SUMO#32

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Fachmagazin des Bachelor Studiengangs Medienmanagement der FH St. PĂślten

Š Nicolas Hofbauer

Medien & Gender

Ausgabe 32 - Februar 2019 -


Jetzt informiere n!

St. Pölten University of Applied Sciences

fhstp.ac.a

© Martin Lifka Photography

t/bmm

Bachelorstudium Medienmanagement Das Studium für Radio | TV | Print | Online mit den Schwerpunkten: n n n

Content Management Marketing und Sales Strategisches Management medien & wirtschaft


Inhalt » Frauen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Europas. Zahlen, Daten, Fakten

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» „Ich will keine Quotenfrau sein!“

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» Sexismus - der blinde Fleck des Journalismus

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» Mühsam ernährt sich das Gendereinhörnchen, aber es ernährt sich!

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» Gender Diversity im Filmbusiness

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» This is a man‘s world? Über Frauen im Gaming

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» Aktivismus in Sozialen Medien: Ein Verhängnis für muslimische Frauen

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» „Sex sells“ - nicht immer!

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» Sexualisierung, des Sportes bester Freund

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» Drag Queens als Content Trend

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» Kinderfilme als Geburtsstätten von Stereotypen

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» Superheldinnen in Film und Comic als Ausnahme der Norm

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» Geschlechterbilder religiöser Printmedien

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» Sexualisierte Darstellung von Frauen in der bildenden Kunst

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» „Grindr“: Wenn die Dating-App zum Höchstverrat wird

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» Männer-Lifestyle-Magazine als Nischenprodukt

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» Feministische Medien. Der Kampf gegen den Malestream

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» „dieStandard.at“ und ihre männliche Community

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» Frauen lesen, Männer schreiben

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» Geschlechterhass im Netz

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» „Revenge Porn“ - Kontrollverlust der eigenen Identität im Netz

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Editorial

Eine spannende Lektüre wünschen

FH-Prof. Mag. Ewald Volk

Studiengangsleiter Bachelor Medienmanagement

© Copyright: pexels

Studierende unterschiedlicher Semester haben im Rahmen eines Praxislabors und eines Freifachs diese Ausgabe des österreichweit einzigen studentischen Medienfachmagazins erneut

Sie als MedienmanagerIn werden SUMO-MitarbeiterInnen auf der Karriereleiter kennenlernen – und den Gender-Gap schließen? Sie als SchülerIn mit Medienschwerpunkt werden diese Ausgabe studieren – und später bei uns mehr?

Copyright: Ulrike Wieser

Am 29.1.1919 titelte die „Kronen Zeitung“ mit „Gattin oder Pflegerin? Eine seltsame Eheschließung“. Ging es hierbei um das Gedenken an den Doppelsuizid von Österreichs Kronprinz Rudolf und Mary Vetsera 1889, insinuiert „krone.tv“ exakt 100 Jahre später: „Bekommt Meghan ein Mädchen?“ In Berichten über die Rolle der Frau in Adelskreisen hat sich auch in anderen Medien wenig verändert. Aber wie sieht es bezüglich Darstellung und Rolle von Gender als sozialem Geschlecht in der heutigen Medienbranche generell aus? SUMO stellt diese Frage in den Mittelpunkt einer Schwerpunktausgabe – der umfangreichsten in der zehnjährigen Geschichte. Unsere Redakteurinnen und Redakteure analysierten – gestützt auf Interviews mit ExpertInnen aus Medienpraxis und Medienwissenschaft sowie Studien – für Sie unter anderem folgende Sachverhalte: die horizontale und vertikale Segregation in Rundfunk- und Filmunternehmen, Sexismus in Medienbetrieben wie in der -berichterstattung, Gender Roles in der Gaming Industry, Geschlechterbilder in katholischen Printmedien, Wirkung von Drag Queen-Shows, geschlechtersensible Sprache, feministische Zeitschriften, Aktivismus im Internet.

nicht nur redaktionell erstellt. Sie haben auch Kompetenzen aus anderen Bereichen ihres Bachelorstudiums Medienmanagement verantwortet: Anzeigenverkauf, Vertriebslogistik und Release-Konzeption, Bildredaktion, Kommunikation, Produktion. Es ist ihre Visitenkarte, so auch jene unserer Ausbildung für Führungskräfte aller Mediengattungen und andere Zielgruppen.

Copyright: Claudia Mann

Liebe Leserin, lieber Leser!

FH-Prof. Mag. Roland Steiner Praxislaborleiter Print Chefredakteur SUMO

Inhalt und Editorial

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Frauen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Europas. Zahlen, Daten, Fakten

Das Thema der Frauenquote in unterschiedlichen Unternehmen ist schon seit einigen Jahren ein großer Diskussionspunkt. Auch Medienunternehmen müssen sich aufgrund verschiedener Vorschriften damit auseinandersetzen und eine gleichwertige Stellung für Männer und Frauen schaffen. Doch wie sieht das Ganze im öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Europa aus? SUMO sprach mit den Kommunikationswissenschaftlerinnen Susanne Kirchhoff der Universität Salzburg und Kathrin Friederike Müller der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Der ORF wird oft gelobt dafür, dass er viele Daten über die Gleichstellung von Männern und Frauen im Unternehmen veröffentlicht. Sein Gleichstellungsplan hat bereits mehrere Preise, unter anderem vom Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE), erhalten.

klar weiter behaupten. Österreich liegt mit Großbritannien gemeinsam auf dem siebten Platz, während Frankreich und Portugal im hinteren Mittelfeld liegen. Noch weiter abgeschlagen sind Deutschland, die Niederlande sowie Belgien und Slowenien.

Im Vorwort des letzten, 2016 erschienenen Gleichstellungsplans heißt es weiter, dass das Unternehmen bereits Fortschritte und eine Verbesserung der Frauenquote verzeichnen konnte. Mittlerweile liegt eine Frauenquote von 45% auch im ORF-Gesetz verankert.

Ebenfalls von EIGE erhoben wurden Italien, Spanien, Griechenland, Kroatien, Luxemburg, Malta und Polen, die jedoch 2018 keine Repräsentantinnen unter den Entscheidungsträgern in den zwei höchsten Ausschüssen hatten.

Aber wie steht das Vorbild im Vergleich zu anderen Ländern Europas da? Mit einer Frauenquote von 43,3% unternehmensweit liegt der ORF generell im Mittelfeld der in diesem Artikel behandelten Unternehmen. Angeführt wird das Ranking vom niederländischen „nederlandse publieke omroep“ (NPO), das in seinem Jahresabschluss 2017 von einer Frauenquote zwischen 49% und 51% landesweit spricht. Auch ARD (Deutschland), BBC (Großbritannien) und RTÉ (Irland) kommen mit über 48% einer eigentlichen Gleichstellung sehr nahe, während „Ceska Televize“ aus Tschechien mit einem Frauenanteil von 36% klar abgeschlagen das Schlusslicht darstellt. (vgl. Abb. 1). Managementfrauenquote Abbildung 2 illustriert die Anzahl an Frauen in den zwei höchsten Managementebenen in verschiedenen Ländern, gemäß der von EIGE 2018 veröffentlichten Werte. Die in der unteren Grafik dunkel eingezeichneten Länder wurden bereits in der obenstehenden Grafik behandelt und stellen somit den Schwerpunkt der Analyse dar. Irland liegt hier – teils deutlich hinter Lettland, Dänemark, Schweden und Rumänien – an der Spitze der bereits in Abbildung 1 illustrierten Länder und kann eine Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern im Unternehmen

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Neben den von EIGE beforschten Staaten veröffentlichte der norwegische öffentlich-rechtlich Rundfunk NRK im Jahr 2017 eine Frauenmanagementquote von 51,5%, womit sich das Unternehmen zwischen Rumänien und Irland einordnet. Dr. Kathrin Friederike Müller, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Münster, kann sich die klare Überrepräsentation von Frauen in den Führungspositionen des lettischen und dänischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks dadurch erklären, dass beide Länder BewerberInnen geschlechtergerecht auswählen. Ob es sich um einen Bewerber oder eine Bewerberin handle, dürfte demnach kaum eine Rolle gespielt haben. Ein größerer Fokus habe vermutlich auf der Qualifikation gelegen. Fakt ist, dass auch in Österreich Frauen in journalistischen Berufen tendenziell formal höher gebildet sind als ihre männlichen Kollegen. So besagte der vom Medienhaus Wien 2007 publizierte „Journalistenreport“, dass 41% aller Journalistinnen Akademikerinnen sind, während nur 29% der Männer im Journalismus ein abgeschlossenes Hochschulstudium besitzen. Gehaltsunterschiede Der reine Frauenanteil eines Unternehmens sagt letztendlich wenig über

Frauen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Europas. Zahlen, Daten, Fakten


Abbildung 1: Abbildung nach Jahresabschlüssen und Gleichstellungsplänen

die eigentliche Gleichberechtigung im Arbeitsalltag und über die Bezahlung der Frauen aus. Nur wenige Unternehmen veröffentlichen tatsächlich Werte über den Gender-Pay-Gap. Auch hier übernimmt der ORF eine beispielhaft positive Rolle, indem im aktuellen Gleichstellungsplan auch der „Unternehmens-Pay-Gap“ publik wird: Im ersten Halbjahr 2015 lag dieser bei 16,1%. Dass Frauen für dieselbe Arbeitszeit um soviel weniger Gehalt bekommen, erscheint schockierend. Verglichen mit dem landesweiten Pay-Gap von 20,1%, schneidet der ORF jedoch besser ab als das durchschnittliche Unternehmen in Österreich.

Hintergründe Das Thema Pay-Gap ist seit einiger Zeit ein sehr prominentes, auch die Gründe, wie dieser entstanden ist und sich so lange halten konnte wurden schon vielfach behandelt. Diese reichen vom langsamen Wachstum des Vertrauens

© Copyright: pixabay/jessica45

Noch positiver sieht das Ganze in Großbritannien und Portugal aus. Die BBC veröffentlichte einen unternehmensweiten Gehaltsunterschied von 9,3%, während das Land mit 21% Pay-Gap fünf Prozentpunkte über dem europäischen Durchschnitt liegt. RTP, der portugiesische öffentlich-rechtliche

Rundfunk, steht mit einem Pay-Gap von 9% um 8,5 Prozentpunkte besser da als der Landesschnitt. Auch wenn Belgien mit einem Schnitt von rund 38% Frauenanteil im Unternehmen im vorhergegangenen Ranking einen der hinteren Plätze einnimmt, sticht der französischsprachige öffentlich-rechtliche Rundfunk des Landes mit einem Unterschied in der Bezahlung von 2,4% stark positiv hervor. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Zahl, die das Unternehmen veröffentlicht hat, sondern um das Ergebnis einer Berechnung der Verfasserin dieses Artikels, die den Stundenlohn der beiden Geschlechter (Männer: 49,8€; Frauen: 48,6€) miteinander verglich.

Abbildung 2: Abbildung nach EIGE (2018): Gender Statistics Database, Public broadcaster: CEO, executives and non-executives (two highest decision-making bodies)

Frauen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Europas. Zahlen, Daten, Fakten

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fürchte fast, dass Freiwilligkeit einfach häufig nicht hilft,“ konstatiert Müller im SUMO-Interview.

Kathrin F. Müller Copyright: lfK

Susanne Kirchhoff Copyright: Universität Salzburg

in die Fähigkeiten von Frauen bis dazu, dass mehr Frauen als Männer sich intensiv um ihre Kinder kümmern und darum über ihre Elternzeit oder eine Teilzeitanstellung weniger Zeit in den Unternehmen verbringen.

chenschaftsberichte seien zwar nicht in allen europäischen Ländern gesetzlich vorgeschrieben, machen jedoch in jenen, die dazu verpflichtet sind, häufig einen Unterschied zu privatrechtlichen Unternehmen.

Doch warum stehen öffentlich-rechtliche Unternehmen hier besser da als das Durchschnittsunternehmen?

Gesetzlich herrschen in der EU also Unterschiede, was den öffentlich-rechtlichen Rundfunk angeht, denn eigentliche Gesetze zur Gleichstellung gibt es aus dem Europäischen Parlament keine. Die EU-Gesetze beschränken sich vielmehr auf die Sicherstellung der freien Meinungsäußerung und der kulturellen Vielfalt, während die Gleichstellung von Frauen betreffend viele Richtlinien, Maßnahmenkataloge, Förderungen und ähnliches erstellt wurden. Auch wenn diese Richtlinien eben das bleiben: Richtlinien und keine Gesetze, haben sie einen Einfluss auf die weitere Gleichstellung von Frauen. Sie bestärken Mentoring-Programme und eine Vernetzung unter Frauen, die einen großen Teil zu ihrem Selbstbewusstsein beitragen. Trotzdem sind sich Kirchhoff und Müller einig, dass Richtlinien nicht die beste Möglichkeit seien, Gleichstellung zu erreichen. „Das Problem bei Richtlinien ist immer, dass sie zu wenig Verbindlichkeit schaffen. Sie rufen natürlich ein Problem ins Bewusstsein der Menschen und benennen es, aber ich

Als eine der möglichen Erklärungen sieht Kathrin F. Müller die stärkere Regulierung der Unternehmen durch Aufsichts- und Rundfunkräte, die in ihren Entscheidungen auch plurale Anforderungen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen an eine best practice hinsichtlich der Entlohnung von Männern und Frauen berücksichtigen müssen. Auch Dr. Susanne Kirchhoff, Assistenzprofessorin für Kommunikationswissenschaft an der Universität Salzburg, sieht den Hintergrund dafür unter anderem bei den Vorschriften, dass öffentlich-rechtliche Unternehmen Daten und Zahlen veröffentlichen müssten. „Durch Rechenschaftsberichte, durch die Festschreibung von durchzuführenden Maßnahmen, haben die öffentlich-rechtlichen Unternehmen transparente Möglichkeiten, um Gleichstellung zu bewirken.“ Diese Re-

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Frauen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Europas. Zahlen, Daten,

Zukunftsaussichten Ass.-Prof. Kirchhoff blickt der Zukunft von Frauen in Medienunternehmen allgemein positiv entgegen: „Es gibt immer mehr Bewusstsein für die Thematik Gleichstellung, und es gibt, glaube ich, immer mehr Bewusstsein dafür, dass es ökonomisch, sowohl für die Unternehmen als auch gesamtgesellschaftlich, keinen Sinn macht, Frauen zu benachteiligen, sei es nun individuell, aber auch strukturell.“ Und so ist es nun auch kein Geheimnis, dass der Journalismus weiblicher wird: 2007 waren laut „Journalisten-Report“ 42% aller JournalistInnen in Österreich weiblich. Die Frage ist laut Kirchhoff nicht die, wie man Frauen dazu bringt, den Journalistinnen-Beruf einzuschlagen, sondern: „Wie schaffen wir es, dass die Strukturen so sind, dass Frauen im Journalismus Karriere machen?“ Denn obwohl immer mehr Frauen im Journalismus arbeiten, steigt die Zahl in Führungspositionen nicht proportional dazu an. Generell sehen aber auch beide Expertinnen eine positive Entwicklung in der Zukunft als sehr wahrscheinlich an, auch wenn es noch einige Jahre dauern werde bis zu einer absoluten Gleichstellung. Müller sieht als wichtigste Voraussetzung nicht primär die Einführung von Frauenquoten in Unternehmen, sondern die Veränderung der gesellschaftlichen Mentalität, stets Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu suchen, anstatt von einer geschlechtsunabhängigen Befähigung für Führungsaufgaben zu fragen. Und an dieser können alle mitwirken, indem im Alltag Geschlecht weniger Prägkraft zugeschrieben wird. von Johanna Schrey


,,Ich will keine Quotenfrau sein!“ Im SUMO-Interview bietet Christiana Jankovics, u.a. Trägerin des Frauenring-Preises, Einblicke in den Gleichstellungsplan des ORF. Zusätzlich spricht Birgit Moser-Kadlac über ihre langjährige Erfahrung als Leiterin der Personalabteilung bei ProSiebenSat.1 PULS 4. Unterschiedliche Zugänge zur Frage: Braucht es eine verpflichtende Frauenquote in Medienunternehmen?

Gleichstellungskommission, -beauftragte und -plan Christina Jankovics ist nicht nur Vorsitzende des Betriebsrats „Fernsehen Programm“. Sie ist auch eine von elf im Zentralbetriebsrat und hat zusätzlich noch einen Sitz im Stiftungsrat inne. Darüber hinaus spielt sie auch eine Schlüsselrolle in der Gleichstellungskommission des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Gleichstellungskommission – Was ist das? Was vermag sie? Was macht sie? Jankovics bietet darauf eine exakte Antwort: Im ORF gibt es zwei Gremien. Erstens die Gleichstellungskommission, die sich um die konzeptionelle Arbeit kümmert. Diese setzt sich aus jeweils fünf Führungskräften und fünf Mitgliedern des Betriebsrates zusammen. Zweitens gibt es die Arbeitsgemeinschaft der Gleich-

stellungsbeauftragten, die insgesamt sechs ständige Mitglieder zählt. Diese ist mit der entsprechenden Umsetzung des Gleichstellungsplans betraut, erläutert Jankovics. Sie kümmert sich um Auswahlverfahren, organisiert Förderungs- und Ausbildungsprogramme sowie Schulungen. Sechs Mal jährlich versammeln sich die beiden Gremien. Auch bei ProsiebenSat.1 PULS 4 dient eine Gleichstellungsbeauftragte als Anlaufstelle bei anfälligen Beschwerden. Sonst gebe es keine weiteren betrieblichen Einrichtungen, die sich mit Genderfragen auseinandersetzten. Das wäre laut der Leiterin für Personalwesen bisher auch noch nie notwendig gewesen. Ein Blick auf die Personalstatistik zeigt, dass auch ohne Quote 52% der rund 500 MitarbeiterInnen weiblich sind. Zusätzlich weist der Privatsender eine hohe Dichte an Frauen in der Geschäftsleitung auf: Die Senderchefin von Puls4, die Gründerin des ,,4GAMECHANGERS“-Festivals, die Chefin für den Informationsbereich sind neben der Personalchefin zu nennen. Im ORF ist ebenfalls ein positiver Trend absehbar. Der Frauenanteil steigt hier zwar langsamer, aber stetig an. Das Sparpaket des ORF sei Ursache dieser stockenden Entwicklung, verdeutlicht Jankovics. Strukturen würden zunehmend verflacht, Bereiche unterschiedlicher Medien wachsen zusammen. Das schmälere den Bedarf an Führungskräften enorm. Während auf mittlerer Führungsebene derzeit bereits 32% der Stellen auf eine Frau entfallen, wird in den Top-Führungspositionen nur jede © Copyright: unsplash/rawpixel

Der ORF ist per Gesetz dazu verpflichtet, schrittweise einen Frauenanteil von 45% auf allen Gehalts- und Funktionsebenen zu erreichen. Federführend in der Entwicklung des dazugehörigen Gleichstellungsplans war Christiana Jankovics. Sie kümmert sich auch heute noch um jegliche Maßnahmen, die zur Erreichung der fixierten Quote notwendig sind. Eine solche Pflichtquote gibt es in den meisten privaten Medienunternehmen nicht, gleichwenig beim größten österreichischen TV-Betrieb – ProsiebenSat.1 PULS 4. Das habe laut der Leiterin der Personalabteilung bisher auch noch nie zu Konflikten geführt. Birgit Moser-Kadlac weiß, wovon sie spricht, denn sie setzt sich seit Jahren mit den Wünschen und Bedürfnissen der MitarbeiterInnen auseinander.

,,Ich will keine Quotenfrau sein!“

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vierte Position von einer Frau besetzt. Doch auch hier sei ein Zuwachs von 7% in den letzten sieben bis zehn Jahren zu beobachten, zeigt sich die Betriebsrätin erfreut. Karenz und Teilzeitarbeit keine reine Frauensache mehr Auch in Hinblick auf die Verteilung von Voll- und Teilzeitbeschäftigungen habe sich in den vergangenen Jahren einiges getan. Förderprogramme jedoch hätten dazu relativ wenig beigetragen, merkt Jankovics an. Wiederum seien die Sparmaßnahmen Grund dafür, dass Verträge mit einem Zeitausmaß von 80% immer beliebter würden. Väter müssen gezielt dazu ermutigt werden, vermehrt in Karenz zu gehen, heißt es im Gleichstellungsplan. In der Umsetzung dieser Vorschrift gebe es laut der Betriebsrätin aber noch Mängel. Anstatt die Vorzeigeväter im Zuge der ,,Papa-Kampagne“ in höchsten Tönen zu loben, sollte es als selbstverständlich angesehen werden, dass sowohl Frauen als auch Männer ihren Anspruch auf Karenz oder Teilzeitbeschäftigung geltend machen. An dieser Stelle lasse sich auf die nordeuropäischen Länder verweisen. In Schweden etwa sei es schon seit Jahrzehnten so, dass beide Elternteile nur 70% arbeiten und sich somit die Kindererziehung aufteilen. Karenz ist auch ein Thema, das Moser-Kadlac sehr am Herzen liegt. Als Personalchefin und Mutter versucht sie Frauen, die aus der Karenzzeit zurückkehren schnellstmöglich wieder voll in den Job zu integrieren. Sie sieht darin eine wichtige Ressource: ,,In 20 Stunden schafft eine junge Mutter sehr viel. Weil sie es von zu Hause gewohnt ist. Weil sie organisiert ist. Weil sie engagiert ist. Weil sie zentriert auf das Arbeiten ist. Die Mütter nehmen das sehr gut auf und fühlen sich hier auch wertgeschätzt. Weil man sie nicht aufs Abstellgleis stellt, sondern aktiv miteinbindet.“ Sie selbst ist in der Elternteilzeit ohne Probleme in die Geschäftsleitung ernannt worden.

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Wenn Frauen von Frauen über Frauen lernen Seit 2007 gibt es im ORF ein Mentoring-Programm. Es gilt für alle Frauen,

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,,Ich will keine Quotenfrau sein!“

ob Nachwuchsjournalistin, Technikerin oder Mitarbeiterin der kaufmännischen Abteilung. Das Programm wurde innerhalb kürzester Zeit von 265 Frauen absolviert. Das Förderprogramm hilft aufstrebenden Frauen dabei, die ,,ungeschriebenen Gesetze“ des Unternehmens besser zu verstehen. Wie verkaufe ich meine Arbeit? Wie präsentiere ich mich, um als zukünftige Führungsperson in Frage zu kommen? Jankovics begründet das ausschließlich Frauen offen stehende Programm damit, dass das Erklimmen der Karriereleiter für sie ein meist steiniger Weg sei. ,,In Männern sieht man eher Führungspotential. Eine Frau muss sich erst einmal beweisen.“ Frauen fühlen sich dadurch häufig unter Druck gesetzt, glänzen zu müssen und sich keine Fehler zu erlauben. Um sich mit dem Thema Gender Bias (geschlechtsbezogene Verzerrung) auseinanderzusetzen, werden auch regelmäßige Seminare veranstaltet. Als Teil der Leadership-Lab ist das Besuchen eine Pflichtveranstaltung für zukünftige Führungskräfte im ORF. Genauso wie Führungskräfte Kenntnisse im Arbeitsrecht, der Bilanzierung oder der Kostenkalkulation nachweisen müssen, ist es Teil ihrer Ausbildung, ein Seminar über ,,Gendermainstreaming“ zu besuchen. ,,Das Interesse ist bei Frauen und bei Männern, die sich eh schon dafür interessieren meist größer. Gerade die, die es eigentlich am nötigsten hätten gehen am wenigsten hin.“ Das Besuchen eines oder zweier dieser Seminare reiche einfach nicht aus, um festgefahrene Denkweisen und Unternehmenskulturen zu kippen, bedauert die Genderbeauftragte. Im Gegensatz zum ORF gibt es bei ProsiebenSat.1 PULS 4 keine frauenspezifischen Schulungsangebote. Nach kurzem Überlegen nennt Moser-Kadlac eine Veranstaltung, die sich ,,Leading Ladies“ nennt. Dabei werden im Mutterkonzern in München vier Mal jährlich alle Frauen zum gemeinsamen Frühstücken und Erfahrungstausch eingeladen. Zusätzlich ist es auch im Tochterunternehmen möglich, die Kinderbetreuungsstelle des „Medien Quarter Marx“, dem Medienstandort in Wien in Anspruch zu nehmen. 2019 solle dann endlich auch ein einheitliches

Konzept zur Home-Office-Regelung stehen. All dies basiere auf freiwilliger Basis. Pflichtquote Ja oder Nein? Trotz weniger Schulungs- und Fördermöglichkeiten kategorisch für Frauen sieht Moser-Kadlac in Hinblick auf Maßnahmen zur Gleichberechtigung nur wenig Handlungsbedarf. Die Kultur eines Unternehmens sei typischerweise stark vom Management geprägt. Dabei sei es, betont die Personalchefin, der obersten Geschäftsführung immer wichtig gewesen, dass Chancengleichheit in allen Bereichen geboten werde. Es werde penibel darauf geachtet, dass man nur aufgrund der Leistung im Unternehmen aufsteigt. ,,MitarbeiterInnen bekommen bei uns eine Position, auch in gewissen Hierarchieebenen, weil sie eine gute Leistung bringen.“ Eine Quotenanforderung könnte ihrer Meinung nach sogar dazu führen, dass sich Frauen schwach oder unterlegen fühlten. Zumindest sei das der Fall, wenn man ihnen das Gefühl gebe, dass sie nur wegen einer Quote eingestellt würden, was bei ProSiebenSat.1 PULS 4 eben nicht zutrifft. Chancengleichheit werde im Unternehmen immer schon unausgesprochen gelebt und benötige daher keine strengen Vorgaben oder Vorschriften. Ganz anders wird das Thema von Jankovics betrachtet: Ein ,,Quoten vor Qualifikations“-Denken sei ein Märchen. Die Quotenregelung sorge nur dafür, dass bei gleich gut qualifizierten BewerberInnen nicht die ,,Münze“ entscheidet. Häufig stelle die fehlende Führungserfahrung ein Argument gegen die Einstellung einer jungen Frau dar. Damit dies nicht zum Stolperstein werde, benötige es Erfahrungen im Beruf. Daher sei es wichtig, dass nicht nur Männer mit der Leitung von Projektund Arbeitsgruppen betraut würden. Das rechtfertige auch die betriebliche Anordnung, für ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis im Managen von Projekten zu sorgen. Ihrer Meinung nach benötige es diese Pflichtquote, um in dieser Hinsicht etwas in Bewegung zu setzen. ,,Das hat überhaupt nichts mit Qualitätsverringerung zu tun – im Gegenteil“, stellt sie bestimmt fest.


