Surprise 584/24

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Strassenmagazin Nr. 584

27.Sep. bis 10.Okt. 2024

davon gehen CHF 4.–an die VerkĂ€ufer*innen

Ohne Dach in Palermo

Der Fotograf Giovanni Lo Curto begleitet Obdachlose in einem Langzeitprojekt.

Seite 8

Bitte kaufen Sie nur bei VerkÀufer*innen mit offiziellem Verkaufspass

Der Verkauf des Strassenmagazins Surprise ist eine sehr niederschwellige Möglichkeit, einer Arbeit nachzugehen und den sozialen Anschluss wiederzuïŹnden.

Alle

Ein

Strassenmagazin kostet Franken. Die HÀlfte davon geht an den*die VerkÀufer*in, die andere HÀlfte an den Verein Surprise.

Das Heft erscheint alle 2 Wochen. Ältere Ausgaben werden nicht verkauft.

VerkÀufer*innen tragen gut sichtbar einen Verkaufspass mit einer persönlichen Verkaufsnummer. Diese ist identisch mit der Nummer auf dem Magazin.

info@surprise.ngo

legen

Sizilien gehört zu den Ă€rmsten Regionen in der EU, etwa 40 Prozent der Bevölkerung leben an der Armutsgrenze. Der italienische Fotograf Giovanni Lo Curto portrĂ€tiert seit Jahren obdachlose Menschen, Familien in Armut und andere – die er bei Essensabgaben trifft oder in NotunterkĂŒnften. Damit legt er die alltĂ€glichen Auswirkungen der Politik der postfaschistischen Regierung offen, die das BĂŒrgergeld fĂŒr arbeitslose Menschen gestrichen hat. Wir zeigen seinen Fotoessay zur Obdachlosigkeit in Palermo ab Seite 8. Im Surprise Talk erzĂ€hlt Lo Curto von seiner Arbeit.

Auch Zahlen legen VerhĂ€ltnisse offen. Klaus Petrus verweist darauf, dass sie allerdings immer komplexer sind, als es auf den ersten Blick scheint: In seiner essayistischen Betrachtung geht es um SchĂ€tzungen, wie viele Migrant*innen und FlĂŒchtende weltweit unterwegs sind. Die Zahlen werden alljĂ€hrlich vom FlĂŒchtlingskommissariat der Vereinten Nationen UNHCR veröffentlicht, siehe Seite 14.

4 Aufgelesen

5 Na? Gut! Von Tuvalu nach Australien

5 Vor Gericht Nullsummenspiel

6 VerkÀufer*innenkolumne Woher auch, Schatz?

7 Sozialzahl Die Schweiz altert ungleich

8 Fotoessay Bitteres Italien

14 Migration Die KomplexitÀt erkennen

Dann versuchen wir ein StĂŒck weit offenzulegen, wie verbreitet Gewalt gegenĂŒber obdachlosen Personen ist und ob sich die involvierten Stellen nach der medizinischen Behandlung um den weiteren Verbleib von Verletzten kĂŒmmern, die keinen festen Wohnsitz haben. Angestossen von FĂ€llen in Bochum, Deutschland, haben wir auch hierzulande nachgefragt, ab Seite 18.

Seit drei Jahren gibt es den Verein Weiter Schreiben Schweiz, der offenlegt, wie vielfĂ€ltig die Literatur von Autor*innen ist, die in die Schweiz geïŹ‚ĂŒchtet sind und nun fĂŒr einen deutschsprachigen Markt weiter schreiben. Eine Begegnung mit dem Autor Shukri Al Rayyan, dessen Roman «Nacht in Damaskus» vor Kurzem auf Deutsch erschienen ist: Seite 24.

18 Gewalt Kein Schutz im öffentlichen Raum

20 Statistik Keine Zahlen in der Schweiz

22 Verein Surprise: 15 Jahre Strassenchor

24 Literatur «Schreiben war ein Akt des Widerstandes»

26 Veranstaltungen

27 Tour de Suisse Pörtner am Toblerplatz, ZĂŒrich

28 SurPlus Positive Firmen

29 Wir alle sind Surprise Impressum Surprise abonnieren

30 Surprise-PortrĂ€t «Ich fĂŒhle mich als Teil der Familie»

Aufgelesen

News aus den ĂŒber 90 Strassenzeitungen und -magazinen in 35 LĂ€ndern, die zum internationalen Netzwerk der Strassenzeitungen INSP gehören.

SelbstÀndig im Alter

«Am Anfang war Farbe, war Licht, dann kamen die Schatten, und am Schluss war alles schwarz.» In ihren Vierzigern begann Antje Ebrecht zu erblinden. Im Alter von 79 Jahren lernte sie 2018 die FotograïŹn Nadine Hackemer kennen –gemeinsam entstand eine Bilderserie, aus der hier Ausschnitte zu sehen sind. «WĂ€hrend wir das Altern oft mit AbhĂ€ngigkeit, Krankheit und PïŹ‚ege verbinden, strahlte Ebrecht Lebensfreude und Offenheit aus.» FotograïŹsch versuchte Hackemer einzufangen, was Ebrecht so glĂŒcklich macht. Wegen ihrer fortschreitenden Polio kann die ehemalige Reiterin zwar das Haus nicht mehr verlassen, seit 2015 lebt sie im Seniorenzentrum. Doch tĂ€glich lĂ€uft sie ihre Runden entlang eines Handlaufs, macht Gymnastik oder nutzt ihren Hometrainer. Auch besuchen sie viele Freunde. «Es scheint, als habe sie eine magnetische Wirkung auf Menschen», sagt Hackemer.

STRASSENKREUZER, NÜRNBERG

Gut aufgehoben auch ohne Augenlicht: Antje Ebrecht macht wĂŒrdevolles Altern vor.

OsteuropÀische ArbeitskrÀfte

Seit 2004 traten u.a. Bulgarien, RumĂ€nien und Ungarn der EU bei. Heute arbeiten 1,9 Millionen Menschen aus diesen LĂ€ndern in Deutschland, fast eine Million stammt aus RumĂ€nien. Der Hauptgrund fĂŒr die Zuwanderung sind die besseren Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten im Vergleich zu RumĂ€nien. Liegt das Bruttoeinkommen fĂŒr Arbeiter*innen in RumĂ€nien bei nur etwa 368 Euro netto im Monat, liegt es in der EU im Schnitt bei 1666 Euro.

InfokĂ€sten fĂŒr Obdachlose

In Hannover gibt es ab jetzt auf Antrag von CDU und SPD in der Innenstadt Info-KĂ€sten fĂŒr Obdachlose. Dort finden sich in verschiedenen Sprachen z.B. die Zeiten und Orte fĂŒr Essenausgaben, Adressen von Notschlafstellen sowie Angebote des Duschmobils. «Das Leben auf der Strasse wird durch eine Vielzahl an tĂ€glichen Problemen ohnehin schon erschwert, weswegen solche Informationen eine wichtige Hilfe bieten», so die BegrĂŒndung von CDU und SPD.

HINZ & KUNZT, HAMBURG
ASPHALT, HANNOVER

Von Tuvalu nach Australien

Ab sofort nimmt Australien Menschen aus Tuvalu auf, dem Inselstaat nördlich von Neuseeland und östlich von Papua-Neuguinea im SĂŒdpazifik. Die Inselgruppe, auf der 11000 Menschen leben, ragt an ihrem höchsten Punkt nur fĂŒnf Meter aus dem Meer und ist damit eines der am tiefsten gelegenen LĂ€nder der Welt.

Tuvalu und andere Inseln in der Region werden in den nĂ€chsten Jahrzehnten weitgehend ĂŒberflutet, denn durch die KlimaerwĂ€rmung steigt der Meeresspiegel. Die Inselgruppe könnte laut SchĂ€tzungen innerhalb von hundert Jahren ganz im Meer versunken sein.

Pro Jahr können nun 280 Einwohner*innen von Tuvalu ein Sondervisum fĂŒr Australien und damit ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht bekommen. Sie können dort leben, arbeiten oder studieren. Sollte Tuvalu zudem wegen einer grossen Naturkatastrophe, einer Pandemie oder einer militĂ€rischen Aggression um Hilfe bitten, hat sich Australien verpflichtet, diese zu leisten. «Bahnbrechend» nannte Tuvalus Regierungschef Feleti Teo das Abkommen. Zum ersten Mal habe sich ein Land rechtlich verpflichtet, Tuvalu zu helfen. Australiens Premierminister Anthony Albanese sagte: «Gemeinsam sind wir stĂ€rker und können uns in diesen schwierigen Zeiten aufeinander verlassen.»

NatĂŒrlich hilft Australien nicht ohne Gegenleistung. Tuvalu verpflichtet sich im Gegenzug, im internationalen Rahmen in Verteidigungs- und Sicherheitsfragen mit Australien abzustimmen. Vor allem China versucht seinen Einfluss im SĂŒdpazifik auszubauen. LEA

An dieser Stelle berichten wir alle zwei Wochen ĂŒber positive Ereignisse und Entwicklungen.

Vor Gericht

Nullsummen–spiel

Der Anblick ist aus dem Alltag verschwunden: ein vollgequalmtes Gastro-Lokal. Doch genau dieses Bild bot sich der Polizei, als sie 2021 einen Club in der ZĂŒrcher Vorstadt kontrollierte. Die HĂ€lfte der rund zwanzig GĂ€ste sass schmauchend an den Tischen. Deshalb flatterte dem 47-jĂ€hrigen Patentinhaber des Lokals ein Strafbefehl ins Haus. Denn, so die Behörden, er wĂ€re fĂŒr die Durchsetzung des Rauchverbots verantwortlich gewesen.

Das, sagt der Wirt nun vor Gericht, sei ihm bewusst. Deshalb habe er auch mehrere Rauchverbotsschilder angebracht. Er frage sich, warum nicht die GĂ€ste gebĂŒsst wĂŒrden. Die hĂ€tten doch geraucht, nicht er! Er sei auch nicht immer in jenem Teil des weitlĂ€ufigen Betriebs zugegen, zu dem auch ein Restaurant und eine Bar gehören.

Die Raucherei ist nicht der einzige Grund, weshalb der Gastronom insgesamt 1350 Franken Busse zahlen soll. Das Statthalteramt wirft ihm auch vor, einen Raum illegal zu Wohnzwecken genutzt zu haben, eine Widerhandlung gegen das Planungsund Baugesetz. Schlicht nicht wahr, sagt der Wirt. Einzelne Mitarbeitende mit lÀngeren Arbeitswegen hÀtten sich dort wÀhrend der Zimmerstunde ausgeruht.

Zudem wird ihm vorgeworfen, dass er eine Ukrainerin wĂ€hrend drei Tagen schwarzarbeiten liess. DiesbezĂŒglich macht der Mann Unwissen geltend: Ihm sei nicht bewusst gewesen, dass GeflĂŒchtete mit Status S eine Arbeitsbewilligung brĂ€uchten. Er habe helfen wollen, sagt er, die junge

Frau sei weinend zu ihm gekommen. «Ich wollte das Richtige tun und habe es getan.»

Weil er all das nicht auf sich sitzen lassen wollte, focht er den Strafbefehl an und steht nun vorm Einzelrichter. Seine Rechtsvertreterin verlangt einen vollumfĂ€nglichen Freispruch. Hinsichtlich des Rauchverbots habe ihr Mandant zu keinem Zeitpunkt bemerkt, dass die GĂ€ste rauchten. UnzulĂ€ssige Zimmernutzung? Nicht rechtsgenĂŒgend belegt. Die Nutzung als Ruheraum sei fĂŒr Schichtbetriebe nichts Ungewöhnliches, sagt sie, siehe SpitĂ€ler. Auch bei der BeschĂ€ftigung der Ukrainerin habe der Mann nichts falsch gemacht. Eine Bewilligung sei erst bei Stellenantritt einzuholen – die Frau habe zur Probe gearbeitet.

In seinem Urteil schlĂ€gt sich der zustĂ€ndige Einzelrichter mit bewundernswerter GrĂŒndlichkeit durch den Gastro-Gesetzesdschungel. Er erklĂ€rt dem Gastronomen, dass der Begriff der ErwerbstĂ€tigkeit insbesondere bei GeflĂŒchteten – zu deren Schutz – rechtlich eng ausgelegt werde. So dĂŒrfe ein Probearbeiten höchstens einen halben Tag dauern – die war Frau mindestens drei Tage im Betrieb. Seine Annahme, dass Menschen mit Status S keine Bewilligung brĂ€uchten, in Ehren – aber es wĂ€re seine Pflicht gewesen, diese zu ĂŒberprĂŒfen. Noch klarer ist fĂŒr den Richter die Sache mit dem Rauchen: Nach Gastgewerbegesetz sei er als Patentinhaber bei Anwesenheit im Betrieb verantwortlich, Punkt. Nur bei der Raumnutzung findet der Richter: Die Anklage sei völlig unklar und der Sachverhalt nicht belegt, Freispruch. Wirklich gelohnt hat sich das nicht fĂŒr den Wirt: Einschliesslich aller GebĂŒhren zahlt er immer noch rund 1000 Franken. Und seine AnwĂ€ltin.

