
Von der Agrartechnologie zur Landbaukunst
Wesenszüge des biologisch-dynamischen Landbaus
Eine Landwirtschaft der Zukunft
Verlag am Goetheanum
Geleitwort
Das vorliegende Buch «Von der Agrartechnologie zur Landbaukunst» darf als die Zusammenfassung des Lebenswerkes von Manfred Klett bezeichnet werden.
Manfred Klett, Jahrgang 1933, ist der Doyen der biodynamischen Bewegung. Nachdem er jahrzehntelang neben seinen praktischen Tätigkeiten und Verantwortungen auch als Redner, Dozent und Gesprächspartner weltweit auf Reisen gewesen ist, könnte man ihn nun auf geruhsamem Alterssitz vermuten. Dieses Bild täuscht, denn aus der äußeren Ruhe tritt Manfred Klett jetzt nochmals an die Ö entlichkeit mit einem umfassenden Werk. Und wer ihn kennt, vermutet unmittelbar, was uns Manfred Klett damit in die Hände gibt: die Quintessenz seines lebenslangen Wirkens für eine Landwirtschaft der Zukunft. Rückblickend werden die Erträgnisse des Lebens gesichtet und geordnet; eine strukturierte Bestandsaufnahme dessen, was Landwirtschaft war und ist. Vorwärtsblickend steht vor uns eine Au orderung an die nachfolgenden Generationen im Sinne von Arbeitsrichtungen, zum Ergreifen desjenigen, was die Landwirtschaft als Zukunftspotential in sich trägt.
Der erste Untertitel «Wesenszüge des biologisch-dynamischen Landbaus» kann als zusammenfassende Inhaltsangabe verstanden werden. Ja, es geht um die biologisch-dynamische Landwirtschaft, aber nicht im Sinne einer Innensicht, einer internen Verständigung der biodynamischen ‹Community › mit sich selbst. Geht es also um eine Außensicht? Auch das nicht, denn von außen wird in dieser Schrift gar nichts angeschaut. Man könnte jedoch sagen, es geht um eine Sicht ‹nach außen›. Eine Sicht, in der dasjenige, was wir ‹biodynamisch› nennen, über die Bewegung und ihr Selbstverständnis hinaus erforscht wird, um in seinen Wesenszügen etwas von demjenigen zu nden, was die Landwirtschaft ihrer Bestimmung nach ist. Das ist ein großer Anspruch, der eine solide Begründung erfordert. Das vorliegende Werk kann als diese Begründung gelesen werden, und ich glaube auch, es will im Sinne des Autors so gelesen werden, und zwar dem Inhalte und auch dem Stile nach. Inhaltlich enthält es unter anderem
• eine Geschichte der Landwirtschaft in ihrem Verhältnis zur Kultur- und Bewusstseins-Entwicklung der abendländischen Menschheit
• eine sozialwirtschaftliche Studie zum Verhältnis von Industrie und Landwirtschaft
• eine Lehre über den landwirtschaftlichen Organismus in seiner Drei- und Viergliedrigkeit
• eine Untersuchung zur ‹Landwirtschaftlichen Individualität›
• im Rahmen der drei Säulen des Ackerbaus – Bodenbearbeitung, Fruchtfolge und Düngung – eine ausführliche Darstellung der biodynamischen Präparate
• ein Lehrbuch für biodynamische Bauern
• ein Lehrbuch für Betriebsgemeinschaften und assoziative Initiativen im Umfeld von Höfen
Dem Stile nach ist die Begründung im besten Sinne goetheanistisch zu nennen. Das heißt, sie ist nicht abstrakt logisch und systematisch, sondern sie orientiert sich am Phänomen. Die Biogra e des Verfassers ist ein Leben für und mit dem biodynamischen Impuls. Die konkreten Arbeits-Erfahrungen und die prinzipiellen Gedanken-Entdeckungen gehören zusammen. Das gelebte Leben ist das Ineinanderweben von beidem, und die vorliegende Schrift bleibt dieser Sprache des Lebens treu. Konkrete Praxiserfahrungen – sei es auf dem Feld, im Stall oder an der Arbeitsbesprechung – und urphänomenale Formulierungen über Boden, Haustiere oder Zusammenarbeit stehen nahe beieinander. Das ist gewollt. Der Stil kann als ‹real-ideal› bezeichnet werden. Und er ist die Umsetzung dessen, was Manfred Klett im Titel ‹Landbaukunst› nennt. Das Reale verliert sich nicht atomistisch in die Einzelheiten von Daten und Fakten und das Ideale nicht in die Abstraktheit des Allgemeinen; sie suchen sich und befruchten sich gegenseitig zu einer höheren Einheit; diese Kunst darf Landbaukunst genannt werden.
