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Ringen um jeden Adler

Fotos: Mario Müller

Unterwegs mit dem Seeadler-Landeskoordinator für Mecklenburg-Vorpommern

Erfahrung, Geduld und ein Quäntchen Glück. Drei Dinge, die Mario Müller braucht, um Deutschlands größte Greifvögel aufzuspüren. Sind sie gefunden, geht die Arbeit für den Seeadler-Landeskoordinator erst richtig los.

Eine kleine Plastiktüte, darin gut zwei Dutzend Ringe und ein Bündel manschettenartiger Fußbänder. Was Mario Müller an diesem Spätfrühlingstag inmitten des urwüchsigen Darßwaldes aus seiner Tasche holt, hat eine klare Aufgabe. „Wir kennzeichnen unsere Seeadler, um zu erfahren, wohin sie ziehen, wie sie leben, sterben oder sich fortpflanzen.“ Kurz gesagt: Mario Müller betreibt Artenschutz. Artenschutz einer Art, die vor nicht viel mehr als hundert Jahren in ganz Europa nahezu ausgerottet war.

Einmal im Jahr fährt der Vogelexperte gemeinsam mit einem kleinen Team an Kletterern zu jenen Orten auf Fischland-Darß-Zingst, an denen Ranger des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft kurz zuvor Brutpaare ausgemacht haben. „Damit wir die Jungtiere ordentlich markieren können, holen wir sie mit einem Rucksack aus dem Nest und bringen sie auf den Waldboden. Hier können wir ohne die Gefahr von Winden die Ringe anbringen und fest vernieten“, erläutert Müller unter den wachsamen Augen des ausgeflogenen Seeadlerpaares, das aus sicherer Entfernung die Prozedur verfolgt, und fügt hinzu: „Früher haben wir die Ringe nur zusammengedrückt. Das haben die Adler ausgenutzt und sich ganz schnell wieder von ihrem neuen Schmuck entledigt.“

Ringe dienen zur Erkennung der Seeadler
Foto: Mario Müller

Erfahrungswerte, die Mario Müller in mehr als zwanzig Jahren Seeadlerliebe gesammelt hat. 1988 ist der gebürtig aus Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz, stammende Sachse nach Ribnitz-Damgarten gezogen. Mit im Gepäck eine langjährige Leidenschaft für alles, was mit Vögeln und Vogelkunde zu tun hat. „Bereits in der zweiten Klasse habe ich mich für Ornithologie interessiert und in den folgenden Jahren eine Reihe entsprechender Arbeitsgemeinschaften besucht.“ Was Mario Müller früh lernte, sollte ihm einige Jahre später zu Nutze kommen. „Anfang der 90er-Jahre lernte ich an der Ostseeküste jemanden kennen, der sich um die Seeadler in der Region kümmerte und altersbedingt einen Nachfolger suchte. Ein Hauptgewinn!“

Wer einen Seeadler erspähen möchte, sollte sich zeitig am Morgen aufmachen. Beste Chancen gibt es kurz nach Sonnenaufgang. Vor allem rund um die nördliche Boddenküste sowie am Darßer Ort.

Seit 1995 ist Mario Müller Seeadlerkoordinator, zunächst nur für die Region Fischland-Darß-Zingst, später auch für die Inseln Hiddensee, Rügen und Usedom, heute für ganz Mecklenburg-Vorpommern. „In einem Land, in dem dieser Tage mit 426 Brutpaaren rund die Hälfte des gesamtdeutschen Bestandes beheimatet ist.“ Ein Vollzeit-Job, der den eigentlich studierten Architekten inzwischen rund ums Jahr auf Trab hält und vollends ausfüllt: „Was gibt es Schöneres als mit so wunderbaren Tieren zu arbeiten und daran mitzuwirken, ihre Art und unsere Natur zu schützen und für die Zukunft zu erhalten?“

Was der Hobbyornithologe, der auch zertifizierter Partner des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft ist, zurückhaltend ausdrückt, ist im Artenschutz eine echte Erfolgsgeschichte. Noch um das Jahr 1900 waren im gesamten Bundesland nie mehr als 15 brütende Seeadlerpaare notiert. „Die mächtigen Tiere wurden abgeschossen, da Menschen sie schlichtweg als Nahrungskonkurrent einstuften“, erzählt Müller. „Erst mit dem ersten deutschen Naturschutzgesetz im Jahr 1935 und einem entsprechenden Schutzparagraphen konnte der geringe Bestand von Seeadlern wieder langsam aufgebaut werden. Seit dem Ende der 70er-Jahre gilt er als erholt.“

Während Mario Müller den Seeadlernachwuchs vorsichtig aus dem Rucksack hebt und mit schwarzen Fußmanschetten beringt, wirft er noch einen genauen Blick auf die dunkel marmorierten Jungvögel: „Wir schauen, ob sie gesund sind, gut genährt und bereit fürs Leben.“ Wenige Klicks mit der Nietenzange später sind die kleinen Adler offiziell erfasst. „Farbe und Inschrift der Ringe sind wie ein Ausweis für die Tiere. Sie sind jeweils einzigartig und lassen später von weitem schnell erkennen, wie alt der Adler ist.“

Frisch beringter Adlernachwuchs
Foto: Mario Müller

Nach zehn Minuten sitzt der letzte Adlernachwuchs wieder in dem fast zwei Meter breiten Horst. „Auf zum nächsten!“, ruft Müller seinem Team zu, während er die kleine Plastiktüte zurück in seine Tasche packt.

Seeadler im Blick

Aussehen: braun, Kopf und Hals sind heller, Schwanz weiß gefärbt

Größe: von der Schnabel- bis Schwanzspitze bis zu 80 Zentimeter, Flügelspannweite bis zu 2,5 Meter

Alter: bis zu 30 Jahre

Nahrung: Fische, aber auch kleinere Säugetiere wie Hasen sowie Aas

Brutzeit: jährlich zwischen März und Juni

Nachwuchs: Seeadler-Weibchen legen bis zu drei Eier

Feinde: keine natürlichen

Vorkommen: in Grönland, Nord- und Mitteleuropa sowie in Teilen Asiens; auf Fischland-Darß-Zingst vor allem in und um den Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft

Seeadler nach erfolgreicher Jagd
Foto: Mario Müller

Neben seiner Tätigkeit als Seeadler-Landeskoordinator ist Mario Müller freiberuflicher Natur- und Reisefotograf und Buchautor sowie Mitglied im regionalen Netzwerk „Nationalpark-Partner“ · www.darssfotograf.de Zudem gibt er sein Wissen als Referent der Zingster Fotoschule weiter: www.zingst.de/fotografie/workshops.

Mario Müller, Seeadler-Landeskoordinator MV mit einem Jungtier
Foto: Mario Müller

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