Leseprobe «Manfred Klett – Von der Agrartechnologie zur Landbaukunst»»

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Von der Agrartechnologie zur Landbaukunst

Wesenszüge des biologisch-dynamischen Landbaus

Eine Landwirtschaft der Zukunft

Verlag am Goetheanum

9 Inhaltsverzeichnis Geleitwort 17 Vorwort 21 Erster Teil 25 Die Polarität von Industrie und Landwirtschaft 27 Die Erzeugungsbedingungen in Industrie und Landwirtschaft 30 Das Organismusprinzip in der Landwirtschaft im Spiegel der Bewusstseinsentwicklung der Menschheit 39 Die Frühzeit 39 Die urindische Kultur 40 Die urpersische Kultur 42 Die Kulturen Altägyptens und Mesopotamiens 46 Die griechisch-römische Kultur 49 Die Kultur der Neuzeit 54 Die Kulturströmungen der Landwirtschaft bis zur Zeitenwende 56 Das Ereignis der Zeitenwende, das Mysterium von Golgatha 59 Der Wandel des Organismusprinzips bis zur Neuzeit 61 Punkt und Umkreis 63 Das Organismusprinzip in der Neuzeit 70 Die neuen Keime 84 Die Dreigliederung des Menschen und die landwirtschaftliche Individualität 88 Die Viergliederung des Menschen und die Geschlossenheit des Hoforganismus 97 Das Bild der Viergliederung der landwirtschaftlichen Individualität 101 Die physische Organisation 101 Die Lebensorganisation 104 Die Seelenorganisation oder der Astralleib des landwirtschaftlichen Organismus 111
10 Die Wildtierarten –Organe des Hof- und Landschaftsorganismus 112 Vier Gruppen innerhalb der Wildfauna 114 Die Haustiere – Organe im Hof- und Landschaftsorganismus 126 Die Honigbiene 130 Das Hausge ügel 131 Das Hausschwein 134 Pferd und Esel 137 Hund und Katze 140 Schaf und Ziege 143 Das Rind 146 Herkunft und Mythos 146 Stellung im Betriebsorganismus 147 Wesenserscheinung und Wesenserkenntnis 149 Die Maulverdauung 149 Pansenverdauung und Wiederkäuen 150 Das Wiederkäuen, eine Wahrnehmung und Sichtung von Sto en und Kräften 151 Dünn- und Dickdarmverdauung 153 Die Schwelle von der Außen- zur Innenwelt 154 Die Bedeutung der Hörner und Klauen 155 Kosmisch-qualitative Analyse und Ich-Anlage 156 Überschussleistungen 157 Verzicht 158 Rinderherde und Hoforganismus 158 Der Mensch und die Ich-Organisation des landwirtschaftlichen Organismus 160 Die Geistesforschung als Mittlerin zwischen Wesen und Erscheinung 160 Aspekte zur sozialen Problematik 162 Zur Bildung und Handlungsfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebsgemeinschaften 165 Das Wollen in Freiheit, der Weg zur Initiativgemeinschaft 166 Das Fühlen in Gleichheit, der Weg zum lebendigen Rechtsemp nden 169 Das Denken in Mitmenschlichkeit (Brüderlichkeit), der Weg zum solidarischen Wirtschaften 173
11 Zur geistigen Entwicklung und Führung einer landwirtschaftlichen Betriebsgemeinschaft 177 Das geistige Strebensziel 178 Die Praxis der Zusammenarbeit 179 Die Arbeitsbesprechung am Morgen 179 Der Studienkreis zu Inhalten anthroposophischer Geistesforschung 180 Die Arbeits- und Verwaltungskonferenz 180 Der Hoforganismus und die Ich-gewollte Arbeit des Menschen 182 Impulse des biologisch-dynamischen Landbaus für die Entwicklung des sozialen Organismus 187 Das Wollen in Freiheit 188 Das Fühlen in Gleichheit 194 Das Denken in Brüderlichkeit oder Mitmenschlichkeit 197 Zweiter Teil 199 Die landwirtschaftliche Individualität und die drei Säulen der Bodenfruchtbarkeit 201 Erste Säule: Vom Wesen der Bodenbearbeitung im Zusammenhang mit der Bodenentwicklung im Jahreslauf 205 Der Boden 205 Der Winterprozess und die Bodenbearbeitung 207 Die Bildung der Frostgare 208 Die Entstehung der Tonmineralien und ihre Neubildung 209 Trägerschaft und Bewahrung der kosmischen Formkräfte im Jahreslauf 211 Der Frühjahrsprozess und die Bodenbearbeitung 213 Im Vorfrühling 213 Im Frühjahr 214 Krustenbildung und Hautbearbeitung 219 Der Sommerprozess und die Bodenbearbeitung 220 Stoppelsturz, Mulchbearbeitung, Humusaufbau und die Tätigkeit der Bodentierwelt 220
