8. Philharmonisches Konzert

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Spielzeit 2024/25

8. Philharmonisches Konzert

Werke von Hubert Parry, Johannes Brahms und Wolfgang Amadeus Mozart

„Die Klarinettenliteratur war immer stimmlich inspiriert, Mozart hat es vorgemacht. Das Singen mit der Klarinette ist etwas, das dem

Instrument innewohnt.“

Nicolai Pfeffer

8. Philharmonisches Konzert

Hubert Parry (1848-1918)

Sinfonische Variationen e-Moll für Orchester

Johannes Brahms (1833-1897)

Klarinettensonate Es-Dur op. 120 Nr. 2

Bearbeitung für Klarinette und Orchester von Nicolai Pfeffer

Uraufführung

Allegro amabile

Allegro appassionato

Andante con moto – Allegro non troppo

Pause

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)

Sinfonie Nr. 39 Es-Dur KV 543

Adagio – Allegro

Andante con moto

Menuetto. Allegretto

Finale. Allegro

Solist: Nicolai Pfeffer, Klarinette

Philharmonisches Orchester Vorpommern

Dirigent: GMD Florian Csizmadia

Öffentliche Generalprobe

Mo 19.05.2025, Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal

Konzerte

Di 20.05.2025, Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal

Mi 21. & Do 22.05.2025, Stralsund: Großes Haus

Do 23.05.2025 Putbus

Liebe Gäste, wir möchten Sie darauf aufmerksam machen, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen unserer Aufführungen aus urheberrechtlichen Gründen untersagt sind. Vielen Dank.

Nicolai Pfeffer

Nicolai Pfeffer ist im In- und Ausland als Solist, Kammermusiker und versierter Pädagoge gefragt. Neben seiner umfangreichen künstlerischen Tätigkeit widmet er sich mit großem Interesse der Neuedition kammermusikalischer und solistischer Kompositionen für die Klarinette, die unter anderem nebst eigenen Bearbeitungen bei so renommierten Musikverlagen wie G. Henle Verlag und Breitkopf & Härtel Veröffentlichung fanden. Rundfunk-, CD- und Fernsehaufnahmen sowie Konzerte in den wichtigsten Sälen Deutschlands und Europas runden seine Tätigkeit als Musiker ab. 2018 debütierte er unter Fabio Luisi während des Festival della Valle d‘Itria. Darüber hinaus musizierte er mit Markus Stenz, Daniel Spaw, Mario Venzago und Jonathan Webb. Seine Diskografie umfasst inzwischen die Klarinettensonaten von Brahms (Cavi/ Deutsche Grammophon), Konzerte von Mozart und Weber (Novantiqua) sowie weitere viel beachtete Konzert- und Kammermusikeinspielungen.

Nicolai Pfeffer studierte unter anderem bei Ralph Manno an der Kölner Musikhochschule sowie bei Howard Klug und Alfred Prinz (Indiana University/USA) und ist inzwischen selbst ein gefragter Pädagoge: Er lehrt derzeit an führenden Hochschulen Europas: an der

Hochschule für Musik und Tanz Köln, der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover sowie der Zürcher Hochschule der Künste. Pfeffer ist zudem ein gern gesehener Juror bei nationalen und internationalen Klarinetten- und Kammermusikwettbewerben. Pfeffer ist Präsident der European Clarinet Associaton.

Mit seiner Interpretation des Soloparts in Johannes Brahms‘ 2. Klarinettensonate (op. 120) gibt Nicolai Pfeffer nicht nur sein Debüt am Theater Vorpommern – zugleich feiert seine eigens für Klarinette und Orchester gefertigte Transkription des Werkes im Rahmen des 8. Philharmonischen Konzerts ihre Uraufführung.

