Der Nussknacker

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DER NUSSKNACKER

Ballett von Ralf Dörnen frei nach Motiven von E.T.A. Hoffmann mit Musik von Pjotr I. Tschaikowsky

„O

Mutter, liebe Mutter, wo hat mich der junge Herr Drosselmeier diese Nacht überall hingeführt, was habe ich alles Schönes gesehen!“

Klara-Marie

DER NUSSKNACKER

Ballett von Ralf Dörnen frei nach Motiven von E.T.A. Hoffmann mit Musik von Pjotr I. Tschaikowsky

Besetzung:

1. Akt

Klara-Marie Stahlbaum

Fritz Stahlbaum, ihr Bruder

Theodor Stahlbaum, ihr Vater

Elisabeth Stahlbaum, ihre Mutter

Dr. Drosselmeier

Verwandte

deren Kinder

Der Mäusekönig

Mäuse

Elena Alessandrini / Giulia Nardin

Carlos Tostado Serván

Lucas Praetorius

Megumi Aoyama

Anderson Lima / Josh Fagan

Giulia Nardin / Elena Alessandrini, Ryusei Kitamura

Francisco Chávez, Lorenzo Colella, Juul van Helvoirt, Corinne Mulcahy, Cristina Dora Serrano Sánchez

Carlos Tostado Serván

Cristina Dora Serrano Sánchez, Corinne Mulcahy, Juul van Helvoirt, Giulia Nardin / Elena Alessandrini, Francisco Chávez, Ryusei Kitamura, Lorenzo Colella, Lucas Praetorius

2. Akt

Blumenwalzer alle

Matrosenpuppe

Spanische Puppen

Chinesische Puppe

Arabische Puppen

Russische Puppen

Mirlitons

Grand Pas de deux

Finale

Lucas Praetorius

Cristina Dora Serrano Sánchez, Francisco Chávez

Juul van Helvoirt

Megumi Aoyama, Lucas Praetorius, Giulia Nardin / Elena Alessandrini, Ryusei Kitamura

Anderson Lima / Josh Fagan, Carlos Tostado Serván, Lorenzo Colella

Megumi Aoyama, Juul van Helvoirt, Cristina Dora Serrano Sánchez, Giulia Nardin / Elena Alessandrini, Corinne Mulcahy

Elena Alessandrini – Anderson Lima / Giulia Nardin – Josh Fagan

alle

Liebe Gäste, es wird darauf hingewiesen, dass Ton- und / oder Bildaufnahmen der Aufführung durch jede Art elektronischer Geräte strikt untersagt sind. Zuwiderhandlungen sind nach dem Urheberrechtsgesetz strafbar.

Musikalische Leitung

Inszenierung & Choreografie

Bühnenbild

Kostüme

Licht

Choreografische Assistenz

Musikalische Assistenz

Inspizienz

GMD Florian Csizmadia

Ralf Dörnen

Alexander Herrmann

Ralf Christmann

Thomas Haack

Adonai Luna

Peter Hammer

Nadim Hussain

Philharmonisches Orchester Vorpommern

Premiere in Greifswald am 30.10.1999

Premiere in Stralsund am 04.12.1999

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden / eine Pause nach dem 1. Akt

Die aktuelle Besetzung entnehmen Sie bitte dem Abendaushang.

Ausstattungsleiterin Eva Humburg Technischer Direktor Christof Schaaf Bühnentechnische Einrichtung Michael Schmidt Leitung Bühnentechnik Michael Schmidt Leitung Beleuchtung Kirsten Heitmann Leitung Ton Daniel Kelm Leitung

Requisite Alexander Baki-Jewitsch, Christian Porm Bühne & Werkstätten: Produktionsleiterin Eva Humburg Tischlerei Stefan Schaldach, Bernd Dahlmann, Kristin Loleit Schlosserei Michael Treichel, Ingolf Burmeister Malsaal Anja Miranowitsch, Fernando Casas Garcia, Sven Greiner Dekoration Janet Hellmuth, Paul Gebler Kostüm & Werkstätten: Leitung Angela Sulek Gewandmeisterinnen Carola Bartsch, Annegret Päßler Modisterei Elke Kricheldorf Assistentinnen Dorothea Rheinfurth, Maisa Franco Leitung Ankleiderinnen Ute Schröder, Petra Hardt Maske Tali Rabea