12 Fruchtbildung und Reifung 224 Die Geräte zur sommerlichen Mulchbearbeitung 227 Der Herbstprozess und die Bodenbearbeitung 228 Reifen, Verwandeln, Sterben 228 Die Bodenbearbeitung im Herbst 230 Zweite Säule: Vom Wesen der Fruchtfolge 235 Die Fruchtfolge und die Lebensorganisation des landwirtschaftlichen Organismus 235 Zum System der Fruchtfolge 237 Fruchtfolge und Humushaushalt 238 Fruchtfolge und Zwischenfruchtanbau 239 Fruchtfolge und die Mineralaufschließung, die Sticksto bindung 241 Fruchtfolge und ihre Begleit ora, die Unkräuter 242 Das Verfahren der Unkrautsamenveraschung 244 Die mechanische Unkrautregulierung 246 Unkräuter und -gräser in den Halmfrüchten 247 Unkräuter und -gräser in den Hackfrüchten 248 Unkräuter und -gräser im Futterp anzenanbau 249 Fruchtfolge, Krankheiten und Schädlingsbefall 250 Fruchtfolgebedingte Krankheiten der Halmfrüchte 253 Fruchtfolgebedingte Krankheiten der Hackfrüchte 254 Fruchtfolgebedingte Krankheiten der Futterp anzen 255 Die Fruchtfolge in Beziehung zur Düngung, Humusbilanz und P ugbearbeitung 257 Dritte Säule: Vom Wesen der Düngung 259 Zur Sto - und Kräftefrage 259 Zur Frage nach Geist, Wesen und Individualität 268 Die Düngungsfrage und die landwirtschaftliche Individualität 271
13 Stufe 0: Die Anwendung von Mineralsto en 274 Die Anwendung von Sticksto salzen 275 Die Anwendung von Gesteinsmehlen 281 Stufe 1: Die Düngung aus dem Lebendigen der P anzennatur 286 Vom Wesen der Kompostierung 287 1. Die Wärmephase 291 2. Die Luftatmungs- und Entgasungsphase 292 3. Die wässrige oder Verwandlungsphase 294 4. Die Vererdungsphase 295 Die Anwendung des Kompostes 299 Die Kompostdüngung von Wiesen und Weiden 299 Die Kompostdüngung im Gartenbau 300 Die Kompostdüngung im Obstbau 301 Stufe 2: Die Düngung aus dem Seelischen der Haustiernatur 303 Die Bewahrung der Dünger des Haustierbestandes 304 Der Tiefstallmist 305 Der Stapelmist 307 Mistkompost 307 Die Jauche 309 Die Anwendung der hofeigenen tierischen Dünger 311 Die Wirksamkeit der hofeigenen tierischen Dünger 312 Der Licht-Schatten-Versuch 313 Bewertungen durch morphologische Befunde 314 Bewertungen anhand der analytischen Befunde 317 Bewertung durch die kristalldiagnostische Methode der Kupferchloridkristallisation 318 Stufe 3: Die Düngung aus dem Geist des Menschen 323 Die Sto wechselausscheidungen 323 Die Geisttätigkeit in der Arbeit 324 Die landwirtschaftliche Individualität und die biologischdynamischen Präparate 325 Der geisteswissenschaftliche Forschungsweg 329
14 Der naturwissenschaftlich-goetheanistische Forschungsweg 331 Der Forschungsweg der Willenserfahrung 332 Herstellung, Anwendung und Wirksamkeit der Präparate im Jahreslauf 334 Grundlegende Aspekte zur Methodik der Herstellung und Anwendung der Präparate 336 Annäherung an ein Verständnis der Ausgangssto e für die Präparation 339 Herstellung und Handhabe der biologisch-dynamischen Präparate 344 Das Hornmist- und Hornkieselpräparat –Herstellung, Anwendung und Wirksamkeit 344 Das Hornmistpräparat 344 Das Hornkieselpräparat 348 Der Rührvorgang 351 Die Anwendung 356 Die Wirksamkeit 357 Die Kompost- oder Düngerpräparate 360 Die Komposition des Schafgarbenpräparates 361 Stufen der Wirksamkeit 370 Die Komposition des Kamillenpräparates 372 Die Komposition des Brennnesselpräparates 379 Zur Frage der Sto umwandlung 384 Die Komposition des Eichenrindepräparates 389 Die Eiche, ihre Rinde und Borke 389 Der Haustierschädel 395 Die Präparation der Eichenrinde-Borke 400 Die Komposition des Löwenzahnpräparates 405 Das Erscheinungsbild des Löwenzahns 406 Die Wurzel 407 Spross und Blatt 408 Die Blüte 409 Der Milchsaft 411 Das Bauchfell bzw. Gekröse des Rindes 415 Die Präparationsschritte 420 Anwendung und Wirksamkeit 424
15 Die Komposition des Baldrianpräparates 427 Das Erscheinungsbild des Baldrian 428 Die Wurzel 430 Der Stängel 431 Die Blattfolge 432 Die Blüte 434 Herstellung und Anwendung 438 Vorbemerkungen zur Wirksamkeit 440 Die Wirksamkeit 446 Das Schachtelhalmpräparat 448 Die Erscheinungsform 449 Die Rhizom-Wurzelsphäre, die vegetative und generative Vermehrung 450 Der oberirdische Spross und der Kieselprozess 451 Herstellung und Anwendung 453 Die Wirksamkeit des Schachtelhalmpräparates 454 Der Kanon der sechs Düngerpräparate, ihr Zusammenwirken unter Bildung eines neuen Mittleren – eine Zusammenschau 456 Die Reihe der Präparatep anzen 456 Die Reihe der tierischen Organhüllen 461 Die Düngerpräparate in ihrer Ganzheitswirkung 469 Die Praxis der Landbaukunst in drei Schritten 473 Dank 483 Lebenslauf Manfred Klett 485

