Die Räuber

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Spielzeit 2025/26

DIE RÄUBER

Schauspiel von Friedrich Schiller

„Mein, mein ist alle Schuld!“

Maximilian von Moor

DIE RÄUBER

Schauspiel von Friedrich Schiller

Besetzung

Maximilian von Moor

Karl Moor

Franz Moor

Amalia von Edelreich

Jan Bernhardt

Jakob Schleert

Amelie Kriss-Heinrich

Nora Hickler

Hermann Markus Voigt

Spiegelberg

Franz Warnek

Schweizer Felix Meusel

Roller Anjo Czernich

Schufterle

Susanne Kreckel

Razmann Christiane Schoon

Inszenierung

Bühne & Kostüme

Musik

Licht

Dramaturgie

Regieassistenz & Abendspielleitung

Inspizienz

Soufflage

Premiere in Greifswald am 26.09.2025

Premiere in Stralsund am 24.10.2025

Aufführungsdauer: ca. 1 Stunde und 55 Minuten

Janis Knorr

Birgit Leitzinger

Janis Knorr, Andreas Dziuk

Christoph Weber

Nadja Hess

Georg Meier

Elke Zeh

Nadim Hussain

Liebe Gäste, wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen unserer Aufführungen aus urheberrechtlichen Gründen untersagt sind. Vielen Dank.

Ausstattungsleiterin Eva Humburg Technischer Direktor Christof Schaaf Bühnentechnische Einrichtung Jens-Uwe Gut, Michael Maluche Toneinrichtung Nils Bargfleth, Hagen Währ Leitung Bühnentechnik Robert Nicolaus, Michael Schmidt Leitung Beleuchtung Kirsten Heitmann Leitung Ton Daniel Kelm Leitung Requisite Alexander Baki-Jewitsch, Christian Porm Bühne & Werkstätten: Produktionsleiterin Eva Humburg Tischlerei Stefan Schaldach, Bernd Dahlmann, Kristin Loleit Schlosserei Michael Treichel, Ingolf Burmeister Malsaal Anja Miranowitsch, Fernando Casas Garcia, Sven Greiner Dekoration Paul Gebler, Janet Hellmuth Kostümwerkstätten: Gewandmeisterinnen Carola Bartsch, Annegret Päßler, Angela Sulek Modisterei Elke Kricheldorf Assistenz Dorothea Rheinfurth, Maisa Franco Maske Tali Rabea Breuer, Jill Dahm, Antje Kwiatkowski, Kateryna Maliarchuk, Ilka Stelter, Bea Ortlieb, Philipp Gielow Ankleiderinnen Ute Schröder, Petra Hardt

„Ich soll meinen Leib pressen in eine Schnürbrust und meinen Willen schnüren in Gesetze. Das

Gesetz hat zum Schneckengang verdorben, was Adlerflug geworden wäre. Das Gesetz hat noch keinen großen Mann gebildet, aber die Freiheit brütet Kolosse und Extremitäten aus.“

SCHILLERS „DIE RÄUBER“ – eine Einführung

Friedrich Schillers 1781 uraufgeführtes

Schauspiel „Die Räuber“ hat seinen festen Platz im Kanon der Weltliteratur. Geradezu paradigmatisch steht es für die Zeit des späten Sturm und Drang – der Bewegung einer jungen Dichtergeneration, die sich mit Pathos und großen Emotionen den autoritären und ungerechten Verhältnissen ihrer Zeit entgegenstemmten.

Historischer Hintergrund

Im November 1759 kam Friedrich Schiller im Herzogtum Württemberg auf die Welt, das damals zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehörte und von Herzog Carl Eugen regiert wurde. Seine absolutistische Herrschaft sollte erheblichen Einfluss auf den späteren Dichter haben. Als Schiller geboren wurde, dauerte der Siebenjährige Krieg bereits drei Jahre an – ein Krieg, der vor allem in Mitteleuropa viele Tote, hohe Staatsschulden sowie Vertreibung und Verarmung in der Zivilbevölkerung zur Folge hatte und manche entwurzelte Kriegsteilnehmer und heimatlos Gewordene in die Arme der sich damals formierenden Räuberbanden trieben.