YVONNE KUNZ ist Gerichtsreporterin in ZĂŒrich.

VerkÀufer*innenkolumne

Woher auch, Schatz?

Im Zusammenhang mit der Schweiz vernehmen wir hĂ€ufig das Attribut «reich». Dann ist die Rede von der «reichen» Schweiz. Sie wissen es schon: Ich stehe in der BahnhofunterfĂŒhrung zu Rapperswil und verkaufe meine SurpriseHefte. Seit geraumer Zeit kommt ein Ă€lterer Herr in schĂ€biger Hose und Jacke tĂ€glich nach Rapperswil und wĂŒhlt im Bahnhofareal verschĂ€mt in Abfalleimern und Containern nach Essensresten, die noch geniessbar sind. Er raucht nicht, er trinkt nicht, er bettelt nicht, er spricht nicht. Ich ahne: ein Mann, von vielen Feuern gebrannt, gedemĂŒtigt und gebeutelt.

Ein junges Paar geht an mir vorbei. Er fragt sie: Haben wir Geld fĂŒr ein Surprise? Sie antwortet ihm: Woher auch, Schatz? Nach 15 Jahren Strassenverkauf von Surprise habe ich einen untrĂŒglichen Sinn dafĂŒr: Das war kein Jux, keine Provokation. Das war eine ernst gemeinte Frage und eine aufrichtige Antwort.

Eine Frau kauft mir ein Heft ab und sagt dann: Das war mein Geld fĂŒrs Mittagessen.

Das habe ich natĂŒrlich nicht gewusst und will ihr die 8 Franken zurĂŒckgeben, ihr das Heft schenken. Entschieden winkt sie ab und sagt: Das passt schon, ich habe einen Apfel dabei. So wie all jene, die mir sagen: Ich habe auch nicht viel, aber ich kaufe Ihnen gerne ein Heft ab.

Und immer öfters wird mir vom CaritasLaden, der vor gut anderthalb Jahren in Rapperswil eröffnet wurde, erzĂ€hlt, wo mit stark steigender Tendenz rege eingekauft wird. Und ich lese von 744000 Menschen, darunter viele Kinder, die in der Schweiz in Armut leben, wo’s kein Spasskonto, keinen Urlaub und keine Koteletten gibt, wo jedes auch noch so kleine Extra das Budget sprengt.

Die «reiche» Schweiz: Ein Mythos? Ein Irrtum? Eine Verwechslung? Ein Versprecher? Zumindest fehlen da ein paar Attribute und Substantive: Armut, Obdachlosigkeit, Diskriminierung, Flucht, Gewalt, Ungerechtigkeit, Asyl. DarĂŒber berichtet Surprise seit den GrĂŒnderjahren in Wort und Bild. Eine mahnende Stimme. Und Stimmen werden bisweilen

erhört. Erst recht dann, wenn sie sich vermehren. Es ist offensichtlich: Die oben erwÀhnten Themen halten mehr und mehr Einzug in die Spalten der schreibenden Presse. Auch in die von renommierten, prominenten Titeln. Sie bekommen dort mehr Platz, Raum und Aufmerksamkeit, und notabene, im Fernsehen mehr Sendezeit. Eine erfreuliche Entwicklung, die hoffen lÀsst.

FĂŒr Nichtbetroffene sind Wörter wie Armut nur abstrakte, belanglose, diffuse Begriffe, ohne inhaltliche Bedeutung und konkreten Bezug. FĂŒr Betroffene ist es die harte RealitĂ€t, mit der sie, fernab von der sprichwörtlichen reichen Schweiz, Tag fĂŒr Tag fertigwerden mĂŒssen.

URS HABEGGER, 68, verkauft Surprise seit 16 Jahren in der BahnhofunterfĂŒhrung in Rapperswil. Und sieht jeden Tag: Die berĂŒhmte Schere zwischen Arm und Reich, sie ist gut geschliffen.

Die Texte fĂŒr diese Kolumne werden in Workshops unter der Leitung von Surprise und dem Autoren Ralf Schlatter erarbeitet. Die Illustration entsteht in Zusammenarbeit mit der Hochschule Luzern – Design & Kunst, Studienrichtung Illustration.

Die Schweiz altert ungleich

In der Zeitspanne zwischen heute und 2050 wird die Zahl der Personen im Rentenalter um 63 Prozent wachsen. In rund 25 Jahren werden also 2,6 Millionen Menschen in der Schweiz ĂŒber 65 Jahre alt sein. Dieser demografische Wandel wird vielerorts beschrieben. Von einer «doppelten Alterung» ist die Rede, womit gemeint ist, dass immer mehr Menschen immer Ă€lter werden. Eine durchwegs positive Entwicklung.

Die nationale Sicht auf diesen Alterungsprozess verdeckt allerdings die regionalen und kantonalen Ungleichheiten. Die Schweiz altert keineswegs gleichmÀssig schnell. Die Unterschiede zwischen den Kantonen sind eindrucksvoll. So wird die Zahl der Pensionierten in Basel-Stadt noch um 28 Prozent zunehmen, in Zug hingegen um 106 Prozent. Dazwischen finden sich alle Abstufungen. So betrÀgt die Zunahme in Baselland 43 Prozent, in der Waadt 69 Prozent und in Freiburg 85 Prozent. Ein Muster ist schwer zu erkennen.

Die unterschiedlich rasche Alterung hat aber ihre GrĂŒnde. Sie hat wesentlich mit der bildungsbezogenen und beruflichen MobilitĂ€t zu tun, wird durch die Wirtschafts- und Standortpolitik geprĂ€gt und durch die Wohnbau- und Steuerpolitik in den Kantonen beeinflusst. So verlor Basel-Stadt in den 1960erund 70er-Jahren viele junge Familien, die wegen den hohen Steuern und dem begrenzten bezahlbaren Wohnraum in den Nachbarkanton Baselland umzogen. Dieser Verlust fĂŒhrte dazu, dass der Alterungsprozess in Basel-Stadt frĂŒher begann und sich inzwischen bereits verlangsamt hat, wĂ€hrend er in Baselland allmĂ€hlich an Kontur gewinnt.

Angesichts dieser HeterogenitÀt hat es eine nationale Alterspolitik schwer. Ein gemeinsames Vorgehen etwa in der Gesundheits- und Sozialpolitik, wie zum Beispiel die Organisation der guten Betreuung im Alter, stösst auf sehr unterschiedliches Interesse. Den einen brennt diese Frage unter den NÀgeln, die anderen realisieren erst allmÀhlich, dass sie sich mit dieser Aufgabe in nÀchster Zeit beschÀftigen sollten. Ob hier das immer wieder zu hörende Lob des Föderalismus weiterhilft, darf bezweifelt werden. Das föderale Labor generiert durchaus unterschiedliche AnsÀtze in der Alterspolitik, es mangelt aber an der Bereitschaft, voneinander zu lernen. So ist die Romandie bei der psychosozialen Betreuung Àlterer Menschen mit ihren CMS (centre médico-social) ungleich weiter als viele Deutschschweizer Kantone, aber ein Transfer solcher Einrichtungen Richtung Nordosten der Schweiz ist kaum zu beobachten.

Ein anderes Beispiel ist das politische Projekt, dass unter dem Akronym EFAS verhandelt wird. Es steht fĂŒr die einheitliche Finanzierung von gesundheitlichen Leistungen im ambulanten und stationĂ€ren Bereich. Der Einbezug der Langzeitpflege, auf den die Kantone mit guten GrĂŒnden gedrĂ€ngt haben, war umstritten. Dieser erfolgt nun erst ab 2032, was fĂŒr manche Kantone angesichts der demografischen Entwicklung klar zu spĂ€t, fĂŒr andere aber gerade noch rechtzeitig kommt. Im November 2024 wird ĂŒber diese Reform abgestimmt.

PROF. DR. CARLO KNÖPFEL ist Dozent am Institut Sozialplanung, Organisationaler Wandel und Stadtentwicklung der Hochschule fĂŒr Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Zunahme der Menschen im Alter von 65+ zwischen 2020 und 2050 nach Kantonen

Renata*, 62, ist seit ĂŒber zwanzig Jahren auf der Strasse, sie war lange Jahre drogensĂŒchtig und lebte in einem kaputten Auto. Inzwischen wurde dies von der Stadtregierung Palermos weggerĂ€umt und Renata hat ihr Zuhause verloren.

* Die PortrĂ€tierten möchten nur mit Vornamen genannt werden.

«Palermo amara»

Fotoessay Der italienische Fotograf Giovanni Lo Curto portrĂ€tiert in verschiedenen Langzeitprojekten Armutsbetroffene in Siziliens Hauptstadt, die selbstbewusst ihr Recht auf WĂŒrde einfordern.

TEXT UND FOTOS GIOVANNI LO CURTO

Daniela*, 48, wurde in ihrem Leben immer wieder missbraucht. Sie ist Mutter von drei Söhnen, der jĂŒngste ist im Autismus-Spektrum. Sie war lange ohne Job, arbeitet jetzt aber in einem Bed & Breakfast. Seit kurzem kann sie sich ein eigenes WG-Zimmer leisten, davor lebte sie im betreuten Wohnen. Ihr Ziel ist es, eine Wohnung zu ïŹnden, um ihrem jĂŒngsten Kind ein schönes Zuhause bieten zu können.

Tanam*, 60, stets tadellos gekleidet, stammt aus Sri Lanka. Nach seiner Scheidung verlor er auch seinen Job, dann ging es bergab. Heute lebt er auf der Strasse, hat einen Schlafplatz in der NÀhe des Hafens von Palermo, wo es Brunnen und öffentliche Duschen gibt.

Dolce far niente, blauer Himmel und weisse StrĂ€nde –daran denke viele, wenn von Sizilien die Rede ist. Die RealitĂ€t ist aber eine andere: Die Insel ist eine der Ă€rmsten Regionen der EU, rund 40 Prozent der Bevölkerung sind von extremer Armut betroffen.

Seit den 1990er-Jahren dauert die wirtschaftliche und soziale Krise in Sizilien bereits an. Nachdem die Regierung von Giorgia Meloni vor einem Jahr den «Reddito», das BĂŒrgergeld, abgeschafft hat, ist die Situation fĂŒr die ohnehin angeschlagene Bevölkerung noch schwieriger geworden. Bisher bekam Sizilien von der Regierung 700 Millionen Euro fĂŒr das BĂŒrgergeld. Zwar gibt es weiterhin staatliche Gelder fĂŒr Arme und Arbeitslose, doch können viel weniger Menschen davon leben als bisher.

Bekanntlich ist Armut nicht nur eine Sache des fehlenden Geldes. Sie kann auch mangelnde Gesundheit, fehlende Bildung oder angeschlagenes emotionales Wohlbefinden bedeuten. Oft handelt es sich hierbei um einen Teufelskreis, aus dem man nur schwer herausfindet.

Besonders sichtbar ist die Armut in Palermo, meiner Heimatstadt. Seit 2018 dokumentiere ich mit meinem Langzeitprojekt «Palermo amara» deren Verfall – was auf Deutsch so etwas wie «bitteres Palermo» bedeutet. Dabei habe ich mich bisher vor allem mit Obdachlosigkeit befasst, der extremsten AusprĂ€gung von Armut. Im Zentrum meiner Reportage stehen Menschen, die trotz widriger UmstĂ€nde versuchen, ein möglichst erfĂŒlltes Leben zu fĂŒhren, und die selbstbewusst ihr Recht auf WĂŒrde einfordern. Ich habe Organisationen und Freiwillige begleitet, welche die Betroffenen dabei unterstĂŒtzen und ihnen ganz konkrete Hilfe anbieten wie Unterkunft, Verpflegung oder auch nur ein offenes Ohr.

Derzeit dokumentiere ich das Leben von Familien, die zwar ein Dach ĂŒber dem Kopf und eine feste Anstellung haben, aber trotzdem nicht ĂŒber die Runden kommen. Wie bei obdachlosen Menschen ist auch hier die Scham weit verbreitet. Sie ist eine schwere Last und gibt den Menschen das GefĂŒhl, selber schuld zu sein an ihrer Situation – was schlimm ist.

