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Einleitung
Wer eine Jubiläumsschrift zu einer zweihundertjährigen Bildungsinstitution verfasst, wird sich schnell einmal dem Vorwurf ausgesetzt sehen, er böte damit lediglich einen Rückblick und keinen Ausblick. Des Blicks in die Geschichte der Kantonsschule von Appenzell Ausserrhoden in Trogen bedarf es, um verstehen zu können, wie eine zukunftsweisende Idee einiger gebildeter Männer zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu einer glänzenden Perle unseres Kantons geworden ist. Mit Blick auf das Bildungswesen vergangener Zeiten erkannten die Stifter unserer Schule, dass neue Wege zu beschreiten sind. In der kurzen Zeit der Helvetik (1798–1803) wurde versucht, die Bildung des Volks zentralistisch über die Verbesserung der Schulen, die Reform der Lehrerbildung, die Einführung eines Volksschulgesetzes sowie die Etablierung von Erziehungsräten und Schulinspektoren zu erreichen. Danach gestalteten die Kantone während der Mediation und Restauration (1803–1830) ihr Schulwesen wieder eigenständig. Zwar nahm das Ausserrhoder Bildungswesen im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts Aufschwung, aber der Erziehung junger Leute aus den besser gestellten Kreisen schenkte es zu wenig Aufmerksamkeit. Da sprangen «verschiedene tüchtige, unabhängige und durch Bildung ausgezeichnete Männer, die überzeugt waren, dass die Volkserziehung einen der wichtigsten Faktoren für das Gedeihen eines Staatswesens darstellt»1, in die Bresche.
Unsere Schule wird weitere Centennien bestehen, wenn sie sich wie in den vergangenen zweihundert Jahren stets aus sich heraus reformiert. Dabei konnten die Schulleitungen bis auf den heutigen Tag auf Lehrpersonen und Mitarbeitende zählen, die Jahrzehnte zugunsten der Kantonsschule tätig waren. Auf sie zu hören bewährte sich, und so erreichte man mit kleinen Schritten auch Ziele, denen gegenüber sich die Lehrerschaft anfänglich skeptisch zeigte. Sie mit Hauruckübungen zu Reformen bewegen zu wollen, war in der Regel von Misserfolg gekrönt. In solchen Situationen konnten sich die Lehrpersonen als ausgesprochen bockig erweisen. Gingen die Schulleitungen und politischen Behörden behutsam mit den Ressourcen der Lehrerinnen und Lehrer um, führte das in den meisten Fällen zum gewünschten Ziel – wenn nicht auf dem direkten Weg, dann über Umwege. Wehrte sich die Lehrerschaft bei der Maturitätsanerkennungsreform von 1925 noch gegen die Aufnahme weiterer Fächer wie beispielsweise der Wirtschaftslehre, bejahte sie die Einführung des neuen Maturiätstypus E gut fünfzig Jahre später, selbst wenn es für eine kleine Schule, die zudem noch den Diplomlehrgang einer Handelsschule führte, mit enormen Schwierigkeiten verbunden war.
Nahm die Lehrerschaft die Schulleitung als Teil des Ganzen wahr, die berufen war, die Schule zu führen und nicht zu verwalten, verweigerte sie die
Einleitung Gefolgschaft nie. Und was diesbezüglich in den vergangenen zweihundert Jahren der Fall war, wird auch für die Zukunft Gültigkeit haben. Gleich verhielt es sich im Zusammenspiel zwischen politischen Behörden, Schulleitung und Lehrerschaft. Wie das konkret aussehen kann, zeigt das Beispiel des Verfassens der Kantonsschulverordnung aus dem Jahr 1983. Nachdem an der Landsgemeinde 1982 erstmals ein kantonales Schulgesetz vom Stimmvolk angenommen worden war, musste die Kantonsschulverordnung aus dem Jahr 1959 revidiert werden. Dazu entsandte der Konvent Rudolf Widmer als Lehrervertreter in die Kantonsschulkommission. Dieses erweiterte Gremium entwarf in drei Sitzungen einen ersten Entwurf. Nach Berücksichtigung diverser Wünsche und Anträge des Lehrerkonvents konnte die Verordnung an den Regierungsrat zuhanden des Kantonsrats weitergeleitet werden. Dieser erliess die Verordnung nach eingehender Beratung an seiner Sitzung vom 21. Februar 1983. Zu beurteilen, wieweit das, was gut fünfzig Jahre zuvor in einer Zeitung veröffentlicht wurde, im Folgenden erfüllt wird, überlasse ich jeder Leserin und jedem Leser.