Breuer, Jill Dahm, Antje Kwiatkowski, Kateryna Maliarchuk, Philipp Gielow, Bea Ortlieb, Ilka Stelter

2022: Juul van Helvoirt als Klara-Marie

EIN STÜCK DER SUPERLATIVE

DER NUSSKNACKER gehört zu den meistgespielten Repertoirestücken des Balletts weltweit und erlebt in der Spielzeit 25/26 am Theater Vorpommern seine 113te Aufführung in der 11ten Besetzung. Das ist umso beeindruckender, wenn man bedenkt, dass Ralf Dörnen sich nicht an das „zuckersüße“ Libretto von Marius Petipa hielt, welches Tschaikowsky als Vorlage für seine Komposition diente. Dörnen orientierte sich mehr an E.T.A. Hoffmanns Erzählung „Nussknacker und Mausekönig“, die der eigentliche Ursprung der Geschichte ist, die aber zu Tschaikowskys Zeiten für ein kindliches Publikum zu düster erschien.

PJOTR ILJITSCH TSCHAIKOWSKY (1840 – 1893) ist ein bedeutender Komponist der Spätromantik und gilt als wichtigster russischer Komponist des 19. Jahrhunderts. Er war einer der ersten Studenten des 1862 gegründeten Sankt Petersburger Konservatoriums und damit einer der ersten russischen Komponisten, der eine akademische Ausbildung westeuropäischen Stils erhielt. Seine Kompositionen sind geprägt von dem Bestreben, russische und westeuropäische musikalische Elemente und Formen miteinander zu verschmelzen. Bereits zu Lebzeiten war Tschaikowsky in Russland, Europa und den USA sehr berühmt und erfolgreich. Zu seinen

bekanntesten Werken zählen die drei letzten Sinfonien, das Klavier- und das Violinkonzert, die Ouvertüre „1812“ und die Opern „Eugen Onegin“ und „Pique Dame“ – beide nach Vorlagen von Alexander Puschkin. Tschaikowskys Kompositionen für Ballett – „Schwanensee“, „Dornröschen“ und „Der Nussknacker“ – sind allesamt ins klassische BallettRepertoire eingegangen. „Schwanensee“ gilt vielen Menschen als der Inbegriff des Balletts.

E.T.A. HOFFMANN (1776 – 1822) hieß eigentlich Ernst Theodor Wilhelm, nannte sich aber ab 1805, in Anlehnung an den von ihm bewunderten Wolfgang Amadeus Mozart, Ernst Theodor Amadeus. Hoffmann war ein deutscher Schriftsteller der Romantik. Außerdem wirkte er als Jurist, Komponist, Kapellmeister, Musikkritiker, Zeichner und Karikaturist. Hoffmann schrieb Erzählungen über unheimliche Begebenheiten, Begegnungen mit dem Teufel, schicksalhafte Wendungen im Leben eines Protagonisten, denen dieser sich nicht entgegenstemmen kann. In seinen virtuos verdichteten Erzählungen bleibt meist offen, ob der geschilderte Spuk real stattgefunden oder sich nur im Kopf der betroffenen Figur abgespielt hat. So auch in der 1816 erschienenen Erzählung „Nussknacker und Mausekönig“.

2005: Ion Beitia als Drosselmeier, Nao Omi als Klara-Marie und Martin Schirbel als Matrosenpuppe.
2008: André Costa als Fritz mit Ayako Nomura, Ion Beitia als Drosselmeier Barbara Buck als Mutter und Laura Costa Chaud als Klara-Marie
2021: (vl.nr.) Mario Salas Maja, Avah Painter, Davide d‘Elia, Emanuele Costanzo, Jemina Bowring, Vitor Oliveira Pires, Barbara Flora, Armen Khachtryan

DIE HANDLUNG

Weihnachtsabend bei Familie Stahlbaum: Theodor und Elisabeth, die Eltern von Klara Marie und Fritz, erwarten Gäste. Klara-Marie ist lungenkrank und schwach auf den Beinen. Sie benötigt deshalb ein wenig mehr der Aufmerksamkeit ihrer Eltern. Fritz fühlt sich dadurch benachteiligt und tobt umso wilder herum. Der Besuch trifft ein: Verwandte der Stahlbaums sowie Dr. Drosselmeier, ein mit der Familie befreundeter Arzt. Es ist ein