„Sir

Hubert Parry ist das Haupt unserer Kunst in diesem Land. Allzu oft wurde er zum Aushängeschild und Fürsprecher der formalen Schule gemacht, aber bei ihm kann keine Wolke der Förmlichkeit den breiten Einfluss trüben, den er ausübt.“

Edward

Elgar, 1905

Hubert Parry: Sinfonische Variationen

Nach Charles Villiers Stanford, dessen 2. Klavierkonzert wir im vergangenen Oktober aufgeführt haben, lassen wir nun mit Hubert Parry eine weitere zentrale Gestalt der englischen Hochromantik zu Gehör kommen. Die Musikgeschichtsschreibung nennt die beiden Komponisten oft im selben Atemzug, und tatsächlich verbindet sie außer ihrer Generationszugehörigkeit so manches – darunter auch die Tatsache, dass ihre Musik bereits zu Lebzeiten zunehmend als konservativ empfunden wurde, insbesondere, als um 1900 der nur wenige Jahre jüngere Edward Elgar mit ungleich progressiveren Werken Furore machte.

Wie Stanford, so war auch Parry neben seiner Tätigkeit als Komponist eine gefragte Lehrerpersönlichkeit und als solche eine anerkannte Autorität, wovon bis heute seine wissenschaftlichen Publikationen zeugen. Sein reichhaltiges kompositorisches Schaffen in allen musikalischen Gattungen mag in der Qualität etwas uneinheitlich und heute in weiten Teilen vergessen sein. Gleichwohl ist er zumindest in England nach wie vor eine Berühmtheit: Sein Lied „Jerusalem“ ist aus keiner Londoner „Last Night of the Proms“ hinwegzudenken und gilt mit Elgars „Land of Hope and

Glory“ als inoffizielle Nationalhymne des Landes, ebenso wie keine royale Zeremonie ohne Werke wie „I was glad“ oder „Blest Pair of Sirens“ auskommt.

Parrys Orchesterwerke spielen zahlenmäßig in seinem Œuvre eine eher untergeordnete Rolle: fünf Sinfonien, je eine Konzertouvertüre und Tondichtung sowie das Stück, das neben der 5. Sinfonie (1912) als sein orchestrales Meisterwerk gilt: die Sinfonischen Variationen (1897).

Der Titel verweist unmittelbar auf die berühmten gleichnamigen Werke von Antonín Dvořák (1877) und César Franck (1885), während eine enge Verwandtschaft insbesondere zum Finale von Johannes Brahms‘ 4. Sinfonie (1885) besteht – ebenfalls ein Variationssatz, mit dem Parrys Werk nicht nur die Grundtonart e-Moll teilt, sondern auch das Bestreben, die einzelnen Variationen nahtlos auseinander hervorgehen und zu einem durchkomponierten sinfonischen Satz verschmelzen zu lassen. Sicher bedingt durch die Tatsache, dass es sich bei ihm nicht um einen Sinfoniesatz, sondern um ein Einzelwerk handelt, ging Parry noch einen Schritt weiter als Brahms und gruppierte seine 27 Variationen so, dass sich eine Art

Sinfonie in einem Satz ergibt, deren vier Unterabteilungen durch wechselnde Tempi klar charakterisiert sind: Thema und Variationen 1–11 (Maestoso energico – Allegretto grazioso) entsprechen dabei dem 1. Satz; nach der überleitenden Variation 12 – sie fällt durch ihren choralartigen Duktus und die Instrumentation nur für Bläser auf – folgt mit der Gruppe 13–18 (Allegro scherzando) das Scherzo. Der langsame Satz (Largo appassionato) ist durch Gruppe 19–22 vertreten; die 23. Variation präsentiert das Thema in Originalgestalt, aber nach Dur gewendet, ehe die Variationen 24–27 den Zyklus als Finale (Vivace) beschließen.

Das Werk zeigt aufs Schönste alle Charakteristika von Parrys Stil: Das Thema – Parrys eigene Erfindung – ist liedhaft-eingängig und hat geradezu Ohrwurm-Charakter, weist darüber hinaus aber eine unkonventionelle Struktur auf – umfasst es doch sechs statt der sonst üblichen acht Takte. In der Verarbeitung dieses Themas zieht Parry alle Register hoher Kompositionskunst, mit denen er sich sukzessive von der Originalgestalt des Themas entfernt und wieder zu ihr zurückkehrt. Der Zyklus als Ganzes ist von bewundernswerter Geschlossenheit und steht stilistisch der deutschen Romantik nahe, wobei die Tonsprache der Traditionslinie Mendelssohn – Schumann – Brahms verpflichtet ist,

die Form (Sinfonie in einem Satz) jedoch eher der Neudeutschen Schule um Franz Liszt.