Geleitwort

Das vorliegende Buch «Von der Agrartechnologie zur Landbaukunst» darf als die Zusammenfassung des Lebenswerkes von Manfred Klett bezeichnet werden.

Manfred Klett, Jahrgang 1933, ist der Doyen der biodynamischen Bewegung. Nachdem er jahrzehntelang neben seinen praktischen Tätigkeiten und Verantwortungen auch als Redner, Dozent und Gesprächspartner weltweit auf Reisen gewesen ist, könnte man ihn nun auf geruhsamem Alterssitz vermuten. Dieses Bild täuscht, denn aus der äußeren Ruhe tritt Manfred Klett jetzt nochmals an die Ö entlichkeit mit einem umfassenden Werk. Und wer ihn kennt, vermutet unmittelbar, was uns Manfred Klett damit in die Hände gibt: die Quintessenz seines lebenslangen Wirkens für eine Landwirtschaft der Zukunft. Rückblickend werden die Erträgnisse des Lebens gesichtet und geordnet; eine strukturierte Bestandsaufnahme dessen, was Landwirtschaft war und ist. Vorwärtsblickend steht vor uns eine Au orderung an die nachfolgenden Generationen im Sinne von Arbeitsrichtungen, zum Ergreifen desjenigen, was die Landwirtschaft als Zukunftspotential in sich trägt.

