SUMO #36

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© Copyright: Juliana Steiger

Fachmagazin des Bachelor Studiengangs Medienmanagement der FH St. Pölten

Medienkrisen / Krisenmedien Ausgabe 36 - März 2021 -


Medienmanagement studieren heißt die Zukunft der Medien mitgestalten. Wissen, was morgen zählt.

Medienmanagement · Bachelorstudium: 6 Semester · Vollzeit Schwerpunkte · Content Management · Marketing und Sales

© Martin Lifka Photography

· Strategisches Management

Jetzt informieren: 2

Thema

fhstp.ac.at/bmm


» Editorial von Roland Steiner

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» Wenn es wirklich wichtig ist: lieber digital? von Lukas Pleyer

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» Umweltkrisenberichterstattung - überbewertet oder Zukunft? von Julia Allinger

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» Das wirtschaftliche Standing professioneller Fotografie von Ida Stabauer

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» Krisen im Schattendasein der Medien von Karin Pargfrieder

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» „Reporter ohne Grenzen“ - oder doch mit?

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von Kristina Petryshche

» Jobunsicherheit: „Goldene Ära des Journalismus ist vorbei“ von Christiane Fürst

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» Satire als Gegenmittel in Krisen von Christian Krückel

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» Auf der Suche nach Schnäppchen über Vergleichsportale von Laura Sophie Maihoffer

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» Keine Zukunft für Musikmedien? von David Pokes

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» „Propaganda liegt in der Natur des Missionierens“ von Alexander Schuster

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» Auf der Flucht vor der Krise von Christian Krückel

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» Modern Loneliness: Zwischen Likes und Einsamkeit von Lisa Schinagl

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» Filmregulierung: Zum Wohle der Kinder? von Simone Poik

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» Journalismus heute: Alles geklaut und gelogen? von Matthias Schnabel

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» Zwischen Liebe und Hass - Das Geschäft mit der Privatsphäre der Stars von Michael Geltner

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» Close up (or down), Cinema?! von Julia Gstettner

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» Wird nur noch bildlich gesprochen oder ist da doch zu viel Druck? von Annika Schnuntermann

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» Der Traum der europäischen Datensouveränität von Matthias Schnabel

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» Steckt der österreichische Film in der Krise? von Raphaela Hotarek

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» Die Facetten der Angstlust von Viktoria Strobl

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» Man nehme einen Goldesel... oder etwa nicht? Europäische Filmfinanzierung von Simone Poik

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» Kaufen oder nicht kaufen? - Testmagazine verraten es uns von Manuela Schiller

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» GIS Pfui, Pay TV/Streaming Hui?! von Julia Gstettner

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Inhalt

Inhalt

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Editorial lässt sich unter anderem so erklären: Informationsmedien sollen ihre demokratiepolitischen Aufgaben der Kontrolle und Kritik, Aufklärung und Bildung erfüllen, was vieler Ressourcen bedarf – die Medienunternehmen müssen jedoch diese Ressourcen jedoch erst auftun. Dieser Spagat wird schwieriger aufgrund veränderter Rezeptionsweisen, aufgrund hinzugekommener „sozialer Medien“ ohne journalistische Professionalität und Entlohnung, etc. Obwohl sich das zeitliche und bisweilen auch finanzielle Budget gerade im Unterhaltungssegment (z.B. Streaming, Gaming), welches NutzerInnen für Medien buchstäblich in Kauf nehmen, erhöht hat, verbleibt die Gewohnheit an der Gratisnutzung via Internet. Die SUMO-Redaktion hat sich mit dieser Ausgabe das Ziel gesetzt, Krisen in der Branche multiperspektivisch zu betrachten und positive Auswege wie Gegenbeispiele auszuloten. Multiperspektivisch bei SUMO heißt stets: mehrere Mediengattungen abdeckend und basierend auf Interviews mit ExpertInnen und Studien. Alle Teams, in denen die Studierenden der Praxislabore „Journalistische Arbeitsweisen“ bzw. „Medienmanagement“ und jene des Freifachs „Medien-Fachmagazin SUMO (Print und Online)“ tätig waren haben Bravouröses geleistet: Sales, Distribution, Bildredaktion, Printproduktion, Onlineproduktion, Unternehmenskommunikation – GRAZIE MILLE! Und als RedakteurInnen haben sie Ihnen, werte Leserin und werter Leser, spannende Themen aufbereitet: Digitale Briefkästen, Religionspropaganda, Vergleichsportale, Eskapismus und Angstlust, Krisen im Schattendasein der Medien, Satire als Antidot zu Krisen, Umweltberichterstattung, Jobunsicherheit in der Branche, Paparazzi, soziale Medien zur Einsamkeitsprävention, die Zukunft von Musikmedien, Film und dessen Selbstregulierung, Kinos und Fotografie, u.v.m. Das SUMO-Team wünscht Ihnen eine interessante Lektüre in besser werdenden Zeiten,

FH-Prof. Dr. Johanna Grüblbauer

FH-Prof. Mag. Roland Steiner Praxislaborleiter Print Chefredakteur SUMO

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Studiengangsleiterin Bachelor Medienmanagement

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Liebe Leserin, lieber Leser! Es begann mit „Asterix“ und Kinderbüchern des Rowohlt Verlags, ehe den Zwölfjährigen die „Kleine Zeitung“ und dank einer Mutter als Ordinationsgehilfin die Wartezimmer-Zeitschriften interessierten (Adels-Klatsch & Promi-Tratsch, auch der damals noch nicht ramponierte „Stern“). Schon selbstbestimmter gesellte sich das Abo der Musikzeitschrift „Rennbahn-Express“ hinzu, um sich danach zu distinguieren mittels „SPEX“ und „New Musical Express“. Vom Bildschirm schimmerten „Die Sendung mit der Maus“ und echte Tier-Dokus (oder der „Tatort“ dank Opa), später „Zeit im Bild“ und „Ohne Maulkorb“. Aus dem Radio erklangen die „Ö3-Hitparade“ und Cortis „Schalldämpfer“. Welch Offenbarung an Welt für ein Kleinstadtkind in den 1980ern, ein Horizont an Sekundärerfahrungen tat sich auf und der „Möglichkeitssinn“! 1990 dann, Einführungsvorlesung am Wiener Publizistik-Institut: Prof. Langenbucher referiert im mit 1.000 auf den Journalismus-Beruf erpichten Erstsemestern gefüllten Audimax eine Statistik u.a. über Sucht- und Scheidungsraten von JournalistInnen, ökonomische Krisen im Mediensystem. Und daraus sollten wir Sinn stiften? Bitte verzeihen Sie mir das persönliche Pathos, aber Medienkrisen gibt es nicht erst seit dem C-Jahr. Nach der Revolution 1848 wurden in Österreich-Ungarn hunderte Zeitungen gegründet – und bald wieder vom Markt genommen. Zensur und Überwachung der Medien gibt es heute noch – auch in Demokratien. Wir Studierenden saßen stundenlang in einem Kaffeehaus – um für die Nutzung von Zeitungen und Zeitschriften nichts zu bezahlen. Die Minderbezahlung von Medienschaffenden erhielt bloß einen neuen Namen: Prekariat. „Video killed the Radio Star“ – und Streaming „erledigt“ das Kino? Die Medienbranche befand sich seit ihrem Entstehen in einem Wandel. Warum gerade der Journalismus – insbesondere im Print-Bereich – so krisenanfällig ist,

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Editorial


Wenn es wirklich wichtig ist: lieber digital?

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Ob als Brief, als E-Mail oder Nachricht in einem Messenger-Dienst. Brisante Informationen mit den richtigen Personen zu teilen kann wahrlich Berge versetzen, gewissen CEOs den Tag verderben oder gar Regierungen in Bedrängnis bringen. Nur wie, ohne dass man selbst dafür zu Rechenschaft gezogen wird? Zeit für SUMO, sich Leaking-Plattformen bzw. digitalen Briefkästen und deren Bedeutung zu widmen. Sonntagmorgen. Heute werden sicherlich wenig Menschen auf den Straßen Wiens unterwegs sein, immerhin ist Lockdown. Gute Bedingungen, nicht gesehen zu werden. Die Tasche ist gepackt, die Kaffeetasse leer und die Lichter in der Wohnung sind abgedreht. Auf zu einem Postkasten, aber wo findet man einen? In der Postfiliale in der Weintraubengasse ist bestimmt einer, allerdings würde man da auf den Überwachungsaufnahmen zu sehen sein. Als schon mit Winterjacke in der Tür Stehender nochmal das Handy rausgeholt und nachgesehen, naja, sofern es funktionieren würde. Der Standortfinder der Post ist nicht auf Handys abgestimmt – also Laptop nochmal hochfahren und nachsehen. Aja, gleich um die Ecke, sehr gut! Dann kann ja nichts mehr schief gehen. Kurz vor Verlassen des Hauses läuft einem der Nachbar über den Weg: man kommt ins Gespräch und verlässt gemeinsam das Haus. Man unterhält sich über aktuelle Themen wie Corona oder die Baustelle im Haus, die allen auf die Nerven geht. „Das war ja früher mal ein Puff, bis die Hausverwaltung sie hat rauswerfen lassen – kommt davon, wenn man die Miete nicht bezahlt“, sagt er mit erheitertem Gemüt. „Ich habe mir einen Coronabart wachsen lassen“, erklärt der pensionierte Ur-Wiener und streift sich dabei über diesen. „Wofür rasieren, man darf ja eh nichts machen darf. Was für Zeiten! Bin ich gespannt, wann dieses Lokal endlich aufsperrt und ob überhaupt. Der Besitzer meinte, er lädt uns ein, sobald es fertig ist. Hoffentlich auf mehr als nur ein Achterl“, fährt er scherzend fort. Das Wetter ist typisch für Wien: Grau in Grau. Es hat 10 Grad und es riecht nach Herbst, obwohl es Winter ist. Man geht gemeinsam Richtung Heinestraße Ecke Mühlfeldgasse, wo sich der nächstgelegene Briefkasten befindet. Er ist weniger daran interessiert, etwas abzusenden, eher etwas abzustauben; die Sonntagsausgaben von „Kurier“, „Krone“ und „Österreich“ – aber ohne Geld einzuwerfen, versteht sich ja. Der Postkasten ist mit Graffiti beschmiert und sieht eher danach aus, als ob er die besten Stunden seines Daseins

schon erlebt hätte. „Entleerung MontagFreitag, 16:00“ steht auf einem Zettel hinter einer kleinen zerbrochenen Scheibe. Ist der Nachbar schon weg? Sehr gut, dafür warten einige andere auf die Buslinie 5B. Das Bauchgefühl drängt zum nächsten Briefkasten. Bei einem deutlich „gesünder“ aussehenden Postkasten angekommen, sind Sticker zu erkennen. „Team Christkind“ steht darauf – hoffentlich wird Weihnachten noch etwas. Der Blick auf das Infokärtchen hinter der intakten Glasscheibe ist zwar möglich, allerdings etwas verärgernd. Neben der Tatsache, dass auch dieser Postkasten erst am Montag um 16:00 entleert wird steht auch noch daneben mit Edding draufgeschmiert: „Fuck you“. Ob dies ein Zeichen ist? Ist der Postkasten direkt in der Filiale vielleicht doch die bessere Option oder soll ich es über digitalem Wege versuchen? Immerhin sollten die Dokumente so schnell wie möglich die richtigen Menschen erreichen und das so anonym wie es nur geht! Um sich ein Bild über digitale und anonyme Kontaktaufnahmemöglichkeiten zu verschaffen, sprach SUMO mit Hannes Munzinger, Digitalinvestigativ- und Datenjournalist bei der „Süddeutschen Zeitung“, und Markus Sulzbacher, Projektleiter des anonymen Briefkastens sowie Web-Ressortleiter bei „DER STANDARD“. EU-Angriff auf verschlüsselte Kommunikation Kurz nach dem Terroranschlag auf das Herz Wiens äußerte sich Gilles de Kerchove, Leiter der Anti-Terror-Koordination der EU, in der „ZiB“ gegenüber den Datenschutzbestimmungen der EU. Seiner Meinung nach erschweren diese es deutlich, in Ermittlungen auf Handydaten und E-Mails Verdächtiger zuzugreifen. Dem wolle die EU nun entgegentreten: Schwache Verschlüsselung, ein Generalschlüssel oder eine Hintertür soll es den Sicherheitsbehörden ermöglichen, leichter auf Handydaten zugreifen zu können. Martin Blatter, Chef des Schweizer Messenger-Dienstes „Threema“, steht dem sehr kritisch gegenüber – er ist nicht der

Wenn es wirklich wichtig ist: lieber digital?

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einzige. In der am 29.11.2020 erschienenen „Welt am Sonntag“ äußerte er sich wie folgt: „Diese Forderungen nach einem Generalschlüssel zeugen von der Unbedarftheit der Behörden. Wir haben gar keinen Generalschlüssel, den wir hinterlegen könnten. Die Verschlüsselung wird von den Nutzern vorgenommen und nicht von uns.“ Der Eingriff in die Verschlüsselung soll sich dabei nicht nur auf Messenger-Dienste beschränken, sondern auch auf E-Mails und Play-Chats von Videokonsolen abzielen, vermutet „STANDARD“-Webressortleiter Sulzbacher. Ein Zugriff auf das Smartphone geht allerdings auch anders, nämlich mit einem sogenannten Bundestrojaner. Der Verfassungsgerichtshof hat 2019 die Vorlage von Türkis-Blau abgelehnt, dennoch möchte man laut Regierungsprogramm diesen „verfassungskonform“ umsetzen. „Wie der nun, obwohl der erste Entwurf schon einmal abgeschmettert wurde, verfassungskonform sein soll, ist eine gute Frage. Mein Eindruck ist bei so etwas immer, dass hier viel von Menschen geredet wird, die keine Ahnung von der Technik haben und sich das alles immer sehr einfach vorstellen, um es nett zu formulieren“, ärgert sich Sulzbacher. Laut dem Projekt- und Ressortleiter wurden während dem Tierschützer-Prozess und jenem gegen den Islamisten Mohamed Mahmoud ein Bundestrojaner verwendet. „Die Strafverfolger haben sich damals so geholfen, indem sie gesagt haben, dass es kein Bundestrojaner sei, sondern irgendwie eine Software, die alle zwei Sekunden Screenshots macht und wohin schickt“, fährt er fort. Also ein Bundestrojaner? „Genau.“

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Der Weg zum sicheren Hafen Im Falle der Panama-Papers, bei denen ca. 11,5 Millionen Dokumente geleakt wurden, wäre der klassische postalische Weg undenkbar gewesen. Gab es damals den digitalen Briefkasten der „Süddeutschen Zeitung“ schon und wurde der hierfür genutzt? Laut Munzinger wurde der Briefkasten erst 2018 mit den „Implant Files“ ins Leben gerufen, demnach nein. Wie die Dokumente ihren Weg zum Investigativ-Team gefunden haben, darf der Journalist nicht verraten, auch wenn die Story über verschlüsseltem Weg begann. „Wenn wir über die Vermögensverhältnisse von Vladimir Putin schreiben, dann müssen wir damit rechnen, dass ein russischer Geheimdienst versucht, Kommunikationswege nachzuverfolgen, eben um zu der Quelle zu kommen“, fährt Munzinger fort. Bei Geschichten, die über den Briefkasten kommen und der Pfad demnach nicht nachvollzogen werden kann ist man etwas offener. Nicht um die Quelle offenzulegen, sondern weil man

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Wenn es wirklich wichtig ist: lieber digital?

als „Süddeutsche Zeitung“ möchte, dass der digitale Briefkasten genutzt wird. Auch beim „STANDARD“ möchte man die Nutzung des Briefkastens anregen, über den, laut Sulzbacher, mehr eintrudle als mit der Post. „Man sollte nicht unterschätzen, was alles über den Briefkasten kommt.“ Der anonyme Briefkasten hält dennoch Überraschungen bereit. „Da gab es diesen Hackerangriff auf die ÖVP und da wurde bei uns quasi die ÖVP-Buchhaltung in den Briefkasten eingeworfen. Wir wussten zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass diese Infos über einen Hack beschafft wurden“, erinnert sich der Projektleiter im Gespräch mit SUMO. Digital vs. Analog Im Falle der ÖVP-Spenderlisten, die durch einen Hack beschafft wurden, ist es für die jeweiligen Personen von oberster Priorität anonym zu bleiben. Welche Variante ist nun zu empfehlen, die Post oder doch lieber digital? „Ich finde beides gut. Aber für die LeserInnen ist die digitale Version um etliches einfacher“, meint der Projektleiter des digitalen „STANDARD“-Briefkastens. Munzinger sieht dies ähnlich. Laut dem Investigativjournalisten sollte man sich aber dennoch fragen, ob der digitale Weg, den man geht, Metadaten produziere oder nicht. In autokratischen Staaten beispielsweise sei das einfache Absenden eines Briefes ohne Absender/in meist nicht möglich. „Wenn man wirklich Grund zur Annahme hat, dass man mit sehr aufwendigen Mitteln verfolgt wird, zum Beispiel als Whistleblower in autokratischen Staaten oder als Whistleblower aus der Geheimdienstwelt, dann würde man natürlich empfehlen, dass man den möglichst sichersten Weg geht“, so Munzinger im SUMO-Interview. Er sei der Meinung, dass die Kontaktaufnahme über das Smartphone (außer bei zentralverwalteten Diensthandys) und einem verschlüsselten Messenger-Dienst in vielen Fällen ausreiche. Wenn es um Webbrowser am Computer geht, meint Sulzbacher: „Der Tor Browser ist bei unserem Briefkasten nicht zwingend notwendig, um anonym zu bleiben. Es ist möglich, den Briefkasten mit einem normalen Browser zu verwenden, wir raten dennoch zum Tor Browser.“ Varianten digitaler Briefkästen Die vollanonyme digitale Kontaktaufnahme verkompliziere für die weitere Recherche einiges, beispielsweise falls man Rückfragen hat. „Eigentlich ist der Briefkasten für die meisten NutzerInnen eine Einbahnstraße, die werfen etwas ein und das war es dann“, konstatiert Sulzbacher. Man sorge für Anonymität, indem man unter anderem nicht mitlogge; es gebe keine Logdateien. Logdateien sind Auf-


zeichnungen von Aktionsmeldungen, wie z.B. dem Hochladen von Dateien. Demnach sei es für das Team von „DER STANDARD“ nicht möglich, nachträglich mit den WhistleblowerInnen in Kontakt zu treten, außer sie würden eine Nachricht dazulegen. Die Technik hinter dem digitalen Briefkasten wurde mit Hilfe von Open-Source-Komponenten im Hause selbst aufgebaut. Ein Hausgeheimnis, so der Projektleiter. „Wir hatten es am Anfang auch mit ‚Signal‘ und ‚WhatsApp“ versucht, aber das hat leider nicht so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt haben. Es ist scheinbar für unsere LeserInnen einfacher, und es geht viel um Einfachheit, das ganz normal über einen Webbrowser hochladen zu können“, erläutert Sulzbacher weiter. Bei der „Süddeutschen Zeitung“ hingegen setzte man auf die Vielfalt an Möglichkeiten, denn jede Quelle habe unterschiedliche Fähigkeiten in der Nutzung. Eine All-in-One-Lösung gäbe es laut Munzinger nicht. Auf Sicherheit setzte man mit „Secure Drop“, einer Plattform zum anonymen und verschlüsselten Austausch von Dokumenten, Videos oder Bildern. „Natürlich ist ‚Secure Drop‘ eine besonders sichere und viele sagen die beste Lösung. Allerdings muss man dafür natürlich erstmal den Tor Browser haben und unsere Adresse dazu finden“, fährt der Investigativjournalist fort. Laut ihm sei das schon eine Hürde, die manche gar nicht überspringen können oder wollen, und deswegen biete die „Süddeutsche Zeitung“ auch sehr einfache Möglichkeiten an, wie auch zum Beispiel „ProtonMail“, ein verschlüsselter E-Mail-Dienst. Ebenfalls findet man auf der Kontaktseite des Investigativ-Teams der „Süddeutschen Zeitung“ die IDs der Redakteure für den verschlüsselten Messenger-Dienst „Threema“. „Wir bieten eigentlich alles an, damit jede Quelle die uns erreichen will einen Weg nutzen kann, der ihr gerecht wird und sich mit dem dann auch wohlfühlt“, so Munzinger zur Vielfalt bei der deutschen Tageszeitung.

Viel hilft viel Ob jedes Medienunternehmen einen digitalen Briefkasten anbieten sollte, das liege laut Munzinger im Ermessen der jeweiligen Handelnden. In Deutschland bieten neben der „Süddeutschen Zeitung“ auch noch der „SPIEGEL“ und „ZEIT Online“ eine Leaking-Plattform an. Laut dem Journalisten sei nicht der Briefkasten entscheidend, sondern vor allem die handelnden AkteurInnen dahinter, die JournalistInnen, denn die sorgen dafür, ob eine Quelle Vertrauen in ein Medium habe oder nicht. „Warum kommt Material bei uns an? Weil man uns vertraut, weil wir Historie haben, weil wir die‚‚Panama Papers‘ bekommen haben und die Quelle bis heute nicht offengelegt wurde und nicht in Gefahr ist, wie das in anderen Fällen geschehen ist. Ich glaube, es ist wichtiger, dass man vertrauenswürdige JournalistInnen präsentieren kann, als dass man jetzt eine digitale Plattform hat“, konstatiert Munzinger. Markus Sulzbacher sieht dies anders. Seiner Meinung nach sei es wirklich wichtig, dass jedes Medienhaus in Österreich einen digitalen Briefkasten zu Verfügung stelle, sofern man es schaffe, diesen halbwegs sicher (Betonung auf halbwegs) hinzubekommen, sodass die InformantInnen dementsprechend geschützt sind. Dies sei unabhängig davon ob im Print-Bereich oder Fernsehen, denn auch die „ZiB 2“ oder „PULS4“ könnten aus den eingeworfenen Informationen gute Storys machen. Die Kosten seien im Vergleich zu anderen Dingen minimal, man benötige lediglich die technische Infrastruktur und laut Sulzbacher am wichtigsten: eigene Rechner, die durch Verschlüsselung gut abgesichert sind. von Lukas Pleyer

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Umweltkrisenberichterstattung – überbewertet oder Zukunft? Die einen finden es durchaus berechtigt, die anderen können es kaum noch hören: Klimawandel, Umweltkrisen, „Fridays for Future“ und Co. SUMO diskutiert mit Journalist, Autor und Referent Prof. Claus Reitan, und Viktoria Auer, Pressesprecherin von GLOBAL 2000, über die Relevanz und Herausforderungen von Umweltkrisenberichterstattung für Medien und Gesellschaft. Fast bedächtig fließt das Gewässer der Donau, sanfte Wellen schlagen ans seichte Ufer. Der Wasserstand ist relativ niedrig und lässt auf wenig regnerische Tage in den letzten Wochen schließen. In den ersten Augustwochen des Jahres 2002 hätte sich wohl niemand nach Krems Stein getraut, geschweige denn am Rathausplatz flaniert. Dauerregen und starke Niederschlagsmengen ließen zuerst das Wasser von Kamp und Kremsfluss überschwappen, ehe auch die Wassermassen der Donau über die Ufer traten. Was blieb, war eine Spur der Verwüstung. Von der schönen blauen Donau zur Jahrhundertflut – ganz zu schweigen vom entstandenen Schaden, der auf knapp eine halbe Mio. Euro geschätzt wurde. Etwa zwei Meter über dem Boden erinnert eine steinerne Tafel an der Ecke zum Rathaus mit den Worten „Hochwasser 14. August 2002“ an das Ausmaß der Katastrophe. Das Hochwasser blieb unzweifelhaft in den Köpfen vieler Menschen hängen und hatte neben einer gestärkten Gemeinschaft auch zahlreiche Hochwasserschutzmaßnahmen und große -investitionen zur Folge. So wurde entlang der Donau ein auf einer Höhe von elf Metern errichteter mobiler Hochwasserschutzwall geschaffen. Doch das nächste „Jahrhunderthochwasser“ trat bereits im Jahr 2013 ein. Noch heute (Stand November 2020) lässt sich an dem abgebröckelten Putz der Wände eines Gebäudes entlang der Steiner Donaulände auf die Folgen, die das verheerende Hochwasser hinterlassen hat, schließen. © Copyright: adobe stock / piyaset

Dass für die effiziente Vermittlung von Umweltkrisen die persönliche Betroffenheit besonders wichtig ist, um Umweltthemen effektiv zu kommunizieren, unterstreicht auch Viktoria Auer. Für viele ÖsterreicherInnen sei beispielsweise das große Thema Klimakrise zu fern von der eigenen Lebenswelt. Daher sei die Schaffung eines persönlichen Bezugs wichtig, um die Folgen auch im direkten Umfeld aufzuzeigen. Das Bild der Mee-

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Umweltkrisenberichterstattung - überbewertet oder Zukunft?

resschildkröte, die im Plastikmeer ums Leben kommt, ist zwar den meisten Menschen bekannt, aber erst die unmittelbare Nähe, zum Beispiel das Aufzeigen der Konsequenzen der Vermüllung auf den Feldern der Bauern und Bäuerinnen, mache die Dynamik greifbar. Diese Thematik wurde auch 2018 im Rahmen des „Kongresses zu Klimawandel, Kommunikation und Gesellschaft“ von Isabella Uhl-Hädicke näher behandelt. Dabei wurden unerwünschte Nebenwirkungen der Klimawandelkommunikation ins Auge gefasst. Aufgrund von Erkenntnissen der sozialwissenschaftlichen Bedrohungsforschung konnten zwei Reaktionen auf existentielle Bedrohungen wie den Klimawandel erkannt werden: direktes Lösungsverhalten oder symbolisches Verteidigungsverhalten. Ersteres bezieht sich auf die Bedrohungsquelle (zum Beispiel Klimawandelinformation) und trägt zur Reduktion des Problems bei (zum Beispiel durch klimafreundliches Verhalten). Im Gegensatz dazu fehlt bei symbolischem Verteidigungsverhalten der Bezug zur Bedrohungsquelle und ist somit kontraproduktiv für das Finden von Lösungen. Symbolische Verteidigungsreaktionen dienen der Aufrechterhaltung eigener gesellschaftlicher Werte und Weltanschauungen sowie der Angstreduktion. Wird beispielsweise über die negativen Folgen des Klimawandels berichtet, kommt es zum Gefühl der Machtlosigkeit und damit zu keiner erhöhten bzw. gar verringerter Bereitschaft, klimafreundlich zu agieren und kann etwa zu Ethnozentrismus führen. Der Klimawandelreduktion kann laut der Studie daher nur durch direktes Lösungsverhalten beigetragen werden. Für die Medien selbst lasse sich bezüglich der Verantwortung, wie Reitan beschreibt, zwar eine gewisse Bringschuld unterzeichnen, die Holschuld, die publizierten Inhalte aufzunehmen, liege aber bei den StaatsbürgerInnen. „Diejenigen KollegInnen, die die Massenmedien inhaltlich gestalten, haben sicherlich eine


Verantwortung, allerdings eine beschränkte – lediglich eine Mitverantwortung – und keine vollständige“, erläutert Reitan, der sich stark mit Nachhaltigkeitskommunikation beschäftigt. Lösungsorientiert statt angstschürend Bei GLOBAL 2000 sei das richtige Framing ein häufig diskutierter Aspekt, damit die Themen auch wirklich bei den Menschen ankommen. Die ökosoziale Steuerreform, welche klimaschädliches Verhalten besteuert, lasse sich durch das negativ behaftete Wort „Steuern“ nur schwierig kommunizieren. Daher sei es essentiell, in diesem Zusammenhang den Ökobonus als Bonus für klimafreundliches Handeln zu nennen. Es gehe nicht darum, Themen herunterzuspielen, sondern diese beim Namen zu nennen. „Wir verwenden das Wort ‚‚Klimawandel‘ nicht mehr, sondern‚‚Klimakrise‘, weil es ist eine Krise und so muss sie behandelt und kommuniziert werden“, veranschaulicht Viktoria Auer. Ebenso wichtig sei das lösungsorientierte Kommunizieren in Richtung einer positiven Zukunft, merkt sie an: „Ich finde, es könnte da mehr positiv kommuniziert werden, dass klimafreundliche Maßnahmen nicht immer gleich Verzicht sind und nicht immer gleich negativ.“ Bezugnehmend auf die Mediatisierung von Umweltkrisen schildert Auer, dass punktuelle Umweltkrisen wie Fukushima oder die Deepwater Horizon-Ölkatastrophe in den Medien stark kommuniziert werden und das Bewusstsein für das Krisenausmaß hier auch bei der Bevölkerung bestehe. Schwierig zu kommunizieren, aber umso wichtiger, seien die langfristigen Umweltkrisen wie die Klima- oder Biodiversitätskrise. „Langfristig gesehen sind das die zwei großen Krisen, die uns als Menschheit beschäftigen müssen, weil sie uns mehr bedrohen als die kurzfristigen“, erklärt Auer. Besonders in diesem Bereich sei die Mediatisierung und umfassende Berichterstattung ausschlaggebend, um die langfristigen, existenzbedrohenden Auswirkungen zu vermitteln. Gerade in Krisenzeiten, wie während der Coronakrise, lasse sich jedoch die ernüchternde Bilanz ziehen, dass Umweltthemen kurzfristig untergehen. Claus Reitan betrachtet die „massenmedial vermittelte Auswahl und Verbreitung umweltbezogener Themen“ als durchaus berechtigte und wesentliche Aufgabe der klassischen Massenmedien. „Das kann man aus der Sicht des Themas, des Problems heraus, egal welcher Weltanschauung man ist, für angemessen und sachlich richtig erachten“, betont Reitan. Insbesondere seit den 1980er Jahren gebe es eine intensive Ausein-

andersetzung mit Umweltthemen in Öffentlichkeit, Gesellschaft und Politik. Von einer intensiven und umfangreichen Gesetzgebung, konkreten Initiativen aus Unternehmenskreisen und der Industrie, Initiativen direkt aus der Zivilgesellschaft über verschiedenste Auszeichnungen, Zertifikate oder einschlägige Literatur wie den CSR-Report mangele es nicht an Bemühungen in Richtung mehr Nachhaltigkeit. Entscheidend sei aber, diese Maßnahmen anhand von Maßstäben zu betrachten, um die unterschiedlichen Themen konkret beurteilen zu können und gegebenenfalls weitere Schritte zu setzen. Im Zusammenhang mit der Mediatisierung von Umweltkrisen sind auch ethische Fragestellungen und die Emotionalisierung der RezipientInnen ein nicht zu übersehender Aspekt. Das Paradebeispiel schlechthin sei Greta Thunberg mit ihrer „Fridays for future“-Bewegung, die das große Thema Klimakrise mit einer enormen Wirksamkeit in Medien und Gesellschaft einbringen konnte. Zuvor seien lange Zeit keine Gegenmaßnahmen gesetzt und die Klimakrise eher zugespitzt worden, obwohl es in keinster Weise an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu den negativen Folgen mangelte. Erst als das Thema mehr Anklang in den Medien fand, sei es zu einer stärkeren Lösungsorientierung gekommen. „Wie wir wissen, sind Menschen keine rational denkenden und handelnden Lebewesen“, untermauert Auer die Bedeutsamkeit der Emotionalisierung. Kontraproduktiv sei es aber, in Richtung Angst zu kommunizieren, da das nur zum Abblocken der Menschen führt. Der Aufmerksamkeitswettbewerb stehe bezüglich der Ausrichtung der verschiedenen Medienangebote und -produkte an erster Stelle und führe teilweise dazu, dass zu drastischen und nach ethischen Grundsätzen unzulässigen Mitteln gegriffen werde, erklärt Reitan. Die Aufgabe der Medien bestehe aber darin, die Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge der Umweltkrisen zu recherchieren, dabei aber nicht über das Ziel hinauszuschießen und zu überzogenen Darstellungen zu greifen. „Hochwasserschutz“ im Journalismus Mit der journalistischen Funktion, Wirklichkeit zu erkennen und zu vermitteln, seien auch in Österreich viele JournalistInnen intensiv betraut, weiß Reitan: „Hier wird sehr viel an Initiativen, an Berichterstattung gesetzt. Druck zu machen ist nicht vorrangige Aufgabe des unabhängigen Journalismus, sondern die Erste ist, eine tatsächliche Wirklichkeit objektivierbar zu erkennen und getreulich zu vermitteln, sprich eine Berichterstattung zu betreiben.“ Von der rein sachlichen Berichterstattung zu unterscheiden seien Kommentare, wobei Rei-

Umweltkrisenberichterstattung - überbewertet oder Zukunft?

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tan hierbei „zu wenig an Einordnung, an Erläuterung, an Kommentierung, an Ausleuchten, Beleuchten von Hintergründen und von Zusammenhängen, insbesondere an den Wirtschafts- und Politikseiten und -ressorts“ erkennt. Je nach Medium seien einerseits gattungsspezifische Unterschiede und andererseits Differenzen bezüglich der inhaltlichen Fokussierung und Themenschwerpunkte bei Umwelt- und Nachhaltigkeitsthematiken zu erkennen. Hierbei lasse sich das Symbolbild des Dreiecks, in welchem sich alle Medien bewegen, anwenden, welches sich aus den Eckpunkten der grundlegenden Richtung, dem Nachrichtenaufkommen sowie der Zielgruppe des Mediums zusammensetzt. So werde in Boulevardtiteln wie „Österreich“ die Themenauswahl eher ereignisbezogen und in Richtung der klassischen Katastrophenberichterstattung getroffen, während sich in der „Furche“ vergleichsweise hintergründigere, tiefergehende Texte fänden. Mit dem Gebot der Objektivität werde es begründet, wenn etwa in Studiodiskussionen zum Klimawandel zwei Stimmen vertreten sind: die des/ der Klimawandelbefürworters/in und die des/der Klimawandelleugners/in. Das Problem hierbei sei aber, dass das objektive Verhältnis von BefürworterInnen und LeugnerInnen nicht 1:1 sei, sondern

gerade viel mehr voran als in den letzten paar Jahren, gar Jahrzehnten, zum Glück, und das ist natürlich auch teilweise auf den medialen Druck hinzuführen“, erklärt sich Auer die Fortschritte in der Nachhaltigkeitsthematisierung. Wenig Verbesserungsbedarf erkenne Reitan allerdings betreffend das breit gefächerte Angebot an Wissen, Informationen sowie einschlägigen Instituten und Studiengängen.

