Dragan Senfner (Hg.): Verwandlung. Form- und Farbenkosmos des Seelenkalenders

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Verwandlung

Form- und Farbenkosmos des

Seelenkalenders

Die Bilder von Christine Schwarz-Thiersch, die Eurythmieformen von Rudolf Steiner

Mit einem Geleitwort von Virginia Sease und Beiträgen von Wilfried Hammacher, Carina Schmid, Ursula Zimmermann, Silvia Hammacher, Ulrike Huber-Schwarz und Andrea Hitsch

Herausgegeben von Dragan Senfner für die Stifung TRIGON und Stifung Hans Kaspar Schwarz

Eben noch im Wasserbad schwimmend, liegen nun die durchtränkten Baumwollpapiere vor uns, unverrückbar, klebend auf dem Holztisch. Meine Schwester und ich halten bereits einen Pinsel in der Hand und beschäfigen uns mit der Auswahl passender Farben. An Ostern sind es andere als in der Weihnachtszeit. Fasziniert beobachten wir, wie die Farben sich von der Pinselspitze aus in alle Richtungen auf dem nassen Papier verbreiten und manchmal überraschend neue Formen und, vereint mit anderen Farben, neue Töne bilden.

Diese Erinnerung und ähnliche tauchen auf, wenn ich die farbenprächtigen Bilder zu den Eurythmieformen von Rudolf Steiners Seelenkalender sehe. Kreiert von der Künstlerin Christine Schwarz­Thiersch, unserer Großmutter, unter deren Anleitung wir als Kinder of Festtage gestalterisch vorbereitet hatten.

Von der Idee bis zur Realisierung dieses Kunst­Arbeitsbuches vergingen dann doch über 10 Jahre. 2012 legte David Schwarz, zweitältester Sohn der Künstlerin, Eurythmie­Bilder seiner Mutter der Stifung TRIGON mit der Frage vor, ob Interesse an den Werken bestünde. Der Eurythmist Dragan Senfner fng sofort Feuer und begeisterte im Rahmen einer Werkpräsentation am Goetheanum andere Eurythmie­Enthusiasten für eine Ausstellung und dieses Buch. Unter seiner künstlerischen Leitung und mit Hilfe von Anna Krygier, der Stifung TRIGON und der Stifung Hans Kaspar Schwarz nahm das Projekt Form an und in den Jahren 2017 und 2018 fanden erste Ausstellungen statt, welche die Bilder mit weiteren Elementen des Seelenkalenders auf großen Tafeln einem interessierten Publikum zugänglich machten.

Dank der fnanziellen Unterstützung von Sponsoren, namhafen Beiträgen der Stifung TRIGON und der Stifung Hans Kaspar Schwarz und dem unermüdlichen Einsatz unzähliger Mithelfer können wir nun dieses Werk vorlegen.

Marius Holzer für die Stifung Hans Kaspar Schwarz

Umgang mit dem Seelenkalender Kompositionsgeheimnisse

Die globale und zeitliche Gliederung

Der Gesamtseelenkalender weist eine eindrückliche Komposition auf. Der Jahreslauf der Nordhemisphäre ist ja gegensätzlich dem der Südhemisphäre. Dies erscheint im Seelenkalender so, dass jedem Spruch der jahreszeitlichen Situation der Nordhemisphäre ein entsprechender Spruch der Südhemisphäre zugeordnet ist, der sogenannte Gegenspruch.

Auch erweist sich der Zeitenlauf als Doppelstrom. Jeder Spruch hat seine Ergänzung (Entsprechung) in seinem Spiegelspruch, der im entgegengesetzt verlaufenden Zeitenstrom « erscheint » (52 – 1, 51 – 2, 50 – 3, 49 – 4, 48 – 5 …).

Das Schema von Michael Debus aus seiner Veröfentlichung « Die Wochensprüche des anthroposophischen Seelenkalenders im Doppelstrom der Zeit beider Hemisphären » zeigt in großer Klarheit und Geschlossenheit diese beiden Kompositionsgesetze : die Entsprechungen zwischen Nord­ und Südhemisphäre (Gegensprüche) und die Spiegelung der Sprüche (Doppelstrom der Zeit). Im Schema kommt auch die Zusammengehörigkeit von jeweils drei Sprüchen zur Anschauung. Die ganzen, im Jahreslauf zutage tretenden Beziehungen sind so festgehalten, dass die Zeit als großes « Raumgebilde » erscheint.

und die Hierarchien

Im ersten Vortrag des Zyklus « Geistige Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der physischen Welt » (GA 110) stellt Rudolf Steiner die Aufeinanderfolge der Planetensphären im Kosmos dar, sowie die Hierarchien, welche von Dionysius Areopagita überliefert sind.