Auf der Militärakademie

Der junge Schiller wuchs in sehr bescheidenen Verhältnissen auf und wollte nach dem Schulabschluss ei-

gentlich Theologie studieren. Doch auf Drängen des Herzogs hatte Schillers Vater letztlich zugestimmt, seinen Sohn in die neu gegründete Karlsschule zu geben. Für den damals knapp 14-Jährigen muss dieser Wechsel ein Schock gewesen sein, denn ihn erwartete Kasernenleben, äußerste Disziplin und Absonderung von der Außenwelt. An Leib und Seele erfuhr er tagtäglich autoritäre Willkür und Unterdrückung.

Dennoch studierte Schiller erfolgreich – zunächst Jura, nach zwei Jahren wechselte er zur Medizin. Doch sein eigentliches Interesse galt der Literatur. Obwohl es auf der Karlsschule kaum Freizeit gab und abends das Licht frühzeitig gelöscht werden musste, las Schiller Werke von Klopstock, Lessing, die Schriften der Aufklärer, Shakespeare und Goethes „Werther“. Zur Lektüre des jungen Schiller gehörten auch eine ganze Reihe von Werken, die die Geschichten von Vater-Sohn-Konflikten und Bruderzwist durchspielten.

„Die Räuber“ entstehen Schiller muss eine Art Doppelleben geführt haben: Tagsüber studierte er an der Militärakademie, nachts füllte er sich den Kopf mit neuen Ideen und Literatur. 1776, also im Alter von

„Ist es nicht wenigstens außer der Zeit, sich um die Bedürfnisse der ästhetischen Welt zu bekümmern, wo die Angelegenheiten der politischen ein so viel näheres Interesse darbieten?“

17 Jahren, hat Schiller mit der Arbeit an „Die Räuber“ begonnen – um den „Verhältnissen (in der Akademie) zu entfliehen, die mir zur Folter waren, schweift mein Herz in eine Idealenwelt aus“, wie er selbst bekannte. Sein erstes Schauspiel ist dann hauptsächlich 1779/1780 entstanden und zwar maßgeblich auf der Krankenstation –sei es, dass Schiller tatsächlich an heftigen Fieberanfällen litt, sei es, dass er vorgab krank zu sein, um in Ruhe schreiben zu können.

1780 schloss Schiller nicht nur „Die Räuber“ weitestgehend ab, sondern auch die Militärakademie und wurde Regimentsarzt in Stuttgart – blieb damit also weiterhin dem Herzog unterstellt. Als er „Die Räuber“ 1781 anonym veröffentlichte, tauschte er noch während der Drucklegung ganze Passagen gegen gemäßigtere Versionen aus.

Friedrich Schiller, 1793

Der Weg zur Uraufführung

Dann wurde der Intendant des Mannheimer Nationaltheaters auf „Die Räuber“ aufmerksam und meldete Interesse an einer Aufführung an –allerdings sollte Schiller zuvor sein Werk noch „bühnengerecht“ bearbeiten. Die Verlockung, als junger Autor an einem der angesehensten Theater der damaligen Zeit mit seinem Debütstück herauszukommen, war letztlich größer als Schillers Leiden unter den inhaltlichen Kompromissen und den eigenmächtigen Veränderungen des Intendanten. Am 13. Januar 1782 fand die Uraufführung am Mannheimer Nationaltheater statt. Schiller war dabei – und zwar ohne Urlaubsgenehmigung seines Herzogs. Laut Augenzeugenberichten soll es während der über fünfstündigen Aufführung zu einem regelrechten Gefühlschaos unter den Zuschauern gekommen sein,

denn trotz der Bearbeitung brach das Stück mit vielen Konventionen und konfrontierte das Publikum mit bis dahin ungewohnt heftigen Emotionen und sensationsheischenden Effekten auf der Bühne. Zweifellos machte dieser Abend den damals 22-jährigen Schiller über Nacht bekannt. Doch worum geht es eigentlich in „Die Räuber“?