«Lebt nicht auch in unserer Kantonsschule eine Kraft, wie sie der Amaryllis hat?
Die Saat, die vor mehr als hundert Jahren in die Furche der Zeit gelegt wurde, hat vielfältige Frucht getragen. Und wenn einmal die zweihundertjährige Geschichte unserer Kantonsschule geschrieben wird, dann wird neben den Namen eines Joh.
Caspar Zellweger, Conrad Honnerlag, J. J. Graf, Tobler und G. L. Schläpfer, den
Gründern der Schule, neben den Namen eines Hermann Krüsi, den Landammännern Oertli und Nagel, Dekan Frei, Gustav Tobler und J. K. Zuberbühler, Dekan Heim, Pfarrer Bion, G. Schoch, Meyer, Pfarrer Giger, Arthur Eugster, Hauptmann Hohl u. a. auch derjenige von Rektor Dr. Ernst Wildi leuchten, dessen
Leben und Wirken so recht eigentlich in unsrer Kantonsschule verkörpert ist.
Unser Wunsch geht dahin, es möchte diese Anstalt auch fürderhin und immerdar eine Stätte echt menschlicher Bildung und geistiger Freiheit bleiben, wie sie es bis anhin gewesen ist.»2
Die Zukunft unserer Schule ist gesichert, wenn wir Innovationen nicht als hemmend, sondern als anregend verstehen, sie kritisch hinterfragen, um- und mitgestalten, um so die Einmaligkeit unserer Bildungsinstitution zu fördern. Es gilt, die Vorteile dieser Einmaligkeit – es gibt keine weitere Kantonsschule in der Schweiz, die auf ihrem Campus neben einem Gymnasium, einer Fachmittel- und Wirtschaftsmittelschule auch noch eine Sekundarschule führt – zu nutzen. Wir besitzen unter anderem die Chance, dem Nahtstellenbereich zwischen der Sekundarstufe I und unseren drei Angeboten der Sekundarstufe II ein besonderes Augenmerk zu schenken. Statt, wie leider in einzelnen Fächern bis auf den heutigen Tag üblich, zu behaupten, man müsse im Stoff von vorne beginnen, weil die Lernenden von der Vorstufe nichts mitbrächten, täte
man besser daran, enger und gezielter über die Schnittstelle hinweg zusammenzuarbeiten sowie sich vermehrt Einblicke in die jeweilige Stufe zu gewähren. Zukunft lässt sich gestalten, wenn wir mit Blick in die Vergangenheit in der Gegenwart handeln. Uneingeschränkt gilt, was der Autor am Ende seiner 100-Jahr-Jubiläumsschrift geschrieben hat: «Auf drei Sockeln ruht die Zukunft unserer Schule: auf dem Wohlstand und dem Vertrauen des Landes, auf der Einsicht der Führer des Volkes und auf einer tüchtigen, harmonisch arbeitenden Lehrerschaft.»3
Um der Jubiläumsschrift, die in erster Linie für heutige und ehemalige Lernende und Lehrende sowie der Schule nahestehende Personen verfasst wurde, das entsprechende Zeitkolorit zu verpassen, habe ich sie dokumentarisch gestaltet und mit vielen Zitaten versehen.
Da Ernst Wildis Jubiläumsschrift zum 100-jährigen Bestehen der Kantonsschule längst vergriffen ist, wird sie Interessierten zugänglich gemacht. Sie findet sich auf der Archivseite der Kantonsschule und ist unter archiv.kantitrogen.ch/ernst-wildi abrufbar.
Teufen, im September 2021 Johannes Schläpfer