„Die Thematik der Nachhaltigkeit JournalistInnen nahe zu bringen, stößt auf ein generelles Thema, nämlich die Aus- und Fortbildung im Journalismus in Österreich“, erläutert Reitan und betont, dass ein inhaltlicher Bedarf an Aus- und Fortbildungsangeboten bestehe. „Das ist insofern schwierig, als zum Teil zu wenig Geld zur Verfügung steht, die öffentliche Hand ist hier nachlässig, die Budgets sind unzureichend. Zum Teil steht zu wenig Zeit zur Verfügung für die KollegInnen in den Medienunternehmen, und freiberufliche JournalistInnen haben aus eigenem weder die Zeit noch das Geld.“ Konkret seien sowohl der Bundeshaushalt und die Bundesregierung als auch die Medienunternehmen gefordert, JournalistInnen mehr Möglichkeiten der Fortbildung in jeweils neuen Themenfeldern zu bieten. „In Österreich geht

Eine grüne Zukunft? Zukünftig sieht Viktoria Auer den Umwelt(krisen)journalismus vor allem in der Herausforderung, alle Bevölkerungsschichten zu erreichen und diverse Medien mit seinen Inhalten zu bespielen. Für Umweltschutzorganisationen wie GLOBAL 2000 stelle die Zusammenarbeit mit verschiedenen Medien wie Bezirks- oder Bauernzeitungen eine Möglichkeit dar, „auch in anderen Medien die Bevölkerung zu erreichen, die nicht spezifisch immer Umweltkrisenberichterstattung bringen“, merkt Auer an. Besonders in Bezirkszeitungen sei die Kommunikation eines positiven Bildes in Bezug auf Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen, vor allem in der eigenen Region, beliebt, und werde von diesen dementsprechend angenommen. Aufgrund eigener Beobachtungen kann Reitan sagen, dass die Umweltthematiken „zunehmend stärker ins Blickfeld geraten“ und auch in die Unternehmen bis zur Geschäftsführung voranschreiten. Als erschöpft sieht der Journalist die Zukunft für diverse Umweltsonderseiten bzw. -sendungen an. Ein Umdenken sei allerdings bei vielen JournalistInnen in den Redaktionen zu erkennen, Umwelt- und Ökologiethemen auch stärker in Politik- und Wirtschaftsberichterstattung miteinzubeziehen. Reitan hält fest: „Journalismus zum Thema Umwelt, zu Themen der Nachhaltigkeit hat nicht nur objektivierbar seine Berechtigung, sondern auch eine Zukunft und findet zunehmend ein breiteres Betätigungsfeld vor.“

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Claus Reitan / Copyright: Formanek, Wien

unter WissenschaftlerInnen eher 97:3, da es mehr KlimawandelbefürworterInnen als -gegnerInnen gäbe. Dieses Phänomen lasse sich auch als „Balance as Bias“ bezeichnen, wie das Problem in der Darstellung und Vermittlung von Umwelthemen, und insbesondere des Klimawandels, subsummiert werde. Gerade deshalb ist für Reitan eine differenzierte Betrachtungsweise ausschlaggebend.

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Umweltkrisenberichterstattung - überbewertet oder Zukunft?

von Julia Allinger


MEHR ALS IRGENDWAS MIT MEDIEN. Langjährige Erfahrung in der vielfältigen Multi-Screen-Vernetzung und die stetige Erweiterung um neue innovative Produkte machen uns zu einem Kompetenzzentrum bei der Vermarktung elektronischer und digitaler Medien. Goldbach setzt den Fokus auf: TV. Online. Mobile. Advanced TV. Digital Out of Home.

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Das wirtschaftliche Standing professioneller Fotografie Die professionelle Fotografie steht unter Druck. Technologische Neuheiten, die Allgegenwärtigkeit der Smartphones und die dazugehörigen Fotofilter ermöglichen es auf simple Weise professionell aussehende Fotos zu schießen. Doch wie rechtfertigt die Berufsfotografie ihr Dasein und wie kann man mit den heutigen Herausforderungen umgehen? SUMO sprach mit Univ.-Prof.in Maria Ziegelböck, Leiterin der Abteilung „Angewandte Fotografie und zeitbasierte Medien“ an der Universität für angewandte Kunst Wien, und mit Anna Obermeier, selbstständige Meisterfotografin aus Wien, über Chancen, Gefahren und mögliche Todesstöße. Das Fenster zur Welt November in Wien. Einer der ersten Sonnentage seit langem. Der Park ist gut besucht, vor allem Pärchen flanieren gemächlich die Wege entlang. Immer wieder bleiben sie stehen, einer zückt das Smartphone, der oder die Andere wirft sich in Pose. Das Licht ist gut, das Outfit durchdacht und das Lächeln geübt. Mit Blick auf den Bildschirm nimmt der oder die Andere verschiedene Winkel ein, einmal seitlich, einmal von unten, einmal Nahaufnahme. Die Models scheinen zufrieden, doch nur bis zum nächsten Objekt, das etwas herzugeben verspricht. Szenen wie diese erinnern an die klassischen Fotoshootings, für die früher viel Aufwand betrieben wurde. Doch statt FotografInnen sind es PartnerInnen – und statt Kameras sind es Smartphones.

Herausforderungen an die Professionalität – oder Todesstoß? Doch genau diese neuen Entwicklungen könnten sich als Gefahr für professionelle BerufsfotografInnen herausstellen, denn

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Der Wunsch nach dem eigenen Abbild ist seit Menschengedenken vorhanden. Bereits vor dem Aufkommen der Fotografie war es der Job von MalerInnen Personen zu verewigen. Doch erst dank der Fotografie war es zum ersten Mal möglich, Menschen so abzubilden, wie sie tatsächlich aussahen. Diese Entwicklung hat die Welt nachhaltig verändert. 1888 kam die Kodak Nr. 1 auf den Markt, sie galt als handlich, bedienerfreundlich und leistbar. Bis heute wird diesem

Modell nachgesagt, sie habe den Beginn der Amateurfotografie eingeleitet. Sie ermöglichte den Menschen einen Blick in weit entfernte Gegenden und Gesellschaften und ließ räumliche und zeitliche Grenzen verschwinden. Seitdem hat sich die Fotografie in viele verschiedene Richtungen entwickelt. Dank der technologischen Fortschritte der letzten Jahre ist es beinahe jedem Menschen möglich, beliebig viele Fotos zu schießen, deren Qualität einst undenkbar gewesen wäre. Auch für Univ.-Prof.in Maria Ziegelböck ist klar, dass mit der digitalen Wende das Medium Fotografie völlig demokratisiert worden sei. Fotografie sei für viele zugänglich und die technische Hürde gebe es nicht mehr, welche bis in die 1990er Jahre jedoch als eine Kernkompetenz der FotografInnen gegolten hatte. Laut Ziegelböck habe man in den 1980ern schon von einer Bilderflut geredet, doch mittlerweile sei daraus eine eigene Sprache geworden. Man könne nichts mehr ohne Bild kommunizieren, daher sei die Fotografie eine eigene Art der Kommunikation geworden, erklärt sie.

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Das wirtschaftliche Standing professioneller Fotografie


die Tatsache, dass Smartphones bereits Kameras mit beachtlicher Qualität standardmäßig eingebaut haben führt zu einer überwältigenden Anzahl an „schönen“ Bildern und lässt die Frage aufkommen, ob der Beruf des/der Fotografen/ in noch zeitgemäß ist. Das Smartphone sei laut Ziegelböck nicht mehr nur eine zusätzliche Kamera, sondern ein ganzes Editing-Programm. Dadurch sei es leichter geworden, ein – zumindest an der Oberfläche – gut funktionierendes Foto herzustellen. Zusätzlich könne jedes Bild entweder dem Mainstream oder dem eigenen persönlichen Geschmack angepasst werden. Die Nachbearbeitung sei jetzt schon von großer Bedeutung und werde in Zukunft noch steigen. Die Bearbeitung von Fotos ist keineswegs ein neues Phänomen, man könnte sagen die Fotobearbeitung ist genauso alt wie die Fotografie selbst, jedoch hat sich die Komplexität, und somit auch der Aufwand, der Bearbeitung so stark reduziert, dass mittlerweile kein Fachwissen mehr dafür nötig ist. Adobe Photoshop, der Klassiker unter den Fotobearbeitungs-Programmen, geht bei seiner letzten Version noch einen Schritt weiter. Angeboten wird ein neuer Filter namens Neuralfilter, welcher mittels künstlicher Intelligenz die Mimik einer Person verändern kann. Somit habe das resultierende Foto nicht mehr viel mit dem ursprünglichen Entstehungsprozess zu tun. Laut Ziegelböck sehe das Ganze jetzt noch sehr „Frankenstein“-mäßig aus, aber wenn sich solche Filter weiter in diese Richtung entwickeln, falle ein ganz wesentlicher Aspekt des Fotografierens weg, nämlich einen guten Moment und die Ausstrahlung einer Person festzuhalten, denn diese ließen sich dadurch auch eventuell nachkonstruieren. Sie bezeichnet diese Art von Filtern als möglichen „Todesstoß“ für PortraitfotografInnen, die im Dienstleistungssektor tätig sind. Denn wenn die Kamera bereits den Großteil der Arbeit übernimmt, und Bilder dank Filter und leicht handzuhabenden Bearbeitungsprogrammen dann auch noch nach den eigenen Wünschen nachbearbeitet werden können – warum dann noch eine externe Person für diese Tätigkeit bezahlen? Opfer der Technologie Man sagt der Berufsfotografie schon lange nach, sie liege im Sterben. Profifotografin Anna Obermeier erinnert sich selbst noch an Aussagen, die sie während ihrer Fotografie-Ausbildung oft aufgeschnappt habe, dass der Beruf der Fotografin ein brotloser sei. Selbst stimme sie dieser Haltung aber nicht zu. Sie betont, dass es immer darauf ankäme, was man mache. Die Berufsfotografie im Bereich Portrait, Hochzeit etc. empfinde

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sie als nicht in der Krise. Ihren KundInnen sei es wichtig, qualitativ hochwertige Fotos, vor allem von einmaligen Ereignissen, zu erhalten und sich darauf verlassen zu können, dass jemand am Werk ist, die/der das Beste aus den Situationen raushole. Auch Ziegelböck betont, dass nur gewisse Bereiche der Fotografie den neuen Technologien zum Opfer fielen. Die Produktfotografie zum Beispiel sei ein Feld, bei dem die Kameras bereits jegliche Arbeit übernehmen. Der Beruf Fotograf/ in sei dadurch um einiges elitärer geworden. Heute sei es wichtiger denn je, eine eigene Meinung zu kommunizieren und eine visuelle und wiedererkennbare Bildsprache zu haben. Ebenso solle man die subjektive Sicht präsentieren, nur so könne man sich noch als originär behaupten, denn fotografisch gebe es kaum noch etwas zu erfinden. Man kann tatsächlich nicht behaupten, dass das Fotografieren heutzutage an Stellenwert verloren hat. Dank Social Media-Plattformen wie „Instagram“, deren Inhalte aus Bildern und Videos bestehen, ist ein schönes und eindrucksvolles Bild für viele UserInnen von hoher Bedeutung. Obermeier sieht diese Entwicklung durchaus als Vorteil für Berufs-

fotografInnen, denn die Zahl der Aufträge könne so steigen, da mehr Personen Wert auf qualitative, ansprechende Fotos legen. Von großer Bedeutung bei der Verbreitung über Social Media sei jedoch das Copyright der jeweiligen FotografInnen, für dessen Notwendigkeit es in der Gesellschaft teilweise noch an Bewusstsein fehle. Mehr als das Werkzeug Bei professioneller Portraitfotografie geht es darum, das Wesen der Menschen festzuhalten, einen Moment zu erwischen, der die Person zeigt, wie sie ist. Hier stehen zumeist Emotionen im Vordergrund. Nun ist es möglich Emotionen mittels Smartphones festzuhalten, für Obermeier ist jedoch klar, dass vielen Leuten bewusst sei, dass es für ein schönes Foto mehr brauche als ein gutes Smartphone. „Man darf nicht vergessen, dass es nicht nur das Werkzeug ist, das das Foto macht, sondern auch der- oder diejenige, der/die dahintersteht“. Es müsse mehr dahinterstecken als eine Person, die in die Kamera lächle, während eine andere abdrücke. Es gehe darum, Emotionen zu zeigen und sich auf zwischenmenschlicher Ebene auszutauschen. Auch in Zukunft verlasse sich

Obermeier auf den zwischenmenschlichen Aspekt der Portraitfotografie – etwa beim Shooting eine gute Atmosphäre zu schaffen und es dadurch als Event zu begreifen, für das sich die KundInnen Zeit nehmen, auf das sie sich vorbereiten und freuen können. Außerdem – fügt sie hinzu – beim Shooting Momente abzulichten, die echt und natürlich und eben z.B. kein automatisiertes Lächeln sind. Das bedeute, Seiten und Aspekte des Gegenübers als „Zwischenmenschlichkeit“ zu entdecken, die nichts Eingelerntes haben, sondern den Menschen in seiner Echtheit und Persönlichkeit zeigen. Dass der Beruf eines Tages zum größten Teil von automatischen Kameras oder Robotern übernommen werde, könne Obermeier aber nicht ausschließen. Und einige Menschen würden diese Dienste auch annehmen, aber wahrscheinlich nicht die Masse. Denn es gebe genauso Leute, die gerne auf das „Traditionelle“ zurückgreifen. Es könne schon sein, dass die Nachfrage etwas abnehmen könnte, aber „ich glaube, das ist etwas, mit dem ich mich nicht in naher Zukunft beschäftigen müsste, eher vielleicht, wenn ich in Pension bin.“ von Ida Stabauer

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Krisen im Schattendasein der Medien Im größten Flüchtlingslager der Welt Kutupalong sitzen 860.000 Rohingya-Flüchtlinge in Bangladesch fest (Stand 23.10.2020, UNHCR). Seit Jahren bombardiert Saudi-Arabien jemenitische Schulen und Krankenhäuser, während die jemenitische Regierung im Exil sitzt. Warum werden diese Krisen in den Massenmedien kaum behandelt und welche Folgen ergeben sich daraus? SUMO versucht Licht auf diesen unbeachteten Schatten zu werfen und sprach dazu mit Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger und „Südwind“-Chefredakteur Richard Solder. Es ist stockfinster. Durch den Stromausfall erhoffen sich Behörden ein Ende der Proteste gegen die Regierung. Plötzlich beginnen Menschen in die Hände zu klatschen. Junge Menschen schaffen mit ihren Mobiltelefonen das einzige Licht im Vorort Khartums, der Hauptstadt des Sudans. In ihrer Mitte rezitiert und improvisiert ein junger Mann Protestgedichte, während er von den Mobiltelefonen beleuchtet wird. Yasuyoshi Chiba, ein japanischer „Agence France Press“-Fotograf, hält diesen Moment des friedlichen Protests mit seiner Kamera fest. 16 Monate später hängt dieser Moment als „World Press“-Siegerfoto im „Westlicht-Museum“ in Wien. Die Kühlanlage läuft im Hintergrund des offenen Ausstellungsraumes, in dem BesucherInnen fast andächtig von Bild zu Bild schlendern und angeregt über die dargestellten Situationen flüstern. Die Ticketverkäuferinnen kichern und unterhalten sich, was beinahe zu einer willkommenen Entspannung der tiefgründigen Atmosphäre im Raum führt. Auch Andrea ist mit ihrer Freundin hier. Sie hat den letzten Tag vor dem zweiten Lockdown genutzt, um die „World Press Photo“-Ausstellung zu besuchen. „Ich mache eigentlich alles immer am letzten Drücker. Ich bin hier, um mir bewusst zu machen, was in der Welt sonst noch so passiert.“ Über die Unruhen im Sudan, auf die der Fotograf mit seinem Bild aufmerksam machen wollte, habe sie noch nie etwas gehört. „Vielleicht lag es auch an Corona? Vielleicht sind wir dadurch einfach stumpf geworden gegenüber anderen Krisen?“

Massenmedien am Beispiel vom Sudan nicht langfristig erreicht. Er ist schnell weitergezogen. Die Anzahl der APAPressemeldungen zeigt ein Bild des Vergessenwerdens einer Krise, die laut Thomas Schmidinger (u.a. Univ. Wien) nach dem Juni 2019 noch lange nicht vorbei gewesen sei. Dabei zeigen die Daten im Diagramm nicht nur Meldungen über Proteste oder Krisenthemen des nordostafrikanischen Landes, sondern sämtliche APA-Basisdienst-Meldungen, die den Suchbegriff „SUDAN“ enthalten. Im Dezember 2018 beginnen Proteste gegen die sudanesische Regierung (1). Als im April 2019 der Präsident Al-Bashir nach 30 Jahren an der Macht vom Militär gestürzt wird (2) und 100 der friedlichen DemonstrantInnen getötet werden (3), ist das Medienecho groß. Doch die Krise sei laut Schmidinger noch lange nicht vorbei. Seit September 2019 ist eine Übergangsregierung aus Regime, Oppositionsparteien und Militärregime an der Macht (4). Zen-

trale Ereignisse seien auch die Friedensverhandlungen mit verschiedenen Guerillabewegungen (5) im Frühjahr 2020 gewesen. Außerdem ist der Sudan stark von Corona betroffen (6) und seit Nilfluten (7) im September 2020 sind zehntausende Menschen obdachlos. Dazu fliehen seit November 2020 zehntausende Menschen aus dem Norden Äthiopiens vor dem Bürgerkrieg in Tigray in den Sudan (8), wo die humanitäre Situation bereits mehr als angespannt ist. Obwohl zentrale Ereignisse nach dem Sommer 2019 passierten, war die Resonanz in den Medien verschwindend gering. So nah und doch so fern In der Nachrichtenwerttheorie werden verschiedenen Faktoren definiert, die den Wert und darüber hinaus die „Wichtigkeit“ der Nachricht bestimmen. Der Nachrichtenfaktor „Nähe“ bezieht sich auf die räumliche, politische und kulturelle Nähe der RezipientInnen zu einer Nachricht. Wenn der Inhalt nah

Schauplatz Sudan Der Berichterstattungsvirus hat die

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genug am Leben der RezipientInnen sei, würde der Wert der Nachricht also steigen. Geografisch liegt Washington D.C. mit 7.126 km Luftlinie fast doppelt so weit entfernt wie die sudanesische Hauptstadt Khartum mit 3.917 km. Doch in unseren Kinofilmen feiern James und Mary Thanksgiving in den USA und nicht Abdul-Aziz und Nemat Mawlid das Ende des Ramadans – Eid al Fitr – im Sudan. „Mit den USA verbindet uns sehr vieles. Wenn dort bewaffnete DemonstrantInnen auf die Straße gehen, gibt es eine gefühlte kulturelle Verbindung. Diese führt dazu, dass wir Nachrichten darüber rezipieren. Wenn in einem afrikanischen Land ein Bürgerkrieg ausbricht, verbindet man in Österreich sehr wenig damit und so schafft es dieser überhaupt nicht in die Schlagzeilen.“ Schmidinger fügt jedoch hinzu: „Selbst, wenn wir nie in den USA waren, glauben wir das Leben dort zu kennen. Real tun wir das nicht. Ich habe ein Jahr in den Vereinigten Staaten gelebt und finde die These, dass die USA uns kulturell näher sind als Nordafrika mehr als diskussionswürdig.“ Richard Solder, Chefredakteur des von der gleichnamigen österreichischen NGO publizierten Magazins „Südwind“ konstatiert, dass die gefühlte Distanz auch durch die fehlende Berichterstattung über Themen des globalen Südens untermauert werden würde. Man könne das Angebot auch anders formen, Nachrichtenwerte in Themen dieser Länder finden und RezipientInnen darüber informieren. „Da würde ich schon auch die Massenmedien in die Verantwortung nehmen, dass man hier mehr in andere Richtungen blicken könnte. Das klassische ‚Was ist los in Washington?‘ wird genug abgedeckt.“ Neben der gefühlten Distanz nennt Politologe Schmidinger weitere Faktoren, die es Krisen schwer machen, in den Massenmedien diskutiert zu werden. Einerseits sei es von Bedeutung, ob österreichische JournalistInnen oder WissenschaftlerInnen eine Expertise zu betroffenen Gebieten hätten und andererseits, inwieweit seriöse Quellen verfügbar oder eine Reise in betroffene Gebiete möglich sei. „Ich wollte selbst auch einmal in den Jemen während des Bürgerkriegs. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. In Syrien und Libyen war es kein Ding der Unmöglichkeit. Das ist dann eine ganz andere Intensität der Berichterstattung, wenn ich vor Ort berichten kann.“ Jedoch sei nicht jeder Journalismus vor Ort tatsächlich gründlich recherchiert. Er habe es selbst im Libyenkrieg erlebt, als er sich in Benghazi in einem kleinen Altstadthotel niederließ, wohingegen der Großteil der in-

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Krisen Themaim Schattendasein der Medien

ternationalen JournalistInnen in einem 5-Stern-Hotel untergebracht waren. Während er mit Menschen auf der Straße sprach, wurden die Fernsehbeiträge internationaler TV-Stationen von den Balkonen des Hotels gefilmt und sogenannte „Fixer“ bezahlt, um „Betroffene“ in das Hotel zu bringen und Geschichten zu erzählen. „Das ist dann so ein Kriegsberichterstatter-Zirkus, der um die Welt geht. Das meine ich nicht mit Journalismus vor Ort.“ Folgen des Schattendaseins Medien tragen durch ihre primäre Funktion der Information dazu bei, Unkenntnis zu verringern. Doch was geschieht, wenn die Unkenntnis bleibt? „Es ist wichtig, dass berichterstattet wird, um zu wissen, was passiert und wie geholfen werden kann. So wird die Aufmerksamkeit auf die Region gelenkt und Organisationen können etwa einsteigen, um Soforthilfe anzubieten“, fordert Solder. Darüber hinaus würde weltweite Diplomatie Konflikten entgegenwirken und bei Menschenrechtsverletzungen zum Eingreifen des internationalen Strafgerichtshofs führen. Solder unterstreicht, dass Medien nicht nur während der Krise vor Ort sein sollten, sondern auch den Prozess danach begleiten müssten. Dabei verweist er als ein Beispiel auf den Genozid in Ruanda von 1994. Man solle für die Men-

Richard Solder / Copyright: Südwind

schen vor Ort dranbleiben, um ihnen durch Aufklärung und Information Perspektiven zu bieten. In Ruanda habe die derzeitige politische und gesellschaftliche Situation immer noch mit den Ereignissen von 1994 zu tun, es gebe noch immer Probleme und Herausforderungen, die auf den Genozid vor mehr als 25 Jahren zurückzuführen seien. Wenn Ruanda heute in Wirtschaftsmedien als afrikanisches Vorzeigeland und Wirtschaftsmotor der Region bezeichnet werde, sollte nicht vergessen werden, dass die Bevölkerung noch immer nicht in einer Demokratie lebt und die Folgen der Krisen von einst bis heute mitschwingen. „Wenn Länder oder Regionen aus dem Fokus geraten, etwa wenn eine akute Krise vorüber ist, verliert man die weitere Entwicklung aus den Augen“, konstatiert Solder. Wenn Krisen durch mangelnde Berichterstattung gar nicht erst in den Fokus geraten, sei es laut Schmidinger schwierig, diese plötzlich zum Thema zu machen. Dann müssten sich JournalistInnen eingestehen, dass man ein wichtiges Thema bisher „versemmelt“ habe. Man müsse den LeserInnen erklären, was jetzt plötzlich der Nachrichtenwert sei von einem Konflikt, den es schon jahrelang gibt und über den bisher nicht berichtet wurde. Im Nachhinein sei es fast unmöglich, eine Verbindung herzustellen. „Wenn jetzt plötzlich 100.000 JemenitInnen nach Europa fliehen, dann bin ich mir sicher, dass der Jemen ein Thema werden würde und dass sich JournalistInnen im Nachhinein in den Konflikt einlesen würden.“ So würde eine bisher vergessene Krise in das Scheinwerferlicht gerückt werden. „Ansonsten plätschert das einfach vor sich hin. Die Saudis bombardieren weiter Spitäler und Schulen, die Huthi-Rebellen kontrollieren weiter den Norden des Landes und die jemenitische und international anerkannte Regierung sitzt weiterhin im saudischen Exil.“ Solange keine Verbindung vorhanden sei, wäre für Massenmedien auch kein Nachrichtenwert vorhanden.


Thomas Schmidinger / Copyright: Privat

sei. „Wir schauen einerseits, dass wir jemanden vor Ort oder in der Region haben und greifen nicht auf Agenturmeldungen zurück.“ Außerdem würde man die Themen auch danach aussuchen, dass sie in den zweimonatlichen Rhythmus passen. „Mitunter warten wir bestimmte Themen, etwa sehr

dynamische Entwicklungen, bewusst ab und befassen uns damit, wenn die Massenmedien sie nicht mehr im Fokus haben.“ So blickte „Südwind“ auf die Waldbrände in Brasilien 2020, als große Medien sie schon wieder nicht mehr behandelten. „Südwind“ würde erst nach dem großen Medienecho genauer hinsehen: „Wie geht es jetzt weiter? Was machen die Menschen vor Ort?“ Dann sei es auch wichtig, Perspektiven für die Betroffenen zu schaffen. Die Jänner/Februar-Ausgabe 2021 beschäftigt sich u.a. mit der Situation der Rohingya-Flüchtlinge, die zwischen Bangladesch und Myanmar im größten Flüchtlingslager der Welt feststecken. „Das ist ein ganz wichtiges Thema, wo viele Menschen vertrieben worden sind, das aber bei uns in Österreich quasi nicht vorkommt. Da sehen wir es als unseren Auftrag, dort hin zu schauen.“ Das Europäische Amt für Humanitäre Hilfe (ECHO) veröffentlicht im jährlich erscheinenden „Forgotten Crisis Assessment“ eine Liste vergessener Krisen. ECHO spricht von einer vergessenen Krise, wenn die Faktoren Naturkatastrophe oder kriegerische Auseinandersetzung, eine besonders verwundbare Bevölkerung, geringes Hilfevolumen und wenig mediale Berichterstattung zutreffen. Im weltweiten Krisenjahr 2020 fanden sich Afghanistan, Algerien, Bangladesch, Burundi, Haiti, Kolumbien, Myanmar, Pakistan, Philippinen, die Sahelzone, Sudan, Ukraine, Venezuela, Zentralafrikanische Republik und Zentralamerika auf der Liste der „Vergessenen Krisen“ und NICHT in den Schlagzeilen der globalen Medienberichterstattung wieder.

von Karin Pargfrieder

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Wo weht der Wind in eine andere Richtung Die klassischen Nachrichtenwerte sind für das „Südwind“-Magazin nicht der einzige Orientierungspunkt, sagt dessen Chefredakteur: „Wir versuchen, Menschen aus dem globalen Süden eine Stimme zu geben, diese in Szene zu setzen und zu zeigen, was man sonst nicht oft sieht“. Das Magazin erscheint sechsmal im Jahr in Print und einmal im Monat via E-Mail-Newsletter aus der Redaktion. Es berichtet über Themen im Bereich der internationalen Politik, Kultur und Entwicklung. Auch wenn „Südwind“ bewusst nicht nur über Krisen berichten wolle, sehe man es als Auftrag hinzusehen, wenn der Fokus der großen Medien weg ist. Auf die Frage, unter welchen Umständen „Südwind“ die Berichterstattung auf Krisen lenke, meint Solder, dass das immer auch vom Anlassfall abhängig

Krisen im Schattendasein der Thema Medien

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„Reporter ohne Grenzen“ – oder doch mit? Ob autoritäre Regime, Populismus oder Kriege, Gründe für die weltweite Unterdrückung von Presse- und Meinungsfreiheit gibt es zur Genüge. Um diese Problematik zu beleuchten und mögliche Lösungen zu finden, sprach SUMO mit Martin Staudinger, Kriegsreporter und ehemaliger Auslandsressortleiter bei „Profil“, mittlerweile bei der Wochenzeitung „Falter“ angestellt, über seine persönlichen Erfahrungen, sowie mit Renan Akyavas, der Programmkoordinatorin des International Press Institutes (IPI), zuständig für die Türkei. Wirft man einen Blick auf die Statistik von „Reporter ohne Grenzen“ vom Jahr 2020, wird deutlich, dass knapp der Hälfte der Weltbevölkerung der Zugang zu objektiver und unabhängiger Information fehlt. Die Türkei, auf Rang 154 und Syrien, auf 174, sind somit von den insgesamt 180 aufgelisteten Ländern Teil des unteren Viertels. Doch was sind die Gründe dafür? Syrien ist seit langem gezeichnet von Krieg und Unterdrückung, und zwar auch die Medienlandschaft. In den von der syrischen Regierung kontrollierten Gebieten des Landes herrscht ein Medienmonopol, nämlich die Nachrichtenagentur „SANA“. Auch die neutralste Publikation von Fakten, beispielsweise die Erhöhung der Treibstoffpreise, kann zu einer Haftstrafe führen. Eine unabhängige, tagesaktuelle Berichterstattung ist kaum möglich und deshalb benötigt es AuslandsreporterInnen. Allerdings mussten sich diese während des Krieges beim Propagandaministerium melden, um einen „Minder“, also eine lokale Kontaktperson, zugewiesen zu bekommen, laut Staudinger. Diese sollten als Dolmetscher fungieren, seien aber eher Aufpasser der Regierung gewesen und hatten die Aufgabe, sicherzustellen, dass man nicht mit den „falschen Personen spricht“. Trotz dieser Maßnahme sei es aber dennoch möglich gewesen, sich mit anderen JournalistInnen vor Ort zusammenzufinden und auf eigene Faust zu recherchieren. Es war also „ein Mittelding, wir waren nicht unter permanenter Beobachtung, wie man es in autoritären Regimen immer wieder erlebt, aber auch nicht ganz frei“, rekapituliert Staudinger. Um einiges gefährlicher waren die Rebellengebiete, denn dort entwickelte sich eine Art „Entführungsindustrie“, deren Ziel (vor allem) westliche JournalistInnen waren, weshalb sich mit der Zeit kaum eine/r dorthin wagte. Nur in den Kurdengebieten sei es möglich gewesen, sich einigermaßen frei und sicher zu bewegen. Das wurde aber auch sehr stolz angepriesen. Eine der wenigen Möglichkeiten an Information zu gelangen, sind „Stringer“: Menschen, die vor Ort sind, beispielsweise

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„Reporter Thema ohne Grenzen“ - oder doch mit?

in Aleppo leben und sowohl Bild- als auch Videomaterial aufnehmen und an inländische und ausländische JournalistInnen schicken – ihr Ziel? Die Missstände und das Fehlverhalten des Regimes publik zu machen. Auch in der Türkei haben JournalistInnen mit Einschränkungen und Schwierigkeiten zu kämpfen – und gegen einen Mann an der Spitze, der darauf abzielt, auch an der Spitze zu bleiben. Allerdings unterscheidet sich das Vorgehen in der Essenz um Einiges, denn in der Türkei werde laut Staudinger buchstäblich „die Demokratie mit demokratischen Mitteln ausgehöhlt“. Gesetzesnovellen, wie zum Anti-Terror-Gesetz oder Social Media-Gesetz, tragen dazu bei, dass die ohnehin schon von Selbstund Außenzensur geprägte Berichterstattung nun noch eingeschränkter ist. Die Medienpolitik in der Türkei ist stark an den Staat gekoppelt, Radiound Fernsehsender werden von einer staatlichen Regulierungsbehörde, dem Obersten Rundfunk- und Fernsehrat (RTÜK), kontrolliert und auch sanktioniert. Der Rat besteht, wenig überraschend, größtenteils aus AKP-Mitglie-

Martin Staudinger / Copyright: Privat

dern (Erdogans Partei), aber auch ein paar wenige oppositionelle Mitglieder lassen sich finden. Dieser Rat setze systematisch Druckmittel gegen ganze Sender ein, konstatiert Akyavas. Die Justizbehörden begännen mit gerichtlicher Einschüchterung, andauernden Anklagen und Urteilen mit Freiheitsstrafen gegen einzelne JournalistInnen,

der RTÜK setzt Geldstrafen, die sich viele Sender irgendwann nicht mehr leisten könnten. Somit würde man diese, als ersten Schritt, bereits ausschalten. Akyavas betont, dass es durch diese Schikanen gelang, die Selbstzensur in 90% aller Berichterstattungen zu etablieren, da die ReporterInnen und Medienhäuser Sanktionen und Haftstrafen fürchteten. Der RTÜK hat gerade die vier einflussreichsten noch unabhängig und kritisch berichtenden Fernsehsender in der Türkei im Visier, jedoch: „the main purpose of this high council is clearly to shut down these four TV channels.“ Hilfe in Sicht? Laut Renan Akyavas habe das IPI 90% der stattgefundenen Verhandlungen gegen türkische JournalistInnen beobachtet und dokumentiert, 75% dieser Anklagen seien auf das Anti-Terror-Gesetz zurückzuführen. Die drei Haupttatbestände seien Verbreitung von terroristischem Propagandamaterial, Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation und Unterstützung einer Terrororganisation, ohne ein Mitglied zu sein. Als Beweismittel dienten häufig nur „Facebook“- oder „Twitter“Posts. Oft säßen JournalistInnen monatelang in Untersuchungshaft, ohne einen fairen Prozess oder eine Anklage bekommen zu haben. „If there would be a guilty verdict at the end of a yearslong process, it would then be adjusted in court to reflect the prison sentence already served”, meint Akyavas. Das ist einer der Hauptgründe, weshalb viele internationale Organisationen bei solchen Gerichtsprozessen dabei sind, denn allein durch ihre Präsenz schafften sie es manchmal den Prozess zu beeinflussen, sodass die JournalistInnen freigesprochen werden würden oder zumindest ein faires Verfahren stattfände. Auch das bereits erwähnte Social-Media-Gesetz werde von NGOs stark kritisiert und man versuche, mit Hilfe der EU, Druck auf die Regierung in Ankara zur Gesetzesrücknahme auszuüben, da die Türkei immer noch als Beitrittskandidat in Frage komme. Allerdings sei die türkische Regierung


Renan Akyavas / Copyright: IPI Renan Akyavas/ Copyright: IPI

das zu einem Umbruch führen, wünschenswert wäre es allemal. In Anbetracht dessen sollte man eines immer im Hinterkopf behalten: „Freedom of information is the freedom that allows you to verify the existence of all the other freedoms” (Win Tin, burmesischer Journalist).

von Kristina Petryshche

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Social Media sei Dank Denn „right now, social media is like news coverage as well. Other than writing these in their columns everyday they still write these opinions in their tweets.” Kein anderes Medium schaffte es bis jetzt, eine solche Vernetzung von Menschen in aller Welt zu gewährleisten und das kommt natürlich auch JournalistInnen weltweit zugute. Man kann zwar Inhalte löschen und Plattformen sperren, aber man wird immer einen Weg finden, um die Informationen an die Außenwelt zu tragen und das wissen autoritäre Machthaber nur zu gut. Social Media ist ein „sehr mächtiges Instrumentarium, an dem nicht so leicht vorbeizukommen ist“, formuliert Staudinger treffend. ReporterInnen zeigten vor allem in den letzten Jahren eine sehr hohe Courage und einen

Drang nach Gerechtigkeit. Die Globalisierung ermöglicht die internationale Zusammenarbeit und Unterstützung zusätzlich und sie hilft uns, Informationen aus allen Teilen der Welt zu erlangen. Somit ist das Handeln von autoritären Regimen nun nicht mehr zu verschleiern. Durch die Verbreitung von faktenbasierter und unabhängiger Information ist es für die Bevölkerung vor Ort nun möglich, sich ein Bild außerhalb der propagandagesteuerten Medienlandschaft zu machen und vielleicht könnte

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starken Willens und strenger Bestimmtheit, das Gesetz zu implementieren, um an die Daten der NutzerInnen zu gelangen, sagt Akyavas. Dies sei gar nicht so unwahrscheinlich, denn laut ihr habe „Facebook“ anno 2019 70% der Tagesinformationsanfragen, also Nutzerdatenfreigaben, zugestimmt und die Daten an die Regierung weitergeleitet. Mit dem neuen Gesetz versuche die Regierung, die großen Plattformen unter Druck zu stellen und das habe einen guten Grund.