Radikale Rebellion

Karl und Franz sind die Kinder des alten Grafen Maximilian von Moor. Nach den Gesetzen der damaligen Zeit wird Karl als Erstgeborener dereinst Alleinerbe und Herr über die Grafschaft sein. Dagegen wird das jüngere Kind Franz bis zum Tod des Vaters unter dessen Vormundschaft stehen und nicht rechtsfähig sein. Der Vater befördert diese Situation, indem er seinen Erstgeborenen geradezu mit wohlwollender Aufmerksamkeit überschüttet und sein zweites Kind ein Schattendasein führen lässt. Unter der Erfahrung permanenter Zurücksetzung wächst Franz’ Unrechtsempfinden – und wird durch die Lektüre der aufklärerischen und wissenschaftlichen Diskurse seiner Zeit zusätzlich genährt. So verbindet sich für Franz die Idee von der Gleichheit der Menschen mit der des „Rechts des Stärkeren“ und kulminiert in einem von allen Normen und Bindungen befreiten Machtanspruch. Und daraus

entwickelt Franz eine Intrige, die alle weiteren Ereignisse in Gang setzt. Bestandteil dieser Intrige ist ein fingierter Brief, der den privilegierten Karl mit dem vermeintlichen Liebesentzug des Vaters konfrontiert und ihn völlig aus der Bahn wirft. So fällt Karl quasi aus dem Affekt heraus eine extreme Entscheidung und wird Anführer einer sich gerade formierenden Gruppe von Unzufriedenen und Aufrührern – seine „Privaterbitterung gegen den unzärtlichen Vater“ vergrößert sich „in einen Universalhass gegen das ganze Menschengeschlecht“, wie es Schiller 1782 in seiner Selbstrezension beschreibt. Am Ende gibt es weder für Franz noch für Karl einen Weg zur Umkehr, beide scheitern an ihrer Selbstüberhebung und ihrem radikalen, gewaltvollen Anspruch auf Freiheit und Autonomie. Auf unterschied-

liche Weise stürmen beide gegen die Autorität ihres altersschwachen Vaters und damit auch gegen die überkommene patriarchale Weltordnung –ohne sich aber aus den alten Banden wirklich gelöst und ein konsistentes eigenes Weltbild entworfen zu haben. Die Ambivalenz von Rebellion und individuellem Freiheitsanspruch, die Schiller mit Pathos und Leidenschaft in seinen vor bald 250 Jahren entstandenen „Räubern“ erkundet, hat bis heute nichts an Brisanz verloren.

„Das Stück ist wie ein Wutschrei in die Welt, in der gerade alles auseinander zu brechen droht und es keine zukunftsweisenden Visionen zu geben scheint. Damit bestimmt aktuell eine große Perspektiv- und Orientierungslosigkeit das Lebensgefühl vor allem vieler junger Menschen“, beschreibt

der Regisseur Janis Knorr seine Assoziationen zu „Die Räuber“. Die Geschwister Franz und Karl sehen sich auf unterschiedliche Weise mit einer sie so existentiell bedrängenden Situation konfrontiert, dass sie „zwangsläufig dagegen rebellieren müssen – um sich zu befreien, um handlungsfähig zu sein“. Für Janis Knorr werden darin Mechanismen der Radikalisierung sichtbar, die im ausgehenden 18. Jahrhundert eine Rolle spielten und derzeit weltweit zu beobachten sind: „Auf ihrer selbstgerechten Suche nach persönlicher Freiheit, verlieren die beiden Hauptfiguren völlig das Maß und den Blick für andere. Dieser Prozess begleitet auch das polarisierende SchwarzWeiß-Denken unserer Zeit, das zunehmend unüberwindbare Gräben schafft und die Gewaltbereitschaft fördert.“

„Was kann ich dafür? Was kannst du dafür, wenn deine Pestilenz, deine Teurung, deine Wasserfluten, den Gerechten mit dem Bösewicht auffressen? Wer kann der Flamme befehlen, dass sie nicht auch durch die gesegneten Saaten wüte, wenn sie das Genist der Hornissel zerstören soll? – O pfui über den Kindermord! Den Weibermord! –den Krankenmord! Wie beugt mich diese Tat! Sie hat meine schönsten Werke vergiftet – “

„Mir ekelt vor diesem tintenklecksenden Säkulum“ Karl Moor

RADIKALISIERUNG

RADIKALISIERUNG

hat nicht eine Ursache, sondern viele. Und die Erklärung besteht nicht aus der Addition von Ursachen, sondern aus ihrem Zusammenspiel. Radikalisierungsverläufe variieren je nach Ort, Ideologie, Zeitpunkt und Kontext. Die meisten gängigen Modelle und Theorien identifizieren fünf „Bausteine“ der Radikalisierung.