Der erste Untertitel «Wesenszüge des biologisch-dynamischen Landbaus» kann als zusammenfassende Inhaltsangabe verstanden werden. Ja, es geht um die biologisch-dynamische Landwirtschaft, aber nicht im Sinne einer Innensicht, einer internen Verständigung der biodynamischen ‹Community › mit sich selbst. Geht es also um eine Außensicht? Auch das nicht, denn von außen wird in dieser Schrift gar nichts angeschaut. Man könnte jedoch sagen, es geht um eine Sicht ‹nach außen›. Eine Sicht, in der dasjenige, was wir ‹biodynamisch› nennen, über die Bewegung und ihr Selbstverständnis hinaus erforscht wird, um in seinen Wesenszügen etwas von demjenigen zu nden, was die Landwirtschaft ihrer Bestimmung nach ist. Das ist ein großer Anspruch, der eine solide Begründung erfordert. Das vorliegende Werk kann als diese Begründung gelesen werden, und ich glaube auch, es will im Sinne des Autors so gelesen werden, und zwar dem Inhalte und auch dem Stile nach. Inhaltlich enthält es unter anderem

• eine Geschichte der Landwirtschaft in ihrem Verhältnis zur Kultur- und Bewusstseins-Entwicklung der abendländischen Menschheit

• eine sozialwirtschaftliche Studie zum Verhältnis von Industrie und Landwirtschaft

• eine Lehre über den landwirtschaftlichen Organismus in seiner Drei- und Viergliedrigkeit

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• eine Untersuchung zur ‹Landwirtschaftlichen Individualität›

• im Rahmen der drei Säulen des Ackerbaus – Bodenbearbeitung, Fruchtfolge und Düngung – eine ausführliche Darstellung der biodynamischen Präparate

• ein Lehrbuch für biodynamische Bauern

• ein Lehrbuch für Betriebsgemeinschaften und assoziative Initiativen im Umfeld von Höfen

Dem Stile nach ist die Begründung im besten Sinne goetheanistisch zu nennen. Das heißt, sie ist nicht abstrakt logisch und systematisch, sondern sie orientiert sich am Phänomen. Die Biogra e des Verfassers ist ein Leben für und mit dem biodynamischen Impuls. Die konkreten Arbeits-Erfahrungen und die prinzipiellen Gedanken-Entdeckungen gehören zusammen. Das gelebte Leben ist das Ineinanderweben von beidem, und die vorliegende Schrift bleibt dieser Sprache des Lebens treu. Konkrete Praxiserfahrungen – sei es auf dem Feld, im Stall oder an der Arbeitsbesprechung – und urphänomenale Formulierungen über Boden, Haustiere oder Zusammenarbeit stehen nahe beieinander. Das ist gewollt. Der Stil kann als ‹real-ideal› bezeichnet werden. Und er ist die Umsetzung dessen, was Manfred Klett im Titel ‹Landbaukunst› nennt. Das Reale verliert sich nicht atomistisch in die Einzelheiten von Daten und Fakten und das Ideale nicht in die Abstraktheit des Allgemeinen; sie suchen sich und befruchten sich gegenseitig zu einer höheren Einheit; diese Kunst darf Landbaukunst genannt werden.

Von den vielen Themen sind zwei erstaunlich ausführlich dargestellt. Der eine Themenkomplex ist die sozialwirtschaftliche Analyse der aktuellen Lage der Landwirtschaft. Kurz gesagt: Die Landwirtschaft hat sich industrialisiert, ohne je Industrie sein zu können. Die Kapitalbildung und die Kapitalrendite sind der Landwirtschaft, insofern sie noch irgendetwas mit ‹Land› zu tun hat, wesensfremd. Dafür ist ihr eigen, was der Industrie unbekannt ist: Sie verbraucht ihre Produktionsmittel – Boden, P anzen, Tiere – im Produktionsprozess nicht, sondern erhält oder verbessert sie. Diese positive Bilanzierung im Sinne des Lebenshaushaltes der Erde, einschließlich des Wasser- und Klimahaushaltes, ist ihr eigentlicher volkswirtschaftlicher Beitrag; und der Autor führt die ganze Betrachtung in der Art, dass diese Sichtweise eine Beleuchtung aus der Zukunft erfährt. Denn dadurch wächst der biodynamischen Landwirtschaft eine sozialgestalterische Aufgabe zu, die noch nicht in dem Maße erkannt und ergri en ist, wie es in dieser Schrift dargestellt wird. Alle

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Welt sucht nach einer nachhaltigen Bilanz der Weltwirtschaft – hier ist ein Anfangspunkt aufgezeigt und damit die Au orderung ausgesprochen, ihn zu entwickeln und ins Gespräch zu bringen.

