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Die Halbinsel steht Kopf
Bei Nacht wandern helle Lichtfinger über den dunklen Himmel der Halbin sel – gut sichtbar am Strand von Ahrenshoop, Prerow und Zingst. Woher kommt dieses geisterhafte Licht? Eine Entdeckungsreise in die Spitze des Leuchtturms Darßer Ort.
Nach kilometerlanger Fahrt durch den Darßer Wald ist das Ende des befahrbaren Weges erreicht. Über den Baumkronen erscheint mein Ziel: Der Leuchtturm Darßer Ort. Fast erhaben residiert seine Kuppel über dem ehemaligen Leuchtturmwärter-Gehöft. Vor einem Tor begrüßt mich Martin Maas. Er ist Mitarbeiter des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamtes Ostsee, verantwortlich für die Wartung der Leuchttürme und anderen festen Seezeichen von Warnemünde bis zum Darßer Ort – kurz: Er ist der Leuchtturmwärter der heutigen Zeit. Ihn begleite ich bei seinem turnusmäßigen Kontrollgang in die Spitze des Leuchtturmes. Mehrere Türen müssen wir passieren, dann stehen wir am Fuß einer fast endlosen gusseisernen Wendeltreppe. Nach 134 Stufen haben wir in 30 Metern Höhe unser Ziel erreicht. Über uns funkelt das Prisma in der Sonne, dass das Licht der Lampe bündelt und über das Meer schickt.
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Das Prisma, das das Licht der Lampe bündelt.
Voigt&Kranz UG, Prerow, ostsee-kuestenbilder.de
Erbaut in den Jahren 1847 sowie 1848 und seit dem 1. Januar 1849 in Betrieb ist der Leuchtturm auf dem Darß der älteste in Betrieb befindliche in Mecklenburg-Vorpommern. Sein Bau fiel in eine Epoche weltweiten starken Leuchtturmbaus (Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn des ersten Weltkrieges). Mit der Industrialisierung war eine Zunahme des Warentransports verbunden. Leuchttürme erhöhten damals die Sicherheit auf See erheblich. Zudem entwickelte 1822 der französische Physiker Augustin Jean Fresnel die nach ihm benannte Fresnel-Linse. Das aus einer Lichtquelle austretende Licht wird in einem Linsensystem parallel gebündelt. So erhöht sich die Leuchtkraft und damit die Reichweite der Seezeichen immens.
Ein solches Stufenlinsen-System dreht sich seit 1849 auch im Leuchtturm Darßer Ort um ein Leuchtmittel. Die Linsen wurden bei dem Optiker Fracois Jun. in Paris angefertigt. Die Vorstellung, dass damals zu einem so abgelegenen Ort mit Pferdefuhrwerken neben dem gesamten Baumaterial auch die kostbaren handpolierten Prismen aus Glas sowie die komplexe Antriebsmechanik für das Leuchtfeuer transportiert wurde, löst bei mir Ehrfurcht aus. Zumal die Bauzeit insgesamt keine zwei Jahre dauerte.

Martin Maas, Mitarbeiter des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamtes Ostsee
Voigt&Kranz UG, Prerow, ostsee-kuestenbilder.de
Jetzt möchte ich die Lampen sehen, die allnächtlich über die Halbinsel und die Ostsee strahlen. Dazu muss ich in den Prismen-Apparat klettern. Dort erwarten mich zwei Überraschungen: Die Halogenmetalldampflampe, die 22 Seemeilen (ungefähr 43 Kilometer) weit auf die Ostsee hinaus leuchtet, ist sehr viel kleiner als ich erwartet habe. Zudem hat sie „nur“ eine Leistung von 400 Watt. Die zweite Überraschung ist ein optisches Phänomen: In der Kuppel auf dem Leuchtturm stehe ich in einem fast mannshohen einfachen Linsensystem. Die physikalischen Regeln der Lichtbrechung führen dazu, dass die Welt draußen, der ganze Darß auf dem Kopf steht. Ein wahrhaft psychedelischer Moment!
Herr über die gesamte, zum Teil über 170 Jahre alte Technik ist Martin Maas. Alle drei Monate schaut er in der Kuppel nach dem Rechten. Er weist mich auf einige kyrillische Buchstaben hin, die in Teile des Prismas geritzt wurden. Vermutlich haben sich nach Beendigung des zweiten Weltkrieges russische Rotarmisten, abkommandiert zur stundenlangen Beobachtung der Ostsee, aus Langeweile dort verewigt.
Martin verrät mir auch noch, was für ihn die schönsten Momente auf dem Leuchtturm sind: Wenn im Winter der Darß menschenleer erscheint und richtig schlechtes Wetter, besser noch Schneetreiben herrscht, arbeitet man dort oben in einer komplett eigenen Welt. Das kann ich gut nachvollziehen.
Dies ist ein Artikel des Urlaubsmagazines Fischland-Darß-Zingst 2023
www.fischland-darss-zingst.de/urlaubsmagazin