„Reporter ohne Grenzen“ - oder doch mit? Thema

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Jobunsicherheit: „Goldene Ära des Journalismus ist vorbei“ Wirtschaftliche Probleme, Stellenabbau, schlechtere Kollektivverträge, schwierige Arbeitsbedingungen. Österreichs JournalistInnen kämpfen schon seit längerem mit den Schwierigkeiten des Marktes. Doch fürchten sie um ihre Anstellungen und ist ein Berufswechsel notwendig? Darüber diskutierte SUMO mit AJOUR-Geschäftsführerin Lydia Ninz, der Journalistin Valentina Dirmaier sowie einer weiteren Journalistin.

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Jobunsicherheit: „Goldene Ära des Journalismus ist vorbei“ Thema

Trend, der auch im „Österreichischen Journalismus-Report“ des Medienhaus Wien erkennbar ist. Denn vergleicht man den ersten Report aus dem Jahr 2007 mit den Daten von 2019, ist erkennbar, dass die Zahl der JournalistInnen rückläufig ist. So verminderte sich jene der hauptberuflichen JournalistInnen von 7.100 auf 5.350. Auch Vollzeitbeschäftigungen sind seltener geworden: In der ersten Ausgabe waren 76% aller JournalistInnen in Vollzeit angestellt, während das 2019 nur noch zu zwei Drittel der Fall war. Freie Journa-

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listInnen hingegen blieben – obwohl diese Zahl schwer messbar ist – auf demselben Niveau: ca. 900 Freiberufliche treffen zwölf Jahre später auf ungefähr 600 bis 900. Diese Entwicklung beobachtet AJOUR-Geschäftsführerin Lydia Ninz mit Besorgnis: „Es werden immer weniger JournalistInnen, die immer mehr machen und deswegen passieren auch mehr Fehler. Dann gibt es mehr Kritik und die Glaubwürdigkeit der Medien innerhalb der Gesellschaft wird untergraben.“ AJOUR-Coaching für arbeitslose JournalistInnen Solche Veränderungen konnten nicht nur mit Pensionierungen oder Wechsel

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Dienstag, 4. August 2020. In der APARedaktion in der Wiener Laimgrubengasse ertönt ein Signalton. Eine OTS-Meldung ist eingegangen. In einer Nachrichtenagentur nichts Besonderes. Aber diese Meldung aus dem Konzern mit dem roten Bullen verändert Österreichs Medienlandschaft: Die vom Gründer finanzierte Rechercheplattform „Addendum“ wird nach nicht einmal drei Jahren eingestellt. 57 MitarbeiterInnen sind plötzlich arbeitslos. Zeitgleich, nur zehn Gehminuten von der APA entfernt, findet im aufwendig renovierten Wiener Büro in der Siebensterngasse eine besondere Redaktionssitzung statt. In der sogenannten „All-Star-Sitzung“ werden Valentina Dirmaier und ihre KollegInnen davon unterrichtet, dass sie ab Mitte September ohne Job dastehen werden. Ein Schlag ins Gesicht. Zwar wurde in der Branche schon länger darüber gemunkelt, aber die Belegschaft wog sich in trügerischer Sicherheit. Fehlende Kurzarbeit und besonders gute NutzerInnenzahlen, die auf datenjournalistische Aufbereitungen wie der ersten österreichischen Corona-Ampel zurückgehen, machen den gewählten Zeitpunkt unverständlich. So ist die kurzfristige Entscheidung ein Schock. Wie unerwartet das plötzliche Aus ist, zeigt das Beispiel eines ehemaligen Mitarbeiters, der sich gerade in einer heißen Quelle entspannt hat, als ihn die Nachricht aus der Redaktion erreicht. BeobachterInnen empfanden die Entscheidung aufgrund der EigentümerInnenstruktur nur als eine Frage der Zeit. Doch auch in anderen Medienunternehmen werden Stellen abgebaut. Große österreichische Medienunternehmen wie der ORF und die APA sehen sich aus Spargründen dazu gezwungen, MitarbeiterInnen zu entlassen. Seit 2007 mussten beim ORF 800 Beschäftigte gehen, bei der APA wird aktuell (Stand November 2020) geplant, 25 Stellen zu streichen. Letzteres wird von Protesten der Belegschaft sowie der JournalistInnengewerkschaft GPA-djp und der Betriebsräte/-rätinnen österreichischer Medien – darunter der Styria Group – begleitet. Diese Beispiele zeigen einen


Unsicherheit, aber keine Angst Angesichts dieser Entwicklungen stellt

sich die Frage, wie Österreichs JournalistInnen mit den Schwierigkeiten der Branche umgehen. Lisa (Anm.: Name geändert) arbeitet in einem VollzeitBeschäftigungsverhältnis für eine Tageszeitung. Davor war sie auch als freie Journalistin und bei anderen Medien tätig. Derzeit sieht sie ihren Job nicht in Gefahr. „Ich glaube, ich verdiene so wenig, dass ich nicht wirklich auffalle“, schmunzelt sie. Trotzdem wisse man als JournalistIn, dass Medien immer wenig Geld und Ressourcen haben. Es handle sich aber immer um eine Frage der Prioritätensetzung des jeweiligen Mediums und darum, welche Stellung man intern habe. Das sei immer sehr subjektiv. „Von der Chefredaktion und der Redaktion werde ich sehr wertgeschätzt, deswegen habe ich nicht so die Angst, dass ich abgebaut werde“, konstatiert die Redakteurin. Allerdings schwinge die Unsicherheit immer ein

Valentina Dirmaier / Copyright: Privat

bisschen mit. Das sei gar nicht so ein Problem, weil die Branche sehr schnelllebig sei. Sollte man einmal gefeuert werden, werde irgendwo anders wieder eine Stelle frei. Je länger man in der Branche sei und sich einen Namen gemacht habe, desto mehr Kontakte habe man und desto einfacher werde es, eine Alternative zu finden. Auch Valentina Dirmaier hatte vor ihrem „Addendum“-Rausschmiss keine Angst um ihren Job. Sie habe den Job mit dem Wissen angenommen, dass es morgen vorbei sein könnte. „Es ist ein bisschen ein Spiel mit dem Feuer, weil jede/r irgendwie weiß, dass es vorbei sein kann, egal ob jetzt oder später“, findet sie eine passende Metapher für die damalige Situation. Zu Beginn der Covid19-Pandemie habe sie sich schon Gedanken zur Branchenentwicklung gemacht und überlegt, ob sie der Branche den Rücken kehren solle. Sie

glaubt auch, dass einige KollegInnen schon ähnliche Pläne schmiedeten und „mit einem Auge zum Stellenmarkt geschielt haben“. Niemand habe bei „Addendum“ einen Job angenommen und geglaubt, dass es das Medium in den nächsten zehn bis 15 Jahren noch gibt. Valentina Dirmaier und Lisa sind sich einig, dass bei etablierten Medien wie dem ORF, dem „STANDARD“ oder der „Presse“ eine längere Beschäftigung erwartet werden könne und deswegen die Angst weniger groß sei. Lisa denkt, dass die Grundangst bei allen ein bisschen da sei, deren Ausmaß aber stark vom Medium abhänge. Denn wisse man, dass es das Unternehmen in baldiger Zukunft nicht mehr geben kann schwinge immer eine Grundangst mit. Deswegen schaue man sich auch nach neuen Positionen um und sei die ganze Zeit „mit einem Zeh schon draußen“. Das beeinflusse auch die Produktqualität des Mediums. Dieses Phänomen fasst Dirmaier wie folgt zusammen: „Bei neuen Projekten, wo nur ein Geldgeber dahintersteckt, ist das Risiko eines schnellen Todes hoch.“ Befristete Verträge und einvernehmliche Lösungen Lisa erzählt, dass JungjournalistInnen meist mit befristeten Verträgen oder als Karenzvertretung in ein Medium einsteigen. Diese Zeit nutze das Unternehmen, um einen besser kennenzulernen. Das sei für die JournalistInnen mit viel Druck verbunden, weil man sich in dieser Zeit beweisen müsse. Dennoch sei es eine gute Möglichkeit, die viele Leute auch nutzen würden – jedoch mit einiger Unsicherheit verbunden. Für ihre jetzige Stelle hat Lisa sogar einen anderen Job aufgegeben, bekam aber bereits zu Beginn gesagt, dass eine Übernahme „relativ wahrscheinlich“ sei. Einige ihrer jungen KollegInnen hingegen müssten bei jeder Vertragsverlängerung teilweise bis zum letzten Monat „zittern“, weil noch überlegt werde und Ressourcen herumgeschoben werden. Meistens finde sich dann doch noch irgendeine Lösung, weil die Branche in dem Sinn sehr flexibel sei, dass andere in Karenz gehen oder sich umorientieren und beispielsweise in die PR wechseln. Letztere Entscheidung hänge häufig mit der hohen Arbeitsbelastung zusammen. „Wenn man eine Zeit lang dabei ist, hat man schon das Gefühl, dass man immer mehr arbeiten und immer mehr Ergebnis bringen muss, ohne mehr bezahlt zu bekommen“, beschreibt Lisa den Druck. In der PR würden dann bessere Arbeitsbedingungen und Bezahlung erhofft werden. Komme es zur Beendigung von

Jobunsicherheit: „Goldene Ära des Journalismus ist vorbei“ Thema

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des Berufsfeldes ausgeglichen werden. Laut AMS ist die Arbeitslosigkeit unter österreichischen JournalistInnen nach der Weltwirtschaftskrise 2008 von 410 auf 641 Personen gestiegen. Kontinuierliche Anstiege, zwischen 2015 und 2017 etwa in Höhe von knapp 10% folgten, bis 2019 die Zahl sogar bei 773 arbeitslosen JournalistInnen lag. In dieser Zeit ist auch die Idee für die AMSInitiative AJOUR geboren worden. „Es hat sich schon vor sechs, sieben Jahren abgezeichnet, dass es im Journalismus zu Umbrüchen und zu Arbeitslosigkeit kommt“, erklärt Ninz. Gründe dafür seien die vielen angehenden JungjournalistInnen am Markt, der Abbau bei traditionellen Medien und die Entstehung neuer Medien, die komplett andere Qualifikationen voraussetzen. Einer internen Langzeitstudie zufolge seien die KundInnen von AJOUR vor allem abgebaute JournalistInnen. Darunter seien zwei von vier KundInnen schon seit mindestens einem Jahr arbeitslos. Die Personen seien sehr unterschiedlich, es sei „von allem etwas dabei“. Ein „ziemlich starker“ Cluster zwischen 40 und 50 sei aber schon bemerkbar. Jüngere KundInnen möchten sich oft neu orientieren. Doch was bietet die Einrichtung? AJOUR ist ein Service, das arbeitslose JournalistInnen ein halbes Jahr lang mit einem passenden Coach zur Seite steht. Es werde versucht, die Situation der Person zu analysieren und deren Fähigkeiten und Potentiale zu identifizieren. Das Ergebnis sei offen, journalistische Arbeit genauso möglich wie ein Wechsel in einen ganz anderen Bereich. Ninz versteht den Fokus von AJOUR folgendermaßen: „Wir stehen auf der Seite der Menschen, aber nicht als FreundInnen oder als Familie, sondern als professionelle Coaches, die aus ihnen herausholen, was in ihnen drinnen steckt.“ Das beinhalte nicht nur Kurse und Coaching, sondern auch Hilfe für den Start in die Selbstständigkeit. Die Wirkung des Konzepts zeigen beispielsweise die Zahlen des letzten Durchgangs aus dem Sommer 2020. Von 80 gecoachten Personen fanden 42 Leute, deren Altersdurchschnitt bei 39 Jahren lag, nach diesem Coaching einen Job oder in die Selbstständigkeit. Davon blieben 31% dem Journalismus treu, der Großteil (57%) wechselte aber in einen mediennahen Bereich wie zu PR-Agenturen. Drei weitere Personen haben eine neue, längere Ausbildung, beispielsweise ein Doktoratsstudium, begonnen.

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Beschäftigungsverhältnissen, werde immer versucht, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Sollte die Zusammenarbeit nicht passen, werde das den Personen von den Medien „durch die Blume“ klargemacht. In diesem Fall versuche man die Person sanft abzuschieben. Das sei eher bei langjährigen MitarbeiterInnen der Fall, ob derer Verträge hohe Ablösen bezahlt werden müssten. Meistens stehe aber eine reine Ressourcenfrage dahinter. Dann werde häufig versucht, sobald die notwendigen Ressourcen beschafft sind, die Person wiedereinzustellen. Auch die Jobsuche für JournalistInnen wird durch die Branchenprobleme erschwert. Praktika wurden 2020 von vielen Medien nicht besetzt. Valentina Dirmaier bewerbe sich, wenn der Markt etwas hergebe. Falls da nichts „Vernünftiges“ dabei sei, investiere sie lieber mit einem möglichen Rechtswissenschafts-Studium in ihre Bildung, das sich auch gut mit Journalismus verbinden ließe. Bei einigen Bewerbungsgesprächen sei ihr aber schon klar geworden, dass gewisse Stellen sehr schlecht bezahlt werden und man ab einem gewissen Alter nicht mehr so leben möchte. „Die goldene Ära des Journalismus ist vorbei“, ist sie sich bewusst und erinnert sich, dass sie das auch schon in ihrer Ausbildung zu spüren bekam. In jener Zeit sei der Kollektivvertrag neu ausgehandelt worden, folglich sei sie besser eingestuft worden. Mit einem Fixum von 700 € sei sie in ihr erstes Ausbildungsjahr gestartet. Gerade am Anfang setze man sich nicht zur Wehr, weil man befürchte, sich eine Tür für einen späteren Job zu versperren. Alles, nur nicht frei Derzeit arbeite die ehemalige „Addendum“-Mitarbeiterin „aus Liebhabertum“ als freie Journalistin. Etwas, das sie nicht auf Dauer tun möchte. „Als freie/r Angestellte/r in Österreich ist es eine Katastrophe. Das Honorar ist wirklich gering, man wird pro Anschlag oder pro Zeichen bezahlt. Egal ob man sich eine Kolumne aus den Fingern saugt oder ob man auf Reportage geht“, zeigt Dirmaier Probleme auf. Auch die Abstimmung mit der Redaktion und das „ewige Hin und Her“ seien sehr mühsam. Von den Redaktionen werde auch oft vergessen, dass vom Honorar eigentlich eine Versicherung, eine Pension, eine Wohnung, Zusatzsicherungen und sonstige Kosten gedeckt werden müssen. Neben ihrem Studium könne sie sich so eine Tätigkeit schon vorstellen, aber nicht mehr als einzige Beschäftigung. „So kann man in Österreich kaum überleben.

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Man muss PR oder sonst etwas nebenbei machen. Für eine rein journalistische Tätigkeit ist die Landschaft zu klein“, weiß Dirmaier, dass auch die geringe Marktgröße zur Schwierigkeit beiträgt. Auch Lisa spricht bei freien Dienstverhältnissen von „extrem schlechter“ Bezahlung, weswegen viele Aufträge benötigt werden. Sie könne sich ebenfalls keine langfristige freie Tätigkeit vorstellen. Allerdings habe sie in dieser Zeit viel Organisatorisches und „Outof-the-Box“-Denken gelernt. Als positiv merkt sie auch das große Netzwerk mit Kontakten in der Medienbranche und möglichen InterviewpartnerInnen an. Ein Netzwerk mit anderen Freien sei auch sehr wichtig, damit man auf deren Erfahrungen zugreifen kann. In Anbetracht der schrumpfenden Zahl an fest angestellten Journalistinnen kann trotzdem nicht von einer Abschiebung in freie Dienstverhältnisse die Rede sein. Wenn Personen von einem Anstellungsverhältnis in jenes als Freie wechseln, passiere das meistens freiwillig. Gründe könnten zum Beispiel der Charakter, fehlende Zustimmung zur jeweiligen Blattlinie, ein größerer inhaltlicher Fokus als mediale Ressorts erlauben und keine Möglichkeiten für eine Festanstellung sein – oder aber unfreiwillig, weil ihnen gekündigt wurde. PR als Rettung? Ein Wechsel in die PR stellt für viele JournalistInnen eine Rettung vor all diesen Problemen dar. Das liege vor allem daran, dass sich die Berufsfelder nicht so ungleich sind. Valentina Dirmaier sieht darin aber keine Lösung und würde nur „ungern“ in die PR wechseln. Die einzigen Ausnahmen wären gewisse Projekte oder Start-Ups mit guten Ideen, Großkonzerne schließt sie aus. Eine der vielen JournalistInnen, die diesen Sprung wagten, ist Lydia Ninz. Nachdem sie mit 47 Jahren „abgebaut“ wurde, war sie als Pressesprecherin © Copyright: adobe stick / Pormezz

Jobunsicherheit: „Goldene Ära des Journalismus ist vorbei“

tätig. „Wenn ich weiß, wie JournalistInnen ticken, dann kann ich auch viel effizienter im PR-Bereich arbeiten“, stellt sie klar. Ein klarer Vorteil sei, dass man versteht „wie es in einer Redaktion zugeht“. Dann könne man auf der anderen Seite viel besser die Botschaften so entwickeln, dass es JournalistInnen auch interessiert. Das sieht Lisa auch so. Sie ist umgekehrt aus der PR in den Journalismus gewechselt. Die starke Verbundenheit der Berufe mit der Medienwelt und dass man die Zusammenarbeit im Arbeitsalltag schon kenne, seien ebenfalls positiv zu bewerten. Momentan könne sich Lisa zwar keinen erneuten Wechsel vorstellen, aber wenn sich die Medien in ihrer neuen Funktion nicht zurechtfinden sollten, sei die Gefahr schon da, dies tun zu müssen. Mittelfristig fühle sie ihre Arbeitsstelle nicht so sehr gefährdet, aber langfristig sei natürlich jeder Medienjob ein bisschen bedroht. Dementsprechend seien die PR oder andere mediennahe Berufe für JournalistInnen schon immer alternative Berufe. Es bestünde immer eine Möglichkeit im Hinterkopf und in gewisser Weise auch ein „Sicherheitsnetz“. Dass viele JournalistInnen ähnlich denken, könne man daran sehen, dass viele in den PR-Bereich wechseln. „Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich mir nicht so Sorgen mache. Es ist nicht so, dass ich nur das kann und ansonsten aufgeschmissen wäre“, denkt Lisa laut nach.

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Satire als Gegenmittel in Krisen Satire kennt viele Kanäle und Formen, die neben Unterhaltung auch tiefgründigere Funktionen haben. Aber welche Rolle spielt Satire in Krisensituationen, welchen Mehrwert hat sie und wo liegen die Grenzen? SUMO sprach darüber mit Florian Scheuba, Schauspieler, Kabarettist, Buchautor, Kolumnist und Moderator, und Fritz Jergitsch, Kabarettist und Chefredakteur von „Die Tagespresse”. Krisensituationen beeinflussen insbesondere das psychische Wohlergehen der Menschen und können unter anderem Angst, Stress und Verzweiflung verursachen. Im AXA Mental Health Report 2020 gaben 32% der Befragten eine Verschlechterung der eigenen psychischen Verfassung im Verlauf der Corona-Krise an. Ein Weg, mit einer solchen Belastung umzugehen, ist – zu lachen. Laut Fritz Jergitsch haben Satire und Humor eine psychohygienische Funktion. Sie könnten angespannte Situationen entkrampfen und dazu beitragen, besser mit ihnen umgehen zu können. „Im Englischen gibt es die Redewendung ‚To make light of a bad situation‘, wenn man einen Witz über eine schwierige Situation macht. Ich denke, das sagt schon sehr viel darüber aus, was Humor in unserem Gehirn macht. Er hilft uns, den Alltag besser zu ertragen”. Die Konfrontation mit Ängsten ist besonders in Krisensituationen für viele Menschen ein Problem. Auch hier kann Humor ein Gegenmittel sein. Florian Scheuba beschreibt Satire als eine Notwehr gegen Zumutungen. In Krisensituationen könne satirischer Humor eine Methode sein, Angst zu nehmen und Abstand zu gewinnen. „Angst ist eine Degeneration der Aufmerksamkeit. Humor und Satire sind Kraftfutter für Aufmerksamkeit. Sie können Aufmerksamkeit wieder auf Dinge lenken und helfen, sie wieder einzuordnen und mit etwas weniger Angst auf diese zu schauen”.

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Kritik der Mächtigen Das Kritisieren von Personen, Ereignissen oder Zuständen gehört zu den Grundfunktionen von Satire. Mittels Stilelementen wie Ironie, Übertreibung und Spott können Missstände aufgegriffen und zum Nachdenken und Reflektieren angeregt werden. Satire ist daher im Gegensatz zur klassischen Comedy hochpolitisch. Diese Funktion ist auch besonders in Krisensituationen wichtig. Dazu sagt der Chefredakteur von „Die Tagespresse”: „Es gehört zur Grundaufgabe der Satire, dass sie

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Satire als Gegenmittel in Krisen

denen da oben den Spiegel vorhält und durch das Mittel der satirischen Übertreibung Missstände sichtbarer macht, indem diese ein bisschen exzessiver dargestellt werden, als sie sind. So erfüllt Satire natürlich auch eine Funktion als Kritik der Politik und der Mächtigen”. Informationscharakter Satire hat einen größeren Mehrwert als die bloße Unterhaltung. Dieser ist jedoch oft nicht gleich ersichtlich und nur schwer quantifizierbar. Satire kann Wahrheiten, Nachrichtenwerte und Informationsgehalte übermitteln und dies anders verpacken als gewöhnlich. Humor und Wahrheit sind zwei eng miteinander verbundene Dinge. Laut Jergitsch funktionieren Witze nur mit einem wahren Kern. Scheuba betont auch die weitere wichtige Funktion von Satire, Inhalte zu vermitteln, die medial zu wenig gewürdigt werden. Damit sei auch ein gewisser Bildungsauftrag verbunden. Besonders in Krisenzeiten gingen oft wichtige Themen unter, auf die man mittels satirischer Darstellung Aufmerksamkeit lenken könne. Krisensituationen würden auch manchmal bewusst von Menschen genutzt werden, die darauf hoffen, dass eine Sache untergehe und medial nicht wahrgenommen werde. Dabei habe Satire die Fähigkeit, den Fokus des öffentlichen Interesses auf solche Themen lenken zu können. Wo liegen die Grenzen? Die Frage, wann Satire zu weit geht wird seit Ewigkeiten stark debattiert, aufgrund der potentiellen Reichweite im Internet noch heftiger. Kontroversen wie um Jan Böhmermanns Gedicht über den türkischen Präsidenten Erdoğan mit dem Titel „Schmähkritik“ sind Auslöser solcher Diskussionen. Grundsätzlich wird Satire in Österreich gesetzlich kraft der Meinungs- und Kunstfreiheit geschützt, ihre Grenzen liegen bei der Verletzung der menschlichen Ehre und der Menschenwürde. Aber nicht nur gesetzliche Vorschriften, sondern auch die subjektive Einschätzung darüber,


wann Satire zu weit geht, spielt eine Rolle. Diese Grenze verläuft für jeden Menschen anders. „Wir orientieren uns eher an unserem Bauchgefühl. Wir überlegen uns bei jeder Schlagzeile: ‚‚Ist diese Schlagzeile gerechtfertigt‘? Bei einem härteren Witz denken wir noch ein bisschen länger nach und diskutieren vielleicht auch. Es kommt natürlich vor, dass dann Leute unter einen Artikel schreiben, dass dieser Inhalt zu weit geht”, so Jergitsch über die Abwägung der Grenzen bei Artikeln von „Die Tagespresse”. Des Weiteren achte Jergitsch darauf, keine Witze auf Kosten von Menschen mit Beeinträchtigungen und jenen, die es unverschuldet schwieriger haben zu machen. Rein thematisch gebe es für Florian Scheuba keine Grenzen: Es komme immer auf das Wie an. Ein und derselbe Scherz könne in einer speziellen Situation sehr unpassend und in einer anderen sehr passend sein. „Das Wesen von Humor ist es, dass er alles umfasst. Darum gibt es auch Phänomene wie den ‚schwarzen Humor‘, der auch dazu da ist, schlimme Dinge zu verarbeiten, weil Humor eine Form der Distanzierung ermöglicht”, so Scheuba. Lob und Kritik Die Wahrnehmung der RezipientInnen satirischer Inhalte sind bei heiklen Krisenthemen sehr unterschiedlich. Während einige den Humor positiv wahr-

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nehmen, empören sich andere über dieselben Inhalte. „Nach dem Anschlag in Wien haben wir uns dazu geäußert und zu 70% positive Rückmeldungen bekommen. 30% haben Kommentare in der Bandbreite von ‚Leute, das ist zu früh‘ bis hin zu wüsten Beschimpfungen gepostet. Wenn man über ein solch extrem aufgeladenes und furchtbares Thema wie einen Terroranschlag schreibt, kommt es natürlich vor, dass es vielen Leuten zu weit geht. Wir sind der Meinung, dass man sich gerade in solchen Zeiten nicht durch Terror den Humor nehmen lassen und sich nicht zum Schweigen bringen lassen sollte”, berichtet Fritz Jergitsch. Zu einem anderen Krisenkontext, jenem von Corona, konstatiert Florian Scheuba: „Ich bin noch kurz vor dem Lockdown mit Florian Klenk, den ‚Staatskünstlern‘ und auch solo aufgetreten und da hatte ich das Gefühl, dass die Menschen besonders aufmerksam und auch dankbar dafür sind, dass etwas auf der Bühne stattfindet und dabei Vieles satirisch beleuchtet wird. Ich glaube, dass dafür ein Bedürfnis da ist und dass es Menschen fehlt, wenn das derzeit auf Bühnen nicht möglich ist”. Sich zu amüsieren – auch über und in Krisen – ist ein menschliches Bedürfnis. von Christian Krückel

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Thema Pressefreiheit - Wahrheit kann bestraft werden


Auf der Suche nach Schnäppchen über Vergleichsportale Um die niedrigsten Preise zu finden, konsultieren immer mehr Menschen das Internet und kommen dabei nicht an diversen Vergleichsportalen vorbei. SUMO sprach darüber mit Reinhold Baudisch, dem Geschäftsführer von „durchblicker.at“, mit Markus Nigl und Michael Nikolajuk, dem Geschäftsführer und dem Marketingleiter von „geizhals. at“, sowie mit Gabi Kreindl, Versicherungsexpertin im Verein für Konsumenteninformation.

Wer warum gelistet wird Das Auswahlverfahren variiert je nach Vergleichsseite, jedoch ist es das Ziel

der meisten Vergleichsportale, dass ein möglichst breiter Umfang des Marktes wiedergegeben werden kann. Bei der Auswahl der gelisteten Unternehmen läuft es immer ähnlich ab. „Der Händler meldet sich bei uns oder wir kontaktieren ihn. Was einmal prinzipiell verlangt wird, sind grundlegende Fakten wie ein Handelsregisterauszug und ein Gewerbeschein. Danach werden die Preislisten von unserem Supportteam gecheckt und mit dem des Händlers abgeglichen“, so Geizhals-Geschäftsführer Markus Nigl über den Prozess. „Weiters kontrolliert werden gesetzliche Rahmenbedingungen wie die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, das Impressum sowie das Einhalten von Widerrufs- und Fernabsatzrecht“. Im Grunde genommen würden jedoch die meisten Unternehmen auf den verschiedenen Plattformen abgebildet, nur in seltenen Fällen komme es tatsächlich vor, dass Unternehmen von dem Vergleich ausgeschlossen werden. „Ganz selten gibt es Ausnahmefälle. Aber wenn wir sehr häufig über einen Anbieter hören, dass dieser nicht seriös am Markt auftritt, dann kann es im Einzelfall schon mal sein, dass wir sagen, es ist besser, wir listen diesen nicht. Weil das wäre ja kein guter Rat den NutzerInnen gegenüber“, erklärt Durchblicker-Geschäftsführer Baudisch. Auch Schutzmechanismen wirken gegen unseriöse Händler. So

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„durchblicker.at“ verzeichnet durchschnittlich bis zu 800.000 Unique User pro Monat, bei „geizhals.at“ sind es sogar 3,5 Millionen. An diesen Zahlen erkennt man, dass Vergleichsportale in Österreich viel genutzt werden. Es gibt inzwischen kaum ein Produkt oder eine Dienstleistung, die durch solche Portale nicht abgedeckt werden – vom Urlaub über die Autoversicherung bis hin zur elektrischen Zahnbürste. Vergleichsportale entscheiden also inzwischen bei einer Vielzahl an KonsumentInnen, bei welchem Händler sie welches Produkt beziehungsweise welche Dienstleistung beziehen und zu welchen Konditionen. Da die Preislisten mehrmals pro Stunde aktualisiert werden, ist es möglich, jederzeit den günstigsten Preis zu finden. „Vergleichsportale werden von den KonsumentInnen sehr gut angenommen. Das Problem von Verbraucherschutzseite ist, dass oft unklar bleibt, welche Rolle das Portal hat und welche Anbieter überhaupt verglichen werden. Oft wird nicht der volle Markt abgedeckt“, berichtet Kreindl. Laut ihr sei noch einiges an Verbesserungspotential möglich, vor allem wenn es um die Transparenz und das Verständnis des Modells selbst gehe.

Auf der Suche nach Schnäppchen über Vergleichsportale

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gibt es bei einigen Portalen eine Meldung an das Supportteam, sobald der Preis zu weit unter dem der anderen Anbieter fällt. Die Preislisten, welche ständig automatisiert überprüft werden, können in diesem Fall vom Supportteam manuell geprüft werden und im Falle eines Fehlers schnell korrigiert werden. Markus Nigl meint, dass weder KonsumentInnen noch ein Händler in diesem Fall profitieren würden. Einzig allein das Vergleichsportal selbst würde zumindest finanziell profitieren, da im Falle eines zu niedrigen Preises die UserInnen durch zahlreiche Klicks den Umsatz angekurbelt hätten. Geldfluss an die Portale Da die Portale nicht nur eine hohe Vergleichsreichweite bieten, sondern auch ein Stück vom Umsatz abbekommen möchten, stellt sich die Frage nach deren Finanzierung. In der Regel funktioniert diese entweder auf CPC, also Cost per Click-Basis oder auf CPO, sprich Cost per Order. „Aktuell bekommen wir (Geizhals) für jeden Click so um die 30 Cent von einem Händler. Im Fall eines CPO-Vertrages bekommen wir einen gewissen Prozentbetrag als Provision“, erzählt Nigl. In der Regel komme es vor, dass sowohl die Händler den Kontakt zum Unternehmen suchen, als auch umgekehrt. Michael Nikolajuk, Geizhals-Marketingleiter, berichtet: „Als wir gewachsen sind, sind viele Händler auf uns zugekommen, aber irgendwann einmal hat man einen großen Händlerstamm. Dann wird es eher schwierig, dass diese aktiv auf uns zukommen, stattdessen versuchen wir aktiv auf die Händler, die wir noch nicht haben, zuzugehen.“ Einflüsse durch Äußere und Innere Kaum ein Unternehmen, das Preisvergleiche durchführt steht alleine da. Zumeist sind diverse Gesellschafter oder Investoren an dem Geschäftsmodell beteiligt. „Wichtig ist, dass du als Vergleichsplattform niemanden als Eigentümer hast, der auf der Plattform mit verglichen wird“, sagt Baudisch. Durchblicker hat neben seinem Business Angle Hansi Hansmann auch weitere Gesellschafter, darunter der amerikanische Investor White Mountains, der 45% der Anteile hält. White Mountains ist zwar in der Versicherungsbranche tätig, jedoch nicht in Österreich und auch nicht im B2C-Bereich. Geizhals hat ebenso eine Vielzahl an Gesellschafter, der weitaus mächtigste mit 90% Anteil ist der deutsche Medienkonzern Heise Gruppe. Auch hier wird SUMO versichert, dass die Mediengruppe am operativen Teil des Unternehmens keinen Einfluss habe und dass bis auf die Nut-

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zung von Synergien und diversen Kooperationen keine weitere Beziehung bestehe, da die Geschäftsbereiche doch zu unterschiedlich seien. Da auch der Werbeanteil nur einen sehr geringen Anteil des Gesamtumsatzes einer Vergleichsseite ausmacht, sind auch hier wenige Einflüsse zu erwarten. Einzig bei der Gestaltung des Newsletters können die Portalbetreiber ihren eigenen Interessen nachgehen. „Wir platzieren im Newsletter auch neuere, nicht ganz so bekannte Produkte oder Features. Der Hintergrund ist natürlich auch der, dass wir versuchen, auch unsere Breite darzulegen. Wir werden immer als sehr techniklastiger Preisvergleich für Unterhaltungselektronik und Hardware wahrgenommen. Aber inzwischen kann man auch andere Dinge bei uns bekommen“, erzählt Nikolajuk. Zum Schutz der KonsumentInnen Aus Sicht des Konsumentenschutzes sind Vergleichsportale jedoch noch nicht ganz userfreundlich gestaltet. So ergab beispielsweise eine Studie des Europäischen Verbraucherzentrums Österreich aus dem Jahr 2015, dass nur 11% der Vergleichsportale in der EU Kontaktmöglichkeiten angeben und lediglich 34% aufzeigen, wohin man sich im Beschwerdefall wenden kann. Auch Gabi Kreindl meint, dass fehlende Transparenz noch immer ein großes Problem sei. Vor allem im Versicherungsbereich gehe oft nicht klar für KonsumentInnen hervor, ob es sich um ein Versicherungsunternehmen im Vergleich handelt oder einem/r Makler/ in. Auch wenn es für viele Menschen angenehmer sein mag, sich nicht mit einem/r Versicherungsberater/in zusammenzusetzten, da der Druck zum Abschluss groß ist, so weiß man oft nicht, wer einen bei einem Schadensfall beraten wird oder wie lange der Vertrag gilt. Kreindl empfiehlt sich bei Vergleichsportalen immer zu fragen: „Sind alle oder möglichst viele Anbieter gelistet? Wie ist denn dieses Vergleichsportal finanziert? Wer zahlt da was wofür? Dann wird es schon ein bisschen klarer, was hier Sache ist.“

Michael Nikolajuk / Copyright: Geizhals

Markus Nigl / Copyright: Geizhals

Reinhold Baudisch / Copyright: Sebastian Freiler

von Laura Sophie Maihoffer

Auf der Suche nach Schnäppchen über Vergleichsportale

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Keine Zukunft für Musikmedien? Was haben der einst so populäre Musik-TV-Sender „VIVA“ und die Musik- und Popkulturzeitschrift „SPEX“ gemeinsam? Beide haben in den vergangenen drei Jahren ihren Betrieb eingestellt. Heute stellt sich die Frage, ob im Zeitalter von „YouTube“ und „Spotify“ Musikfernsehen und -magazine überhaupt noch eine Rolle spielen. SUMO sprach daher mit dem Musiksoziologen Michael Huber und Theresa Ziegler, Chefredakteurin des österreichischen Kulturmagazins „The Gap“, über Musiksozialisation, wirtschaftliche Herausforderungen von Musikmedien sowie Musikwahrnehmung in der digitalen Ära.