HintergrĂŒnde im Podcast:

Radiojournalist Simon Berginz spricht mit Giovanni Lo Curto ĂŒber seine Arbeit und die Situation in Italien. surprise.ngo/talk

GIOVANNI LO CURTO, 41, ist Fotojournalist in Berlin. In seiner Arbeit konzentriert er sich auf sozialpolitische, wirtschaftliche und religiöse Themen im Mittelmeerraum sowie in Lateinamerika. Neben seinen foto journalistischen Projekten arbeitet er als freiberuïŹ‚icher Fotograf und Bildredaktor.

FOTO: ZVG

Mimmo*, 67, ist seit ĂŒber zehn Jahren obdachlos, oft lebt er auf der Strasse, zwischendurch kommt er in Notschlafstellen unter. Der Mann ist ein Dichter, seine Texte handeln von tragischen Ereignissen wie dem Verlust seiner geliebten Frau, die bei einem Verkehrsunfall ihr Leben verlor.

GefÀhrliche Zuspitzung

Migration In der Debatte um Flucht und Migration wird mit Zahlen operiert. Ohne Gesamtkontext vermitteln diese jedoch ein Zerrbild der RealitÀt und lassen sich gut politisch instrumentalisieren. Vorsicht ist geboten.

Wir alle kennen die Zahlen, sie sind besorgniserregend und weisen seit Jahren nur in eine Richtung, nĂ€mlich: steil nach oben. GeschĂ€tzte 281 Millionen Migrant*innen soll es gegenwĂ€rtig geben. Darunter sind rund 117 Millionen GeflĂŒchtete, also Menschen, die ihr Heimatland verlassen, weil sie dort infolge von Krieg und Terror Gewalt und Verfolgung befĂŒrchten mĂŒssen.

Jedes Jahr werden Zahlen wie diese vom FlĂŒchtlingskommissariat der Vereinten Nationen UNHCR veröffentlicht und machen die Runde: Bei FlĂŒchtlingshilfswerken, die auf die Not der Betroffenen hinweisen und die politischen EntscheidungstrĂ€ger dazu drĂ€ngen, möglichst nachhaltige Massnahmen zum Schutz der Migrant*innen zu ergreifen. So hat UNHCR unlĂ€ngst von «einer globalen Krise der Vertreibung» geredet, und die Internationale Organisation fĂŒr Migration IOM liess verlauten: «Die MobilitĂ€t der Menschen ist grösser als je zuvor in der Geschichte der Menschheit und sie nimmt weiter stark zu.»

Auch in rechtspopulistischen Kreisen sind diese Zahlen im Umlauf. Dort nimmt man sie als unerschĂŒtterlichen Beleg dafĂŒr, dass namentlich westliche LĂ€nder von Migrant*innen geradezu Â«ĂŒberflutet» wĂŒrden und «dieser Angriff auf unsere Grenzen» frĂŒher oder spĂ€ter mit einem «Verlust unserer Werte und Kultur» einhergeht (die Zitate stammen vom ungarischen MinisterprĂ€sidenten Viktor OrbĂĄn).

Entscheidende Relationen

Zahlen und Fakten, das ist eine Binsenwahrheit, lassen sich dann am besten in – zumal kontrĂ€re – Narrative einbinden, wenn man den Kontext weglĂ€sst, innerhalb dessen sie errechnet werden, oder wenn man die Vergleichsgrössen ausblendet, welche diese Zahlen mitunter relativieren.

Beispiel Anstieg weltweite Migration: TatsĂ€chlich trifft es zu, dass die Zahl der Migrant*innen noch nie so hoch war so wie heute – 1960 waren es «bloss» 93 Millionen, heute geschĂ€tzte 281 Millionen. Allerdings ist nicht allein die Migration wĂ€hrend dieser Zeitspanne erheblich angestiegen, sondern auch die Weltbevölkerung: von etwa 3

Deutlicher Anstieg: Heute werden mehr LĂ€nder erfasst Migrant*innen

161,3

173,2 191,4

Milliarden im Jahr 1960 auf 8,1 Milliarden voriges Jahr. Nimmt man diese Vergleichsgrösse mit in die Rechnung auf, ist es nicht so, dass die Zahl der Migrant*innen in den letzten Jahren massiv zugenommen hĂ€tte, sondern: Ihr Anteil an der Weltbevölkerung liegt seit sechzig Jahren relativ stabil bei plus / minus 3 Prozent. Wenig erstaunlich ist, dass der Anteil von Migrant*innen zwischen 1850 und 1925 infolge des Kolonialismus sowie der grossen Kriege in Europa deutlich höher war: 1900 lag er beispielsweise bei 9 Prozent der Weltbevölkerung, 1925 gar bei 12 Prozent. Vorsicht bei Zahlen gilt – und ist politisch wohl brisanter – im Zusammenhang mit Flucht. Auch hier: Korrekt ist, dass sie, numerisch betrachtet, immer mehr werden. Doch ist wenigstens zweierlei zu beachten: UNHCR begann 1951, ein Jahr nach der GrĂŒndung, erstmals mit der Erfassung von FlĂŒchtlingsdaten – und zwar in 21 LĂ€ndern.

Inzwischen sind es weit ĂŒber 200 LĂ€nder. Die Formel «mehr erfasste LĂ€nder = mehr registrierte FlĂŒchtlinge» trifft in diesem Fall schon deswegen zu, weil UNHCR im Lauf der Zeit immer mehr LĂ€nder aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Subsahara-Afrika mitberĂŒcksichtigt hat – und damit Regionen, die in den vergangenen Jahren zunehmend Schauplatz von Konflikten, Krisen und Katastrophen wurden.

280,6 281

Zudem haben UNHCR sowie andere Organisationen wie die International Organization of Migration IOM im Verlauf der Jahre und durchaus zu Recht neue Kategorien von Fluchtursachen in ihre Statistiken aufgenommen, so unter anderem «KlimaflĂŒchtlinge» und «BinnenflĂŒchtlinge». Damit nahm notgedrungen auch die Gesamtzahl zu. GemĂ€ss UNHCR mussten letztes Jahr 26,4 Millionen Menschen ihr Land aufgrund etwa von klimabedingten Ereignissen wie Dauerregen, langanhaltenden DĂŒrren, Hitzewellen und StĂŒrmen verlassen; bis zum Jahr 2050 rechnet man sogar mit ĂŒber 200 Millionen. Nun sind solche Kategorien wie «KlimaflĂŒchtlinge» oder «BinnenflĂŒchtlinge» zwar relativ neu; Menschen aber, die wegen Naturkatastrophen ihre Heimat verlassen mĂŒssen oder die infolge von Kriegen innerhalb der eigenen Landesgrenzen ihren Wohnort wechseln (oder in NachbarlĂ€nder ziehen), gibt es nachweislich schon viel lĂ€nger. Nur wurden sie statistisch bisher nicht eigens erfasst – dazu weiter unten mehr.

An dieser Stelle ein wichtiger Einschub, und sei es bloss, um MissverstĂ€ndnisse zu vermeiden: Die Relativierung von Zahlen ist nicht gleichbedeutend mit einer Relativierung der Probleme, fĂŒr die diese Zahlen stehen. Migration ist – einerlei, ob sie ansteigt oder nicht – ein globales PhĂ€nomen, das in Zeiten wie diesen zu den grossen Herausforderungen zĂ€hlt, und zwar sozial, kulturell, religiös wie auch wirtschaftlich gesehen. Und Flucht, als Folge von Ausgrenzung, Hass, Krieg, Terror oder blanker Zerstörung, ist immer und ĂŒberall ein Appell an unsere

Unstrittig ist: Migration ist ein globales PhÀnomen, das zu den grossen Herausforderungen zÀhlt.

Empathie und SolidaritÀt (und, meine persönliche Meinung, an unsere Bereitschaft, solch abstrakte, blutleere EntitÀten wie Nationen und Grenzen radikal zu hinterfragen oder gar abzuschaffen).

Doch hier geht es um etwas anderes: Werden Zahlen bloss fĂŒr sich genommen oder in ihrer Aussage noch zugespitzt, können sich Bilder in unseren Köpfen festsetzen, die eine politische Sprengkraft besitzen, jedoch mit der Wirklichkeit reichlich wenig zu tun haben.

Auch hierzu ein Beispiel: Die weltweiten FlĂŒchtlingszahlen werden medial wie politisch oft mit einer grösser werdenden «Massenflucht» aus den Krisenregionen dieser Welt in vornehmlich westliche LĂ€nder assoziiert. In der Tat lĂ€sst sich fĂŒr den Westen immer wieder mal ein Anstieg der Zahlen von Migrant*innen und auch GeflĂŒchteten festmachen. (Nicht alle Migrant*innen sind auf der Flucht. Auch dies ist ein Unterschied, der hĂ€ufig vernachlĂ€ssig wird. In der Debatte um Kosten und Nutzen von Arbeitsmigration, und davon abgegrenzt um das Recht auf Asyl, sollte jedoch immer genau hingeschaut werden.)

Doch sind die GrĂŒnde fĂŒr Flucht punktuell und haben meist mit Konflikten in Nachbarregionen zu tun wie zum Beispiel mit den Jugoslawienkriegen der 1990er-Jahre, dem Krieg in Syrien ab 2011 oder Russlands Überfall die Ukraine 2022.

Die meisten bleiben in der NĂ€he Tatsache ist aber auch: Die meisten Migrant*innen und FlĂŒchtenden kommen gar nicht in den Westen, sondern bleiben im eigenen Land oder ziehen in benachbarte Regionen. GemĂ€ss UNHCR gehören zu dieser Kategorie 80 Prozent aller Migrant*innen – eine Zahl, die seit Jahren mehr oder weniger unverĂ€ndert ist, jedoch in der medialen Vermittlung der Migration zumeist untergeht oder unerwĂ€hnt bleibt. Zieht man sie aber in Betracht, verĂ€ndert sich unweigerlich der Fokus aufs Thema. Dazu ein paar Zahlen: In den Jahren 2015/16 – also quasi auf dem

Höhepunkt der in Europa sogenannten «FlĂŒchtlingskrise» – hielten sich rund 3,6 Millionen syrische GeflĂŒchtete in der TĂŒrkei auf (mit einer Gesamtbevölkerung von fast 85 Mio.) sowie 1 Mio. im Libanon (Gesamtbevölkerung 5,5 Mio.); beide LĂ€nder grenzen an Syrien. In Deutschland (Gesamtbevölkerung 83 Mio.) hingegen suchten damals vorĂŒbergehend 532 000 Menschen Zuflucht, in England (Gesamtbevölkerung 56 Mio.) waren es gerade 9700. Von allen registrierten afghanischen GeflĂŒchteten verblieben 2018 rund 82 Prozent in Afghanistan oder lebten in Pakistan und dem Iran. Noch deutlicher sind die Zahlen auf dem afrikanischen Kontinent: Rund 92 Prozent aller Migrant*innen bleiben im eigenen Land oder weichen in NachbarlĂ€nder aus. Auch hier sind die Auslöser meist Konflikte; um bloss zwei Beispiele zu nennen: Vor dem Völ-

Werden Zahlen zugespitzt, können sich Bilder in unseren Köpfen festsetzen, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun haben.

Weltbevölkerung nimmt ebenso zu Weltbevölkerung Anteil Migrant*innen

kermord in Ruanda floh ein Drittel der damaligen Bevölkerung – das waren 2,3 Millionen Menschen – in die benachbarte Demokratische Republik Kongo; und 2018 suchten binnen einiger Wochen fast eine Million Menschen aus dem SĂŒdsudan Zuflucht im Nachbarland Uganda. Dieses Muster gilt auch fĂŒr andere Regionen der Welt. So hat Bangladesch die meisten GeflĂŒchteten aus Myanmar aufgenommen und Menschen aus Venezuela –wo bisher 7,7 Millionen fliehen mussten – finden in der Karibik Zuflucht oder in Kolumbien, das seinerseits schon fĂŒnf Millionen BinnenflĂŒchtlinge zĂ€hlt.