FRUSTRATION

FRUSTRATION

Hinter jeder politischen – inklusive jeder extremistischen – Bewegung steht eine gesellschaftliche Spannung oder Konfliktlinie: Menschen, die Erwartungen haben, Ansprüche stellen und bei deren Verwirklichung scheitern. Hierzu zählen persönliche Identitätskonflikte genauso wie Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen, also die Bereitschaft, eigene Denkmuster und Normen zu überprüfen und mit neuen, mitunter radikalen Ideen und Wertesystemen zu experimentieren.

DRANG

und emotionale Bedürfnisse können genauso bedeutend sein wie politische und ideologische

Faktoren. Bei solchen Bedürfnissen geht es um die Suche nach einer starken Identität, Gemeinschaft, Bedeutung, Ruhm und Abenteuer. Auch jugendliche Rebellion, das Aufbegehren gegen existierende Normen und die Generation der Eltern, zählt hierzu. Extremistische Gruppen haben es häufig einfacher als etablierte Institutionen, diese Art von Bedürfnis zu befriedigen, denn sie stehen außerhalb des Systems, bieten einfache Erklärungen, reduzieren die Welt –und damit die eigene Identität – auf Gut und Böse und geben selbst “Verlierern“ und „Gescheiterten“ das Gefühl, eine wichtige Rolle zu spielen.

IDEEN

IDEEN

Ohne politischen oder religiösen Inhalt ist keinem klar, wer Feind und Freund ist, wofür gekämpft wird und warum sich das Kämpfen lohnt. Politische Ideen liefern die Rechtfertigung, Richtung und den Anstoß für politisches (und gewalttätiges) Handeln. Ihre Funktion besteht darin, einen Schuldigen zu identifizieren („die Juden“, „die Ausländer“, „der Westen“, das „monopol-kapitalistische System“), eine Lösung zu

formulieren („Der Gottesstaat“, „die nationale Revolution“, „die Diktatur des Proletariats“) und zur Mitarbeit zu motivieren.

RADIKALISIERUNG

LEUTE sind deshalb bedeutend, weil sich unser Verhalten häufig daran orientiert, wen wir kennen und was andere von uns denken und erwarten. Wer Radikalisierung verstehen will, muss sich mit sozialen Phänomenen und Prozessen auseinandersetzen: den Netzwerken und Gegenkulturen, aus denen extremistische und terroristische Gruppen ihre Mitglieder rekrutieren, die Kleingruppen und Cliquen, in denen sich Zusammenhalt und der Wille zum Handeln bilden, und die charismatischen Anführer, die neue Unterstützer an sich binden und die Autorität besitzen, um gewalttätige Aktionen religiös und ideologisch zu legitimieren.

GEWALT

GEWALT Wer Gewalt ausübt, rechtfertigt sie fast immer mit Gewalt, die von anderen zugefügt wurde. Aus Sicht der Gewalttätigen ist die eigene Gewalt fast niemals blanke Aggression, sondern stets Verteidigung oder Revanche. Ein weiterer Aspekt ist, dass sich Gewalt durch Erfahrung, Praxis und Wiederholung „normalisiert“.

Aus welchen Elementen sich ein individueller Radikalisierungsverlauf zusammensetzt und in welcher Reihenfolge und Kombination sie in Erscheinung treten, lässt sich unmöglich generalisieren – oder gar voraussagen. Die fünf Bausteine sind kein Prognoseinstrument, sondern der Inhalt eines Baukastens.

„Und Glück zu dem Meister unter euch, der am wildesten sengt, am grässlichsten mordet, denn ich sage euch, er soll königlich belohnet werden!“
Karl Moor

„ICH HABE GROßE RECHTE, ÜBER DIE

Die Selbstradikalisierung stellt gegenwärtig die wohl größte Bedrohung für den demokratischen Rechtsstaat dar – und das gilt für alle Phänomenbereiche. Die Sicherheitsbehörden haben es dabei in der Regel mit einem autoradikalisierten Einzeltäter zu tun. Dieser sogenannte lonesome wolf bricht in der Regel alle Beziehungen zu seinem sozialen Umfeld ab und schottet sich ab. Seine rationale und emotionale (Selbst-)Radikalisierung erfolgt über die digitale und analoge Welt. Er radikalisiert sich zumeist unbemerkt von der Außenwelt vor allem über die Sozialen Netzwerke und saugt sich dort förmlich voll mit extremistischen Texten, Bildern, Filmen und Spielen. Befreien will er niemanden aus seiner sozialen Lage, kollektive Ziele verfolgt er eher nicht. Sein Handeln leitet vielmehr persönliche Rache- und Gewaltgelüste. Eine Anbindung an eine politische Szene gibt es meistens nicht.