Der zweite Themenbereich sind die biodynamischen Präparate. Damit bringt der Autor zum Ausdruck, dass er die unscheinbaren Düngerzusätze als höchst wesentlich ansieht. Wenn man dies mit dem Titel des Buches in Verbindung bringt, kann man formulieren: Die Präparate insbesondere sind ‹Landbaukunst›, sie sind ‹das Wesen› des biodynamischen Landbaus, und es sind im Besonderen die Präparate, die eine ‹Landwirtschaft der Zukunft› ermöglichen. Wie muss man den Blick richten, damit diese gewollte Herausstellung der Präparate einsichtig wird? Die Blickrichtung von Manfred Klett ist das grundlegende Verhältnis von Mensch und Natur. In diesem Verhältnis vollzieht sich an und mit den Präparaten eine Umpolung von Nehmen und Geben: Der Mensch kann heute als individueller Mensch aus dem Vermögen seiner ‹Geistseele› schöpferisch, gleichsam als Künstler hineinwirken in das innere Gefüge der Natur, und sie – die ihn, den Menschen, immer getragen hat und aus deren Schoß er als Erdenwesen entsprungen ist – kann und will sich dieser weiterführenden Kultivierung durch des Menschen Hände-Werk anvertrauen. Dieser weite Blick auf die Präparate gehört zum landwirtschaftlichen Vermächtnis, das hier vorliegt. Es wird nichts weniger gesagt, als dass die Jahrtausende alte Agri-Kultur durch die biodynamischen Präparate den Erneuerungsimpuls erfährt, der ihr überhaupt die Zukunft erschließt.

Es ist der dezidierte Wille von Manfred Klett, dass dieses Buch am Goetheanum herausgegeben und verlegt wird. Dem haben die Sektion für Landwirtschaft und der Verlag am Goetheanum gerne entsprochen. Die Sektion für Landwirtschaft ist als eine von elf Sektionen integraler Bestandteil der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft am Goetheanum. Diese Hochschule strebt danach, aus der Anthroposophie heraus zu arbeiten. Aktuell versteht sie sich insbesondere so, dass sie sich im Zeitgeschehen artikulieren will, um für die großen Herausforderungen der Gegenwart Beiträge beizusteuern. Dabei geht es in jedem Fachgebiet um die Frage: Wie kann in aller Technik und Komplexität die Erkenntnis des Menschen als ‹Anthropos› eine Orientierung für die Zukunft abgeben? Und es geht auch in jedem Arbeitsgebiet um die Frage: Wie können die Menschen, die konkret arbeiten – zum Beispiel in der Landwirtschaft –, eine forscherische Gesinnung p egen? Das Buch von Manfred Klett passt vorzüglich in diese Ausrichtung der Hochschule. Erstens

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versucht es, die Landwirtschaft in all ihren Aspekten konsequent vom Menschen her zu denken. Der paradigmatische Satz aus dem Landwirtschaftlichen Kurs Rudolf Steiners, «der Mensch wird zur Grundlage gemacht», wird dem Autor zur Quelle, durch die viel Altbekanntes in neuem Licht erscheint. Das Buch ist aber ebenfalls die Ernte eines Lebens, das immer auch in der Praxis der tätigen und unternehmerischen Landwirtschaft gestanden hat und damit Beispiel und Inspirationsquelle für viele Bauern und Bäuerinnen sein kann, sich als Praxisforscher zu verstehen und zu betätigen.

‹Landbaukunst› steht als Zielrichtung im Titel des Buches, und man kann sich fragen: Soll das die Lösung bringen für die Herausforderungen des Klimawandels, der Bodenerosion, der Welternährung? Die Antwort kann lauten: Ja, denn Kunst, Landbaukunst meint: Jeder und jede mit seinem und ihrem individuellen Engagement, an seinem und ihrem ganz speziellen Platz lebt einen unersetzlichen Beitrag. Jeder Hof, jeder Ort, wo im Sinne dieses Buches gearbeitet wird, ist ein Repräsentant der Erde, die uns zur Kultivierung anvertraut ist.