Die GrĂŒnde, weshalb Menschen im eigenen Land bleiben oder in benachbarte Regionen ausweichen, sind mannigfaltig: Viele hoffen auf ein rasches Ende eines Konflikts, sie wollen an Orten bleiben, wo ihnen die Sprache und

Kultur vertraut sind, vor allem aber: Die Flucht in fernere Regionen und vor allen in Richtung Westen ist ein kostspieliges Unterfangen. Allgemein lĂ€sst sich sagen: Je grösser ein Land, umso grösser der Anteil von Migrant*innen, die dort bleiben. In grösseren sowie bevölkerungsreichen LĂ€ndern bieten sich den Menschen mehr Möglichkeiten, Arbeit zu finden, in Schulen zu gehen, sich Perspektiven zu schaffen. Das betrifft statistisch gesehen insbesondere Leute, die auf dem Land, in Steppen oder Bergen leben und infolge von Naturkatastrophen, Konflikten oder Kriegen gezwungen sind, in GrossstĂ€dte zu ziehen. Diese «Landflucht» lĂ€sst sich in vielen Regionen beobachten, in denen der Anteil der ohnehin Ă€rmeren Bevölkerung besonders hoch ist wie beispielsweise in Mexiko, wo inzwischen 81 Prozent der Bevölkerung in GrossstĂ€dten leben oder in Brasilien, wo es gar 87 Prozent sind (es gibt allerdings auch Gegenbeispiele wie die Schweiz, wo inzwischen fast 85 Prozent der Bevölkerung in StĂ€dten leben, was aber mit der KleinrĂ€umigkeit des Landes zu tun hat). Man geht davon aus, dass die Binnenmigration vom Land in die Stadt vor allem in Subsahara-Afrika in den kommenden Jahren und Jahrzehnten noch massiv zunehmen wird; in Regionen dagegen, wo sie bereits fortgeschritten ist, wird die Zahl der Binnenmigrant*innen entsprechend zurĂŒckgehen.

Noch einmal: Diese Anmerkungen haben nicht zum Ziel, Migration und die damit einhergehenden Herausforderungen zu verharmlosen. Sie zeigen aber, dass wir festgefahrene Narrative dringend hinterfragen mĂŒssen. Wie etwa die Vorstellung, Millionen ĂŒber Millionen Menschen wĂŒrden in Richtung Westen strömen und die einzige Möglichkeit, diesem «Exodus» Herr zu werden, bestehe darin, eine Festung Europa zu errichten. Tatsache ist: Wenn ĂŒberhaupt, spielt sich die grosse «Migrationskrise» nicht so sehr im Westen ab, sondern in den Herkunftsregionen, die hĂ€ufig arm, unsicher und meist auf sich selbst gestellt sind. INFOGRAFIK:

«Dann war ich weg»

Gewalt Ende Juli starb in Bochum ein obdachloser Mann nach einem Angriff, ein lokaler Strassenmagazin-VerkĂ€ufer wurde zusammengeschlagen. Wer sich im öffentlichen Raum aufhalten muss, kann sich schwer schĂŒtzen.

TEXT ALEXANDRA GEHRHARDT FOTOS SEBASTIAN SELLHORST

Çetin sind die letzten Wochen noch anzusehen. Die Augen sind nach wie vor geschwollen, auf der Nase sind immer noch blaue Flecken. Er ist erst vor ein paar Tagen aus dem Krankenhaus entlassen worden; fast drei Wochen war er dort. Çetin ist seit einigen Jahren VerkĂ€ufer des Strassenmagazins Bodo an der Bochumer Königsallee und möchte seinen Nachnamen lieber nicht publiziert haben. Mitte Juli wurde er am Hauptbahnhof zusammengeschlagen. Er sei am Busbahnhof gewesen, erzĂ€hlt er, und am Busperron mit ein paar Leuten in Streit geraten. Nicht zum ersten Mal. Schon zwei Wochen vorher habe es Streit mit der Gruppe gegeben. Es habe sich hochgeschaukelt, dann sei er gegangen. Dieses Mal kam es anders. Çetin wurde, erzĂ€hlt er, erst von einer Frau ins Gesicht geschlagen, dann habe einer der MĂ€nner mit einer Wodkaflasche zugeschlagen: «Dann war ich weg.»

Bei der Gewalttat erlitt er Hirnblutungen, das Nasenbein war gebrochen, der Kiefer angebrochen. «Ich kann gerade nur Weiches oder Suppe essen, langsam wird es aber besser», sagt Çetin. Zeug*innen hatten Polizei und Rettungswagen alarmiert. Die Polizei ermittelt wegen gefĂ€hrlicher Körperverletzung. Ein TatverdĂ€chtiger ist noch nicht gefunden; man sei aber zuversichtlich, so ein Polizeisprecher. Auch, weil Aufnahmen aus einer Überwachungskamera die Tat zeigen.

Çetin lebt nach einiger Zeit auf der Strasse wieder in einer Wohnung. Als VerkĂ€ufer des Strassenmagazins ist er viel im öffentlichen Raum unterwegs. Der Hauptbahnhof ist einer dieser Orte. Dort erschĂŒtterte eine weitere Gewalttat vor einigen Wochen: Ende Juli wurde ein 38-jĂ€hriger Obdachloser, der in einer Ecke im BahnhofsgebĂ€ude geschlafen hatte, von einem 21-JĂ€hrigen angegriffen und so schwer verletzt, dass er einige Tage spĂ€ter starb. Silviu hiess der Mann, war rumĂ€nischer StaatsbĂŒrger. Der TatverdĂ€chtige, ein 21-JĂ€hriger aus LĂŒnen, sitzt in Untersuchungshaft, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Mordes. Einige Tage spĂ€ter meldet sich bodo-VerkĂ€ufer Mihai

bei uns. Die Anlaufstelle in der Bochumer Innenstadt ist Ausgabestelle des Strassenmagazins, aber auch Beratungsstelle, KontaktcafĂ©, ein Ort zum FrĂŒhstĂŒcken, Ausruhen und Ankommen. Der Getötete, erzĂ€hlt er, war sein Cousin.

Neben der ErschĂŒtterung und der Trauer sind Dinge zu klĂ€ren: Kann Silviu in RumĂ€nien beerdigt werden? Was ist dafĂŒr nötig? Wer ist zustĂ€ndig? Und: Wie kann es bezahlt werden? Mihai erhĂ€lt BĂŒrgergeld, das reicht nicht. Auch die Familie in RumĂ€nien hat kein Geld. Mihai regelt in den Tagen danach alles Nötige und vermittelt mithilfe von Diakonie und Bodo zwischen den Angehörigen in RumĂ€nien und den Anlaufstellen und Behörden in Deutschland.

Grosse Dunkelziffer

Wer auf der Strasse lebt, ist schutzlos vor Gewalt. Im Gegensatz zu Menschen mit Wohnung kann man Streits und Stress nicht aus dem Weg gehen, sich nicht entziehen. Wie die Antwort auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Martina Renner im Bundestag zeigte, wurden 2023 laut polizeilicher Kriminalstatistik bundesweit 885 Gewalttaten gegen obdachlose Menschen registriert – ein Anstieg von fast 37 Prozent im Vergleich zu 2018.

Die Entwicklung ist alarmierend, auch, weil sie wohl nur einen Bruchteil des tatsĂ€chlichen Ausmasses von Gewalt abbildet. Die ist alltĂ€glich, reicht von Beleidigungen und Beschimpfungen ĂŒber das Umtreten von Bettelbechern, Diebstahl, das AnzĂŒnden des Schlafplatzes, Körperverletzung bis hin zu Tötungsdelikten. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) zĂ€hlt mindestens 653 Obdachlose, die seit 1989 durch Gewalt getötet wurden. In 295 FĂ€llen waren die TĂ€ter*innen selbst nicht wohnungslos.

Bei der statistischen Erfassung von Gewalt gegen Wohnungslose ist ein grosses Dunkelfeld anzunehmen. Die BAG W erfasst ĂŒber eine Presseauswertung die Taten, ĂŒber

die in Medien berichtet wird. Die Kriminalstatistiken erfassen angezeigte Taten. Man muss aber davon ausgehen, dass die meisten Taten gar nicht erst zur Anzeige kommen. Viele GeschĂ€digte scheuen den Weg zur Polizei – weil sie Angst vor der RĂŒckkehr der TĂ€ter*innen haben, der Polizei misstrauen oder Sorge haben, erneut Stigmatisierung zu erleben und nicht ernst genommen zu werden.

Konkurrenz und Abwertung

Die politische Dimension solcher Angriffe wird in den Ermittlungen hĂ€ufig nicht berĂŒcksichtigt. Bei wohnungslosen TĂ€ter*innen ist Gewalt hĂ€ufig Folge der Belastung, die Obdachlosigkeit mit sich bringt. Mit der Pandemie haben sich die Lebenslagen vieler Betroffener verschĂ€rft, psychische Belastungen zugenommen. Wachsende Konkurrenz um knappe Ressourcen ist bei Wohnungslosen ein Grundproblem, zeigt sich in der Schlange vor der SuppenkĂŒche genauso wie bei der VerfĂŒgbarkeit von Schlafund BettelplĂ€tzen oder bei der Wohnungssuche, bei der Wohnungslose benachteiligt sind (siehe Surprise 577/24).

Bei nicht-wohnungslosen TĂ€ter*innen mĂŒssen menschenfeindliche Motive angenommen werden. In einer Studie des Instituts fĂŒr Demokratie und Zivilgesellschaft zu Hassgewalt gegen Wohnungslose erklĂ€rte Werena Rosenke, ehemalige BAG-W-GeschĂ€ftsfĂŒhrerin: Wohnungslose Menschen wĂŒrden angegriffen, weil sie wohnungslos sind und in den Augen der TĂ€ter*innen als unnĂŒtz oder minderwertig fĂŒr die Gesellschaft gelten. Die Folge: «Das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Leben wird den GeschĂ€digten aktiv abgesprochen.»

Diese Abwertung Armer und Wohnungsloser ist zwar fester Bestandteil rechter Denkmuster, jedoch kein PhĂ€nomen der extremen Rechten. Rund 20 Prozent der Befragten der «Mitte»-Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zu rechten Einstellungen in der Gesellschaft gaben 2023 an, dass Obdachlose aus FussgĂ€ngerzonen entfernt werden sollten. Auch im politischen Diskurs finden sich Ă€hnliche Positionen nicht nur bei rechten Parteien wieder: Die Diskussion um das BĂŒrgergeld, die Senkung von Leistungen und die VerschĂ€rfung von Sanktionen ist letztendlich die Debatte um die Frage, wie viel Menschen –durch Arbeit – «leisten» mĂŒssen, um ein Recht auf ein Existenzminimum zu haben. Dass der diskursiven Abwertung die physische folgt, erscheint als fast logische Konsequenz.

Bis Çetins BrĂŒche verheilt sind, wird es dauern. In einem halben Jahr muss er noch einmal operiert werden, die Hirnblutungen werden lange nachwirken. Einen Termin zur Reha-Kur hat er schon. Doch auch die psychischen Folgen sind gravierend. «Ich bin im Krankenhaus stĂ€ndig nachts schweissgebadet aufgewacht, hab davon getrĂ€umt. Die Ärzte haben mir gesagt, dass es auch psychologische Hilfe fĂŒr mich gibt.» Çetin ist seit einigen Jahren wegen Depressionen in Behandlung und weiss, was Traumata auslösen. Mit der Diakonie ist er im GesprĂ€ch ĂŒber die Möglichkeiten einer Opferberatung und anwaltlichen Beistands, wenn es zum Prozess kommt. «Ich muss das jetzt verarbeiten. Aber es tut gut, zu wissen, dass ich so viel Hilfe bekomme.»

Politik und Zahlen

Statistik Angaben zur Gewalt gegen Obdachlose fehlen in der polizeilichen Kriminalstatistik der Schweiz.

Die Situation in der Schweiz ist mit geschĂ€tzten 2200 obdachlosen Personen weniger dramatisch als in Deutschland, wie eine Studie der Hochschule fĂŒr Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) im Auftrag des Bundesamtes fĂŒr Wohnungswesen 2022 ergab. Von Wohnungsnot bedroht sind etwa weitere 8000 Menschen. Zahlen zu Gewalttaten gegen Obdachlose gibt es fĂŒr die Schweiz nicht. Delikte werden nicht nach der «Wohnform oder anderen Personenmerkmalen aufgeschlĂŒsselt», wie es etwa die Medienstelle der Kantonspolizei Bern formuliert. In der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) existieren diese Kategorien nicht. Rolf JĂ€ger von der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons ZĂŒrich betont aber: «Ich kann Ihnen versichern, dass Polizei und Staatsanwaltschaft die Gewalttaten gegen Obdachlose mit der gleichen Sorgfalt und so konsequent verfolgen wie gegen Opfer mit bekanntem Wohnsitz.»