Ebenfalls charakteristisch für Parry ist die Instrumentation für ein – gemessen am Standard der Zeit – eher bescheidenes Orchester, das kaum über eine klassische Besetzung hinausgeht, und die sich aller avantgardistischen Klangeffekte enthält. Dies verortete Parry bereits 1897 im konservativen Lager und ließ ihn im 20. Jahrhundert zunehmend veraltet erscheinen. In diesem Zusammenhang erwähnenswert ist eine von Ralph Vaughan Williams überlieferte Begebenheit. Während einer Probe der Variationen saß er neben Edward Elgar und meinte zu diesem: „Ich nehme an, viele würden das als schlechte Orchestrierung bezeichnen.“ Elgar entgegnete darauf verärgert: „Natürlich ist es keine schlechte Orchestrierung; die Musik hätte gar nicht anders instrumentiert werden können.“ Elgar, der Parry sowohl menschlich als auch künstlerisch sehr schätzte, hatte richtig erkannt, dass dessen restriktive Art der Orchesterbehandlung, völlig kongruent ist mit der generellen Stilistik des Werkes.

Parry selbst dirigierte die Uraufführung seiner Variationen am 3. Juni 1897 in London, später befand sich das Werk im Repertoire so namhafter Dirigenten wie Hans Richter und Henry Wood; zu

den wenigen Aufführungen von Parrys Musik außerhalb Großbritanniens zählt auch eine der Variationen 1912 in Köln. In England sind sie mittlerweile gelegentlich wieder zu hören, in Deutschland müssen sie erst noch entdeckt werden.

Johannes Brahms: Sonate Nr. 2 für Klarinette und Orchester (Uraufführung)

„Ich

hatte in der letzten Zeit Verschiedenes angefangen, auch Symphonien und Anderes,

aber nichts woll-

te recht werden; da dachte ich, ich wäre schon zu alt, und beschloß energisch, nichts mehr zu schreiben. [...]

Und das machte mich

so froh, so zufrieden, so vergnügt, daß es auf einmal wieder ging.“

Johannes Brahms an seinen Freund Eusebius Mandyczewski, 1891

Als Johannes Brahms im Sommer 1894 in seinem geliebten Bad Ischl (Salzkammergut) die beiden Klarinettensonaten op. 120 schreibt, tut er es in einem Moment der Rückschau, der Ruhe – und der überraschend neu gewonnenen Freiheit.

Brahms ist 61 Jahre alt, gesundheitlich angeschlagen, doch innerlich in einer eigentümlich gelösten Verfassung. Nach Jahrzehnten des Ringens mit Formen, Erwartungen und Selbstzweifeln, nach dem selbstgewählten Endpunkt seines Werkverzeichnisses mit der Sammlung der „Deutschen Volkslieder“ im Mai 1894, scheint er das Komponieren eigentlich beendet zu haben. Und genau in diesem Loslassen öffnet sich

ein letzter kreativer Raum: einer kompositorischen Coda gleich, die noch drei Werke hervorbringt – die beiden

Sonaten op. 120, die „Vier ernsten Gesänge“ op. 121 und die „Elf Choralvorspiele“ op. 122. Letztere zwei Werke entstanden 1896, ein Jahr vor seinem Tod.

Den entscheidenden Impuls für diese späte Rückkehr ins Komponieren gibt ihm die Bekanntschaft mit Richard Mühlfeld (1856–1907), dem Ersten Klarinettisten und Kammervirtuosen der Meininger Hofkapelle. Mühlfeld, ein Musiker mit besonderem Klangbewusstsein, spielt mit einer Wärme, Tiefe und Vielfalt im Ton, die Brahms unmittelbar fesselt. Bereits 1891 hatte er sich durch dessen Spiel zu zwei Werken

inspirieren lassen: dem Klarinettentrio op. 114 und dem Klarinettenquintett op. 115. Die beiden Sonaten von 1894 sind somit das dritte Opus, das aus dieser künstlerischen Freundschaft hervorgeht. Brahms, der zeitlebens dem Lied und der menschlichen Stimme zutiefst verbunden war, hört in Mühlfelds Klarinette eine Art Seelenverwandtschaft.