Dr. Udo Baron

Franz hat intensiv die philosophischen und wissenschaftlichen Diskurse seiner Zeit rezipiert. Allerdings radikalisierte der junge Mann die fortschrittlichen Errungenschaften der Aufklärung auf eine Weise, die beängstigende Abgründe offenbart.

Die ungeheuerlichen Taten, die er plant und zum Teil auch ausführt, setzen eine Weltsicht voraus, die statt einer von höherem Sinn durchwirkten Schöpfungsordnung nur noch den Kampf physischer Kräfte kennt. Angeregt vermutlich von Thomas Hobbes, postuliert Franz einen anarchischen Naturzustand, in dem menschliche Beziehungen allein dem Recht des Stärkeren und dem mechanischen Wirken widerstreitender Gewalten unterliegen und die Selbstbehauptung oberstes Gebot ist. Während aber die Denker der Aufklärung seit Hobbes auf diese (hypothetische) Phase der Menschheitsgeschichte die Ära des Gesellschaftsvertrags folgen lassen, der mit verbindlichen Regeln Frieden und Ordnung stiftet, bedenkt Franz die zivilisierten Konventionen mit Hohn und Spott. Das Autonomieverlangen des aufgeklärten Subjekts schlägt in einen despotischen Machtanspruch um. Mit seiner Devise „wozu ich mich machen will, das ist nun meine Sache“ erhebt sich Franz förmlich zum Schöpfer seiner selbst.

NATUR UNGEHALTEN ZU SEIN“

„Frisch also! mutig ans Werk! –Ich will alles um mich her ausrotten, was mich einschränkt, dass ich nicht Herr bin. Herr muss ich sein, dass ich das mit Gewalt ertrotze, wozu mir die Liebenswürdigkeit gebricht.

MASSENRADIKALISIERUNG

In einem Park südlich des Kapitols ruft Trump seinen Anhängern zu: „Wir kämpfen wie die Wilden! Und wer hier nicht wie ein Wilder kämpft, wird bald kein Land mehr haben!“ Während der Kongress Joe Bidens Sieg bei der Präsidentschaftswahl bestätigt, wird die Menge auf der „Stop the Steal“Demonstration stetig größer. Ein Mann mit Army-Shirt, roter Mütze, Sonnenbrille und Stoppelbart wendet sich der Kamera zu, die gerade live über die Website der ‚Young Patriot Society‘ streamt: „Scheiß auf unsere Jobs, scheiß auf unsere Häuser, scheiß auf alles andere. Wir setzen uns jetzt zur Wehr. Denn wenn wir uns nicht zur Wehr setzen, verlieren wir alles. Einfach alles. Sollen sie uns doch erschießen. Sollen sie uns erschießen!“

Die Mehrheit des Mobs am Kapitol bestand aus Geschäftsinhabern und Berufstätigen aus angesehenen Berufen, aus Ärzten, Anwältinnen, Ingenieuren und Managerinnen. Nur 7% der Verhafteten waren arbeitslos.

Wir stehen am Beginn eines Jahrzehnts der Massenradikalisierung und der Hyperpolarisierung. Nach nur drei Jahren sind die 2020er Jahre bereits von gesellschaftlichen Gräben durchzogen, die sich entlang der Kampflinien um Antirassismus, Geschlechtergleichheit, Queer-Rechte, Maßnahmen gegen den Klimawandel, Impfstoffakzeptanz und Ukrainekrieg rasant immer weiter auftun.