Birgit Moser-Kadlac Copyright: ProSiebenSat1PULS4

Freiheiten neben strikten Normen Vom European Institute for Gender Equality (EIGE) wurde der ORF-Gleichstellungsplan als Best Practice befunden. Die Zentralbetriebsrätin erläutert, dass es in den meisten Medienbetrieben europäischer Länder, zumindest im öffentlich-rechtlichem Rundfunk, verpflichtende Schulungen, Frauenförderprogramme oder Gleichstellungsbeauftragte gebe. Jankovics würde es ebenfalls unterstützen, wenn auch mehr private Medienunternehmen in ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis investieren. Solche Projekte und Programme verursachen Kosten, aber auch Gewinne. Durch finanzielle Zuwendungen könnte man solche auch für kleine Medienbetriebe attraktiv machen. Um den Gleichstellungsprozess in die Gänge zu bringen, wurde 2007 eine Task Force gegründet. In der Gremienarbeit im Betriebsrat habe laut Christiana Jankovics die Dynamik gefehlt. ,,Wir wollen uns gar nicht bewerben, weil das eh schon immer ausgemacht ist“, lauteten Beschwerden. Auf dieses Alarmsignal musste entsprechend reagiert werden. Deshalb schlossen sich weibliche Führungskräfte und Mitglieder der Räte zusammen und gründeten dieses Lobbyingorgan. ,,Wir haben die Frauen über Plakate und Mails innerhalb des ORF über unser Vorgehen informiert und zu einem Treffen eingeladen. Spontan sind an diesem Nachmittag über 250 MitarbeiterInnen erschienen. Das hat uns in unserer Idee bestärkt. Wir haben die Frauen gefragt: Woran krankt es? Was wünschen wir uns?“ Die Task Force dient seither Frauen als Anlaufstelle. Zusätzlich könne dadurch Druck auf die Gremien ausgeübt werden. ,,Wenn dort nichts mehr weiter geht, kann ich außerhalb der Gremienstrukturen und ihrer strengen Vorschriften eine Initiative schaffen, die etwas fordert.“ Und umgekehrt könnten Maßnahmen wie das Mentoring-Programm der Privatinitiative über Gremien wie dem Betriebsrat verankert werden. Ein weiteres erfolgreiches Projekt der Task Force sei ,,Gender Budgeting“. Dabei gehe es primär darum, den Einsatz von Finanzmitteln zu analysieren und

festzustellen, ob der Einsatz von Geld neutral oder männer- und frauenspezifisch erfolge. Ziel sei es, den GenderPay-Gap im Rundfunkunternehmen zu senken, erläutert Jankovics. Das funktioniere ohne Zwänge und lasse viel Spielraum in der konkreten Umsetzung. ,,Um den Gender-Pay-Gap zu verringern, kann ich versuchen, Frauen gezielt durch Kurse und Schulungen in eine höhere Position zu befördern. Ich kann aber auch Männer auffordern, in Karenz zu gehen.“ Die eigene Einstellung ist das Problem ,,Es ist meines Erachtens keine Frage der Qualifikation, sondern der Netzwerke“, unterstreicht Jankovics. Sie führt eine EIGE-Studie zum Freizeitverhalten der Geschlechter an. Frauen widmen ihre arbeitsfreie Zeit neben der Hausarbeit und der Kinderbetreuung vor allem der Selbstoptimierung. Sie bilden sich weiter, gehen ins Fitnessstudio, etc. Männer hingegen beschäftigen sich auch nach Feierabend vorwiegend mit dem Besprechen ihrer Arbeitstätigkeit oder nützen diese Zeit intensiv zur Netzwerkpflege. Moser-Kadlac kennt aus zahlreichen ihrer Gespräche mit Mitarbeiterinnen vor allem das folgende Problem: Frauen trauen sich verglichen mit Männern weniger zu. Sie nehmen einen Job nur dann an, wenn sie sich zu 100% sicher sind, dass sie der Position fachlich und persönlich gewachsen sind. Männer zögern seltener und sind selbstbewusster. Es sei wichtig, dass man den Frauen auch zeigt, dass es andere bereits geschafft haben und was alles möglich sei, betont die Personalchefin. Neben dem Wunsch Frauen in höhere Positionen zu befördern, versuchen beide Unternehmen ein ausgewogeneres Verhältnis in den darunter angesiedelten Abteilungen zu erreichen. So trifft man im Bereich „Programm“, wie auch in der kaufmännischen Direktion, eher eine Frau als Ansprechperson an. Aber auch in diesen von Frauen dominierten Bereichen sitzen überwiegend wieder nur Männer im Chefsessel, bedauert Jankovics. In anderen Abteilungen setze der ORF gezielt Maßnahmen, um den geforderten Frauenanteil zu

„Ich will keine Quotenfrau sein!“

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steigern. Im Rahmen von ,,Frauen in die Technik“ wird nach Kamerafrauen, CutterInnen an Fachhochschulen und technischen Universitäten geworben. Häufig mangele es da nicht am Interesse. Dieselbe Erfahrung hat Moser-Kadlac in ihrem Unternehmen beobachtet. Auch hier sind vor allem die technischen Bereiche weiblich stark unterbesetzt. In der Sendeabwicklung gibt es nur eine einzige Frau. Das wundere sie jedoch wenig, denn harte Schicht- und Nachtarbeit seien nicht für Jedermann bzw. -frau das attraktivste Arbeitsumfeld. In anderen Bereichen, wie in der HR-Abteilung, wünscht sie sich sogar mehr männliche Bewerber. Es gebe also auch umgekehrt ein Problem. Jede Frau und jeder Mann setze andere Impulse und könne eine andere Dynamik einbringen.

Jankovics dagegen betont, dass eine Frau nicht eine gänzlich neue Führungskultur schaffen könne, als bereits im Unternehmen bestehend. Der entscheidende Vorteil liege in möglichen Veränderungen im redaktionellen Programm, wenn eine Frau die Anweisungen erteile. ,,Ich will keine Gesellschaft haben, wo die Runde der Chefredakteure mir die Welt erklärt. Es ist immer noch ein solcher Gender Bias in der Welt. Ich glaube, dass in Zukunft noch ein viel stärkerer Fokus darauf liegen wird, was wir berichten. Vom Programmauftrag her sind wir verpflichtet die Gesellschaft so abzubilden, wie sie ist. Und wenn ich da nur den männlichen Blick habe, dann werde ich auf Dauer am weiblichen Publikum vorbeiproduzieren.“

Vorteile einer Frau im Chefsessel Birgit Moser-Kadlac ist der Meinung, dass Chefinnen oft andere Führungsstile als männliche an den Tag legen. Frauen seien tendenziell emphatischer, was für eine Führungskraft essenziell ist, Männer bringen andere Aspekte ein. Es bedürfe einer perfekten Mischung.

Beide sind sich einig, dass es häufig am Mut scheitere. ,,Wir haben eine Dame in der Sportredaktion – und das tut dem Team gut, wenn es verschiedene Sichtweisen gibt, da kommt eine andere Dynamik rein“, meint Moser-Kadlac. Die redaktionelle Arbeit anbelangend sei das Geschlecht zweitrangig. So hält

im Ressort Politik eine Frau das Zepter in der Hand, während ein Mann für das weiblich ausgerichtete Format des Frühstücksfernsehens und des „Cafe Puls“-Magazins verantwortlich ist. ,,Ich könnte nicht sagen, wer für welchen Job hier besser geeignet ist. Das ist extrem persönlichkeits- und wissensgesteuert. Da geht es vielmehr um das Handwerk. Man kann ein Format für Frauen machen oder man kann es halt einfach nicht. Männer und Frauen können ähnlich für eine gewisse Sache brennen“, schließt Moder-Kadlac das SUMO-Interview ab.

Unabhängiger Journalismus betrachtet Fakten immer von mehreren Seiten. Und stellt die richtigen Fragen. Online, im Fernsehen und auf Papier.

,,Ich will keine Quotenfrau sein!“

von Kathrin Weinkogl


Sexismus – der blinde Fleck des Journalismus Es sind reduzierende Kommentare. Unangebrachte Blicke. Lästige Nachrichten. Sexismus ist im Journalismus allgegenwärtig – und dennoch totgeschwiegen. In SUMO geben drei Journalistinnen den Betroffenen eine Stimme und sprechen über den blinden Fleck des Journalismus.

Warum Journalistinnen nicht sprechen, weshalb Sexismus speziell im Journalismus ein Thema ist und wie lange es dauert, dass Sexismus vergessen wird.   Das männliche Gesamtsystem Journalismus ist in Österreich ein durchwegs männlich dominiertes Berufsfeld. Journalisten sind mengenmäßig in der Überzahl. Journalisten verdienen rund 500 Euro mehr als Journalistinnen. Männer besetzen die höchsten Positionen in Österreichs Medienunternehmen. Das geht aus dem 2007 vom Medienhaus Wien publizierten „Journalisten-Report“ hervor. Geht man in der Zeitleiste weiter zurück, klaffen Geschlechterverhältnis, Einkommen und die Frauenquote in Führungspositionen noch weiter auseinander. Dieses Ungleichgewicht bezeichnete Iris Radisch in der „ZEIT“ (Nr. 44, 2017) als „weitverzweigtes und historisch gewachsenes, männliches Gesamtsystem“. Man hätte gewusst, dass Rudolf Walter Leonhardt, 1973-1986 stellvertretender Chefredakteur der „ZEIT“, übergriffig und anzüglich gegenüber Journalistinnen gewesen sei. Gesagt hätte man nichts. Im Nachruf des 2003 Verstorbenen steht, „er liebte schöne Frauen und elegante Autos“. Das männliche Gesamtsystem gewann.

Shitty Media Men Es war im Oktober 2017, als ein Google Spreadsheet unter amerikanischen Journalistinnen die Runde machte. Im Zuge der #MeToo-Bewegung entstanden, listet das Dokument Journalisten, die durch sexistisches Verhalten auffielen. Journalistinnen ergänzten anonym Namen und leiteten sie an andere Journalistinnen weiter. Namen von 72 Journalisten, tätig bei „New York Times“, „Wall Street Journal“ oder „BuzzFeed“, stehen aktuell auf der Liste der „Shitty Media Men“. Ihnen werden unter anderem Vergewaltigung, sexuelle Übergriffe und sexuelle Belästigung vorgeworfen. Zeitgleich wurde in Österreich Reinhard Göweil aufgrund eines „anlassbedingten Vertrauensverlustes“ fristlos von seiner Position als Chefredakteur der „Wiener Zeitung“ abberufen. Zunächst wurden aufgrund des Regierungswechsels politische Hintergründe vermutet, schlussendlich wurde publik, dass Göweil eine freie Journalistin der „Wiener Zeitung“ belästigt haben soll. Es folgte ein Aufschrei über Sexismus in Österreichs Medienunternehmen, der aber schnell wieder verstummte. Auf die Weiblichkeit reduziert Melanie* ist Anfang 20, als sie ihr erstes Praktikum in einem Medienunternehmen absolviert. Beim Mittagessen in der Kantine wird sie vom Marketingleiter gebeten, abends in seinem Büro zu erscheinen. Trotz mulmigen Gefühls gibt sie dem Wunsch nach. Er bietet ihr einen Sessel und weißen Spritzer an. Fragt, wonach sie strebe. Was ihre Ziele seien. Was sie dafür tun würde, in diesem Unternehmen zu bleiben. Ob er bei

Sexismus – der blinde Fleck des Journalismus

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„Du bist die neue Videomaus bei uns, oder?“, waren die ersten Worte von ihm an sie. Die „Videomaus“ heißt Lisa* und ist eigentlich Videojournalistin. Wir kommen Anfang Oktober 2018 an einem Stehtisch auf einem Event ins Gespräch. „Sexismus im Journalismus“, sagte sie, „gibt es selbstverständlich, gesprochen wird darüber aber nicht“.

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der Erreichung ihrer Ziele helfen könne.   Es ist eine von vielen Situationen, in denen Melanie Sexismus am Arbeitsplatz erlebte. „Ich muss lange nachdenken, damit mir solche Momente wieder einfallen. In dem Moment, in dem ich mit Sexismus konfrontiert bin ärgere ich mich total darüber. Aber ständig mit mir herumtragen will ich das auch nicht“, sagt die Fernsehjournalistin. Sie vermutet, dass wenige Journalistinnen über ihre Erfahrungen mit Sexismus reden möchten, da es schlichtweg entwürdigend sei. „Man bemüht sich so sehr, man arbeitet wie verrückt, produziert dutzende Beträge… und dann gibt es Männer, die so mit dir reden“, erklärt sie. Meistens würde sie als Journalistin auf ihr Aussehen – ihre Weiblichkeit – reduziert werden. Ein ehemaliger Vorgesetzter von ihr hätte ihr vor kurzem gesagt, dass er und seine Freunde jetzt im Fitnessstudio gerne die von ihr moderierten Nachrichten ansehen. „Weil ich so geil, schön oder was auch immer bin. Als ob es keine Rolle spielen würde, was ich von mir gebe“, so Melanie. Die massive Reduktion aufs Aussehen hätte sie aber auch durch Kollegen erlebt. Statt einem männlichen Kollegen, der wie sie verkabelt war, wurde ihr vom Tonmann das Kabel abgenommen. Sie fragte, warum man ihr das Kabel abnehmen würde, wenn es doch bei ihrem Kollegen schneller ginge. „Mir ist schon klar, warum er lieber an dir herumfummelt“, antwortete der Kameramann und grinste.

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„Ich frage mich auch immer: Was erwartet man(n) sich von solchen Äußerungen? Dass ich mich bedanke? Dass ich ihn auf einen Kaffee einlade?“, so Melanie. Es könne nur ein „In-die-Schranken-Weisen“ sein; eine Demonstration von Macht.

Gefälle im Journalismus Von Machtdemonstration spricht auch Sandra Nigischer. Sie arbeitet als Chefin vom Dienst bei „Der Standard“ und als Obfrau von „Sorority“, einem feministischen, branchenübergreifenden Frauennetzwerk, das 2018 ein Handbuch gegen sexistische Stammtischweisheiten publizierte. Gerade in Branchen wie dem Journalismus, wo es Gefälle zwischen Anstellungsverhältnissen, Geschlechtern sowie Angebot und Nachfrage gibt, käme es öfter zu Machtdemonstration bzw. -missbrauch. „Es gibt wenige Jobs, viele die sie wollen und wenige, die sie zu vergeben haben“, so Nigischer. Durch die vorherrschenden prekären Arbeitsverhältnisse im Journalismus würde Machtmissbrauch eher auf nährenden Boden fallen. Parallelen gäbe es auch zur Schauspielbranche: „Es ist kein Zufall, dass #MeToo hier so aufgeschlagen ist. Auch dort entscheiden wenige über Karrieren von vielen.“ Sie selbst habe sexistisches Verhalten – oft getarnt als Altherrenschmähs – sowohl durch Vorgesetzte als auch Kollegen erfahren. Bei Gleichgestellten wäre man aber eher in der Lage, als Frau darauf zu reagieren. Außerdem betont sie: „Für Journalistinnen, die dem Wohlwollen anderer eher ausgeliefert sind – also als Freie oder Praktikantinnen – ist es schwieriger, in solchen Situationen zu kontern.“ Daher sieht Nigischer in Bezug auf Sexismus jene Personen in der Verantwortung, die nicht prekär arbeiten und Vorfälle beobachten. Es müsse nicht unbedingt der Gang zur/zum Vorgesetzen sein, oft könne es auch helfen, Betroffene anzusprechen und Hilfe anzubieten. Denn nichts sei für Betroffene schlimmer, als mit Sexismus alleine gelassen zu werden.

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Sexismus – der blinde Fleck des Journalismus


Sandra Nigischer Copyright: Pamela Rußmann

Ein Neubeginn Sexismus ist der blinde Fleck des Journalismus. Und vermutlich wird er es auch noch länger sein. Das zeigt auch die letzte Entwicklung im Fall der „Wiener Zeitung“: Reinhard Göweil ist mittlerweile Vorsitzender des Redaktionsbeirats von „Top Leader“. Das jährlich erscheinende „Premium Print-Produkt berichtet über Menschen, die es geschafft haben“ und „betreibt keinen Aufdeckerjournalismus“. Zwischen Göweils Entlassung und seiner Einberufung als Vorsitzender eines Redaktionsbeirats lagen genau 270 Tage. 270 Tage dauerte es, dass ein Mann, der durch Sexismus auffiel, erneut eine Führungsposition bekommt. Was es braucht, ist ein Umdenken. Es liegt an Führungskräften, eine Umgebung zu schaffen, in der Sexismus keinen Platz mehr findet. Es liegt an Tätern, Verantwortung für ihr Fehlverhalten zu tragen. Es liegt allen JournalistInnen, nicht wegzusehen. Damit Sexismus nicht länger der blinde Fleck einer Branche ist.

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Nicole Schöndorfer Copyright: privat

„Du gehörst mal wieder richtig durchgenommen“ Café Westend im 7. Wiener Gemeindebezirk. Nicole Schöndorfer erzählt bei einem Cappuccino darüber, wie sie Sexismus tagtäglich erlebt. Als freie Journalistin seien es weniger Kollegen oder Vorgesetzte, mit denen sie zu kämpfen habe, sondern LeserInnen. „Meist ist es sowas in die Richtung: ‚Schön ist sie eh, aber können tut sie nichts’“, so Schöndorfer. „Oder“, wirft sie ein, „sie sagen, ich gehöre mal wieder richtig durchgenommen.“ Dennoch kenne sie „genug derartige Geschichten“ aus Redaktionen, die „in Richtung der ,Wiener Zeitung‘ gehen“. Das Problem sei, dass Journalistinnen bei Veröffentlichung von Vorfällen „Victim Blaming“, also der Täter-Opfer-Umkehr, ausgesetzt seien. Außerdem würde frau in einem kleinen Medienland wie Österreich schnell einen gewissen Stempel bekommen. Ein Fehler sei es zudem, dass Frauen mit dem Gedanken sozialisiert werden, sexistische Äußerungen als Kompliment aufzufassen. „Uns wird ja vermittelt: Freu dich, wenn dein Chef dich attraktiv findet! Nutz es für dich“, so Schöndorfer. Nichtsdestotrotz sei es vorrangig das System, welches Sexismus im Journalismus begünstige: „Männer sind im Journalismus irrsinnig gut vernetzt. Sie haben viel mehr Unterstützung, als sie Frauen je haben werden.“

von Anna Putz *Name von der Redaktion geändert

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Mühsam ernährt sich das Gender-Eichhörnchen, aber es ernährt sich! Ein Verteidigungsminister schafft das Binnen-I beim Bundesheer ab, das es nie gegeben hat. Die Debatte um die „Töchter“ in der Bundeshymne ist auch nach Jahren nicht beendet, und in Deutschland werden heiße Diskussionen um „Kundinnen“ auf Sparkassen-Formularen geführt: Zeit für SUMO, sich dem Thema geschlechtergerechte Sprache und Journalismus zu widmen. sprachliche Veränderung immer ein Abbild der Gesellschaft und somit gesellschaftlicher Veränderung sind. Bevor manche unter Ihnen nun ob der vermeintlichen Inflation des Themas „Gendern“ schnell weiterblättern – nein, dieser Beitrag beinhaltet per se kein Plädoyer für Sternchen, Binnen-I, Unterstrich, Doppelnennung oder jegliche weitere Form der geschlechtergerechten Sprache. SUMO traf sich mit Maria Mesner, Leiterin des Referats Genderforschung und Studienprogrammleiterin für Gender Studies an der Universität Wien, und Jürgen Spitzmüller, Professor für Angewandte Sprachwissenschaft am Institut für Sprachwissenschaft der Universität Wien, um über Bedeutung, Akzeptanz und Entwicklung geschlechtergerechter Sprache zu diskutieren. Eine interessante Erkenntnis aus den Gesprächen gleich vorab: Die Diskussion ob Sternchen oder Unterstrich hält auf! Hallo, ich bin’s, die geschlechtergerechte Sprache! Um über die Akzeptanz und Bedeutung von „Gendern“ schreiben zu können, ist es zunächst wichtig zu verstehen, was geschlechtergerechte Sprache bedeutet. In der Fachliteratur wird „Gendering“ oder „Gendern“ als Erstellung eines Textes oder die Umformulierung

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Wien. Ein ungewöhnlich warmer November-Nachmittag. Diffuses hellgoldenes Sonnenlicht dringt an manchen Stellen durch eine immer dichter werdende Wolkendecke. Ein hoher Torbogen in einer dicken Backsteinmauer markiert den Eingang zu einem ungewöhnlichen Ort:dem St. Marxer Friedhof. Im Frühling blüht hier Flieder, im Moment dominieren erdige Farbtöne. Welke Blätter werden vom Wind über den gekiesten Weg getrieben. Folgt man diesem Weg, kommt man vorbei an mehr oder weniger zerfallenen Grabstätten aus grauem Sandstein. Ein bisschen morbider Charme, aber wo passt dasbesseralshier. Gleich auf der rechten Seite jetzt, ein wenig versteckt, der Grund für unseren gemeinsamen Ausflug: Ein junger Mann liegt hier begraben, 1762 verstorben. Der Schriftzug ist ein wenig verwittert, aber noch lesbar. „Von den Eltern“, ein Name und darunter „Studierender“. „Studierender“. Es ist nicht für möglichzuhalten. Dieses Unwort, das so vielen Menschen heute Kummer bereitet und für schlaflose Nächte sorgt, ist wohl scheinbar doch keine Erfindung des viel zitierten „Gender-Wahns“, sondern hat schon ein paar Jährchen mehr auf dem Buckel. Ein in Stein gemeißelter Beweis dafür, dass Worte und Sprache mit der Zeit kommen und gehen. Dass Sprache und

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eines Textes nach den Richtlinien geschlechtergerechten Formulierens verstanden. Um einen Sprachgebrauch herzustellen, der die Gleichstellung der Geschlechter zum Ausdruck bringt wird durch „Gendern“ das bestehende Sprachsystem in Orthografie, Vokabular oder auch Grammatik angepasst. Generell kann zwischen Sichtbarmachung (Aufführung aller Geschlechter) und Neutralisierung (Vermeidung jeglichen Geschlechtsbezugs) differenziert werden. Professor Spitzmüller beschäftigt sich unter anderem mit Sprache als System, Sprachgeschichte bzw. -wandel und damit, welche Rolle Sprache in einer und für eine Gesellschaft hat. Sprachgebrauch habe Konsequenzen, weil Sprache bewertet und Einschätzungen trifft, denn die Art und Weise wie wir Dinge bezeichnen sei nicht zufällig. Betreffend „Gendern“ gebe es jedoch auch innerhalb der Sprachwissenschaften sehr viele unterschiedliche Meinungen, so Spitzmüller. Eine sei die konservativ klassische Variante der Trennung des Geschlechts, da die generische Genus-Zuordnung an sich nichts mit Sprache zu tun habe. Auch Beid-Nennungen oder eine Abwechslung der Formen würden in den Sprachwissenschaften vertreten. Und schließlich gebe es da noch die orthografischen und grafischen Varianten des Binnen-I, Sternchens oder Unterstrichs. Spitzmüller selbst verwendet das Sternchen. Universitätsdozentin Maria Mesner verfasste bereits als Studentin vor 40 Jahren eine wissenschaftliche Arbeit zum Thema „Genus und Sexus“. Seitdem sei eine Vielzahl verschiedener Formen an ihr vorbei gegangen, auch werde es noch viele neue Formen geben. Doch im Grunde ist laut Mesner das Entscheidende, durch geschlechtergerechte Sprache all jene zu repräsentieren, die tatsächlich gemeint sind. Das bedeute jedoch nicht in jedem Zusammenhang alle einzuschließen, sondern eine Sensibilität und ein Gefühl für Sprache herzustellen – es mache keinen Sinn, Personen zu inkludieren, die schlichtweg nicht erfasst sein sollen. Die Form um genau das zu erreichen sei zweitrangig, für Mesner geht es um „realitätsgerechte“ Sprache. It wasn’t acceptable in the 80s, but is it acceptable at the time? Schauplatzwechsel. Vom St. Marxer Friedhof in Wien zum Uni-Teich der Johannes Kepler Universität Linz. Es regnet leicht. Am Betonrand des Teiches drängen sich die Uni-Enten. Es ist Vormittag. Aus dem schwimmenden Lokal „Teichwerk“ weht einem der Duft selbst gemachter Waffeln entgegen. Aus dem Hauptgebäude strömen Studierende.

