7. Philharmonisches Konzert

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7. PHILHARMONISCHES KONZERT

theater-vorpommern.de

7. Philharmonisches Konzert

Anton Bruckner (1824 – 1896)

Sinfonie Nr. 5 B-Dur

1. Introduction. Adagio – Allegro

2. Adagio. Sehr langsam

3. Scherzo. Molto vivace (schnell) –Trio. Im gleichen Tempo

4. Finale. Adagio – Allegro moderato

– keine Pause –

Philharmonisches Orchester Vorpommern

Dirigent: GMD Florian Csizmadia

Öffentliche Generalprobe

Mo 15.04.2024, Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal

Konzerte

Di 16.04.2024, Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal

Mi 17. & Do 18.04.2024, Stralsund: Großes Haus

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Das Theater Vorpommern wird getragen durch die Hansestadt Stralsund, die Universitäts- und Hansestadt Greifswald und den Landkreis Vorpommern-Rügen.

Es wird gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und EU-Angelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern.

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ANTON BRUCKNER: 5. SINFONIE

„Alles ist zu spät […]. Fleißig Schulden machen, u. am Ende im Schuldenarreste die Früchte meines Fleißes genießen, und die Thorheit meines Übersiedelns nach Wien besingen, kann mein endliches Loos werden […]. Ich habe nur das Conservatorium, wovon man unmöglich leben kann. Mußte schon im Sept. und später wieder Geld aufnehmen, wenn es mir nicht beliebte, zu verhungern. Kein Mensch hilft mir […]. Mein Leben hat alle Freude u. Lust verloren – umsonst, u. um nichts. Wie gerne ginge ich wieder auf meine alten Posten!“

aus Briefen Anton Bruckners, die er im Januar und Februar 1875 an Moritz von Mayfeld schrieb

Das Fazit, das Anton Bruckner knapp sieben Jahre nach seiner Übersiedlung von Linz nach Wien zog, war alles andere als positiv. Hatte er damals mit der Entscheidung, seinen Lebensmittelpunkt in die österreichische Metropole zu verlegen, einen Fehler begangen? Und wenn ja, konnte er so einfach nach Linz zurückkehren? Sicherlich wäre dies keine Option gewesen. Also hieß es durchhalten – auch wenn sich das Wiener Leben mühsam und zäh gestaltete, ein unentwegtes Hoffen, Ringen und Bangen bedeutete. Zwar war Bruckner nach Wien gegangen, um dort die Nachfolge seines verehrten Lehrers Simon Sechter anzutreten, am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde also die Professur für Generalbass, Kontrapunkt und Orgel zu übernehmen, doch reichte sein Einkommen kaum aus, um davon leben zu können.

Lukrativere Aufträge blieben aus. Und wenngleich er sich national wie international einen Namen als Orgelvirtuose hatte machen können, fiel es ihm umso schwerer, als Komponist – namentlich als Sinfoniker – in Wien Fuß zu fassen. Hatte der einflussreiche Musikkritiker Eduard Hanslick Bruckners Uraufführung seiner Ersten Sinfonie – noch in Linz – in der „Neuen Freien Presse“ durchaus positiv besprochen, bemängelte dieser an Bruckners Zweiter Sinfonie die „unersättliche Rhetorik“ der Komposition sowie die „allzu breite, mitunter haltlos zerfallene Form“. Auch das Urteil des Dirigenten Otto Dessoff fiel streng aus. Nach einer Durchspielprobe besagten Werkes mit den Wiener Sinfonikern 1872 erklärte er die Zweite als „unspielbar“ und tat sie als „Unsinn“ ab. Während die Sinfonie ungeachtet dessen unter der Leitung des Komponisten ein Jahr später in Wien aus der Taufe gehoben wurde und beim Publikum überwiegend guten Anklang fand, geriet die Uraufführung der Dritten hingegen – ebenfalls unter der Leitung des Komponisten daselbst – zu einem regelrechten Desaster: Nicht nur große Teile des Publikums verließen den Saal, auch einige Musiker gingen mitten im Konzert von der Bühne. Bruckner mangelte es als Dirigent noch an Erfahrung, aber auch das, was das Publikum zu hören bekam, war ein Grund für diese Reaktion. „Man kommt bei dieser Musik aus dem Kopfschütteln nicht heraus, greift sich wohl auch zeitweilig an den Puls, um sich zu überzeugen, ob das Gehörte nicht etwa das Produkt selbsteigenen Fiebers sei“, war in der Wiener Abendpost am 17. Dezember 1877 zu lesen. Spätestens hierin kündigt sich an, was Bruckner Zeit seines Lebens zu schaffen machen sollte: Mit seiner Musik wich er von den herkömmlichen Hörgewohnheiten ab, er beschritt neue Wege, indem er mit der Instrumentation, der Form, der Harmonik, der Melodik „anders“ umging; kurzum: Seine Musik folgte nicht dem Geschmack seines Publikums, sondern er forderte seine Hörer heraus, ja bisweilen überforderte er sie.