Die Rolle der Musiksozialisation So oder ähnlich ging es vielen jungen Erwachsenen in Deutschland und Österreich, die in den 1990er und 2000er Jahren mit „VIVA“ und MTV aufgewachsen sind. Auch Michael Huber, stellvertretender Leiter des Instituts für Musiksoziologie an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, erinnert sich gerne zurück und verdeutlicht die Rolle der Musiksozialisation. Die MTV-Sendung „120 Minutes“, eine Musik-Show, in der die neuesten und interessantesten Clips gezeigt wurden, habe er damals mit seinem VHS-Rekorder aufgenommen, um am nächsten Tag nachzusehen, ob etwas Spannendes dabei war. Mit Fragen wie „Hast

du schon das neue Video von ‚Nine Inch Nails‘ gesehen?“ wurden die Themen des nächsten Tages durch solche Sendungen festgelegt, wodurch man mit der Rezeption dieser Inhalte soziales Kapital innerhalb einer Gruppe generieren konnte, so Huber. Für die gebürtige Bayerin und Chefredakteurin von „The Gap“, Theresa Ziegler, war der österreichische Musikfernsehsender „gotv“ sogar der erste Zugang zu österreichischen Musikmedien und einer der ersten Anknüpfungspunkte für ihre spätere musikjournalistische Karriere. „Hier habe ich zum ersten Mal ein‚‚Bilderbuch‘-Musikvideo gesehen“, erzählt Ziegler. Geld ist nicht alles Als Paradebeispiel, dass es bei Musikmedien nicht ausschließlich um monetäre, sondern auch um gesellschaftliche Aspekte geht, dient „The Gap“. Aus Theresa Zieglers Sicht wäre ein monatliches Erscheinen des Magazins durchaus möglich, wobei sich dabei aber die Frage des Sinnes stellen würde. „Unter meiner Redaktion habe ich ‚The Gap‘ als Magazin verstanden,

das in die Tiefe geht, also von AuskennerInnen für AuskennerInnen“. Dabei werde auch der Begriff Popkultur weit gefasst, da es nicht nur um konkrete Albumveröffentlichungen geht, sondern auch um „Strukturen und Bewegungen hinter den Themen“, so Ziegler weiter. Daher wäre der zweimonatige Erscheinungsrhythmus sinnvoller, weil dadurch mehr Zeit für intensivere Recherchen der Meta-Themen bleibe und gesellschaftspolitische Hintergründe besser beleuchtet würden. Mitte April 2020, zur Zeit der ersten Corona-Welle, hat „The Gap“ beschlossen, Kulturschaffende in Österreich mit einem Kulturkalender zu unterstützen, in dem Online-Veranstaltungen der KünstlerInnen dort eingetragen wurden. Und das, obwohl man selbst auch nicht von der Krise verschont wurde: „Der erste Lockdown kam gerade bei einer Magazin-Produktion und das hat uns natürlich getroffen. Was passiert jetzt? Aber uns war schnell klar: Wir haben ein gewisses Verantwortungsgefühl gegenüber der Szene“, meint Ziegler. Dies sei etwas sehr österreichspezifisches, da Österreich zwar ein kleines Land, die

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Ein Freitag im November 2013, 14:00 Uhr. Ich eile von der Schule nach Hause, denn um 15 Uhr beginnen die „VIVA Top 100“. Meine einzige Sorge: die ersten Musikclips zu verpassen. Mein Bruder wartet bereits gespannt vor dem Fernseher und ist bereit für das Highlight der Woche und den Start in das Wochenende. Das Leben ist einfach schön und die Welt in Ordnung.

Keine Zukunft für Musikmedien?

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Szene allerdings groß und divers sei. Damit hätte man als Musikmedium ein hohes Verantwortungsbewusstsein. Ein Mitgrund für die intensive Berichterstattung während dieser Zeit sei auch die mangelnde Aufmerksamkeit für die Beeinträchtigung der österreichischen Kulturlandschaft gewesen, so Ziegler weiter. „gotv“ gibt´s auch noch? Unverständnis für die immer noch existierenden Musik-TV-Sender zeigt Huber, denn für ihn sei es „völlig schleierhaft“, wie Quoten zustande kämen, die das Ganze für den Werbemarkt interessant machen. „Wenn ich durch die Fernsehsender zappe, denke ich mir: ‚gotv‘ gibt’s auch noch? Und wenn ich ein Video sehe, das bei mir nostalgische Gefühle hervorruft, dann bleibe ich die paar Minuten dran und sehe es mir an.“ Abgesehen davon könne Huber den klassischen Musiksendern mittlerweile nichts mehr abgewinnen und das trotz der Tatsache, dass MTV während seiner Studentenzeit sein „täglich Brot“ war. „‚‚YouTube‘ in Kombination mit dem Smartphone war der Anfang vom Ende des Musikfernsehens“, meint Huber. Durch die leichte Verfügbarkeit, überall und zu jeder Zeit, hätte „YouTube“ den one-to-many-Musiksendern den Hahn abgedreht. „Musikfernsehen gibt mir vor, wann ich was zu schauen habe.“ Sendungen hätten früher den Tag strukturiert und heute habe man zu jeder Zeit Zugriff auf Musik. Daher sagt Huber auch: „Ich sehe keinen Grund, warum ich Musik-TV schauen sollte.“ Zudem seien junge MusikhörerInnen Multi-Channel-User und würden daher oft den Musikclips nicht die volle Aufmerksamkeit schenken. Huber könne auch die Kritik am Musikfernsehen verstehen, die sich zu musikfreien Zonen entwickelten und statt spannenden Musikvideos dutzende Reality-,

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Fiction- und Spielshow-Formate zeigten, um die Quoten zu erhöhen. „Um Reality-Formate zu schauen, brauche ich keinen Musiksender“, so Huber. Das Alleinstellungsmerkmal von MTV war es, innovative Clips zu zeigen, die es nur dort zu sehen gab. Nur ist dieser Bedarf verschwunden als, „YouTube“ & Co. aufkamen. Als Ironie des Schicksals könnte man es bezeichnen, dass ausgerechnet „YouTube“-Stars innerhalb der letzten Sendeminuten von „VIVA“ Lebewohl sagen, denn gerade diese Video-Plattform hat dazu beigetragen, dass der Sender eingestellt wurde. „Gedruckte Musik“ Andere Meinungen vertreten Huber und Ziegler allerdings, wenn es um gedruckte Musik geht. „Es gibt Dinge, die haptisch mehr Sinn machen“, erläutert Ziegler. Daher sei sie auch sehr zuversichtlich, was die Zukunft von „The Gap“ betrifft, da die Marke sehr gut funktioniere und Teile der Zielgruppe es eher als Print-Magazin statt als Online-Medium kennen. Die Menschen, die in den 1970er bis 1990er ihre Musiksozialisationsphase hatten, wären auch heute noch bereit, hohe Preise für Schallplatten und Special Interest-Magazine zu bezahlen, erläutert Huber. So lange diese Zielgruppe groß genug sei, zahle es sich für einzelne Magazine aus, diese zu produzieren. Warum „SPEX“ nicht mehr funktioniere, „The Gap“ aber sehr wohl, sei laut Ziegler nicht eindeutig zu sagen. „Der Markt in Deutschland ist anders als in Österreich, Musikmärkte lassen sich nicht vergleichen.“ Obwohl es der gleiche Sprachraum ist, sei die Kultur eben doch anders. „ ‚SPEX‘ war in den 1980er Jahren ein kritisches Medium“, für innovative Inhalte sehe man sich heute jedoch lieber Blogs an, berichtet Huber und gibt an, dass das Internet „SPEX“ den Rang abgelaufen habe.


Musikwahrnehmung heute Laut dem Musiksoziologen habe die Bedeutung von Musikrezeption insgesamt verloren, denn „so intensiv beschäftigt sich heute niemand mehr mit Musik, also sich hinzusetzen und anzusehen, wie ein Cover gestaltet ist, Texte und Informationen zu KünstlerInnen nachzulesen, interessiert die Leute nicht mehr“. Grund dafür sei, dass die Freizeitgestaltung früher nur beschränkte Möglichkeiten bot und man heute wesentlich mehr Möglichkeiten hätte. Dieser Meinung ist Ziegler nicht, denn zumindest in ihrem Freundeskreis werde viel über Popmusik und „Hintergründe von KünstlerInnen sowie über gesellschaftspolitische Strömungen, die diese auslösen“, diskutiert. Doch nicht nur in ihrem Bekanntenkreis, auch auf Social Media gebe es viele Diskussionen, die bei einigen Fans mancher KünstlerInnen gar als Religionsersatz bezeichnet werden könnten. Bei der Fanbase von Taylor Swift etwa gäbe es „ganze Dissertationen, welche Sexualität und Hintergründe sie hat“ sowie penibelste Analysen ihrer Musik. Einig sind sich die beiden MusikexpertInnen bei der Überschwemmung des heutigen Musikangebots, was aber laut Ziegler nicht unbedingt zu einer verminderten Auseinandersetzung mit Musik führe, denn gerade aufgrund des vermehrten Angebots setzten sich MusikenthusiastInnen intensiver mit Musik auseinander. Musikmedien heute müssten daher als „Meinungsorgan auftreten, das Diskussionen anstößt und vor allem Kontextwissen anbietet“, fordert Ziegler. Wenn etwa die Veröffentlichung eines neuen Albums anstehe, müsse man laut Ziegler aufzeigen: „Was passiert dahinter, daneben, davor, darunter und darüber?“

(Noch) Kein Ende in Sicht Auf die zukünftige Entwicklung von Musikmedien angesprochen, meint Theresa Ziegler, dass vor allem PrintMagazine sich weg von der Newsorientierung hin zu meinungs- und kontextbildenden Inhalten bewegen sollen, denn für News gebe es ja das Internet und die jeweiligen Social Media-Kanäle der KünstlerInnen selbst. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch Michael Huber. „Es gibt nach wie vor eine kritische Masse, die gerne etwas in der Hand hat“ und solange diese Masse groß genug sei, werde es Musik in gedruckter Form geben. Dem Musikfernsehen hingegen beschert der Musiksoziologe keine Zukunft. „Wenn sie ‚gotv‘ morgen abdrehen, würde mir das nicht auffallen.“ Dafür würde beispielsweise eine wöchentliche Sendung wie „Tracks“ auf ARTE völlig ausreichen. Ein eigener, linearer 24 Stunden-Musiksender sei aufgrund von „YouTube“ mittlerweile überflüssig. Bei gedruckten Musikangeboten sieht er hingegen noch Potential. Das Magazin für Vinyl-Kultur „MINT“ etwa würde von Jahr zu Jahr umfangreicher. Auch Vinyl-Schallplattenspieler wären bereits out gewesen, mittlerweile kommen aber viele neue Einsteigermodelle auf den Markt. Einzig ein TV-Format, das all diese Interessen bündle könne funktionieren. No „VIVA“, no Friday Ein Freitag im November 2020, 14:00 Uhr. Ich eile nicht von der Fachhochschule nach Hause, denn dank Corona und Fernlehre bin ich bereits da. Mein Bruder wartet nicht vor dem Fernseher, er ist ausgezogen. Die „VIVA Top 100“ gibt es nicht mehr, da „VIVA“ Ende 2018 eingestellt wurde.

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von David Pokes

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Keine Zukunft für Musikmedien?

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„Propaganda liegt in der Natur des Missionierens“ Während alte Religionen den digitalen Wandel verschlafen haben, schaffen es andere, Social Media für ihre Zwecke zu nutzen. SUMO sprach mit Gert Pickel, Religionssoziologe an der Universität Leipzig, Frederik Elwert, „relNet“-Projektkoordinator der Ruhr-Universität Bochum, und Fabian Reicher, Sozialarbeiter der Extremismus-Beratungsstelle in Wien, über Religionspropaganda und Extremismus in sozialen Medien. „Facebook“, „Twitter“, „Instagram“… – laut „DataReportal“ benützte im Juli 2020 jeder zweite Mensch auf der Welt Social Media. Obwohl soziale Medien in den vergangenen Jahren ein zentraler Bestandteil der postmodernen Kultur geworden sind, gibt es immer noch Bereiche, die von der Digitalisierung diesbezüglich nicht erreicht wurden. Ein Beispiel dafür ist Religion, allen voran die großen westlichen Kirchen. Diese zeigen sich nach wie vor zaghaft und weisen noch keine fundierte Social Media-Präsenz auf. „Die klassischen Kirchen tun sich noch etwas schwer. Die großen Volkskirchen sind eher wie Tanker und keine Schnellboote, sie bewegen sich sehr langsam. In vielen Gemeinden hängt es dann von den einzelnen Pfarrern ab“, erläutert Religionssoziologe Gert Pickel bildhaft. Es gebe sehr „Instagram“- und „Twitter“-affine Pfarrer und bestimmt auch solche, die im Umgang mit Computern absolut nicht firm seien. Laut Pickel arbeite man sich stückchenweise in den Bereich hinein. Vor allem für Mainstream-Kirchen sei Social Media schwer handzuhaben. Dies sei darauf zurückzuführen, dass sowohl die Kernanhängerschaft der Kirchen nicht mehr die jüngste sei und nicht unbedingt sicher betreffs Social Media. Frederik Elwert, Koordinator des Projektes „relNet“ – „Modellierung von Themen und

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Strukturen religiöser Online-Kommunikation“ – sieht das ähnlich: „Die sozialen Medien fungieren nach einer anderen Logik, die nicht mit der Logik vieler Religionsgemeinschaften kompatibel ist. Bei der Frage wie ein Influencer Gehör erhält und sich eine Followerschaft aufbaut, muss das nicht der sein, der einen theologischen Grad hat und ein kirchliches Amt bekleidet. Sondern es sind dann vielleicht gerade eben nicht diese Personen.“ Obwohl sich die traditionellen Glaubensgemeinschaften mit dem Umstieg in soziale Netzwerke schwertäten, rät Pickel dennoch: „Man sollte es auf jeden Fall machen, aber sich auch nicht zu viel davon versprechen. Religionen sind ein sehr soziales Geschäft, persönlicher Kontakt ist dort sehr zentral.“ Es sei eine Möglichkeit Kontakte herzustellen, die man anschließend Face-to-Face vertiefen könne. Laut Pickel liege das Problem dabei, dass Social Media sehr persönlichkeitsorientiert seien. Dies würde es zwar erlauben, einzelnen Pfarrern sehr gut zu handeln, erschwere es aber einer riesigen Institution wie einer Kirche. „Da kommt man dann schnell steif, starr oder sogar peinlich rüber“, fügt Picke hinzu. Ein Beispiel für einen Priester, der einen modernen Umgang mit Social Media pflegt und großen Erfolg damit erzielt

„Propaganda liegt in der Natur des Missionierens“

ist Reverend Christopher Lee von der Church of England. Er ist bekannt für Beiträge auf „YouTube“ und „Instagram“, wo er über sein Leben und seinen Glauben spricht. Seit nun über fünf Jahren hat er seinen „Instagram“-Account und konnte in der Zeit 177.000 AbonnentInnen gewinnen. In einem Interview mit „The Guardian“ (20.06.2020) erzählte er, was er alles teile: „On Instagram I share all the things I love – sport, my family, God – but I don’t do ‘cut-and-paste church’. You won’t find long sermons from me”. Obwohl man den Zug bisher verpasst habe, seien die Kirchen laut Pickel gerade dabei, sich besser aufzustellen. Ein weiteres positives Beispiel dafür ist Papst Franziskus selbst. Neben einem „YouTube“-Kanal namens „Vatican News“ ist der Vatikan, insbesondere der Papst selbst, auf „Instagram“ und „Twitter“ aktiv und hat auf beiden Plattformen 7,5 Mio. sowie 18,8 Mio. FollowerInnen. Laut dem Artikel „Kirche 2.0 – Religion im Zeitalter von Social Media“ von Katrin Lückhoff („kingkalli.de“, 03.03.2017) sitze er zwar nicht persönlich am Smartphone und schreibt Tweets, sondern er habe ein Social Media-Team. Er entscheide jedoch über den Text und die Bilder, die sein Team ihm vorlege. Untätig seien beispielsweise die Evangelische Kirche Deutschlands oder die Katholische Kirche zwar nicht, jedoch


seien deren Internet-Auftritte nicht immer gelungen. „Wenn die Kirchen im Internet pop-mäßig auftreten und beispielsweise eine junge Frau irgendetwas rappen lassen, fragt man sich danach gerne:‚‚Leute, seid ihr noch ganz dicht?‘ So etwas kommt überhaupt nicht gut an und ist meistens nur peinlich“, stellt Pickel klar. Besser als die großen Religionsgemeinschaften schlügen sich kleinere, nicht nur traditionelle und stark auf Jugend ausgerichtete Gemeinschaften, gerade aus dem evangelikalen oder freikirchlichen Bereich. Diese würden oft einen Mix aus größeren Events und einer begleitenden Social Media-Strategie entwickeln und seien ausgesprochen modern aufgebaut. Im Allgemeinen profitieren kleinere Religionsgemeinschaften überdurchschnittlich von sozialen Netzwerken, da sie sich dadurch besser verknüpfen können. In den Tiefen der Online-Foren Ein Paralleltrend zu Social Media im religiösen Kontext stellen religiöse Online-Foren dar. Dort können sich Gläubige in unterschiedlichsten Räumen austauschen. Ruft man solch eine Seite auf, kann man oft nicht anders als schmunzeln – unabhängig von der eigenen (Nicht-)Religiosität. In zahlreichen Themenbereichen, die von „Bibel-Diskussion“ über „Single-Chats für Christen“ bis hin zu „Verschwörungstheorien und Korruption“ reichen, tauschen sich tausende Gläubige aus aller Welt aus, diskutieren oder streiten miteinander. Manche von ihnen besitzen sogar eine eigene Chat-App. Wagt man den Schritt sich diese runter zu laden, taucht man in eine skurrile Welt ein. Betritt man das erste Mal den grell-weißen Chatroom (Anm. der Red.: dieser wird bewusst nicht genannt), wird man von jeder anderen Person im Raum begrüßt – von jeder einzelnen. Nachdem sich die Flut aus Grußworten und lustigen Katzenbildern gelegt hat, kommt plötzlich die erste Nachricht von einer fremden Person, ohne zuvor ein Wort gewechselt zu haben, und wünscht mir: „Friede sei mit dir“. Der danach folgende Austausch bestehend aus Small-Talk-Floskeln gestaltet sich als sehr oberflächlich und oft von kurzer Dauer, da GesprächspartnerInnen oft spontan den Raum verlassen oder ihm beitreten. „Obwohl diese Technologie bereits in die Jahre und etwas aus der Mode gekommen ist, erfüllt sie durchaus noch einen Zweck“, konstatiert Frederik Elwert. Er war Projektkoordinator des Projekts „relNet“ und untersuchte dabei ebensolche Online-Foren. Der zuvor genannte Zweck könne darin bestehen, einfach mehr Kontrolle darüber zu ha-

ben, was für eine Art von Netzwerk man da für andere zugänglich mache. „Für religiöse Gemeinschaften kann es nach wie vor relevant sein, sich gegen eine ‚Facebook‘-Gruppe zu entscheiden und stattdessen so ein Forum zu gründen, um eben Einfluss darüber zu haben, welche Inhalte dort zu sehen sind“, erklärt Elwert. Diese Foren seien faszinierend, weil sie in gewisser Weise in sich abgeschlossene Mikrokosmen darstellen. Ein spezifisches Thema, für das sich sein Projekt besonders interessierte, war die Alltagsdimension der konservativen Gemeinschaften, die sich in den Online-Foren aufhielten. Obwohl es manchmal auch eine politische Diskussion gebe, habe es dort oft keinen aktivistischen Impetus und es gehe häufig darum, wie man bestimmte religiöse Alltagsregeln unter modernen Bedingungen anwende, die nicht 1:1 aus der Bibel oder dem Koran ins reelle Leben übertragbar seien. Auch banale Themen ohne religiöse Dimension seien dort üblich, wie beispielsweise der Austausch von Kochrezepten. Religiöse Diskussionen mit Mitgliedern anderer Religionen fänden schwerpunktmäßig jedoch eher nicht statt. In den islamischen, stärker salafistisch ausgerichteten Foren spiele die Diskussion innerhalb der muslimischen Mission, vor allem zwischen Schia und Sunna, eine ganz starke Rolle. In christlichen Foren seien es meistens Diskussionen mit AtheistInnen, die sich dann auch zum Teil aktiv in dieses Forum einbrächten. Solche Foren würden meist unabhängig und von Privatpersonen oder christlichen Verlagen betrieben, anstatt von Seiten der offiziellen Religionen. Die großen Glaubensgemeinschaften hätten zwar Experimente in diese Richtung gestartet, diese hätten aber auf Dauer nicht gut funktioniert. Propaganda auf Social Media Die Frage was in sozialen Netzwerken und solchen Online-Foren schlussendlich unter Religionspropaganda fällt, ist nicht leicht zu beantworten. „Grundsätzlich ist Mission ein sehr propagandagesteuertes Unternehmen. Wenn man Mission richtig denkt, ist es vor allem im Christentum und Islam besonders ausgeprägt und der Gedanke von Mission und Gläubigen zentral. Dazu wird eigentlich nichts anderes als Propaganda verwendet“, erläutert Pickel. Und dies mache man gar nicht so ungeschickt an vielen Stellen. War man beispielsweise einmal in Lourdes, finde man dort überwiegend eine starke Inszenierung vor, in der auch Propagandabotschaften implementiert seien. Betrachte man Propaganda im klassischen politischen Verständnis, könne

Gert Pickel / Copyright: Universität Leipzig

Frederik Elwert / Copyright: Matthias Zucker

man es vielleicht nicht als Propaganda bezeichnen. Der Übergang sei laut Pickel jedoch fließend, da das Ziel jeder Religionsgemeinschaft das Gewinnen und Halten von Mitgliedern sei. Von einem religiösen Standpunkt aus betrachtet, sei es schwierig zu sagen, was erlaubt sei und was nicht. „Das Einzige, was man als Grenze ziehen kann ist, was man generell bei Propaganda als Grenze zieht, sprich was menschenfeindliche oder antisemitische Inhalte besitzt“. Vor allem dogmatische religiöse Gemeinschaften, besonders aus den USA, weisen eine robuste Mitteilungspolitik auf, mit der sie Erfolge erzielen und die durchaus in den Rechtspopulismus oder sogar -extremismus hineinreiche. „Ein Missionar-Hintergrund liegt immer nahe, dass man Propaganda und Mitgliedergewinnung fährt, aber die Grenzen kann man nur jenseits eines Religiösen ziehen. Propaganda liegt in der Natur des Missionierens“, ergänzt Pickel. Das sei aber immer eine begriffsdefinitorische Sache, wofür Propaganda nun stehe. Verstehe man Propaganda als etwas, das dabei hilft meiner Gemeinschaft mehr Mitglieder

„Propaganda liegt in der Natur des Missionierens“

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zukommen zu lassen, dann sei das was die Religionen machen Propaganda. Wenn man den Begriff politisch oder gar negativ konnotiert, vielleicht von der Verwendung im Nationalsozialismus geprägt, betrachtet, dann müsse man eine solche Übertragung vorsichtiger sehen. Betrachte man Glauben als Ideologie und möchte andere von dieser Ideologie überzeugen, sei man, laut Pickel, schon recht nahe an der politischen Propaganda.

Auch der Islamische Staat (IS) benütze laut der Studie von Adam Badawy und Emilio Ferrara „The rise of Jihadist propaganda on social networks“ („Journal of Computational Social Science“, 03.04.2018) vorwiegend soziale Netzwerke, vor allem „Twitter“, um ihre Propaganda zu verbreiten. Beispielsweise verbreiten sie ihre theologische Verteidigung und Rechtfertigungen online, nachdem sie Gewalt an Minderheiten ausüben. Diese Gruppierung und sonstige Extremisten machen sich laut Nitsch einen offensichtlichen Nachteil von Social Media zunutze: die schwierige Überprüfbarkeit der Validität dargebotener Informationen. Falsche oder unvollständige Informationen werden so ungeprüft und nicht widerlegt von den RezipientInnen übernommen. So genannte „foreign fighters“ des IS berichteten beispielsweise öfters über „Twitter“ über das „gute Leben“ in ihren Camps. Dabei werden gezielt normale Bedürfnisse wie Anerkennung, Selbstdarstellung, Macht oder Ruhm angesprochen – jedoch auf religiös verbrämt-machistische Art. Auch Mädchen und Frauen sind von ähnlicher Propaganda in sozialen Netzwerken betroffen. So sei laut Nitsch der Anteil der nach Syrien ausreisewilligen Frauen ab 2015 angestiegen. Diese würden zumeist etwas von dem Ruhm der „Gotteskrieger“ abhaben wollen. Auch andere Effekte wie Anonymität und Nutzerfreundlichkeit machen Social Media und das Internet generell interessant für Extremisten. Nitsch fand weiters heraus, dass der Radikalisierungsprozess zum Extremisten einen radikalen Wandel im Leben eines Individuums darstelle. Dieser Meinung ist auch Fabian Reicher, Sozialmitarbeiter der österreichischen Beratungsstelle für Extremismus: „Wir alle kennen das, jede/r hat im Leben Momente, in

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Extremismus auf Social Media In der extremsten Variante religiöser Propaganda wird Überzeugung schließlich zu Extremismus. Im Aufsatz „Soziale Medien und (De-)Radikalisierung“ aus dem Buch „Digitale Polizeiarbeit“ (2018) schrieb Holger Nitsch, dass soziale Medien heutzutage eine besondere, immer stärker werdende Rolle bei der Radikalisierung einnehmen. Laut Religionssoziologe Pickel finde man Anknüpfungspunkte zwischen religiöser und extremistischer Propaganda. Beispielsweise ließen sich ähnliche Positionen gegenüber Homosexuellen und MuslimInnen bei dogmatischen christlichen Gemeinschaften durchaus finden. Diese seien also nicht von Natur aus nur offen und tolerant, sondern auf dieser Ebene gelegentlich von Vorurteilen belastet. Hier komme es durchaus zu Überschneidungen von dogmatischen bis fundamentalistischen ChristInnen mit Argumenten aus extremistischen Strömungen. In diesem Fall möchten Rechtsextreme Personen für sich gewinnen, die mit der modernen Gesellschaft schlecht zurechtkämen, die Homosexualität ganz fürchterlich fänden und vom Gender-Punkt genervt seien. Auf diese Weise denken sie Menschen bis in die Gesellschaftsmitte zu erreichen. Die Religiösen, die sich darauf einlassen, wollen nicht unbedingt rechtsextrem sein, fänden aber ein paar ihrer Argumente gut, wie sie beispielsweise auf PEGIDA-Versammlungen

oder anderen Kundgebungen kundgetan würden.

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„Propaganda liegt in der Natur des Missionierens“

denen man anfällig ist. Es gibt eine Art Unmut oder eine Entfremdung von der Gesellschaft, und wenn dann jemand kommt, der einem/r eine Lösung anbietet und eine Erklärung liefert, warum es einem/r schlecht geht, beispielsweise weil der Westen MuslimInnen hasse, kann es zu Radikalisierungsprozessen kommen.“ Dem würden sich Gruppendynamiken anschließen, auch im Online-Bereich, denn einen Gruppenbezug gebe es immer. Wie Personen in Kontakt mit Extremisten kämen, sei laut Reicher sehr unterschiedlich. Manche hätten in ihrem Umfeld den Erstkontakt, sie kannten also jemanden persönlich oder lernten jemanden kennen, aber oft finde der erste Kontakt mit einer Ideologie im Internet statt. Gerade Gruppen wie IS und Al-Quaida finde man in Messenger-Diensten und Online-Foren. Gruppierungen, die Reicher als extremistisch einstufen würde, die jedoch im legalen Bereich tätig seien wie beispielsweise manche neo-salafistische und islamistische Gruppen, seien hingegen sehr stark auf „Instagram“ vertreten. Diese seien aber etwas anderes als Jihadisten. Werbung (oder Propaganda) liegt in der Natur einer religiösen Gemeinschaft. Sie ist der Antrieb, der sie am Leben erhält und neue Mitglieder gewinnt. Soziale Netzwerke stellen ein mächtiges Sprachrohr für genau das dar. Manche haben es geschafft, das Potenzial dieser Werkzeuge zur Gänze auszunützen, andere, wie beispielsweise die Großkirchen, hinken noch hinterher. Letztendlich muss uns bewusst werden, dass nicht alle religiösen Gruppierungen auf Social Media mit ihren Botschaften immer unser Wohl im Sinn haben, sondern manchmal ihre eigene, extremere Agenda verfolgen. von Alexander Schuster


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Auf der Flucht vor der Krise Krisensituationen können besonders belastend auf die Psyche wirken. Um unangenehmen Gedanken und Gefühlen aus dem Weg zu gehen, bietet die Rezeption von Medieninhalten viele Möglichkeiten. Dieses Fluchtverhalten vor der Realität wird mit dem Begriff Eskapismus beschrieben. Aber was genau ist medialer Eskapismus? Welche Rolle spielt er in Krisensituationen und wie wirkt er sich aus? Diesen Fragen besprach SUMO mit dem Rezeptions- und Wirkungsforscher Univ.-Prof. Jörg Matthes sowie einem anonymen Medienrezipienten. Der Begriff Eskapismus ist eng verwandt mit dem englischen Wort „escape” und beschreibt die Flucht vor der Realität. Er gilt in der Medienpsychologie als wichtiges Erklärungsmotiv für die Mediennutzung. „Es geht dabei um den Gedanken, dass ich vor den Problemen, die mich in meinem Leben beschäftigen, in eine andere Welt fliehe. Beispielsweise in eine Welt, die ich in den Medien, in Romanen und Filmen erleben kann. Eskapismus ist die Flucht vor Problemen in meinem Alltag”, so Matthes. Christoph Kuhlmann und Volker Gehrau teilen in „Auf der Flucht vor dem Tod?” (2011) den Begriff Eskapismus in die drei Formen Veränderung, Verschiebung und Verdrängung ein. Aber in welchen Situationen greifen Menschen auf Eskapismus zu? Dazu Matthes, Vorstand des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft Wien: „Wenn ich die Realität nicht mehr aushalte. Wenn die Gedanken, die mich in meiner Realität beschäftigen so belastend sind, dass ich in eine mediale, meist narrative Welt fliehe. In diese begibt man sich, fühlt und erlebt dort stellvertretend mit den AkteurInnen mit, um dann die eigenen Sorgen und Ängste in der eigenen Welt zu vergessen und diese auszublenden.” Die Differenzierung davon, ab wann man von Eskapismus spricht und wann nicht, ist schwer festzulegen. Dies sei ein Problem der Eskapismus-These. „Wenn beispielsweise aufgrund der Co-

rona-Krise mehr Leute Serien schauen oder mehr Romane lesen, ist das nicht automatisch gleich mehr Eskapismus. Wenn ich mir zur Entspannung abends einen Film anschaue, ist das auch nicht automatisch Eskapismus. Eskapismus ist die Realitätsflucht, das Davonlaufen vor den Sorgen, die man hat und sich in einer mentalen Scheinwelt zu bewegen”, so Matthes. Man müsse darauf achten, das Verhalten der RezipientInnen nicht zu stark zu psychologisieren. Auf welche Medien wird zugegriffen? Für den Eskapismus würden sich laut Matthes vor allem narrative Medien und Angebote, die starke Emotionen vermitteln, eignen. „Das sind Medien, bei denen mir Geschichten erzählt werden. Geschichten, auf die ich mich einlassen kann, weil ich mich dann nicht mehr mit meinen eigenen Problemen auseinandersetzen muss, sondern mit den Problemen des Charakters oder Akteurs, der mir in den Medien gezeigt wird. In die ich mich hineinversetze, das Geschehen miterlebe. Man spricht in der Literatur auch von Transportation: Man transportiert sich in die Medienwelt hinein, ist dort stellvertretend anwesend und erlebt es mit, als ob man selbst dabei sei”. Kuhlmann und Gehrau untersuchten in ihrer Studie, welche Wirkungen die Mediennutzung auf die Beantwortung existenzieller Fragen hat. Besonders die Ergebnisse zum Medium Fernsehen

und zu Computerspielen stechen dabei heraus. Rund 49% der Befragten gaben an zur Ablenkung fernzusehen, aber nur 8% um sich mit wichtigen Fragen zu beschäftigen. Computerspiele werden neunmal öfter zur Vermeidung von, als zur Beschäftigung mit wichtigen Fragen genutzt. Diese Differenzen weisen darauf hin, dass die beiden Medien eher zur Vermeidung taugen und deshalb besonders für Eskapismus relevant sind. Eskapismus in Krisensituationen Krisen können besonders das psychische Wohlergehen der betroffenen Personen beeinträchtigen. Dies bestätigt beispielsweise eine Umfrage der Donau-Universität Krems und des österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie. Dabei wurden PsychotherapeutInnen zu den Auswirkungen der COVID-19 bedingten Maßnahmen auf die psychische Gesundheit befragt. Davon berichten 70% über ausschließlich negative Auswirkungen. Dies betrifft vor allem Angst, Einsamkeit und Beengtheit durch die Familie. „Wenn ich eine Krise tatsächlich als psychologische erlebe, steigt natürlich die Wahrscheinlichkeit für den Eskapismus”, stellt Matthes fest. Je stärker eine Krise auftrete, desto höher sei auch die Wahrscheinlichkeit des Eskapismus. Aber nicht jede verstärkte Mediennutzung sei automatisch als Eskapismus zu verstehen.