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Jürgen Spitzmüller Copyright: Barbara Mair

Maria Mesner Copyright: Katharina Arbeithuber

eine Pflichtlehrveranstaltung. Eine Tatsache, die bei zwei Studentinnen zu einer heftigen Diskussion geführt hat: „Gendern ist nur nervig.“ „Es hat einfach null Sinn und bringt überhaupt nichts.“ Ein paar Gesprächsfetzen, die in Erinnerung geblieben sind. Die Meinung der Studentinnen entspricht dem Tenor, der oft auch in der öffentlichen Wahrnehmung geschlechtergerechter Sprache herrscht. Ein weiteres Argument, das in dieser Debatte vielfach zum Tragen kommt: „Gibt es denn keine größeren Probleme?“ Warum nun scheint „Gendern“ ein so zentrales Anliegen von BefürworterInnen zu sein, das dabei so heftige Reaktionen auf der Gegenseite auslöst? Und wie ist es um die Akzeptanz der geschlechtergerechten Sprache bestellt? Univ.-Doz. Mesner geht davon aus, dass die Frage der Identitäts- und Reputationspolitik durch „Gendern“ deswegen so relevant sei, weil es zu kompliziert sei, andere Dinge zu ändern. Das Ohnmachtsgefühl entscheidende Fragen der Gleichstellung nicht lösen zu können, so die Wissenschafterin, könne zu dieser Fokussierung auf Repräsentationsfragen geführt haben und bilde eine politische Hilflosigkeit ab. Das Argument „Gibt es nichts wichtigeres?“ hält sie jedoch für eine nicht sehr erfinderische Strategie, um dem Gegenüber die Berechtigung abzusprechen. Die in der öffentlichen Wahrnehmung suggerierte geringe Akzeptanz von geschlechtergerechter Sprache führt Mesner auf ein Konglomerat von Polarisierung in der Gesellschaft, Veränderungsbedrohung und Verweigerung zurück. Die Verwendung geschlechtergerechter Sprache sei zu einem Symbol für Veränderung in einer Gesellschaft geworden, und Veränderung löse bei einem Teil der Menschen immer Angst und Aggression aus. Dabei konnte die Bedeutung und Auswirkung geschlechtergerechter Sprache bereits mehrfach in empirischen Studien nachgewiesen werden. Psycho-

linguistische Experimente, für Jürgen Spitzmüller stärkstes Argument um die Akzeptanz geschlechtergerechte Sprache zu erhöhen, konnten nachweisen, dass bei einer Verwendung von rein männlichen Formen eben nicht beide Geschlechter automatisch mitgedacht werden. So kam Elke Heise (Universität Göttingen) in einer anno 2000 durchgeführten Studie zu dem Ergebnis, wonach eine Gleichverteilung männlicher und weiblicher Repräsentationen ausschließlich bei der Verwendung der Schrägstrich-Schreibweise auftritt, wohingegen das generische Maskulinum zu einem höheren Anteil repräsentierter Männer, die Binnen-I-Form zu einem höheren Anteil repräsentierter Frauen führt. In einer 2015 veröffentlichten Studie konnten Dries Vervecken und Bettina Hannover (Freie Universität Berlin) nachweisen, dass sich bei einer Verwendung der weiblichen Bezeichnungen für typische Männerberufe mehr Mädchen vorstellen können diesen Beruf zu ergreifen. Umgekehrt ist das auch der Fall für Burschen bei einer Verwendung der männlichen Form für typische Frauenberufe. Die Studien zeigen somit, dass Sprache eine hohe Bedeutung hat und wir nicht neutral denken. Und hier kommt der Journalismus ins Spiel. Nun doch ein kleiner Appell Sprache ist das Werkzeug des Journalismus schlechthin. Wenn es also darum geht, ein Bewusstsein und Gewohnheit herzustellen, können Medien einen entscheidenden Beitrag zur Akzeptanz von geschlechtergerechter – oder wie Mesner es ausdrückt – „realitätsgerechter“ Srpache leisten. Die Regeln von Sprache sind Konvention. Per Definition kann Sprache also nicht falsch oder richtig sein. Die Konventionen ändern sich dann, wenn es genug Teilnehmende einer Sprachgemeinschaft gibt, die Veränderung dadurch weniger auffällig, irgendwann üblich und somit nicht

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mehr als störend empfunden wird. Die gesellschaftlichen Funktionen die Medien und Journalismus erfüllen, sollten daher auch der geschlechtergerechten Sprache zu Gute kommen. Denn Journalismus definiert, was wir jeden Tag lesen, hören und wahrnehmen. Trotzdem wird weder in österreichischen noch deutschen Medien durchgängig „gegendert“. Argumentiert wird das oftmals mit der Ästhetik der Sprache. Diese wurde auch in der Entscheidung des deutschen Rechtschreibrates angeführt. Im letzten Sommer entschied sich der deutsche Rechtschreibrat gegen die Aufnahme des Sternchens und des Binnen-I in den Duden. Der Rat sah „die Schreibentwicklung als nicht so weitgediehen an, dass das Regelwerk der amtlichen deutschen Rechtschreibung geändert werden sollte.“ Maria Mesner kommentiert diese Entscheidungsbegründung mit einem Lachen: „Ja, die Sprache wird verschandelt und das Abendland geht unter.“ Für Jürgen Spitzmüller ist es der Rechtschreibrat, der vielleicht noch nicht bereit ist. Auch er kann dem Argument der fehlenden Ästhetik geschlechtergerechter Sprache nichts abgewinnen. Denn Ästhetik sei Geschmack und Bewertung. Durch Sozialisierung empfinden wir gewisse Sprachformen für richtig und angemessen und damit schön. Ästhetische Sprache existiere daher nur als gesellschaftliches Konstrukt. Spitzmüller zieht hier einen Vergleich zur Kunst. Gerade weil es stört und eine Irritation ist, werden manche Dinge von uns in der Kunst als schön wahrgenommen. Warum sollte also nicht auch der irritierende Unterstrich oder das Sternchen schön sein? Es gibt natürlich auch positive Entwicklungen betreffend geschlechtergerechte Sprache und Journalismus. War es vor wenigen Jahren noch undenkbar, ist heute beispielsweise im Radio die Ansprache des Publikums über beide Geschlechtergang und gäbe. Das deutsche Onlinemagazin „ze.tt.de“, ein Angebot von „Zeit-Online“, gendert als erstes kommerzielles Online-Magazin durchgängig nach einem eigens entwickelten Styleguide. „Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, aber es ernährt sich“, so Mesner. Also liebe Journalistinnen, Journalisten und Medienschaffende: Ja, es gibt keinen einfachen einzig richtigen Fahrplan für das „Gendern“. Ja, „Gendern“ kann mitunter mühsam sein und Widerstände hervorrufen. Aber: „Gendern“ heißt sich zu einer gesellschaftlichen Veränderung zu bekennen und damit auch zu dieser Veränderung beizutragen. Und ist es nicht genau das, was Journalismus sich zum Ziel setzt? von Katharina Arbeithuber


Gender Diversity im Filmbusiness SUMO sprach mit Lena Lisa Vogelmann, die mit Eva Flicker Autorin des „Film Gender Report“ ist, und Iris Zappe-Heller, stv. Direktorin des österreichischen Filminstituts, über die Geschlechterverhältnisse in der Branche.

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen Ähnlichkeiten mit der Studie „Film und Gender“ der deutschen Filmförderungsanstalt 2017. Bereiche wie Casting oder Kostümbild sind hauptsächlich von Frauen besetzt, während bei den Produktionsstellen Licht und Ton der Großteil der Arbeitsplätze den Männern vorbehalten sind. Auch in den Bereichen Regie und Produktion dominiert das männliche Geschlecht. „Meine Erfahrungen zeigen, dass in der Regie notwendige Eigenschaften wie Dominanz oder Führungsqualität eher Männern zugeschrieben werden“, sagt Lena Lisa Vogelmann, eine der beiden Autorinnen des „Film Gender Report“. Der Bereich Casting wird von ihr als ein sozialer Beruf beschrieben, bei dem man viel mit Menschen in Kontakt komme und sehr kommunikativ sein müsse. Solche Eigenschaften würden andersrum mehr den Frauen zugeordnet. Für Iris Zappe-Heller ist die Vorstellung von typisch weiblichen und typisch männlichen Berufen schon in der Kindheit verankert: „Diese Verteilung beginnt schon in der Kindheit, wo Mädchen beigebracht wird, mit Puppen zu spielen und Buben mit Autos.“ Einen zweiten Grund

für diese geschlechterungleiche Verteilung bei den Arbeitsplätzen sieht sie aber auch darin, dass „typisch männliche“ Berufe hochwertiger bezahlt sind und es für eine Frau schwer ist, darin Fuß zu fassen. Ist die Regie weiblich besetzt, so steige der Anteil der Frauen in den Stabstellen – zurückzuführen sei dies auf den Netzwerk-Effekt. „Das Filmschaffen ist viel von Netzwerken geprägt, die männlich dominiert sind“, meint Vogelmann, „gerade die österreichische Filmbranche ist nicht groß, da ist es schwierig, als Frau Fuß zu fassen.“ Besonders Männer in Entscheidungspositionen neigen dazu, mit ihresgleichen zusammenzuarbeiten, während Frauen dies geschlechterparitätisch handhaben. Auch bei den Löhnen fänden sich Differenzen. In Positionen, die nicht nach Kollektivvertrag bezahlt werden wachse die Kluft. „Die Bereiche Regie und Produktion sind oft dem Filmbudget entsprechend bezahlt. Wenn Produktionen, bei denen vorwiegend Männer beteiligt sind mehr Budget erlangen, dann ist auch deren Gehalt höher, das ist Fakt“, resümiert Vogelmann. Schweden als Vorbild Ein international bewährtes Messinstrument, um die Präsenz von Frauen in Filmen zu beschreiben ist der „Bechdel-Wallace-Test“. Um die Geschlechterkonstellation darstellen zu können, müssen drei Kriterien erfüllt sein: Es müssen mindestens zwei Frauen vorkommen, sie müssen miteinan-

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Ein Novum: Durch den „Film Gender Report“ wurde zum ersten Mal die österreichische Filmlandschaft umfassend auf Geschlechterunterschiede hin analysiert. Dabei standen unter anderem Arbeitsplätze und Bezahlung von 2.590 Personen bei eingereichten Kinofilmprojekten im Zeitraum 2012 bis 2016 im Fokus.

Gender Diversity im Filmbusiness

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der sprechen und das Thema darf sich nicht um Männer handeln. Bei einer weiteren Methode, dem „Mako-Mori-Test“, wird nicht die Präsenz der Frau beschrieben, sondern ihre Darstellung und ihr Handeln. In der Filmhandlung muss es zumindest eine Frau geben, die einerseits ihren eigenen Handlungsstrang hat und andererseits dabei nicht die Handlung des Mannes unterstützt. Durch die Verleihung von Preisen, wenn ein Film den „Bechdel-Wallace-Test“ besteht, wird Schweden zum Paradebeispiel. Seit 20 Jahren engagiert sich das Land für die Gleichstellung im Filmgeschäft und mit solchen Initiativen wirkt es Schieflagen im Filmschaffen entgegen. Obwohl Österreich sich erst seit 2013 aktiv mit Genderangelegenheiten in der Filmbranche beschäftigt, wird es auf europäischer Ebene nach Schweden als zweiterfolgreichstes Land aufgrund seiner Maßnahmen gesehen. „Ich arbeite auf europäischer Ebene mit anderen Länder bezüglich dieser Angelegenheit zusammen und obwohl Schweden als klares Vorbild für uns gilt, hat Österreich seine eigene Position behauptet“, erläutert Zappe-Heller, Zuständige für Gender- und Diversity-Angelegenheiten im Filminstitut. Was die Diversität Österreichs betrifft, so hätte man noch Handlungsspielraum: „Bei diesem Punkt stehen wir noch am Anfang. Ein Vorbild hier wäre Großbritannien, aber auch Länder wie Kanada setzen sich hierbei aktiv ein.“ Gender Incentive als ausgleichende Kraft Ein Werkzeug um Geschlechterungleichheiten zu minimieren, steht mit dem Gender Incentive Modell des öster-

Lena Lisa Vogelmann und Eva Flicker (von links) Copyright: Eva Flicker

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Thema Diversity im Filmbusiness Gender

reichischen Filminstituts zur Verfügung. Werden bei einem Filmprojekt gewisse Stabstellen (Produktion, Regie und weitere) weiblich besetzt, so erhält die Produktionsfirma zusätzliche Fördermittel in Höhe von 30.000 Euro für ein darauffolgendes Projekt. Dieses muss wiederum zu einem gewissen Anteil weiblich besetzt sein. Im März 2017 ist dieses Modell in Kraft getreten und man könne auch schon Erfolge verzeichnen: „Der Beobachtungszeitraum beträgt zwar nur knapp zwei Jahre, jedoch kann man jetzt schon sagen, dass die Tendenz klar steigend ist.“ Haben im Jahr 2017 vier Projekte die Zusage des Gender Incentive Modells bekommen, so waren es im Jahr 2018 bereits elf. „Produzenten, die nie an genderparitätische Besetzung der Stabsstellen gedacht haben, sind plötzlich für diese Positionen auf der Suche nach Frauen“, resümiert die stellvertretende Direktorin des österreichischen Filminstituts. Jedoch hat das Institut auch andere Maßnahmen in die Wege geleitet, um die Geschlechtervielfalt in der Filmbranche zu steigern. „Ein weiteres Projekt ist der Drehbuchwettbewerb, der zum Ziel hat, Frauenfiguren jenseits von Klischees und Stereotypen auf die Leinwand zu bringen“, meint Zappe-Heller. Zeit für Veränderung Geht es um die Zukunft, ist sich Vogelmann sicher, dass es eine neue Denkweise braucht. „Es wäre wichtig nicht nur zu fragen ‚was können wir tun, um Frauen zu stärken’, sondern wir sollten erfolgreichen Männern klarmachen, dass sie auch mit Frauen arbeiten können.“ Dies soll das Gender Incentive Modell bewirken. „Es bedarf einer Änderung in unserer Gesellschaft – nicht nur

in der Filmbranche. Film ist ein Medium, das gesellschaftliche Veränderungen widerspiegelt und kann sie, je nachdem wie es eingesetzt wird, behindern oder beschleunigen“, so Zappe-Heller. Es geht nicht darum, in Zukunft nur mehr Filme von Regisseurinnen auf den Leinwänden zu sehen, sondern unsere Gesellschaft in all ihrer Diversität. von Stefanie Brandstetter

Iris Zappe-Heller Copyright: Michael Sazel


This is a man‘s world? Über Frauen im Gaming Hand aufs Herz: Wenn Sie die Begriffe Digital Games, Online-Shooter oder Core-Gaming lesen, ist die Person, die Sie sich dabei vorstellen männlich oder weiblich? SUMO sprach mit Medienwissenschaftlerin und Games-Expertin Sabine Hahn und Julia Krutzler, die sich im Zuge ihrer Magisterarbeit intensiv mit Gaming beschäftigt hat, um herauszufinden, warum an Digital Games immer noch der Ruf als „Boys Toys“ haftet. lichen Verbot an meine Schwester und mich, das Internet zu verwenden – das hätte sich nämlich negativ auf die Qualität der Online-Spiele ausgewirkt. Während draußen die Sonne schien, heizte sich auch das Zimmer meines Bruders auf, allerdings durch die Wärme, die von den Rechnern ausgestrahlt wurde. Dass sie im gleichen Raum saßen, blendeten sie während des Spielens vermutlich aus, aber dennoch ist die Gaming Community eine, die zusammenhält und gerne gemeinsam aufeinander und auf ihr Umfeld vergisst. Ich wage jedenfalls zu behaupten, dass sie alle an jenem Tag jegliches Zeit - und Raumgefühl verloren, denn als meine Mutter sie Stunden später zum Abendessen rief, wirkte es, als müssten sie erneut in unserem Haus ankommen.

Bevor sie mit dem Spielen loslegen konnten, gingen sie mehrere Male zum Auto und zurück ins Haus, denn sie hatten nicht nur jeweils einen Laptop, sondern auch ihre PC’s – inklusive spezieller Gamingtastatur, Gamingmaus und Headset – mitgenommen. Die erste Stunde danach waren sie damit beschäftigt, die PC’s, die sie zu Hause sorgfältig zerlegt hatten, im Zimmer meines Bruders wiederaufzubauen (mehrere Stromverteiler wurden in der Vorbereitung schon zur Verfügung gestellt). Dann wurde die Tür meines Bruders geschlossen, mit dem ausdrück-

Vom Flow motiviert Genau dieser Zustand ist eines der Motive, die hinter Digital Gaming stehen, nämlich eines der wenigen Motive, die Frauen genauso wie Männer nennen. „Immersion, dass man in das Spiel und in einen Flow abtaucht“, erklärt Julia Krutzler im Interview. Der Flow, den sie dabei anspricht, ist ein Begriff, der so auch in der Wissenschaft genannt wird. Er meint „das Aufgehen im eigenen Tun, wenn man Raum und Zeit, die vergeht, nicht wahrnimmt.“ Das ermöglicht es den Spielern und Spielerinnen, ihrem eigenen Leben zu entkommen und zu-

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Ich möchte Sie an einer Erinnerung an ein Erlebnis vor einigen Jahren teilhaben lassen, das ich seitdem nicht mehr vergessen habe. Es war an einem Tag im Frühling, als mein Bruder einige wenige seiner Klassenkollegen erwartete, da er sie zu einer „Lan-Party“ eingeladen hatte. Schon in der Früh half ihm unser Vater, einen weiteren Schreibtisch sowie mehrere Stühle in sein Zimmer zu tragen. Am späten Vormittag klingelte es dann mehrmals an der Tür, bis alle der jungen Spieler angekommen waren. Alle vier bestätigten ein Vorurteil, welches der eine oder andere gegenüber sogenannten Gamern hütet: schmächtig, schüchtern im Auftreten, doch untereinander sehr sicher im Umgang, zwei von ihnen Brillenträger und alle männlich – das wohl stärkste Vorurteil.

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mindest für einige Stunden in eine andere Welt abzutauchen. Auch das Genderswapping erlaubt es, der eigenen Lebenssituation für die Dauer des Spielens zu entfliehen. Genderswapping ist die bewusste Wahl des gegensätzlichen Geschlechts im Spiel – ein Motiv, das von Spielenden beider Geschlechter genannt wird. Es gestatte, die eigene Geschlechterrolle abzulegen und außerhalb von gesellschaftlichen Zwängen mit der eigenen Identität zu spielen, was man in der realen Welt nur schwierig ausprobieren könne, so Krutzler. „Es wird – vor allem in Rollenspielen – gerne praktiziert, dass Männer bewusst Frauen spielen, um zu sehen ‚Ok, wie reagieren andere auf mich als Frau‘ und auch umgekehrt.“

Diese Motive wirken sich auch darauf aus, was gespielt wird und teilweise auch darauf, wie gespielt wird. „Frauen spielen eher kooperativ, Männer eher kompetitiv“, stellt Hahn fest und beruft sich dabei auch auf die Literatur. Sie selbst promovierte zum Thema „Gender und Gaming“.

Agree to Disagree – was als richtiges Gaming zählt Die Unterteilung in Casual und Core Games ist Teil einer Diskussion, die häufig geführt wird, sei es unter ExpertInnen oder unter den SpielerInnenselbst. Die Frage, die der Diskussion zu Grunde liegt ist jene nach der Notwendigkeit einer Unterteilung des Gaming-Begriffs – quasi die Frage danach, was zu ‚richtigem Gaming‘ zählt. „Gamen hat sich sehr verändert und es gibt jetzt nicht mehr nur eine Art an Gaming, sondern es hat sich eine sehr große Bandbreite entwickelt; das Medium hat sich stark differenziert“, so Hahn. Sie vertritt die Meinung, dass jede Art von Gaming auch unter den Begriff fallen soll und hält eine Unterteilung nicht für relevant: „Für mich persönlich soll sich jeder, der sagt, er hat Spaß am Medium – egal in welchem Genre und egal auf welcher Plattform – und sich diesen Begriff zunutze machen möchte, auch Gamer nennen.“ Krutzler teilt die Meinung, dass unter dem Begriff Gaming alle Arten des Mediums gefasst werden können, hält eine Unterteilung allerdings für sehr sinnvoll, vor allem, wenn man sich mit den Geschlechtern im Gaming beschäftige, denn tendenziell seien noch Unterschiede zwischen den Geschlechtern erkennbar.

Ein Beispiel: Es ist Dienstagmorgen, kurz vor neun Uhr. Die Welt wirkt verschlafen, doch sie wacht langsam auf und mit ihr die Geräuschwelt, die langsam lauter wird. Die 25-jährige Studentin Karina sitzt in der U-Bahn, eingepackt in ihren Mantel und Schal, von der Welt und den gestressten Gesichtern um sie herum durch ihre Kopfhörer abgegrenzt. Auf ihrem Smartphone spielt sie ein Mobile Game – es ist für sie

Hierzu ein paar Zahlen: Eine Studie von Bitkom Research, die im August 2018 veröffentlicht wurde, verdeutlicht, dass Frauen den Männern zahlenmäßig immer näher kommen. In Deutschland ist der Anteil der männlichen Computer- und Videospieler mit 43% nur noch um 2% höher als der Anteil der weiblichen, und dennoch werden Frauen immer noch hauptsächlich mit mobilen Spielen in Verbindung gebracht. Eine Erhebung

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Fragt man weiter, stößt man danach bei den Geschlechtern auf unterschiedliche Motive hinter der Beschäftigung, wobei hier in den folgenden Sätzen Tendenzen und keine Stereotype beschrieben werden. „Männer mögen Ranglisten, Männer mögen gegeneinander spielen, Männer mögen sich messen, den Wettkampf“, bringt es Hahn auf den Punkt. Für Frauen dagegen stünden tendenziell Kreativität und die Freude am Spiel im Vordergrund. „Frauen spielen gerne Sachen, wo sie aufbauen und entwickeln können, wo die Ästhetik eine andere Rolle spielt – wo es um das Schöne im Spiel geht.“ Um zu betonen, dass hier nur Tendenzen genannt werden können, fährt sie fort: „Es gibt genauso Frauen, die knallharte Actionshooter spielen und Männer, die ‚Sims‘ spielen.“

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eine Überbrückungsbeschäftigung, eine Tätigkeit, die sie zwischen zwei anderen oder nebenbei durchführt. Sie würde, so Krutzler, Gamen eher nicht als ihr Hobby bezeichnen, würde sie danach gefragt werden. Was die 25-jährige Studentin macht, wird mit dem Begriff des „Casual Gamings“ beschrieben, im Gegensatz zu „Core Gaming“. Wie der Begriff Casual übersetzt schon sagt, handelt es sich um zwangloses, beiläufiges oder lässiges Spielen, zum Beispiel Online-Browser-Games oder Spiele am Smartphone bzw. Tablet. „Core Gaming“ hingegen benötigt eine aktive Hinwendung und findet in der Regel auf einer Spielekonsole oder am PC statt.