Bruckners Leben manifestierte sich als steter Kampf um Anerkennung als Komponist. Und als er nun auch noch den taktischen Fehler beging, seine Dritte Sinfonie Richard Wagner zu widmen, sich also öffentlich zu diesem sogenannten (und in Wien verhassten) „Neutöner“ und „Zukunftsmusiker“ zu bekennen, in dessen Musik Hanslick den Untergang des Abendlandes sah, hatte sich Bruckner in Wien als Komponist disqualifiziert. Dies allerdings auch aus einem Unverständnis heraus, das die Rezipienten seinem Werk entgegenbrachten, was offensichtlich wird, wenn man sich das Urteil von Johannes Brahms über Bruckners kurze Zeit später entstandene Vierte Sinfonie vergegenwärtigt: „Alles hat seine Grenzen. Bruckner liegt jenseits, über seine Sachen kann man nicht hin und her, kann man gar nicht reden.“

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Bruckner versuchte sein Glück als Lehrer und so bewarb er sich an der Universität, um auch dort Musiktheorie zu unterrichten. Doch sein Vorhaben scheiterte. „Man sieht, daß Herr Bruckner über das Fach, das er lehren will, sich selbst nicht ganz klar ist, sondern nur über den Zweck, zu welchem das Ministerium ihm eine Lehrkanzel gründen soll, nämlich damit Herr Bruckner sich ungestört dem Componiren hingeben könne“, hatte es in der Begründung der Ablehnung seiner Bewerbung geheißen.

War also – vorerst – das Gesuch, an der Universität Musiktheorie zu unterrichten, gescheitert, erfuhr Bruckner die nächste Niederlage, als ihm unerwartet seine Stelle an der Mädchenschule St. Anna gekündigt wurde, wo er von 1870 bis 1874 als Klavier- und Orgellehrer tätig war. Bruckner musste einen langen Atem beweisen und brauchte Geduld. Und die hatte er! Beharrlich verfolgte er seinen Weg weiter und ließ sich trotz aller widrigen Umstände nicht beirren. Zuflucht fand er, wie immer, im Komponieren. Allen Zweiflern und Kritikern zum Trotz arbeitete er ab dem 14. Februar 1875 seine neue (Fünfte) Sinfonie aus und beendete die erste Niederschrift der Partitur über ein Jahr später, am 16. Mai 1876. Abermals ein Jahr später nahm er sich die Partitur zur Durchsicht vor und überarbeitete die Sätze, wonach er beispielsweise die Bass-Tuba einfügte, und schloss seine Arbeiten wohl am 4. November 1878 endgültig ab.

„Im Zentrum seines Schaffens und im Zentrum seines Lebens als schöpferischer Musiker ragt die Fünfte Sinfonie in B-Dur wie ein einsamer Monolith heraus und bleibt bis in unsere Zeit gleichermaßen rätselhaft und faszinierend.“

Bruckners Fünfte ist nicht nur ein „einsamer Monolith“, sondern in allen Belangen ein Mammutprojekt: angefangen von der Verwendung der Instrumentation der großen Orchester seiner Zeit, über die kunstvolle Verarbeitung der Themen und Motive bis hin zur Länge des Werks, das mit circa 75 Minuten Spieldauer zu den umfangreichsten Kompositionen des Meisters zählt. Alles strebt zum Ende hin, ist auf dieses ausgerichtet. Eine sogenannte „Finalsinfonie“. Selbstredend hatte Bruckner beim Komponieren von Anfang an das Ganze im Blick. Die Verwandtschaften der in den unterschiedlichen Sätzen verwendeten Themen lassen diese sinnbildenden Strukturen zwischen den Sätzen deutlich zutage treten. „Nicht um 1000 Gulden möchte ich das nochmals schreiben“, soll Bruckner einer Überlieferung seines Schülers Josef Vockner zufolge gesagt haben, was darauf schließen lässt, dass es ihn wahrlich Mühe gekostet hatte. In einer Zeit, in der die meisten seiner Bestrebungen auf Ablehnung stießen, verfiel er in alles andere als in Resignation. Vielmehr wollte er sich und der (Wiener) Musikwelt beweisen, über welche Fertigkeiten er verfügte, dass er sehr wohl etwas von seinem Metier verstand. Er selbst soll die Fünfte als seine „Phantastische“ und als „kontrapunktisches Meisterstück“ bezeichnet haben.