Auf der Flucht vor der Krise

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Gefahren des Eskapismus „Die Flucht aus meiner Realität ist wahrscheinlich keine Lösung für die Probleme, die ich empfinde. Sobald ich den Fernseher wieder ausschalte, bin ich wieder zurück in meiner alten Welt und habe dieselben Probleme wie zuvor. Ich habe sie nur vertagt”, beschreibt Matthes. Das Problematische am Eskapismus sei vor allem die mangelnde Auseinandersetzung mit den Dingen, die die betroffene Person belasten. Dabei gebe es die Gefahr, in eine Spirale hineinzugelangen und die Kontrolle zu verlieren. Dieser Kontrollverlust über das Nutzungsverhalten werde auch exzessive Mediennutzung genannt. Wer trägt die Verantwortung? Bei der Betrachtung möglicher negativer Konsequenzen kommt die Frage auf, ob man dafür jemanden verantworten kann oder ob Eskapismus sogar gezielt von den Anbietern ausgenutzt wird. Grundsätzlich sei der/die AkteurIn selbst verantwortlich für die Entscheidungen, die er oder sie treffe. „Natürlich spielt auch die Kultur und der soziale Kontext, in dem wir uns bewegen eine Rolle. Man kann aber schwer sagen, dass die Produktionsfirmen und die

Unterhaltungsindustrie dafür verantwortlich sind.” Der Versuch, für die produzierten Inhalte begeistern zu wollen sei dabei laut Matthes durchaus legitim. Erfahrungen eines Rezipienten „Ich bin eher ein extrovertierter Mensch und ziehe meine Energie aus der Gesellschaft mit anderen Menschen. Und wenn diese gesellschaftliche Situation fehlt, fehlt einem einfach der Ausgleich. Man sitzt zu Hause, es fehlt einem aufgrund der Fernlehre die Motivation für das Studium und man muss sich ständig vor den Eltern rechtfertigen, die die Situation nicht verstehen”, beschreibt der 21-jährige Medienrezipient seine Problemsituation. „Da ist es natürlich höchstkonventionell, beispielsweise das Handy in die Hand zu nehmen, damit man die Alltagsprobleme vergisst und ausschalten kann. Dann kann ich zum Beispiel über Social Media, Games, Filme oder Serien meine Gedanken vergessen. Ich würde das als Austausch der Probleme, die man im Kopf hat mit Content, den man sich von solchen Medien holt, beschreiben”. Vor allem Games würden das Gefühl vermitteln, in einer anderen Welt zu sein. „Der Grund, warum für mich Spiele so anziehend sind

ist, dass du dich in eine Welt hineinversetzt, die du selbst in der Hand hast und in der du selbst Entscheidungen treffen kannst. Es werden einem in Spielen Probleme an den Kopf geworfen, die sich lösen lassen. Das ist dann Ablenkung, indem man virtuelle Probleme löst.” von Christian Krückel

Jörg Matthes / Copyright: Barbara Mair

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Medialer Eskapismus


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Modern Loneliness: Zwischen Likes und Einsamkeit Likes, Klicks, Follower zur Einsamkeitsreduktion? Die sozialen Medien werden immer wieder als Grund für, aber auch gegen die Einsamkeit junger Menschen dargestellt. Die Validität dieser Aussagen bleibt bis lang unbestätigt. SUMO diskutierte mit der Forscherin Univ.-Prof. Sonja Utz vom Leibniz-Institut für Wissensmedien und Dr. Rebecca Nowland, Psychologin sowie Forscherin an der University of Central Lancashire, über den Zusammenhang von Einsamkeit und Social Media.

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„Ich finde es eigentlich interessant, dass diese Frage immer wieder gestellt wird“, beginnt Sonja Utz ihre Antwort hinsichtlich der Assoziation von Einsamkeit mit Social Media. Und auch Psychologin Rebecca Nowland zeigt sich über diese Ansicht „frustriert“. Eine deutliche Aussage über den Einfluss der sozialen Medien auf die Einsamkeit der Menschen könne nicht gemacht werden, zahlreiche Studien seien widersprüchlich und die allfällig gefundenen Effekte dann sehr klein, so Utz. Selbst wenn ein negativer Zusammenhang gefunden werde, handle es sich oft um Querschnittsstudien. Man wisse daher nicht, ob die Nutzung sozialer Medien einsam mache oder ob einsame Menschen eher soziale Medien nutzen. Zudem müsse zwischen bloßem „Alleinsein“ und der „Einsamkeit“ unterschieden werden. Die Einsamkeit sei ein subjektives Gefühl, das zeigt, deine Beziehungen treffen nicht deine Erwartungen, erläutert Rebecca Nowland. Einsam fühle man sich nicht nur, wenn man auch tatsächlich allein ist, denn auch in einem Raum voller Menschen könne dieses Gefühl aufkommen. Aber auch ältere Menschen, die womöglich wirklich allein sind, fühlen sich mit der Einsamkeit konfrontiert. Alleinsein hingegen sei, so Nowland, ein Zustand. Laut einer Umfrage der BBC aus dem Jahr 2018, an der rund 55.000 Menschen teilnahmen, sind besonders junge Menschen vom Einsamkeitsgefühl geplagt. Unter den sich in der Alterskohorte 16 bis 24 Jahren befindlichen TeilnehmerInnen gaben knapp 40% an, mit dem Gefühl der Einsamkeit vertraut zu sein. Ob einer der Gründe dafür die sozialen Medien sind, bringt die BBC-Umfrage nicht hervor. Einsam durch den täglichen Wegbegleiter? Rebecca Nowland hat eine Antwort auf die Einsamkeit bei jungen Menschen: Sie sehe ein Problem, das in dieser Alterskohorte nicht unüblich sei. Heranwachsende befinden sich in einer

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Selbstfindungsphase, weshalb viele mit Depressionen und mentalen Problemen konfrontiert sind. Das Einsamkeitsgefühl basiere darüber hinaus auch auf Veränderungen in der Lebenssituation, erklärt Sonja Utz. Als Beispiel nennt sie besonders die StudentInnen, welche in eine neue Stadt ziehen und dort erstmal weniger Kontakte hätten. Hier scheinen soziale Medien eine eher nebensächliche Rolle zu spielen. Jedoch sei die Einsamkeit mit unseren Beziehungen in Verbindung zu bringen und ein Teil unserer Beziehungen im modernen Leben werden mit Social Media ergänzt, so Nowland. Die sozialen Medien tragen zur vermehrten Einsamkeit bei, seien aber nicht der ultimative Grund dafür, wie es gerne in den klassischen Medien dargestellt werde. Nowland beschreibt die sozialen Medien daher als „social snacking“, was so viel bedeutet: wir snacken ständig, brauchen aber eigentlich den ganzen Schokokuchen, alias physische Beziehungen. Die sozialen Medien fungieren also tadellos als Snack, aber das Völlegefühl wird nicht erreicht. Vor dem Hintergrund dessen sollte aber besonders auf eine angemessene Nutzung geachtet werden. Zwei Stunden pro Tag auf „Facebook“ und Co. machen uns nicht unbedingt einsam, aber wir verlieren zwei Stunden unseres Tages, sagt Nowland. Dies könne folglich ungesund sein. Demnach ist es unser gesundheitsschädigender Umgang mit den Plattformen, woraus Isolation resultieren könne. Aber auch die unzureichende Kontrolle und Beobachtung der sozialen Medien sowie die mangelhafte Befassung mit diesem Thema seien, laut Nowland, relevante Faktoren. Insofern sollten die sozialen Medien mehr überprüft werden, da sie einem nur das zeigen, was der Mensch davor wirklich sehen möchte (oder eben genau das Gegenteil). Die Folge sei die Sucht, die uns vier Stunden pro Tag davorsitzen lässt. Die Wirkung der sozialen Medien kann aber auch von Plattform zu Plattform

Modern Thema loneliness: Zwischen Likes und Einsamkeit


variieren. Die möglichen divergenten Effekte der Plattformen erklärt sich Sonja Utz aus den unterschiedlichen Reaktionen darauf. „Facebook“ und „Instagram“ beispielsweise hätten eine starke Positivitätsnorm: Menschen posten die positiven Ausschnitte ihres Lebens und verwenden dann die Filter, um diese noch schöner zu machen. Das Social Media-Phänomen „TikTok“ gebe stattdessen immer weniger gestylten und attraktiven Menschen eine Bühne. „Twitter“ halte eher den Status des Nachrichten- und Informationstools. „WhatsApp“ schneide in manchen Studien besonders gut als Einsamkeitsbekämpfer ab, welches besonders auf die zweiseitige Kommunikationsform zurückzuführen sei, so Utz. Virtuelle oder reale Freundschaften Die BBC-Umfrage wirft überdies auf, dass einsame Menschen eher auf Online-Freundschaften zurückgreifen. SUMO stellte sich nun die Frage, ob online überhaupt reale Freundschaften geschlossen werden können. Sonja Utz zeigt sich hierbei bedenklich. Die Standard-Nutzung umfasse eher den Kontakt mit Menschen, die einem bereits bekannt sind. Dennoch merkt sie an, dass „Facebook“-Gruppen, beispielsweise Gruppen für Mütter, zu einem themenfokussierten Austausch führen können. In Bezug auf Online-Freundschaften wird oftmals der Terminus „Fake Friends“ aufgeworfen. Rebecca Nowland beschmunzelt diesen Begriff. Er implementiere bereits, dass junge Menschen sich der Unechtheit mancher Freundschaften und Personen im World Wide Web sowie der Gefahren bewusst seien. Unter Gefahren verstehe sie hier keinesfalls die Einsamkeit, sondern eher den Promi-Status mancher Adoleszenten, die sich mit der Fülle an Aufmerksamkeit sichtlich überfordert fühlen. Hinsichtlich des Freundschaften-Schließens erwähnt Utz auch eher ältere Theorien, und zwar die „Social Compensation“- und die „Rich get Richer“-Idee. Letztere bezieht sich auf die ohnehin schon an Freundschaften „reichen“ Menschen, die soziale Medien zur Gewinnung neuer FreundInnen benutzen. Das Konzept „Social Compensation“ bezieht sich in diesem Zusammenhang eher auf diejenigen, die Schwierigkeiten haben offline Freunde zu finden. Sie können diesen Mangel mittels OnlineFreundschaften kompensieren. #KeinerBleibtAllein Aber zurück zum Kuchen. Für viele ist die Verwendung von Social Media-Plattformen der einzige Weg vom Schokokuchen zu snacken. So kann man auch mit einer Freundin in Amerika spre-

chen, auch wenn man nicht den ganzen Schokokuchen für sich beanspruchen vermag. Hier stehen die sozialen Plattformen eher als Klatsch- und TratschTool zur Verwendung, aber auch wenn es um ernstere Themen geht, kann das Netzwerk hilfreich sein. Obendrein ermöglicht das Mitmach-Web auch zu inspirieren, sprich Ideen zu sammeln und zu unterhalten, wenn es stressig ist. Jedoch sei dieser Erholungseffekt nur gegeben, wenn man sich nicht zu lange im Web bewege, konstatiert Utz. Die sozialen Medien etablieren außerdem eine neue Form der Informationsaufnahme, und zwar die der „Ambient Awareness“. Man liest demnach Dinge nicht mehr so genau, sondern überfliegt sie nur oberflächlich, weshalb man so ungefähr über das Tagesgeschehen in seinem Netzwerk Bescheid weiß, merkt Utz an. Auch der berühmt-berüchtigte Hashtag hat sich in der Etablierung eines Gemeinsamkeitsgefühl bewährt. Auf „Instagram“ oder „Twitter“ kann man nach Hashtags sortieren, welche oftmals mit Aktionen verbunden sind, durch die man sich mit Menschen in Verbindung setzen kann. Unsere soziale Gesundheit als Schlüssel Nun stellt sich die Frage, ob wir gegen das vorkommende Isolationsgefühl präventiv vorgehen können. Sonja Utz rät Social Media aktiv zu nutzen, sprich selbst Fotos zu posten oder zu kommentieren, anstelle rein passiv auf Postings oder Stories zu reagieren. Rebecca Nowland blickt hier noch etwas weiter und appelliert auf das Achten unserer sozialen Gesundheit, wie wir es mit unserer mentalen und physischen Gesundheit auch tun würden. Wenn unsere soziale Gesundheit schwach sei, habe dies auch Effekte auf unsere physische und mentale Gesundheit und in weitere Folge sei dies auch ein Grund für frühe Sterblichkeit. Um dem gekonnt aus dem Weg zu gehen, gibt sie einen simplen Tipp: „Get balanced!“ Sie erwähnt hier wieder die Wichtigkeit, die sozialen Medien schlicht als Ergänzung der physischen Beziehungen zu nutzen. Obwohl Social Media seine Tragweite besonders dann zeige, wenn man voneinander entfernt ist, könnten sie nie der Schokokuchen sein, den man brauche, stellt Nowland fest. Ferner müssten wir uns deutlich machen, dass wir alle verschiedene Persönlichkeiten haben. Nowland unterscheidet hier einerseits zwischen „Social Butterfly“, sprich derjenige/diejenige, der/die sich inmitten des Geschehens am wohlsten fühlt und deshalb viele Interaktionen benötigt. Andererseits und konträr zum „Social Butterfly“ erwähnt sie den/die

„bei Partys in der Küche Sitzende/n“, der/die bedeutsame und tiefgreifende Unterhaltungen braucht. Dies seien Dinge, die wir nicht genug ansprechen, so Nowland. Man zeige mit den Fingern der Einfachheit halber auf „Instagram“, „Facebook“ und Co. Ob die sozialen Medien nun zu positiven oder negativen Effekten tendieren, sieht Sonja Utz als schwierig zu beantworten an, jedoch sieht sie eher die positiven Wirkungen deutlicher. von Lisa Schinagl

Sonja Utz / Copyright: IWM Tübingen/Paavo Ruch

Rebecca Nowland / Copyright: University of Lancashire

Modern loneliness: Zwischen Likes und Einsamkeit Thema

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Filmregulierung: Zum Wohle der Kinder? „Aber Mama, ich bin doch schon alt genug!“ Viele Eltern verweisen dann möglicherweise auf die Altersfreigaben der Selbstregulation. Zurecht, und: Was steckt hinter diesen? SUMO diskutierte darüber mit Stefan Linz, Geschäftsführer der FSK GmbH, dem Filmjournalisten Daniel Schröckert – sowie einer Mutter. Laut der Oberösterreichischen Kinder-Medien-Studie 2020 (EduGroup) nutzen Kinder im Volksschulalter im Durchschnitt täglich circa 116 Minuten Fernsehen, „YouTube“ usw., Jugendliche im Alter von elf bis 18 Jahren 173 Minuten laut der Oberösterreichischen Jugend-Medien-Studie 2019 (EduGroup). Welche Inhalte billigen ihnen Eltern zu – wo wäre warum einzugreifen? Nehmen wir einen x-beliebigen Film, etwa „Loro – Die Verführten“ des Oscar-prämierten Regisseurs Paolo Sorrentino über Silvio Berlusconi: Laut DVD freigegeben ab 12 Jahren enthält er über weite Teile Szenen exzessiver Sexualität und Drogenkonsumation. Die auf einem Jugendbuch basierte Serie „Maze Runner“ erhielt eine Freigabe für 12-Jährige in Deutschland, für 14-Jährige in Österreich. Sind Film und Serie altersgerecht – und wer prüft das? Selbstregulative können dabei Abhilfe schaffen. Doch dringt dies auch in das heimische Wohnzimmer vor? Und was sind Selbstregulative überhaupt?

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Selbstregulative in Deutschland und Österreich In Deutschland existieren unter anderem die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) sowie den jene für den Online-Sektor. Darunter fallen die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia (FSM), FSK.online und USK.online. Dabei handle es sich um Organisationen, welche auf Grundlage des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages agieren nach dem „Modell der regulierten Selbstregulierung“, erklärt Stefan Linz. Wobei „die Rechtsaufsicht die Möglichkeit hat, im Nachhinein Entscheidungen zu überprüfen“. Im Gegensatz dazu handle die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) sowie die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) auf Basis des Jugendschutzgesetzes, „nach dem Filme und Spiele eine gesetzliche Altersfreigabe brauchen, damit sie Kindern und Jugendlichen zugänglich

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Filmregulierung: Zum Wohle der Kinder? Thema

gemacht werden können.“ Die beiden Selbstregulative würden hierbei durch eine Kooperation von staatlichen und wirtschaftlichen Akteuren handeln, eine sogenannte „Co-Regulierung“, erläutert er. Ein Austausch finde auf Tätigkeitslevel statt, sowie komme es zu einigen Kontaktpunkten zwischen den unterschiedlich regulierten Bereichen, führt Linz weiter aus. Zum Beispiel können Alterseinschätzungen der FSF nach einer Bestätigung durch die Rechtsaufsicht, die auf Grund der gesetzlichen Grundlagen notwendig ist, von der FSK übernommen werden, erzählt Linz. Stellvertretend für die zahlreichen Selbstregulative in Deutschland wird auf den Prüfvorgang der FSK näher eingegangen. Laut „fsk.de“ werden die Altersbeschränkungen in Prüfauschüssen – u.a. Arbeitsausschuss, Hauptausschuss und Appellationsausschuss – getroffen. Die ehrenamtlichen Mitglieder dieser Gremien bilden unterschiedliche Berufsfelder sowie verschiedene gesellschaftlich relevante Bereiche ab, dürfen hauptberuflich jedoch nicht in der Film- und Videowirtschaft tätig sein, um eine unabhängige Beurteilung sicherzustellen. und es finden laufend Schulungen statt. Die FSK klassifiziert Filme in die Altersstufen: ab 0, 6, 12, 16 und 18 Jahre. Linz führt aus, dass ausschließlich eine Beeinträchtigung von Heranwachsenden begutachtet wird und keine pädagogische Einordnung herausgegeben wird. Als Faktoren für die Entscheidung nennt Linz beispielhaft die Bereiche „Diskriminierung“, „Sexualität“ und „Gewalt“, die Einstufung werde aber für jeden Film individuell getroffen. In Österreich ist die Jugendmedienkommission (JMK) dafür zuständig, die im Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung angesiedelt ist. Laut deren Website deckt das Zuständigkeitsgebiet alle Bewegtbild-


medien ab, sorgt für eine entsprechende Einteilung in Altersschranken und streicht Filme auch lobend hervor. Die Entscheidungen werden durch Gremien, welche sich aus Personen aus den Bereichen „Soziales“ und der Erziehungswissenschaften zusammensetzen anhand definierter Merkmale, zum Beispiel die Beeinträchtigung von „Körperlicher Gesundheit“ und „Religiösem Empfinden“, getroffen. Im Gegensatz zur FSK werden durch die JMK Einschätzungen ausgesprochen, die tatsächlichen Beschränkungen könnten anschließend von den Bundesländern unabhängig davon definiert werden und die bereits erwähnten Altersschranken starten bei Null und gehen ab sechs in zwei Jahresschritten bis 16 Jahre. Darüber hinaus werden in Österreich etwa bei Computerspielen die PEGI-Altersbeschränkungen verwendet (vgl. SUMO Nr. 34). Die Alternativen Doch sind Selbstregulative die einzige Instanz? Laut der Kinder-Medien-Studie (Edugroup, 2020) rezipieren Kinder Videos mit geringer Dauer aus dem Netz öfters ohne Begleitung als TV oder Streaming-Angebote. Dies bietet den Anlass, auch andere Möglichkeiten zu betrachten. Linz sagt zu Plattformen wie „YouTube Kids“, dass unterschiedliche Angebotstypen auch verschiedene Einordnungssysteme notwendig machen würden, da es sich auf „YouTube“ auch um von RezipientInnen erstellte Videos handle, sogenannte „Prosumer“. Hierbei kann der/die ErstellerIn für den Content eine Alterseinstufung vornehmen und der/die BetreiberIn der Plattform greife bei Hinweisen oder Beschwerden ein. Schröckert erläutert hinsichtlich der Erklärungen der FSK über Freigaben, dass es darüber hinaus noch mehrere Sites gebe, die aufklären, wieso bestimmte Filme für eine Altersgruppe zulässig seien. Als Beispiele führt er hier „kinderfilmblog.de“ sowie „kinderfilmwelt.de“ an. Der Zweck der Selbstregulative Linz betont hierbei, dass Selbstregulative vor allem in einem dynamischen Medienumfeld sinnvoll sind. Selbstkontrolleinrichtungen können agiler reagieren, da „die Wirtschaft als Träger einer solchen Institution tätig ist“. Wenn nur der Staat als regulativer Akteur beteiligt ist, wäre dies nicht in gleicher Form umsetzbar. Ein nächster großer Pluspunkt mitunter der FSK, der eben durch das Zusammenspiel von staatlichen sowie wirtschaftlichen Akteuren möglich ist, sei das Verhindern einer staatlichen Zensur sowie die „Rechts- und Vertriebssicherheit“, welche den Herstel-

lerInnen in Verbindung mit den FSKAltersfreigaben gewährt wird, so Linz. Schröckert sieht unter anderem positiv, „dass sich da so gesehen die Branche auch raushält oder beziehungsweise nicht mitinvolviert ist“. Es sei von Vorteil, dass die Altersfreigabe unabhängig vom Vertreiber getroffen werde, da dieser den „Film an ein möglichst breites Publikum bringen“ wolle. Ebenso sieht er es als positiv an, dass Personen von unterschiedlichen Feldern beteiligt sind, da somit etwa auch unterschiedliche religiöse Blickwinkel mitbedacht werden könnten. Die kritischen Stimmen Altersfreigaben erzeugen unterschiedliche Meinungen. Bei Kritiken abseits von möglichen Falscheinschätzungen, nennt Filmjournalist Schröckert die nicht mehr der heutigen Zeit entsprechenden deutschen Altersstufen: gewisse Abstände seien zu weit, andere zu klein. Kritik hinsichtlich der Festlegung der Schranken kann FSKGeschäftsführer Linz nachvollziehen, setzt dem allerdings mehrere Argumente entgegen. Unter anderem seien die Freigabestufen in den Köpfen der Bevölkerung verankert, sowie durch die größeren Spannen etwa bei der Beurteilung des Alters im Kino von Vorteil. Schröckert jedoch wendet ein, möglicherweise noch eine darüberliegende Altersklasse zum Beispiel „ab 25“ einzuführen, da unter anderem manche Inhalte vielleicht erst mit reiferem Alter verstanden werden können. Als zweiten Punkt nannte Schröckert eine fehlende Klarheit bei der Urteilsfindung der FSK: Einige RezipientInnen würden sich Informationen über die Arbeitsweise der FSK anhand von Interviews wünschen. Ebenso, dass sich diese heute Wissen gerne ohne viel Aufwand aneignen würden, vor allem aus sozialen Netzwerken und dass gerade da noch nicht viel an Informationsvermittlung geschehe. Linz betont jedoch, dass in der kostenlosen FSK-App oder auf der Website Kurzbegründungen zu den Freigaben aller aktuellen Filme im Kino veröffentlicht würden und darüber hinaus, dass Beschwerden und Kritik immer gewissenhaft bearbeitet und beantwortet werden. Die Sichtweise der Eltern Doch was sagen Eltern dazu: Beachten sie Altersfreigaben und können so Selbstregulative Kindern helfen? Um die Frage zu beantworten, sprach SUMO mit einer Mutter von zwei Kindern im Alter von zwei und sieben Jahren. Sie gab an, bei der Auswahl von Filmen und Serien die Einschätzungen grundsätzlich zu beachten. Zusätzlich

Filmregulierung: Zum Wohle der Kinder?

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bevorzuge sie es, die Filme vorab anzusehen oder auf ihre Intuition zu vertrauen. Dabei achte sie auf Kriterien, ob etwa Kriminalität vorkomme oder wie die Figuren in Filmen oder Serien dargestellt würden. Auch im Bereich der Spiele für Konsolen sei es ihr wichtig, jene auszuwählen, die im Inhalt sowie in der Aufbereitung fürKinder geeignet seien. Auch Schröckert, Vater von zwei Kindern, gibt an, bei der Auswahl die FSK-Einschränkungen zu achten. Ebenso sollte man aber trotzdem ein Auge auf den gezeigten Inhalt haben und welchen Lerneffekt die Kinder haben könnten. Ein Blick in die Zukunft Die FSK plane in Zukunft auf vordefinierte inhaltliche Kriterien zu setzen, die auf bisherigen Erfahrungen beruhen. Im Zuge dessen wurde ein sogenanntes „Klassifizierungs-Tool“ kreiert. Stefan Linz ist im SUMO-Interview näher darauf eingegangen. Dieses Tool bildet sogenannte „Risikodimensionen“ ab, welche sich in „Gewalt und Bedrohung, Verletzung und Leiden, Sexualität und Nacktheit, Drogenkonsum, Sprache und schädigendem Verhalten“ gliedern. Pro Risikodimension würden zahlreiche Unterkategorien ausgemacht, „und auch dort werden auch verstär-

kende und relativierende Faktoren berücksichtigt.“ Er betont ebenso, dass nur geschulte Personen mit dem Tool arbeiten und Ergebnisse in Prüfausschüssen überprüft und die Spruchpraxis auch angepasst werden kann, da es sich beim Jugendschutz um „kein starres Konstrukt“ handle. Daniel Schröckert äußert sich kritisch gegenüber einer alleinigen Einschätzung durch ein System. Er stellt fest, dass Technologie bislang nicht in der Lage wäre, die emotionale Komplexität von Bewegtbild aufzufassen. Ebenso würden viel mehr Aspekte einen Einfluss darauf haben, wie Kinder einen Film wahrnehmen – etwa die Stärke des Einsatzes von Musik. Er bezweifelt, ob das Tool dies aufgreifen könnte. Ein Tool könne als ein Anhaltspunkt verwendet werden, welcher nach bestimmten Aspekten eine Einschätzung abgeben kann, dennoch sollten die endgültigen Freigaben von einer Person getroffen werden, so Schröckert. Abseits der Tricks zur Umgehung der Freigabe werden sich Kinder wohl weiterhin Filme ansehen wie…. (ohne Empfehlung).

Daniel Schröckert / Copyright: Rocket Beans Entertainment GmbH

von Simone Poik

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Stefan Linz / Copyright: FSK GmbH

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Thema Filmregulierung: Zum Wohle der Kinder?


Journalismus heute: Alles geklaut und gelogen? Immer öfter kommt ans Tageslicht, dass JournalistInnen Inhalte frei erfinden oder gar klauen. SUMO sprach mit Stefan Schoeller, Rechtsanwalt für Medien- und Urheberrecht, sowie mit Benjamin Fredrich, Chefredakteur des deutschen populärwissenschaftlichen Magazins „Katapult“, über diese Entwicklung und versucht Licht ins Dunkel zu bringen.

Der Journalismus in einer Krise Claas Relotius hat den deutschsprachigen Journalismus endgültig in eine Krise gezogen. Nicht nur die Reportage selbst steht, aufgrund ihrer besonderen Anfälligkeit für fiktive Ergänzungen, besonders in der Kritik, der gesamte Journalismus ist in eine Krise geschlittert. Ein Fall wie dieser rüttelt an den Grundsätzen des Journalismus. An der Wahrhaftigkeit, an der journalistischen Sorgfalt. Die strukturellen Probleme mögen nicht so ausgeprägt sein, wie es der Fall Relotius impliziert, hingegen sind sie weitreichender als oft angenommen. Copy and Paste, Abschreiben, Plagiieren. Ungern wird darüber gesprochen, dennoch sind dies grundsätzliche Probleme im heutigen Journalismus. In einem Journalismus, welcher von Zeitdruck und Clickbaiting unterwandert

wurde. Die Frage ist, woher rührt dies? Fredrich unterstreicht in seinem Interview, dass dies unter anderem dem steigenden Druck auf die Zeitungen geschuldet ist. Bringt eine Zeitung eine Story, so fühlen alle anderen den Drang diese auch drucken zu müssen. Dennoch spiegele sich dieser Trend eher bei regionalen Zeitungen wider – sie müssen unter enormem Zeitdruck arbeiten und haben weitläufig Personalmangel. So passiere es schnell, dass eine Meldung ident übernommen oder maximal der Satzbau leicht verändert werde. Genau dort lässt sich das strukturelle Problem erkennen: steigender Druck, einerseits durch Konkurrenz, andererseits durch einen schnell verfallenden Nachrichtenwert, sowie ein Mangel an – kompetentem – Personal. Die „Neue Zürcher Zeitung“ erklärte im September 2014, dass Nachrichtendienste aufgrund einer endlos ausufernden Informationswelt besonders unter Druck stünden, es jedoch der falsche Weg wäre, den ambitionierten, hochwertigen Journalismus zu vernachlässigen. Leider lässt sich genau dies vielerorts beobachten. Obwohl profilierte Recherche an Relevanz und neuer Bedeutung gewinnt, im Gegensatz zu beinahe identen Artikeln, welche auf zehn unterschiedlichen Nachrichtenportalen zu lesen sind.

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Es ist der 3. Dezember 2018, 03:05 Uhr. Der digitale Postkasten von Claas Relotius gibt einen Benachrichtigungston von sich: eine neue Mail. Die Pressebeauftragte einer Bürgerwehr in Arizona fragt, wie Relotius eine Reportage über ihre Gruppe und ihre Situation schreiben konnte, ohne je für ein Interview vorbeigekommen zu sein? Der Anfang vom Ende – Claas Relotius hat den Bogen überspannt. Am 17. Dezember reicht der vielfach ausgezeichnete Reporter beim „Spiegel“ seine Kündigung ein. Am 19. Dezember geht der „SPIEGEL“ an die Öffentlichkeit. Relotius Texte – großteils gefälscht. Die Reportage – in der Kritik.

Eine rechtliche Machtlosigkeit Es lässt sich folglich kaum anzweifeln: Ideen werden im Journalismus ohne weitere Recherche übernommen. Eine

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schauen, was die machen.“ Allerdings ist entscheidend, dass es rechtliche Möglichkeiten gibt, sobald es zur wiederholten, systematischen Übernahme von Inhalten kommt. Schoeller und Fredrich sind sich hier einig: „Wenn das häufiger passiert und man eine Systematik dahinter erkennt, dann kann man vom Urheberrecht weggehen und ins Wettbewerbsrecht gehen. Hier gibt es schon ein paar Spielregeln, so verstößt eine systematische Ausbeutung einer anderen Redaktion gegen diese Spielregeln“, so Fredrich im Interview. Schoeller stimmt zu: „Man spricht dann von einem Konglomerat an Einzelfällen. Wenn hier geschickt einzelne ungeschützte Elemente übernommen werden, wird, ab einer gewissen Intensität, das Wettbewerbsrecht verletzt.“ So gesehen ist eine Idee, ein Konzept, selbst ungeschützt und frei verwertbar. Erst durch eine konkrete Ausformung, durch das Erreichen des Schöpfungswertes, greift das Urheberrecht. Es sei denn, es findet eine systematische Ausbeutung eines anderen statt, dann eröffnet das Wettbewerbsrecht neue Möglichkeiten. Alles kopiert und geklaut? Im Folgenden hat SUMO einen konkreten Fall einer möglichen Rechtsverletzung betrachtet. Gemeinsam mit dem Verlag Hoffmann und Campe hat „Katapult“ ein Buch über „Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern“ verlegt. Die Idee, redaktionelle und kreative Arbeit, wie auch grafische Aufbereitung und Layouting lagen hier bei „Katapult“. Nach Veröffentlichung des

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Studie von „news aktuell“ hat 2017 erhoben, dass das Übernehmen von Inhalten anderer Medien, sowie von Unternehmen bzw. PR-Agenturen, zu den größten Fehlern gehört, welche JournalistInnen heute begehen. Dennoch wird es gemacht. Da stellt sich die Frage: Warum unternimmt niemand etwas dagegen? Schoeller erklärt im Interview, dass hier geklärt werden müsse, ob es sich um ein Werk im Sinne des Urheberrechtsgesetzes handle. Dieses umfasst geistige und eigentümliche Schöpfungen auf dem Gebiet der Literatur, bildenden Kunst, Ton- und Filmkunst. Banale Arbeiten, wie etwa kurze Nachrichten, stellen laut ihm in diesem Sinne hingegen kein Werk im Sinne des Urheberrechts dar. Dies zeigt folglich, dass Inhalte erst dann geschützt sind, wenn sie eine eigentümliche Schöpfung darstellen. Eine Idee bzw. ein Inhalt selbst sind somit urheberrechtlich nicht geschützt, weil sie „keine konkrete Ausformung und Niederlegung haben“. Für Rechtsanwalt Schoeller ist die Situation klar: „Eine Gesellschaft funktioniert grundsätzlich nur, wenn in irgendeiner Form eine Weiterentwicklung zugänglich ist. Eine Weiterentwicklung findet nur statt, wenn auf dem momentanen Stand des Wissens aufgebaut werden kann.“ Somit sind Ideen nicht geschützt, um diese gesellschaftliche Weiterentwicklung zu gewährleisten. Benjamin Fredrich sieht das teilweise problematisch: „Bei Ideen und Konzepten ist das schwer. Wenn da jemand in Einzelfällen etwas macht, kann man tatsächlich nur zusehen. Da kann man nur warten und

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Thema Journalismus heute: Alles geklaut und gelogen?