„Meine Primadonna“, nennt er ihn liebevoll – und meint das durchaus ernst.

Was aus der Begegnung mit Mühlfeld hervorgeht, gehört zu den bedeutendsten Kammermusikwerken des 19. Jahrhunderts: Die Klarinettensonaten op. 120 gelten nicht nur als Gipfelwerke des Repertoires für Klarinette und Klavier, sondern auch – in der von Brahms selbst erstellten Alternativfassung für Viola – als zentrale Werke für Bratsche und Klavier. Tatsächlich übertreffen sie an kompositorischer Substanz bei weitem die wenigen originalen Sonaten für diese Besetzungen aus derselben Zeit. Brahms schrieb keine Nebenwerke: Diese Sonaten, in f-Moll und Es-Dur, sind gleichberechtigte musikalische Bekenntnisse.

Die erste öffentliche Aufführung fand Anfang 1895 im Wiener BösendorferSaal statt – am 8. Januar erklang die EsDur-Sonate, drei Tage später die f-MollSonate. Brahms und Mühlfeld spielten

beide Male aus dem Manuskript. Der Komponist hatte die Werke vorher in einem kleinen privaten Kreis vorgestellt, bei den Proben Änderungen vorgenommen und schickte die revidierten Fassungen schließlich Ende Februar 1895 an seinen Berliner Verleger Fritz Simrock – zunächst nur mit der Klarinettenfassung, wenig später ergänzt um die Bratschenstimme und eine zusätzliche Version für Violine. Mit dem Druck ließ Brahms sich bewusst Zeit: Mühlfeld sollte die Werke exklusiv auf seinen Konzertreisen spielen können, ohne Konkurrenz. Erst im Juni 1895 erschienen die Sonaten offiziell.

Die beiden Sonaten bilden ein Schwesterpaar, doch sprechen sie unterschiedliche Sprachen. Während die f-Moll-Sonate op. 120 Nr. 1 oftmals als herb und nach innen gekehrt beschrieben wird, zeigt sich die Es-Dur-Sonate op. 120 Nr. 2 als die zugänglichere der beiden, lyrisch, mild, von inniger Wärme durchzogen – was Max Kalbeck dazu veranlasste zu schreiben, sie komme „dem Publikum auf das liebenswürdigste entgegen“. Auch Eduard Hanslick zeigte sich nach der Uraufführung begeistert: Das eröffnende Hauptthema sei „wie vom Himmel gefallen, oder richtiger, aus schönster Jugendzeit herüberduftend, voll süßer Schwärmerei und drängendem Liebesglück“. Es

durchzieht, variiert und strukturiert den ganzen ersten Satz (Allegro amabile) –in einer melodischen Intensität, die an den Kopfsatz von Brahms‘ Violinsonate A-Dur op. 100 erinnert.

Besonders bemerkenswert ist der Mittelsatz der Es-Dur-Sonate (Allegro appassionato): Mit stürmischen Abschnitten in es-Moll und einem hymnischen Trio in H-Dur setzt Brahms hier einen leidenschaftlichen Kontrapunkt zur umrahmenden Idylle.

Der Finalsatz (Andante con moto –Allegro non troppo) beschließt die Sonate mit einer anmutigen Variationenfolge, deren Thema – „sinnend, bequem schlendernd“, so Hanslick – strukturelle Verwandtschaft zu Felix Mendelssohns Lied „Frage“ op. 9 Nr. 1 aufweist. Allmählich entfaltet sich in den arabeskenartig verzierten Variationen eine progressive Beschleunigung bis zum Abschluss der Komposition. Mit diesem Satz endet nicht nur die Sonate, sondern das gesamte Kammermusikwerk von Johannes Brahms.

Der besondere Ausdruck der Es-DurSonate ist eng mit dem Charakter der Klarinette verbunden. Schon der Musikästhetiker Christian Friedrich Schubart hatte 1806 den Klang des Instruments als „in Liebe zerflossenes Gefühl – so ganz der Ton des empfindsamen Her-

zens“ beschrieben. Dieser Charakter findet in der Es-Dur-Sonate seine vollendete Umsetzung: gesanglich, innig, fast schwebend. Es ist eine Musik, die nicht laut ist – aber lange nachklingt.