Von den vielen Themen sind zwei erstaunlich ausführlich dargestellt. Der eine Themenkomplex ist die sozialwirtschaftliche Analyse der aktuellen Lage der Landwirtschaft. Kurz gesagt: Die Landwirtschaft hat sich industrialisiert, ohne je Industrie sein zu können. Die Kapitalbildung und die Kapitalrendite sind der Landwirtschaft, insofern sie noch irgendetwas mit ‹Land› zu tun hat, wesensfremd. Dafür ist ihr eigen, was der Industrie unbekannt ist: Sie verbraucht ihre Produktionsmittel – Boden, P anzen, Tiere – im Produktionsprozess nicht, sondern erhält oder verbessert sie. Diese positive Bilanzierung im Sinne des Lebenshaushaltes der Erde, einschließlich des Wasser- und Klimahaushaltes, ist ihr eigentlicher volkswirtschaftlicher Beitrag; und der Autor führt die ganze Betrachtung in der Art, dass diese Sichtweise eine Beleuchtung aus der Zukunft erfährt. Denn dadurch wächst der biodynamischen Landwirtschaft eine sozialgestalterische Aufgabe zu, die noch nicht in dem Maße erkannt und ergri en ist, wie es in dieser Schrift dargestellt wird. Alle
Welt sucht nach einer nachhaltigen Bilanz der Weltwirtschaft – hier ist ein Anfangspunkt aufgezeigt und damit die Au orderung ausgesprochen, ihn zu entwickeln und ins Gespräch zu bringen.
Der zweite Themenbereich sind die biodynamischen Präparate. Damit bringt der Autor zum Ausdruck, dass er die unscheinbaren Düngerzusätze als höchst wesentlich ansieht. Wenn man dies mit dem Titel des Buches in Verbindung bringt, kann man formulieren: Die Präparate insbesondere sind ‹Landbaukunst›, sie sind ‹das Wesen› des biodynamischen Landbaus, und es sind im Besonderen die Präparate, die eine ‹Landwirtschaft der Zukunft› ermöglichen. Wie muss man den Blick richten, damit diese gewollte Herausstellung der Präparate einsichtig wird? Die Blickrichtung von Manfred Klett ist das grundlegende Verhältnis von Mensch und Natur. In diesem Verhältnis vollzieht sich an und mit den Präparaten eine Umpolung von Nehmen und Geben: Der Mensch kann heute als individueller Mensch aus dem Vermögen seiner ‹Geistseele› schöpferisch, gleichsam als Künstler hineinwirken in das innere Gefüge der Natur, und sie – die ihn, den Menschen, immer getragen hat und aus deren Schoß er als Erdenwesen entsprungen ist – kann und will sich dieser weiterführenden Kultivierung durch des Menschen Hände-Werk anvertrauen. Dieser weite Blick auf die Präparate gehört zum landwirtschaftlichen Vermächtnis, das hier vorliegt. Es wird nichts weniger gesagt, als dass die Jahrtausende alte Agri-Kultur durch die biodynamischen Präparate den Erneuerungsimpuls erfährt, der ihr überhaupt die Zukunft erschließt.
Es ist der dezidierte Wille von Manfred Klett, dass dieses Buch am Goetheanum herausgegeben und verlegt wird. Dem haben die Sektion für Landwirtschaft und der Verlag am Goetheanum gerne entsprochen. Die Sektion für Landwirtschaft ist als eine von elf Sektionen integraler Bestandteil der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum. Diese Hochschule strebt danach, aus der Anthroposophie heraus zu arbeiten. Aktuell versteht sie sich insbesondere so, dass sie sich im Zeitgeschehen artikulieren will, um für die großen Herausforderungen der Gegenwart Beiträge beizusteuern. Dabei geht es in jedem Fachgebiet um die Frage: Wie kann in aller Technik und Komplexität die Erkenntnis des Menschen als ‹Anthropos› eine Orientierung für die Zukunft abgeben? Und es geht auch in jedem Arbeitsgebiet um die Frage: Wie können die Menschen, die konkret arbeiten – zum Beispiel in der Landwirtschaft –, eine forscherische Gesinnung p egen? Das Buch von Manfred Klett passt vorzüglich in diese Ausrichtung der Hochschule. Erstens
versucht es, die Landwirtschaft in all ihren Aspekten konsequent vom Menschen her zu denken. Der paradigmatische Satz aus dem Landwirtschaftlichen Kurs Rudolf Steiners, «der Mensch wird zur Grundlage gemacht», wird dem Autor zur Quelle, durch die viel Altbekanntes in neuem Licht erscheint. Das Buch ist aber ebenfalls die Ernte eines Lebens, das immer auch in der Praxis der tätigen und unternehmerischen Landwirtschaft gestanden hat und damit Beispiel und Inspirationsquelle für viele Bauern und Bäuerinnen sein kann, sich als Praxisforscher zu verstehen und zu betätigen.