Weihnachtsabend wie bei vielen anderen Familien auch – voller Erwartungen, Freude und Romantik. Kinder, die vor Aufregung nicht stillhalten können und Erwachsene, die deshalb fast die Nerven verlieren. Dann kommt

die lang ersehnte Stunde der Bescherung. Klara-Marie bekommt einen Nussknacker geschenkt! Ausgerechnet von ihrem Patenonkel Dr. Drosselmeier, der eine gewisse Faszination auf sie ausübt. Die Freude währt nicht lange, denn Fritz ist heute besonders spielwütig und Klaras Nussknacker besonders anziehend. Der Junge bricht der Holzfigur einen Arm ab und Spannung liegt in der Luft. Aber der charmanteste und gewiefteste Patenonkel der Welt repariert zu Klaras großer Freude den Nussknacker. Und so geht das Mädchen nach diesem erlebnisreichen Abend aufgewühlt ins Bett und beginnt zu träumen …

2005: Ion Beitia als Drosselmeier / Nussknacker und Nao Omi als Klara-Marie mit Barbara Buck als Mutter
1999: Marco Breu-Kiriakidis, Bérengère Brulebois und Ensemble
2002: Weihnachten bei Familie Stahlbaum
2010: Yoko Osaki als Klara-Marie und Armen Khachatryan als Drosselmeier / Nussknacker
2015: Laura Cristea als Klara-Marie und Stefano Fossat als Drosselmeier / Nussknacker

VON BEGINN AN MIT DABEI …

Fragen an Elke Kricheldorf (Hutmacherin seit 1996) und an Thomas Haack (Beleuchtungsmeister in Greifswald seit 1996)

Liebe Elke, was hast du alles für den Nussknacker hergestellt?

Alle Kopfbedeckungen im zweiten Akt sind von mir. Die der Matrosen, auch die der russischen, der spanischen und der arabischen Puppen und ganz besonders der Kopfputz der chinesischen Puppe.

Was ist denn „ganz besonders“ bei der chinesischen Puppe?

Dieses Teil ist eine Kuriosität. Dafür habe ich ungewöhnlicherweise einen aus Perlen bestehenden Autolenkradbezug verwendet. Und es funktioniert wunderbar!

Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, dann ist die Kopfbedeckung beim chinesischen Tanz eine große Herausforderung für die jeweilige Tänzerin, denn der Tanz besteht hauptsächlich aus Drehungen und der Hut ist riesig … musstest du daran viel herumbasteln?

Natürlich muss ich für jede neue Besetzung den Hut anpassen. Die Kopfmaße sind immer individuell. Aber ich kann es ausgleichen, indem ich innen Stoff und Gummi einbaue, damit es perfekt sitzt und die Tänzerin sich voll auf ihre Schritte und Drehungen konzentrieren kann.

Lieber Thomas, im Oktober 1999 hatte das Stück in Greifswald seine Premiere. War zu diesem Zeitpunkt schon abzusehen, dass diese Inszenierung 26 Jahre später immer noch hier aufgeführt wird?

Meiner Meinung nach nein. Ich dachte das Stück bleibt für 2 oder 3 Spielzeiten auf dem Programm, mehr war nicht abzusehen.

Hat sich die Beleuchtung über all die Jahre verändert? Die technischen Möglichkeiten haben sich doch bestimmt weiterentwickelt …

Das Stück ist von der Beleuchtungseinrichtung, Lichtdesign immer noch auf dem Stand von 1999. Erst jetzt im Jahr 2025 haben wir die Möglichkeit bekommen, alles auf den neuesten Stand der Technik zu übertragen. Dafür muss man das ganze Bühnenbild aufbauen und Lichtstimmung für Lichtstimmung durchgehen. Ein ganzer Tag Arbeit für Stralsund. Für so etwas ist im laufenden Theaterbetrieb normalerweise keine Zeit. Zur Wiederaufnahme in der Spielzeit 15/16 mussten wir noch sämtliche Kabelführungen für die Scheinwerfer auf den Galerien so verlegen wie es 1999 möglich war und da es damals noch keine LED-Scheinwerfer mit integrier-

tem Farbwechsel gab, müssen diese jetzt in die einzelnen Lichtstimmungen programmiert werden. Im Laufe der Jahre waren wir mittlerweile nur noch zwei Kollegen, die diesen alten Zustand herstellen konnten: also höchste Zeit für einen Wechsel.

Gab es in all den Jahren und in den wechselnden Besetzungen besondere Erlebnisse hinter der Bühne?