Das Buch erscheint 2021. Ich nehme mir die Freiheit, es der Leserschaft zu empfehlen und es als Präludium zu den 100-Jahr-Ereignissen des Landwirtschaftlichen Kurses von Rudolf Steiner 1924 in Koberwitz zu verstehen. Wir stehen am Ende des ersten Jahrhunderts biodynamischer Landwirtschaft. Und somit entsteht die Frage: Was ist jetzt zu tun zugehend auf ein zweites Jahrhundert des Wirkens des biodynamischen Impulses?

Wir stehen heute vor teils schwierigen Realitäten auf den Betrieben und in der Vermarktung. Wir kennen aber auch die Prinzipien und Grundgedanken aus der Anthroposophie, aus denen heraus wir ho en können, an diesen Realitäten nicht zu scheitern. Wir haben die Möglichkeit, uns und den Landbau aus der Zukunft heraus zu entwickeln und so nicht nur die Probleme der Landwirtschaft einer Lösung zuzuführen und deren Zukunft zu erschließen, sondern auch Zukunftsimpulse für die Naturseite der Welt und die soziale Gestaltung des menschlichen Lebens zu gewinnen. Dazu ruft uns Manfred Klett auf.

Für die Sektion für Landwirtschaft am Goetheanum

Ueli Hurter

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Vorwort

Keine Friedenszeit der jüngeren Geschichte hat es, wie die gegenwärtige, den Menschen so schwer gemacht, einen landwirtschaftlichen Betrieb aus seinen ureigenen, irdisch-kosmischen Lebensgesetzen heraus zukunftsfähig zu gestalten. Diese Aussage lässt erstaunen, gibt es doch Subventionen und einen wachstumsfreudigen Biomarkt. Und sind nicht die Biobetriebe zu Einkaufsund Begegnungsorten geworden? Ja, gewiss! Alles dies täuscht aber über ein umfassendes, das soziale Leben beherrschendes De zit hinweg. Auf drei Gebieten ist dieses existenziell erlebbar:

1. Trotz aller großartigen Erkenntnisse über die Natur und die Fülle ihrer Erscheinungen lebt der Mensch heutzutage in einem so nie dagewesenen abgekoppelten, emanzipierten Verhältnis zu ihr. Die vor Augen liegenden Phänomene der Herrlichkeit der Schöpfung geraten außer Sicht. Das wird erst so recht deutlich, wenn man aus dem Wissensstand, den man heute haben kann, das Stück Erde eines landwirtschaftlichen Betriebes zu einer lebendigen Ganzheit zu gestalten sucht. Man bemerkt, die Begri e decken sich nicht mit der Wirklichkeit, in die man hineinarbeitet. Sie sind dieser gegenüber tot, da sie nur Beziehung zum Physisch-Anorganischen haben. Was man mit diesen Begri en machen kann, ist, ein Reich neben der Natur zu begründen, das Reich der Technologien. Mit diesen droht sich der Mensch vollends aus der Natur auszuschließen; er stellt sich als Zuschauer neben sie, steuert von außen und ist auf dem Weg, seine Steuerfunktion ganz und gar an ein «intelligentes», sich selbst steuerndes digitales System abzugeben. Durch seine Begri swelt scha t er geistig-seelisch in sich selbst und in der Natur um sich herum eine Wüste. Da dürstet es ihn und es kann die Frage aufdämmern, wie man die eigenen Gedanken so beleben kann, dass sie nicht nur totes Abbild des Sinnesfälligen bleiben, sondern zu geistdurchdrungenen gelebten Ideen werden, die zu dem wesenhaften Sein um uns herum Bezug haben. Welchen Übungsweg muss man im Denken, Fühlen und Wollen beschreiten, um die Kluft zwischen dem Erleben des Eigenseins und der Natur, dem Weltsein, mit vollem Bewusstsein überbrücken zu können? Wo sind die Menschen, die sich um ein solches Ideenvermögen bemühen, wo die vielen Hände, die aus diesen Ideen heraus ein Stück Erde zu einem kleinen Universum, zum Organismus eines landwirtschaftlichen Hofes gestalten wollen? Dies zu leisten ist ein künstlerischer Akt, und zwar im doppelten Sinn: Des Geistes bewusst werden, der zum Kunstwerk der Natur geronnen ist, und aus dieser

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Geistgesinnung Menschen zu Initiativgemeinschaften zusammenführen, die aus eigener Kraft landwirtschaftliche Betriebe zu Kunstwerken neuer, zukunftso ener Art gestalten. Wo solches auch nur ansatzweise geschieht, fallen zivilisatorische Mauern.