‹Landbaukunst› steht als Zielrichtung im Titel des Buches, und man kann sich fragen: Soll das die Lösung bringen für die Herausforderungen des Klimawandels, der Bodenerosion, der Welternährung? Die Antwort kann lauten: Ja, denn Kunst, Landbaukunst meint: Jeder und jede mit seinem und ihrem individuellen Engagement, an seinem und ihrem ganz speziellen Platz lebt einen unersetzlichen Beitrag. Jeder Hof, jeder Ort, wo im Sinne dieses Buches gearbeitet wird, ist ein Repräsentant der Erde, die uns zur Kultivierung anvertraut ist.
Das Buch erscheint 2021. Ich nehme mir die Freiheit, es der Leserschaft zu empfehlen und es als Präludium zu den 100-Jahr-Ereignissen des Landwirtschaftlichen Kurses von Rudolf Steiner 1924 in Koberwitz zu verstehen. Wir stehen am Ende des ersten Jahrhunderts biodynamischer Landwirtschaft. Und somit entsteht die Frage: Was ist jetzt zu tun zugehend auf ein zweites Jahrhundert des Wirkens des biodynamischen Impulses?
Wir stehen heute vor teils schwierigen Realitäten auf den Betrieben und in der Vermarktung. Wir kennen aber auch die Prinzipien und Grundgedanken aus der Anthroposophie, aus denen heraus wir ho en können, an diesen Realitäten nicht zu scheitern. Wir haben die Möglichkeit, uns und den Landbau aus der Zukunft heraus zu entwickeln und so nicht nur die Probleme der Landwirtschaft einer Lösung zuzuführen und deren Zukunft zu erschließen, sondern auch Zukunftsimpulse für die Naturseite der Welt und die soziale Gestaltung des menschlichen Lebens zu gewinnen. Dazu ruft uns Manfred Klett auf.
Für die Sektion für Landwirtschaft am Goetheanum
Ueli Hurter
Vorwort
Keine Friedenszeit der jüngeren Geschichte hat es, wie die gegenwärtige, den Menschen so schwer gemacht, einen landwirtschaftlichen Betrieb aus seinen ureigenen, irdisch-kosmischen Lebensgesetzen heraus zukunftsfähig zu gestalten. Diese Aussage lässt erstaunen, gibt es doch Subventionen und einen wachstumsfreudigen Biomarkt. Und sind nicht die Biobetriebe zu Einkaufsund Begegnungsorten geworden? Ja, gewiss! Alles dies täuscht aber über ein umfassendes, das soziale Leben beherrschendes De zit hinweg. Auf drei Gebieten ist dieses existenziell erlebbar:
1. Trotz aller großartigen Erkenntnisse über die Natur und die Fülle ihrer Erscheinungen lebt der Mensch heutzutage in einem so nie dagewesenen abgekoppelten, emanzipierten Verhältnis zu ihr. Die vor Augen liegenden Phänomene der Herrlichkeit der Schöpfung geraten außer Sicht. Das wird erst so recht deutlich, wenn man aus dem Wissensstand, den man heute haben kann, das Stück Erde eines landwirtschaftlichen Betriebes zu einer lebendigen Ganzheit zu gestalten sucht. Man bemerkt, die Begri e decken sich nicht mit der Wirklichkeit, in die man hineinarbeitet. Sie sind dieser gegenüber tot, da sie nur Beziehung zum Physisch-Anorganischen haben. Was man mit diesen Begri en machen kann, ist, ein Reich neben der Natur zu begründen, das Reich der Technologien. Mit diesen droht sich der Mensch vollends aus der Natur auszuschließen; er stellt sich als Zuschauer neben sie, steuert von außen und ist auf dem Weg, seine Steuerfunktion ganz und gar an ein «intelligentes», sich selbst steuerndes digitales System abzugeben. Durch seine Begri swelt scha t er geistig-seelisch in sich selbst und in der Natur um sich herum eine Wüste. Da dürstet es ihn und es kann die Frage aufdämmern, wie man die eigenen Gedanken so beleben kann, dass sie nicht nur totes Abbild des Sinnesfälligen bleiben, sondern zu geistdurchdrungenen gelebten Ideen werden, die zu dem wesenhaften Sein um uns herum Bezug haben. Welchen Übungsweg muss man im Denken, Fühlen und Wollen beschreiten, um die Kluft zwischen dem Erleben des Eigenseins und der Natur, dem Weltsein, mit vollem Bewusstsein überbrücken zu können? Wo sind die Menschen, die sich um ein solches Ideenvermögen bemühen, wo die vielen Hände, die aus diesen Ideen heraus ein Stück Erde zu einem kleinen Universum, zum Organismus eines landwirtschaftlichen Hofes gestalten wollen? Dies zu leisten ist ein künstlerischer Akt, und zwar im doppelten Sinn: Des Geistes bewusst werden, der zum Kunstwerk der Natur geronnen ist, und aus dieser
Geistgesinnung Menschen zu Initiativgemeinschaften zusammenführen, die aus eigener Kraft landwirtschaftliche Betriebe zu Kunstwerken neuer, zukunftso ener Art gestalten. Wo solches auch nur ansatzweise geschieht, fallen zivilisatorische Mauern.