Rückwärtsgewandte Bewegungen versuchen, Anspruch auf alte Privilegien zu erheben und den in den vergangenen hundert Jahren erzielten gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Fortschritt zurückzudrehen –mit schockierenden Erfolgsquoten. Viele der polarisierenden Gruppierungen von heute sind exklusiver und erfolgreicher als frühere. Aber ihr radikales Gedankengut kursiert nicht mehr nur in den dunklen Ecken des Internets oder bei extremistischen Geheimtreffen. Es findet Widerhall in den Parlamenten und ist bei Großdemonstrationen auf der Straße zu hören. Schritt für Schritt erobert es die gesellschaftliche Mitte. Was diese radikalen Ideen gemein haben, ist ein Gefühl der Machtlosigkeit und der Entmündigung. Wir können im Moment in Echtzeit beobachten, wie sich der tief empfundene Frust über

den Status quo in brandgefährliche antidemokratische Aktivitäten übersetzt. Machtvolle Identitätsdynamiken laufen als roter Faden durch hyperpolarisierte Communitys. Radikale Bewegungen schaffen es, ein Gefühl der Exklusivität zu erzeugen, und Exklusivität kann bei Einzelnen ein nochmal verstärktes Zugehörigkeitsgefühl generieren. Für viele ist es dann kein großer Schritt mehr, ihre private Identität vollständig in der kollektiven aufgehen zu lassen – ein Phänomen, das auch als ‚Identitätsfusion‘ bezeichnet wird.

Dieser Identitätsfusionseffekt macht es wahrscheinlicher, dass eine Gruppe zur Selbstaufopferung oder zur Gewaltanwendung neigt, denn jeder Angriff auf die Gruppe wird von ihren Mitgliedern persönlich genommen, was wiederum die Bereitschaft, für die Sicherheit der Gruppe zu kämpfen oder sogar zu sterben, drastisch erhöht. Gewalt ist Folge einer Gruppendynamik, die nicht nur bei extremistischen, randständigen Gruppierungen auftritt. Um Gruppengewalt zu entfesseln, reicht oft schon eine gemeinsame Identität, eine starke, verbindende Erfahrung und ein von allen identifizierter Gegner.

DIE GEWALT DER FREIHEIT.

Schillers Idealismus ist ein dünnes Eis

Es klingt wie eine große Wende, wie eine Konversion. Am 13. Juli 1793 schreibt Friedrich Schiller an seinen Gönner, den Herzog Friedrich Christian von Augustenburg, und schildert ihm sein Entsetzen über die barbarischen Auswüchse der Französischen Revolution. Schiller empfindet Abscheu; er ist angewidert von den „rohen gesetzlosen Trieben“ und dem Wüten der „wilden Tiere“.

Schillers Traum lag in Trümmern. Auf den ersten Blick erinnert nichts mehr an den Stürmer und Dränger, an den Vorkämpfer der Freiheit, der das Menschengeschlecht aus den Fängen der Tyrannei befreien und in bessere Zeiten führen wollte. Die „Emancipation“ des Menschengeschlechts war gescheitert, weil die Subjekte noch nicht reif waren für das Geschenk der Freiheit.

In Wirklichkeit nämlich war Schillers Idealismus ein dünnes Eis. Nachdem es abgeschmolzen ist, kommt etwas ganz anderes zum Vorschein, überscharf und übermächtig: Schillers Erfahrung von der unterirdischen Gewalt in den menschlichen Verhältnissen.

Diese Erfahrung hatte Schiller sich nicht erst aus Büchern und histori-

schen Fibeln zusammenlesen müssen; er kannte sie aus eigener Anschauung. Am eigenen Leibe hatte er in der „Sklavenplantage“ des Stuttgarter Internats (so der Dichter Daniel Schubart) die Peitsche der „Subordination“ erlebt, monotone Schinderei und tägliche Erniedrigung.

Was Macht und Gewalt angeht, so bedurfte der Aufklärer keiner Aufklärung, und bald entwickelte Schiller ein absolutes Gehör für ihren Refrain: Macht übt Macht aus, weil sie mächtig ist. Sie feiert sich selbst und möchte ihre Logik stets aufs Neue beweisen. Das war das spätere Wallenstein-Syndrom: Die Macht verrät ihre Ziele; sie wechselt die Seiten, nur um an der Macht zu bleiben. Schiller ahnte, dass sich dieser Mechanismus auch in der besten aller Welten nicht in Luft auflösen würde.

Vielleicht ist Schillers Realismus der Macht ein Grund dafür, warum ihn an der Französischen Revolution weniger der Gewaltausbruch selbst, sondern dessen Ausmaß erschreckt hat, der Flächenbrand der Verrohung, der Exzess von Blutgericht und Tugendterror. Die Aufklärung hatte die Gewalt unterschätzt und war nun in ihrem Fortschreiten „ein Jahrhundert“

zurückgeworfen. Sie hatte die Menschen nicht „humanisiert“, nicht friedlicher gemacht, gar nichts. Sie war, wie Schiller schreibt, „theoretische Kultur“ geblieben.

