ist: Die Gesangsformation Meedle löst sich diesen Sommer auf, zu unterschiedlich sind die Lebenswege geworden. Erinnerungen hingegen bleiben: «2014 nahmen wir am Wettbewerb der TV-Show Alperöösli teil und gewannen den zweiten Platz.» Auch die Zukunft der Familienformation Neff ist ungewiss. Riccarda Neff hat vier Geschwister, sie ist die Jüngste. Ihre Brüder und die Schwester sind alle über dreissig. Sie ist die einzige, die noch bei ihren Eltern im Bauernhaus in Meistersrüte mit Blick auf das Dorf Appenzell wohnt. Im eigens eingerichteten Musikzimmer wird schnell klar, dass hier eine musikalische Familie wohnt: Hackbrett, Bassgeige, zwei Cellos, Geige und Digitalpiano finden sich im Raum. Bilder an den Wänden zeugen von Erfolgen. Vor allem Vater Guido Neff kennt man als versierten Volksmusiker. In diesem Zimmer mit Schallschutz an der Decke ist auch der aktuelle Erfolgsclip von Riccarda Neff entstanden.

BERUFLICH STEHT RICCARDA NEFF im dritten Lehrjahr

AUSLÖSER FÜR DIESE IDEE gibt es mehrere: Grosses Vorbild der Innerrhoderin ist Jacob Collier, ein Jazzmusiker, Arrangeur und Komponist aus London. «Er ist mein Idol», so Riccarda Neff. Der kreative Musiker drücke bekannten Stücken

zur Fachfrau Gesundheit mit BMS. Nach Lehrabschluss will sie sich eine einjährige Auszeit gönnen und dabei über ihre Zukunft nachdenken. Ob die 18-Jährige auf dem gelernten Beruf weiter-

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BAUERNHÖFE, BURGRUINE UND WASSERFALL


JUNI 2020 / APPENZELLER MAGAZIN / WANDERN / 34 / 3 5

EBNI, Appenzell, mit Blick auf die Hügellandschaft und das Dorf Schlatt.

Auf der Wanderung vom Dorf Appenzell hinauf nach Schlatt und weiter über den Gehrenberg zeigt sich die Streusiedlung des Appenzellerlands von ihrer schönsten Seite. Gepflegte Bauernhäuser stehen inmitten von saftigen Wiesen, der Heuet ist in vollem Gang. Mit Holzbrücken, Kapellen, einer Burgruine und einem Wasserfall ist die Route vielfältig und mit wechselnden Auf- und Abstiegen konditionell herausfordernd. Weitsicht ist garantiert. JOLANDA SPENGLER Text & Bilder


48 / CHEERAB / APPENZELLER MAGAZIN / JUNI 2020

HANS HÜRLEMANN ÜBER ... Aadie ond lebid wohl

GWONDRIG

Bild: Christina Riedener

Maria Heine Zellweger heisst die neue Gemeindepräsidentin von Lutzenberg. Die 59-jährige Pflegefachfrau und Supervisorin wohnt mit ihrem Mann in Wienacht.

WELCHER GEGENSTAND IST IHR TREUSTER BEGLEITER?

Die Fotokamera habe ich immer dabei. WAS IST FÜR SIE TYPISCH APPENZELLISCH?

Die Appenzeller sind weltoffen und trotzdem heimatverbunden, humorvoll, und auch ernsthaft. DARÜBER HABEN SIE ZULETZT GELACHT:

Über das, was ich mir montags vornehme und am Ende der Woche davon übrig bleibt. WELCHES BUCH HABEN SIE ZULETZT GELESEN?

«Der Gesang der Flusskrebse» von Delia Owens. BEI WELCHER KULTURELLEN VERANSTALTUNG HAT MAN SIE ZULETZT ANGETROFFEN?

Die letzte Vorstellung von Kaya Yanar (Ausrasten für Anfänger) vor dem Lockdown. WAS BRINGT SIE AUF DIE PALME?

Unzuverlässigkeit und das Nichtwahrnehmen von (Eigen-)Verantwortung. WELCHEN TRAUM HABEN SIE SICH NOCH NICHT ERFÜLLT?

Eine Saison auf einer Alp, einem Bauernhof, im Zoo oder in einer Falknerei zu hospitieren.

Das ist meine 90. und letzte Kolumne im Appenzeller Magazin, und da gehört es dazu, dass ich mich anständig verabschieden möchte. Schon deshalb, weil es nicht mehr allgemein üblich ist, dass man sich im Appenzellerland auf der Strasse grüsst. Es ist mir schon oft passiert, dass mich jemand, dem ich freundlich «Grüezi» gesagt habe, verständnislos anglotzte. Zudem ist ein grosser Teil unserer Bevölkerung beim Grüssen auf Formeln umgestiegen, die als «trendy» gelten, weil man sie vor der Glotze gelernt hat. So heisst es nicht mehr «Grüez Gott» oder «Grüezi» sondern «Hallo», oder noch besser, englisch «Hi» (ausgesprochen als «Hai»). An das aus dem Italienischen abgeleitete «Tschau» zum Abschied haben wir uns inzwischen gewöhnt. Mehr Mühe habe ich mit dem aus dem Norddeutschen importierten «Tschüs» oder noch schlimmer mit dem seltsam schweizerdeutsch verniedlichenden «Tschüssli». Dabei haben wir doch einheimische Möglichkeiten, zum Beispiel den schönen Wunsch zum Abschied: «Leb wohl» oder in der Mehrzahl «Lebid wohl». In einem hübschen Gedicht preist der ehemalige Innerrhoder Säckelmeister Albert Dörig, genannt Hambisch, das von Herzen kommende «Aadie mitenand» mit dem gefühlvollen langen Aaa an. In Innerrhoden folgte früher oft «chönd zonis», die freundliche Einladung an den scheidenden Gast, bei Gelegenheit doch wieder zu kommen. Dagegen sollte doch eigentlich der seltsame Tschüssli-Import keine Chance haben. h.huerlemann@bluewin.ch


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