Im zweiten Bild, nach der Pause, bin ich während der Vorstellung immer auf die Seitenbühne gegangen, z. B. um Scheinwerfer in den Gassen zu überprüfen. Oftmals stoßen sich die Tänzer im Abgang daran und es ist schon vorgekommen, dass ich mich vor einem Scheinwerfer platziere, um die Tänzer vor einem Unfall zu schützen. Dabei habe ich oft gesehen, dass die „Klaras“ in fast allen Besetzungen nach ihrem Solo auf dem Boden liegen, nach Luft schnappen und die Beine in der Luft ausschütteln, um dann auf der Bühne wieder Leichtigkeit zu versprühen.

Die Interviews führte Barbara Buck in der Spielzeit 2021/22. Die Jahreszahlen wurden durch die Redaktion angepasst.

2021: Juul van Helvoirt als Chinesische Puppe

AUS DER ERZÄHLUNG …

„Ach!“ rief Marie endlich aus: „ach lieber Vater, wem gehört denn der allerliebste kleine Mann dort am Baum?“ „Der“, antwortete der Vater, „der, liebes Kind! soll für euch alle tüchtig arbeiten, er soll euch fein die harten Nüsse aufbeißen, und er gehört Luisen ebensogut, als dir und dem Fritz.“ Damit nahm ihn der Vater behutsam vom Tische, und indem er den hölzernen Mantel in die Höhe hob, sperrte das Männlein den Mund weit, weit auf, und zeigte zwei Reihen sehr weißer spitzer Zähnchen. Marie schob auf des Vaters Geheiß eine Nuß hinein, und – knack – hatte sie der Mann zerbissen, daß die Schalen abfielen, und Marie den süßen Kern in die Hand bekam. Nun mußte wohl jeder und auch Marie wissen, daß der zierliche kleine Mann aus dem Geschlecht der Nußknacker abstammte, und die Profession seiner Vorfahren trieb. Sie jauchzte auf vor Freude, da sprach der Vater: „Da dir, liebe Marie, Freund Nußknacker so sehr gefällt, so sollst du ihn auch besonders hüten und schützen, unerachtet, wie ich gesagt, Luise und Fritz ihn mit ebenso vielem Recht brauchen können als du!“ – Marie nahm ihn sogleich in den Arm, und ließ ihn Nüsse aufknacken, doch suchte sie die kleinsten aus, damit das Männlein nicht so weit den Mund aufsperren durfte, welches

ihm doch im Grunde nicht gut stand. Luise gesellte sich zu ihr, und auch für sie mußte Freund Nußknacker seine Dienste verrichten, welches er gern zu tun schien, da er immerfort sehr freundlich lächelte. Fritz war unterdessen vom vielen Exerzieren und Reiten müde geworden, und da er so lustig Nüsse knacken hörte, sprang er hin zu den Schwestern, und lachte recht von Herzen über den kleinen drolligen Mann, der nun, da Fritz auch Nüsse essen wollte, von Hand zu Hand ging, und gar nicht aufhören konnte mit Auf- und Zuschnappen. Fritz schob immer die größten und härtesten Nüsse hinein, aber mit einem Male ging es – krack – krack – und drei Zähnchen fielen aus des Nußknackers Munde, und sein ganzes Unterkinn war lose und wacklicht.

2021: Sara Nativi als Klara-Marie kämpft mit den Mäusen

EIN VIERTELJAHRHUNDERT „DER NUSSKNACKER“

AM THEATER VORPOMMERN …

Fragen an Ballettdirektor Ralf Dörnen

„Der Nussknacker“ feierte in der Spielzeit 1999/2000 seine Premiere und ist damit mit Abstand die am längsten laufende Produktion am Theater Vorpommern … Ja, und darüber hinaus das meistgespielte Ballett der Welt …

… aber nicht in dieser Version …

Nein, es gibt 100.000 Versionen. Jeder denkt sich da etwas Eigenes aus. In Stuttgart kam 2006 eine NussknackerInszenierung von Marco Goecke raus, bei der 30 Kilogramm Walnüsse auf die Bühne fallen. Das ist anscheinend eine sehr moderne Fassung – ich habe sie nicht gesehen – aber natürlich ist gerade in den kleinen Häusern jede Fassung anders. Jeder Choreograf macht seine eigene Fassung.

Lieber Ralf, was hat Dich damals dazu bewogen, den Nussknacker zu machen und das mit einem relativ kleinen Ensemble.