Gleichzeitig spiegelt sich in den Sonaten die ganze Welt Brahms‘scher Komposition: die Architektur barocker Fugen, der volksliedhafte Tonfall seiner Liedbearbeitungen, die herbe Süße der späten Klavierstücke, und – nicht zuletzt – seine lebenslange Liebe zum Detail. Die Sonaten sind voller feiner motivischer Verflechtungen, sie arbeiten mit thematischen Transformationen, mit rhythmischen Verschiebungen, mit harmonischer Raffinesse – und all das wirkt doch nie angestrengt oder akademisch, sondern organisch, selbstverständlich, gelassen.

Dass Brahms beide Sonaten auch für Viola und Klavier veröffentlichte – und wenig später sogar in einer Fassung für Violine –, war wahrscheinlich vor allem eine pragmatische Entscheidung. Er wusste um den Mangel an Klarinettisten, die dem Werk technisch wie klanglich gewachsen waren, und wollte dennoch einen möglichst hohen Absatz seiner Werke erzielen. So bleibt auch in diesen Fassungen der Geist der Komposition spürbar: eine Musik, die aus innerem Erleben spricht, ein Gesang ohne Worte.

Doch gerade weil diese Musik so viel erzählt, reicht ihr Ausdruck über das kammermusikalische Format hinaus.

Während die f-Moll-Sonate in einer Orchesterfassung von Luciano Berio (1986) bereits neue Klangräume erschließen konnte, blieb die Es-Dur-Sonate bis heute auf das intime Duo beschränkt.

Inspiriert von der Berio-Fassung, hat sich der Klarinettist und Arrangeur Nicolai Pfeffer der Aufgabe angenommen und Brahms‘ 2. Klarinettensonate mit großer stilistischer Sorgfalt und klanglicher Fantasie für Orchester transkribiert.

Seine Orchestrierung versteht sich nicht als bloße Vergrößerung, sondern als behutsame Entfaltung der im Original bereits angelegten Farben. Sie öffnet das Werk für neue Hörerlebnisse und lässt uns mit frischen Ohren auf bekannte Melodien hören. Gerade in der orchestralen Weite treten Zwischentöne, Kontraste und strukturelle Feinheiten noch deutlicher hervor.

So beginnt mit der Uraufführung dieser Fassung mit dem Philharmonischen Orchester Vorpommern unter der Leitung von GMD Florian Csizmadia, in der Nicolai Pfeffer höchstpersönlich den Solopart übernimmt, ein neues Kapitel in der Rezeptionsgeschichte eines Werks, das wie kaum ein anderes für das späte Leuchten im Schaffen Johannes Brahms steht. Ein Werk, das im Loslassen entstanden ist – und jetzt neu aufblühen darf.

Wolfgang Amadeus Mozart: Sinfonie Nr. 39 Es-Dur

„Ich sage Ihnen vor Gott, Ihr Sohn ist der größte Komponist, den ich kenne!“
Joseph Haydn zu Leopold Mozart

Im Herbst 1787 kehrte Wolfgang Amadeus Mozart aus Prag nach Wien zurück – den gefeierten Erfolg seiner Oper „Don Giovanni“ im Gepäck. Doch die glänzende Fassade täuschte: Der Alltag am kaiserlichen Hof war ernüchternd. Zwar wurde Mozart Anfang Dezember von Kaiser Joseph II. zum „Kammermusicus“ ernannt, jedoch war dies eine eher symbolische Stellung mit geringer Verpflichtung – und noch geringerem Einkommen. Im darauffolgenden Sommer befand er sich in ernsthaften Schwierigkeiten und sah sich gezwungen, seinen Freund und Freimaurerbruder Michael Puchberg wiederholt um finanzielle Hilfe zu bitten. In einem seiner Briefe erwähnte Mozart geplante Konzerte im Wiener Casino – ein möglicher Hinweis darauf, dass er trotz aller Umstände aktiv an einem neuen Konzertprojekt arbeitete.