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„Weil die gegenwärtige Weltlage geistig gesehen Schwäche ist, flüchte ich zur Stärke und schreibe kraftvolle Musik.“

Als einzige Sinfonie Bruckners hebt seine Fünfte mit einer langsamen Einleitung des ersten Satzes (Introduction. Adagio – Allegro) an. Zu den Pizzicato-Figuren des geheimnisvollen Beginns, mit denen die tiefen Streicher einsetzen, gesellen sich, ebenfalls in den Streichern, Pianissimo-Klänge als liegende Akkorde hinzu. Nach einer Pause bricht alsdann – den Hörer wachrüttelnd – ein Unisono-Tutti-Einsatz als fanfarenartig aufsteigender Dur-Dreiklang herein, an den sich ein choralartiger Nachsatz der Bläser anschließt und in eine große Steigerung mündet. Aus dem Tutti-Gipfel schälen sich hohe Tremoli der Violinen heraus, zu denen nun das erste Thema, vorgetragen von Bratschen und Celli, kraftvoll und energisch mit einem punktierten Rhythmus einsetzt. In starkem Kontrast zu diesem leuchtenden Orchester-Tutti entfaltet sich als zweites Thema eine Kantilene in den Violinen über einer Pizzicato-Begleitung der tiefen Streicher. Alsdann wird das dritte Thema hörbar, welches durch den Kontrast einer synkopierten Streichermelodie und einer aufstrebenden Unisono-Melodie in den Holzbläsern gekennzeichnet ist. Das Themenmaterial wird in der sich anschließenden Durchführung kontrapunktisch verarbeitet, dabei immer neue Spielarten der Motive und Themen darlegend. In mehreren Steigerungswellen mündet dieser Teil in der Reprise mit anschließender Coda, die vom punktierten Rhythmus des ersten Themas gekennzeichnet ist. Am Ende dominieren die Blechbläser in strahlendem Glanz und führen den Satz, unterstützt von einem durchgehenden Paukenwirbel, seinem Ende entgegen.

Zwei unterschiedliche, lyrische Themen prägen den zweiten Satz (Adagio) und werden hier kunstvoll miteinander verarbeitet. Das erste Thema ist charakterisiert durch eine wehmütige Melodie in Moll, angestimmt von der Oboe, die von Pizzicato-Streichern in Viertelsextolen begleitet wird. Das zweite kantable Thema, das „sehr kräftig und markig zu spielen“ ist, wird in der Streichergruppe hörbar. Beide Themengruppen erklingen im Verlauf des Satzes im Wechsel, wodurch sich – wie so oft in Bruckners langsamen Sätzen – eine fünfteilige Liedform (A-B-A’-B’-A’’) ausprägt.

Das Adagio-Motiv der Pizzicato-Streicher eröffnet nun molto vivace den dritten Satz, das sich anschließende Scherzo ; es wirkt nun jedoch in seinem Charakter härter. Kombiniert werden hier abermals zwei Themen: eine graziös anmutende Melodie in den ersten Violinen und ein ländlerartiges, sehr einprägsames Seitenthema in den zweiten Violinen. Das kurze Trio indes weist einen kammermusikalisch-lyrischen Charakter auf.