Da ich im Nussknacker selbst in Hamburg ungefähr 150mal in den verschiedensten Rollen vom Großvater über die Narren bis zum Leutnant und den russischen Tanz getanzt habe, wollte ich dieses Stück eigentlich niemals machen – als dann aber der Beginn

meiner Direktion sehr schwierig war in Bezug auf Besucherzahlen, hat mir mein damaliger Intendant, Rüdiger Bloch, geraten: „Machen Sie den Nussknacker, dann wird das schon ...“. Ich habe dann mit meinen Bühnen- und Kostümbildnern, Alexander Herrmann und Ralf Christmann, eine Fassung erarbeitet, die näher an der Originalgeschichte von E.T.A. Hoffmann ist als das Ballettlibretto. Es war und ist mir wichtig, Menschen auf die Bühne zu stellen, deren Geschichte und emotionale Reise nachvollziehbar ist, an die wir „andocken“ können. Das ist, glaube ich, mit der Geschichte der kleinen Klara-Marie und ihrer zarten Verliebtheit in ihren Arzt, Dr. Drosselmeier, gelungen. Im Verlauf der Recherche habe ich gemerkt, dass man aus dem Stoff, der eigentlich auf E.T.A. Hoffmann zurückgeht, etwas Neuartiges machen kann. Was genau war das Neuartige an deiner Fassung?

Das Ballettlibretto von Marius Petipa ist sehr märchenhaft. Da gibt es den Schneeflocken-Walzer und die Fahrt ins Reich der Süßigkeiten und die Zuckerfee. Das alles ist in der Geschichte von E.T.A. Hoffmann nicht drin.

Die ist eigentlich recht düster, ähnlich wie „Der Sandmann“, die Vorlage zu „Coppelia oder das Mädchen mit den Emaille-Augen“, recht düster ist. „Nussknacker und Mäusekönig“, wie die Geschichte bei E.T.A. Hoffmann heißt, spielt auf drei Ebenen: zum einen in der Realität auf der Weihnachtsfeier der Familie Stahlbaum; dann gibt es mit dem „Märchen von der harten Nuss“, eine Geschichte in der Geschichte, die der Pate Drosselmeier den Kindern erzählt und schließlich gibt es eine Traumebene, in der Marie vom Nussknacker träumt, den Drosselmeier ihr in der Realität geschenkt hat. Wir haben in unserer Fassung versucht, alle drei Ebenen ineinander zu verweben – auch, weil wir, damals wie heute, nur eine kleine Besetzung zur Verfügung haben: Der Nussknacker muss gleichzeitig Drosselmeier und der Prinz sein. Das alles fügt sich in der Fassung, die wir hier spielen gut und auch psychologisch nachvollziehbar zusammen.

Gab es Vorbilder für diese Fassung? Ich glaube, zu dieser Zeit haben einige Leute versucht, Fassungen zu entwickeln, die enger an E.T.A. Hoffmann angelehnt waren. Ich habe aber keine davon gesehen. Allerdings habe ich, bevor ich Ballettdirektor wurde, in Hamburg in einem Kindertheater ein Weihnachtsmärchen mit eingestreuten kleinen Tänzen gemacht, das auf

E.T.A. Hoffmann basierte. Dadurch habe ich Hoffmanns Geschichte genauer kennengelernt und gemerkt, dass man daraus auch ein Libretto entwickeln kann, das auf Tschaikowskys Musik passt.

Tschaikowsky soll ja lange mit der Vorlage gehadert haben … Ja, weil sie so düster ist. Das grenzt teilweise an Horrorgeschichten. Zum Beispiel wenn Marie aufwacht und plötzlich die Augen des Nussknackers im Dunklen glühen sieht. Das ist für Kinder nur bedingt geeignet. Deswegen wurde die Geschichte dann auch umgeschrieben auf Schneeflockenwalzer, weißes Ballett, Tutu, Spitzentanz und Zuckerfee – das sind alles Versuche, die Geschichte zu glätten, „nett“ zu machen. Hoffmann selbst ist eigentlich alles andere als nett.

Wieso trägt die Protagonistin, die bei E.T.A. Hoffmann Marie heißt und im Ballett meistens Klara, bei dir einen Doppelnamen?

Weil von allem ein bisschen was drin ist: von E.T.A. Hoffmann, aber auch von Tschaikowsky. Ehrlich gesagt, konnte ich mich nicht entscheiden und habe deshalb einen Doppelnamen genommen. Aber ich finde das passt auch dazu.