Was fĂŒr die PKS relevant ist, ist auf Ebene des Bundes festgelegt, basiert aber auf einer engen Zusammenarbeit zwischen dem Bundesamt fĂŒr Statistik (BFS), der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) und allen kantonalen Polizeibehörden, wie Florence Scheidegger von der Sektion KriminalitĂ€t und Strafrecht am BFS sagt: «Die Erfassungsrichtlinien der PKS wurden in gemeinsamer Zusammenarbeit festgelegt.» Diese sind an sich anpassbar, eine Änderung setzt aber in der Regel einen politischen Prozess voraus, dem dann eine Konsultation folgt. Dabei wird abgeklĂ€rt, ob gewĂŒnschte Anpassungen der Statistik im Rahmen der PKS umsetzbar sind. Auch RenĂ© Gsell, KriminalkommissĂ€r der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, verweist darauf, dass auf gesellschaftliche VerĂ€nderungen reagiert werden kann: «Sollten vermehrt Straftaten gegenĂŒber einer Gruppe begangen werden, wĂŒrden entsprechende Massnahmen durch die Polizei getroffen.»

EinschÀtzungen aus der Praxis

BezĂŒglich Gewalttaten sagt Rebecca Fröhlicher von sip zĂŒri, der aufsuchenden Sozialarbeit der Stadt ZĂŒrich: «Massive körperliche Gewalt gegenĂŒber Obdachlosen und Menschen am Rand der Gesellschaft ist unserer Erfahrung nach sehr selten. Beim Tötungsfall vor drei Jahren beim GZ Bachwiesen handelte es sich glĂŒcklicherweise um einen Einzelfall.»

Wenn aber eine obdachlose Person hospitalisiert oder ambulant behandelt wird, stellt sich danach die Frage: Wo erholt sie sich? Maria Rodriguez vom Stadtspital ZĂŒrich (Waid, Triemli, Europaallee) schreibt auf Anfrage: «Wenn die Person Ă€ussert, dass sie nicht weiss, wohin sie gehen soll, wird der spitalinterne Sozialdienst einbezogen und es wird versucht, eine Anschlusslösung zu finden.»

DIANA FREI

15 JAHRE GETEILTE

LIEBE ZUR MUSIK

Ob als SĂ€nger*in oder im Publikum – der Surprise Strassenchor lĂ€sst uns hautnah erleben, dass Musik die Seele heilt. Dieses Jahr feiert er 15-jĂ€hriges JubilĂ€um.

Anfangs waren es sieben SĂ€nger*innen mit ein bis zwei Auftritten pro Jahr, heute sind es ĂŒber 30 Personen, die jĂ€hrlich rund 15 Mal auf der BĂŒhne stehen: Wir sind glĂŒcklich und stolz darauf, dass wir mit dem Surprise Strassenchor schon so lange armutsbetroffene und sozial ausgegrenzte Menschen unterstĂŒtzen können. Gemeinsam ĂŒberwinden wir immer wieder grosse Herausforderungen.

Seit der GrĂŒndung 2009 hat sich viel getan, der Kern aber ist in den 15 Jahren derselbe geblieben: An Proben, Auftritten und sozialen AnlĂ€ssen wird gesungen, getanzt, gelacht oder auch mal geweint – immer gemeinsam. Unsere SĂ€nger*innen erleben die positive Wirkung der Gemeinschaft, und durch die professionelle Begleitung können wir ihnen bei Bedarf mit konkreter Hilfe bei kleineren und grösseren Aufgaben und Problemen beistehen.

Dass das funktioniert, zeigen nicht zuletzt auch die zahlreichen positiven Reaktionen, die wir jeweils nach den Auftritten erhalten. Die grosse Leidenschaft und die ausgestrahlte Lebensfreude wirken ansteckend und sorgen fĂŒr strahlende Gesichter und auch GĂ€nsehaut im Publikum. Wir bedanken uns ganz herzlich fĂŒr die UnterstĂŒtzung in den letzten 15 Jahren und freuen uns auf die gemeinsame Zukunft!

1 – Zusammenkommen

Musik verbindet. Das erleben die – aus ĂŒber 15 Nationen stammenden! – SĂ€nger*innen des Surprise Strassenchors bei jeder Probe, jedem Auftritt und jedem Treffen. Foto eines «Film- und Pasta-Abends» 2012.

2 – Im Rampenlicht

Unser Strassenchor gehört zu den meistgebuchten Chören der Region Basel. Dabei braucht es eine gehörige Portion Mut, im Rampenlicht zu stehen und zu singen. Dass dies auch viel Spass macht, zeigt dieses Bild vom Auftritt des «Adventskalender»-Beitrags im Theater Basel 2022 –vor vollem Haus!

3 – Begegnungen

Durch den Austausch mit weiteren Angeboten von Surprise und anderen Organisationen können wichtige Erfahrungen und Inputs geteilt werden. FĂŒr die Angebotsteilnehmer*innen sind die Begegnungen wertvolle Erlebnisse –wie hier anlĂ€sslich einer Kooperation mit «The Grand Choir» aus Augsburg, Deutschland im September 2024.

4 – RĂŒckhalt

Unsere Mitarbeiter*innen unterstĂŒtzen die SĂ€nger*innen nicht nur mit ehrlicher WertschĂ€tzung, sondern auch mit professioneller, niederschwelliger Beratung und Begleitung. Sie sind jederzeit fĂŒr ein GesprĂ€ch zugĂ€nglich – auch und gerade kurz vor einem Auftritt 2023 in Basel.

5 – Ein musikalisches Zuhause

Zahlreiche unserer SÀnger*innen sind schon viele Jahre dabei und möchten das wertvolle Miteinander mit den Leiter*innen Paloma Selma, Marco Gioco und Rhea Hindermann nicht mehr missen. Somit ist sicher, dass der Surprise Strassenchor auch in Zukunft durch die Kraft der Musik armutsbetroffene und sozial ausgegrenzte Menschen zusammenbringt! Erstes Chor-Gruppenbild 2009, damals unter der Leitung von Michael Pfeuti.

Verantwortliche

Paloma Selma, Angebotsleitung

Marco Gioco, Beratung und Begleitung

Rhea Hindermann, Musikalische Leitung

NĂ€chste Auftritte

17. Okt., 19 Uhr, KLĆžCK, Basel

3. Nov., 14.30 Uhr, Alters- und Pflegeheim Madle in Pratteln

30. Nov., 14 Uhr, Adventsmarkt beim Zwinglihaus, Basel

Kontakt und weitere Informationen paloma.selma@surprise.ngo 061 564 90 41 surprise.ngo/strassenchor

«Angst verÀndert die Menschen»

Literatur Der syrische Autor Shukri Al Rayyan erzĂ€hlt in seinem Roman «Nacht in Damaskus» von einem Liebespaar, das wĂ€hrend des Arabischen FrĂŒhlings durch eine Tasche voller Geld in grosse Gefahr gerĂ€t.

Der Roman «Nacht in Damaskus» spielt kurz vor dem Ausbruch der Revolution in Syrien im Jahr 2011. Im Zentrum stehen Dschawad und Lamis, zwei junge Menschen, die sich bei der Arbeit verlieben. Als ihr Chef Aiman, ein dubioser GeschĂ€ftsmann, stirbt, nimmt Dschawad heimlich eine Geldtasche aus dem BĂŒro des Toten an sich. Dadurch gerĂ€t er in den Fokus der Polizei und der berĂŒchtigten syrischen Geheimdienste. Und schon wird die junge Beziehung auf eine harte Probe gestellt.

Verpackt in eine vielschichtige Handlung zeigt Shukri Al Rayyan in seinem ersten ins Deutsche ĂŒbersetzten Buch, wie Korruption und WillkĂŒr das Leben der Menschen in Syriens Hauptstadt mit Angst vergiften.

INTERVIEW MONIKA BETTSCHEN

Shukri Al Rayyan, Sie erzĂ€hlen mit Ihrem Roman eine Liebesgeschichte. Gleichzeitig wird immer wieder das Klima der Angst und des Misstrauens spĂŒrbar. Weshalb war Ihnen das wichtig?

Shukri Al Rayyan: In den Jahren und Jahrzehnten vor der Revolution hat das Assad-Regime systematisch ein Reich der Angst errichtet, das sich bis in das Privatleben der Menschen erstreckte. Dschawad und Lamis könnten sich unter anderen UmstĂ€nden eine gemeinsame Zukunft aufbauen. Doch stattdessen sind sie gefangen in ihren Positionen, die durch ihre soziale Schicht, Religionszugehörigkeit und finanzielle Situation vorgegeben sind. Dschawad hat kein Geld fĂŒr eine Heirat und aus sozialen und kulturellen GrĂŒnden auch kaum

Aufstiegschancen. Lamis gehört zur herrschenden religiösen Gruppe der Alawit*innen. Sie wurde von ihrem Chef Aiman eingestellt, weil er ein Auge auf sie geworfen hat und auch, weil sie mit dem LeibwÀchter eines hochrangigen FunktionÀrs verwandt ist.

So funktionierte diese Gesellschaft?

Ja, man versuchte, sich um der Karriere willen oder um mehr Einfluss zu gewinnen mit der herrschenden Schicht gut zu stellen. Doch die meisten taten dies, weil sie sich davor fĂŒrchteten, dass sie andernfalls von der Polizei und den Muchabarat, den Geheimdiensten, verhaftet und gefoltert werden könnten. Angst verĂ€ndert die Menschen. Als Dschawad die Geldtasche neben dem toten Chef findet, wagt er nicht, die Polizei zu rufen, weil er Angst hat, gefoltert zu werden. Alle in Syrien wissen, dass Polizeibeamte willkĂŒrlich Leute verhaften. Sie schĂŒchtern die Bevölkerung ein, um ihr Ansehen zurĂŒckzugewinnen, nachdem die Muchabarat sich auf ihre Kosten immer mehr Macht angeeignet hatten. Und dabei noch schlimmer vorgingen als die Polizei.

Im Vorwort Ihres Buches beschreiben Sie die Situation in Syrien kurz vor den Protesten 2011. Am Ende gibt es ein Glossar mit Begriffen, die die Strukturen der syrischen Gesellschaft erlÀutern.

Kamen diese Elemente nachtrĂ€glich hinzu, weil «Nacht in Damaskus» ursprĂŒnglich nicht fĂŒr ein europĂ€isches Publikum gedacht war?

Ich verfasste die Outline, die erste ErzĂ€hlskizze, bereits 2004, als ich noch in Syrien lebte, wagte danach aber nicht, auch nur einen weiteren Satz hinzuzufĂŒgen. Ich versuchte es manchmal, aber es ging nicht. Wenn man jahrelang unter einer Gewaltherrschaft lebt, geht es vor allem darum, zu ĂŒberleben. Unter einem solchen Druck kann man sich nicht Ă€ussern. Erst als 2011 die Revolution gegen das Assad-Regime ausbrach, schrieb ich die erste Fassung der Geschichte innerhalb von acht Monaten nieder. Da das Buch nun in der Schweiz erschienen ist, brauchte es dieses Vorwort und das Glossar, damit auch eine westliche Leserschaft die MachtverhĂ€ltnisse in Syrien nachvollziehen kann.

Die Revolution verlieh Ihnen damals die Kraft, die Arbeit an der Geschichte wieder aufzunehmen?

Ja, sie gab mir meine Stimme zurĂŒck, als ich in Damaskus an den ersten friedlichen Protesten teilnahm und gemeinsam mit tausenden anderen Menschen meine Stimme erhob, um Freiheit zu fordern. Es war wie ein Wunder: In diesem Moment bekam ich sie tatsĂ€chlich zurĂŒck.

Aber die Proteste wurden von den SicherheitskrĂ€ften niedergeschlagen. Und kurz danach begann der Krieg, weswegen Sie mit Ihrer Familie fliehen mussten. Ich meine hier auch nicht die politische Freiheit, sondern die individuelle Freiheit. Der erste Tag der Revolution stiess in mir eine innere Wandlung an, deren Kreis sich Jahre spĂ€ter hier in der Schweiz geschlossen hat. Bis zu den Protesten war die Lebensfreude von uns Syrer*innen tief in unseren Seelen gefangen. Es ging nicht nur um Politik, sondern auch um alle anderen Aspekte des Lebens. Hier in Europa kann ich ohne Angst laut auf der Strasse lachen. Vor 2011 war ich ein verĂ€ngstigter BĂŒrger, der in einer Tyrannei lebte. Aber als die Revolution begann, bekam ich den alten Shukri zurĂŒck, und ich begann wieder zu schreiben. Ich wollte dabei ĂŒber jene Erfahrungen sprechen, die wir damals durchlebt hatten. Es war wie eine Botschaft, die hinausmusste und die ich in meine Geschichte einbetten wollte. So wurde das Schreiben fĂŒr mich auch zu einem Akt des Widerstandes.

«Es war wie ein Wunder: Im Moment der Revolution bekam ich meine Freiheit zurĂŒck.»

Sie leben seit 2014 in der Schweiz. Wie war es fĂŒr Sie, sich mit Unterschieden zwischen der arabischen und der westlichen ErzĂ€hltradition auseinanderzusetzen?