2. Die Landwirtschaft wird förmlich durch eine Flut von Gesetzen, Verordnungen, Au agen, Regulierungen, Kontrollen erdrückt. Dieses Rechtsgestrüpp knüpft sich immer enger und wirrer mit jeder Katastrophe, die ein Fehlverhalten im industrialisierten Intensivanbau (Biozide)2 oder in der Massentierhaltung (z.B. BSE)3 auslöst. Dieser Zwang zu einem überbordenden Bürokratismus, der dann alle betri t, bremst die Eigeninitiative, Recht-gestaltend zu wirken. Er lässt das Vertrauen, die geistige Substanz des von Mensch zu Mensch gelebten Rechts, nicht aufkommen. Man hat nur sich im Blick, und lebt am anderen vorbei. Das Recht wird zu einer Art «Technologie der Vormundschaft». Gelingt es aber, vor Ort durch gemeinsam gep egte Ideenbildung den Willen zur Tat zu erwecken, bekommt das Rechtsgefühl Nahrung. Man lernt fühlen, was in der konkreten Zusammenarbeit einer Hofgemeinschaft rechtens ist, wie je nach Fähigkeit sich die Arbeit gliedert, wie die Eigentümerschaft bezüglich Boden und Kapital, wie die Einkommens- und Wohnrechte etc. sich gestalten. Wieder tut sich ein Übungsfeld auf, jetzt ein solches des Fühlens, durch welches die Gemeinschaft das soziale Kunstwerk selbstloser, vertrauensvoller aufbauen lernt. In Entwicklungsschritten strahlt es aus und erfüllt das Rechtsemp nden der Menschen auch im Umkreis eines landwirtschaftlichen Betriebes mit Leben.
3. Auf wirtschaftlichem Feld steht die Landwirtschaft unter dem Druck anonymer, preisdiktierender Märkte, einer Technologie des berechnenden Egoismus. Ihr, ihrem Wesen nach fremder, enorm hoher Kapitalbedarf hinsichtlich des Zukaufs von Produktionsmitteln (wie Maschinen, Dünger-, Futter-, P anzen- und Tierbehandlungsmittel, Biozide, Energie etc.) zwingt sie zu einseitiger, umweltbelastender Massenproduktion, die ihrerseits die Preise verbilligt, weltweit Verdrängungswettbewerb auslöst, der Globalisierung der Agrarmärkte Vorschub leistet und in den Drittländern für Hungersnöte verantwortlich zeichnet. Die Landwirtschaft, am
2 Siehe hierzu z.B.: Mathias Forster, Christopher Schümann: Das Gift und wir, Frankfurt a.M. 2020, 448 S.
3 BSE: Abkürzung für «Bovine spongiforme Enzephalopathie», auch als «Rinderwahn» bekannte Tierseuche, die vor allem auf eine Fehlfütterung von Rindern mit tierischen Eiweißen zurückzuführen ist.
