SUMO #36

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„Propaganda liegt in der Natur des Missionierens“ Während alte Religionen den digitalen Wandel verschlafen haben, schaffen es andere, Social Media für ihre Zwecke zu nutzen. SUMO sprach mit Gert Pickel, Religionssoziologe an der Universität Leipzig, Frederik Elwert, „relNet“-Projektkoordinator der Ruhr-Universität Bochum, und Fabian Reicher, Sozialarbeiter der Extremismus-Beratungsstelle in Wien, über Religionspropaganda und Extremismus in sozialen Medien. „Facebook“, „Twitter“, „Instagram“… – laut „DataReportal“ benützte im Juli 2020 jeder zweite Mensch auf der Welt Social Media. Obwohl soziale Medien in den vergangenen Jahren ein zentraler Bestandteil der postmodernen Kultur geworden sind, gibt es immer noch Bereiche, die von der Digitalisierung diesbezüglich nicht erreicht wurden. Ein Beispiel dafür ist Religion, allen voran die großen westlichen Kirchen. Diese zeigen sich nach wie vor zaghaft und weisen noch keine fundierte Social Media-Präsenz auf. „Die klassischen Kirchen tun sich noch etwas schwer. Die großen Volkskirchen sind eher wie Tanker und keine Schnellboote, sie bewegen sich sehr langsam. In vielen Gemeinden hängt es dann von den einzelnen Pfarrern ab“, erläutert Religionssoziologe Gert Pickel bildhaft. Es gebe sehr „Instagram“- und „Twitter“-affine Pfarrer und bestimmt auch solche, die im Umgang mit Computern absolut nicht firm seien. Laut Pickel arbeite man sich stückchenweise in den Bereich hinein. Vor allem für Mainstream-Kirchen sei Social Media schwer handzuhaben. Dies sei darauf zurückzuführen, dass sowohl die Kernanhängerschaft der Kirchen nicht mehr die jüngste sei und nicht unbedingt sicher betreffs Social Media. Frederik Elwert, Koordinator des Projektes „relNet“ – „Modellierung von Themen und

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Strukturen religiöser Online-Kommunikation“ – sieht das ähnlich: „Die sozialen Medien fungieren nach einer anderen Logik, die nicht mit der Logik vieler Religionsgemeinschaften kompatibel ist. Bei der Frage wie ein Influencer Gehör erhält und sich eine Followerschaft aufbaut, muss das nicht der sein, der einen theologischen Grad hat und ein kirchliches Amt bekleidet. Sondern es sind dann vielleicht gerade eben nicht diese Personen.“ Obwohl sich die traditionellen Glaubensgemeinschaften mit dem Umstieg in soziale Netzwerke schwertäten, rät Pickel dennoch: „Man sollte es auf jeden Fall machen, aber sich auch nicht zu viel davon versprechen. Religionen sind ein sehr soziales Geschäft, persönlicher Kontakt ist dort sehr zentral.“ Es sei eine Möglichkeit Kontakte herzustellen, die man anschließend Face-to-Face vertiefen könne. Laut Pickel liege das Problem dabei, dass Social Media sehr persönlichkeitsorientiert seien. Dies würde es zwar erlauben, einzelnen Pfarrern sehr gut zu handeln, erschwere es aber einer riesigen Institution wie einer Kirche. „Da kommt man dann schnell steif, starr oder sogar peinlich rüber“, fügt Picke hinzu. Ein Beispiel für einen Priester, der einen modernen Umgang mit Social Media pflegt und großen Erfolg damit erzielt

„Propaganda liegt in der Natur des Missionierens“

ist Reverend Christopher Lee von der Church of England. Er ist bekannt für Beiträge auf „YouTube“ und „Instagram“, wo er über sein Leben und seinen Glauben spricht. Seit nun über fünf Jahren hat er seinen „Instagram“-Account und konnte in der Zeit 177.000 AbonnentInnen gewinnen. In einem Interview mit „The Guardian“ (20.06.2020) erzählte er, was er alles teile: „On Instagram I share all the things I love – sport, my family, God – but I don’t do ‘cut-and-paste church’. You won’t find long sermons from me”. Obwohl man den Zug bisher verpasst habe, seien die Kirchen laut Pickel gerade dabei, sich besser aufzustellen. Ein weiteres positives Beispiel dafür ist Papst Franziskus selbst. Neben einem „YouTube“-Kanal namens „Vatican News“ ist der Vatikan, insbesondere der Papst selbst, auf „Instagram“ und „Twitter“ aktiv und hat auf beiden Plattformen 7,5 Mio. sowie 18,8 Mio. FollowerInnen. Laut dem Artikel „Kirche 2.0 – Religion im Zeitalter von Social Media“ von Katrin Lückhoff („kingkalli.de“, 03.03.2017) sitze er zwar nicht persönlich am Smartphone und schreibt Tweets, sondern er habe ein Social Media-Team. Er entscheide jedoch über den Text und die Bilder, die sein Team ihm vorlege. Untätig seien beispielsweise die Evangelische Kirche Deutschlands oder die Katholische Kirche zwar nicht, jedoch


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