Buches gab es allerdings Differenzen zwischen Verlag und Redaktion und das Magazin „Katapult“ entschloss sich, ein ursprünglich geplantes zweites Buch nicht mit Hoffmann und Campe zu verlegen. Die Überraschung kam, als der Verlag die Fortsetzung des Buches angekündigt hatte – ohne „Katapult“, stattdessen mit AutorInnen der „ZEIT“. Für Chefredakteur Fredrich unerwartet, jedoch müsse man das so hinnehmen: „Wenn sie das Buch nun mit der ‚ZEIT‘, im Stil der ‚ZEIT‘, machen, dann ist das okay.“ „Katapult“ erlitt jedoch einen Schock, als bekannt wurde, dass sowohl Titel als auch zahlreiche Inhalte übernommen wurden. Für das Magazin keine leichte Situation. Der Titel musste zwar nach einer Unterlassungserklärung verändert werden, doch bezüglich der Inhalte und des Aufbaus ist die Lage komplizierter. Medienrechtsexperte Schoeller weist hier wieder darauf hin, dass zu untersuchen sei, ob ein Ausbeuten fremder Leistung stattfinde: „Wenn die Gesamtbetrachtung ergibt, dass hier so viele Elemente schmarotzerisch übernommen wurde, dass es ein wettbewerbsrechtliches Thema wird, so kann eine Klage Erfolg haben. Wenn die Gesamtbetrachtung allerdings ergibt, dass nur ungeschützte Elemente übernommen wurden, die es in ähnlicher Art und Weise schon gegeben hat, ist das aus rechtlicher Sicht in Ordnung.“ Für „Katapult“ galt es also zu entscheiden, eine Klage mit unsicherem Ausgang und möglicherweise enormen Kosten zu wagen oder den Vorgang öffentlich wirksam zu machen. Wie Benjamin Fredrich erzählt, war das keine leichte Abwägung, doch die Entscheidung, das gesamte Geschehen an die Öffentlichkeit zu

bringen, sei im Nachhinein die richtige gewesen. Es tue ihm auch heute noch weh, wenn er daran denkt. Doch fest steht, dass dem Magazin dieser Vorfall zu enormem Wachstum verholfen hat und das hätte kein Gericht erwirken können. Folglich lässt sich festhalten, dass es schwierig ist, das Übernehmen von Inhalten oder Ideen zu unterbinden. Doch gerade das Magazin „Katapult“ hat der Verlagsbranche und dem Journalismus gezeigt, dass man durch ein medienwirksames Auftreten und eine ausgeklügelte PR-Strategie aus einer Misere stärker hervortreten kann. Folgen für eine ganze Branche Die Krise nach dem Auffliegen der Affäre Claas Relotius war weitaus schwächer als befürchtet, jedenfalls für den Journalismus als Ganzem. Die Reportage aber gilt nach wie vor als problembehaftet. Auch wenn Aufklärungsarbeit geleistet wurde, wenn neue Systeme zu Verifikation eingeführt wurden, bleibt die Kritik bestehen. Selbst Diskussionen, welche aufgezeigt haben, dass sich das Problem Relotius auf den gesamten Journalismus umlegen lässt, blieben beinahe ohne Folgen. Verschiedene kritische Medienhäuser beschäftigen sich jedoch weiterhin mit der Thematik und versuchen dem Trend des Copy and Paste-Journalismus auf den Grund zu gehen. By the way: Franziska Wenger, Redakteurin von SUMO’s Online-Schwesternmagazin „sumomag.at“ untersucht, passend zur Causa Relotius, die Gründe, warum JournalistInnen dazu verleitet werden Artikel zu fälschen.

Benjamin Fredrich / Copyright: Katapult

Stefan Schoeller / Copyright: Daniela Jakob

von Matthias Schnabel

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Zwischen Liebe und Hass – Das Geschäft mit der Privatsphäre der Stars Es ist eine Beziehung im ständigen Wandel zwischen Liebe und Hass, die auf der internationalen Bühne zum Alltag von KünstlerInnen und anderen Personen des öffentlichen Lebens dazu gehört: Paparazzi. Sensationsberichterstattung, die auch für den Boulevard in Österreich wie ein gefundenes Fressen scheint, hierzulande aber kaum diskutiert wird. Warum, das besprach SUMO mit dem ehemaligen Paparazzo Edwin Walter und der Chefredakteurin der ORF-„Seitenblicke“, Ines Schwandner. 31. August 1997. Schauplatz Paris. Eine Frau kommt mit ihrem damaligen Lebensgefährten gegen 0:20 Uhr aus einem Nobelrestaurant und steigt in einen Wagen. Die Frau, Mutter von zwei Söhnen (William und Harry), gilt zu diesem Zeitpunkt als die berühmteste Frau der Welt. Unter einem Blitzlichtgewitter, verursacht durch zahlreiche FotografInnen, fährt das Paar los in Richtung ihres Apartments. Dort sollten die beiden jedoch nie ankommen.

Regeln, aber kaum Grenzen International und vor allem in Hollywood kenne der Medientrubel um prominente Menschen nur selten irgendwelche Grenzen. Hunderte FotografInnen alleine im Raum Los Angeles würden dabei auf Tipps von InformantInnen die Hotspots bekannter Gesichter belagern. In abgesprochenen Teams aus mindestens zwei FotografInnen

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Es ist jene Geschichte von Prinzessin Diana und der tödlichen Verfolgungsjagd mit einem Paparazzo, die bis dato den traurigen Tiefpunkt in einem Katzund Mausspiel zwischen Promis und der Profitgier sogenannter Sensationsmedien darstellt. Ein schrecklicher Unfall, dessen Auslöser ein einziges Foto sein sollte, das demjenigen eine irrsinnige Summe Geld bescheren würde, der es schießt. In vielen Fällen endete diese Jagd nach dem perfekten Schnappschuss schon vor Gericht, manche in jahrelangen Depressionen oder Krankheiten, in Extremfällen wie jenem von Lady Di sogar mit dem Tod für eine/n

der Betroffenen. „Menschen wollen immer so nah wie möglich an die Stars herankommen. Von Medien werden daher Unsummen für das richtige Foto bezahlt. Dadurch kommt es zu solchen Extremfällen, bei denen leider immer wieder etwas passiert!“ Diese gesellschaftliche Frage immer überall dabei sein zu wollen sei es, die Fotografen wie den Wiener Edwin Walter auf die Lauer nach pikanten Foto- und Videoaufnahmen legen ließen. „In vielen anderen Bereichen verdienst du als Fotograf einfach kein Geld“, spricht der ehemalige Paparazzo offen über das oftmals so verpönte Geschäft mit der Privatsphäre anderer, das er selbst viele Jahre in den USA und Europa miterlebte.

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Zwischen Thema Liebe und Hass - Das Geschäft mit der Privatsphäre der Stars


würden sich Massen an Kameras an den Vorder- und Hintereingängen von Hotels, Restaurants oder Geschäften positionieren. Warum in Zweierteams? Weil oftmals eben nicht nur zu Fuß, sondern wie vor 23 Jahren bei Lady Di, auch auf dem Motorrad oder mit dem Auto die Verfolgung aufgenommen werde. Durch die aggressive Herangehensweise vieler KollegInnen, aber auch durch angriffslustige Bodyguards auf Seiten der Prominenten würden sich viele Begegnungen schnell hochschaukeln und nicht selten in körperlichen Auseinandersetzungen enden. „Wenn du sofort von den Begleitern der Stars beleidigt wirst, sobald sie dich sehen, bist du natürlich noch einmal extra motiviert und lässt nicht locker“. Umgekehrt würden jene sofort in Ruhe gelassen werden, die sich der Kamera stellen und respektvoll ihren Auftritt hinter sich bringen, anstatt ihm aus dem Weg zu gehen, beschreibt Walter den Umgang. Für den jetzigen Leiter einer Fotoagentur gebe es sehr wohl auch für Paparazzi Regeln, an die es sich zu halten gebe. Fotografieren hinein in private Räumlichkeiten wäre für ihn tabu.

Jede/r kennt jede/n Ausartende Konfrontationen sind in Übersee dennoch häufige Szenen, die in Österreich aber nur in besonders tragischen Fällen Schlagzeilen machen und dabei Kopfschütteln hinterlassen. Denn hierzulande sei eine solche Vorgehensweise absolut kein Thema. Gezielte Skandale in der heimischen Starund Lifestyleberichterstattung wären wenig lukrativ und würden schlichtweg auch Wenige interessieren, wie Ines Schwandner, Chefredakteurin der ORFSendung „Seitenblicke“, anmerkt: „Bei uns reicht es schon, bei besonderen Veranstaltungen gesehen zu werden. Da braucht man nicht durch irgendeine Inszenierung von skandalösem Verhalten auffallen.“ Einerseits würden aufgrund der fehlenden Internationalität der heimischen Stars und Sternchen diverse Intrigen kaum für ein großes Publikum interessant sein. Auf der anderen Seite sei die gemeinsame Zusammenarbeit zwischen Prominenten und Medien viel wichtiger, als sich gegenseitig bloßzustellen. „In Österreich passieren die meisten Stories nach Einladung zu den jeweiligen Events. Dabei kennt jede/r jede/n. Wenn also ein

Medium schlecht über eine Person berichtet, wird es beim nächsten Mal einfach nicht mehr eingeladen“, resümiert Schwandner. Dieses Risiko auf Seiten der Medien eben nicht mehr dabei zu sein, wäre den meisten deshalb zu groß, wie auch Edwin Walter bestätigt: „Du willst es dir in Österreich mit niemanden verscherzen. Der Markt ist sehr klein, dadurch fehlt die Anonymität.“ Etwaige Folgen durch die Betroffenen nach einer Verunglimpfung würden nicht lange auf sich warten lassen. Folgen, die auch der ehemalige Paparazzo am eigenen Leib zu spüren bekam. Nach der Veröffentlichung eines Fotos von Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser aus dessen Privaturlaub folgte kurz danach eine Finanzprüfung für Walters Agentur. Zwar würden auch in Österreich private Medienhäuser aus dem Boulevardbereich diverse gerichtliche Nachwehen weniger fürchten, dennoch baue auch für diese die Branche auf Respekt. Laut Schwandner herrsche eine „kulturelle Sperre“, die vor unkonventionellen Methoden zurückschrecken ließe. Vielmehr überwiege ein gegenseitiges Ge-

hidden champions mit weitsicht. Wir haben uns als E-Commerce Agentur einen Namen gemacht und sind überwiegend in Österreich sowie Deutschland tätig. Zu unseren Kunden zählen auch namhafte Unternehmen wie der renommierte Juwelier „Dorotheum“, „Lexis Nexis“ – ein führender Anbieter von Lösungen für die Rechts-, Steuern und Wirtschaftspraxis mit 2 Mio. Produkten im Shop, bis hin zu den Duftpionieren im Online-Handel: „Aus Liebe zum Duft“. Auch für Projekte wie die Effie-prämierte „Manner, meine Schnitte“-Kampagne und den Relaunch des brandneuen Dr. Oetker Online-Shops auf Shopware-Basis dürfen wir uns verantwortlich zeichnen. Wir leben nachhaltige Kundenbeziehungen mit Best-Practice Erfahrungsaustausch. www.mstage.at

Die (Ohn-)Macht des Presserats Thema

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ben und Nehmen, das immer wieder auch Freundschaften zwischen Promis und JournalistInnen entstehen ließe. „Es passiert nicht selten, dass man vorher versucht, jemanden vor die Kamera zu bekommen und später dann gemeinsam essen geht“, so Walter. Smartphone und Social Media – der neumoderne Paparazzo Hierzulande also ein Geschäft mit Handschlagqualität – ganz anders als wie im so glitzernden Hollywood oder auch in Großbritannien und Deutschland. Besonders in großen Ländern sei der Druck viel größer, sich von anderen abheben zu müssen und sich mit erniedrigendem Verhalten ins Gespräch zu bringen. Druck, der durch die schnelllebige Zeit mit Smartphones und Social Media noch einmal massiv zugenommen habe. So könne heutzutage jede/r mit einem fotofähigen Handy selbst zum Paparazzo werden. Ein Phänomen, das sich allerdings weniger beim Filmen von Stars und Sternchen, sondern vielmehr beim „Gaffen“ von Unfällen in der Gesellschaft etablierte. Auf der anderen Seite haben Prominente durch „Facebook“, „Instagram“ und ähnliche Kanäle selbst die Kontrolle übernommen, um zu entscheiden, welche privaten Einblicke sie der Öffentlichkeit gewähren. Anstatt FotografInnen auf die Lauer zu schicken, durchstöbern Klatsch- und Tratsch-Magazine die sozialen Netzwerke und verwerten die selbsterstellten Inhalte der Stars weiter. Ein Trend, der laut Ines Schwandner journalistisch noch weniger Wert hätte als das Erspähen von pikanten Aufnahmen durch zumindest kritische FotografInnen. „Als Medium sollte es das Ziel sein, selbst die Inhalte zu kreieren und nicht einfach nur den Computerbildschirm abzufilmen mit den Postings der Stars“, kritisiert die Chefredakteurin das Vorgehen zahlreicher Onlineportale wie „Promiflash“.

von Michael Geltner

Edwin Walter / Copyright: Privat

Ines Schwandner / Copyright: Babara Wirl

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Egal, ob durch die Begleitung von Fotografenlinsen oder durch Millionen Kameras von Smartphones: Gerade als

Person des öffentlichen Lebens gebe es heutzutage „kein Entkommen vor einem Foto“, wie beide InterviewpartnerInnen bekräftigen. Paparazzi würden sich in den meisten Fällen jedoch zufriedengeben, wenn die Stars sie nicht ignorieren, sondern sich einfach einem Foto stellen würden. Ein Argument, das die traurige Geschichte von Prinzessin Diana vielleicht umgeschrieben hätte, beteuert Walter jene Nacht in Paris und fügt abschließend hinzu: „Die meisten Stars wissen sehr wohl auch, dass sie Paparazzi brauchen, um relevant zu bleiben.“ Ein (oft gefährliches) Spiel zwischen Liebe und Hass eben, das wie in allen Beziehungen nur durch gegenseitigen Respekt funktionieren kann.

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Thema Zwischen Liebe und Hass - Das Geschäft mit der Privatsphäre der Stars


© Werner Jäger

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Thema Die (Ohn-)Macht des Presserates

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Close up (or down), Cinema?! Streaming bietet nicht nur eine Vielzahl an verschiedenen Filmen und Serien, sondern ist auf Knopfdruck und pro Film gesehen günstiger. Aber was bedeutet der Umbruch von Kino auf Streaming und was sind die Geschäftsmodelle von Streaminganbietern? SUMO interviewte dazu den Obmann des Fachverbands für Kino-, Kultur- und Vergnügungsbetriebe der WKO Christian Dörfler und den Head of Communications von Sky Österreich Michael Huebner. Über 14 Millionen KinobesucherInnen verzeichnete das Kinojahr 2019 laut der von der AKM durchgeführten Statistik, was insgesamt ein Plus von knapp 6% zum Vorjahr ausmachte. Grundsätzlich schwanken die Besuchszahlen jährlich zwischen rund 13 bis 18 Millionen. Im Jahr von 2017 auf 2018 waren es rund minus 11%, also nur knappe 13 Millionen BesucherInnen und damit auch weniger als im Jahr 2017, mit über 15 Millionen. Doch diese Schwankungen seien laut Christian Dörfler völlig normal. Vor allem der Rückgang im Jahr 2018 zeichnete sich laut des Filmwirtschaftsberichts, durchgeführt im Auftrag der Wirtschaftskammer Österreich, durch einen Mangel an Blockbustern und Komödien aus. Die Besonderheit an Blockbustern liegt darin, dass sie auf viele unterschiedliche Zielgruppen abzielen. Komödien gelten als das beliebteste Filmgenre und die geringe Anzahl dieses Genres anno 2018 war auch Ausschlag für den Besucherausblieb. Aber nicht nur das Genre der Filme zählt als Besuchermotiv für das Kino, sondern vielmehr das Kino als gewissermaßen Eventlocation. Die Einzigartigkeit des Kinos spiegelt sich in der Technik, des Erlebnisses von Bild und Ton wider, mit dem die beste Heimanlage nicht mithalten kann. Das Ausgehen, einen Film ungestört sehen zu können, sowie das anschließende Austauschen und Diskutieren zählen, neben dem Film selbst, laut Dörfler zu den Hauptmotiven für den Gang ins Kino. Streamingdienste boomen Obwohl das letzte Kinojahr nicht schlecht ausfiel, sind die Geschäftsmodelle von Film- und Streamingdiensten erfolgreicher denn je. Doch was ist Streaming überhaupt? Michael Huebner klärt auf: „Streaming wird als das zur Verfügung stellen von BewegtbildInhalten über digitale Verbreitungswe-

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Themaup (or down), Cinema?! Close

ge definiert. Dies kann sowohl linear als auch on Demand oder über Video/Mediatheken erfolgen. Es ist ein paralleler, weiterer Verbreitungsweg zu den schon bekannten Distributionswegen Satelliten-, Kabel- und terrestrischer, also Antennen-Empfang.“ Laut der Erhebung über den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien in Haushalten 2020, durchgeführt von Statistik Austria, nutzen 6,6 Mio. ÖsterreicherInnen im Alter von 16 bis 75 Jahren Video-StreamingDienste. Von den Befragten streamten rund 64% kostenfreie Videos über Video-Sharing-Anbieter, 38% TV-Programme von Fernsehsendern in Echtzeit oder zeitversetzt und weitere 38% streamten kostenpflichtige Videos von kommerziellen Anbietern. Aber was genau bedeutet der Erfolg von Streaming für die Kinobranche? Die Frage, ob es überhaupt zu einem Umbruch von Streaming auf die Kinobranche kommt bzw. es einer ist bleibt offen. Dass sich etwas verändern werde, sei laut Dörfler natürlich keine Frage, aber wie genau es sich auswirke, könne man schlecht sagen. „Der Trend, dass Filme direkt auf Streaming-Plattformen ausgestrahlt werden und nicht auf die Leinwand kommen ist für die Kinos natürlich nicht positiv, aber wir befinden uns eben in einer Transformation der Medien.“ Laut Dörfler wisse man von früher, wenn die Kinoauswertung gut funktioniert hat, wird die Streamingauswertung auch gut funktionieren. Hier könnte es natürlich auch sein, dass man die Kinos unbedingt für die Auswertung braucht und sich deshalb kaum ändert. Für die Filmschaffenden sei es jedoch nicht von Vorteil, wenn nur auf Streamingauswertung ausgelegt wird, da es die Einnahmen drastisch reduziere. Ein Beispiel, das Dörfler hierfür nennt, ist der vor Kurzem erschienene Film „Mulan“, der direkt auf den Plattformen angeboten wurde und deshalb auch nur

sehr wenig eingespielt habe. Umgekehrt ist Michael Huebner der Ansicht, dass auch Eigenproduktionen zukünftig vermehrt auf den Kinoleinwänden zu sehen sein würden. Im Gespräch mit SUMO berichtet er, dass dies innerhalb der Comcast Gruppe, beim NBC Universal Animationsfilm „Trolls World Tour“, schon gemacht wurde. Hier erfolgte der Kino- und der Streaming-Start des Filmes in den USA im April 2020 am selben Tag. Den besten Content über alle Devices SUMO sprach mit Michael Huebner auch über die Geschäftsmodelle von Film- und Serien-Streaminganbietern, wobei hier der Fokus beim Entertainment-Unternehmen Sky lag. Laut Huebner fokussiert sich Sky immer grundsätzlich darauf, dem TV- und Entertainmentfan das bestmögliche Angebot zu präsentieren und ihm dabei die flexibelste Zeitplanung zu ermöglichen. Sodass Menschen, die gerne Filme, Serien, Dokumentationen, Shows oder Live-Sport sehen, bei Sky die Adresse haben, auf die sie sich verlassen können und wo sie sagen: „Das ist für mich die Nummer eins auf der Fernbedienung.“ Anders ausgedrückt versucht Sky seinen KundInnen die besten Inhalte über alle Devices zu jeder Zeit zur Verfügung zu stellen, um eben möglichst frei zu sein und sich den Alltag so angenehm und individuell wie nur möglich zu gestalten. Es gibt dabei, wie zu Beginn thematisiert, viele unterschiedliche Formen von „Streaming-Angeboten“. Zum einen Video-on-Demand, wo man Filme und Serien im Einzelabruf oder im Abonnement online „ausleihen“ kann, Videoportale, bei denen man kostenlose Videoclips ansehen, kommentieren oder selbst erstellen kann und auch Mediatheken für abrufbare Videoinhalte aus Programmen eines Senders. Der Grund, warum die Angebote der Streaminganbieter immer beliebter werden


Laut Huebner gebe es bei Streamingmodellen weniger Risiken als beim klassischen TV, da es schlicht nur ein Internet-basierter, neuer Übertragungsweg sei. Hier überwiegen laut ihm also definitiv die Chancen. Wie man sich im Markt positioniere und von anderen abhebe, sei dann jedoch essenziell. Dabei werde es aber zukünftig zu einem wesentlich stärkeren Verdrängungs-Wettbewerb kommen, weil sich laut Huebner heutzutage jeder Anbieter inzwischen als Streamer bezeichne. Da der Markt relativ überfüllt sei, komme es – wie im TV-Markt – dazu, dass bestimmte Anbieter nicht mehr für den Kunden bzw. die Kundin interessant seien, da sie den entsprechenden, exklusiven Content nicht liefern, die Technik (Beispiel Ultra High Definition) nicht anbieten oder einen gemeinhin „akzeptablen Preis“ durch ihr Geschäftsmodell nicht refinanzieren können. Laut Huebner sind dies die wichtigsten drei Kriterien, aber trotzdem bleibe das Programm das entscheidende Entscheidungsmerkmal. Ein dabei sehr wichtiger Aspekt im Geschäftsmodell von Streaminganbietern sind die sogenannten „Originals“, also deren Eigenproduktionen. „‚‚Sky Originals‘ seien extrem wichtig, weil sie damit die Marke Sky positionieren, das Markenprofil schärfen und wir dabei nahezu komplette Freiheit bezüglich der Verwertungs-Rechte haben“, so Huebner. Auch auf die Kinoleinwand schafften es zukünftig sicherlich mehr Originals. Huebners Ansicht nach würden Kino und Home Entertainment immer mehr zusammenrücken. „Bevor man kannibalisiert, arbeitet man besser zusammen und jeder profitiert von der Magie der großen Bilder und Geschichten.“ Kinos wird es immer und ewig geben Laut Christian Dörfler sei der österreichische Kinomarkt Weltmarktführer, was Komfort und Technik betreffe. „Man wird in keinem Land so viele Imax, Atmos oder andere besondere Kinoformate in Prozent zur Bevölkerung finden, wie in Österreich“. Eine Möglichkeit den Kinobesuch wieder oder, besser gesagt, noch attraktiver für die BesucherInnen zu machen sei es laut Dörfler, das Ausgeherlebnis weiter aufzuwerten.

Ein Beispiel, das er hierfür nennt, wäre etwa vor dem Ansehen eines französischen Films eine französische Weinverkostung zu machen oder ExpertInnen einzuladen. Bei Actionfilmen könnte es interessant sein, ExpertInnen einzuladen, die den ZuschauerInnen erklären, wie die Actionszenen funktionieren und gemacht werden. Auch Michael Huebner ist der Ansicht, dass man, wenn man vor einer schwierigen Situation stehe, kreativ und besser werden muss, als man das vorher oder je war. Seiner Ansicht nach seien viele Kinos erpicht darauf, das Entertainment zu verstärken und spricht dabei von neuen Audiotechnologien wie Dolby Atmos. Und: „Was nie sterben wird, ist das ‚‚Lagerfeuererlebnis‘, was man gerne hat. Dass man rausgeht und es auch in der Gruppe und in einem großen Raum wie dem Kino erleben möchte, das wird nie aussterben. Kinos wird es immer und ewig geben, aber eben parallel zu herausragenden Entertainment-Anbietern, die alle anderen Rezeptionswege bespielen und so die Fans bester Unterhaltung glücklich machen“, so Huebner.

von Julia Gstettner

Christian Dörfler/ Copyright: fotoweinwurm.at

Eveline Hipeli / Copyright: Luisa Kehl

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sei laut Huebner die große Freiheit Content jederzeit und überall verfügbar zu haben und ansehen zu können. Er spricht außerdem davon, dass es noch nie so viele Möglichkeiten gab Content zu rezipieren. Leute wollen unabhängig sein und frei entscheiden, welchem Anbieter sie sich zuwenden, was ebenfalls ein Teil und Charakteristikum des Streaming-Marktes sei.

Michael Huebner/ Copyright: Ana Chumroom

Thema Close up (or down), Cinema?!

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Wird nur noch bildlich gesprochen oder ist da doch zu viel Druck? Ihr Blick fiel wahrscheinlich als erstes auf das Hintergrundbild. Ohne es zu bemerken, haben Sie sich in der ersten Zehntelsekunde wortwörtlich schon ein grobes Bild von diesem Artikel gemacht, ohne zu wissen, wovon er überhaupt handelt. Fast zeitgleich haben Sie den Titel wahrgenommen und versuchten, das Bild mit ihm in Einklang zu bringen. Und nun fragen Sie sich, ob Sie wirklich so vorhersehbar sind.

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SUMO hat sich dafür die fachkundige Meinung von Cornelia Brantner, Expertin für visuelle Kommunikation und seit Januar am Institut für Geografie, Medien und Kommunikation der Universität Karlstad in Schweden tätig, eingeholt. (Anm.: Das bereits fixierte zusätzliche Interview mit Bernhard Leitner, Chefredakteur des Gastronomie-Fachmagazins „ROLLING PIN“, konnte zeitbedingt nicht stattfinden.) Die Frage dieses Artikels ist nämlich eine der umstrittensten: Mehr Text oder doch lieber die derzeit beliebte Variante der Illustrationen? Denn der Trend der illustrierten Fachmagazine ist definitiv auf dem Vormarsch, Bildern wird eine große Bedeutung zugesprochen.

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Sind wir beeinflussbar? Auf die Frage, was das Auge als Erstes erkennt, wenn es ein Medium erfasst, antwortet Brantner ganz klar: das Bild (falls vorhanden). Studien haben mittels der Eye-Tracking-Methode belegt, dass beigefügte Bilder mehr Aufmerksamkeit erregen, sie sozusagen Einstiegspunkte darstellen. Auch würden Bilder laut Brantner besser erinnert als verbale oder geschriebene Texte und es bestehe ein höherer Wiedererkennungseffekt. Besitzt ein Bild mehr Aussagekraft, hält es mehr an Erzählungen bereit, als ein Text je vermitteln könnte? Betrachtet man das Ganze von außen, bekommen die LeserInnen beim Betrachten des Bildes eine ganz individuelle Reizüberflutung. Es kann viel besser Emotionen transportieren oder überhaupt emotionalisiert werden, da

es eine sogenannte „Augenzeugenschaft“ herstelle. Bilder seien glaubwürdiger, da man eher das glaubt, was man sieht als was man liest, denn „man vertraut ja seinen eigenen Sinnen.“ Dies nennt man den oben erwähnten Bildüberlegenheitseffekt. Durch Bilder bekomme man also wertvolle eigene Eindrücke, Emotionen, Assoziationen und bei manch einem/r wird die Phantasie angeregt. Auch könne dadurch eine Meinung transportiert werden oder eine Tendenz („visual bias“). Sie beeinflussen sozusagen dadurch, was man wie wahrnimmt, auch den später gelesenen Text. Die Textwahrnehmung wird also „geframed“, sozusagen in einen vom Journalisten bzw. von der Journalistin vorgefertigten Rahmen gesteckt. Wiederum ist es schwierig, den Kontext eines Artikels zu verstehen, wenn das angefügte, beschreibende Bild eine ganz andere Aussage vermittelt wie der Text. Brantner nennt dies die Bild-TextSchere. Denn wenn das Bild nicht wirklich mit dem dazugehörigen Text übereinstimmt, ist das Verständnis recht schwierig. (Diesen Effekt kann man wahrscheinlich gut wahrnehmen, war das gewählte, additive Bild zu diesem Artikel doch ein Foto eines roten Porsches. Dies ist kein Text über schnelle Autos, wie man am Anfang hätte vermuten können, doch man war bis zu diesem Zeitpunkt dezent verwirrt über eben diese Bildauswahl.) Ein Bild und ein Text haben ja eine bestimmte Aussage, welche sich gegenseitig stützen soll. Bei der sogenannten Schere würde dies nicht berücksichtigt werden und

Wird nur noch bildlich gesprochen oder ist da doch zu viel Druck?


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daher wäre es schwierig, die Botschaft zu verstehen und sich diese zu merken. Man könnte als Erklärung hierfür in die Cue-Summation-Theorie tauchen. „Diese besagt, dass multimodal präsentierte Informationen, also Informationen, bei denen Bild und verbaler (gesprochener oder geschriebener) Text kombiniert werden, besser erinnert werden, weil sie kognitiv besser verarbeitet werden. Werden etwa zu Texten Bilder hinzugefügt, haben wir mehr Lernhinweise. Das gilt aber nur, wenn die Modi aufeinander abgestimmt sind“, wie Brantner es beschreibt. Bilder sind assoziativ, man verbindet schnell das Gesehene mit dem, was man weiß. Die Kommunikationswissenschaftlerin bringt dazu ein treffendes Beispiel: „Angenommen, Sie sehen ein Foto von einem bestimmten Auto. Da wissen Sie gleich, dass die Farbe, die man sieht, ,rot´ heißt und es sich bei dem Auto um einen Porsche handelt, weil man das gelernt hat. Man merkt sich zu dem Foto also auch noch die Bezeichnungen.“ Eine der Theorien, mit welcher dieser Vorgang erklärt werden kann, ist die sogenannte „Dual-Coding-Theorie“. Diese besagt, dass Bilder und konkrete Texte doppelt im Gehirn abgespeichert werden, abstrakte Texte hingegen nur einmal. Wie das funktioniert, erklärt die Expertin so: „Ein Bild wird verbal und visuell abgespeichert. Die überwiegend duale Codierung von Bildern im Vergleich zu Worten führt dann zu besagtem Bildüberlegenheitseffekt, also dass Bilder einprägsamer und besser erinnerbar sind.“ Das heißt, dass man sich von dem Beispiel vorhin das Bild merkt und die dazugehörigen, beschreibenden Begriffe. „Man merkt sich ja nicht, dass man ein rotes Objekt gesehen hat, sondern dass es ein Auto der Marke Porsche ist.“ Natürlich entstünden beim Lesen auch Bilder im Kopf, bei lebhaften Texten mehr wie bei abstrakten. Doch diese seien der eigenen Imagination überlassen, mit welchen dazugehörigen Details man sich diese Kopfbilder vorstelle. Da greift dann aber auch wieder die Dual-Coding-Theorie: Abstraktes (ob Bild oder Text) merkt man sich einfach schlechter, da die erforderlichen Assoziationen fehlen. Der Kampf zwischen Lichtschrift versus Text Als ein Synonym für Bild findet man den Begriff „Lichtschrift“, da durch eine Kamera sozusagen mit Licht geschrieben wird. Doch so schön es auch klingt, es stellt sich immer noch die Frage, ob lieber vermehrt auf das Bild- oder Textlastige gesetzt werden soll. Allgemein könnte man Text und Bild als Konkurrenzmodi bezeichnen, jedoch findet

man selten das eine ohne das andere. Diese beiden treten meist gemeinsam auf und wirken dementsprechend auch aufeinander ein. Sie „stützen sich gegenseitig, machen sich interpretierbar, eindeutiger und verständlicher.“ Jedoch ist das Bild in seiner Bedeutung offen – das Wort hingegen ist festgelegt. Das Illustrierte wird einem als AmuseGueule serviert, welches einen zu der konzentrationserforderlichen Hauptspeise führt. Bilder ergänzen meist den Text, da die Sprache nicht immer ausreicht, um einen Sachverhalt korrekt beschreiben zu können. Jedoch haben Bilder zwar eine intendierte Bedeutung, aber das, was man mit dem Bild sagen will, und das, was der/die Rezipient/ in schlussendlich aus dem Bild herausliest, sind zwei verschiedene paar Schuhe. Und auch mit Text kann etwas zwar beschrieben werden, er überlässt es aber einem/r selbst und der eigenen Imagination, sich den Sachverhalt genau vorzustellen. Man interpretiert zwar nach dem was man sieht, aber das, zum Beispiel in einer Bildunterschrift, additiv Geschriebene gibt vor, was man sehen soll. Denn erst der Einsatz von Text reduziert Ambivalenzen. Medientexte sind nur selten rein visuell, eher wird sich der Modus Text und das Modus Bild ergänzen. Somit gewinnt der multimodale Text die Schlacht. Alles nur Schein, aber kein Sinn? Doch ein stilles Bild ist immer noch ein Bild, welches auf die Darstellung eines Moments beschränkt ist. Eine Handlungsfolge, welche im geschriebenen Zustand eine ganz andere Geschichte erzählen könnte, kann somit mit Illustrationen schwer umgesetzt werden, da eben nur ein bestimmter Moment erfasst wird. Auch bei der Wahl des Bildmittels muss bedacht werden, dass dieses verschiedene Ansichtsweisen der RezipientInnen erreichen kann.

Cornelia Brantner / Copyright: Martin Stellnberger

Wird nur noch bildlich gesprochen oder ist da doch zu viel Thema Druck?

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Nehmen wir die Farbstimmung als Beispiel: Ein Text kann noch so positiv verfasst sein, wird ein dunkles, mit wenig Intensität gewähltes Bild verwendet, mag der eine oder die andere denken, es handle sich um ein etwas düsteres Thema. Ginge es mehr ins Blaue, könnte es aber auch für Ruhe und Entspannung stehen. Tatsächlich ist unsere Farbwahrnehmung oftmals bereits durch unsere Sozialisierung und vor allem unsere Instinkte vordeterminiert, sodass wir automatisch verschiedenen Farbtönen verschiedene Assoziationen zuordnen. Und genau das macht das Phänomen Bild auch so eindrucksvoll, es kann ganz unvermittelt die unterschiedlichsten Gefühle in uns auslösen und uns somit unbewusst beeinflussen. Doch aus diesen Gründen könnte man auch das Bild als Verleumder und Lügner darstellen, das sagt jedenfalls der deutsche Dichter Ferdinand Avenarius, welcher dies schon bei Kriegsbildern und -propaganda des Ersten Weltkrieges bemerkt hatte. Doch das kann schon lange nicht mehr wirklich als richtig erachtet werden, lügen doch Personen – und nicht die Gegenstände. Lügen sollen eine Täuschung oder Irreführung einer/s anderen bewirken, so gesehen ist nicht alles Sein. Das Bild ist der Schein, aber dieser wird gerne durch den/die Retuscheur/in verändert, um den/die Betrachter/in zu täuschen. Es muss nicht also nicht der ganzen „Wahrheit“ entsprechen.