Gängelband der Kapitalinteressen hängend, ist ihrer selbst entfremdet; sie ist durch und durch kommerzialisiert. Wege und Mittel zu nden, um aus diesem Gefängnis auszubrechen, stellt heute für jeden landwirtschaftlichen Betrieb die größte Herausforderung dar. Diese Mauern zu überwinden, kann dann gelingen, wenn der Hof sich mit Weiterverarbeitung, Handel und Verbraucherschaft in der Region wirtschaftlich assoziiert. Hier erö net sich ein drittes, ganz und gar in die Zukunft gerichtetes Übungsfeld im Sozialen. Der Blick weitet sich über die Hofgrenzen hinaus in das soziale Umfeld. Man sucht und ndet die Wirtschaftspartner, die willens sind, ihre wirtschaftende Tätigkeit in den Dienst eines assoziativen Miteinanders zu stellen und auf die Wohlfahrt aller Beteiligten auszurichten. Das Strebensziel ist, mit der Assoziation ein Kunstwerk der «Geschwisterlichkeit» zunächst vom Hof ausgehend und im regionalen Rahmen unter den Wirtschaftspartnern zu scha en. Es handelt sich um die Kunst, in Gemeinschaft in der Heranbildung eines Gemeinsinns die wirtschaftlichen Tatbestände bildhaft in ihren Zusammenhängen denken zu lernen. Sie ndet ihren Ausdruck in einer Kultur von Vereinbarungen des selbstlosen Umgangs in Hinblick auf regionale Bedarfsdeckung und die Findung eines wertgerechten Preises. Die Landwirtschaft des 20./21. Jahrhunderts wird zunehmend zu einer ökologischen Frage und, darüber hinausgehend, zu einer Frage nach der Bildung der Erde, im Sinne von Novalis’ «Zur Bildung der Erde sind wir berufen». 4 Zugleich aber, und noch wenig in ihrer immensen Tragweite erkannt, stellt sie sich heute – das gesamte zivilisatorische Leben übergreifend – als soziale Frage dar. Sie ist es, die laut nach einem Sinneswandel im Bewusstsein des Menschen gegenüber den Dingen und Wesen der Natur ruft. Der Mensch ist aus der Schöpfung zu einem selbständigen, freien Schöpfertum aufgestiegen. Will er dies «wahrhaben» und danach handeln? Will er, statt nur sich selbst zu dienen, sich selbstlos und mutig für andere und anderes in die Bresche schlagen? Die Landwirtschaft entbehrt, so wie sie unter der Dominanz rationaler Technologie geworden ist und unter dem Trend zu digitaler Steuerung immer mehr zu werden verspricht, kulturerneuernder Impulse. Diejenigen aber, die den Mut haben, ihren eigenen Einsichten folgend biologisch-dynamisch zu wirtschaften, werden bemerken, dass alsbald aus keimhaften Ansätzen inselartig eine neue Kultur aufblüht, die ausstrahlt. Sie sind dann von der Gewissheit erfüllt, dass der eingeschlagene Weg, so viel Hindernisse sich
4 «Wir sind auf einer Mission: zur Bildung der Erde sind wir berufen», Novalis (1772–1801, Dichter der deutschen Romantik), Blüthenstaub, § 32.
ihnen auch – vielleicht auch nur aus bürgerlichem Kleinmut und Rückwärtsgewandtheit – entgegenstellen, hier und jetzt gangbar ist.
Das vorliegende Buch will auf innere und äußere Schritte dieses Weges hinweisen, wie sie sich für denjenigen ergeben, der sie aus den Erkenntnissen der anthroposophischen Geisteswissenschaft im biologisch-dynamischen Landbau zu gehen versucht. Man erlebt sich auf diesem Wege immer als am Anfang stehend. Die aus der Geisteswissenschaft gewonnenen Ideen sind Leitstern der täglichen Arbeit, das Leistbare ist Stückwerk in einer Entwicklung, deren Fruchtbarkeit erst die schöpferische Kraft dieser Ideen enthüllt und damit ihre Wahrheit. In der ideengeleiteten Arbeit erst liegt der Quell des Wahrheitserlebens. Man wird sich dabei der Tatsache bewusst, dass die Bestrebungen des biologisch-dynamischen Landbaus nicht eine zeitgebundene Alternative wie andere zur chemo-technischen Landwirtschaft sind, sondern bewusstseinsgeschichtlich an einen roten Faden anknüpfen, der sich in fortdauernder Metamorphose durch die Geschichte der vorchristlichen Hochkulturen sowie durch die Zeitalter nach der Zeitenwende bis heute hindurchzieht. Wird man sich dessen bewusst, wird die Idee der Entwicklung lebendig. Das eigene Ideal erfüllt sich mit Erkenntnissicherheit; man fühlt sich selbst als Werdender in eine Aufgabe hineingestellt, die dazu impulsiert, den roten Faden aufzugreifen, um an ihm in die Zukunft fortzuknüpfen, in bewusst übender Überwindung der eingangs erwähnten Emanzipationskluft zwischen Mensch und Welt.
Dottenfelderhof, Herbst 2020
Manfred Klett