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durch IPSOS MORI aus dem Jahr 2017 hat die Verteilung der NutzerInnen von Gaming-Apps gemessen, wobei 51% der Männer und 41% der Frauen Gaming-Apps spielen. Hahn kommentiert dies so: „Momentan sagen die Statistiken, dass Frauen vor allem Casual Games spielen, seien es Browser Games oder auch Spiele auf dem Smartphone oder anderen mobilen Plattformen. Wenn ich aber zum Beispiel mit Studierenden rede, sehe ich, dass es diese Unterscheidung kaum noch gibt. Da spielen Krutzler Mädels genauso auf einerJulia Xbox oder Copyright: privat Playstation, wie das auch die Jungs machen.“ Aber auch abseits des Geschlechteraspekts wird über die Breite des Begriffs diskutiert, wobei die Plattform oft ein zentrales Thema ist. So gibt es Stimmen, die die Meinung vertreten, dass Gaming auf einer Spielekonsole stattzufinden habe. Mein Bruder, der sich Jahre nach der Lan-Party immer noch als Gamer bezeichnet, ist einer dieser Personen und äußert sich dazu wie folgt: „Ich unterscheide schon zwischen Casual Handy Gamern und Sabine Hahn Copyright: jenen, die sich für ihr Hobby einenprivat PC im Wert von 1.000 Euro zulegen, um die Games in bester Qualität spielen zu können.“ Da diesen Diskussionen unterschiedliche Meinungen zu Grunde liegen und man sich kaum auf Fakten beziehen kann, wird es in den nächsten Jahren wahrscheinlich zu keiner Einigung kommen. Tatsache ist jedoch leider, dass sich Gamerinnen Anerkennung erarbeiten müssen und sich häufig mit Kritik konfrontiert sehen. „Du spielst schlechter, weil du eine Frau bist, oder umgekehrt, wenn sie gut sind, werden sie beschimpft“, erklärt Krutzler die Problematik, die vor allem im Core Gaming auftritt. Der Kreislauf schließt sich – die Verbindung zwischen GamedesignerInnen und GamerInnen Betrachtet man die gesamte Gaming-Industrie, ist festzustellen, dass es immer noch viele Bereiche gibt, in denen Frauen den Männern zahlenmäßig unterlegen sind. So sind Frauen an der Spielentwicklung immer noch kaum beteiligt, man muss hier von einer männerdominierten Branche sprechen. „In Unternehmen der Spieleindustrie sind – weltweit, sowie lokal in Deutschland und Österreich – nach wie vor zu wenig Frauen“, so Hahn. Im Nachbarland Deutschland

liege die Quote bei 25%, jedoch stelle man bei näherer Betrachtung fest, dass diese Frauen eher in Positionen wie dem Marketing angestellt und dementsprechend an der Entwicklung des Produkts eher weniger beteiligt seien. Würde es anders sein, dabei sind sich die Interviewpartnerinnen einig, hätte das positive Auswirkungen auf die Spiele selbst, sowie auch auf die Präsenz der Spielerinnen. Beim Gamedesign ist an zumindest zwei Punkten noch Platz für Entwicklungen, einerseits die Darstellung und andererseits die Rolle der Charaktere im Spiel betreffend. Dass Frauen so wenig Einfluss auf die Entwicklung der Spiele haben, wirke sich auf die Darstellung der weiblichen Charaktere aus: „wie Frauen aussehen, wie sexuell stilisiert sie sind, wie groß ihre Oberweite ist, oder wie wenig sie anhaben“, so Hahn. „Männern ist das nicht bewusst, dass sie die Charaktere teilweise so unglaublich überzeichnen und sexistisch darstellen“, sagt Krutzler, wobei sie betont, dass auch männliche Charaktere oft sehr sexistisch dargestellt würden. Im Laufe der letzten Jahre ist es hier zu einer Bewusstseinsbildung gekommen. Die Zahl der Gamedesignerinnen steigt, wenn auch langsam, und die Darstellung der Charaktere entwickelt sich – leider genauso langsam – auch in eine positive Richtung. Was die Rolle der weiblichen Charaktere angeht, sind Fortschritte schon deutlicher, denn nicht nur sind die Lead Characters immer öfter weiblich, sondern auch die weiteren Protagonistinnen bekommen „differenziertere Rollen geschrieben“, so Hahn. Darüber hinaus werde immer öfter die Möglichkeit geboten, das Geschlecht des Lead Character zu wählen. Eine Option, die von Spielerinnen und Spielern in der Regel als wünschenswert genannt werde. Es findet demnach eine Entwicklung statt, bei der „Frauen nicht nur anständig gekleidet sein dürfen, sondern sie auch schöne Rollen geschrieben bekommen“, wie Hahn feststellt. Wie so oft greift ein Zahnrad in ein nächstes: Wären mehr Frauen im Gamedesign tätig, hätte das positive Auswirkungen auf die Darstellung und Rollen der weiblichen Charaktere. Diese Spiele würden auch vermehrt weibliche Spielerinnen ansprechen, was in Folge die Präsenz der Frauen in der Branche steigern würde. Mehr Mädchen würden auf das Gaming auf-

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merksam werden, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie entweder beruflich oder privat Interesse an der Gaming-Branche zeigen steigt.

von Katharina Glück

Infobox

Julia Krutzler Copyright: privat

* über: Dr. Sabine Hahn * tätig in Köln, Bereich „Digital Leadership Beratung“ * Veröffentlicht 2017: Gender und Gaming: Frauen im Fokus der Games-Industrie * Erfolg 2018: Female Founders in der Games- und Medienbranche vom „Handelsblatt“ für eines der besten Wirtschaftsbüchern von Frauen

Sabine Hahn Copyright: privat

© Copyright: Pexel/rawpixel

Den Kreislauf durchbrechen „Diese Frauen kenne ich nicht”, war die Reaktion einer Studienkollegin, nachdem ich sie darauf hinwies, dass Frauen im Gaming mittlerweile stark vertreten sind. In ihrem Freundeskreis wären generell nur wenige, die sich als Gamer bezeichnen würden, aber unter den wenigen sei sicher keine Frau vertreten. „In der Wahrnehmung waren digitale Spiele lange Zeit sogenannte ‚Boys Toys‘ und deshalb haftet diesem Medium immer noch der Ruf an, dass es nur etwas für Jungs sei“, benennt Hahn die Problematik. Seit zehn bis 15 Jahren spielen Mädchen und Frauen genauso digitale Games, wie es Burschen und Männer tun. Seit drei bis fünf Jahren wird dem Thema medial enorm viel Aufmerksamkeit gewidmet, den Spielen an sich, aber auch der Unterschätzung der Frauen in der Branche. Aufmerksamkeit einerseits redaktionell, durch Artikel bis hin zu Podcasts, andererseits durch Initiativen wie zum Beispiel „Women in Games“, die versuchen, weibliche Gesichter der Branche in den Mittelpunkt zu stellen. Wie immer bei Veränderungen muss es zu einer Bewusstseinsbildung kommen, die in weiterer Folge Wirkung zeigen muss. „Ich habe gemerkt und mir ist auch bestätigt worden, dass sich viel tut, aber halt langsam“, so Krutzler. „Hoffentlich

sind wir in ein paar Jahren so weit, dass Computerspiele nicht mehr und weniger stereotyp sind als andere Medien auch“, wünscht sich Hahn. Ein Wunsch, dem ich mich offen anschließe.

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Thema This is a man‘s world? Über Frauen im Gaming

02.01.19 12:


Aktivismus in Sozialen Medien: Ein Verhängnis für muslimische Frauen? Die Aussicht auf mehr Freiheiten und Rechte für Frauen sind im arabischen Raum gering. Im Gespräch mit SUMO erläutern „Standard“-Redakteurin Gudrun Harrer und Universitätsprofessor Rüdiger Lohlker die aktuelle Lage und ob es eine Hoffnung auf Verbesserung gibt.

Gerade als sich die Lage in Vorderasien für Frauen zu verbessern scheint in Form von Lockerungen der gesellschaftlichen Regeln, wie zum Beispiel die Aufhebung des Fahrverbots für Frauen in Saudi-Arabien, häufen sich die Morde an weiblichen Unschuldigen. Die religiösen Einschränkungen sind stark und Frauenrechte Mangelware. Der Versuch der ermordeten Aktivistinnen sich durch die Onlinewelt Gehör zu verschaffen scheiterte. Ihre öffentliche Präsenz in Sozialen Medien ist ihnen zum Verhängnis geworden. Es stellt sich die Frage, was Frauen im Nahen Osten noch übrigbleibt, um sich gegen die strikten Regeln der Oberhäupter zu wehren.

Ein beginnender Wandel? Um die aktuelle Lage bewerten zu können, braucht es einen Blick in die Vergangenheit. Der Arabische Frühling 2011 leitete den Prozess eines politischen Wandels ein. Getrieben von der jahrzehntelangen autoritären Herrschaft, starker Arbeitslosigkeit und den geringen Perspektiven kam es zu vermehrten Protesten und Aufständen gegen das Regime im arabischen Raum. Das zog in einigen Ländern, wie in Tunesien oder Ägypten, einen Aufbruch der bislang stabilen autoritären Strukturen und den Sturz der Herrscher Ben Ali und Mubarak mit sich. In anderen Ländern, etwa Marokko, wurden größere Proteste erfolgreich niedergeschlagen oder es kam zur Ruhigstellung der Bevölkerung durch Subventionsprogramme, vor allem in den reichen Golfstaaten wie Saudi-Arabien. Trotz dem eher durchwachsenen Ausgang der Proteste könne der Arabische Frühling als eine „Besiegelung eines vorangegangenen Wandels“ bezeichnet werden, konstatiert Rüdiger Lohlker, Professor am Institut für Orientalistik der Universität Wien. Schon vor den Ausschreitungen 2011 kam es durch den steigenden Anteil von jungen Menschen und den größeren

Bildungschancen zu einem beginnenden gesellschaftlichen Wandel. Dieser Wandel zog auch die Chance nach sich, die starren Geschlechterverhältnisse aufzubrechen. Maßgebend für diese Öffnung der Gesellschaften waren Frauen, die sich an den Protesten beteiligten und eine bessere Stellung der Frauen forderten. Themen wie Sexualität oder Angriffe gegen Frauen im öffentlichen Raum wurden angesprochen und bekannt gemacht, resümiert Lohlker. Soziale Medien als Chance Ausschlaggebend war die Vernetzung durch Soziale Medien. Ein neuer Faktor, der die Organisation für strukturierte Bewegungen vereinfachte und ein Ort, um Unmut mit anderen zu teilen. Soziale Medien zeigten den Menschen auf, wie Wohlstand und Freiheit an anderen Orten der Welt aussehen und umgekehrt verbreiteten sich die Konflikte des Arabischen Frühlings online über die Grenzen Vorderasiens hinaus. Die Möglichkeit der Vernetzung besteht bis heute und ist Teil der arabischen Gesellschaften geworden. Das bestätigt eine Studie von Magdalena Karolak und Hala Guta aus dem Jahr 2015 („Journal of International Women’s

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Die irakische Menschenrechtsaktivistin Suad al-Ali wird in Basra auf offener Straße ermordet. Tara Fares, ein „Instagram“-Star, wird in Bagdad in ihrem Auto erschossen. Zwei Schönheitschirurginnen aus dem Irak, Rasha Hassan und Rafifi Yasiri, werden in ihrer Wohnung tot aufgefunden. Vier unterschiedliche Frauen, die drei Sachen gemeinsam haben – den Wunsch auf Veränderung, ihre offene Einstellung zu einem westlichen Lebensstil und ihre Online-Präsenz.

Aktivismus in Sozialen Medien: Ein Verhängis für muslimische Frauen? Thema

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Studies“, 2015/2), die sich mit der Identitätsbildung von saudischen Frauen über Soziale Medien auseinandersetzt. Demnach bieten diese Netzwerke einen Zugang zu Informationen, die sonst von kulturellen und politischen Barrieren beschränkt werden. Es können Diskurse stattfinden, die öffentlich nicht möglich sind und geben Frauen eine Chance, sich von den gesellschaftlichen und familiären Zwängen zu befreien. Aber auch die Internetnutzung in arabischen Ländern ist beeinflusst von sozialen Regeln. Wer sich in Sozialen Medien zu einem anderen Lebensstil oder einen anderen Religion, gar dem Atheismus, bekennt, wird bestraft. Lohlker betont, dass kaum eine Frau unter dem Klarnamen Online-Aktivismus betreibe, denn das wäre ein schwerer Verstoß gegen die Gesetze. Auch in arabischen Ländern, in denen es nicht verboten ist AtheistIn zu sein, herrsche eine gewisse Selbstzensur, um das Lebensumfeld und sich selbst zu schützen. Andere Taktiken, um trotzdem seine Meinung öffentlich zu machen, seien die Verwendung von zwei Accounts, einen für die Familie und einen für FreundInnen, sowie keine Bilder von sich selbst zu posten. Viele Aktivistinnen und Bloggerinnen verlassen dafür ihre Heimat, um im Ausland mit mehr Freiheit und Sicherheit über Probleme und heikle Themen zu berichten. Die Möglichkeiten der Frau in der arabischen Welt sind begrenzt. Gudrun Harrer, Nahostexpertin und leitende Redakteurin beim „Standard“, weist aber darauf hin, dass Frauen nicht völlig ohnmächtig seien. Auch in den islamischen Gesellschaften könnten Frauen mächtig sein. Seit 2011 dürfen zum Beispiel weibliche Vertreter, die vom König ernannt werden, dem Rat der Schura beisitzen. In der Schura sitzen die Eliten von Saudi-Arabien und schlagen dem König Salman ibn Abd al-Aziz Gesetzesvorhaben vor. Ein simpleres Beispiel sei in der Ehe zu finden. Wolle ein Mann in der Gesellschaft sozial gut dastehen, dann müsse er freundlich zu seiner Frau sein. Sonst habe das Auswirkungen auf seine Stellung in der Familie. Betrachte man die Seite der Männer, so stehe fest, dass nicht nur Frauen, sondern auch Männer in den autoritären Ländern nicht frei sind. Auch Männer heirateten nicht freiwillig eine fremde Frau, mit der sie zuvor kein Wort gewechselt haben. Aber „je

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besser es den Frauen oder den Minderheiten geht, desto besser geht es der ganzen Gesellschaft“, erklärt Harrer. Vielen Frauen ist es gleichgültig Umso mehr braucht es starke weibliche Vorbilder, die für ein freieres Leben kämpfen und die Schattenseiten aufzeigen. Suad al-Ali, Tara Fares und noch viele andere Frauen haben sich für eine bessere Stellung der Frau eingesetzt und mussten dafür ihr Leben geben. Auf die Frage, wer die Aktivistinnen getötet haben könnte, wissen weder Lohlker noch Harrer eine klare Antwort. Die Vermutungen gehen in Richtung radikal-islamischer Gruppierungen oder arabischer Geheimdienste, die weitere Proteste und Gegenstimmen beseitigen wollen. Es zeigt, dass das aktive Auftreten von Frauen einigen ein Dorn im Auge ist. Vor allem in patriarchalen Gesellschaften sind Männer eindeutig negativ gegenüber Frauen eingestellt und verbannen die Idee von mehr Rechten für Frauen. Es gebe wenige bis keine Männer, die sich für Frauen einsetzen würden, erläutert Lohlker. Aber auch von Seiten der Frauen sei die Akzeptanz begrenzt. Harrer erwähnt, dass es vielen Frauen gleichgültig sei oder viel mehr, dass sie Sicherheit und Frieden wünschten. Die meisten wollen daher keine Störenfriede, die diese Ruhe aus dem Gleichgewicht bringen und akzeptieren die schon erwähnten Bestechungsversuche der Regime. Was wie Lockerungen der gesellschaftlichen Regeln klingt, verbirgt sich hinter einer Taktik der Oberhäupter. Ja, Frauen dürfen seit Neustem in Saudi-Arabien Auto fahren und ja, das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings haben diese Reformen wenig mit Demokratisierung oder politischer Öffnung zu tun. Gudrun Harrer betont, dass die Repressionen und Unterdrückung weiter steigen. Die arabischen Gesellschaften befänden sich im Zerfallsprozess und es sei derzeit nicht klar, wie es weitergehen wird. Was bleibt, ist die Hoffnung Die Chancen auf Veränderungen sind dürftig, aber sie sind vorhanden. Der Arabische Frühling hat in Vorderasien vieles in Bewegung gebracht und das hält nach wie vor an. Die Potenziale auf Veränderung reichen von Änderung der Geschlechterverhältnisse,

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Öffnung des Meinungsspektrums bis zur völligen Auflösung von bisherigen Strukturen. Ob das auch passiert, bleibt noch verborgen. Die Hoffnung ist das einzige was bleibt und starke Frauen helfen, diese Bewegung in die Freiheit weiter voran zu treiben. Auch wenn Online-Aktivismus Gefahren bringt, bleibt doch die wichtige Möglichkeit, Missstände aufzudecken. „Es ist wichtig zu wissen, dass es nicht immer so war, wie es jetzt ist. Die Botschaft ist daher, dass es in Zukunft nicht für immer so sein muss“, resümiert Gudrun Harrer. Auch Rüdiger Lohlker weist darauf hin, dass „wir alle Teil einer einzigen Welt sind. Genauer hinhören und nicht irgendwelchen Experten das Feld überlassen“, ist sein Rat. von Sophie Bezensek

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„Sex sells“ - nicht immer! Die Berichterstattung über sexualisierte Gewalt ist ein sensibles, doch wenig beachtetes Thema. Die Sozialanthropologin Sonja Genner und Anna Haneder von der Frauenberatung Waldviertel diskutieren mit SUMO über die derzeitigen Missstände und was sie sich in Zukunft von den JournalistInnen wünschen.

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„Sex sells“ gilt – nicht nur, aber vor allem – für Boulevardmedien als Aufmerksamkeit generierende Strategie. Doch sollte dies in jedem Kontext Gültigkeit haben? Wie sieht die Situation bei einer medialen Berichterstattung über sexuelle beziehungsweise sexualisierte Gewalt aus?

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Medien nehmen bei Themen wie diesen eine große Rolle ein, da sie die nachhaltige Wahrnehmung der RezipientInnen und auch deren Einschätzungen prägen. Genau deswegen werden JournalistInnen dazu angeregt, sich selbst zu reflektieren, um eine sensible und Grenzenbeziehungsweise Normen nicht außer Acht lassende Berichterstattung zu manifestieren. In den USA hat sich die Analyse der Medienberichterstattung über sexualisierte Gewalt beziehungsweise Gewalt gegen Frauen schon seit einiger Zeit als Forschungsbereich etabliert. Hierbei werden vor allem die Defizite der Berichterstattung diagnostiziert. Dies beginnt laut der Studie „Feministische Kriminologie“ von Michelle L. Meloy und Susan L. Miller (2009) schon bei der Festlegung von Normen und Erwartungen der Gesellschaft, den traditionellen Rollenbildern einer guten Frau und Mutter und der eines guten Mannes und Vaters. Ein weiterer Aspekt ist die Sprache, denn sie prägt Bewusstsein und Unterbewusstsein in hohem Ausmaß. Tendenziell lässt sich sagen, dass im Alltag die Wortwahl bei sexuellen Straftaten oft ungenau ist, oder veraltete Begrifflichkeiten verwendet werden, teilweise treten auch nachträglich Diskriminierungen auf. Genauso wie in der medialen Berichterstattung, die jedoch langfristig gesehen große Auswirkungen auf RezipientInnen oder sogar Betroffene haben kann. Dazu ein kleiner Auszug an Begriffen, die irreführend sein können – in Anlehnung an eine Empfehlung an JournalistInnen des Frauennotrufs Saarland: Fehlgedeutete Begriffe „Triebtäter“ – Dieser Begriff suggeriert, ein Mann gäbe sich seinem natürlichen Sexualtrieb hin, den er nicht zu beherrschen weiß. Dieses Wort beinhaltet aber automatisch die Information, dass

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hier der Täter nur Opfer seiner Triebe ist. Also bekommt er eigentlich die Opferrolle zugeschrieben. „Sexverbrechen/Sextäter“ – Da der Terminus „Sex“ eher mit positiven, intimen und erotischen Handlungen assoziiert wird, eignet sich jener Begriff nur dürftig für die Darstellung des tatsächlichen Ausmaßes dieser Straftat und trägt zur Verniedlichung des Begriffs bei. Hierbei sollte in der Sprache auf das Wort „Sex“ in diesem Kontext verzichtet werden und stattdessen Begriffe wie „sexualisierte Gewalt“ angewendet werden. „Opfer“ – Dieser Begriff wird oft von Medien aufgegriffen und in Texten oder Bildunterschriften bei der Berichterstattung verwendet. Dies kann dazu führen, dass Betroffene von Sexualstraftaten ein weiteres Mal gedemütigt werden, daher sollten stattdessen Begriffe wie „Betroffene“ oder „Überlebende“ Anwendung finden. Auch die Untugend, (höchstens verpixelte) „Facebook“-Profilbilder von Opfern in der Berichterstattung zu verwenden, findet immer häufiger Anwendung in den Medien. Solche bleiben oft ad infinitum gespeichert. „Familiendrama“ – In Bezug auf Morde an Frauen. Hierbei sollten die Berichte genau diese Umstände auch beim Namen nennen und nicht verharmlosen. „Es handelt sich um einen Mord an einer Frau und nichts entschuldigt oder begründet diese Tat“, so Expertin Anna Haneder von der Frauenberatung Waldviertel im SUMO-Interview. Ergänzend dazu gilt es zu berücksichtigen, dass Straftaten klar als solche benannt werden. Die Nationalität oder die Religionszugehörigkeit von TäterInnen sollte nicht relevant sein, da sie nichts am Übergriff ändern: „Eine bewusste Auseinandersetzung mit den verwendeten Begriffen ist aus meiner Sicht immer notwendig, zumal sich Sprache immer in Veränderung befindet“, postuliert die Sozialanthropologin Sonja Genner im Gespräch mit SUMO. Inwieweit


in Zukunft auf Sensibilisierung zu hoffen ist, bleibt unklar. 2018 empfahl der Pressesprecher des österreichischen Innenministeriums Polizeipressestellen die explizite Nennung der Staatsbürgerschaft bei Gewaltverbrechen. Mehr Aufmerksamkeit für Randgruppen Neben einer bewussten Wortwahl wünscht sich Sonja Gennerauch mehr mediale Aufmerksamkeit anderen Gruppen gegenüber, denn bei genauerer Analyse der Berichterstattungen falle auf, dass bestimmte Personengruppen im Vergleich zu anderen kaum berücksichtigt würden. So könne man beispielsweise beobachten, dass sexualisierte Gewalt häufig thematisiert werde, wenn sie gegen Frauen gerichtet ist. Jedoch bekommen andere betroffene Gruppen, wie Menschen mit kognitiven Behinderungen, Transgenderpersonen oder Buben/Männer in der Berichterstattung weniger Beachtung. Im Interview weist Genner darauf hin, dass auch Opfer-TäterInnen-Konstellationen wie etwa weibliche, häusliche Gewalt gegen Männer, oder sexualisierte Gewalt unter Männern eine zu geringe Beachtung erhielten. „Des Weiteren bekannt sind Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche, aber im Vergleich zur Berichterstattung über sexuelle Übergriffe von Migranten auf in Österreich lebende Frauen kann ich hier keine solche Konstanz feststellen. Sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche wird zwar thematisiert, aber in einem weitaus geringeren und unregelmäßigeren Ausmaß“, ergänzt Genner. Laut einer Studienzusammenfassung des Medienwissenschaftlers Steffen Burkhardt (2015) zu Medienskandalen nahm die Berichterstattung über weitreichende, lang andauernde Fälle sexuellen Missbrauchs innerhalb der katholischen Kirche in den letzten Jahren jedoch zu. Dies alles setzt auch auf Seiten der RezipientInnen ein reflektiertes Verhalten voraus im Sinne der Quellenkritik. Die Gefahr der Täter-Opfer-Umkehr Eine weitere Gefahr ist jene, dass besonders Personen des öffentlichen Lebens, denen eine Gewalttat an einer Frau vorgeworfen wird, in Medien immer wieder eine Plattform für ihre Darstellung geboten wird. Mutmaßliche TäterInnen erhalten Raum für ihre Sichtweise, die viel Spielraum für unterschiedliche Interpretationen öffnen. In extremen Fällen (z.B. die Kontroverse um den US-Richterkandidaten Brett Kavanaugh) werden Frauen der absichtlichen Lüge bezichtigt, um einem Mann beruflich zu schaden. „Es kann der Anschein entstehen, Frauen würden durch ihre falschen Anschuldigungen das Leben dieser Männer zerstören, so der Vorwurf. Hier findet eine Opfer-Täter-Umkehr statt, die bewirken kann, dass Opfer sexualisierter Gewalt diese bei der Polizei aus Angst, ihnen würde nicht geglaubt werden, nicht anzeigen“, bezieht Genner dazu Stellung.

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geführt haben. Jedoch kann dies auch problematisch sein, da Fälle juristisch schon verjährt sind – Sensibilität gegenüber sexualisierter Gewalt können aber auch sie erzeugen. Es ist vor allem die Aufgabe und Verantwortung der JournalistInnen, bei der Berichterstattung über sexualisierte Gewalt besonders sensibel in Wortwahl und Darstellung der Tatsachen zu sein. Auch TäterInnen keine zu große Plattform für ihre Sicht der Dinge zu bieten, ist besonders zu beachten. Doch auch RezipientInnen sind dazu angehalten, ihr Verhalten in puncto Wahl der Berichterstattungsquellen, als auch in der eigenen Kritik an diesen bewusster wahrzunehmen.