2. Die Landwirtschaft wird förmlich durch eine Flut von Gesetzen, Verordnungen, Au agen, Regulierungen, Kontrollen erdrückt. Dieses Rechtsgestrüpp knüpft sich immer enger und wirrer mit jeder Katastrophe, die ein Fehlverhalten im industrialisierten Intensivanbau (Biozide)2 oder in der Massentierhaltung (z.B. BSE)3 auslöst. Dieser Zwang zu einem überbordenden Bürokratismus, der dann alle betri t, bremst die Eigeninitiative, Recht-gestaltend zu wirken. Er lässt das Vertrauen, die geistige Substanz des von Mensch zu Mensch gelebten Rechts, nicht aufkommen. Man hat nur sich im Blick, und lebt am anderen vorbei. Das Recht wird zu einer Art «Technologie der Vormundschaft». Gelingt es aber, vor Ort durch gemeinsam gep egte Ideenbildung den Willen zur Tat zu erwecken, bekommt das Rechtsgefühl Nahrung. Man lernt fühlen, was in der konkreten Zusammenarbeit einer Hofgemeinschaft rechtens ist, wie je nach Fähigkeit sich die Arbeit gliedert, wie die Eigentümerschaft bezüglich Boden und Kapital, wie die Einkommens- und Wohnrechte etc. sich gestalten. Wieder tut sich ein Übungsfeld auf, jetzt ein solches des Fühlens, durch welches die Gemeinschaft das soziale Kunstwerk selbstloser, vertrauensvoller aufbauen lernt. In Entwicklungsschritten strahlt es aus und erfüllt das Rechtsemp nden der Menschen auch im Umkreis eines landwirtschaftlichen Betriebes mit Leben.

3. Auf wirtschaftlichem Feld steht die Landwirtschaft unter dem Druck anonymer, preisdiktierender Märkte, einer Technologie des berechnenden Egoismus. Ihr, ihrem Wesen nach fremder, enorm hoher Kapitalbedarf hinsichtlich des Zukaufs von Produktionsmitteln (wie Maschinen, Dünger-, Futter-, P anzen- und Tierbehandlungsmittel, Biozide, Energie etc.) zwingt sie zu einseitiger, umweltbelastender Massenproduktion, die ihrerseits die Preise verbilligt, weltweit Verdrängungswettbewerb auslöst, der Globalisierung der Agrarmärkte Vorschub leistet und in den Drittländern für Hungersnöte verantwortlich zeichnet. Die Landwirtschaft, am

2 Siehe hierzu z.B.: Mathias Forster, Christopher Schümann: Das Gift und wir, Frankfurt a.M. 2020, 448 S.

3 BSE: Abkürzung für «Bovine spongiforme Enzephalopathie», auch als «Rinderwahn» bekannte Tierseuche, die vor allem auf eine Fehlfütterung von Rindern mit tierischen Eiweißen zurückzuführen ist.