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„Papier ist geduldig, der Leser nicht“ Man braucht nicht unbedingt Bildung für Bilder, um diese zu verstehen, wie es bei der Schrift der Fall ist. Der Zahn der Zeit nagt am Text und versucht ihn immer weiter einzukürzen. Plattformen wie „Facebook“ haben dazu nicht unwesentlich beigetragen, möchte man sich heutzutage doch meist sofort, wenn es einem danach ist, informieren können. Eine Nachricht muss kurz und knackig sein, aus einem Artikel soll man in einem Augenblick das wichtigste herauslesen können, am besten ein aussagekräftiges Bild als Unterstützung mitangeheftet. Doch stellt dies das Aus für die Printmedien dar? Cornelia Brantner ist nicht dieser Meinung, laut ihr werde der Lesemarkt für klassische Printmedien zwar kleiner und würden weniger gekauft werden, jedoch sieht sie Social Media nicht als Gefahr für journalistische Artikel an. Denn Social Media-Plattformen sind intermediär, das heißt, dass dort eine Vermischung von Öffentlichkeitsebenen passiert, sozusagen das Journalistische mit dem Privatem. Als Konkurrenz wäre es vielleicht in diesem Sinne anzusehen, da es einen Zeitabzug darstellt, denn „die

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Thema Wird nur noch bildlich gesprochen oder ist da doch zu viel Druck?

Zeit, welche man auf Social Media verbringt, verbringt man eben nicht damit, einen Artikel eines Printmediums zu lesen“, so Brantner. Es zieht also Aufmerksamkeit auf sich und Nutzungsressourcen ab, jedoch soll es keine direkte Gefahr oder Schaden explizit für Magazine darstellen. Wo gerade von Magazinen gesprochen wird: Diese machen sich das Nutzerpotenzial dieser Plattformen zugunsten, um auch die jungen NutzerInnen auf sich aufmerksam zu machen. „Journalismus geht auf Social Media.“ Durch die entstandene Gratiskultur im Internet ist zwar eine Konkurrenz entstanden, da die RezipientInnen eher die kostenlose Onlineversion lesen, jedoch werden journalistische Texte nicht weniger gelesen, das Geschehen verlagert sich eher. Artikel auf solchen Plattformen werden meist mit einem ausdrucksstarken Bild und kurzen Text angeteasert, welcher auch den Link zum eigentlichen Medium beinhaltet. Gekommen, um zu bleiben Wenn man einen Blick in die Geschichtsbücher wirft, wird man entdecken, dass Bilder bereits 35.000 Jahre vor der Schrift erschienen sind. Man muss also schon bis zur analphabetischen Gesellschaft zurückgehen, um bildliche Darstellungen ganz ohne dazugehörigen Text in journalistischen Medien zu finden. „Mit der Digitalisierung ist auch ein Visualisierungsschub feststellbar – dies hat auch Auswirkung auf die journalistische Vorgehensweise. Studien zeigen, dass klassische Zeitungen mehr Bilder als früher verwenden“, konstatiert die Expertin. Sie ist der Auffassung, dass Bilder zwar auf dem Vormarsch seien, diese aber äußerst selten alleine stehen würden, es wird also immer etwas Multimodales geben. Der Text kann im Umkehrschluss auch beeinflussen, wie das Bild gelesen wird. Durch Bildunterschriften werden zum Beispiel auf dem Bild zu sehende Personen und Situationen beschrieben. Man befindet sich zwar im Zeitalter der Visualität, jedoch kommt man nicht ohne Sprache aus, nicht ohne Kontext und Text, in die die Bilder eingebettet sind. von Annika Schuntermann


Der Traum der europäischen Datensouveränität

Beinahe jeder Mensch, der einen Computer besitzt, benutzt sie: Clouddienste. Die erfolgreichsten Anbieter dieser haben ihren Sitz in den USA. Dies führt nicht nur zu Bedenken bei PrivatverbraucherInnen, sondern vor allem bei Unternehmen. SUMO bat dazu Reinhard Posch, Chief Information Officer der Bundesregierung, sowie Helmut Leopold, Head of Center for Digital Safety & Security am Austrian Institute of Technology (AIT), um Auskünfte.

Regelung für nichtig erklärt Dies änderte sich allerdings mit dem Erfolg einer Nichtigkeitsklage der irischen Datenschutzbehörde vor dem Europäischen Gerichtshof, ausgelöst durch den Datenschutzaktivisten Max Schrems. Helmut Leopold erklärt die Situation in der EU folgendermaßen: „Wenn man beliebig unsere personenbezogenen Daten, also Daten, die einen Rückschluss auf uns erlauben und uns negativ einschränken könnten, verwenden kann, dann ist unsere Freiheit bedroht. Wir haben uns als Gesellschaft diesen Wert der Freiheit sehr hoch gelegt und haben uns dafür die Bürde gegeben, dass wir vorsichtig sind, wie wir mit den Daten umgehen und so kommt es zum Datenschutzgesetz. In Europa können wir Daten einem Datenanbieter geben, und weil er dem Gesetz unterliegt, schaut das Gesetz darauf, dass meine Daten nicht missbraucht werden.“ Auch für Reinhard Posch machte diese Entscheidung durchaus Sinn: „Die US-Gesetzgebung hat in diesem Zusammenhang nicht den Gedanken territorial gebunden zu sein. Das heißt, wenn eine Firma auch in den USA wesentliche Geschäfte tätigt, geht das US-Gesetz davon aus, dass diese Firma

von den Gesetzen betroffen ist. Sprich, wenn Microsoft in Österreich, Amazon in Irland ein Servicezentrum hat, dann gehen die US-Gesetze davon aus, dass der Zugriff, sofern er notwendig ist, gegeben ist. Und das ist ein beachtliches Souveränitätsproblem.“ Aus dieser Entscheidung folgt, dass es nun nicht mehr legal ist, personenbezogene Daten auf Servern US-amerikanischer Anbieter zu speichern, selbst wenn diese ihre Server in Europa haben. Doch dies bedeutet in erster Linie nicht, dass das Speichern auf Servern dieser gar nicht mehr möglich ist. Leopold beschreibt das wie folgt: „Somit fällt der Default-Mechanismus weg, die amerikanischen Anbieter sind hier erstmal ausgeschlossen und wir brauchen Alternativlösungen. Da gibt es zwei Ansätze: Zum einen muss man verstehen, dass das Datenschutzgesetz ja nicht prinzipiell verbietet, Daten im Ausland zu speichern, nur der Default-Mechanismus gilt nicht mehr. Es ist nun nur jede/r verpflichtet dafür Sorge zu tragen, dass sich auch ausländische Serviceanbieter an unsere Datenschutzgesetze halten – solange es dort äquivalente Mechanismen gibt, die unserem Datenschutzgesetz entsprechen, können auch im Ausland Daten gespeichert werden. Zum anderen stimuliert die neue Regelung natürlich den Markt für europäische Anbieter. Dafür braucht es aber nun auch entsprechende Angebote von europäischen Serviceanbietern.“ Souveränitätsproblem in Europa Posch beschreibt dieses Problem folgenderweise: „Wenn wir etwas auf die Cloud abbilden, haben wir zwei wesentliche Aspekte. Der eine ist der, dass Informationen irgendwo hingehen könnten. Das ist traurig und das ist für manche Bereiche auch problematisch. Das heißt, Inhalt ist das eine, aber was oft völlig übersehen wird ist die prinzipielle Bereitstellung. Wenn Sie ein

Thema Der Traum der europäischen Datensouveränität

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In der EU wird Datenschutz nunmehr eine große Bedeutung zugeschrieben. Ständig aufflammende Diskussionen zur Thematik zogen auch die Datenschutzgrundverordnung der EU nach sich. Diese bedeutete für Nicht-Privatpersonen vor allen Dingen ein Überdenken des Schutzes ihrer zu verarbeitenden Daten. Dank des SafeHarbour-Abkommens und später des EU-US-Privacy-Shields war das Speichern beziehungsweise Verarbeiten personenbezogener Daten auf Servern US-amerikanischer Unternehmen – trotz der sehr differenten Datenschutzrichtlinien in den USA – soweit kein Problem.

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Service über eine Cloud anbieten, dann kann der Cloud-Anbieter morgen sagen, dass er seine Dienste einstellt. Stellen Sie sich vor, Sie hätten die Einsatzservices von Polizei- und Gesundheitsdiensten in der Cloud und der Provider stellt seinen Dienst ein: Da steht der österreichische Gesundheitsdienst, die Exekutive, die Finanzverwaltung. Das bedeutet ein Souveränitätsproblem des prinzipiellen Bestandes und das Souveränitätsproblem der Geheimhaltung.“ Die Revidierung des Privacy Shields eröffnet nun enorme Chancen für den europäischen Markt. Blicken wir auf die weltweiten Marktanteile von Cloudservice-Anbietern, fällt schnell auf, dass europäische Anbieter keine Rolle spielen. Umso dringender wird es, dass die europäische Wirtschaft Services für den europäischen Markt anbietet und die ihr gegebene Chance adäquat nutzt. Auch der Experte für digitale Sicherheit Leopold erkennt dieses Problem: „Somit gibt es den marktwirtschaftlichen Effekt, dass Anbieter im europäischen Raum hier keinen Nachteil, oder sogar einen Vorteil, haben. Weiters gibt es die Herausforderung für die europäische Wirtschaft. Es muss natürlich Angebote geben, sonst kann der/die Kunde/in diese nicht berücksichtigen. Da gibt es sicher einen Aufholbedarf Europas, da haben wir uns zu lange in Sicherheit gewogen.“

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Pläne zu genuin europäischen Clouddiensten Seit des Kippens des Abkommens zwischen EU und USA wird das Thema zu genuin europäischen Clouds brisanter. Eine datensouveräne Europäische Union würde viele Vorteile mit sich bringen. Vor allen Dingen würden die personenbezogenen Daten, beziehungsweise die Daten europäischer Personen und Unternehmen generell, das Hoheitsgebiet der EU nicht mehr verlassen. Dennoch stellt sich die Frage, ob eine Datensouveränität und Datensicherheit durch das alleinige Bestehen und Verwenden europäischer Anbieter bestehen würde? Reinhard Posch, Leiter der Plattform „Digitales Österreich“, erklärt am Beispiel von „WhatsApp“, warum Europa wesentlich abhängiger von internationalen Anbietern ist, als es am ersten Blick erscheint: „Möglicherweise verwenden Sie ‚WhatsApp‘ oder ähnliche Dienste, dann werden Sie dort extrem hinters Licht geführt.

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Sie steigen ein und sehen, es ist Endezu-Ende-verschlüsselt und dass alles gewahrt ist. Sie können dann jemanden zu einem Gespräch auf ‚WhatsApp‘ einladen, aber das macht natürlich die App und im Hintergrund der Server. Ob Sie jetzt davon informiert werden, dass noch jemand zu diesem Gespräch eingeladen wird, ist einzig und allein Entscheidung der App bzw. des Servers. Damit sehen Sie, dass auch bei solchen Diensten, wo Privacy ‚vorgetäuscht‘ wird, durchaus solche Mechanismen eingesetzt werden könnten, wenn sich US-Behörden dazu entscheiden.“ Auch Leopold betont, wie wichtig eine Datensouveränität wäre: „Darum ist das Thema digitale Souveränität eine der wichtigsten Aufgaben für unsere Grundwerte der Demokratie und für die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit.“ Dieses Phänomen, wie am Beispiel „WhatsApp“ beschrieben, lässt sich nun auch auf andere Dienste umlegen. Vor allem auf Kommunikationsdienste, aber auch auf andere Softwareprodukte, wie Betriebssysteme von Smartphone und Computer. Es ist fraglich, ob man von einer Datensouveränität sprechen kann, wenn man dennoch auf diese Dienste angewiesen ist: „Auf solche Dienste zu verzichten ist schwer. Können Sie auf Microsoft Office verzichten? Es gibt natürlich Papiere, wie man aus Clouds aussteigen kann, Diskussionen wie man die Abhängigkeit von Herstellern beherrschen könnte, aber das würde im Cloudbereich extreme Investitionen erfordern. Das würde bedeuten, dass man nur für die Verwaltung eine völlig eigene Infrastruktur aufbauen müsste und dann sind die Vorteile, welche die Cloud predigt, finanziell kompensiert. Wir schaffen es nicht, auf solche Services zu verzichten, wir müssen mit diesem Dilemma leben und dagegen kämpfen, vor allem auch auf europäischer Ebene. Auf europäischer Ebene haben wir natürlich die Problematik, dass die Einflussgeber auf Brüssel zu 50% aus Firmen des US-Bereichs stammen. Und damit wird es deutlich schwieriger“, hebt Posch hervor. Wie soll es weitergehen? Eine – zumindest gewisse – europäische Datensouveränität ist ein mehr als nur anstrebenswertes Ziel. Darin sind sich auch Leopold und Posch einig. Doch wie soll die Zukunft aussehen? Auch in Bezug auf Diskussionen zu Si-

Der Traum der europäischen Datensouveränität Thema


cherungsanordnungen, welche es EUBehörden erlauben sollen, auf Daten in Clouds zuzugreifen, insofern eine ausreichende Begründung vorliegt. Helmut Leopold meint hierzu, dass die Behörden in den USA über ihr Ziel hinausgeschossen hätten, dass es hier in der EU einer besseren Lösung bedürfe: „Aber wir sollten in Europa eine vernünftige Lösung finden, wo einerseits die Behörde Möglichkeiten bekommt, andererseits aber nicht unsere Grundrechte unterbindet.“ Auch Reinhard Posch weist auf die Dringlichkeit des Datenschutzes hin: „Wenn die österreichische Verwaltung eine Cloud verwendet, muss die österreichische Verwaltung auch Herr der Identifikationsmechanismen der Cloud sein. Eine derartige Cloud gibt es aber nicht. Und genau das widerspricht der Idee des Cloud Acts, denn wenn Österreich wieder Herr der Identitäten ist, kann nicht mehr in die Daten hineingeschaut werden, kann z.B. ‚WhatsApp‘ nicht mehr jemanden einladen. Weil er die Identitäten nicht mehr managen kann.“ Es fehlt also noch einiges an Diskussion und Entwicklung in der EU, bevor die eigenen Ziele erreicht werden können und von einer europäischen Datensouveränität gesprochen werden kann.

von Matthias Schnabel

Reinhard Posch / Copyright: Reinhard Posch

Helmut Leopold / Copyright: PicturePeople-AIT

Der Traum der europäischen Datensouveränität Thema

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Steckt der österreichische Film in der Krise? SUMO hat mit Arie Bohrer, Film Commissioner bei Location Austria und Jakob Pochlatko, Geschäftsführer und Produzent bei epo-film, über die derzeitige Situation in der österreichischen Filmlandschaft gesprochen. Thematisiert wurden die Besonderheiten von Österreich, der Förderbedarf und wie Koproduktionen bzw. Streaming dem österreichischen Markt helfen könnten. Philipp H., geboren 1966, beschreibt die Zeit der heimischen Filmrezeption, als „Netflix“ und Co. noch nicht mal als Idee existierten. Damals hätte es nur Fernsehen zu bestimmten Uhrzeiten gegeben und nicht rund um die Uhr, wie man es heute kennt. Filme in Farbe zu sehen war keine Selbstverständlichkeit. Auch die Kino-Erfahrung war eine andere. Besuchte man beispielsweise das Gartenbaukino in Wien, so kaufte man sich um 7,50 bis 15 Schilling (0,55 bis 1,10 EUR) ein Kinoticket für beispielsweise Disney’s „Ein toller Käfer“ oder „James Bond 007 – Diamantenfieber“ mit Sean Connory. Zum Ticket kaufte man sich ein „Kinogramm“: Dadurch konnte man Informationen bekommen zu der Besetzung und dem Produktionsteam und Fotos aus dem Film, sowie zum Inhalt des Films – bei Filmen wie „James Bond“ auch Auszüge aus einem Interview mit BBC zum Film. Ehe der Film startete, gab es auch schon Werbung, allerdings in einer anderen Form, etwa dass eine bekannte österreichische Modekette wie Fürnkranz eine Modeschau mit der neuesten Kollektion vorführte. Und heute? SUMO hat den Filmproduzenten und Geschäftsführer von epo-film Jakob Pochlatko gefragt, wie es mit der Filmlandschaft in Österreich momentan aussieht und ob die großen Hollywood-Filmschaffenden und Franchises wie Marvel und Disney ein Grund sein könnten, wieso österreichische Filme nicht mehr so häufig rezipiert werden. Es gebe grundsätzlich eine erkennbare Schere bei den Kinobesucherzahlen. Sehr viele Menschen nutzen wenige große Filme und die Zahl an kleineren Filmen, mit soliden Zuschauerzahlen, ginge stärker zurück. Der Hauptanteil der Kinofilmbesucher*innen beziehe sich auf die wenigen Großen und man könne bemerken, dass Franchise und eingeführte Marken gut funktionieren, erklärt Pochlatko. „Marken und große Blockbuster-Produktionen mit dem entsprechenden Werbebudget tun sich leichter und ziehen einen Großteil der Zuschaueraufmerksamkeit auf sich. Das ist im Kino sicherlich so, aber auf der an-

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deren Seite im linearen Fernsehen etwas anders, als dass österreichische Inhalte schon sehr stark nachgefragt werden. Das sieht man nach wie vor bei den sehr guten Quoten im ORF oder mittlerweile auch bei ‚‚Servus TV‘, die sich nach wie vor auf regionale Inhalte konzentrieren und das kommt gut bei den Zuschauer*innen an.“ Österreich hat filmtechnisch viel zu bieten. Um den (Film)Standort Österreich zu promoten, gibt es Location Austria. Als Unterabteilung der ABA (Austrian Business Agency), der staatlichen Agentur für Industrieansiedlung- und Wirtschaftswerbung, ist sie die erste Anlaufstelle für internationale Filmproduktionen, die in Österreich drehen wollen. Arie Bohrer, Film Commissioner bei Location Austria, erklärt, dass die Kontaktaufnahme telefonisch, über Mail, die Website sowie über das vorhandene Netzwerk internationaler Kontakte erfolgen könne. Die Kund*innen von Location Austria seien zahlreiche internationale Produktionen. Deutsche Produktionsfirmen hätten aufgrund langjähriger Kooperationen ohnehin schon Kontakte in Österreich, daher kämen die meisten internationalen Kontakte beispielsweise aus Amerika, Großbritannien, Indien, Ungarn oder auch Tschechien. Die Kontaktvermittlung zu den betroffenen Locations laufe in den meisten Fällen über Location Austria, aber es sei abhängig, wie viel die Produzent*innen vorab recherchiert hätten und ob schon ein Kontakt zu der Location aufgebaut sei. Das Besondere an Österreich Was den (Film)Standort Österreich attraktiv mache, seien die Infrastruktur, die Motive bzw. Settings und, neben diversen anderen Fördereinrichtungen, die Förderinstitution Filmstandort Austria (FISA), so Bohrer. Die Förderung durch FISA biete auch für Produktionen, die nach Österreich kommen und keine Koproduktionen sind (wobei auch Letztere FISA-Förderung erhielten), die Möglichkeit, dass 30% der in Österreich getätigten Ausgaben refundiert werden können, fügt der Film Commissioner hinzu. Er erzählt, dass Berge häufig nachge-

Themader österreichische Film in der Krise? Steckt


Location-Suche Um für Filmproduzent*innen eine passende Location zu finden, werde zuerst bei Location Austria besprochen, was nötig sei, dann eingekreist, präzisiert und definiert, um sich dann auf die Suche zu machen. Das Team von Location Austria mache ihren Klient*innen dann Vorschläge, fertige bei Passung Bilder an und wenn diese entsprächen, folgen meist Terminbesichtigungen. Location Austria vermittle Locationmanager*innen und Produktionsfirmen. Sollten Probleme außerhalb der Routine auftauchen, beispielsweise Genehmigungen von Filmmotiven wie Transportmittel oder Schlösser, aber auch schwieriger erwerbbare, dann schalte sich die Institution ein. „Wir versuchen, Probleme zu

lösen, die auftauchen könnten im Rahmen von Motivverträgen und Verhandlungen bezüglich diverser Filmmotive. Da gibt es oft hohe Erwartungen und Behörden oder Privatpersonen als Eigentümer*innen. Wir schalten uns dann in die Verhandlungen ein, um zu einem positiven Ergebnis zu kommen.“ Förderungen Neben der Vermittlung von Locations gibt es noch die oben erwähnte Förderung, die über die Film Commission mit abgewickelt wird und über die das Austria Wirtschaftsservice (AWS) beantragt werden kann. Die FISA-Förderung ist ein Zuschuss, der nicht zurückgezahlt werden muss. FISA fördert die Herstel-

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Arie Bohrer/ Copyright: ABA / Julius Silver © Copyright: adobe stock / Maksym Yemelyanov

fragt werden würden, genauso wie die Städte Wien und Salzburg, aber es gebe keine „Peaks“. Aber wo ein Produktionsteam letztendlich filmt, sei abhängig vom Inhalt. Auch der Filmproduzent von epo-film stimmt zu, dass Österreichs Landschaft einen Teil beitrage: „Ich glaube, es ist die Kombination aus Humor, Landschaft und Schauspieler*innen. Die Zuschauer*innen sehen gerne Dinge, die sich in ihren Lebenswelten abspielen. Da holt man Leute emotional anders ab.“ Die Identifizierung mit der Lebenswelt sei sehr relevant: „Wenn das eine Lebenswelt ist, mit der sie sich identifizieren können, also eine Kombination von bekannten Regionen und Schauspieler*innen mit Wiedererkennungspotential. Humor ist in jedem Land anders“. Er fügt hinzu, dass der österreichische Humor speziell sei, aber natürlich sehr gut beim österreichischen und erfreulicherweise auch beim deutschen Publikumankomme. Dass deutschsprachige Komödien gerne von österreichischen Zuseher*innen rezipiert werden, wird von der Statistik der erfolgreichsten Filme in Österreich 2018 bestätigt. Zieht man alle deutschsprachigen Filme heran, so sind vier von sechs Filmen der Kategorie „Comedy“ zugeordnet konstatieren das Österreichische Filminstitut, Rentrak 2020 bzw. Statistik Austria.

FISA Förderungsbeträge: • Nationale Förderungen: max. 20 % • Österreich.-ausländische Koproduktionen: max. 25 % • Internationale Produktionen: max. 30 %

Steckt der österreichische Film in derThema Krise?

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lungskosten und je nachdem, ob es sich um eine nationale, internationale oder eine Koproduktion handelt, wird mit einem anderen Zuschussprozentsatz gerechnet. Als Bemessungsgrundlage dienen maximal 80% der Herstellungskosten. Um Fördergelder von FISA zu bekommen, muss ein/e Förderungswerber*in Qualifikationskriterien erfüllen. Die Auswahl der Kriterien werde von einem Beirat festgelegt und nach internationalen Maßstäben ausgerichtet. Eines der Kriterien ist beispielsweise, dass ein vergleichbarer Referenzfilm in Österreich oder einem anderen Staat des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) hergestellt und kommerziell verwertet wurde. „Wenn zum Beispiel jemand im Fernsehfilmbereich aktiv war und nicht im Kinofilmbereich, aber nachweislich gute Arbeit geleistet hat, dann werden selten, aber doch, Ausnahmen gemacht“, erklärt der Film Commissioner. Bei einer Sache sind sich Bohrer und Pochlatko einig und zwar, dass es noch Förderungsbedarf gebe. „Österreich ist

bei weitem nicht gut aufgestellt. Wir brauchen mehr für die FISA-Förderung, für internationale Produktion, und es wäre gut, wenn man die Bereiche Video on Demand (Streaming) und Fernsehen in den Fördergeldern inkludieren könnte. FISA ist nur zuständig für Kinofilm und das ist eigentlich zu wenig“, findet Bohrer. Filmproduzent Pochlatko sieht das ähnlich: „Wo es auf jeden Fall noch Bedarf gibt, ist die österreichische Fernsehförderung in Form des Fernsehfonds Austria. Es ist ein wirkungsvolles Instrument, um Österreich als Film- und Wirtschaftsstandort für Filmproduktionen attraktiv zu machen. Nun ist es so, dass momentan einfach mehr im TV-Bereich produziert wird, und auch mehr PayTV und Streaming-Anbieter auf den Markt drängen. Dahingehend gehört der Fernsehfonds aufgestockt und angepasst.“ Das Budget sei seit Jahren das gleiche und würde die Entwicklungen und Fernsehen nicht berücksichtigen. Dies wird auch von Statistiken des Österreichischen Filminstituts, des Filmfonds

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Steckt Themader österreichische Film in der Krise?

Wien, der RTR und von FISA bestätigt: Sieht man sich die Gesamtdotierung an, so sind die Fördergelder bis zum Jahre 2015 gestiegen und betrugen rund 82 Mio. Euro, im Vergleich dazu lag der Betrag immer zwischen 72 und 75 Mio. Euro in den letzten Jahren. Auch bei Kinoproduktionen sei die Frage, ob sich Förderungen auf wenige Produktionen fokussieren sollten und diese mit mehr Geld ausstatten, oder es so belässt wie es sei. Grundsätzlich seien höhere Förderungen wichtig, da die Produktionen immer teurer werden: „Die Kollektivverträge steigen, die Teammitglieder*Innen werden besser bezahlt, Produktionen werden teurer und dementsprechend müssen die Förderungen angepasst werden.“ Man könne sich mit höheren Fördertöpfen trauen, innovative Projekte anzugehen. Pochlatko merkt an, dass mehr Geld nicht das einzige Mittel sei, damit ein Film erfolgreicher werde: eine klare Ausrichtung auf ein breites Publikum oder etwa ein künstlerischanspruchsvoller Film für Festivals und


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internationale Anerkennung, - „im Idealfall eine Kombination aus beiden.“ Diese Grundsatzentscheidung müsse man sehr früh treffen. „Dann kann man mit den im Vergleich zu internationalen Studio-Produktionen budgetär beschränkten Produktionsmitteln in Österreich ein größeres Publikum erreichen.“ Der Produzent fügt hinzu, dass er das Fördersystem in Österreich als ein sehr gutes und im internationalen Vergleich gut ausgestattetes hält. Die relevanteste Förderung für die Filmherstellung daher sei laut Pochlatko die Herstellungsförderung: „In der Regel wird ein Drittel bis maximal die Hälfte aller Entwicklungen auch tatsächlich realisiert.“ Die Projektentwicklung erfolge zu großen Teilen mit eigenen Finanzierungsmitteln und somit mit eigenem Risiko. „Da wäre es schon gut, mit einem höheren Budget zu arbeiten – also auch höherer Förderung –, weil im Umkehrschluss dann die Möglichkeit bestünde, weniger Eigenmittel in die Produktion zu stecken. Dann hätte man weniger Druck, jeden Film, der in der Projektenwicklung steckt auch letztendlich zu produzieren.“ Deshalb wäre es wünschenswert, bereits in der Projektentwicklung die Möglichkeit zu haben, zumindest kleine Deckungsbeiträge zu erwirtschaften. Wenn man mehr Fördergeld für die Entwicklung hätte, so hätte man mehr Zeit und Ressourcen für eine ausführlichere Projektentwicklung. „Wenn man weniger Druck hat, die hohen Eigeninvestitionen zurückzuverdienen, hat man grundsätzlich die Möglichkeit, reifere Projekte zur Herstellungsförderung einzureichen“, erklärt Pochlatko. Denn: „Drehbücher brauchen oft lange.“ Als Beispiel nennt er eines, an dem sie seit knapp sechs Jahre arbeiteten und nun inhaltlich zufrieden seien, um es umzusetzen. Erfolgsrezepte gebe es keine. Krimis würden stark nachgefragt werden, aber man könne nicht immer nach einem „Schema F“ vorgehen: „Man muss sich da schon immer behutsam einem gewissen Innovationsprozess stellen, denn nur auf der Stelle treten wäre nicht zielführend.“ Bei einem Krimi müsse man dem Format treu bleiben, damit Zuseher*innen erkennt, worum es sich handelt. „Da muss man schon gewisse inhaltliche Rahmenbedingungen erfüllen, um dem Sendeplatz und dem Format gerecht zu werden.“

chische Produktionsfirma als Partner involviert.“ In Deutschland werde momentan viel produziert, sodass deutsche Anbieter nach Österreich blicken, um auf dem österreichischen Markt nach talentierten und etablierten Partnern zu suchen. Momentan seien österreichische Filmemacher*innen im Streaming, Pay TV-Diensten und im klassischen Fernsehen „hoch im Kurs“, erklärt Pochlatko. Um die österreichischen Beteiligten in einer Koproduktion hervorzuheben, hat der Filmproduzent folgenden Vorschlag: „Es würde möglicherweise schon helfen, wenn ein Film der zum größeren Teil aus Deutschland herausproduziert wird, man dann bei den Werbeankündigungen für den österreichischen Markt dazu sagt: vom österreichischen Filmemacher X.“ Sowohl im linearen Fernsehen als auch auf Streaming-Plattformen finde diese Nennung praktisch nicht statt. „Es gibt zum Beispiel jetzt die ‚Netflix‘-Serie ‚Barbaren‘, bei der die Österreicherin Barbara Eder in den ersten vier Folgen Regie führte.“ Die Serie sei eine der erfolgreichsten nicht-englischsprachigen „Netflix“-Serien weltweit. „Doch es ist nicht Teil des Marketingkonzepts. In der Branche weiß man es, im breiten Publikum nicht.“ Die aktuell rege Produktionstätigkeit weltweit habe aber auch erschwerende Aspekte für die Produzent*innen in Österreich. „Es ist so, dass wir für unsere heimischen Produktionen österreichische Regisseur*innen oft nicht bekommen, weil sie schon bei deutschen Produktionen sind. Da muss man sehr frühzeitig, fast ein Jahr im Vorhinein reservieren.“ Global ausgerichtet sei das Filmgeschäft jedoch sehr spannend: „Es ist international gesehen interessant, dass jetzt durch die international agierenden Streaming-Angebote die Möglichkeit besteht, dass regionale Filme nun auch auf der ganzen Welt gesehen werden. Es gibt eine klare Aufgabenstellung von ‚Netflix‘, beispielsweise, dass österreichische Filme und Serien produziert werden, die auf der ganzen Welt verstanden werden können.“ von Raphaela Hotarek

Koproduktion und Streaming als Lösung am internationalen Markt Im Laufe des Gesprächs sind wir auch auf Koproduktionen eingegangen, beispielsweise den Film „Narziss und Goldmund“. „Der Film ist eine deutschösterreichische Koproduktion, die federführend aus Deutschland betrieben wurde und dann hat sich eine österrei-

Steckt der österreichische Film in derThema Krise?

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Die Facetten der Angstlust Angstlust kann in etlichen Lebenssituationen erlebt werden. Im Zuge dieses Artikels hat SUMO es sich zur Aufgabe gemacht, sowohl psychologische als auch kommunikationswissenschaftliche Aspekte dieses Phänomens zu beleuchten. Dazu wurden Gespräche mit dem Medien-, Kinder-, und Jugendpsychologen Christian Gutschi und Kommunikationswissenschaftler Univ.-Prof. Jürgen Grimm geführt. Das ganze Kino hält den Atem an, die Spannung steigt ins Unermessliche. Plötzlich passiert etwas Unerwartetes und alle schreien auf. Danach tritt pure Erleichterung ein und die RezipientInnen fühlen sich befreit. Spannung, Angst, Erschrecken, Neugierde oder auch „Thrill“ – dies sind alles Begriffe, die die Herzen von Horrorfans oder AnhängerInnen ähnlicher Genres höherschlagen lassen. Ein zentrales Element, das zum Genuss solcher Genres führen kann, ist die Angstlust. Laut dem „Online Lexikon für Psychologie und Philosophie“ kann Angstlust nur dann verspürt werden, wenn sich Personen freiwillig einer äußeren oder einer scheinbaren Gefahr aussetzen und stets die Hoffnung haben, dass es am Ende einen guten Ausgang geben würde. Die Kommunikationswissenschafterin Stefania Voigt beschreibt in ihrer 2018 erschienenen Studie „Blut ist süßer als Honig: Angstlust im Horrorfilm im Kontext von Medientheorie und Medienpädagogik“ Angstlust als „komplexe, zugleich antizipierende und rückbezügliche Bewertungsleistung mit prophetischer Struktur“. RezipientInnen, die Angstlust erleben wollen haben laut Voigt eine gewisse Erwartung an die Angstlust-Erfahrung. Das bedeutet, dass sich die RezipientInnen bewusst seien, dass sie Angst erleben werden, dies aber bewusst wollen.