FĂŒr «Nacht in Damaskus» habe ich nicht einen modernen narrativen Aufbau verwendet, sondern ich habe das Buch im Stil eines GeschichtenerzĂ€hlers geschrieben, eines Hakawati. In der arabischen Welt gibt es diese alte Tradition, in der solche Leute zum Beispiel in KaffeehĂ€usern Geschichten erzĂ€hlen. Oft sind das Schachtelgeschichten, in denen eine ErzĂ€hlung selbst wieder eine ErzĂ€hlung beinhaltet, wie in der Sammlung «Tausendundeine Nacht». Dieser Tradition folgend tragen alle meine Charaktere nicht nur zur Hauptgeschichte bei, sondern haben auch ihre eigenen Geschichten. Alle Figuren sind gleichwertig und fĂŒgen dem Gesamtbild der syrischen Gesellschaft weitere Aspekte hinzu. Sie sind wie Perlen, zwischen denen ein Faden verlĂ€uft. Dieser Faden kann wie ein Spinnennetz durch innere und Ă€ussere EinflĂŒsse in Schwingung geraten. Sie entsprechen dem, was zwischen den Figuren geschieht. Mit meinem Schreiben möchte ich das Leben in all seinen Aspekten einfangen. Ich wollte die Syrer*innen nicht nur als Opfer der politischen UmstĂ€nde zeigen, sondern als Individuen, die sich mit allen Facetten des Lebens auseinandersetzen mĂŒssen.

So, wie auch Sie selbst nicht nur darauf reduziert werden möchten, ein syrischer GeflĂŒchteter zu sein?

Ich werde oft zuerst auf die politische Situation in Syrien angesprochen und erst danach auf andere Dinge, zum Beispiel auf meine Arbeit. Aber ich habe grosses GlĂŒck, dass ich in der Schweiz die Möglichkeit habe, mich als Schriftsteller neu erfinden

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zu können. Dass ich hier die Person sein kann, die ich sein möchte. Vielen anderen GeflĂŒchteten bietet sich eine solche Gelegenheit nicht. Sie mĂŒssen sich in einer Art und Weise neu erfinden, welche nicht ihrem Wesen entspricht. Es hĂ€ngt von den UmstĂ€nden ab, ob ein Mensch seine TrĂ€ume leben kann: ĂŒberall auf der Welt und zu jeder Zeit. Um mein Deutsch zu verbessern, lese ich gerade «Der Reisende» von Ulrich Alexander Boschwitz, worin ein jĂŒdischer Mann 1938 durch Deutschland reist, nachdem ihm die Flucht nicht gelungen ist. Diese Geschichte berĂŒhrt mich und erinnert mich an jene Tage, als wir 2011 alle am Fernsehen mitverfolgten, wie die Menschen in Tunesien, Ägypten oder Libyen ihre Stimmen gegen autoritĂ€re Regimes erhoben. Menschen, die unter einer Tyrannei leiden, sprechen die gleiche Sprache. Und wenn sie darĂŒber zu sprechen beginnen, sind sie nicht mehr Opfer, sondern gewinnen ihr Recht zurĂŒck, ihr Leben als normale Menschen zu fĂŒhren.

Shukri Al Rayyan: «Nacht in Damaskus», Edition BĂŒcherlese, Luzern 2024. Aus dem Arabischen ĂŒbersetzt von Kerstin Wilsch.

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SHUKRI AL RAYYAN geboren 1962 in Damaskus, studierte Maschinenbau und arbeitete spĂ€ter fĂŒr verschiedene Verlage sowie als TV-Produzent. 2014 ïŹ‚oh der Schriftsteller mit seiner Familie aus Syrien in die Schweiz.

Veranstaltungen

Aarau

«Bilder machen Leute: Promis vor der Linse», digitale Bilderschau, Di bis Fr, 11 bis 18 Uhr, Sa 10 bis 17 Uhr, So 11 bis 17 Uhr, Stadtmuseum Aarau, Schlossplatz 23. stadtmuseum.ch

Die Promifotografie gibt immer viel her in Sachen Selbstdarstellung und Dargestelltwerden. Wie wird mit der Pressefotografie VolksnĂ€he erzeugt und wie AuthentizitĂ€t vermittelt? Was erzĂ€hlt uns die Wahl des Blickwinkels, die NĂ€he zum Objekt oder der Entscheid fĂŒr Schwarz-Weiss statt Farbe? Auf der Suche nach Antworten hat das Stadtmuseum Aarau den riesigen Bilderfundus des Ringier Bildarchivs von ca. 7 Mio. analogen Pressefotografien durchforstet. (Es zeigte sich dabei ĂŒbrigens: Welche inszenierten Posen sympathisch, ernst oder seriös wirken, hat sich ĂŒber die Jahre verĂ€ndert.) Hier sind sie alle, die schillernden Protoganist*innen des People-Journalismus: Heidi Abel, Miss Schweiz, Louis Armstrong, Leichtathletinnen oder der Bundesrat beim Zopfbacken. Die digitale Bilderschau wird von einer kleinen Ausstellung im Treppenhaus begleitet, die Einblick in das Ablagesystem des Ringier Bildarchivs gibt. In einer Kooperation erhalten und vermitteln Bibliothek und Archiv Aargau und das Stadtmuseum Aarau diese Bilder gemeinsam. Als Highlight lĂ€sst das Stadtmuseum Aarau das Publikum einmal pro Monat selbstĂ€ndig mit Archivhandschuhen durch Dias, Negative und AbzĂŒge im Schauarchiv des Ringier Bildarchivs stöbern: jeweils sonntags, 20. Okt. 17. Nov., 8. Dez., 19. Jan., 16. Feb. und 9. MĂ€rz, 14 bis 17 Uhr. DIF

ZĂŒrich

«Der Elefant ist der Raum», Ausstellung, Sa, 5. Okt. bis Fr, 1. Nov.; Symposium Fr, 4. und Sa, 5. Oktober, ETH ZĂŒrich, Hönggerberg. ausstellungen.gta.arch.ethz.ch

Das Haus der Schweizer Familienpolitik: Wie ist es gebaut, wer hat es erbaut? Welche Familien gelten in diesem GebÀude als willkommen und welche nicht? Wer darf,

Arbeiten, unter anderem die Videoinstallation «Eugenik und ANAG –Gebildete Handlanger der Macht» von Melinda Nadj Abonji, und die Zoom-Lecture «Le Corbusier and Eugenics – It’s not a footnote». Gezeigt wird auch die Wanderausstellung «â€čWe are not aloneâ€ș: Legacies of Eugenics», die 2021 in der Wiener Holocaust Library in London eröffnet wurde und danach in den USA, in Brasilien, Polen, RumĂ€nien, Schweden, Serbien und im UK tourte. DIF

Bern

«Neutralisiert –Wie verstehen Sie die Dolmetscherin?», Dokumentartheater, Mi bis Fr, 2. bis 4. Okt., jeweils 20 Uhr, Schlachthaus Theater Bern, Rathausgasse 20. schlachthaus.ch

muss, soll und kann darin alt werden? Wer darf Kinder haben und das Haus bewohnen? Und wer nicht? – 1934 trat ein folgenreiches Gesetz in Kraft, das alle diese ModalitĂ€ten regelte: das Bundesgesetz ĂŒber Aufenthalt und Niederlassung der AuslĂ€nder (ANAG). Teil davon, und wohl am bekanntesten, war das Saisonnierstatut; aus ökonomischen GrĂŒnden wurden fĂŒr eine strikt begrenzte Zeit ArbeitskrĂ€fte rekrutiert. Wenn man den historischen Kontext dieses Gesetzes mitliest, blickt man in einen moralischen Abgrund. Das ANAG trĂ€gt völkisch-eugenische ZĂŒge. Aus rassenhygienischen GrĂŒnden wurde die FamiliengrĂŒndung und Reproduktion der Migrant*innen in der Schweiz illegalisiert. Die Ausstellung prĂ€sentiert nun wissenschaftliche und kĂŒnstlerische

SelbstportrÀt hinterfragt Zarina Tadjibaeva ihre Position. Was bedeutet es, ein neutrales Sprachrohr zu sein? Und was hat die persönliche Rolle mit derjenigen der Schweiz zu tun, die ebenso neutral ist wie die Dolmetscherin? Eine gnadenlose Konfrontation mit dem Menschen hinter seiner Arbeitsfunktion. Weitere Gastspiele 2025, siehe zarina.ch. DIF

ZĂŒrich /online

«Die Dolmetscherin ĂŒbersetzt die Fragen und Antworten, Wort fĂŒr Wort. Sie ist neutral und unparteiisch. Auf den Entscheid hat sie keinen Einfluss. Sie stellt keine eigenen Fragen.» So wird Zarina Tadjibaeva als Dolmetscherin bei einem Behördeneinsatz vorgestellt. Man könnte anfĂŒgen: Sie ist sich aber bewusst, dass sie Teil des Systems ist, das ĂŒber das Schicksal GeflĂŒchteter entscheidet. Die tadschikischstĂ€mmige KĂŒnstlerin Zarina Tadjibaeva arbeitet seit ĂŒber zwanzig Jahren als Behördendolmetscherin im Asylwesen. Sie ĂŒbersetzt fĂŒr die Justiz und Migrationsbehörden aus dem Persischen und Russischen ins Deutsche. Der Krieg in der Ukraine und die Ungleichbehandlung der GeflĂŒchteten aus anderen Kriegsregionen hat sie in eine persönliche Krise gestĂŒrzt. In einem performativen

«Art in ConïŹ‚ict», GesprĂ€chsreihe, Gessnerallee 8, Stall 6 / ZHdK, Toni-Areal, PïŹngstweidstr. 96 und online per Zoom, Eintritt frei. artasfoundation.ch/de/aktuell KĂŒnstlerische Projekte in Krisengebieten werfen heikle Fragen auf, die werden hier regelmĂ€ssig diskutiert. In der GesprĂ€chsreihe «Art in Conflict» kommen einmal pro Monat unterschiedliche Akteur*innen zusammen und reflektieren ihre Erfahrungen. Kunst kann die Aufmerksamkeit auf das richten, was sonst unausgesprochen bleibt. Und so dazu beitragen, neue gesellschaftliche Perspektiven zu entwickeln: Die Idee ist, gemeinsam eine neue Definition einer Situation zu schaffen, in der die alte RealitĂ€t nicht mehr als absolut erscheint und radikale politische VerĂ€nderungen als möglich wahrgenommen werden. So hat Kunst das Potenzial, DenkrĂ€ume zu öffnen. DarĂŒber wird in «Art in Conflict» in vielfĂ€ltiger Besetzung gesprochen (auf Englisch): Die Veranstaltungen finden vor Ort in ZĂŒrich und ĂŒber Zoom statt. (Anmeldung fĂŒr den Zoom-Link jeweils bis am Vortag per E-Mail an: info@artasfoundation.ch) Am Mi, 16. Okt.: «Community Building im fragilen Kontext» mit Shoghakat Mlke-Galstyan (Armenien, artasfoundation) und Rana Yazaji (Deutschland, artasfoundation), Gessnerallee. Am Mi, 13. Nov., «Theaterinitiativen in Kriegszeiten» mit Mira Sack (ZĂŒrcher Hochschule der KĂŒnste, Schweiz), Lena Saade Gebran (USEK’s University, Libanon) und Shebli Albau (Theaterschaffender, Schweiz), ZHdK. Mi, 11. Dez., «Wirtschaft, Krieg und die Rolle der Kunst?» mit Robert Bachmann (Public Eye, Schweiz). Mi, 15. Januar, «Conflict Engagement durch Kunst» mit Dana Caspersen (Konfliktanalytikerin, Tanzschaffende, USA), Gessnerallee. DIF

Pörtner am Toblerplatz, ZĂŒrich

Surprise-Standorte: Migros

Einwohner*innen: 447 702

Sozialhilfequote in Prozent: 4,5

Anteil auslÀndische Bevölkerung in Prozent: 33,6

Name: Der «Toblerplatz» ist benannt nach Prof. Gustav Adolf ToblerBlumer (1850–1923), Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule ZĂŒrich mit Schwerpunkt Schwachstromtechnik

Die Migros-Filiale Toblerplatz wird gerade umgebaut und ist deshalb geschlossen. Es handelt sich um eine der kleinsten der Stadt, solche LÀden wurden andernorts aufgegeben, aber hier oben, in der besten Gegend, wird die Stellung gehalten. Ob der Laden nach der Renovation grösser sein wird, wird sich zeigen. Die Quadratmeterpreise sind hoch. Die Postfiliale ist einem Discounter gewichen. Es gibt noch einen weiteren Lebensmittelladen, eine Drogerie und ein BlumengeschÀft.