War „Der Nussknacker“ hier von Anfang an ein Erfolg?

Ja, von Anfang an. Er ist eingeschlagen wie eine Bombe. Ich glaube, im ersten Jahr haben wir ihn zwölf Mal vor ausverkauftem Haus gespielt. Das war das erste Mal, dass etwas so erfolgreich war. Daraufhin lief er erstmal drei Jahre lang ohne Unterbrechung und war fast immer voll. Dann wollten wir etwas anderes machen, aber die Leute haben immer wieder nachgefragt und wir mussten ihn immer wieder aufnehmen – so auch jetzt, denn offenbar gab es an der Kasse immer wieder Fragen danach, wann „Der Nussknacker“ endlich wieder kommt.

Wie hält man eine Produktion über so viele Jahre frisch?

Indem man sie immer wieder neu besetzt. Ganz einfach. Jeder Tänzer, jede Tänzerin – sowohl in den Haupt- als auch den Nebenrollen – bringt etwas Persönliches mit. Wir haben immer wieder Kleinigkeiten geändert, auch wenn das Grundkonzept geblieben ist, wie es war. Aber dadurch, dass immer wieder andere Menschen tanzen, kommen neue Nuancen hinein –so auch dieses Mal wieder.

Hast Du persönliche Highlights aus 26 Jahren „Nussknacker“?

Na ja … Nein, aber, wenn ich den „Nussknacker“ sehe, dann ziehen vor meinem inneren Auge alle Be-

setzungen vorbei und ich erinnere mich an die Tänzerin, die zuallererst die Klara-Marie, wie sie bei mir heißt, getanzt hat. Wenn ich das Stück im Ballettsaal sehe, steigen zwischendrin immer wieder Bilder von den alten Besetzungen hoch. Alle Tänzer und Tänzerinnen, die hier waren, haben irgendwann den „Nussknacker“ getanzt – alle.

Du blickst jetzt auf mindestens Zehn verschiedene Besetzung der Inszenierung zurück. Gibt es kleine Ereignisse, an die du dich immer wieder (gern) erinnerst?

Natürlich werde ich nie vergessen, dass Stefano Fossat, der den Drosselmeier und somit den Grand Pas de deux im Finale mit Klara-Marie tanzt, sich während des ersten Auftritts den Arm auskugelte – er ging ab, auf der

2002: Barbara Buck als Klara-Marie und David Blazquez als Fritz Stahlbaum

Seite hat ihm unser Ballettmeister den Arm wieder eingerenkt; und er tanzte weiter!!! Ich saß im Publikum und habe natürlich nichts davon mitbekommen – erst hinterher, nach der Vorstellung, als ich ihn fragen wollte, warum er denn so ernst geschaut habe im Finale, waren dann da schon die Sanitäter für die Erste Hilfe ...

Eine andere Geschichte, die mich wirklich tief berührt hat, ist in Stralsund passiert: Eine junge Frau sprach mich an, mit ihrer kleinen Tochter an der Hand: „Herr Dörnen, wann kommt endlich der Nussknacker wieder? Ich habe ihn als Kind gesehen und möchte jetzt meine Tochter mitnehmen, das soll ihr erster Theaterbesuch werden!“ Wenn man mit der Kunst Menschen so mitnehmen kann, ist das der schönste Applaus.

„Der Nussknacker“ ist jetzt 26 Jahre alt. Die wievielte Besetzung nimmt ihn wieder auf? Die Premiere war Ende Oktober 1999. Ich glaube, wir haben jetzt die elfte Besetzung und müssten jetzt demnächst die 113. Vorstellung spielen. Wenn die nicht schon vorbei ist. Die 100. Vorstellung ist auf jeden Fall schon vorbei.