Dasselbe gilt für die Moral. Auch die besten moralischen Absichten haben etwas Gewaltsames, wenn sie von außen kommen und den Menschen vorschreiben, wie sie zu leben haben. Ursprünglich glaubte Schiller, das „Regiment der Vernunft“ könne das Begehren der Macht unschädlich machen oder in Schach halten. Jetzt fürchtet er, dass dem Vernunftideal selbst ein Gewaltmoment innewohnt, das zum Vorschein kommt, sobald das Ideal in den dicht gewebten Realitäten des Lebens durchgesetzt wird.

[Schiller] sagte nicht, Macht und Gewalt gehörten zur sinnvollen Grundausstattung der Geschichte oder seien gar Bestandteil der göttlichen

Vorsehung. Im Gegenteil, Selbstbestimmung ist die Urszene des Menschen und Freiheit sein höchstes Gut. An der Legitimität der Neuzeit ist nicht zu rütteln. Weil Macht und Gewalt nicht sein dürfen, müssen Naturzustände in Rechtszustände überführt und die „blinde Herrschaft der Notwendigkeit“ gebrochen werden. Aber auch nach dem Sieg der Freiheit bezeichnen Macht und Gewalt das Grundproblem der Geschichte. An der unbedingten Freiheit festhalten und doch ihr mögliches Gewaltmoment erkennen: Darin steckt die durchaus aktuelle Einsicht eines genialen Dramatikers, der für Propagandafeldzüge und „Freiheitskriege“ ungeeignet ist und dessen Stücke mehr von den Ambivalenzen des Idealismus enthalten, als dem westlichen Selbstbewusstsein heute lieb sein kann.

Thomas Assheuer

„Das Genie voll Gefühl seiner Kraft voll edlen Stolzes, wirft die entehrenden Fesseln hinweg, höhnend den engen Kerker, in dem der gemeine Sterbliche schmachtet, reißt sich voll Heldenkühnheit los, und fliegt gleich dem königlichen Adler weit über die kleine niedrige Erde hinweg, und wandelt in der Sonne. (…) Das Genie spielt mit kühnen, großen Gedanken wie Herkules mit Löwen.“

Impressum

Herausgeber: Theater Vorpommern GmbH

Stralsund – Greifswald – Putbus

Spielzeit 2025/26

Geschäftsführung: André Kretzschmar

Textnachweise:

Jakob Abel

Redaktion: Nadja Hess

Gestaltung: Öffentlichkeitsarbeit / Bartels

1. Auflage: 500

Druck: Flyeralarm www.theater-vorpommern.de

Der Text auf den Seiten 6 bis 9 ist ein Originalbeitrag für dieses Heft von Nadja Hess.

Abel, Jakob Friedrich: Rede über das Genie, zitiert nach: Kittstein, Ulrich: Das Wagnis der Freiheit. Darmstadt 2023. Assheuer, Thomas: Schiller: Die Gewalt der Freiheit. Schillers Idealismus ist ein dünnes Eis, In: Die Zeit vom 4.01.2005. Baron, Dr. Udo: Die Rolle der Gewalt bei der Radikalisierung von Linksextremisten unter: www.kriminalpolizei.de

Julia Ebner: Massenradikalisierung. Wie die Mitte Extremisten zum Opfer fällt. Berlin 2023. Kittstein, Ulrich: Das Wagnis der Freiheit. Schillers Dramen in ihrer Epoche. Darmstadt 2023.

Neumann, Peter: Was wir über Radikalisierung wissen – und was nicht, in: Jana Kärgel (Hg.): „Sie haben keinen Plan B“. Radikalisierung, Ausreise, Rückkehr – zwischen Prävention und Intervention. Bonn 2017.

Schiller, Friedrich: Über die ästhetische Erziehung der Menschen in einer Reihe von Briefen. Stuttgart 2000. Schiller, Friedrich: Die Räuber. Hg, von Uwe Jansen. Stuttgart 2021.

Bildnachweise:

Die Fotos sind auf der ersten Hauptprobe am 18.09.2025 entstanden und stammen von Peter van Heesen.

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