Als Mozart am 26. Juni 1788 die Es-DurSinfonie KV 543 in sein Werkverzeichnis eintrug, konnte niemand ahnen,

dass dies der Auftakt zu einer kreativen Großtat war: Innerhalb weniger Wochen folgten zwei weitere Sinfonien –die dramatische g-Moll KV 550 und die majestätische C-Dur KV 551, später „Jupiter“ genannt. Diese drei Werke stehen heute unangefochten mit an der Spitze von Mozarts Orchesterschaffen. Dabei erscheint Mozarts Sinfonie Nr. 39 nicht nur als Eröffnung einer letzten großen Reihe – sie ist, wie auch seine zwei letzten Werke dieser Gattung, ein Solitär. Ein Werk voller Raffinesse, voller Brüche und Übergänge, Wärme und Tiefe.

Der erste Satz beginnt mit einer ausdrucksstarken, langsamen Einleitung –ein Stilmittel, das Mozart hier bewusst und wirkungsvoll einsetzt und das innerhalb seiner letzten drei Sinfonien ein Unikat darstellt. Zugleich knüpft er damit an ein Verfahren an, das er schon in der „Prager“ und der „Linzer“ Sinfonie angewendet hatte – und das er von Joseph Haydn übernahm. In dessen späten Sinfonien beginnt das Allegro oft

nach einer feierlichen Einleitung im Piano, was dem musikalischen Verlauf eine besondere dramatische Spannung verleiht. Auch in der Es-Dur-Sinfonie wirkt die Einleitung wie ein festlicher Auftakt – mit punktierten Rhythmen, dramatischen Tonrepetitionen und einem majestätischen Gestus, der an die französische Ouvertüre erinnert. Sie öffnet gewissermaßen den Vorhang zu einem musikalischen Bühnenraum, der ebenso dem Konzertsaal wie dem Theater entstammen könnte.

Bereits hier fällt eine Besonderheit auf: Mozart ersetzt die Oboen durch Klarinetten, was dem Klangbild eine weichere, wärmere Farbe verleiht. Dieser Eingriff in die Instrumentation verändert die Ausdrucksweise entscheidend – zugunsten eines beinahe „romantischen“ Tonfalls (Hermann Abert), der in der damaligen Sinfonik ungewöhnlich war. Hans Joachim Moser nannte Mozarts Es-Dur-Sinfonie treffend die „klarinettenglänzende, süße Schwester Don Giovannis“ – ein Bild, das die besondere Klangfarbe ebenso einfängt wie den dramatischen Gestus des Werks. Denn wie alle Mozart-Sinfonien steht auch Nummer 39 der Gattung der Oper nahe.

Das anschließende Allegro entfaltet sich mit tänzerischer Leichtigkeit und

heiterem Tonfall. Doch unter dieser Oberfläche verbirgt sich ein fein gesponnenes Netz aus motivischen Verbindungen, harmonischen Spannungen und überraschenden Wendungen. Die scheinbare Mühelosigkeit ist das Ergebnis einer hochverdichteten kompositorischen Arbeit.

Im zweiten Satz, dem Andante con moto, entfaltet Mozart zunächst ein Hauptthema in As-Dur, das sich durch kammermusikalisch anmutende Intimität und kantable Linienführung auszeichnet. Zweimal wird dieser lyrische Charakter unterbrochen, denn Mozart stellt dem ersten ein zweites Thema zur Seite, das nicht nur durch seinen dramatisch-expressiven Gestus auffällt, sondern überraschend und tonal völlig regelwidrig in f-Moll und h-Moll steht. Diese Kontraste verleihen dem Satz eine spannungsreiche, fast unerwartet moderne Tiefe – ein eindrucksvolles Beispiel für Mozarts unverwechselbare Handschrift.

Das Menuett knüpft deutlich an die Tradition Haydn‘scher Sätze an: Es ist streng gegliedert, rhythmisch pointiert und bewahrt einen tänzerischen Grundcharakter. Im Trio schlägt Mozart dann einen ganz anderen Ton an: Die Klarinetten intonieren ein zartes, pastorales Lied, das an die Atmosphäre ei-

nes österreichischen Ländlers erinnert. Dieser Moment bildet nicht nur einen wirkungsvollen Kontrast zum Menuett, sondern stellt mit seiner warmen Klangfarbe zugleich eine subtile Verbindung zum ersten Satz der Sinfonie her.

