Surprise Strassenmagazin 201/2009

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VON RETO ASCHWANDEN (TEXT) UND LUC-FRANÇOIS GEORGI (BILDER)

niemand etwas. Angenehmer wird das Leben an der Langstrasse dadurch aber nicht unbedingt. Freier schleichen in der Regel einzeln und möglichst unauffällig durch die Gassen. Das Partyvolk hingegen, das seit einiger Zeit Wochenende für Wochenende aus der halben Schweiz hierher pilgert, zieht in Gruppen, grölend und Flaschen schmeissend um die Häuser. Eine Einwohnerbefragung des Geographischen Instituts der Universität Zürich ergab im Herbst 2007, dass viele befürchten, ihr

Stephan Pörtner nippt vor dem «Cafe Casablanca» im Zürcher Kreis 4 am Espresso. Vor dem Krimiautor, den Surprise-Leserinnen und- Leser als Kolumnisten kennen, liegt die Langstrasse in der Nachmittagssonne und bietet das gewohnte Bild: Dunkelhäutige Frauen flanieren übers Trottoir, blasse Junkies hetzen um die nächste Ecke, ein Polizeiauto jagt mit Blaulicht und Sirene über die Busspur zur nächsten Kreuzung, wo eine kurdische Gruppe «Freier schleichen unauffällig durch die Gassen. Das Partyvolk demonstriert. Typisch Langstrasse: Drogen, zieht grölend und Flaschen schmeissend um die Häuser.» Prostitution, Ausländer. Doch das ist nur ein Teil der Wirklichkeit an der berühmtesten Quartier könnte zu einer Art Disneyland für Erwachsene werden. «Nie«Sündenmeile» der Schweiz. «Hier laufen in den letzten Jahren Sachen, mand will, dass Yuppies die Gegend übernehmen», sagt Stephan Pörtdie den Leuten, die hier leben, mehr Mühe bereiten als die Nachbarner. Denn im Gegensatz zu ihm denken die meisten hier nicht im Traum schaft zum Milieu», sagt Pörtner, der über zwei Jahrzehnte hier gewohnt daran, wegzuziehen. In der Studie erklärten über 90 Prozent, dass sie hat. Vor einem Jahr ist er in einen ruhigeren Stadtteil gezogen, doch trotz des Lärms, käuflichem Sex und der Drogen gerne an der Langheute kehrt er zurück, um bei einem Rundgang durch sein altes Quarstrasse wohnen. Noch sind die Mietpreise für Wohn- wie auch für Getier über die Veränderungen der letzten Jahre zu sprechen. werberäume im Vergleich zu anderen Quartieren günstig. Jeder Vierte, der hier wohnt, arbeitet auch im Quartier. Die Frage ist, wie lange das Zuzüger vom Zürichberg Kleingewerbe die steigenden Mieten verkraften kann. «Bei den meisten Eine Viertelstunde später biegt Pörtner in die Hohlstrasse ein. Hier ist Geschäften, die bereits seit einiger Zeit existieren, ist der Inhaber gleichder Umbruch augenfällig. Zwar schlendern noch immer Kokaindealer zeitig auch der Hausbesitzer», erklärt Pörtner. durch die Gasse, neu ist aber die Bar «Bonneville», eines von unzähliBang blickt mancher über die Geleise in den benachbarten Kreis 5, gen Lokalen, die in den letzten Jahren in dieser Gegend neu eröffnet wo die Zukunft, die dem «Chreis Cheib» droht, bereits gegenwärtig ist. wurden und seither trendiges Jungvolk ins Quartier locken. Ein paar Wo einst Arbeiterfamilien neben WGs lebten, wohnen nun Banker und Schritte weiter liegt die Bäckeranlage, einer der schönsten Parks der Versicherungsangestellte in teuren Neubauten. Werkstätten sowie BioStadt. Nach der Räumung der offenen Drogenszene am Letten hatte sich und Plattenläden wurden verdrängt von Feinkostanbietern, Edelboutihier in den späten Neunzigern die Drogen- und Alkoholikerszene einquen und Schickimicki-Shops, die von Zürichberg-Hausfrauen mit dem genistet. Seit einigen Jahren aber unterbinden Polizei und die Eingreifnötigen Kleingeld als Hobby betrieben werden. truppe SIP (Sicherheit, Intervention, Prävention) jede offene Szene. Ganz so weit ist es rund um die Langstrasse noch nicht. Doch die EntHeute tummeln sich Leute aus der halben Stadt auf dem Rasen und an wicklung schreitet voran, angetrieben von den städtischen Behörden. So den Tischen vor dem Quartierzentrum. Wurde der Ort früher gemieden, wurde der Neubau gegenüber der Bäcki, wo noch vor wenigen Jahren weil man nicht in gebrauchte Spritzen treten wollte, meiden ihn heute die stadtbekannte Alkikneipe «Schönau» stand, von der Stiftung zur Ermanche Anwohner, weil er ihnen zu szenig geworden ist. «Bäcki-Mami haltung von preisgünstigem Wohn- und Gewerberaum (PWG) auf ausist ja schon fast ein stehender Begriff», grinst Pörtner bei einer Gazosa drücklichen Wunsch der Stadt erstellt. Einige der neuen Mieter – darauf am Stehtisch neben dem Sandkasten, dem einzigen freien Platz an dieist die PWG stolz – zogen aus den gehobenen Wohngegenden am Züsem Donnerstag um vier Uhr nachmittags. Tatsächlich könnten viele der richberg und aus dem Seefeld hierher, denn die nicht gerade günstigen Jungmütter hier samt Nachwuchs eines der In-Lokale in der Umgebung Mietpreise liegen noch immer einen Viertel unter dem, was eine Wohbetreten, ohne sich vorher umziehen zu müssen. nung mit diesem Standard auf dem freien Markt kosten würde. Rund um Viele Quartierbewohner beäugen den neuen Stil skeptisch. Gegen die die Langstrasse hat die PWG in den letzten Jahren gezielt Haus um Haus Verdrängung des Milieus hat – abgesehen von den Beteiligten selbst – Anzeige:

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SURPRISE 201/09


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