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Wie der Anfang der Sinfonie beginnt auch das Finale mit einer langsamen Einleitung, die die Introduction des ersten Satzes in abgekürzter Form aufgreift. Statt der Bläserfanfare verschafft sich nun die Klarinette Gehör, kündigt das kommende Hauptthema an, das sie nach einer kurzen Pause zunächst allein vorträgt. Im Folgenden werden – nach dem Vorbild Beethovens und namentlich dessen Neunter Sinfonie – Themen aus den vorhergehenden Sätzen zitiert (Satzanfänge des Allegroteils des ersten Satzes sowie des Adagios), bevor sich das Hauptthema durchsetzt, mit dem auch das erste Fugato energisch einsetzt. Ein zweites Thema, zunächst in den Violinen ausformuliert, bahnt sich schwungvoll den Weg, Erinnerungen an den Ländler im Scherzo hervorrufend. Mit einem Einschub des ersten Themas führt es im Folgenden zum Blechbläserchoral des dritten Themas hin, das nach einem feierlichen Ausklang in eine komplex-kunstvoll ausgearbeitete Doppelfuge mündet, in eine Fuge also, in der zwei Themen zeitgleich verarbeitet werden. Nach der Wiederkehr des schwungvollen Seitenthemas leitet die Musik über in eine grandiose Coda, in der der Choral eine apotheotische Steigerung erfährt, bis das Hauptthema des ersten Satzes erneut erklingt und die Sinfonie effektvoll abschließt.

„Aus dem Jahrhundert sah man ihn nicht ragen, weil er aus dem Jahrtausend ragt.“

August Göllerich und Max Auer in: „Anton Bruckner.

Ein Lebens- und Schaffensbild“

Nach Fertigstellung des Werkes verschwand die Fünfte Sinfonie für viele Jahre in der Schublade, bis eine Aufführung am 20. April 1887 zunächst für zwei Klaviere avisiert wurde. Die Pianisten Josef Schalk, Brucknerschüler, und Franz Zottmann präsentierten die Sinfonie der Öffentlichkeit im Wiener Bösendorfer-Saal. Schalk und Zottmann hatten zahlreiche Änderungen an der Komposition vorgenommen, wollten Bruckner überraschen und ihm das Werk erst bei der Generalprobe präsentieren, doch das lehnte dieser ab. Zu spät wäre dieser Termin, so dass er kaum Möglichkeiten gehabt hätte, Verbesserungen anzubringen und so beanspruchte der Komponist, in den gesamten Probenprozess einbezogen zu werden. Doch die Zusammenarbeit erwies sich als sehr schwierig. Es kam zu Zerwürfnissen. Die Uraufführung wurde wider Erwarten ein voller Erfolg: „Bruckner hatte, umgeben von Freunden, in der letzten Reihe des Bösendorfer-Saales Platz genommen. Seine Stimmung war äußerst gereizt“, schreibt der Brucknerschüler Friedrich Klose in seinen „Lebenserinnerungen“. „Während der Wiedergabe der Symphonie saß er da wie auf der Lauer […]. Der Wille, die Aufführung schlecht zu finden, war offensichtlich. – Als der letzte Ton verklungen war, erhob sich brausender Jubel. Die Interpreten lenkten die Aufmerksamkeit auf den Autor […]. Plötzlich, wie vom Zauberstab berührt, erleuchtete sich sein Antlitz. Vom Sitz aufspringend eilte er, die Wogen der tosenden Menge durchschneidend, nach vorne und verbeugte sich, die Hände über der Brust gekreuzt, glückstrahlend unzählige Male.“ Doch war es wirklich Bruckner, dem da applaudiert wurde? Oder stand er im Schatten der beiden Pianisten, die zweifelsohne ihre virtuosen Fähigkeiten unter Beweis stellten und dadurch das Publikum begeisterten und selbst einen Sensationserfolg verbuchen konnten?

Erst gut sieben Jahre später gelangte Bruckners Fünfte in der Orchesterversion erstmalig in den Konzertsaal, als Josefs Bruder, der Opernkapellmeister Franz Schalk, am 9. April 1894 eine Aufführung im Stadttheater Graz leitete. Doch was das Publikum da zu hören bekam, war eine Sinfonie, die nur noch wenig mit dem Original gemein hatte. In Absprache mit seinem Bruder hatte Franz Schalk stark in die Partitur eingegriffen: Zwei lange Passagen im Finale wurden gestrichen, Spielanweisungen hinzugefügt, ja auch erhebliche Änderungen der Instrumentation wurden vorgenommen, um mithilfe von Mischtechniken im Stile Richard Wagners einen weicheren Gesamtklang des Werkes zu erzielen. Es ist davon auszugehen, dass all dies in der besten Absicht geschah, die Musik dem allgemeinen Geschmack des Publikums anzupassen und somit dem Werk zum Erfolg zu verhelfen. Doch wie massiv diese