Im Finale schließlich treibt Mozart sein Spiel mit musikalischen Formen und den Erwartungen der Zuhörer*innen auf die Spitze. Ein zunächst schlicht wirkendes Thema entfaltet sich zu einem virtuosen Geflecht aus motivischen Varianten, rhythmischen Verschiebungen und überraschenden Wendungen. Die Nähe zu Haydn – „Meister des musikalischen Unerwarteten“ (Harry Newstone) – ist hier spürbar, besonders im raffinierten Umgang mit motivischen Details. Der unerwartet abrupte Schluss sorgte bei Zeitgenossen für Irritation. Der zeitgenössische Musikpädagoge Hans Georg Nägeli beschrieb diesen als „so styllos unschließend, so abschnappend, daß der unbefangene Hörer nicht weiß, wie ihm geschieht“. Heute sehen wir darin ein ironisches Augenzwinkern – einen Schluss, der sich dem Pathos verweigert und gerade dadurch im Gedächtnis bleibt.

Mozart benötigte im Sommer 1788 dringend einen Erfolg – künstlerisch wie finanziell. Es ist daher plausibel, dass die enorme Anstrengung, innerhalb weniger Wochen drei Sinfonien von

höchster Qualität zu vollenden, auf ein konkretes Projekt oder eine geplante Aufführungsserie hinzielte. Zwar gibt es keine gesicherten Belege dafür, dass die Werke zu seinen Lebzeiten erklangen, doch komponierte Mozart kaum je ins Leere. Ein solches Projekt hätte seine künstlerische Stellung festigen und seinem angekratzten Ruf in Wien neuen Auftrieb geben können.

Heute gehört Mozarts Sinfonie in Es-Dur zu den größten Kompositionen des sinfonischen Repertoires. Sie ist ein Werk zwischen Tradition und Aufbruch, das mit seiner Klangsprache, dramatischen Anlage und emotionalen Tiefe über seine Zeit hinausweist. Auch ohne Worte entfaltet sie eine Theatralik und Ausdrucksvielfalt, die an Mozarts große Opern erinnert – ein sinfonisches Drama im besten Sinne.

Vorschau

9. Philharmonisches Konzert

„Sea-sound, like violins“ / „Meeresklang, der Geigen gleich“

Roden Noel

Richard Wagner

Ouvertüre zu „Der fliegende Holländer“

Edward Elgar

„Sea Pictures“ op. 37

Benjamin Britten

„Four Sea Interludes“ aus „Peter Grimes“

Erich Wolfgang Korngold

Suite aus der Filmmusik zu „The Sea Hawk“ („Der Herr der sieben Meere“)

Solistin: Kathryn Rudge, Mezzosopran Philharmonisches Orchester Vorpommern

Dirigent: GMD Florian Csizmadia

Öffentliche Generalprobe

Mo 16.06.2025, 19.00 Uhr Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal Konzerte

Di 17.06.2025, 19.30 Uhr Greifswald: Stadthalle / Kaisersaal

Mi 18. & Do 19.06.2025, 19.30 Uhr Stralsund: Großes Haus

Noch mehr zu entdecken gibt es auf unserem Instagramkanal: www.instagram.com/phil_vorpommern @phil_vorpommern

Impressum

Herausgeber: Theater Vorpommern GmbH

Stralsund – Greifswald – Putbus

Spielzeit 2024/25

Geschäftsführung: André Kretzschmar

Textnachweise:

Redaktion: Katja Pfeifer

Gestaltung: Pawlitzky

1. Auflage: 500

Druck: Flyeralarm www.theater-vorpommern.de

Bei dem Text über die Sinfonischen Variationen von Hubert Parry handelt es sich um einen Originalbeitrag für dieses Heft von Dr. Florian Csizmadia. Die Texte zur Mozartsinfonie und Brahms‘ Klarinettensonate stammen von Stephanie Langenberg.

Bildnachweise:

Umschlagfoto: Peter van Heesen;

www.theater-vorpommern.de

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