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von Lara Hubmann

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Ein vor allem in letzter Zeit immer häufiger zu beobachtendes Problem ist die Behandlung bestimmter Gewaltthemen im Kontext eines „Hypes“. Zum Beispiel wurden aufgrund der „16 Tage gegen Gewalt“-Aktion – eine Kampagne, die auf Gewalt gegen Frauen weltweit durch Podiumsdiskussionen, Ausstellungen, Straßenaktionen und Vorlesungen aufmerksam macht - in dieser Zeit vermehrt Beiträge über Gewalt an Frauen publiziert. Dennoch tragen solche Initiativen zu einer positiven Entwicklung in puncto medialem Aufzeigen von Missständen bei. „Kampagnen, wie die ,16 Tage gegen Gewalt‘ bzw. Veranstaltungen zum Thema (sexuelle) Gewalt werden eher medial verarbeitet, als früher“, beobachtet auch Haneder. Hierbei ist zu erkennen, dass erst gröbere Tabubrüche oder öffentliche Diskussionen wie #MeToo zu einer verstärkten medialen Aufmerksamkeit


Sexualisierung, des Sportes bester Freund Sexualisierung, Trivialisierung und Abwertung – all dies sind Vorgänge, mit denen SportlerInnen täglich zu kämpfen haben. SUMO hat in einem Doppelinterview Johanna Dorer, Kommunikationswissenschaftlerin mit Schwerpunkt feministische Medienforschung (Univ. Wien) und Matthias Marschik, Medienwissenschaftler und Sporthistoriker, zu Theorien, Umständen und Folgen der Sexualisierung im Sport befragt. und dann gibt es Frauenfußball. Von Männerfußball keine Rede, schließlich assoziiert man mit der Bezeichnung Fußball doch nur die Männer. Eine Diskrepanz in unserer Gesellschaft. Doch wie weit geht die Sexualisierung der Frau im Sport mittlerweile und welche Folgen hat das? Wechselwirkung von Medien und Vereinen Dass die Medien stets die Schuld für Sexualisierung tragen und Athletinnen immer in ein sexistisches Licht rücken, ist so nicht haltbar. Man muss ebenso die Sportvereine und deren eigene Imagearbeit in Betracht ziehen, da diese einen großen Einfluss auf das Sportsystem und die Repräsentation der Frauen in Medien haben. Es steht außer Frage, dass sehr häufig das attraktivste Bild einer Sportlerin für eine Zeitungsausgabe gewählt wird. Die Bekleidungsvorschriften der Athletinnen, welche zum Beispiel beim Beachvolleyball eher

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Wahrscheinlich wenig überraschend, aber der Sport bewegt sich noch immer in eine sexistischere Richtung. Männliche Sportler werden als die Starken, Mächtigen, Erfolgreichen präsentiert, wohingegen es weibliche Athletinnen schwerer haben, sportliche Anerkennung zu erlangen. Sie stehen mehr für das erotische, schöne oder oftmals leider auch schwächere Geschlecht, egal welche Erfolge sie auch vorweisen können. Um im Sport als Frau überhaupt Aufmerksamkeit zu erlangen, gilt es sich zu präsentieren. Sportdressen werden kürzer, Athletinnen werden lasziv in Szene gesetzt und der weibliche Körper wird immer mehr als Objekt gesehen. Nicht im sportlichen Sinne, sondern im sexuellen. Denn haben hart trainierende Frauen viele Muskeln, so heißt es schnell, sie seien „zu“ muskulös und männlich. Frauen im Sport haben also Imagenachteile und ständig mit Sexualisierung zu kämpfen. Es muss einem ja schon allein vor Augen geführt werden, dass es den Begriff Fußball gibt,

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knapp bemessen sind, werden jedoch von ManagerInnen im Hintergrund vorgegeben. „Medien wirken mit ihren Selektionskriterien zurück auf die Vereine, die sich neue Strategien überlegen, um wieder in die Medien zu kommen. Somit ist nicht von einem einfachen Reaktionsschema die Rede, sondern von einer Wechselwirkung“, so Dorer. Sowohl Medien, als auch die Vereine ringen um Aufmerksamkeit und stehen in engem Bezug zueinander. Sexualisierung kann somit nicht nur einer Partei vorgeworfen werden.

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Marginalisierung und Sexismus in der Sportberichterstattung Die feministische Forschung beweist, dass Sportlerinnen in der Sportberichterstattung marginalisiert und geschlechter-differenziert präsentiert werden. Wirft man einen Blick auf Längsschnittuntersuchungen, die die Präsenzzeit der Sportlerinnen im TV betrachten, so ist eine starke Unterrepräsentation festzustellen. Im Jahre 1989 kamen lediglich 5% der Sportlerinnen in TV-Berichten vor. Ende der 1990er-Jahre gab es einen Aufschwung auf bis zu 9%, jedoch schwächte sich dies 2004 wieder auf lediglich 6% ab, betrachtet man die gesamte Sportberichterstattung. Neben der geringen Sendezeit, die Sportlerinnen zugestanden wird, ist vor allem die mediale Repräsentation zu beachten. Begriffe wie Infantilisierung, Trivialisierung oder Verniedlichung sind dabei zum Teil auch heute noch angebracht. Sowohl im Sprachgebrauch, als auch in der Berichterstattung sportlicher Leistungen ist dies zu erkennen. Erfolge werden dabei oftmals als „Zufall“ oder „Glück“ bewertet und Frauen werden bei weitem nicht so intensiv gelobt oder wertgeschätzt wie ihre männlichen Kollegen. Außerdem werden Athletinnen häufig auf ihr äußeres Erscheinungsbild reduziert. Das Motto dabei: Je freizügiger, desto besser.

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Selbstdarstellung im Netz Eine Veränderung schien das Web 2.0 anzukündigen, denn dort wurde es SportlerInnen erstmals möglich, sich eine eigene - digitale - Identität zu erschaffen und sich selbst zu präsentieren. Auf den privaten Social Media-Kanälen ist es den Sportlerinnen (normalerweise) freigestellt, was, wann und wieviel sie von sich preisgeben. Dabei kommt oft auch die Frage auf, ob die Athletinnen bei freizügigen Posts nicht indirekt selbst für Sexualisierung ver-

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antwortlich sind. Sexualisierung ist es jedoch erst, wenn ein Urteil bzw. eine Beurteilung von externen Personen stattfindet. Es muss aber auch bedacht werden, dass heutzutage nicht nur Frauen sexualisiert werden, sondern ebenso Männer im Sport. Sie werden nicht mehr nur als starke Sportler, sondern immer mehr als schöne dargestellt und in der Öffentlichkeit und vor allem in den neuen Medien sexualisiert. Ebenen der Sexualisierung Doch auf welchen Ebenen kann Sexualisierung wie stattfinden? 1) Gesellschaftliche Diskurse: Die Ebene befasst sich mit dem Verhalten, Interessen oder auch Vorlieben. Was soll einer Frau gefallen, woran muss sie sich halten, wofür soll sie zuständig sein. Entspricht man diesen gesellschaftlichen Vorstellungen nämlich nicht, so folgen persönliche Sanktionen oder Frauen werden anders und vor allem abschätziger wahrgenommen. 2) Institutionelle Ebene: Geschlechter werden stets verhandelt, sowohl auf Gesetzesebene, als auch in Sportvereinen oder internationalen Sportorganisationen. Dabei werden beispielsweise Preisgelder verhandelt in den einzelnen Sportsparten. 3) Selbstkonstruktion: Dabei geht es darum, wie man sich als Individuum selbst darstellt und präsentieren möchte, somit seine eigene Identität bzw. sein Gender konstruiert. Dorer erwähnt dabei auch den Ausdruck: Doing Gender. Jedes Individuum betreibt dies, wenn auch oft unbewusst. Die Art wie wir uns kleiden oder wie die Haare getragen werden, sagt viel darüber aus, wie wir uns in der Gesellschaft zu erkennen geben. Dieses Phänomen betrifft sowohl Männer, als auch Frauen. Marschik ist sogar der Meinung, man müsste des Weiteren die Ebene der Gesellschaft in Betracht ziehen, da wir als Menschen ebenso von dieser beeinflusst würden. Werde ein Austritt aus den vorgegebenen bis maßgeschneiderten Gendervorgaben gewagt, so könne es schnell zu einem weichen bis harten Ausschluss aus der Gesellschaft kommen. Does Sex really sell? Ja leider, so sehr man auch versucht mit Gegenargumenten zu kontern. Dabei entstehen jedoch ein doppelter Konflikt und ein moralischer Angriff. Denn zum einen verdienen SportlerInnen weniger,


wenn sie auf bestimmte Werbeangebote nicht eingehen. Des Weiteren wird ihnen aber auch noch vorgeworfen, sie seien an ihrer niedrigeren Bezahlung im Sport selbst schuld. Zum anderen werden Athletinnen verurteilt und abgewertet sich zum Beispiel im „Playboy“ ablichten zu lassen, da eine Sportlerin in diesem Rahmen nichts verloren haben soll. Eine im Cortex2018 veröffentlichte Studie beschäftigt sich ebenfalls mit moralischen Hintergründen und Wertvorstellungen zu diesem Thema. Dabei wurde erforscht, dass Menschen weniger Empathie für leicht bekleidete Frauen empfinden. Da der hedonistische Wert bei sexualisierten Darstellungen von Frauen erhöht wird, sinkt gleichzeitig die Wertwahrnehmung über sie. Bei der Sexualisierung kommt nach außen hin wenig Gefühl von moralischen Vorstellungen oder Verantwortungsbewusstsein der Frauen, auch wenn dies nur im Unterbewusstsein der BetrachterInnen geschieht. Sexualisierung auch in der Zukunft? Das Ungleichgewicht der Frauen und Männer im Sportsektor wird weiter bestehen und zu einer Benachteiligung der Frauen beisteuern. Denn vor allem der Frauenanteil im Sportjournalismus beschränkt sich derzeit immer noch auf lediglich 5-10%, so Dorer. Würde sich der Prozentsatz kritischer Frauen in Medienunternehmen vergrößern, so wären Athletinnen höchstwahrscheinlich nicht mehr so stark mit Sexismus konfrontiert. Das Problem der Sexualisierung liegt vor allem bei fehlenden Regularien. Im Rundfunk gibt es Kontrollorgane, für Printmedien gelten Leitlinien und der Ehrenkodex, sowie Presserat, im Internet findet man solche Regulierungsmechanismen jedoch bislang nicht. Dies hat zur Folge, dass Geschlechterstereotype weiter in der Gesellschaft bestärkt werden. Bewegungen wie anlässlich der #MeToo-Debatte könnten dabei helfen, Sexismus und Sexualisierung zu verringern und feministische Strömungen in den Medien zu implementieren. Vor allem im Sportbereich ist es ob seines Vorbildcharakters von enormer Relevanz Frauen eine Stimme zu geben und ihre Erfolge gleichwertig wie die der Männer anzusehen. Ein Tor bleibt schließlich ein Tor, sei es geschossen von einem Mann oder einer Frau. von Teresa Takacs

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Drag Queens als Content Trend Sie sind bunt und schrill, tragen einprägsam kreative Namen und sind beliebter denn je: Drag Queens. Was ihre Faszination ausmacht, wer tatsächlich dahintersteckt und warum Formate wie „RuPaul’s Drag Race“ so erfolgreich sind, erläutert SUMO anhand von Interviews mit Star-Drag Tamara Mascara, Filmproduzent Taç Romey und Stephan Jaekel, Director Communications von Stage Entertainment.

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In den letzten Jahren mehrte sich das Interesse nach Travestie nicht nur in kleinen Bars, wo versucht wird, meist eine Show-Diva nachzuahmen, es verstärkte sich das Verlangen nach Kunstfiguren, die auch ihre oft verletzliche Seite zeigen. Drag Queens sind Männer, die eine Kunstfigur mit weiblichen Zügen erschaffen. Sie geben ihr einen Namen, verleihen ihr einen unverwechselbaren Stil und schaffen eine neue Personalität. „Oft ist es auch eine Identitätssuche, oder ein Schutzwall. An meinem eigenen Verhalten, das sich sehr verändert hat, merke ich erst, wie sehr ich versucht habe, mich zu schützen durch ein zickiges Verhalten“, so Drag Queen Tamara Mascara. Die Verwandlung lässt augenscheinlich Zweifel und Unsicherheit hinter dem Make-Up „verstecken“. Die Inszenierung in bunten, glitzernden oder aufreizenden Kostümen bedeutet jedoch nicht automatisch, dass sich diese Männer als Frauen im Alltag oder automatisch als homosexuell bezeichnen. Ihre Auftritte in der Öffentlichkeit gleichen das ein oder andere Mal Akti-

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vismus. „Ich habe lange nicht begriffen, wie viel ich eigentlich bewege, nur weil ich ‚im Fummel‘ unterwegs bin. Dann hat mir ein junger Mann erzählt, dass ihn mein Selbstbewusstsein als Drag Queen inspiriert hat, sich bei seinen Eltern zu outen.“ Tamara Mascara sieht ihre Arbeit auch als Beitrag für mehr Akzeptanz in der Gesellschaft: „Ich bin hauptberuflich Drag Queen und immer wieder für überraschend konservative Veranstaltungen oder Kunden gebucht. Das sehe ich auch als gesellschaftliche Arbeit an.“ Feder, Glitzer und bunte Tränen als TV-Format Das Konzept und die Idee einer farbenfrohen, selbstbewussten, schon gar furchtlos wirkenden Drag Queen, die trotzdem ihr oft negatives Schicksal preisgibt, begeistert den/die ZuschauerIn. Genau diese Nachfrage bedient das Erfolgsformat „RuPaul’s Drag Race“ seit 2009, welches nach zehn Staffeln und vier All-Star-Staffeln im Jahr 2018 bei den Emmy Awards zwei Aus-


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zeichnungen abräumte. Das Format ist ähnlich einer der weltweit beliebten Modelshows, wo jegliche Auftritte absolviert werden müssen. Scheinbar stolzieren weibliche Wesen auf die Sekunden getaktet über den Laufsteg, die Mimik scheint bei jedem Blick geplant zu sein und die Performance übertrifft die Erwartungen haushoch. Jede Folge gleicht demselben Schema. Zu Beginn betrachten alle KandidatInnen die mit Lippenstift geschriebene Botschaft der ausgeschiedenen Drag Queen auf dem Spiegel. Anschließend kommt RuPaul als Mann in den „Werk Room“, verkündet die erste Mini-Challenge – ein besonders ausgefallener Tanz steht hoch oben auf dem Produktionsplan. Die Gewinnerin darf, nicht unwesentlich für die Hauptaufgabe, beispielsweise ihr Team selbst auswählen. Danach kommt es zur Verkündung der wöchentlichen, sehr vielseitigen Challenge. Die KandidatInnen müssen zum Beispiel aus allen möglichen Materialien aus einem „1$-Shop“ das perfekte Show-Kostüm basteln oder in Gruppen ein Musical über Medikamente einstudieren. Die Kandidatin mit der besten Darbietung darf sich über Preise wie eine Reise nach Hawaii oder einen 2.000 Dollar schweren Gutschein für Fake-Wimpern freuen. Die zwei schlechtesten KandidatInnen, die von der Jury inklusive GastjurorIn, der/die oft mit ernster Miene und herablassenden, spöttischen Kommentaren am Pult thront, ausgewählt werden, müssen in einem „Lipsync-Battle“ um ihren Platz in der Show kämpfen. Wenige Sekunden nach dem Ende des Liedes wird sogleich die Verliererin bekanntgegeben. Meist tränenreich verlässt die ausscheidende Drag Queen die Bühne und die Siegerin fällt in die Arme der anderen KandidatInnen. Zwischendurch, förmlich hineingestreut, sieht man die ernsten Probleme der KünstlerInnen. Das eine oder andere Mal geschieht eine Offenbarung nicht vorhersehbar, so gesteht ein/e KandidatIn, dass ihre/seine Eltern

sie nicht akzeptieren, wie er/sie ist; andere verkündigen gesundheitliche Probleme und manche leiden offen unter dem harten Konkurrenzkampf – diese rasante Mischung an Darbietungen funktioniert.

leider keinen einzigen Sender gefunden, der sie machen wollte. Kurzzeitig hatte ‚ZDFneo‘ Interesse, hätte es sehr, sehr gerne mit uns gemacht. Eine der Bedingungen war damals, dass Conchita Wurst die Rolle von RuPaul übernimmt, dann hätten wir tatsächlich eine gute Chance gehabt. Aber damals [2014] wollte Conchita das nicht und so ist das Projekt in den letzten Metern tatsächlich abgesagt worden“, erläutert Romey. Die Arbeit an dem Programm lief zeitgleich mit der Austragung des Eurovision Song Contest in Kopenhagen, bei dem Conchita Wurst den ersten Platz für Österreich erreichte. Die Kontaktaufnahme zu Conchita lief über Agenturen, ihren Fokus wollte sie nach dem Sieg auf ihre Musikkarriere legen. „Wir sind leider damals nicht zusammengekommen“, beteuert Romey.

Mittlerweile hat jede Folge eine Millionen ZuseherInnen – der weltweite „Netflix“-Stream wird nicht mitgezählt. Der Erfolg ist nicht unbegründet. „Es ist eine sehr schnelle, gut produzierte Serie, die Charaktere sind gut gecastet und es passiert irrsinnig viel in kurzer Zeit, was der extrem verkürzten Aufmerksamkeitsspanne der jungen Generation entgegenkommt“, konstatiert Tamara Mascara, die Drag Queen-Ikone Österreichs. „RuPaul’s Drag Race Germany“ Dass es von diesem Format auch eine deutsche Version geben sollte, dieser Meinung ist Taç Romey. Der Geschäftsführer des deutschen Produktionsunternehmens „Phantomfilm GmbH“ beschreibt den Erfolg dieser Castingshow aufgrund wichtiger Unterhaltungsfaktoren: „Es hat ein extrem hohes Entertainmentniveau, es ist voller Drama, es hat sehr viel Comedy und es ist künstlerisch in dem, was die einzelnen Aufgaben erfordern auf höchstem Niveau. Das sind richtige KünstlerInnen.“ Seine Überzeugung von diesem Format brachte ihn so weit, dass die Phantomfilm GmbH bereits die Rechte an der TV-Show für eine deutsche Version optioniert hatte. Im Interview mit SUMO sprach Romey über die bereits gelaufenen Verhandlungen in Los Angeles mit den Machern von „RuPaul’s Drag Race“. Er betont, dass „RuPaul’s Drag Race Germany“ sehr nahe am amerikanischen Original geplant war. Die Show habe sich über die Jahre verändert und sei daran gewachsen. Eine ähnliche Entwicklung wäre auch für das Projekt in Europa geplant gewesen. Doch die deutsche Produktion lief nicht so an, wie geplant. „Wir haben damals

Der Geschäftsführer sieht sich selbst in erster Linie als Entertainer und will für Entertainment sorgen. Es freue ihn jedoch, wenn seine Arbeit auch eine Botschaft trägt und dadurch eine größere Akzeptanz für LGBT zu erleben ist. In erster Linie geht es jedoch um die Kunstform, dies war auch die Einstellung zu „RuPaul’s Drag Race Germany“. Romey bezeichnet die Show als „Cinderella-/Aschenputtel-Geschichte“: „Aus dem Nichts entsteht plötzlich eine unglaubliche magische Figur. Zu sehen, unter welchen Voraussetzungen das hergestellt wird, wenn man unter Zeitdruck arbeitet und sich Mühe gibt und kreativ ist und was man daraus schaffen kann: Das hat eine unwahrscheinlich positive Message.“ In vielen Fällen gehe es um junge Männer, die von ihren Eltern verstoßen wurden, unter der Brücke leben und durch „RuPaul’s Drag Race“ eine Transformation erleben, dies zeige eine positive Message, etwas meistern zu können und glücklich zu sein, so Romey. Seine Motivation: „Das sind ein paar Werte, die man durch die Qualität des Produkts auch vermittelt, und das sind Elemente, die uns natürDrag Queens als Content Trend Thema

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Angebot, doch zu wenig Nachfrage Nicht nur im Fernsehen faszinieren Drags die ZuschauerInnen, auch ganze Theatersäle werden jeden Abend gefüllt. Das Musical „Kinky Boots“, welches mit der Musik von Cindy Lauper und dem Buch von Harvey Fierstein dramaturgisch ähnlich wie „RuPaul’s Drag Race“ an kritische Themen in einem bunten Mantel herangeht, ist ein großer Erfolg am Broadway in New York City und am Londoner Westend. Das Musical gewann sowohl bei den Tony Awards (6 Awards, insgesamt 13 Nominierungen), bei den Grammys und beim Londoner Olivier Awards (3 Awards, weitere 4 Nominierungen) die Auszeichnung in der Kategorie „Bestes Musical“. Musikalisch erreichte das Album mit allen Songs des Musical Platz

Drag Queens als Content Trend

1 in den Billboard Cast Album Charts. Der Inhalt spiegelt die Beziehung zweier Söhne zu deren Vätern wider. Beide werden von ihren Vätern nicht akzeptiert, denn der eine fühlt sich als Drag Queen, der andere junge Mann möchte nicht die Schuhfabrik seines Vaters übernehmen. Um seinen Vater nicht gänzlich zu enttäuschen, übernimmt er die Fabrik und beginnt ein neues Unternehmenskonzept: er produziert mit Hilfe der Show-Diva Lola Schuhe für Drag Queens. Stage Entertainment wollte von dem immensen Erfolg profitieren und holte das Erfolgsmusical in die deutsche Musicalstadt Hamburg. Dort lief es von Dezember 2017 bis September 2018, jedoch ohne großen Erfolg. „Ganz so massentauglich, wie wir es als Thema angenommen haben, noch dazu am ohnehin von Glitzer und Drag nicht armen Reeperbahn Strip in Hamburg, ist das Thema in Deutschland doch nicht. Wir haben es nicht geschafft, dieses Musical mit so vielen Gästen zu füllen, wie viele andere konventionellere Stücke“, so Stephan Jaekel, Director Communications von „Stage Entertainment“. Jaekel erläuterte, dass die eigenen kommerziellen Ziele von „Stage Entertainment“ nicht erreicht wurden, jedoch sei es ein gesellschaftspolitischer Erfolg, wenn die ZuschauerInnen nach drei Stunden ein klein wenig toleranter

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lich auch gereizt haben an der ganzen Geschichte.“ Ob „RuPaul’s Drag Race Germany“ seinen Weg in die deutschsprachigen Wohnzimmer bahnen wird, ist ungewiss. Taç Romey glaubt weiterhin an den möglichen Erfolg der Show im deutschsprachigen Raum. Die Rechte habe mittlerweile jemand anderer, so Romey: „Wir waren, wie ich es so oft erlebt habe, einfach zu früh mit dem Stoff. Ich wünsche den Machern Erfolg und hoffentlich stoßen sie auf offene Ohren bei den Sendern oder Plattformen, dass es ihnen gelingt.“


das Musical-Theater verlassen. „Stage Entertainment“ ist der erfolgreichste Betreiber von Bühnenproduktionen in Deutschland und gehört zu dem gleichnamigen internationalen Konzern. Der Aufgabenbereich umfasst die Vermarktung, die Produktion und Entwicklung von Stücken im Unterhaltungstheater, sowie das Betreiben von eigenen Theaterhäusern mit insgesamt 1.700 MitarbeiterInnen in Deutschland. Das Stück „Kinky Boots“ erreichte 250.000 ZuschauerInnen, im Vergleich dazu begrüßte das Musical „König der Löwen“ bis 800.000 Gäste; seit 2001 haben bereits mehr als 13 Millionen Menschen das Ausnahmemusical in Hamburg gesehen. Die, die das Drag-Musical besuchten zeigten sich jedoch fasziniert. Eine Bewertung, die auf der Skala 5,0 von 5,0 zeigt, stellt alle von „Stage“ in den letzten Jahren gezeigten Musicals in den Schatten. Trotzdem ist die Idee des Stücks in der Gesellschaft nicht so angenommen worden wie erhofft, so Jaekel: „Es wirkt nicht so, als wäre Drag in der Mitte der Gesellschaft angekommen.“ Auch seitens von „Hubert Burda Media“ erfuhr Stage Entertainment einen Dämpfer. So plante der Musicalproduzent und -veranstalter einen musikalischen Showbeitrag von „Kinky Boots“, passend zu einem möglichen Sonderpreis für Cindy Lauper bei der Bambi-Preisverleihung 2017. Die Idee erfuhr von jeder Instanz Ablehnung, bis eine eindeutige Antwort vom „Burda“-Verlagschef höchstpersönlich kam: „Herr Jaekel, das ist uns zu schwul, das ist uns zu jenseits der Gesellschaft, damit gefährde ich die Quote, sowas zeig’ ich nicht.“ Trotz des negativen Gegenwinds steht „Stage“ weiterhin zu der Botschaft des Stücks und stellt

Überlegungen an, ob die Show auf Tour durch Deutschland, Österreich und die Schweiz gehen soll. Gesellschaftlich umstritten Wie sich der wachsende Drag-Content auf die Gesellschaft ausgewirkt hat, lässt sich nicht klar beantworten. Auch die ExpertInnen sind sich uneinig. Taç Romey sieht eine steigende Akzeptanz vor allem bei jungen Menschen, andererseits merke man in der Gesellschaft auch einen „weltweiten Ruck Richtung Konservatismus“, sodass auch LGBTs unterdrückt werden – die Entwicklungen gingen komplett konträr: „Je mehr Akzeptanz da ist, desto größere Reaktionen scheint diese Aktion auszulösen, was ich mit Bedauern weltweit beobachte.“ Musicals mit Drag-Inhalten begeisterten das Publikum, konnten jedoch anscheinend die Gesellschaft nicht nachhaltig mitreißen. „Wir haben es nur teilweise geschafft“, resümiert Jaekel. Einer anderen gelingt es jedoch sehr wohl. „Ich glaube, es ist gerade eine Zeit, in der genau das Thema Drag mit all seinen Facetten und Hintergründen sehr spannend für die Gesellschaft ist. Natürlich hat es auch etwas damit zu tun, was in der breiten Masse noch nicht vollkommen abgelutscht ist.“ Denn, so die Gallionsfigur der Drag-Szene Tamara Mascara pointiert: „Heute kannst du deinen Punk Style komplett bei H&M shoppen, schwul zu sein ist so gut wie normal, Drag Queens sind irgendwie noch geheimnisvoll und faszinierend“. Droht uns Biedermeier als neuer Punk? von Nicolas Hofbauer

Drag Queens als Content Trend

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Kinderfilme als Geburtsstätten von Stereotypen Sie sind entweder die schlanken Prinzessinnen mit den langen Haaren, die darauf warten von ihren Prinzen gerettet zu werden, oder die tollkühnen Helden, deren Mut sie Unglaubliches tun lässt: die Vorbilder in Kinderfilmen. Wie weibliche und männliche Charaktere dargestellt werden und wie dies durch Kinder wahrgenommen wird, erläutert SUMO im Interview mit Raphaela Kohout vom Verein jugendkulturforschung.de und Wolfgang B. Ruge, Experte für Medienpädagogik.