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Eingriffe waren, war den Brüdern Schalk freilich bewusst. Da sie damit rechnen mussten, dass Bruckner der Fülle der Änderungen nicht zustimmen würde, taten sie alles dafür, um ihn über die meisten der modifizierten Passagen nicht in Kenntnis zu setzen und die Partitur vor ihm zu verbergen. Und da Bruckner inzwischen mit der Komposition seiner Neunten Sinfonie beschäftigt und überdies schwer krank war, hatte er ohnehin keine Zeit bzw. keine Kraft, sich mit der Autorisierung seines überarbeiteten Werkes auseinanderzusetzen. Auch war es ihm aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes nicht möglich, der Aufführung beizuwohnen, die im Übrigen ein voller Erfolg war und die Brüder Schalk in ihrem Interpretationsansatz bestätigte und für die Mühen entschädigte. Wiederum gebührte der Applaus nicht Bruckner allein, sondern der Bearbeitung des Werkes durch Schalk! „Verehrter Meister“, schrieb Franz Schalk einen Tag nach dem Konzert an seinen Lehrer, „Sie werden gewiß schon mündlichen Bericht haben über die ungeheure Wirkung, die Ihre große herrliche V. hervorrief. Ich kann hier nur beifügen, daß der Abend für die Zeit meines Lebens zu den herrlichsten Erinnerungen zählen wird, denen ich je theilhaftig werden konnte. Tief ergriffen, beglückt in den Gefilden ewiger Größe wandelnd fühlte ich mich. Von der niederschmetternden Gewalt des Finales kann niemand sich eine Vorstellung machen, der es nicht gehört.“ Bruckner, der immer noch nicht wusste, dass sein Werk ganz anders klang, als das, welches er komponiert hatte, war beseelt von solch positivem Bericht: „Kaum darf ich einige Stunden heute außer Bett zubringen, drängt es mich mit Sturmesgewalt, Ihnen mein Herz zu öffnen, jenes Herz, welches mir so schwer zu schaffen macht, indem es mir schon seit Ostern wieder den Athem versagte. Nehmen Sie meine tiefste Bewunderung Ihrer außerordentlichen Kunst, und meinen unaussprechlichen Dank für so große, große Mühe entgegen!!! […] Wie schmerzlich ich diese so große Freude, anwesend sein zu können, vermißte, kann ich nie beschreiben. Dem hiesigen Wagnerverein habe ich bereits ans Herz gelegt, daß Sie die 5te in Wien dirigieren sollten! […] Einmal möchte ich sie auch hören.“ Doch dazu, dass Bruckner seine Fünfte einmal selbst in der Orchesterfassung erleben konnte, sollte es nicht mehr kommen. Auch hat er allem Anschein nach nie einen Blick in die Partitur geworfen, die dann als Erstdruck des Werkes beim Doblinger-Verlag erschien: Denn Franz Schalk hatte seine Version der Sinfonie inklusive aller Änderungen (freilich unter Bruckners Namen, aber ohne Mitwirkung des Komponisten) im April 1895 in Druck gegeben. Viele Jahre war diese Fassung die einzig verfügbare Ausgabe, die Generationen von Dirigenten für ihre Aufführungen diente.

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„Ein musikgeschichtliches Datum! Denn des Staunes und der Überraschung über die von Bearbeitereingriffen gereinigte, ursprüngliche Lesart wollte kein Ende werden. Da sind zunächst einmal die schier zahllosen Änderungen in der Instrumentation, die in Schalks Fassung dem Werke eine völlig andere, teilweise brucknerfremde Klanggestalt gegeben haben. Schalk, dem dabei der in zeitbedingten Klangidealen befangene Kapellmeister einen Streich spielt, hat es vor allem auf Bruckners ungemischt reine Orchesterfarbe abgesehen, die, wo dies nur immer angeht, durch Mixturen ersetzt werden. […] Bruckners Fünfte in der Urgestalt, wird künftig die Losung jedes Orchesterleiters lauten müssen!“