Oberhalb der Tramstation steht ein kleiner, tempelartiger Bau, in dem ein Brunnen und BĂ€nke untergebracht sind, gesĂ€umt von zwei BĂ€umen. Daneben erstreckt sich die Mauer eines GrundstĂŒcks, das fast bis zur nĂ€chsten

Tramstation reicht. Heute steht eine Reihe MehrfamilienhĂ€user darauf, bis vor ein paar Jahren war es eine einzige Villa. Die Mauer und Randbepflanzung stammen noch aus jener Zeit, es gibt unterschiedliche hohe BĂ€ume, StrĂ€ucher, herabhĂ€ngender Efeu. Überhaupt ist hier die Gegend der Hecken und BĂŒsche, viele HĂ€user sind diskret zurĂŒckversetzt. Vor einem steht die Dreifachgarage offen, es sind Oldtimer mit niedrigen Nummernschildern darin zu sehen.

Entflieht man dem BaulÀrm bergauf, findet man sich in einem Àusserst ruhigen Quartier, in dem nur GÀrtner, Paketboten, Putzpersonal und HaushaltgerÀteMonteure unterwegs sind, Auch die vereinzelten Autos in der 30er-Zone sind alle gewerblich gekennzeichnet.

Hier gibt es einen kleinen, sehr schönen Park mit Spielplatz, mit herrlicher Aussicht auf den ZĂŒrichsee, mit einem gedeckten Sandkasten und einem Brunnen, in dem sich planschen liesse, SpielgerĂ€t, einem runden TĂŒrmchen und einem viereckigen HĂ€uschen, aber weit und breit ist kein Mensch zu sehen. Auf dem BetongelĂ€nder sind Mosaike eingelassen. Geometrische Figuren aus jeweils 16 Bisazza-PlĂ€ttchen. Sie erinnern an die in Paris weit verbreiteten SpaceInvader-Mosaike, die ebenfalls aus kleinen Keramik-PlĂ€ttchen bestehen. Hier sind allerdings einige beschĂ€digt, das Muster nicht mehr erkennbar.

Was mit der Zeit auffĂ€llt, ist die Stille, so ruhig ist es sonst nirgends in der Stadt. Auch von den in ZĂŒrich stets politisch umkĂ€mpften ParkplĂ€tzen hat es mehr als genug, die meisten davon unbelegt, denn die HĂ€user verfĂŒgen ĂŒber Garagen. GesĂ€umt werden die Strassen von BĂ€umen, immer wieder gibt es kleine PlĂ€tze, auf denen BĂ€nke zum Verweilen einladen. Auf einem dieser PlĂ€tze steht eine schöne alte LitfasssĂ€ule. Ein Plakat wirbt fĂŒr «Mehr BĂ€ume in allen Quartieren». Ob der Aufruf verfĂ€ngt, wird sich zeigen. Neben AppartementhĂ€usern gibt es Villen und DoppelhĂ€user, deren eine HĂ€lfte frisch renoviert ist, wĂ€hrend die andere ziemlich verwittert wirkt. Am Zaun wirbt ein Aushang fĂŒr die BiodiversitĂ€tsinitiative.

Um die BiodiversitÀt scheint es hier gar nicht schlecht zu stehen, angesichts der vielen BÀume und grossen GÀrten. Wie es mit der DiversitÀt der Anwohner*innen aussieht, lÀsst sich nicht sagen, da keine da sind. Wahrscheinlich leben auch viele Expats im Quartier, aber das ist eine blosse Vermutung, an den Klingelschildern stehen nur vereinzelt Namen. Das ist der diskrete Charme der Bourgeoisie.

STEPHAN PÖRTNER

Der ZĂŒrcher

Schriftsteller Stephan Pörtner besucht

Surprise-Verkaufsorte und erzÀhlt, wie es dort so ist.

Tour de Suisse

Die 25 positiven Firmen

Unsere Vision ist eine solidarische und vielfĂ€ltige Gesellschaft. Und wir suchen Mitstreiterinnen, um dies gemeinsam zu verwirklichen. Übernehmen Sie als Firma soziale Verantwortung.

Unsere positiven Firmen haben dies bereits getan, indem sie Surprise mindestens 500 Franken gespendet haben. Mit diesem Betrag unterstĂŒtzen Sie Menschen in prekĂ€ren Lebenssituationen dabei auf ihrem Weg in die EigenstĂ€ndigkeit.

Die Spielregeln: 25 Firmen oder Institutionen werden in jeder Ausgabe des Surprise Strassenmagazins sowie auf unserer Webseite aufgelistet. Kommt ein neuer Spender hinzu, fÀllt jenes Unternehmen heraus, das am lÀngsten dabei ist.

GemeinnĂŒtzige Frauen Aarau

TopPharm Apotheke Paradeplatz ZĂŒrich

Automation Partner AG, Rheinau

Anyweb AG, ZĂŒrich

Beat Vogel – Fundraising-Datenbanken ZĂŒrich

GemeinnĂŒtziger Frauenverein Nidau

Hausarztpraxis Tannenhof, Tann-RĂŒti

Arbeitssicherheit Zehnder, ZĂŒrich

Beat HĂŒbscher - Schreiner, ZĂŒrich

KMS AG, Kriens

Brother (Schweiz) AG, DĂ€ttwil Coop Genossenschaft www.wuillemin-beratung.ch

Stoll Immobilientreuhand AG movaplan GmbH, Baden

Maya Recordings, Oberstammheim

Madlen Blösch, Geld & so, Basel onlineKarma.ch / Marketing mit Wirkung

Scherrer + Partner GmbH www.dp-immobilienberatung.ch

Kaiser Software GmbH, Bern

BuchhaltungsbĂŒro Balz Christen, DĂŒbendorf Heller IT + Treuhand GmbH, Tenniken

Sublevaris GmbH, Brigitte Sacchi, Birsfelden

Bodyalarm GmbH - time for a massage

Möchten Sie bei den positiven Firmen aufgelistet werden?

Mit einer Spende ab 500 Franken sind Sie dabei.

Spendenkonto:

IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 Surprise, 4051 Basel

Zahlungszweck: Positive Firma und Ihr gewĂŒnschter Namenseintrag (max. 40 Zeichen inkl. Leerzeichen). Sie erhalten von uns eine BestĂ€tigung. Kontakt:

SURPLUS – DAS NOTWENDIGE EXTRA

Wie wichtig ist Ihnen

Ihre UnabhÀngigkeit?

Das Programm Einige unserer VerkĂ€ufer*innen leben fast ausschliesslich vom Heftverkauf und verzichten auf Sozialhilfe. Surprise bestĂ€rkt sie in ihrer UnabhĂ€ngigkeit. Mit dem Begleitprogramm SurPlus bieten wir ausgewĂ€hlten VerkĂ€ufer*innen zusĂ€tzliche UnterstĂŒtzung. Sie erhalten ein Abonnement fĂŒr den Nahverkehr, Ferienzuschlag und eine Grundausstattung an Verkaufskleidung. Zudem können bei ïŹnanziellen Notlagen aber auch fĂŒr Gesundheits- oder Weiterbildungskosten weitere UnterstĂŒtzungsbeitrĂ€ge ausgerichtet werden. Die Programmteilnehmer*innen werden von den Sozialarbeiter*innen bei Surprise eng begleitet.

Eine von vielen Geschichten Negasi Garahlassie gehört unterdessen schon fast zum Winterthurer Stadtbild. Seit rund 15 Jahren ist Negasi Garahlassie als Surprise-VerkĂ€ufer tĂ€tig. Entweder verkauft der gebĂŒrtige Eritreer seine Magazine auf dem Wochenmarkt oder am Bahnhof Winterthur. Der Arbeitstag des 65-JĂ€hrigen beginnt frĂŒhmorgens und dauert meist so lange, bis der abendliche Pendelverkehr wieder abgenommen hat. Zusammen mit seiner Frau und seinen zwei erwachsenen Söhnen ist er auf das Einkommen des Strassenmagazinverkaufs angewiesen, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Das SurPlus-Programm unterstĂŒtzt ihn dabei: Mit Krankentaggelder, bezahlten Ferientagen und einem Abonnement fĂŒr den Ă¶ïŹ€entlichen Nahverkehr.

Weitere Informationen gibt es unter: surprise.ngo/surplus

UnterstĂŒtzen Sie das SurPlus-Programm mit einer nachhaltigen Spende

Derzeit unterstĂŒtzt Surprise 30 VerkĂ€ufer*innen des Strassenmagazins mit dem SurPlus-Programm. Ihre Geschichten stellen wir Ihnen hier abwechselnd vor. Mit einer Spende von 6000 Franken ermöglichen Sie einer Person, ein Jahr lang am SurPlus-Programm teilzunehmen.

Spendenkonto:

UnterstĂŒtzungsmöglichkeiten:

· 1 Jahr: 6000 Franken

· œ Jahr: 3000 Franken

· Œ Jahr: 1500 Franken

· 1 Monat: 500 Franken

· oder mit einem Beitrag Ihrer Wahl.

IBAN CH11 0900 0000 1255 1455 3 | Vermerk: SurPlus Oder Einzahlungsschein bestellen: T +41 61 564 90 90

info@surprise.ngo | surprise.ngo/spenden Herzlichen Dank!

#581: Merci, Hans «Bewegte Lebensweisheiten»

Ich war tief beeindruckt von einer StadtfĂŒhrung mit Hans Rhyner. Er lĂ€sst mit etwas Schalk hinter seine wachen Augen blicken. Zwar ist er vom Leben vielseitig gezeichnet, lĂ€sst aber unbeschreiblich Wertvolles erkennen; bewegte Lebensweisheiten. Ich freue mich, mit Hans, dem «Schlawiner», zu seinen spassigen Bemerkungen beim nĂ€chsten Surprise-Kauf am Bahnhof Zug weiterhin frei lachen zu dĂŒrfen, jedes Mal ein Aufsteller fĂŒr den ganzen Tag.

ALBERT RENGGLI, Steinhausen

Impressum

Herausgeber

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Stefan Hostettler, 1to1 Media

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Redaktion

Verantwortlich fĂŒr diese Ausgabe:

Diana Frei (dif)

Klaus Petrus (kp), Lea Stuber (lea), Sara Winter Sayilir (win)

T +41 61 564 90 70 redaktion@strassenmagazin.ch leserbriefe@strassenmagazin.ch

#571: Ein anhaltender Albtraum «Sehr

berĂŒhrt»

Der Bericht von Murat TĂŒremiß hat mich sehr berĂŒhrt und das KurzportrĂ€t von Emirkan Keskin hat mich nicht mehr losgelassen. Seit 2023 setze ich mich alias «AnnA» malerisch u.a. mit Selbststigmatisierung, interpersoneller und öffentlicher Stigmatisierung, sowie struktureller und institutioneller Diskriminierung auseinander. Ich habe dem Bild den Titel «Kontemplation» gegeben. Ich selbst bin seit 2015 herztransplantiert und engagiere mich vor allem in der Freiwilligenarbeit und arbeite stundenweise fĂŒr die PHZ. In den ersten Arbeitsmarkt habe ich es somit nur bedingt geschafft – unterdessen schĂ€tze ich aber die Vorteile meines «Standes» in der Gesellschaft und komme damit gut klar.

StÀndige Mitarbeit

Rosmarie Anzenberger (Korrektorat), Simon Berginz, Monika Bettschen, Christina Baeriswyl, Hanna Fröhlich

Carlo Knöpfel, Yvonne Kunz, Isabel Mosimann, Fatima Moumouni, Stephan Pörtner, Priska Wenger, Christopher Zimmer

Mitarbeitende dieser Ausgabe

Alexandra Gehrhardt, Urs Habegger, Giovanni Lo Curto, Eva Nimke, Sebastian Sellhorst, Paloma Selma

Wiedergabe von Artikeln und Bildern, auch auszugsweise, nur mit Genehmigung der Redaktion. FĂŒr unverlangte Zusendungen wird jede Haftung abgelehnt.

Gestaltung und Bildredaktion

Bodara GmbH, BĂŒro fĂŒr GebrauchsgraïŹk

Druck

AVD Goldach

Papier

Holmen TRND 2.0, 70 g/m2, FSCÂź, ISO 14001, PEFC, EU Ecolabel, Reach

AuïŹ‚age 25 200

Abonnemente CHF 250.–, 25 Ex./Jahr

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Probe-Abo fĂŒr CHF 40.– (Europa: CHF 50.–), 4 Ausgaben Reduziert CHF 28.– (Europa: CHF 35.–)

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Der reduzierte Tarif gilt fĂŒr Menschen, die wenig Geld zur VerfĂŒgung haben. Es zĂ€hlt die SelbsteinschĂ€tzung.