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Die Prinzessinnen-Filme von Disney werden in 3 Abschnitte eingeteilt: die klassische Ära (1937-1959), die Renaissance-Ära (1989-1999) und die Neuzeit-Ära (ab 2009). In einer quantitativen Studie von Carmen Fought (Pitzer College, Kalifornien) und Karen Eisenhauer (North Carolina State University) aus dem Jahr 2016 wurden diese Filme linguistisch auf ihre Geschlechterdarstellungen und historischen Unterschiede hin analysiert. Obwohl bei allen Filmen der Neuzeit-Ära die HauptprotagonistInnen weiblich sind, ist der Großteil der Charaktere männlich. Weiters wurde festgestellt, dass Frauen in den Filmen überwiegend Komplimente für ihr Aussehen, aber nicht etwa für ihre Stärken oder herausragenden Eigenschaften bekommen. „Weibliche Filmfiguren werden heutzutage noch lange nicht so vielfältig dargestellt, wie es bei männlichen der Fall ist“, erläutert Raphaela Kohout, Soziologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin bei jugendkulturforschung. de. Ginge es um männliche Darsteller, so würden diesen oftmals eine breite Palette an heldenhaften Charaktereigenschaften zugeschrieben, während sich die weiblichen Heldinnen immer mehr mit der Rolle in einer Romanze abfinden müssen. Dies lässt sich auch durch die Ergebnisse einer Studie von Fought und Eisenhauer aus dem Jahr 2011 („Gender Role Portrayal and the Disney Princesses“) bestätigen. Doch man dürfe auch Disney-Filme nicht als die alleinigen „Bösen“ darstellen, da es auch hier schon Tendenzen gegen diese typischen „Disney-Stereotype“ gebe. Der Film „Mulan“ etwa stellt die Hauptfigur als eine mutige Kämpferin dar, deren Handlungsdrang und Hauptaugenmerk nicht durch eine Liebesgeschichte geprägt wird. Eine weitere Erkenntnis betrifft die Darstellung von HeldInnen und AntiheldInnen in Disney-Filmen. Während die HeldInnen, egal welches Geschlechts, immer als schön und begehrenswert beschrieben werden, sind die AntiheldInnen oftmals hässlich re-

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präsentiert. Für Raphaela Kohout ist dies ein zwiespältiges Thema: „Solche Darstellungen helfen den Kindern, zwischen ‚Gut’ und ‚Böse’ zu unterscheiden. Gut steht für schön, während hässlich mit Böse assoziiert wird. Jedoch gibt es in der Realität weit mehr Kriterien, welche über Gut und Böse entscheiden als das Aussehen.“ Auch was die Berufe der Charaktere betrifft, gebe es Unterschiede. So würden die Erwerbstätigkeiten der männlichen Charaktere viel ausführlicher dargestellt, während die Berufe der weiblichen Darsteller kaum genannt würden. „Die Genderrollen und Stereotype sind heutzutage anders als in den 50er- und 60er-Jahren. Der sorgende Hausmann und die erfolgreiche Karrierefrau sind hierbei relativ neu.“ Filme seien laut Wolfgang B. Ruge, der sich in seinem Dissertationsprojekt mit Bildungspotenzialen im Kinderfilm auseinandersetzt, der Zeit voraus und könnten schnell die gesellschaftlichen Genderrollen widerspiegeln. Gehe es um die Charaktere, ist sich Ruge sicher, dass Hauptcharaktere immer etwas schematisch gezeigt würden, daher neigten sie auch dazu Stereotype abzubilden. Die Begründung hierfür findet er in der Dauer des Filmes. Da dessen Handlung in rund eineinhalb Stunden abgeschlossen sei, ginge es nicht, die Rollen so vielfältig und komplex zu gestalten, wie es zum Beispiel bei Serien möglich sei. Bei Familienbildern werde jedoch nicht immer nur der „Standard“ gezeigt, in klassischen Märchen und Kinderfilmen würden Scheidungen und Patchwork-Familien thematisiert. Auf der Suche nach Vorbildern Besonders für Kinder bieten die für ihre Altersgruppen ausgerichteten Filme ein hohes Potenzial, Identifikationsrollen zu erzeugen. „Kinder probieren sich in den Rollen aus, die sie sehen und wollen das Geschlecht, mit dem sie sich selber identifizieren, so verkörpern, wie es ihnen übermittelt wird“, so Kohout. Da Kinderfilme einen wichtigen Teil für die Moralbildung ihrer Zielgruppe dar-

Kinderfilme als Geburtsstätten von Stereotypen Thema


stellen, wäre es wichtig, reale Bilder auf den Leinwänden zu sehen, bei denen die Charaktere vielfältiger präsentiert werden, und nicht nur in Form von Stereotypen. Jedoch könne man Kinderfilme nicht als einzigen Maßstab nehmen, wenn es um Vorbilder geht. „Kinderfilme können die Richtung vorgeben, sind jedoch nicht die alleinige Orientierung, denn sie spiegeln Gesellschaften wider“, so Wolfgang B. Ruge. Dies sehe man daran, wie Frauen in unserer Gesellschaft als die „Sozialen“ dargestellt werden, Männer als die Techniker. Raphaela Kohout Copyright: Elisabeth Hornberger

Die Produktion von Stereotypen Es wäre also falsch zu sagen, dass Kinderfilme der Ursprung von Stereotypen sind. Doch auch Spielzeughersteller gehen gezielter als früher bei der Differenzierung vor und dies wirke sich auch auf die Medienwelt aus. „Wenn man heute in ein Spielzeuggeschäft geht, ist klar gekennzeichnet, was für Mädchen und was für Buben gedacht ist. Selbst Lego hat nun eine eigene Reihe für Mädchen kreiert“, konstatiert Raphaela Kohout. Da sie besonders bei Mädchenspielzeug bemerke, wie Spielzeuge auf Mädchen ausgerichtet sind, nämlich auf „Haushalt führen“ und „sich hübsch herzurichten“, sieht sie Parallelen zu Kinderfilmen. „Mädchen bekommen vorwiegend Pflegeaufgaben vorgeschrieben. In Filmen sieht man oftmals die fürsorgliche Mutter, die ihren Alltag im Haushalt bestreitet. Dies wird wiederum auf den weiblichen Nachwuchs übergetragen“. Wolfgang B. Ruge sieht auch noch andere Faktoren, die die Bildung typischer Geschlechterrollen beeinflussen: „Einer davon ist alles, was Medien betrifft, zum Beispiel Film oder ‚YouTube’-Stars. Was typische Geschlechterrollen sind, wird durch die große Anzahl an medialen Angeboten geprägt.“ Da Medien überwiegend kommerzielle Angebote sind, schaffe Werbung einen Bedarf, der eigentlich nicht existiere. Es scheint erfolgreicher zu sein, genderspezifische Angebote zu schaffen als genderneutrale. Film und Medien generell spiegeln nur die Vorstellungen und Wahrnehmungen der Gesellschaft wider und wollen diese als Tatsachen repräsentieren. „In unserer Gesellschaft wird viel von Kindern und Jugendlichen erwartet. Das Mädchen soll die Rolle der selbstbewussten Frau schon früh an sich nehmen und Buben müssen stark sein“, erläutert Raphaela Kohout. Sie schließt mit einer provokanten These: Am besten wäre es, schon im Kindergartenalter jedem Geschlecht Klischees vom anderen Geschlecht zu übertragen. Was ist gegen blau gekleidete Technikerinnen zu sagen? von Stefanie Brandstetter

Wolfgang B. Ruge Copyright: privat

Kinderfilme als Geburtsstätten von Stereotypen Thema

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Superheldinnen in Film und Comic als Ausnahme der Norm Warum sehen wir in Filmen kaum Superheldinnen? SUMO diskutierte darüber mit der Comic-, Medien-und Gender-Forscherin Véronique Sina (Universität zu Köln) und mit einem weiblichen Fan. Krach. Der Hubschrauber fliegt gegen eine Stromleitung und stürzt in die Tiefe. Die Frau fällt aus dem Hubschrauber. Sie schafft es noch, sich mit all ihren Kräften an den Kufen festzuhalten. Ihre Füße baumeln in der Luft, ihr Griff wird immer schwächer, sie kann sich nicht mehr halten, sie gibt der Schwerkraft nach, sie fällt. Wie aus dem Nichts fliegt ihr „Superman“ entgegen und bewahrt sie vor dem sicheren Tod. Lena (23, Name geändert) zuckt zusammen und atmet dann erleichtert auf. Ein Grinsen macht sich auf ihrem Gesicht breit. „Eine meiner Lieblingsszenen von allen Superhelden-Filmen“, schwärmt sie, als wir uns gerade die Schlüsselszene von „Superman the Movie“ aus dem 1978 ansehen. Der Raum ist dunkel, es riecht nach Popcorn, die einzige Lichtquelle ist der Fernseher, aus dem uns ein perfekt gestylter Mann mit blauen Augen, rotem Cape und ausgestreckten Händen entgegenfliegt. Superman. Der Mann als Retter, die Frau als Opfer.

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Vom Stillstand zur Bewegung Comics und Filme weisen einige Gemeinsamkeiten auf. Aus dem Artikel „Comics Journalism“ von Florian Hohmann und Filiz Erkal geht hervor, dass sowohl der Comic als auch der Film vereint sind unter dem Begriff „Sequenzielle Kunst“, den der Comic-Künstler Will Eisner geprägt hat. Denn für beide

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Thema Superheldinnen in Film und Comic als Ausnahme der Norm

Medien sind Sequenzen konstitutiv, die durch das Prinzip der Induktion verbunden werden. Ein Comic besteht nicht nur aus einem Bild wie ein Cartoon oder eine Karikatur, sondern aus einer Aneinanderreihung von Bildern, die eine gewisse Zeitspanne beschreiben sollen. Die besagte Induktion bei Comics ist der Prozess der Wissensproduktion der LeserInnen, die den Leerraum zwischen den Bildern auf Basis ihres Vorwissens füllen. Wolfgang B. Ruge und Christian Swertzerklären in ihrem Aufsatz „Film“ (Sammelband „Grundbegriffe Medienpädagogik“), dass der Film aus einer Aneinanderreihung von Einzelbildern besteht, der aus 16 bzw. 24 Bilder pro Sekunde wiedergegeben wird. Beim Film kann unter Induktion folgendes verstanden werden: Es werden verschiedene Szenen nacheinander abgespielt und der/die ZuseherIn erkennt die Nachricht, die die/der Filmschaffende übermitteln möchte; z.B. ein Messer, eine schreiende Frau und Blut bedeuten, dass ein Mord begangen wurde. Wie kommt man nun vom Comic zum Film? Schon seit geraumer Zeit werden literarische Werke filmisch adaptiert. Mit „The Green Hornet“ wurde der erste Comic in die gleichnamige Film-Serie transferiert. Seitdem wurden unzählige Superhelden-Filme und -Serien auf Basis von Comics geschaffen.


Faszination Superheld „Ich habe immer schon Superhelden-Filme geschaut. Als ich kleiner war, durfte ich immer heimlich länger munter bleiben und mit meinem Papa solche Filme gucken. Mama wusste nie etwas davon. Da bin ich mir selbst wie einekleine Superheldin vorgekommen. Und heute mag ich sie natürlich auch noch immer und ich werde sie sicher weiterhin schauen“, erzählt Lena. Auf die Frage, ob diese Filme nicht nur etwas für Kinder sind: „Nein, sind sie nicht. Die meisten Superhelden-Filme,die ich gesehen habe, sind viel zu brutal und beschäftigen sich mit Themen, mit denen Kinder nichts anfangen können.“ Denn ursprünglich waren Comics für Kinder gedacht. Robin S. Rosenberg konstatiert in „Our Superheroes, Ourselves“, dass erst mit dem Film„Superman“ alle Altersgruppen angesprochen wurden. Eine Frau oder ein Mann in einem bunten Kostüm? Da stellt sich die Frage, warum sowohl Kinder als auch Erwachsene sich solche Filme ansehen bzw. die Comics lesen. Laut Véronique Sina sei das Superhelden-Genre zwar sehr speziell, aber es bringe eine sehr große Vielfalt mit sich. Es besitze eine hohe Spannbreite, um die verschiedensten Altersgruppen zu erreichen. Allerdings gebe es auch Comics, die sich primär an eine erwachsene Leserinnenschaft richten, wie z.B. „Watchman“. Auch Superhelden-Filme werden oft und gerne von Erwachsenen rezipiert. Diese wecken oft ein Nostalgiegefühl bei Menschen, die diese Filme und Comics schon im jungen Alter rezipiert hatten. Wenn sie im Kino gesehen werden, ist der Film die einzige Konzentrationsquelle, daher kann die Fantasiewelt der Kindheit wieder erlebt werden.Weiters sind alle Superhelden-Filme immer ähnlich, und es ist irrelevant, wie die

Handlung verläuft, die ZuseherInnen wissen, dass der Superheld wieder alles in Ordnung bringt. Natürlich passen sich die Qualität des Films und auch die Charakteristika der HeldInnen auch an die Zeit an, sodass diese realistischer wirken. Damit sich jede Person aus dem Publikum mit einer Superheldenfigur identifizieren kann, wurden extrem viele erschaffen, die unterschiedliche geschichtliche Hintergründe und moralische Ansichten haben. Sexappeal statt Köpfchen „Ein starker, muskulöser, gutaussehender Mann, der irgendeine Art übernatürliche Kraft hat“, schwärmt Lena auf die Frage, wiedenn ein typischer Superheld aussehe. „Warum denn nicht weiblich? Es gibt auch weibliche Superhelden“, hake ich nach. „Naja, weil du nach dem typischen Helden gefragt hast und der ist nun mal männlich, machen wir uns nichts vor“, antwortet sie und sie hat Recht. Weibliche Superhelden sind die Ausnahme statt der Norm. In welchen Rollen ist dann die Frau zu finden? Laut einer Studie von Hillary Pennell und Elizabeth Behm-Morawitz („The Empowering (Super) Heroine? The Effects of Sexualized Female Characters in Superhero Films on Women“) werden Frauen –unabhängig von ihrer Rolle –in Filmen meist extrem sexualisiert dargestellt. Sogar in jugendfreien Filmen und Serien steht bei Frauen die Sexualisierung durch ihre oft kurvigen Figuren und aufreizende Kleidung weiter im Vordergrund als deren Charakter. Véronique Sina konstatiert im Gespräch mit SUMO, dass sich diese Aussage auch auf Comics übertragen lasse. Denn Comicsseien schon über einen langen Zeitraum auf dem Markt und im Laufe der Jahre hätten sich die Rollen durch die verschiedenen Zeich-

nerInnen und AutorInnen durchaus verändert. Zu den typischen weiblichen Rollen zählen laut Sina Nebenrollen wie z.B. das Opferoder die Schurkin,und die Liebesbeziehung. Wobei man zwischen der verführerischen Frau, die Gefahr mit sich bringt oder der potentiellen Geliebten unterscheiden müsse. Letzteretreffe man häufig in Comics an, denn der scheinbar unnahbare Superheld würde durch die Beziehung zu einer Frau zwar einerseits verwundbarer, gleichzeitig aber auch menschlicher werden. Darüber hinaus liefert das weibliche Opfer, welches immer wieder aus lebensbedrohlichen Situationen gerettet werden muss, einen wichtige Motivator für die serielle Narration. „Wonder Woman“ lebt! Es begann wie bei fast allen Superhelden-Filmen mit einer Comicvorlage. „Wonder Woman“ ist eine Amazonenprinzessin, die unter Frauen auf der Insel Themyscira aufgewachsen ist und in der Zivilisation für Gerechtigkeit kämpft. Im Artikel „the new wonderwoman“ von Cory Albertson geht hervor, dass sie die älteste Superheldin und eine der ältesten SuperheldInnen allgemein ist. 1941 wurde sie von dem Psychologen William Moulton Marston ins Leben gerufen. Als „stark wie Herkules“, „weise wie Athene“ und „schön wie Aphrodite“ wird sie im Comic beschrieben. Sie stand schon immer für starke, freie und mutige Weiblichkeit. In den Comics wurde besonders durch Symbole wie Fesseln oder Schlägen die ungleiche Behandlung von Frauen und Männern in der Gesellschaft ausgedrückt. Die Szenen nahmen allerdings überhand, sodass der Co-Autor Marston eine Nachricht schicken musste, in der er bat, die Fesselszenen um 5070% zu reduzieren. In den 1990er-Jah-

Der fliegende Star Ihrer Veranstaltung!39 Superheldinnen in Film und Comic als Ausnahme derThema Norm


ren jedoch hatte „Wonder Woman“ laut Sina eine große Oberweite, lange Beine und eine schmale Taille. Daraus wird ersichtlich, dass die ZeichnerInnen die Darstellungsformen, wie zuvor erwähnt, oft geändert haben. Ihre ersten richtigen Filmauftrittehatte sie in „Batman vs. Superman –Dawn of Justice“ (2016), ehe sie 2017 ihren eigenen Film bekam. Es hätte ewig gedauert, bis endlich eine weibliche Protagonistin einen eigenen Blockbuster bekommen hat, obwohl der Comic gleich erfolgreich war wie Batmanund Co., erklärt Sina. Nicht nur die Figur „Wonder Woman“ selbst zeigt, dass Frauen mindestens genauso viel auf dem Kasten haben wie Männer, sondern auch hinter der Kamera hält das erste Mal eine Frau –Patty Jenkins –das Ruder bei der Verfilmung einer Comicadaption. Für Sina spiegeln sich im Film die klassischen „Wonder Woman“-Comics des Golden Ageswider. Denn die Protagonistin trete für Liebe und Empathie ein, was wiederum stereotypische weibliche Eigenschaften seien. Außerdem möchte sie alle Menschen zum Guten bekehren und zu besseren Menschen machen, was dieses Statement wiederum unterstreicht. Weiters meint Sina, dass „Wonder Woman“ den typischen Schönheitsidealen entspreche, kurze Kleidung und sogar hohe Absätze trage. „Es gibt keinen Grund, warum diese Amazonenprinzessin Absätze braucht, aber sie trägt sie trotzdem“, stellt sie fest.

klischees aufgegriffen, die in unserer Gesellschaft schon ewig kursieren.“ Das Bild „Mann tritt eine Heldenreise an und wird mit Liebe von Frau belohnt“ gebe es schon seit Odysseus. Außerdem werde dem Zielpublikum auch immer das Gleiche vorgesetzt, so hätte es auch keine Chance,sich etwas anderes zu wünschen. Doch wie reagieren Männer darauf, wenn plötzlich eine Frau als Superheldin im Mittelpunkt steht? Es wird von den Produzenten natürlich erhofft, dass auch das männliche Publikum mit dem Film „Wonder Woman“ erreicht wird, weil sie hübsch anzusehen ist. Sina erklärt an dem Beispiel „Ghost Busters“, dass es nach dem Kinostart negative Kritiken hagelte, denn männliche Fans meinten, dass ihnen ihre Kindheitshelden genommen wurden. Das kippe ganzschnell in eine antifeministische Haltung, die gefährlich sein könne. Auch in der Comic-Kultur ist das schon lange gang und gebe. Wenn Zeichnerinnen gewisse Dinge ändern oder neue weibliche Charaktere hinzufügen, werden sie dafür oft von ihren Lesern angefeindet. Trotzdem konnte „Wonder Woman“ überzeugen und ProduzentInnen in Hollywood sahen, dass auch Filme mit Frauen in der Hauptrolle hervorragend beim Publikum ankommen. Nicht zuletzt deshalb wurde „Captain Marvel“ mit einer Superheldin an vorderster Front gedreht, im März 2019 soll er Premiere feiern –und Zuseher wie Zuseherinnen anlocken.

Das Publikum sagt... Auch Lena war eine der begeisterten Fans, die sich um eine Kartefür die Kinopremiere bemühten. Mit drei anderen FreundInnen sah sie sich im Juni 2017 den Film an und wurde in ihren Erwartungen nicht enttäuscht. Sie erinnert sich: „Ich bin immer noch begeistert. Der Film war super. Nachdem ich diesen Film gesehen habe, dachte ich, dass ich einfach alles machen kann.“ Das Publikum von Superhelden-Comics und -Filmen besteht jedoch zum größten Teil aus männlichen Zuschauern. Dies ist ein Grund, warum Superhelden männlich sind und Frauen so schön wie möglich dargestellt werden. Allerdings sei das nicht der Hauptgrund, so Sina. „Es werden Stereotype und Darstellungs-

von Kristina Wagner

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Thema Superheldinnen in Film und Comic als Ausnahme der Norm


Geschlechterbilder religiöser Printmedien Religion gilt oft als konservativ – so auch religiöse Medien. SUMO blickt hinter dieses Klischee und interviewte Matthäus Fellinger, Chefredakteur der „Kirchen Zeitung”, und Christine Haiden, Chefredakteurin der Monatszeitschrift „Welt der Frauen”. „Religion ist veraltet“, lautet eine vor allem bei jungen Menschen weit verbreitete Ansicht. Mit „veraltet“ ist hierbei auch das Geschlechterverhältnis gemeint. Ob mangelnder Gleichberechtigung könnte man oberflächlichauch darauf schließen, dass religiöse oder von religiösen Institutionen herausgegebene Medien der Frau weniger Beachtung schenken als dem Mann. Rolle der Frau in der Religionsgeschichte Um sich diesem Thema fundiert zu nähern, ist ein Blick auf genderbasierte Analysen von Religion unerlässlich. Laut dem „Handbuch Religionssoziologie“ (Pollack et al. 2018) seien Religionen in ihren Ansichten lange Zeit als unantastbare Ideale gehalten worden, dementsprechend wurde auch die Geschlechterungleichheit in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens durchgesetzt. Das typische Bild der Frau bis etwa

1800 sei von Ehe und Haushalt geprägt geworden, bevor die Geschlechterungleichheit neu gerahmt wurde. Frauen versuchten sich religiös zu engagieren und suchten in der Religion nach Erfüllung neben dem Haushalt. So entstanden im 19. Jahrhundert religiöse Frauenbewegungen, man spreche gar von der Feminisierung von Religion. Gleichzeitig jedoch setzte der Bedeutungsrückgang der Religion ein. Frauen stellten sogar weltweit die Mehrheit in Missionsbewegungen, aber die Kirche wurde dadurch nicht weiblicher. Es bildete sich vielmehr ein Ort maskuliner Domäne. Auch wenn mehr Frauen mitwirkten als zuvor, blieben ihnen Machtpositionen verwehrt, teilweise sogar bis heute. Im 20. Jahrhundert forderten Frauen den Zugang zu religiöser Bildung und auch berufliche Teilhabe in der Religionsgemeinschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in der katholischen Kirche die Debatte zur geschlechtlichen Teilung in der kirch-

lichen Organisation erneut entfacht, wodurch Frauen Zugang zu gewissen geistlichen Ämtern gewährt wurde. Im evangelischen Kontext sei man einen Schritt voraus, hier sind Frauen den Männern auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens gleichgestellt. Der Wandel religiöser Geschlechterverhältnisse werde allerdings noch unterschätzt, da einerseits die Geschlechterforschung die Religion ausklammere und die Religionssoziologie die Geschlechterforschung ausblende. Durch religiöse Symbolisierung und kulturelle Bräuche sei ein sehr konservatives Geschlechterbild trotzdem noch in den Köpfen vieler BürgerInnen. Laut M. J. Neitz könne Religion aber nur verstanden werden, wenn man sie als orts-und zeitabhängig betrachte. Die geschlechtlichen Ansichten in der Religion variieren also.

Was zählt, sind die Menschen.