Diese Anregung hat der Sprachgestalter Heinz Frankfurt (1920 – 2012) aufgegrifen und ein entsprechendes Kompositions­Schema der Sprüche des Seelenkalenders erstellt. Die Sprüche 7, 20, 33 und 46 sprechen von Gefahren, welche der Seele drohen im Leben mit den Jahreslauf­Kräfen, und von der unbedingten Abhängigkeit zwischen Mensch und Welt. Sie stehen als vier Krisenpunkte im Gesamtorganismus der Sprüche unter der Planetenwirkung des Mondes. Alle übrigen Sprüche sind so angeordnet, dass jeweils acht Sprüche die Signatur desselben Planeten tragen. Eindrücklich ist auch, wie die Folge von jeweils dreizehn Sprüchen in sich so gegliedert ist, dass sichtbar wird, wie der Prozess jeweils durch eine Krise zum nächsten Höhepunkt führt. Das Sinnen über das Beziehungsgewebe zwischen den Sprüchen wird befruchtet von der jeweiligen Planetenzugehörigkeit.

Das Geheimnis des Kreuzes

In der heutigen Zeit ist die lebendige Beziehung zu den feineren Nuancen des Jahreskreislaufs und der damit verbundenen Empfndung für deren tieferen Sinn leider verloren gegangen. Der Seelenkalender bietet die Möglichkeit einer Verbindung des seelischen Erlebens mit dem Rhythmus der Natur. Die Natur, ihr Jahreskreislauf, ihre rhythmisch atmende Ordnung, die durch die kosmische Beziehung der Erde zur Sonne geregelt wird, ist durchdrungen vom Walten des Christus­Wesens.

Mit dieser rhythmisch atmenden Ordnung des Jahreslaufes sind die Jahresfeste Weihnachten, Ostern, Johanni, Michaeli verbunden. Diesen Rhythmus und seine Verbindung mit dem Seelenkalender hat Karl König als Thema aufgegrifen.

Karl König (1902 – 1966) war Arzt, Heilpädagoge und Gründer der CamphillBewegung. Die abgebildete Darstellung stammt aus dem Buch « Die Metamorphosen des Kreuzes – mit dreizehn farbigen Zeichnungen und Textbeilagen in acht Sprachen zum Seelenkalender Rudolf Steiners ». König lebte meditativ mit den Worten, Rhythmen und Inhalten der Sprüche, und fand eine Ordnung von 13 Kreuzen, in denen jeweils vier Sprüche in einem Zusammenhang stehen. Aus diesem Hintergrund schaf er « Die Metamorphosen des Kreuzes » als dreizehn Medaillon­Bilder.

Darüber hinaus gliedert er die Sprüche in eine Vierheit von je 13 Sprüchen. Diese Darstellung zeigt den Kalender als Ausatmung der Seele auf ihrem Weg von Ostern bis Sommer, in Richtung der äußeren Sinnenwelt und dann wieder zurück zum seelischen Mittelpunkt an Michaeli. Im Herbst folgt die stimmungsvolle Vertiefung der Seele nach innen bis zur Licht­Begnadung an Weihnachten und wiederum zurück zum Zentrum des Kreuzes an Ostern (GA 223, Vortrag vom 31. März 1923).

Seelen-Rhythmen im Zeitenstrom

Das Schema der schlichten Lemniskate ist in der eurythmischen Arbeit entstanden, um die Beziehungsverhältnisse der Sprüche zur Anschauung zu bringen. Sie kann eine Hilfe sein, das seelisch in der Zeit verlaufende Erleben der Spiegelsprüche in ihrem rhythmischen Vollzug zwischen Ausdehnung und Zusammenziehung zu beobachten und ein inneres Verhältnis zum doppelten Zeitenstrom zu gewinnen. Die imaginative Anschauung der Sprüche und ein Gefühl für die Gestaltungskraf von rhythmischen Prozessen können daran geschult werden.

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