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Gängelband der Kapitalinteressen hängend, ist ihrer selbst entfremdet; sie ist durch und durch kommerzialisiert. Wege und Mittel zu nden, um aus diesem Gefängnis auszubrechen, stellt heute für jeden landwirtschaftlichen Betrieb die größte Herausforderung dar. Diese Mauern zu überwinden, kann dann gelingen, wenn der Hof sich mit Weiterverarbeitung, Handel und Verbraucherschaft in der Region wirtschaftlich assoziiert. Hier erö net sich ein drittes, ganz und gar in die Zukunft gerichtetes Übungsfeld im Sozialen. Der Blick weitet sich über die Hofgrenzen hinaus in das soziale Umfeld. Man sucht und ndet die Wirtschaftspartner, die willens sind, ihre wirtschaftende Tätigkeit in den Dienst eines assoziativen Miteinanders zu stellen und auf die Wohlfahrt aller Beteiligten auszurichten. Das Strebensziel ist, mit der Assoziation ein Kunstwerk der «Geschwisterlichkeit» zunächst vom Hof ausgehend und im regionalen Rahmen unter den Wirtschaftspartnern zu scha en. Es handelt sich um die Kunst, in Gemeinschaft in der Heranbildung eines Gemeinsinns die wirtschaftlichen Tatbestände bildhaft in ihren Zusammenhängen denken zu lernen. Sie ndet ihren Ausdruck in einer Kultur von Vereinbarungen des selbstlosen Umgangs in Hinblick auf regionale Bedarfsdeckung und die Findung eines wertgerechten Preises. Die Landwirtschaft des 20./21. Jahrhunderts wird zunehmend zu einer ökologischen Frage und, darüber hinausgehend, zu einer Frage nach der Bildung der Erde, im Sinne von Novalis’ «Zur Bildung der Erde sind wir berufen». 4 Zugleich aber, und noch wenig in ihrer immensen Tragweite erkannt, stellt sie sich heute – das gesamte zivilisatorische Leben übergreifend – als soziale Frage dar. Sie ist es, die laut nach einem Sinneswandel im Bewusstsein des Menschen gegenüber den Dingen und Wesen der Natur ruft. Der Mensch ist aus der Schöpfung zu einem selbständigen, freien Schöpfertum aufgestiegen. Will er dies «wahrhaben» und danach handeln? Will er, statt nur sich selbst zu dienen, sich selbstlos und mutig für andere und anderes in die Bresche schlagen? Die Landwirtschaft entbehrt, so wie sie unter der Dominanz rationaler Technologie geworden ist und unter dem Trend zu digitaler Steuerung immer mehr zu werden verspricht, kulturerneuernder Impulse. Diejenigen aber, die den Mut haben, ihren eigenen Einsichten folgend biologisch-dynamisch zu wirtschaften, werden bemerken, dass alsbald aus keimhaften Ansätzen inselartig eine neue Kultur aufblüht, die ausstrahlt. Sie sind dann von der Gewissheit erfüllt, dass der eingeschlagene Weg, so viel Hindernisse sich

4 «Wir sind auf einer Mission: zur Bildung der Erde sind wir berufen», Novalis (1772–1801, Dichter der deutschen Romantik), Blüthenstaub, § 32.

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ihnen auch – vielleicht auch nur aus bürgerlichem Kleinmut und Rückwärtsgewandtheit – entgegenstellen, hier und jetzt gangbar ist.

Das vorliegende Buch will auf innere und äußere Schritte dieses Weges hinweisen, wie sie sich für denjenigen ergeben, der sie aus den Erkenntnissen der anthroposophischen Geisteswissenschaft im biologisch-dynamischen Landbau zu gehen versucht. Man erlebt sich auf diesem Wege immer als am Anfang stehend. Die aus der Geisteswissenschaft gewonnenen Ideen sind Leitstern der täglichen Arbeit, das Leistbare ist Stückwerk in einer Entwicklung, deren Fruchtbarkeit erst die schöpferische Kraft dieser Ideen enthüllt und damit ihre Wahrheit. In der ideengeleiteten Arbeit erst liegt der Quell des Wahrheitserlebens. Man wird sich dabei der Tatsache bewusst, dass die Bestrebungen des biologisch-dynamischen Landbaus nicht eine zeitgebundene Alternative wie andere zur chemo-technischen Landwirtschaft sind, sondern bewusstseinsgeschichtlich an einen roten Faden anknüpfen, der sich in fortdauernder Metamorphose durch die Geschichte der vorchristlichen Hochkulturen sowie durch die Zeitalter nach der Zeitenwende bis heute hindurchzieht. Wird man sich dessen bewusst, wird die Idee der Entwicklung lebendig. Das eigene Ideal erfüllt sich mit Erkenntnissicherheit; man fühlt sich selbst als Werdender in eine Aufgabe hineingestellt, die dazu impulsiert, den roten Faden aufzugreifen, um an ihm in die Zukunft fortzuknüpfen, in bewusst übender Überwindung der eingangs erwähnten Emanzipationskluft zwischen Mensch und Welt.

Dottenfelderhof, Herbst 2020

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