Entweder, oder? Ich will alles. Johannes, 24 Jahre Teile deinen persönlichen #glaubandich Moment auf:

Geschlechterbilder regligiöser Printmedien

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Vielfalt der religiösen Medien Mindestens so vielfältig wie die Ansichten sind, sind es auch die religiösen Medien in Österreich. Angefangen beim ORF, der durch einen gesetzlichen Auftrag über eine eigene „Hauptabteilung Religion“ sowohl im Radio als auch Fernsehen verfügt, zeigt sich bereits der nach wie vor hohe Stellenwert von Religion im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Es gibt regelmäßige Religionssendungen in Radio und TV, auch eine Vielzahl von Gottesdiensten wird übertragen. Neben dem ORF veröffentlichen auch eine große Menge an katholischen Medien Beiträge. Neben vielen Zeitungen und Zeitschriften verbreiten auch die beiden freien Radiosender „radio klassik Stephansdom“ und „Radio Maria“ den christlichen Glauben. Auch andere Religionen publizieren Printmedien in Österreich, wie das jüdische Stadtmagazin „wina“ oder „Der Wachtturm“ und „Erwachet!“ der Zeugen Jehovas zeigen. „KirchenZeitung“ und ihre Geschlechterbilder Jedes Bundesland verfügt über eine eigene katholische Diözese, die jeweils eine wöchentlich erscheinende Kirchenzeitung publiziert. Matthäus Fellinger, Chefredakteur der „KirchenZeitung“ der Diözese Linz, gibt SUMO einen Einblick in die Geschlechterstruktur der auflagenmäßig zweitstärksten Kirchenzeitung Österreichs. Laut Fellinger gab es früher eine Art von Ressort, das speziell Frauen gewidmet war, aber nun versuche man als gendergerechte Zeitung in allen Themen die Anliegen beider Geschlechter zum Ausdruck zu bringen. „Ich möchte jetzt nicht behaupten, dass wir da besonders gut sind, denn wir sind nach wie vor ein Abbild der Realität“. Durch die geringe Zahl an Frauen in verantwortlichen Positionen sei die katholische Kirche einfach zu männerlastig. Dieses Problem sei ein wechselwirkendes. „Die Weltkirche ist [bei den Ämtern] noch nicht mutig ge-

Christine Haiden Copyright: Alexandra Grill

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nug. Wenn aber Beiträge auftreten, die dies einmahnen, sind die Widersprecher unter Frauen und Männern gleich zu finden“, meint Fellinger. Das geschlechtliche Gleichgewicht in der Redaktion sei auch ein wichtiges Anliegen der „KirchenZeitung“: „In der Redaktion sind wir drei Männer und drei Frauen. Wenn eine Frau ausscheidet, wird versucht, die Position wieder mit einer Frau zu besetzen, da dies enorm wichtig für die Blickwinkel einer Zeitung ist“. „Welt der Frauen“ in einer Zeit der Emanzipation Die katholische Zeitschriftenlandschaft in Österreich verfügt über eine enorme Vielfalt. Neben unterschiedlichsten Kultur-, Ordens-oder Missionszeitschriften sticht das Magazin „Welt der Frauen“, herausgegeben von der katholischen Frauenbewegung (kfb), hervor mit einer Auflage von rund 50.000 Exemplaren. Chefredakteurin Christine Haiden beantwortet SUMO Fragen zum Umgang mit Geschlechterdifferenzen. Das Monatsmagazin versuche Frauen als „eigenständige, selbstbestimmte Menschen zu sehen, die sich nicht in Abhängigkeit von jemand anderen definieren“. Die „Welt der Frauen“ fokussierte zwar schon immer Frauen, aber die Frau durfte den Titel des Magazins erst seit 1964 schmücken. Gegründet 1946 als „Licht des Lebens“ sollten Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg „aus einem kirchlichen Milieu heraus zu den Trägerinnen einer neuen Wertewelt gemacht werden“, erklärt Haiden. Als Erzieherinnen der nächsten Generationen seien neue Werte abseits des Zerstörerischen essentiell gewesen. „In den 1960er Jahren sind die Frauen mehr ins gesellschaftliche Leben integriert worden, weshalb die Umbenennung auf ‚Welt der Frau‘ geschah. Die Frauen begannen sehr stark mit einer eigenen Entwicklung, auch in der Religion“, führt die Chefredakteurin aus. Das katholische Milieu habe sich jedoch sehr spät mit diesen Fragen

Matthäus Fellinger Copyright: KirchenZeitung - Franz Litzlbauer


auseinandergesetzt, da es zu patriarchalisch geprägt war. Die 2018 erfolgte Umbenennung auf „Welt der Frauen“ solle die Abgrenzung von Frauen in einer eigenen Welt nicht mehr länger suggerieren. „Durch die Emanzipation ist die Rollenvielfalt von Frauen sehr groß geworden, weshalb den Frauen nun ganz viele Welten offen stehen und das wollten wir mit dem Titel auch vermitteln“, so Haiden. Beim Umgang mit sensiblen Themen im Bereich der Geschlechterungleichheit sei die „Welt der Frauen“ ein Sprachrohr für Frauen: „Unser erster Zugang ist, dass die Frauen für sich selbst sprechen können. Unsere Aufgabe ist noch Unbekanntes, das vielleicht emotional noch Abwehr auslöst, zu erzählen.“ Das Ziel sei auch, zögerliche Frauen zu motivieren, etwas zu tun. Die „Welt der Frauen“ werde auch von Männern gelesen, der Anteil betrage rund 25% der LeserInnen. Hass empfinge die Welt der Frauen kaum, Kritik sei „immer innerhalb des normalen Diskussionsrahmen“. Ausgang der Genderdebatte Christine Haiden sieht die Genderthematik in der Medienlandschaft Österreichs nicht allzu problematisch. „Wie ich das einschätze, ist die Reflexion über das Genderthema in Medienbereichen nicht größer wie sonst irgendwo. Es gibt bei vielen Männern eine massive emotionale Abwehr gegen dieses Thema, da Feminismus oft attackierend gesehen wird. Es ist bei den meisten nicht im Bewusstsein, dass es auch um die eigene Rollenfrage geht. Es wird durch Pressure Groups zu sehr vom Genderwahn gesprochen, weshalb das Thema für viele ein NoGo ist“, stellt Haiden ihre Sicht dar. Sie sieht jedoch eine positive Zukunft: „Es gab noch keine emanzipatorische Bewegung in der Geschichte, in der die bedrohte Mehrheit nicht gegen Veränderung angekämpft hat.“ Es werde also oft das eigentliche Ziel dieser Debatten verfehlt. Auch religiöse Printmedien stehen in der Genderfrage mitten im kirchlichen Veränderungsprozess, sie sind ein Teil dieses Prozesses. Aber die Religionsgemeinschaften selbst entwickeln sich mit den aktuellen Veränderungen, erklärt Fellinger: „Veränderung ist immer wichtig. Wo keine Veränderung ist, ist kein Leben. Wenn die Kirche im Lebensprozess der Menschen eine Rolle spielen möchte, muss sie sich mitverändern“.

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von Jan Müllner

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Sexualisierte Darstellung von Frauen in der bildenden Kunst Ein Fall von #MeToo? Im Zuge der #MeToo-Bewegung wird auch die bildende Kunst häufig als sexistisch kritisiert. SUMO sprach darüber mit Gabriele Schor, Gründungsdirektorin der SAMMLUNG VERBUND, und Hanno Rauterberg, Kunstkritiker der deutschen Wochenzeitung „DIE ZEIT“.

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Seitdem Menschen Kunst schaffen, wird über den Umgang mit Sexualität in ihrer Darstellung diskutiert. Beispiele für Eingriffe in bildnerische Manifestationen gab und gibt es viele, über alle Zeiten und Kulturen. Im Oktober 2017 begann mit einem „Twitter“-Post der Schauspielerin Alyssa Milano die #MeToo-Bewegung. Nicht erst, aber vermehrt anlässlich dieser Initiative wurde die Aufmerksamkeit auf die Opfer sexueller Übergriffe und Gewalt auch in der Kunstwelt gelegt, sowie auf sexuelle Inhalte. Sexistische Kunstwerke können nicht mehr vorwurfsfrei betrachtet werden. Die Kritik daran, dass Frauen in der bildenden Kunst oft sexualisiert dargestellt werden, ist keine neue. Die Guerilla Girls, eine Gruppe feministisch aktivistischer Künstlerinnen, machten bereits vor 30 Jahren mit ihrer Aktion „Do Women Have To Be Naked To Get Into The Metropolitan Museum?“ darauf aufmerksam, dass nur 5% jener KünstlerInnen, deren Werkein der Modern Art-Abteilung des New Yorker Renommee-Museums ausgestellt wurden, Frauen sind, während 85% der Nackten weiblich sind. Auch Hanno Rauterberg, promovierter Kunsthistoriker, sagt: „Die Diskussion war schon einmal viel weiter. Und es ist beschämend, wie wenig die Museen und Kunsthallen aus den Protesten der siebziger und achtziger Jahre gelernt haben.“ Umso erfreulicher sei es nun, dass durch die #MeToo-Bewegung das öffentliche Bewusstsein für Sexismus in der Kunst wieder geschärft werde. Endlich könne wieder über solche Fragen mit einem breiten Publikum diskutiert werden, weil die Sensibilität insgesamt gewachsen sei. Wie diese Diskussion rund um diverse Bilder in Taten umgesetzt werden kann, ist umstritten. Häufig wird in diesem Zusammenhang von Zensur gesprochen – und ebenso gehandelt. „Hylas und die Nymphen“ In der Manchester Art Gallery wurde zu Beginn des Jahres 2018 das 1896 entstandene Gemälde „Hylas und die Nymphen“ von John William Waterhouse abgehängt. Das Bild stellt eine Szene aus

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der antiken Mythologie dar, in der ein junger Mann von mehreren nackten Nymphen in einen Teich und sodann in den Tod gelockt wird. Das Gemälde stelle den Körper der Frau als passive, dekorative Form dar, so die Kuratorin Clare Gannaway. Bei der Aktion handelte es sich jedoch nicht – wie viele vorschnell urteilten –um Zensur. Eher ging es dem Museum dabei um den performativen Akt: Das Bild wurde nur für eine kurze Zeit abgehängt, damit BesucherInnen ihre Meinung zu dieser Aktion an die leere Stelle an der Wand heften konnten. Die Aktion sollte eine Diskussion anregen, ob Kunst, die klassische Rollenmuster zwischen Mann und Frau darstellt, in Museen ausgestellt werden solle. In einer im „Guardian“ veröffentlichten Stellungnahme der an der Aktion beteiligten Künstlerin Sonia Boyce erklärte sie, dass jeden Tag weltweit Bilder in Museen ab-, um- und Neue aufgehängt werden. Das sei ein kuratorischer Prozess, von dem die meisten BesucherInnen nichts mitbekämen und den niemand als Zensur bezeichnen würde. Hier sollte lediglich ein größeres Publikum in diesen kuratorischen Entscheidungsprozess einbezogen werden. Das Museum wollte dabei„das Frauenbild des 19. Jahrhunderts befragen, das Frauen entweder als ‚passive dekorative Form’ oder als ‚Femme fatale’in Szene setzt“, so Hanno Rauterberg. Es sei dem Museum darum gegangen, einem größeren Publikum vor Augen zu führen, wie der weibliche Körper von manchen Künstlern benutzt wurde. Boyce habe wissen wollen, wie die BesucherInnen das heute wahrnehmen. „Genau darum muss es im Museum immer wieder gehen, finde ich: Den eigenen Blick zu reflektieren und die Reproduktion von Klischees zu hinterfragen“, meint Rauterberg. „Thérèse, träumend” Die Künstlerin Mia Merril rief im November 2017 in einer Online-Petition das Metropolitan Museum of Art in New York dazu auf, das Bild „Thérèse, träumend“ von Balthus nicht mehr auszustellen. Das Gemälde zeigt ein Mädchen, das entspannt auf einem Stuhl sitzt. Dabei legt

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sie ihr Bein hoch, sodass ihr Rock nach oben rutscht und die Unterhose des Mädchens zu sehen ist. Merril sei beim Besuch des Museums geschockt gewesen, ein Bild zu sehen, das ein junges Mädchen in einer solch „sexuell anzüglichen Pose“darstelle. Im Zuge der Auseinandersetzung um sexuelle Gewalt, die jeden Tag mehr in den Vordergrund der Öffentlichkeit rücke, würde das Museum –eventuell unbeabsichtigt –Voyeurismus und Objektifizierung von Kindern fördern. In einem späteren Zusatz stellte Merril klar: Sie wünsche nicht, das Bild zu zensurieren oder zu zerstören, sondern fordere das Museum lediglich dazu auf, die Ausstellungsweise und den Kontext zu überdenken bzw. zu ändern. Das könne entweder durch das Abhängen des Bildes erreicht werden oder durch das Zurverfügungstellen von zusätzlichem Kontext, wie etwa einem Schild mit der Aufschrift: „Manche Betrachterinnen und Betrachter empfinden dieses Werk als offensiv oder störend, berücksichtigt man Balthus‘ Vernarrtheit in junge Mädchen.“ Die Petition wurde zu Redaktionsschluss von knapp 12.000 Personenunterschrieben. Laut Schor und Rauterberg können zusätzliche Informationen eine Lösung sein. Solche Schilder sind in den USA häufig zu finden und RezipientInnen wissen somit, dass sie mit ihren Gefühlen nicht alleine sind, schreibt Rauterberg in seinem Buch „Wie frei ist die Kunst?“, in dem er Fälle wie diesen analysiert. Für Gabriele Schor, promovierte Philosophin, international tätige Kuratorin und Gründungsdirektorin der SAMMLUNG VERBUND, ist es wichtig, dass das Bild – z.B. mittels Wandtexten und Erklärungen – in einen Kontext gesetzt bzw. auch erörtert wird oder auch durch andere Bilder von Künstlerinnen konterkariert wird. Hanno Rauterberg meint, dass Schilder, die etwas zum Hintergrund eines Kunstwerks beisteuern in manchen Fällen sinnvoll seien. Man müsse aber vorsichtig damit umgehen, da eine solche „Überpädagogisierung“ dazu führen könne, dass sich BesucherInnen des Museums bevormundet fühlten. Chuck Close Eine andere Frage, die im Zuge dieser Kunstdebatte und #MeToo auftaucht, ist jene nach dem Umgang mit Werken von Künstlern, die sich sexistisch verhalten haben oder denen sexuelle Belästigung vorgeworfen wird. Die National Gallery of Art in Washington D.C. sagte Anfang 2018 eine Retrospektive von Chuck Close ab. Dieser solle anzügliche bzw. sexistische und erniedrigen-

de Bemerkungen über die Körper seiner Modelle gemacht haben. Von sexuellen Übergriffen sei keine Rede gewesen, hält Rauterberg in seinem Buch „Wie frei ist die Kunst?“ fest. Eine inhaltliche Begründung seitens des Museums blieb aus. Manche meinen, die Absage der Ausstellung sei eine gerechtfertigte Maßnahme, um die Schwere und das Ausmaß von sexueller Gewalt in der Gesellschaft deutlich zu machen. Rauterberg ist diesbezüglich anderer Meinung: Es sei den Gerichten vorbehalten, diese Straftaten zu ahnden und entsprechende Strafen zu verhängen. Es sei daher falsch bzw. voreilig, Ausstellungen nur auf Basis eines Verdachts abzusagen. Gabriele Schor hätte Verständnis für eine Absage einer Ausstellung, meint jedoch, es müsse bei jedem Fall erst sehr genau überprüft werden, ob die Vorwürfe gerechtfertigt seien. Zensur von unten Die Kunst nahm sich bisher –geschützt durch die Museen –die Freiheit heraus, nach eigenen Maßstäben beurteilt zu werden. Kunst habe Aufbruch und Befreiung bedeutet, beschreibt Rauterberg in „Wie frei ist die Kunst?“. Wurde die Kunst bedroht, sei dies meist durch klerikale Kreise und konservative Parteien geschehen. Der Protest sei im Namen der Mehrheit bzw. der Gesellschaft geschehen. Nun seien es jedoch nicht Staat und Obrigkeit, die derzeit Einschränkungen in der Kunst fordern. Vielmehr seien es Gruppen, die sich selbst als linksliberal einschätzen und über Jahrzehnte für die Liberalisierung der Künste eintraten. Im Namen benachteiligter Gruppen werde eine Zensur von unten verlangt. Wichtiger als der Schutz des künstlerischen Werkes sei der Schutz des Publikums. Ein wesentlicher Faktor, der zu diesen Bewegungen beitrage, sei die Digitalmoderne, durch die Bilder ihre Ortsansässigkeit verlieren. Das Smartphone mache die Bilder beiläufig und mobil. Der schützende Rahmen des Museums werde aufgelöst und das Museum als Ort der Selbstbefragung verliere somit an Bedeutung. Darüberhinaus könnten über Soziale Medien allzu leicht Mob-Dynamiken entstehen, denen sich die Museen ausgesetzt sehen. Manche Institutionen fühlten sich gegenüber solchen machtlos: Sie würden lieber Ausstellungen absagen, als offensiv zu zeigen, wo die Grenze zwischen Werk und Urheber sei. Ohne diese Grenze verschwinde jedoch die Freiheit der Kunst, sie verliere an Eigenmächtigkeit der Ästhetik. „Zensur meint ja eigentlich, dass eine staatliche Instanz eingreift und ein

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Kunstwerk unterbindet. Die sozialen Medien hingegen ermöglichen einen Protest von unten, der sich manchmal zu einer Zensur von unten auswachsen kann, wenn sich Museen gezwungen sehen, ein umstrittenes Kunstwerk ins Depot zu verbannen. Vereinzelt hat es solche Fälle in den letzten Jahren gegeben. Das kann man einerseits als demokratischen Prozess verstehen, als einen Akt der Emanzipation: Das Publikum ist mündig und verlangt Partizipation. Allerdings würde eine solche Mündigkeit auch ein gesteigertes Maß an Toleranz verlangen und ein geschultes Verständnis für die Eigenlogik und die Eigenrechte der Kunst. Dafür, finde ich, müssen die Museen weit mehr werben als bislang“, so Hanno Rauter.

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Feministische Avantgarde Während derzeit also der männliche Blick viel diskutiert wird, stellt Gabriele Schor in ihrer Ausstellung „Feministische Avantgarde“ den weiblichen Blick in den Mittelpunkt. Den Begriff „Feministische Avantgarde“ schuf Schor, um die Pionierleistung der Künstlerinnen dieser Ausstellung hervorzuheben, die das ‚Bild der Frau, das bis dahin nur von Männern geprägt worden war, in den 1970er Jahren neu definierten. Ein wichtiges Credo dieser Bewegung war, das Persönliche politisch aufzufassen -bei Themen wie Mutterschaft, Ehe, Haushalt, Familie oder auch Gewalt gegen Frauen. Viele Werke beschäftigen sich mit der weiblichen Sexualität. Die Künstlerinnen stellten sich in dieser Bewegung als selbstbestimmte Subjekte dar, nicht mehr länger als Objekte. Dabei machten sie sich einst neue Ausdrucksformen wie Video, Performance und Fotografie zu nutze. Auch Gabriele Schor gegenüber gab es bereits Aufforderungen, gewisse Bilder nicht mehr

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auszustellen, etwa, „wenn sich Hannah Wilke nach einigen Pin-up Posen schließlich als Jesus ‚oben ohne zeigt“. Bei solchen Überlegungen würde aber weder der ironisch-subversive Sinn der feministisch orientierten Künstlerinnen verstanden, noch ihr Anspruch, eine Befreiung der weiblichen Sexualität zu demonstrierenund alte, überkommene Objekt-Subjekt Relation neu zu definieren. „Diese Künstlerinnen wollten in ihren Fotografie-Performances, Filmen, Zeichnungen oder Collagen als Subjekt, das seine weibliche Sexualität selbstbestimmt formuliert, wahrgenommen werden.“ Ein reflektierter Kontext ist Schor bei ihren Ausstellungen besonders wichtig. So werden die Bilder in einem allgemeinen Text und einem zusätzlichen Wandtext erklärt. Kritik an manchen Bildern der „Feministischen Avantgarde“ gab es zuletzt nicht nur 2017 im MUMOK, wo Gabriele Schor ihre Wanderausstellung kuratierte, sondern auch im eigenen Haus, im Bürogebäude des Energieunternehmens VERBUND. Dort arbeiten etwa 800 Personen und das achtstöckige Treppenhaus dient hier als Ausstellungsfläche, als sogenannte „Vertikale Galerie“. „Als wir 2016 unsere Ausstellung zu Renate Bertlmann hatten, gab es große Aufregung. Verständlich, geht es doch bei Bertlmann um Sexualität, Berührung und Verdrängtes.“ Schor suche aber gerade dann das Gespräch, um ein Verständnis für solche Kunst zu erwirken: „Und das gelingt mir auch, mit zahlreichen ausführlichen Gesprächen“. Die Kunstvermittlung also ist ihr ein besonderes Anliegen. Zeichen in der Kunstwelt im Sinne von #MeToo–ohne Zensur Anstatt über Zensur zu diskutieren, gibt es einige andere Möglichkeiten, Zeichen

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im Sinne von #MeToo bzw. Gleichberechtigung der Geschlechter zu setzen. „So wird die Royal Academy in London im Frühjahr 2019 eine Ausstellung über Aktbilder der Renaissance zeigen und zwar genauso viele nackte Männer wie Frauen, was allen vor Augen führen wird, wie selbstverständlich es weiterhin ist, dass die Museen vor allem den weiblichen Körper als Schauobjekte behandeln“, sagt Rauterberg. Schor gibt hierbei zu bedenken, dass bei dieser Ausstellung „wieder einmal der Blick des Mannes, jener der Künstler Titian, Raphael, Michelangelo, Leonardo, Dürer und Cranach gefrönt wird, wohingegen der Blick der Frau auf die Frau nicht präsent sein wird. “Schor und Rauterberg sind sich einig, dass es wichtig sei, dass in den Gremien der Museen und Galerien, Kunsthochschulen und Kunstmessen Geschlechtergerechtigkeit einziehe. Werke von Künstlerinnen werden nicht nur seltener ausgestellt, sondern auch schlechter bezahlt als jene von Künstlern. Der Kunstbetrieb sei immer noch sehr patriarchal geprägt und dies müsse sich dringend ändern, so Rauterberg. Gabriele Schor sieht die Museumsdirektorinnen und -direktoren verantwortlich, für ein Equilibrium zwischen Künstlerinnen und Künstlern zu sorgen. So könne man z.B. auch bei den vielen klassischen Bildern, in denen Frauen nackt bzw. sexualisiert dargestellt werden, ein Gegengewicht durch eine große Ausstellung von Künstlerinnen bilden oder aus dem Archiv immer wieder Bilder von Künstlerinnen zeigen. „Diesen feministischen Blick sollte man eigentlich – egal, ob Mann oder Frau – beim Kuratieren einer Ausstellung haben“, resümiert Schor. von Sophie-Luise Karson


„Grindr“: Wenn die Dating-App zum Höchstverrat wird Dating-Apps sind im 21. Jahrhundert eine gängige Art, neue Leute, die mögliche große Liebe oder (wie in diesem Fall) Gleichgesinnte zu finden. Eine solche App für bi-und homosexuelle Männer ist „Grindr“. Dass die App auch ihre Schattenseiten hat, beweisen Fälle aus jüngster Vergangenheit. SUMO sprach mit Moritz Yvon, Obmann der HOSI Wien, und Top-Anwalt Helmut Graupner.