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«Ich fĂŒhle mich als Teil der Familie»

«Ich bin in Asmara, Eritrea geboren. Dort habe ich die Schule bis zur 12. Klasse besucht, danach musste ich ins MilitĂ€r. Wegen Gesundheitsproblemen musste ich den Dienst abbrechen. Seit ich klein bin, wollte ich schon immer Kinder unterrichten. Leider kam es nicht so, wie ich es mir gewĂŒnscht hatte. Ich fing stattdessen an, als SekretĂ€rin zu arbeiten. Jedoch bekam ich eine andere Möglichkeit. Ich unterrichtete Kinder in einer evangelischen Freikirche im Religionsunterricht, das war aber Freiwilligenarbeit.

Weil bestimmte evangelische Gemeinden in Eritrea aber nicht anerkannt, sogar verboten sind, konnte ich meine TĂ€tigkeit als Lehrerin in der Kirche nicht fortfĂŒhren. Viele mir bekannte Pastoren wurden verhaftet und die Kirchen geschlossen. Die Gemeinde bekam viele Schwierigkeiten durch den Staat. Manche GlĂ€ubige wurden weggesperrt, andere – unter anderem auch ich – flĂŒchteten aus dem Land. Bevor ich vor zwölf Jahren in die Schweiz kam, war ich in einem Camp in Äthiopien, in der Region Tigray. Auch dort bekam ich die Chance, in evangelischen Freikirchen Kinder zu unterrichten.

Zu jener Zeit beantragte mein Bruder, der schon damals in der Schweiz lebte, bei den Behörden, dass ich nachziehen darf; als Grund konnte er geltend machen, dass ich in meinem Heimatland wegen meines Glaubens verfolgt und diskriminiert werde. So kam ich in die Schweiz. Hier konnte ich aufgrund der Sprachbarriere leider nicht als Lehrerin oder freiwillige Helferin im sozialen Bereich arbeiten. Immerhin habe ich die Möglichkeit, als Freiwillige in einer evangelischen Freikirche Kinder in meiner Muttersprache zu unterrichten.

Die Sprache ist bis heute eine grosse Herausforderung fĂŒr mich und der Grund, warum ich nicht immer da arbeiten kann, wo ich möchte. Ein anderes Problem ist meine Gesundheit. Wegen körperlichen Beschwerden konnte ich nie lĂ€nger an einem Ort arbeiten. Ein Jahr habe ich bei einem Recycling-Unternehmen gearbeitet, doch dann musste ich aufhören, denn ich hatte zu grosse Schmerzen. Als es mir besser ging, fing ich an, Deutschkurse zu besuchen. Danach arbeitete ich etwas mehr als ein Jahr in der Reinigung. SpĂ€ter hatte ich beim Forstamt einen Job im Wald. Das war aber nichts fĂŒr mich, denn diese Art der AufrĂ€umarbeit war sehr anstrengend und verschlimmerte meinen Krankheitszustand. Ich fing also wieder beim Recycling-Unternehmen an, musste dort aber erneut wegen meiner Schmerzen aufhören.

Almaz Teklehaimanot, 48, verkauft in Luzern, Rotkreuz und Arth Goldau Surprise und möchte gerne FotograïŹeren lernen.

Zu jener Zeit begann ich, Surprise-Magazine zu verkaufen – eine Arbeit, die ich trotz meiner gesundheitlichen Probleme gut machen kann. Da ich sehr flexibel bin und die Möglichkeit habe zu arbeiten, wann ich will, kann ich mich auch zurĂŒckziehen, wenn ich mal nicht so fit bin. Vor allem muss ich mich deswegen nicht schlecht fĂŒhlen, wie das bei meinen bisherigen Jobs immer der Fall war. In Zukunft möchte ich gerne einen Kurs besuchen, um Fotografieren zu lernen. Das wĂŒrde mir sehr viel Spass machen.

Ich fĂŒhle mich sehr wohl im Surprise-Team und fĂŒhle mich als Teil der Familie. Alle sind nett, hilfsbereit und optimistisch. Sie helfen mir viel, was ich sehr schĂ€tze. Die einzig negativen Erfahrungen waren, dass mir bei der Arbeit schon zweimal die Tasche gestohlen wurde.

Manchmal fragen mich die Leute, wieso ich keine Arbeit habe. Das irritiert mich. Dann antworte ich ihnen, dass der Verkauf von Surprise meine Arbeit ist. Auch wenn meine Kund*innen mal keine Magazine kaufen, freue ich mich, sie zu sehen. Die Leute sind sehr aufmerksam. Wenn ich mal krank bin, rufen sie mich an und fragen, wie es mir geht. Einige von denen, die meine Nummer nicht haben, haben sogar schon beim Coop nachgefragt, was mit mir los sei und warum ich in letzter Zeit so oft fehle. Das berĂŒhrt mich sehr und ich möchte mich fĂŒr all die Liebe bedanken, die mir von diesen Leuten entgegengebracht wird.»

Aufgezeichnet von HANNA FRÖHLICH

FOTO: BODARA

CafĂ© Surprise – eine Tasse SolidaritĂ€t Zwei bezahlen, eine spendieren.

BETEILIGTE CAFÉS

IN AARAU Naturama Aargau, Feerstr. 17 | the green corner, Rain 27 IN ALSTÄTTEN Familien- und Begegnungszentrum Reburg, Rathausplatz 1 Zwischennutzung GĂ€rtnerei, Schöntalstr. 5a IN ARLESHEIM CafĂ© Einzigartig, Ermittagestr. 2 IN BAAR Elefant, Dorfstr. 1 IN BACHENBÜLACH Kafi Linde, Bachstr. 10 IN BASEL BĂ€ckerei KULT, Riehentorstr. 18 & ElsĂ€sserstr. 43 | BackwarenOutlet, GĂŒterstr. 120 | Barista Bar Basel, Schneidergasse 16 | Bioladen Feigenbaum, Wielandplatz 8 | Bohemia, Dornacherstr. 255 | CafĂ© Spalentor, Missionsstr. 1 | Didi Offensiv, Erasmusplatz 12 | EiscafĂ© Acero, Mörsbergerstr. 2 Elisabethen, Elisabethenstr. 14 | FAZ Gundeli, Dornacherstr. 192 | Flore, Klybeckstr. 5 | frĂŒhling, Klybeckstr. 69 | Haltestelle, Gempenstr. 5 | HausBAR Markthalle, Steinentorberg 20 | KLARA, Clarastr. 13 | L’Ultimo Bacio Gundeli, GĂŒterstr. 199 | Oetlinger Buvette, Unterer Rheinweg | Quartiertreffpunkt Hirzbrunnen, Im Rheinacker 15 | Quartiertreff KleinhĂŒningen, KleinhĂŒningerstr. 205 | Quartiertreff Lola, Lothringerstr. 63 | Shöp, GĂ€rtnerstr. 46 | Tellplatz 3, Tellplatz 3 Treffpunkt Breite, ZĂŒrcherstr. 149 | Wirth’s Huus, Colmarerstr. 10 IN BERN Äss-Bar, Marktgasse 19 | Becanto, Bethlehemstr. 183 | Boulderbad Muubeeri, Maulbeerstrasse 14 | Brasserie Lorraine, Quartiergasse 17 | Burgunderbar, Speichergasse 15 | CafĂ© Kairo, Dammweg 43 | CafĂ© Paulus, Freiestr. 20 | DOCK8, Holligerhof 8 | DreigĂ€nger, Waldeggstr. 27 | Generationenhaus, Bahnhofplatz 2 | Hallers brasserie, Hallerstr. 33 | Kinderkiosk, Monbijoupark | Lehrerzimmer, Waisenhausplatz 30 | LoLa, Lorrainestr. 23 | Löscher, Viktoriastr. 70 | Luna Lena, Scheibenstr. 39 | MARTA, Kramgasse 8 | MondiaL, Eymattstr. 2b Phil’s Coffee to go, Standstr. 34 | Rösterei, GĂŒterstr. 6 | Sous le Pont, NeubrĂŒckstr. 8 | Treffpunkt Azzurro, Lindenrain 5 | Tscharni, Waldmannstr. 17a IN BIEL Äss-Bar, Rue du Marché 27 | GenusskrĂ€merei, RathausgĂ€ssli 4 | Inizio, Freiestrasse 2 | Treffpunkt Perron bleu, Florastrasse 32 IN BURGDORF Bohnenrad, Bahnhofplatz & Kronenplatz | KafiFritz, mobiles Kaffee-Dreirad | Specht, Hofstatt 5 IN CHUR LoĂ«, Loestr. 161 IN DIETIKON Mis Kaffi, Bremgartnerstr. 3a IN FRAUENFELD Be You CafĂ©, Lindenstr. 8 IN HAUSEN AM ALBIS CafĂ© Palaver, Törlenmatt 1 IN LENZBURG Chlistadt Kafi, Aavorstadt 40 | feines Kleines, Rathausgasse 18 IN LIESTAL Bistro im Jurtensommer, Rheinstr. 20b IN LUZERN Arlecchino, Habsburgerstr. 23 | Bistro VogelgĂ€rtli, Sempacherstr. 10 | Blend Teehaus, Furrengasse 7 | Jazzkantine zum Graben, Grabenstr. 8 | Markt WĂ€rchbrogg, Alpenquai 4 & Baselstr. 66 | Meyer Kulturbeiz & MairĂŒbe, Bundesplatz 3 Netzwerk Neubad, Bireggstr. 36 | Pastarazzi, Hirschengraben 13 | Rest. WĂ€rchbrogg, Alpenquai 4 | Sommerbad VoliĂšre, Inseliquai IN MÜNCHENSTEIN BĂŒcher- und Musikbörse, Emil-Frey-Str. 159 IN NIEDERDORF MĂ€rtkaffi am FritigmĂ€rt IN OBERRIEDEN Strandbad Oberrieden, Seestr. 47 IN OBERWIL IM SIMMENTAL Gasthaus Rossberg, Rossberg 557 IN SCHAFFHAUSEN Kammgarn-Beiz, Baumgartenstr. 19 IN SISSACH Cheesmeyer, Hauptstrasse 55 IN STEFFISBURG Offenes Höchhus, Höchhusweg 17 IN STEIN AM RHEIN Raum 18, Kaltenbacherstr. 18 IN ST. GALLEN S’Kafi, Langgasse 11 IN SUHR Alter Konsum, Bachstrasse 72 IN UEKEN Marco’s Dorfladen, Hauptstr. 26 IN UETIKON AM SEE Fridies Cafi-Bar, Weingartenstrasse 1 IN USTER al gusto, ZĂŒrichstrasse 30 Kafi Domino, Gerbestrasse 8 IN WIL Caritas Markt, Ob. Bahnhofstr. 27 IN WINTERTHUR Bistro Sein, Industriestr. 1  IN ZOLLIKOFEN CafĂ© Mondial, Bernstrasse 178 IN ZUG BauhĂŒtte, Kirchenstr. 9 | Podium 41, Chamerstr. 41 IN ZÜRICH Barista Bar Sihlpost, Kasernenstrasse 97 | Bistro Karl der Grosse, Kirchgasse 14 | CafĂ© Noir, Neugasse 33 | CafĂ© ZĂ€hringer, ZĂ€hringerplatz 11 | Cevi ZĂŒrich, Sihlstr. 33 | das GLEIS, Zollstr. 121 | Flussbad Unterer Letten, Wasserwerkstr. 141 | Freud, Schaffhauserstr. 118 | GZ Bachwiesen, Bachwiesenstr. 40 | GZ Wipkingen, Breitensteinstr. 19a | GZ Witikon, Witikonerstr. 405 jenseits im Viadukt, Viaduktstr. 65 | Kiosk Sihlhölzlipark, Manessestr. 51 | KleinwĂ€scherei, Neue Hard 12 | Kumo6, Bucheggplatz 4a | Quartiertr. Enge, Gablerstr. 20 | Quartierzentr. SchĂŒtze, Heinrichstr. 238 | Sport Bar Cafeteria, Kanzleistr. 76 | TĂ€glichbrot, Friesenbergplatz 5 | Zum guten Heinrich Bistro, Birmensdorferstr. 431

Weitere Informationen: surprise.ngo/cafesurprise

SOZIALE STADTRUNDGÄNGE

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Menschen, die Armut, Ausgrenzung und Obdachlosigkeit aus eigener Erfahrung kennen, zeigen ihre Stadt aus ihrer Perspektive und erzÀhlen aus ihrem Leben. Authentisch, direkt und nah.

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