„Neue Zeitschrift für Musik“, im Oktober 1935

Am 28. Oktober 1935 war es schließlich so weit! Nahezu 60 Jahre nach dem Entstehen der Fünften Sinfonie erklang sie in ihrer Urgestalt und wurde durch die Münchner Philharmoniker unter der Leitung von Siegmund von Hausegger der Öffentlichkeit präsentiert. Der Musikwissenschaftler und Dirigent Robert Haas hatte die ehrenvolle Aufgabe übernommen, das Werk nach Bruckners Autograph herauszugeben. Nach vielen Jahren also wurde der wahre Kern von Bruckners Fünfter freigelegt, dem Publikum präsentiert, was ihm jahrelang vorenthalten wurde! Nach einer Voraufführung berichtete August Göllerich in der „Neuen Zeitschrift für Musik“, dass diskutiert wurde, „ob der von Franz Schalk zugesetzte Blechbläserchor auch zukünftig beizubehalten sei. Nach Wiedergabe der ganzen Symphonie in der Originalfassung mit dem über 100 Takte längeren Finale, wurde die Fassung des Schlußsatzes von Franz Schalk mit dem höhergestellten Bläserchor gespielt. Es ergab sich, daß der Original-Satz des Bläserchorals ohne jede Verstärkung in der Wirkung keineswegs geringer ist, als in der Fassung von Schalk. Durch Wiedereintritt der Gesangsgruppe, sozusagen als Zwischenspiel vor der letzten Schlußsteigerung der Doppelfuge, kommt der Schluß zu einer überwältigenden Wirkung. Das viel längere Finale erscheint nun in seiner logischen Motivierung kürzer als in der bisher geltenden Bearbeitung.“ Spätestens in den 1950er Jahren hatte sich die Aufführung der Sinfonie in ihrer Originalgestalt im Konzertsaal durchgesetzt und ist auch heute die üblicherweise gespielte Version.

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Vorschau

8. Philharmonisches Konzert

„Man kann Händel nicht widersprechen.“

George Bernard Shaw

Music for the Royal Fireworks HWV 351 (Feuerwerksmusik)

Song for St Cecilia’s Day HWV 76 (Cäcilien-Ode)

Solist*innen:

Katharina Constanti, Sopran

Bassem Alkhouri, Tenor

Chor des Theaters Vorpommern, Einstudierung: Jörg Pitschmann

Philharmonisches Orchester Vorpommern

Dirigent: GMD Florian Csizmadia

Konzerte

Di 28.05.2024, 19.30 Uhr , Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal

Mi 29. & Do 30.05.2024, 19.30 Uhr , Stralsund: Großes Haus Fr 31.05.2024 , Putbus: Theater

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Weiterhin im Programm

8. PHILHARMONISCHES KONZERT WERKE VON GEORG FRIEDRICH HÄNDEL 28.05.2024 Greifswald 29. & 30.05.2024 Stralsund 31.05.2024 Putbus
9. PHILHARMONISCHES KONZERT WERKE VON JOHANNES BRAHMS 11.06.2024 Greifswald 12. & 13.06.2024 Stralsund 14.06.2024 Putbus

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www.theater-vorpommern.de LICHT!: Das neue (interaktive) Spielzeitheft 2023/24

Herausgeber:

Theater Vorpommern GmbH, Stralsund – Greifswald – Putbus, Spielzeit 2023/24

Geschäftsführung:

André Kretzschmar

Redaktion: Stephanie Langenberg Gestaltung: giraffentoast Impressum

Textnachweise: Der Text ist ein Originalbeitrag für dieses Programmheft von Stephanie Langenberg unter der Verwendung u. a. folgender Quellen: Beaujean, Alfred: Artikel „Anton Brucker. 5. Sinfonie B-Dur“, in: Harenberg Konzertführer, Dortmund 1996; Gülke, Peter: „Die Fünfte Sinfonie“ in: BrucknerHandbuch (Hg. H.-J. Hinrichsen), Stuttgart 2010; Hodeige, Harald: Artikel „Anton Bruckner. Sinfonie Nr. 5 B-Dur. Original und Fälschung“, Programmheftbeitrag für die Konzerte mit dem NDR Sinfonieorchester, Hamburg 2017; Lewin, Michael: Artikel „Polyphone Lebensachse. Kurze Anmerkungen zu Anton Bruckners Fünfter Symphonie in B-Dur“, in: Werktexte zu den Sinfonien von Anton Bruckner, OehmsClassics Musikproduktion GmbH 2016; Nowak, Leopold: Vorwort zur Partitur von Bruckners Fünfter Sinfonie, Wien 1951.

Bildnachweise: S. 3: Conny Duck, Eingang des Wiener Secessionsgebäudes, 2024 (Wikipedia); S. 4: Martin Fahlander, Stephansdom, Wien (unsplash); S. 6: Beatriz Miller, Burgtheater, Wien (unsplash); S. 9: Leonhard Niederwimmer, Riesenrad Wiener Prater, 2021 (pixabay); S. 12: Aneta Pawlik, Karlskirche, Wien (unsplash).

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