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Anfänge der Angstlust-Theorie Der Psychoanalytiker Michael Balint hat sich bereits Ende der 1950er Jahre mit dem Phänomen auseinandergesetzt. Er beschreibt in seinem Werk „Angstlust und Regression“, dass es zum einen das oknophile und zum anderen das philobatische Verhalten bezüglich des Erlebens von Angstlust gibt. Bei der oknophilen Verhaltensweise geht es darum, dass eine Person das Bedürfnis nach Schutz und Zuneigung hat und sich an etwas oder jemanden klammert, was dieses Bedürfnis befriedigen könne, dennoch ist die permanente Angst vorhanden, diesen Schutz oder

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Thema Die Facetten der Angstlust

diese Zuneigung zu verlieren. Bei der philobatischen Verhaltensweise geht Balint davon aus, dass Personen darauf abzielen, sich von einem gewissen Objekt oder einer Person abzugrenzen. Sowohl bei der oknophilen als auch bei der philobatischen Verhaltensweise sieht Ballint ein und dieselbe Ursache – die Loslösung des „primären Urobjekts“. So sollen beide Verhaltensmuster ein Versuch sein, ein Trauma, das durch die Loslösung der Mutter in der Kindheit ausgelöst wurde, zu überwinden. Psychologische Sichtweise Der Wiener Kinder-, Jugend-, und Medienpsychologe Christan Gutschi unterscheidet im Gespräch mit SUMO zwischen zwei Persönlichkeitstypen. Zum einen gebe es jene Personen, die bewusst nach angstauslösenden Reizen suchen würden, zum anderen gebe es eine Gruppe, die versuchen würde, Angst zu vermeiden oder diese sogar leugnen. Es gebe jedoch noch etliche verschiedene Abstufungen zwischen diesen Extremata. Es hänge vom jeweiligen Charakter eines Menschen, dessen Temperament oder auch von Vorerfahrungen ab, zu welchem Persönlichkeitstyp eine Person zuzuordnen sei. Angst und Lust hätten auf den ersten Blick eine paradoxe Verbindung, bei näherer Betrachtung jedoch ließe sich eine Verbindung erkennen. Angstlust sei keine neue Erscheinung, denn bereits in griechischen Mythen, bei denen beispielsweise die Angst vor den Göttinnen und Göttern thematisiert wird, seien Merkmale der Angstlust vorhanden. Angstlust könne hilfreich sein und dazu dienen, besser mit tatsächlichen Ängsten umzugehen und so eine Angstbewältigungsstrategie entwickelt werden. Es könne der Fall sein, dass Personen mit traumatischen Erlebnissen sich unbewusst ähnlichen Situationen, wie der erlebten TraumaSituation, aussetzen und so versuchen würden diese Traumata zu bewältigen. Gutschi betont auch die Grenzen der Angstlust. So etwa, wenn Angst in


Panik oder Kontrollverlust umschlage – diese Empfindungen würden jedoch nicht mehr unter den Begriff der Angstlust fallen. Christian Gutschi kann bei der Thematik auch einen Suchtcharakter feststellen. Dies sei gegeben, wenn die Dosis immer mehr erhöht werden müsse und die Angstlust Erlebnissen eine stetige Steigerung bieten müssten. Dies vermöge unter anderem sogar zu einer Selbstgefährdung führen, wenn kleine angstauslösende Situationen beispielsweise keine Wirkung mehr hätten. Es sei außerdem wichtig zu erwähnen, dass nicht nur Erwachsene, sondern auch schon Kinder und Jugendliche Angstlust empfinden können. So wollen Kinder die Angst ebenfalls bewusst erleben. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn ein vierjähriges Kind versuche, über einen Baumstamm zu klettern, es also lustvoll seine Selbstwirksamkeit entdecke. Bei Jugendlichen sei beispielsweise der Drang Mutproben zu absolvieren groß. Diese Mutproben ließen sich auch als eine Form der Angstlust betrachten und können jedoch bisweilen hilfreich sein, da sie zur Persönlichkeitsentwicklung beitrügen und die Jugendlichen so auch ihre Grenzen erfahren würden. Kommunikationswissenschaftliche Sicht Im Interview mit SUMO erläutert Univ.Prof. Jürgen Grimm (Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Univ. Wien), welche Besonderheiten er beim Phänomen der Angstlust aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht erkennen kann. Betrachte man beispielsweise RezipientInnen von Horrorfilmen, erkenne man, dass es weniger um ein Geborgenheitserlebnis, als vielmehr um eine Art Mutprobe gehe. Hierbei gelte die „Angstkontroll-These“. Diese sei der Angstlust nahe, dennoch müssten Unterscheidungen getroffen werden. Es ginge nicht darum, sich in die Angst fallen zu lassen, wie Balint dies bereits 1959 skizziert hat, sondern um die Kontrolle der Angst. Es sei also nicht die Lust an der Angst, sondern die Lust an dem Erlebnis, dass man die Angst kontrollieren kann. Auch aus kommunikationswissenschaftlicher Sicht sei laut Grimm das Auftreten von Suchterscheinungen bei solchen Erlebnissen möglich. Einzelne könnten in der Konfrontation mit dem Schrecklichen, die das Kontrollmotiv bedient, einen mehr oder weniger starken Drang verspüren, dieses Erlebnis immer häufiger durchlaufen zu müssen. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn die Fähigkeit, Angst zu kontrollieren, durch Horrorfilme nicht wirklich steigt. Genau an diesem Punkt sei der Drang nach einer

Thema Die Facetten der Angstlust

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Ausblick Die Kommunikationswissenschaft und die Psychologie haben Erklärungen geliefert, weshalb es zum Genuss von Horrorfilmen kommen kann. Ob man das nun Angstlust nennt oder einen anderen Begriff verwendet, die dahinterstehenden Phänomene gibt es schon seit vielen Jahrhunderten. Mythen und Sagen über Göttinnen und Götter sind hierfür ein Beispiel. Doch auch in Zukunft wird die Faszination von Verbrechen und anderen angstbetonten Darstellungen fortbestehen. Das lasse sich – so erläutert Jürgen Grimm – schon daran ablesen, dass Crime-Formate im Fernsehen die größte Unterhaltungssparte darstellen und die Nachfrage auch im Netflix-Zeitalter immer weiter wächst. von Viktoria Strobl

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Thema Die Facetten der Angstlust

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höheren Dosis stark. Unter gewissen Bedingungen kann Horrorfilmkonsum auch zu einer Gefahr werden, erklärt Jürgen Grimm. Einige wenige – und das seien Ausnahmen – werden durch Horrorfilme tatsächlich zu Gewalttaten inspiriert. Solche Gewalttaten würden beispielsweise ausgeübt, wenn es zu einer Frustration im Bestreben, mit der eigenen Angst umgehen zu können, kommt. Es sind also in der Regel keine Nachahmungstaten, die von Horrorfilmen inspiriert werden. Vielmehr sind Fälle von Gewalttaten viel eher darauf zurückzuführen, dass die TäterInnen ein Angstproblem haben und dieses versuchen, mit einer Tat zu lösen. In erster Linie gehe es laut Grimm darum, ob RezipientInnen in der Lage sind, mit der Angst umgehen zu können. Die große Mehrheit der HorrorfilmseherInnen leiste das mit großer Souveränität. Er unterstreicht, dass, wie oben bereits erwähnt, das Motiv nicht Lust an der Angst, sondern der Genuss der Angstkontrolle sei. Vor allem Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 16 rezipierten besonders häufig Horrorfilme. Dies könne damit erklärt werden, dass in diesem Alter Angst und Unsicherheit größer werden. Daraus ergebe sich ein Bedarf, sich Angstbewältigungsstrategien zurechtzulegen. Die Jugendlichen streben nicht danach Angst zu haben, sondern diese kontrollieren zu können. Daher sieht Grimm den Begriff der Angstlust als problematisch an und spricht vielmehr von Angstmanagement und Angstkontrolle.


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Faszination Live-Sport Thema


Man nehme einen Goldesel… oder etwa nicht? Europäische Filmfinanzierung „Das wäre der perfekte Inhalt für den nächsten europäischen Blockbuster.“ Das dachten sich möglicherweise bereits viele. Doch wie finanziert man so ein Vorhaben? SUMO diskutierte mit Esther Krausz, österreichische Ansprechpartnerin für „Creative Europe – MEDIA“, und Paul Clemens Murschetz, Privatdozent und Medienökonom, über die unterschiedlichen Varianten.

Die direkte, öffentliche Filmförderung Die „klassische“ Variante ist die direkte, öffentliche Filmförderung. Auf euro-

päischer Ebene ist „Creative Europe“ die Ansprechorganisation in solchen Belangen. Das aktuelle Programm, welches mit 2020 endet, unterteile sich in die Unterbereiche „Culture“ und „MEDIA“, so Esther Krausz. Mit ihrem umfangreichen Kontingent an 13 Förderschienen – etwa „TV-Koproduktion“, „Projektentwicklung“ und „Verleih“ – würde „Creative Europe – MEDIA“ das Ziel verfolgen, den europäischen Film vor allem in Bezug auf die amerikanische Konkurrenz zu kräftigen, erläutert Krausz. Darüber hinaus würde „Creative Europe – MEDIA“ mit Trainingsangeboten unter anderem die Qualifikationen der einzelnen AkteurInnen fördern. Bei der Vergabe der Förderungen werde vor allem auf die sogenannte „Europäische Relevanz“ geachtet werden. Krausz erklärt, dass Gründe aufgezeigt werden müssen, die unterstreichen, wieso beispielsweise ein Film „für ein europäisches Publikum interessant ist“. Dieser Aspekt müsse inhaltlich, aber auch auf Arbeitslevel belegt werden, denn es „muss immer eine Zusammenarbeit mit Menschen, Firmen oder Organisationen in anderen europäischen Ländern“ geben. Darüber hinaus solle die Zielsetzung der Initiative erfüllt werden. Als Vorteile einer solchen europaweiten Förderinstitution sieht Krausz mehrere Aspekte, die ineinandergreifen. Unter

Esther Krausz / Copyright: Privat

Paul Clemens Murschetz / Copyright: Privat

Wer kennt es nicht – die perfekte Filmidee spielt sich buchstäblich wie in einem Film vor dem inneren Auge ab, zumindest als Traum. Wenn man dann bedenkt, dass laut einer Studie der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle (2018) für die Herstellung eines auf europäischer Ebene gezeigten Kinospielfilms im Jahr 2016 im Durchschnitt mehr als 3 Millionen Euro ausgegeben wurden, dann stellen sich die Fragen: Was tun, um diesen Traum zu verwirklichen und über die Landesgrenzen bekannt und erfolgreich zu machen? Mit den zahlreichen Förderformen – von direkter und indirekter Förderung über Product Placement und Crowdfunding – werden eine Bandbreite an Wegen geboten, um ein Vorhaben zu realisieren. Doch wie wichtig sind die einzelnen? Bei dem Instrumentarium der Förderung würden zwei Attribute im Fokus stehen: Effizienz und Effektivität, so Murschetz. „Institutionen der öffentlichen Filmförderung“ würden diese Prinzipien in die Praxis umsetzen, um eine Finanzierungsgrundlage für ProduzentInnen zu schaffen sowie Filmökosysteme insgesamt zu stärken.

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Man Thema nehme einen Goldesel... oder etwa nicht? Europäische Filmfinanzierung


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anderem könne durch ein gemeinsames Arbeiten der Staaten ein höheres Kapital generiert werden. Im Zuge dessen könne der Film wiederum auch an ein breiteres Publikum vertrieben werden. Murschetz sieht hierbei die „Europäische Integration“ und „Europa als Wertekontinent“ im Vordergrund, um „sozusagen im Sinne der Integration die gemeinsamen Werte Europas zu stärken“. Des Weiteren würde hier ein höherer Geldbetrag zur Verfügung stehen und dies sei vorwiegend für eher größere Projekte von Vorteil. Allerdings würden aber ebenso „kleinere, künstlerisch qualitativ wertvolle Produktionen“ realisiert werden. Ein Programm mit dieser Reichweite müsse auch zugänglich gegenüber kritischen Stimmen sein, so Krausz. Sie erläutert, dass unter anderem der Aspekt der „Fairness“ genannt werde, sprich ob alle Staaten dieselben Möglichkeiten auf finanzielle Unterstützung haben. Hier habe „Creative Europe – MEDIA“ mit einem „System der positiven Diskriminierung“ entgegengesteuert, um diese Fairness zu erreichen. „Einen weiteren Verbesserungsbedarf gibt es bei der Förderung für Nachwuchs“, da dieser es schwieriger hätte, Fördermittel zu erhalten. Da das Programm über eine Dauer von sieben Jahren verfügt, stellt sich auch die Frage, wie flexibel es agieren kann. Krausz erzählt, dass die Eckpunkte des Programmes definiert seien, Erfahrungen aber gezeigt hätten, dass es möglich sein müsse, spontaner zu reagieren. Murschetz konstatiert, dass im europäischen Kontext die positiven klar die negativen Aspekte dominieren würden. Darüber hinaus jedoch kristallisierten sich in seiner Forschungsarbeit „State Aid for Film and Audiovisual Services. A Synoptic Review of Key Principles and Governance Models in Europe and Abroad“, den Murschetz gemeinsam mit dem Direktor des Österreichischen Filminstituts Roland Teichmann (2019, unter Mithilfe von Sameera Javed) verfasste, die Nachteile eines direkten Förderungsmodells heraus. Hierbei liegen die negativen Argumente unter anderem bei der bürokratischen Verwaltung, der zu geringen Innovationsförderung, zu niedrigen Filmförderbudgets sowie in der Tatsache begründet, dass direkte Modelle zu Anpassungen im Sinne des sich verändernden Marktes nur begrenzte Wirkung zeigen. Ein Ausblick auf die nächste „Creative Europe“-Laufzeit bietet laut „creativeeurope.at“ neue Themenkernpunkte, wie etwa „Green Filming“, „Innovatives Storytelling“ oder die Förderung des Streaming-Bereiches, aber auch bestehende sollen weitergeführt werden.

Man nehme einen Goldesel... oder etwa nicht? Europäische Filmfinanzierung Thema

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(Anm.: Ausführlichere Informationen waren zu Redaktionsschluss noch nicht verfügbar.)

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Die Alternativen Darüber hinaus gibt es noch andere Möglichkeiten ein Filmvorhaben in die Tat umzusetzen. Neben der direkten, die indirekte Förderung. Neben öffentlicher, die private. Doch was steckt dahinter? Bei der indirekten Förderung handelt es sich um Steuererleichterungen bei Filmproduktionen sowie Vergünstigungen im Rahmen dessen Einzelpersonen oder Unternehmen in förderfähige Filmproduktionen investieren und diese Investitionen mit einer bestehenden Steuerschuld verrechnen können, erklärt Paul Clemens Murschetz. So würden Kosten eingespart werden können. Er führt weiter aus, dass dieses System ebenso eingesetzt werden würde, um Investoren in ein Förderland oder ein Gebiet zu locken. Beispielsweise kommen indische Filmproduktionsunternehmen für einen Dreh in die Schweiz, um das Bergpanorama einzufangen. Dort würden die internationalen Zusammenarbeiten zwischen den indischen und schweizerischen Unternehmen von der Schweiz unterstützt werden, so Murschetz. Als negativen Aspekt sei es allerdings im Zuge dessen zu einem regelrechten „Filmproduktionstourismus“ gekommen, wie beispielsweise in den USA zu beobachten gewesen sei, erläutert Murschetz. Dies hätte auch dazu geführt, dass sich Unternehmen nur für die Dauer der geförderten Produktion eben in den Regionen angesiedelt hät-

ten, die diese Erleichterungen vorsehen und keinen nachhaltigen Aufbau einer Filminfrastruktur in den Förderregionen nach sich gezogen hätte. Bei einer von vielen privaten Investitionsformen handelt es sich um Product Placement. Laut dem „Gabler Wirtschaftslexikon“ bezeichnet der Ausdruck im Generellen ein Instrument der Werbung, bei dem Waren von Marken bewusst als Ausstattungsgegenstände „in die Handlung eines Spielfilms“ integriert werden. In der Medienwirtschaft wird dies gegen Bezahlung eingesetzt, um den Verkauf zu steigern, so das „Gabler Wirtschaftslexikon“. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass neben den werbenden Unternehmen eben auch die Filmproduktionsfirmen davon profitieren. Laut Krausz könne dies ein bedeutsamer Aspekt der Finanzierung sein, der in Europa allerdings noch nicht so präsent sei. Private Investitionen im Allgemeinen werde in Europa nicht so sehr genutzt, allerdings sei unter anderem Frankreich hier ein Vorreiter. Eine weitere Alternative ist das „Film/ Fernseh-Abkommen“ des ORF. Laut „filminstitut.at“ wird durch diese Initiative die Herstellung von österreichischen Kinofilmen gefördert. Hierbei handelt es sich um eine „Mit-Finanzierung“, welche an einige Bedingungen, beispielsweise der Bestätigung zur Förderung durch das Österreichische Filminstitut geknüpft ist. Des Weiteren muss unter anderem das ORF-Gesetz eingehalten werden. (vgl. SUMO 36: Steckt der österreichische Film in der Krise?) Aber auch Crowdfunding ist eine Mög-

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Man Thema nehme einen Goldesel... oder etwa nicht? Europäische Filmfinanzierung


lichkeit, einen Film zu finanzieren. Krausz sagt diesbezüglich, dass dies beispielsweise abhängig von der Art, dem Umfang sowie der Zielsetzung des Filmes sei. Des Weiteren sagt sie, dass es vorwiegend als „Marketinginstrument gut funktioniert“ hätte. Laut Murschetz eigne sich dies vorwiegend „für sehr kleine und kleinere Produktionen“, dabei erfülle privates Crowdfunding ebenso eine Filmförderungsfunktion. Es sei zumindest eine gute Strategie, sie ergänzend zur staatlichen Filmförderung anzuwenden. Die Bedeutung der einzelnen Fördermaßnahmen Die bereits angesprochene Studie der Europäischen Audiovisuellen Informationsstelle (2018) zeigte auf, dass mit 29% die „direkte öffentliche“ Filmförderung in 2016 die bedeutendste Finanzierungsmöglichkeit war, dicht gefolgt von „Investitionen von Rundfunkveranstaltern“ (25 %). Darüber hinaus zählen zu den Top 5: investiertes Kapital durch ProduzentInnen, „steuerliche Anreize“ (sprich: indirekte Förderung) sowie sogenannte „Vorabverkäufe“. Murschetz konstatiert diesbezüglich, dass die direkten Förderinstitutionen auf Grund des geschichtlichen Hintergrunds sehr bedeutend seien, „vor allem in den korporatistisch geprägten Medienlandschaften Europas“. Als Beispiel führt er Frankreich, Schweden und Österreich an. Aber auch den indirekten Förderungen sei ein hoher Stellenwert zuzuschreiben und habe in „letzter Zeit“ in der Frage der Relevanz sowie „mittlerweile“ im Punkt des Umfan-

ges die direkten Fördermittel überholt. Insbesondere für größere, länderübergreifende Projekte sollte es verstärkt „internationale Kooperationen in Richtung Anreize und Förderinstrumente indirekter Natur“ geben, wie sie „Creative Europe – MEDIA“ betreibt. Des Weiteren sei es bei der Entscheidung, ob direkt oder indirekt, wichtig die beiden Möglichkeiten auf unterschiedlichen Ebenen zu vergleichen, sowie sich die Frage zu stellen: „Was sind die Stärken und Schwächen dieser jeweiligen Instrumente und Maßnahmen in Bezug auf den Filmerfolg insgesamt“, erläutert der Medienökonom. Laut Esther Krausz gebe es in Europa vor allem in den privaten Finanzierungsmodellen „Potential“, welches noch stärker genutzt werden sollte. Ebenso sei laut Krausz vor allem durch Krisensituationen unklar, wie sich die Finanzierungsmodelle entwickeln werden. Auch Murschetz betont, dass die aktuelle Krise möglicherweise „einen Zündeffekt hat sozusagen, die Filmfördersysteme insgesamt umzudenken.“ Die Entscheidung der Wahl der Förderinstrumente werde nicht mehr genug sein, sondern neue Überlegungen, beispielsweise „wie messe ich überhaupt den Erfolg von Filmförderung an sich“, würden notwendig werden. Der Erfolg an der Kinokasse allein wird längst nicht mehr genügen. von Simone Poik

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Kaufen oder nicht kaufen? - Testmagazine verraten es uns Sich zwischen 300 unterschiedlichen Optionen für das beste Produkt zu entscheiden, stellt für KäuferInnen oft eine Herausforderung dar. Testungen durch spezifische Magazine können hier Licht ins Dunkel bringen. Ob und warum diesen vertraut werden kann und welche Auswirkung ein Testergebnis auf das Kaufverhalten hat, ging SUMO im Interview mit Christian Kornherr, Bereichsleiter für Untersuchungen beim Testmagazin „KONSUMENT“, sowie dem deutschen Neuropsychologen Hans-Georg Häusel auf den Grund. Bei Kaufentscheidungen verlassen wir uns gerne auf eigene Erfahrungen oder Empfehlungen. Sind keine vorhanden, wird der Bewertung eines Testmagazins umso mehr Beachtung geschenkt. Mit Fakten, Zahlen und einer Gesamtnote im Schulnotensystem werden Produkte in Kategorien wie Sicherheit, Inhaltsstoffe oder Preis-Leistungs-Verhältnis getestet und verglichen. VerbraucherInnen erhalten dadurch einen neutralen Überblick, welche Dienstleistungen und Produkte angeboten werden. Dem Neuromarketing-Experten Häusel zufolge spielen Testmagazine auch aus psychologischer Sicht eine wichtige Rolle, „weil wir bei Kaufentscheidungen immer in Unsicherheit leben und Unsicherheit mag unser Gehirn nicht so gerne. Deswegen sind Testurteile von so großer Bedeutung für die Leute, weil sie damit Komplexität und Unsicherheit reduzieren können.“ Zusätzlich komme es beim Kauf eines „Testsiegers“ zu einer Belohnung: Das Gefühl das Beste gekauft zu haben wirke sich positiv auf unser Dominanzsystem aus, unser System für Macht und Selbstachtung.

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Was hinter Testmagazinen steckt Hinter „KONSUMENT“ steht der gemeinnützige Verein für Konsumenteninformation (VKI). Seit 60 Jahre veröffentlicht „KONSUMENT“ an die 1.000 Produkte jährlich. Im Interview erklärt Kornherr, dass der VKI keineswegs allein alle veröffentlichten Tests durchführe. Der Verein gehört zusammen mit ungefähr 40 weiteren Organisationen zu einer internationalen Testgemeinschaft namens International Consumer Research and Testing (ICRT). „Es hätte wenig Sinn, wenn wir Smartphones, Notebooks und alles was globale Produkte und Produktion betrifft, als Österreich einzeln testen“, meint Kornherr. Es sei weder finanziell erschwinglich noch zielführend, dass 40

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Organisationen dasselbe Produkt unter die Lupe nehmen. Die Zielgruppe von „KONSUMENT“ sind prinzipiell alle ÖstereicherInnen. Nach den Bedürfnissen dieser LeserInnen richtet sich auch die Auswahl der untersuchten Produkte. Unterschieden wird nach mehreren Kategorien wie Gebrauchsgüter (etwa Waschmaschinen), Mediengeräte wie Smartphones, Fernseher und Co., sowie auch Lebensmittel, wo zum einen Grundnahrungsmittel wie Milch und Brot und zum anderen aktuelle Trends wie vegane Burger untersucht werden. Außerdem getestet wird in den Bereichen Gesundheit, Beratung und Finanzdienstleistungen. Der Vorfall Ritter Sport Die wohlbekannte „Testsieger“-Auszeichnung der Stiftung Warentest führt nicht selten zu zweistelligen Zuwachsraten. Kommt es aber zu einem schlechten Qualitätsurteil, kann dies von Umsatzrückgängen über Imageschädigung bis hin zu einer Krise der Marke führen. Zu so einem Vorfall kam es 2014 zwischen der deutschen Stiftung Warentest und dem Schokoladen-Hersteller Ritter Sport. Die Sorte Vollmilch-Nuss wurde mit „mangelhaft“ bewertet, nachdem der chemisch erzeugte Aromastoff Piperonal darin gefunden wurde, welcher nicht auf der Verpackung angeschrieben war. Den folgenden Rechtsstreit verlor die Stiftung Warentest gegen Ritter Sport, laut „Horizont“ (25.9.2014). Daraus lässt sich schließen, dass auch seriöse Testmagazine nicht unfehlbar sind. Um unglückliche Vorfälle dieser Art zu vermeiden, kommt beim VKI ein Qualitätsmanagementsystem zum Einsatz. Kornherr, der Bereichsleiter für Untersuchungen, erklärt, dass jedes Produkt eine Nummer erhalte, die vom Einkauf bis zur Testveröffentlichung dieselbe

Kaufen oder nicht kaufen? Testmagazine Wenn private Daten in den-Medien landen verraten es uns Thema


bleibe. Damit könne jede Aktion – prüfen, lagern oder auch nur fotografieren – dokumentiert werden. Somit sei gut nachvollziehbar, wie es zu dem Urteil komme. Doch woran macht man ein „sehr gutes“ Produkt fest, und welches ist mit Sicherheit „nicht zufriedenstellend“? Bei den Testergebnissen handelt es sich immer um eine vergleichende Bewertung. Nachdem mehrere ähnliche Produkte einem Test unterzogen wurden, erhält man eine Range an Werten. Für die besseren Werte erfolgt häufig eine mathematische Aufteilung auf die Noten. Für eine außerordentlich schlechte Bewertung wie ein „Nicht zufriedenstellend“ muss es gravierende Fehler bei einem Testparameter geben. Entweder wird ein gesetzlicher Grenzwert missachtet, wie zum Beispiel der Schadstoffanteil bei Lebensmitteln, oder das Produkt ist gefährlich, der Klassiker hier: ein Kindersitz, bei dem der Gurt reißt. Kornherr betont bezüglich negativer Testurteile: „Da gehen wir sehr sensibel damit um und sagen, das ist wirklich nur wenn es Gesetze verletzt oder gefährlich ist“. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Testmagazine eine wichtige Rolle einnehmen, da sie die Wahrheit ans Licht bringen und helfen können, Vertuschungen oder gar Skandale aufzudecken. von Manuela Schiller

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Kaufen oder nicht kaufen? - Testmagazine verratenThema es uns

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GIS Pfui, Pay TV/Streaming Hui?! Pay TV und Streaming erfreuen sich immer größer werdender Beliebtheit, aber auch die Haushalte der GIS-Gebührenzahler ließen einen Anstieg vermerken – wenn gleich die Gebühr stets zur Debatte steht. SUMO sprach darüber mit Konrad Mitschka, Verantwortlicher des Public Value-Berichts des ORF, sowie Thomas Höffinger, Geschäftsführer der NOGIS Handels GmbH, und führte eine kleine Umfrage zum Medienbudget von RezipientInnen durch.

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Von 2001 bis Ende 2019 stieg die Anzahl der GebührenzahlerInnen der GIS von 2,66 Millionen auf 3,66 Millionen, 296.000 Haushalte sind (Stand: Dezember 2019) von den Gebühren befreit. Etwa zwei Drittel der Gebühren fließen als Programmentgelt an den ORF. Das Programmentgelt entspricht einer Höhe von 17,21 Euro im Monat plus 10% UST, welche in allen neun Bundesländern gleich ist. Sieben von den neun Bundesländern heben allerdings noch eine zusätzliche Landesabgabe ein, die überall einen unterschiedlichen Betrag ausweist. Die GebührenzahlerInnen erhalten dafür ein vielfältiges Angebot: die vier Fernsehkanäle ORF 1, ORF 2, ORF III, ORF SPORT+, drei österreichweite Radiosender: Ö3, Ö1, FM4; neun Landesstudios mit eigenen Beiträgen für TV, neun Regional-Radiosender aus den Bundesländern; Beteiligung an den Fernsehkanälen „3sat“ und ARTE; ORFTELETEXT , ORF.at, ORF-TVthek. Doch die GIS hebt nicht nur das Programmentgelt für den ORF ein, sondern auch die Radio- und Fernsehgebühren sowie den Kunstförderungsbeitrag, die direkt an den Bund fließen. Laut

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GIS PFUI, Streaming/Pay TV hui! Thema

Mitschka zahle man mit seinen Gebühren für die Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Auftrags. Dieser bringe einer Gesellschaft viel, so belegen das mehrere Studien, unter anderem stärke das die Demokratie. Er ist ebenfalls davon überzeugt, dass eine Gemeinschaft gut daran täte, öffentlich-rechtliche Medien zu stärken und zu schützen, weil sie zum Beispiel auch in Krisenzeiten stark nachgefragt seien und man nur nachhaltig vielfältigen Aufgaben und Programmaufträgen gerecht werden könne. Wer muss zahlen? Jeder Haushalt, in dem sich ein Rundfunkgerät befindet muss laut dem ORF-Gesetz eine Gebühr entrichten. Zu den Rundfunkgeräten zählen Fernsehgeräte, Kabel-TV und Satelliten-TV, außerdem Computer und Tablets mit DVB-T-Stick, TV-Karte oder Radio-Karte. Radiogeräte und sonstige Geräte mit UKW-Empfang sind ebenfalls gebührenpflichtig. Die Verbreitung über das Internet ist seit Juli 2015 laut Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs nicht als Rundfunk zu deklarieren. Laut


Mitschka brauchen wir ein Medium in unserer Gesellschaft, das so aufgestellt ist, dass es alle erreiche. Für ihn ist ebenso der Gedanke wichtig, dass alle MitgliederInnen dieser Gesellschaft dieses Medium finanzieren. Seiner Meinung nach müssten wir verhindern, dass manche Inhalte sozial exklusiv sind oder in Zukunft werden. „Ich möchte lieber in einem Land leben, in dem auch arme Leute Spitzensport rezipieren können und nicht davon abhängig sind, ob sie sich Pay-TV oder ein sonstiges Streamingangebot leisten können“, so Mitschka. Ein gemeinsam finanziertes Unternehmen, das alle erreiche, für alle relevant sei und über alle relevanten Medienkanäle ausspiele, indem alle ihren Beitrag leisten, den sie auch leisten können, sei das Ziel. Wenn jemand nicht über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügt, wird das bei den Rundfunkgebühren berücksichtigt, während bei Streaming-Angeboten die Preise für alle gleich sind, unabhängig von sozialer Bedürftigkeit. Konkret: Wenn jemand alleine lebt und weniger als 1083,-- € Haushalts-Nettoeinkommen hat, muss er bzw. sie laut GISWebsite kein ORF-Teilnahmeentgelt zahlen. Pay-TV vs. Streaming Oft verwenden wir die Worte „Pay-TV“ und „Streaming“ als Synonym. Fakt ist aber, dass Streaming eine Form von Pay-TV ist und Pay-TV etwas komplexer in seiner Systematisierung ist. Hierbei unterscheidet man zwischen drei Kategorien. Zum einen haben wir Entgeltfinanzierung von Programmanbietern ohne eigene Netzinfrastruktur, hierein fällt das klassische Pay-TV sowie der Anbieter Sky. Als nächstes gibt es Entgeltfinanzierung von Programmprovidern ohne eigene Netzinfrastruktur, sogenannte software-getriebene Video on Demand-Plattformen, wie „Netflix“ oder „Amazon Prime“. Und als letztes haben wir Entgeltfinanzierung von Programmprovidern mit eigener Netzinfrastruktur, die hardware-getrieben sind, Beispiele hierfür sind SimpliTV, A1-TV und Magenta. GIS umgehen? Eine Möglichkeit die GIS-Gebühren zu umgehen, ist unter anderem das Streamen auf Bildschirmen ohne Tuner und ohne Antennen. Das war unter anderem der Beweggrund für die Gründung der Firma NOGIS Handels GmbH, die genau solche Geräte herstellt. „Die Geräte kommen sehr gut bei den RezipientInnen an“, so Thomas Höffinger. „Und diese sind sehr durchgemischt.“ Unter anderem befänden sich unter den NutzerInnen der NOGIS-Geräte

GIS PFUI, Streaming/Pay TV Thema hui!

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laut Höffinger Menschen, die sich einfach die GIS sparen wollen, weil sie ihnen zu teuer sei, weil sie ORF einfach nicht nutzen oder sie aus Prinzip die GIS nicht bezahlen wollen. Die Zukunft liegt in jungen Händen Die Zahl der StreamerInnen stieg von 2016 bis 2020 laut der Bewegtbildstudie der RTR und Arbeitsgemeinschaft Teletest um rund 11%. Bei der Altersgruppe zwischen 14 und 29 Jahren betrug der Anstieg sogar plus 27,4%, wobei sich deren Nutzung von linearem Fernsehen sogar halbiert hat. SUMO führte hierzu eine kleine anonyme – nicht repräsentative – Umfrage zum Budget der MediennutzerInnen durch. Hierbei waren sich aber nur vier der zehn Befragten einig: GIS würde ich freiwillig nicht bezahlen. Die 21-jährige Angestellte Katharina R. nutzt „HDAustria“, „Netflix“ und ist ebenso im Besitz eines „Amazon Prime“-Accounts. Diese Plattformen böten ihr eine große Vielfalt an Filmen und Serien und enthielten keine Werbeunterbrechungen. Bei den Angeboten des ORFs hingegen finde sie kaum Inhalt, der ihren Vorlieben entspricht und deswegen auch nicht nutzt. Ihrer Meinung nach sei da für ihr Alter einfach nichts dabei und sie würde nicht freiwillig für die GIS-Gebühr aufkommen wollen. Von den insgesamt zehn Befragten in der Alterspanne von 20 bis 65 Jahren sind vier Personen bereit, zwischen 15 und 20 Euro an Medienbudget auszugeben und bei den restlichen sechs befragten liegt dieses zwischen 25 und 50 €. Mitschka ist aber davon überzeugt, dass vor allem die Jugendlichen sehr wohl wissen, was gut für sie sei, und meint, dass es von der Fragestellung abhänge. Wenn man Menschen frage, ob sie für etwas zahlen wollen, komme selten ein „Ja“ heraus. Jugendliche wollen zum Beispiel nicht für umweltgerechte Produkte, ein Bankkonto oder Spiele zahlen. Exemp-

larisch gegenteilig sei die Abstimmung zur Abschaffung der Rundfunkgebühren in der Schweiz verlaufen, bei der vor allem die jungen Menschen überproportional gegen eine Abschaffung waren. Er setzt Vertrauen in die Jugend, da sie wüsste, dass es gut sei, ein Medium zu haben, das unabhängig sei, vertrauenswürdige Nachrichten liefere und den öffentlich-rechtlichen Auftrag erfülle. Es wird sich erweisen, ob er damit recht hat. von Julia Gstettner

Konrad Mitschka / Copyright: ORF Hans Leitner

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Die GIS steht für Gebühren Info Service GmbH und ist das Bindeglied zwischen GebührenzahlerInnen auf der einen Seite und ORF, Bund und Ländern auf der anderen Seite. Die GIS ist für das Einheben und Weiterleiten von Gebühren sowie Abgaben zuständig, als auch mit der Abwicklung von Gebührenbefreiung.

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Impressum Fachliche Leitung: FH-Prof. Mag. Roland Steiner E-Mail: roland.steiner@fhstp.ac.at Telefon: +43/676/847 228 425 www.sumomag.at facebook.com/sumomag

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Das Team der Ausgabe 36 und des Online-Magazins www.sumomag.at Julia Allinger, Anja Stojanovic, Christiane Fürst, Michael Geltner, Julia Gstettner, Anna-Lena Horak, Raphaela Hotarek, Viktoria Strobl, Raphaela Kordovsky, Anna Kowatsch, Christian Krückel, Ndidi Maduba, Laura Sophie Maihoffer, Martin Möser, Lukas Pleyer, Simone Poik, David Pokes, Sophie Pratschner, Manuela Schiller, Lisa Schinagl, Matthias Schnabel, Annika Schuntermann, Alexander Schuster, Christopher Sochor, Ida Stabauer, Sebastian Suttner, Karin Pargfrieder, Kristina Petryshche BILDREDAKTION: Alexander Schuster (Ltd.), David Pokes (Ltd.), Sebastian Suttner (Ltd.), Raphaela Kordovsky, Annika Schuntermann, Matthias Schnabel DISTRIBUTION: Christiane Fürst (Ltd.), Anna Kowatsch, Lisa Schinagl, Kristina Petryshche PRINTPRODUKTION: Martin Möser (Ltd.), Ida Stabauer (Ltd), Christian Krückel, Christopher Sochor ONLINEPRODUKTION: Julia Allinger (Ltd.), Sophie Pratschner (Ltd.), Anna-Lena Horak, Laura Sophie Maihoffer SALES: Karin Pargfrieder (Ltd.) - Alle TEXTREDAKTION: Michael Geltner (Ltd.), Raphaela Hotarek (Ltd.) - Alle UNTERNEHMENSKOMMUNIKATION: Anja Stojanovic (Ltd.), Viktoria Strobl (Ltd.), Simone Poik, Ndidi Maduba, Julia Gstettner

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Eine gute Ausbildung ist eine, die mir zeigt, was noch getan werden muss. Wissen, was morgen zählt.

Christoph Rumpel Web-Entwickler & Autor (Selbstständig) Absolvent Medientechnik

Eva Milgotin Studentin Wirtschafts- und Finanzkommunikation

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