2008: Laura Costa Chaud als Klara-Marie und Ion Beitia als Drosselmeier / Nussknacker
2008: Ion Beitia als Drosselmeier / Nussknacker und Laura Costa Chaud als Klara-Marie

Adonai Luna, heute Co.-Ballettdirektor und Ballettmeister des BallettVorpommern, tanzte selbst in „Der Nussknacker“ in den Spielzeiten 2001/02 und 2002/03 während seiner aktiven Tänzerzeit mit:

„Ich habe in Ralf Dörnens „Nussknacker“ eines der Kinder, bei den Mäusen und die russische Puppe getanzt. Wenn man selbst in dem Stück besetzt ist, fällt es schwer zu erkennen, welche Wirkung ein Stück auf die Zuschauer*innen hat. Als ich dann 2015 nach Greifswald zurückgekommen bin und mich mit dem Nussknacker

beschäftigt habe, erst dann, merkte ich die Magie, die dahintersteht. Jedes Mal, wenn ich einen neuen Cast vorbereite, freue mich total an der Entwicklung, die diejenigen, welche die Hauptrollen spielen, haben werden. Es ist keine leichte ‚Aufgabe‘, die sie auf der Bühne erbringen müssen. Die Musik ist einfach wunderschön und mit Orchester absolut großartig! Auch die Kostüme sind der Hammer!

Das alles konnte ich als Tänzer damals, nicht schätzen. Aber jetzt tue ich es … und wie!“

SCHWÄRMEREI EINES TEENAGERS …

KLARA-MARIE

Unter Sonne, Mond und Sternen gibt es kein glücklicheres Wesen als eine Miss in her teens. Mit diesem alles erschöpfenden Ausdruck bezeichnete die englische Sprache die Zeit des Mädchenlebens zwischen dem vierzehnten und neunzehnten Jahr, den blumigen Scheideweg, der Kind und Jungfrau voneinander trennt. Unsre Sprache kann beim Versuch, ihn wiederzugeben, nur durch Umschreibungen sich helfen, die eben immer unbeholfen und schwerfällig auszufallen pflegen. Zu vergleichen aber wäre eine solche Miss am füglichs-

ten dem eben der Puppe entschlüpften Schmetterling, der verwundert über das unerwartet ihm gewachsene Flügelpaar sich keck in die Lüfte schwingt, über die ihm ebenso neue Blütenpracht in frisches Erstaunen gerät, jede Blume neugierig umflattert, die zuletzt gefundene immer für die am süßesten duftende erklärt und dadurch doch nicht abgehalten wird, auch um die Bekanntschaft der übrigen sich emsig zu bewerben.

(Beitrag aus dem ersten Programmheft „Der Nussknacker“ Spielzeit 1999/2000)

1999: Sofia Herrera als Klara-Marie und Alexander Novikov als Drosselmeier / Nussknacker

Impressum

Herausgeber: Theater Vorpommern GmbH

Stralsund – Greifswald – Putbus

Spielzeit 2025/26

Geschäftsführung: André Kretzschmar

Künstlerischer Leiter: Rolf C. Hemke

Redaktion: Inga Helena Haack

Gestaltung: Öffentlichkeitsarbeit / Marie-Louise Bartels

1. Auflage: 500

Druck: Flyeralarm

www.theater-vorpommern.de

Textnachweise: Vorliegendes „Best-of-Programmheft“ sammelt Texte und Inhalte von bisher erschienenen Programmheften zu „Der Nussknacker“ am Theater Vorpommern. Ausschnitte sind von: Spielzeit 1999/2000 (S. 26) , Spielzeit 2021/22: Barbara Buck (S. 6, S. 10). Das Interview auf S. 20-24 führte Franziska Lüdtke vor 10 Jahren. Für vorliegendes Heft wurde es überarbeitet und ergänzt; „Aus der Erzählung” https://www.projekt-gutenberg.org/etahoff/ nussknac/ chap003.html (29.10.25). Alle anderen Texte sind Originalbeiträge für dieses Heft.

Bildnachweise: Die Inszenierungsbilder vom BallettVorpommern stammen von Vincent Leifer (1999, 2002, 2005, 2008, 2010), Thomas Meyer (2015) und Peter van Heesen (2021, 2022). Titelbild: Peter van Heesen (2022).

Das Theater Vorpommern wird getragen durch die Hansestadt Stralsund, die Universitäts- und Hansestadt Greifswald und den Landkreis Vorpommern-Rügen

Es wird gefördert durch das Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und EU-Angelegenheiten des Landes Mecklenburg-Vorpommern.

„Verzeihen Sie”, sprach Nussknacker, „verzeihen Sie, werteste Demoiselle Stahlbaum, dass der Tanz so miserabel ausfiel, aber die Leute waren alle von unserem Drahtballett, die können nichts anderes machen als immer und ewig dasselbe (…).“

Theater Vorpommern

Stralsund – Greifswald – Putbus

www.theater-vorpommern.de

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