Ein scheinbarer Schutz „Grindr“ bietet jedem Mann eine Plattform andere Männer kennenzulernen, um so seine Erfahrungen zu erweitern. Weltweit nutzen – laut eigenen Angaben – 3 Millionen Männer täglich die App in 192 Ländern. Für viele (ungeoutete) Männer ist sie ein Ausweg in ihre „richtige Welt“. Sie verhilft ihnen den Kontakt zu jenen zufinden, der auf einem anderen Weg eventuell nicht möglich gewesen wäre. „Es ist der Schutz der Anonymität, der für viele Menschen sehr wichtig ist“, so Yvon im Gespräch mit SUMO. Der HOSI-Obmann erklärt, dass es für viele ein „Herantasten“ an neue sexuelle Erfahrungen sei. Dies werde, ehe man vor Freunden und seinem Umfeld als „der Schwule“ abgestempelt wird, geheim ausgetestet, ob es tatsächlich so wie in der Fantasie ablaufe. „Grindr“ löst mit dieser Plattform und Idee der Anonymität die herkömmliche schwule Szene als Kontakthersteller ab. Der Ruf von „Grindr“ ist durchaus vielseitig, obwohl sie oft als reine „Sex-App“ abgestempelt wird. Es gibt auch jene, die die App zur Vernetzung oder zur Beziehungssuche verwenden. Trotzdem liegt der Hauptgrund zur Verwendung vieler User

bei der schnellen Suche nach Sexualpartnern. Dies ist auch ein markanter Unterschied zu anderen Dating-Apps, die auch für Homosexuelle ein Angebot legen. Formalitäten und Floskeln sind in vielen Chats nicht notwendig, es zählt „die nackte Wahrheit“. Es ist ein Forum für unentdeckte Fetische und gleichsam hoffnungslose Romantiker. Die Zweiteren sind zwar klar in der Minderheit, bilden jedoch auch eine typische Gruppe in der Szene. Sie sind jene, die anonym auf dieser Plattform jemanden suchen, der ihr Schicksal teilt, um aus der oft oberflächlichen, sexualisierten Gay-Szene zu entfliehen. Beide schätzen ihre Vorteile auf „Grindr“: nicht wegen seiner Sexualität angefeindet zu werden. Gefahr in Verzug Doch nicht nur eine Schutzfunktion bildet dieses kostenlose Programm. Genauso kann diese „Schutzzone“ zu einer Gefahr werden, auf unterschiedliche Art und Weise. „Ich würde nicht grundsätzlich sagen, dass es ein geschützter Raum ist, denn es gibt niemanden, der sich um Schutz bei den dadurch angebahnten Treffen im echten Leben bemüht oder kümmert“, so Yvon. Dies betrifft nicht nur den Bezug auf die Sicherheit unter den Usern. Auch externe Gefahren traten in den letzten Monaten weltweit auf. Ende 2017 erkannte man, dass die ägyptische Polizei mit Fake-Profilen eine regelrechte Jagd auf Homosexuelle im eigenen Land lostrat, man warf ihnen Prostitution vor. Der Chat-Verlauf und gesendete Bilder werden als Beweislast gegen die homosexuellen Männer verwendet. In diesem Fall reagiert „Grindr“ und versendet Sicherheitswarnungen in Gefahrländer aus. Die Warnungen enthalten Tipps, zum Beispiel sich nicht mit jemanden zu treffen, dessen Identität sie nicht mit Gewissheit kennen. Außerdem haben User die Wahl, ob sie ihren Standort angeben (Anm.: in der Standardversion lässt sichder GPS-Standort nicht deaktivieren – Entfernungen werden

„Grindr“: Wenn die Dating-App zum Höchstverrat wird Thema

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Im Jahr 2016 führte das Berliner Marktforschungs-Institut Dalia Research eine Umfrage zum Schwerpunkt „Sexualität“ mit 12.000 EU-BürgerInnen durch. Für Österreicher gab diese Forschung, dass sich rund 6% als sexuelle Minderheit ansehen. Trotz einer anonymisierten Befragung wird die Zahl weitaus höher geschätzt. „Offizielle Zahlen sind schwierig, schließlich wird es nicht am Meldezettel abgefragt“, erläutert der Obmann der Homosexuellen Initiative (HOSI) Wien. Viele Personen leben auch nicht „geoutet“ oder sehen darin auch keinen Bedarf, so Moritz Yvon: „Da sind auch schon Leute dabei, die durchaus regelmäßig Sex mit Menschen des gleichen Geschlechts haben, sich selbst aber nicht als schwul, lesbisch oder bisexuell bezeichnen.“


mit den vergangenen Geschehnissen konstatiert Moritz Yvon: „Ich sehe ‚Grindr’ in der Verantwortung, zu versuchen Lösungen zu finden. Am Ende der Versuche könnte aber durchaus das Ergebnis stehen, dass sie nichts tun können.“ Yvon erläutert, dass man technisch aufrüsten könnte, jedoch müsste man eine Lösung finden, die nicht statt zu überprüfen kontrolliere, denn dies würde die Plattform unattraktiv machen. Doch durch den Schutz von „Grindr“ könnten auch genügend Daten gesammelt werden, mit verhängnisvollem Ausgang: „Es braucht ja oft nicht einmal Hacking, damit mit Daten etwas passiert, das man gar nicht will. “Eine Daten betreffende Aktion brachte „Grindr“ als Unternehmen im April 2018 in die Schlagzeilen. Es verkaufte sensible Daten wie den HIV-Status oder den Wohnort von Usern an amerikanische Software-Unternehmen. „Grindr“-Technologiechef Scott Chen meinte in einer Aussendung, dass diese Handlung „branchenüblich“ sei. Anwalt Graupner kommentiert die Causaso: „Die Daten wurden an einen Dienstleister zur Optimierung weitgegeben, nicht aus Jux und Tollerei. Ob das wirklich notwendig war, ist aber die Frage.“ Jene Daten, die weitergeben wurden sind nach Artikel 9 der Datenschutzgrundverordnung sogenannte schutzwürdige Daten und dürfen nicht verarbeitet wer-

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in Meter angegeben). Es sei jedoch einfacher, größere Gruppen zu entlarven, da mehrere Profile denselben Standort besitzen, so Helmut Graupner, Rechtsanwalt in Wien und Vorsitzender des Rechtskomitees Lambda, das sich für die Rechte homosexueller und transidenter Menschen einsetzt. Zu „Recherchezwecken“ nutzt auch das südkoreanische Militär die App. Homosexualität ist in Südkorea offiziell nicht illegal, gesellschaftlich jedoch nicht akzeptiert. Das Militär fühlte sich durch ein Video, welches zwei Rekruten beim Liebesspiel zeigt verraten und begann die Mission, durch das Durchforsten von Dating-Apps und Abhören von Telefonaten alle Homosexuellen zu verbannen. Die indonesische Regierung wiederum sieht die Liebes-App für Homosexuelle als „sexuelle Abartigkeit“. Diese Ablehnung gegenüber gleichgeschlechtlich Liebenden führt so weit, dass sie „Grindr“ und weitere 80 LGBTIQ-Applikationen im ganzen Land verbieten möchten. Das Gegenarbeiten von „Grindr“ kommt hier jedoch an seine Grenzen. „Grindr‘ ist gut, aber ersetzt keinen Aktivismus. ‚„Grindr“ ersetzt nicht die politische Diskussion. Grindr‘ ersetzt nicht den gesellschaftlichen Fortschritt“, mahnt der Obmann der HOSI Wien. In welcher Art und Weise „Grindr“ auf die einzelnen Fälle reagiert, ist nicht immer bekannt. Nach der Konfrontation

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„Grindr“: Thema Wenn die Dating-App zum Höchstverrat wird


den, so Graupner. Nur in Ausnahmefällen aus dem gleichen Artikel ließe sich auch die Weitergabe rechtfertigen. „Einer davon ist die Einwilligung der betreffenden Personen.Meines Wissens wurde nach der Einwilligung nicht gefragt, daher müsste es den einen oder anderen Punkt geben, der die Verarbeitung zulässig machen würde.“ Das Problem mit den Daten liege aber nicht nur bei Apps für Homosexuelle, es sei ein Grundproblem aller IT-Unternehmen, erklärt Yvon.

von Nicolas Hofbauer

Moritz Yvon Copyright: Stephane Magloire

Helmut Graupner Copyright: Blaschke

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Angegebener HIV-Status als Filter Es stellt sich die Frage, warum man überhaupt seinen HIV-Status in einem Dating-Profil angibt. Gerade in der Dating-Welt Homosexueller ist es durchaus ein Thema und spielt eine Rolle für zukünftige Dating-und mögliche Sexualpartner. HIV-Positive erfahren oft Ablehnung durch ihr Coming-out der Krankheit. Der junge Chef der Wiener HOSI beschreibt es wie folgt: „Das ist für Menschen frustrierend. Ich kann nachvollziehen, dass sich da manche denken: ‚Ich schreib das lieber gleich ins Profil und erspar mir zumindest diese Zeitverschwendung.‘ “ So sei dies ein erster Filter, wie jede Angabe, die in einem Profil angeführt wird. „Grindr“ setzt auch in dieser Thematik eine Innovation: Man erinnert User regelmäßig an HIV-Tests. Yvon meint, dass es mutig sei als Unternehmen, welches Daten weitergegeben hat, hier noch zu erinnern, „aber grundsätzlich ist es richtig und wichtig, regelmäßig einen HIV-Test zu machen.“ Abschließend sagt Moritz Yvon: „Die Veränderung

muss eine politische sein, man muss dafür sorgen, dass die sexuelle Orientierung kein Thema mehr ist. Dann wird es auch weniger heikel, was mit einzelnen Daten passieren kann.“

„Grindr“: Wenn die Dating-App zum Höchstverrat wird Thema

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Männer-Lifestyle-Magazine als Nischenprodukt Wie steht es um den Markt dieser Publikationen und wer rezipiert sie? SUMO sprach darüber mit Univ.-Prof. Dr. Jörg Matthes, Vorstand des Instituts für Publizistik-und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien, und den Herausgebern des „Wiener“ Franz J. Sauer und Gregor Josel.

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Die heterogene Zielgruppe Männer Jörg Matthes sieht drei wesentliche Gründe dafür, dass Männer-Lifestyle-Magazine nicht so stark von der Leserschaft angenommen werden. Männer seien keine homogene Zielgruppe: „Was den Einen interessiert, interessiert nicht auch automatisch auch den Anderen.“ Bei einer Zielgruppe sei es immer von Nöten, eine gemeinsame Identität vorzufinden, die dann eben angesprochen werden könne. Es gebe kaum ein Merkmal, das alle Männer kennzeichne, oder ein Interesse, für das sich alle Männer durch alle Altersgruppen hindurch begeisterten. Folglich sei es essentiell, sich mit unterschiedlichsten Themen im Magazin zu beschäftigen, um einen möglichst treuen Kundenstamm aufzubauen. Diese vielfältigen Interessen in einem einzigen Medium abzudecken, gestalte sich vor allem im Printsektor als prekär. Die zweite Ursache der geringen Leserschaft sieht Matthes in der Natur der Männer. Aufgrund ihrer Werte und Vorstellungen hätten Männer-Lifestyle-Magazine weniger Bedeutung aus Sicht der angestrebten Zielgruppe.

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Ratschläge, Tipps und aktuelle Themen seien für die männliche Kohorte zumindest großteils nicht interessant oder relevant. Die Online-Konkurrenz definiert Matthes als dritten Grund. Es ist keine Schwierigkeit, online Content zu produzieren, sei dies nun via Social Media oder auf einer eigenen Website. Es gebe unzählige Angebote, die ähnliche Inhalte wie Männer-Lifestyle-Magazine für viel weniger Geld anbieten. Die Leser hätten online die Möglichkeit genau zu entscheiden, was sie rezipieren möchten. Ein Männermagazin müsse als Antwort darauf alle möglichen Themen behandeln, um jeden anzusprechen, was auch wieder den ersten Grund, den Matthes benannt hat, aufgreift. Hinzu komme auch noch die geringe Zahlungsbereitschaft bei Online-Inhalten. „Wer ist bereit, Geld für Dinge auszugeben, die man auf Google innerhalb von fünf Sekunden auch so finden kann?“, so Matthes. Auch sei es die junge Leserschaft schlicht nicht gewohnt, ein Magazin via Abonnement oder Einzelkauf regelmäßig zu lesen. Außerdem sei den Rezipienten egal, von wem der Inhalt stamme, der gelesen wird, es gehe nur um den Inhalt selbst, konstatieren Matthes und Sauer gleichermaßen. Die USP des „Wiener“ Bei all diesen negativen Aspekten kommt die Frage auf, wie der „Wiener“ überleben kann, und das schon seit 40 Jahren. Laut Sauer gebe es eine treue Kernleserschaft, die ihn aus Verbundenheit lese. Auch wenn der „Wiener“ heute nicht mehr ein Programmheft wie einst sein könnte, was bekanntlich heute online stattfinden würde. Zusätzlich zu der Stammleserschaft gebe es noch die Leute, die sich für Technik, Motor und Mode interessieren. Diese würden es schätzen, dass der „Wiener“ in dieser Hinsicht kein typisches Fachmagazin sei. Man würde kein Fachwissen zu brauchen, um das Magazin zu lesen, aber trotzdem alle nötigen Neuigkeiten zu den Themen bekommen. Der „Wiener“ habe auch eine starke Online-Präsenz und verstehe diese als eigenständiges Medium. Da man online „um seine Leser buhlen muss“, müsse man breiter

Männer-Lifestyle-Magazine als Nischenprodukt Thema

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Das einzige österreichische Männer-Lifestyle-Magazin stellt der „Wiener“ dar. Magazine dieser Ausrichtung ließen sich laut Franz J. Sauer auf zweierlei Arten identifizieren. Einerseits gäbe es Magazine, die Themen wie Männermode und -Pflegeprodukte behandeln, zu dieser Kategorie zähle beispielsweise das deutsche „GQ“. Der „Wiener“ selbst sehe sich hingegen anders. Man beschäftige sich mit den „angenehmen, wenn auch nicht lebensnotwendigen Dingen im Leben eines Mannes“, es gehe um alle möglichen Themen von Gadgets über Technik bis Lifestyle. Sauer sehe den „Wiener“ als einen Ratgeber, der aber nicht postuliere „so gehört es gemacht“, sondern „wir machen es so, mach es doch auch so“. Ihr Mode-Teil nehme sich in puncto Trendsetting nicht so todernst, wie das bei anderen Lifestyle-Publikationen der Fall sei. Aber auf welchen fruchtbaren Boden fällt das?


Die Marktchancen in Österreich Der „Wiener“ hat laut eigenen Angaben (Mediaanalyse 2016) eine Reichweite von 2,4% in der Kohorte der Männer von 14-49 Jahren, was eine Leserschaft von 143.000 ergibt. Ein Vergleich zu anderen gestaltet sich schwierig, da es keine vergleichbaren Magazine am hiesigen Markt gibt. Für Sauer und Josel ist es wichtig, ein eigenständiges Produkt zu publizieren. Es würde nicht sinnvoll sein, Zeitschriften wie „GQ“ oder „Men‘s Health“ zu kopieren. Am Beispiel des „Seitenblicke Magazins“, das 2016 vom „Red Bull Media House“ eingestellt wurde, sei auch ersichtlich, dass ein reines Society-Magazin in Österreich keine Zukunftschancen habe. „Deswegen müssen wir versuchen, unique zu sein und unsere Marke erwartungsgemäß aufzuladen und so zu reproduzieren, dass es den Leuten gefällt.“ Sauer und Josel haben den „Wiener“ 2015 von der „Styria“ übernommen, nachdem Plä-

ne bekannt wurden, das Magazin zu einer Beilage der „Presse“ zu machen (was unter anderem mit dem Schwesterntitel „Sportmagazin“, das heuer eingestellt wurde, wenig erfolgreich geschah). Um die Zeitschrift auf einen guten Weg zu bringen, investierte das Duo in die Produktion und besonders in die Druck-und Papierqualität. Laut Josel zeige sich am Werbemarkt eine positive Reaktion darauf. Unternehmen würden eher Anzeigen in qualitativ hochwertig produzierten Magazinen schalten. Trotz der erschwerten Bedingungen für ihre Produkt bleiben Sauer und Josel positiv gestimmt. „Wir sind der Meinung, dass man in Zeiten eines rezessiven Printmarkts, wenn schon, dann ein gescheites, sich hochwertig anfühlendes Produkt in der Hand haben will, wenn man schon Geld für ein Magazin ausgibt. Insofern sind wir puncto Umfang und Erscheinungsweise gut für die Zukunft aufgestellt.“

Jörg Matthes Copyright: Barbara Mair

von Janina Schmid

Franz Sauer und Gregor Josel Copyright: Eryk Kepski

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und aktueller sein. Die Online-Leserschaft sei auch jünger, sie beginne hier bei 19 Jahren. „Diese Leute kaufen den ,Wiener’ aber sicher nicht im Kiosk“, so Sauer. Man versuche online zwar die DNA des Magazins zu vermitteln, dies sei aber nie so stark möglich wie im gedruckten Heft.

Thema Männer-Lifestyle-Magazine als Nischenprodukt

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Feministische Medien. Der Kampf gegen den Malestream Um den Begriff, Aufgaben und Rezeption feministischer Medien zu klären, sprach SUMO mit der Medienwissenschaftlerin und Gender Studies-Forscherin Brigitte Geiger und mit Lea Susemichel, Chefredakteurin von „an.schläge - Das feministische Magazin“.

Was Feminismus wirklich bedeutet Laut Ursula I. Meyer („Einführung in die feministische Philosophie“) begann es im 18. Jahrhundert, als Frauen Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen forderten. Ein besonders großes Anliegen war das Wahlrecht für Frauen. Vor 100 Jahren war es in Österreich soweit. Diese Errungenschaft wurde nicht nur durch zahlreiche Demonstrationen geprägt, sondern auch durch die „Zeitschrift für Frauen-Stimmrecht“. Das NS-Regime setzte dem Kampf für die Gleichberechtigung dann aber vorläufig ein Ende. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Widerstand fortgesetzt. Simone de Beauvoir veröffentlichte 1949 (deutsch: 1951) „Das andere Geschlecht“. In diesem erklärt sie die Unterdrückung der Frauen im Patriachat und legt einen Meilenstein in der Geschichte des Feminismus. „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es“ – das ist der Schlüsselsatz des modernen Feminismus. In den 1980er-Jahren knüpfen PhilosophInnen an De Beauvoirs Werke an und entwickelten die Theorie der „Geschlechterdifferenz“. Biologisches Geschlecht („sex“) und soziales Geschlecht („gender“) solle getrennt werden. Doch Feminismus ist nicht gleich Feminismus. Jede Frau und jeder Mann kann für sich selbst definieren, was Feminismus bedeutet. Auch die Interviewpartnerinnen Lea Susemichel und Brigitte Geiger, die sich beide schon sehr früh mit der Thematik auseinandergesetzt haben, wurden nach ihrer eigenen Definition von Feminismus befragt. Beide betitelten die Frage als schwierig.„Für mich ist Feminismus die Gleichstellung und Gleichberechtigung von allen Menschen; alle Menschen auf dieser Welt sollen die gleichen Rechte haben“, erklärt Susemichel. Geiger meint: „Ich verstehe darunter prinzipiell Sensibilität für Hierarchien, Einschränkungen und Machtverhältnisse, die mit dem Geschlecht verbunden sind. Außerdem, dass man sich auch mit

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anderen Frauen gemeinsam engagiert.“ Frauen können wählen, sie haben die gleichen Jobchancen wie Männer und die Gleichberechtigung sollte somit vollkommen erreicht sein – so jedenfalls sehen viele die Gesellschaft. Warum ist der Feminismus heute noch immer wichtig, eventuell bedeutsamer denn je? Susemichel konstatiert, dass zwei große Entwicklungen aufeinanderstoßen würden: zum einen ein gewaltiger Rückschritt durch den Rechtsruck in vielen Ländern und damit verbunden veränderten Geschlechterbildern, zum anderen auch ein Anstieg der feministischen Revolution, der sich durch #MeToo und die Women‘s Marches äußert. Gerade diese biete die Möglich- und Notwendigkeit der Teilnahme gegen erstere Richtung. Gegen den Mainstream Mit der Frauenbewegung Ende der 60er- und Anfang der 70er-Jahre setzte man sich mit dem Einfluss der Medien auf die weibliche Identität auseinander. Es wurden unterschiedlichste Studien durchgeführt, wie oft und in welchen Rollen Frauen in den Medien vorkommen. Sie waren kaum anzutreffen und falls doch, dann hatten sie eine stereotypische Rolle inne. Gertrud Koch konstatierte bereits 1988 („Was ich erbeute, sind Bilder. Zum Diskurs der Geschlechter im Film“), dass Frauen ihre Identität stärker an die Männergesellschaft anpassen. Bis heute hat sich einiges in der österreichischen Medienlandschaft verändert. Trotzdem kann basierend auf aktuellen Studien wie „Journalismus in Deutschland“ (Ludwig Maximilian Universität München, „Publizistik“ 2017) und „Der Journalisten-Report“ (Medienhaus Wien, 2012) gesagt werden, dass die Gleichstellung von Frau und Mann sowohl in als auch hinter den Medien noch nicht ausgeglichen ist. Laut Geiger sei der Beruf JournalistIn zu 40% weiblich besetzt. In den höheren Etagen jedoch seien die Ungleichheiten deutlicher zu spüren. Trotzdem komme es immer auf das einzelne Medium und auf dessen Unternehmenspolitik an. Auch in der Berichterstattung selbst seien viele Themen unterbelichtet. Susemichel sieht das ebenso: Themen wie die Gewalt gegen Frauen, die Gehaltsschere, aber auch die „gläserne Decke“ sollten

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Feminismus. Viele – nicht bloß Männer – bekommen schon eine Gänsehaut beim Begriff. Dieser Terminus ist einer der am negativsten besetzten, die der deutsche Sprachgebrauch zu bieten hat. Männerfeindlich, weltfremd und exzentrisch sind nur einige Assoziationen.


Feminismus in gedruckter Form Wie in dem Artikel „Medien der Neuen Frauenbewegung im Archiv“ von Brigitte Geiger und Margit Hauser hervorgeht, wurden in den 1960er-Jahren mit dem Beginn der neuen Frauenbewegung weltweit eine große Zahl an feministischen Zeitschriften und Informationsblättern publiziert. Diese nutzte man zum Austausch und zur Auseinandersetzung mit feministischer Thematik. Der starke Titelzuwachs wurde vor allem durch die Informationsblätter ausgelöst und erreichte 1997 den Höchstwert, ab der Jahrtausendwende sank der Anzahl der Titel wieder. Manche Medien überlebten nur ein paar Wochen, andere wiederum mehrere Jahrzehnte. Für letzteres Phänomen werden folgend zwei der bekanntesten österreichischen feministischen Zeitschriften vorgestellt. Eines der wichtigsten im deutschsprachigen Raum war „AUF – Eine Frauenzeitschrift“. 1973 als internes Informationsblatt genutzt, entwickelte sie sich ein Jahr später zu einer österreichweiten feministischen Zeitschrift. Finanziell konnte sie durch Einzelverkauf, Abos, Gelder der Publizistikförderung, ehrenamtliche Arbeit und Spenden aufrechterhalten werden. Bei der Auflösung 2011 war das Team laut Geiger nicht klein, aber ihre Vermutung, warum die Zeitschrift nicht mehr bestehen konnte, liege darin, dass die Belastung nach jahrelanger unbezahlter Arbeit zu groß geworden sei. Auch die geringer gewordene Resonanz war demotivierend. Die zweite österreichische Frauenzeitschrift ist „an.schläge – Das feministische Magazin“, das 2018 ihren 35. Geburtstag feierte. Der Name stammt von den damaligen Produktionsbedingungen, nämlich von den Anschlägen auf einer Schreibmaschine. Außerdem ist es eine Metapher für einen gewaltfreien Anschlag auf das Patriarchat. Schon immer war es ein Kampf ums Weiterbestehen. Fünf Jahre nach der Gründung erschien die Zeitschrift einmal monatlich und war somit für lange Zeit das einzige feministische Magazin im deutschsprachigen Raum, das so häufig neue Inhalte produzierte. Trotz einer zweijährigen Pause kämpfen die RedakteurInnen noch heute für eine feministische Berichterstattung, zehn

Mal im Jahr. Aber wer liest sie? Die LeserInnen Universitätslektorin Brigitte Geiger bemerkt, dass junge Menschen eher wenige feministische Zeitschriften kennen. Diese würden sich die notwendigen Informationen zum Thema Feminismus meist über das Internet besorgen. Manche der jungen LeserInnen, die feministische Medien kennen kämen oft durch ihre Mütter mit diesen in Berührung. „an.schläge“ hätte im Zuge ihrer LeserInnenbefragung erkannt, dass der Hauptteil ihrer LeserInnen trotzdem aus Mitte 20- bis Mitte 30-Jährigen bestünden. Zur Freude der Redaktion nehme auch das männliche Publikum zu, heute liege der Prozentsatz bei 10%. Gründe dafür seien, dass sie bei Frauen mitlesen, engagierte Studenten sind oder Geschehnisse unter einem anderen Blickwinkel betrachten möchten. Ein Blick nach vorne Und in Zukunft? Laut Geiger würde momentan an neuen Überlebensstrategien gefeilt werden, da vielen Medien in letzter Zeit die Förderungen gestrichen wurden, betroffen seien besonders gesellschafts-und politikkritische Zeitschriften. Auch dem Magazin „an.schläge“ wurden die Fördergelder gekürzt. Daher wurde der 666-Abo-Aufruf ins Leben gerufen, der LeserInnen überzeugen soll, ein neues Abo abzuschließen, damit sie auch im Jahr 2019 über die Runden kommen können. Obwohl es laut Susemichel sehr anstrengend war, hätte es sich definitiv gelohnt. Sie haben es 2018 geschafft, doch heuer beginne das Zittern wieder von vorne. Auch wenn es diese Medien nicht leicht haben, glauben sie an sich und kämpfen weiterhin für eine Berichterstattung mit feministischer Perspektive. Geiger hierzu: „Sie sind Kämpfernaturen. Ich hoffe, dass ein paar überleben werden.“ von Kristina Wagner © Copyright: Unsplash/dorian stokes

kontinuierlich thematisiert werden. Außerdem erklärt sie, dass jedes Thema geschlechterpolitische Aspekte habe, deshalb sollten MedienmacherInnen bei der Berichterstattung auch immer die „frauenpolitische Brille“ aufsetzen, um den Blick in diese Richtung zu schärfen.

Brigitte Geiger Copyright: Mario Lang

Lea Susemichel Copyright: Jens Kastner

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„dieStandard.at“ und ihre männliche Community Brauchen wir eine eigene Plattform, die sich auf Frauenpolitik, Geschlechterthemen und Feminismus konzentriert? Kann sie die Gleichstellung der Geschlechter positiv verändern? Oder könnte man(n) das sogar als Bedrohung empfinden? SUMO hat mit „dieStandard“-Ressortleiterin Beate Hausbichler und dem Medienpsychologen Peter Vitouch über das Onlineforum und seine Community gesprochen. In der Kommunikationswissenschaft wird die Repräsentation von Geschlecht in den Medien schon seit Jahrzehnten diskutiert. Vor allem die Gender Media Studies haben dazu wesentlich beigetragen, sind aber dennoch nicht konsequent in die Wissenschaft integriert. Das österreichische Medium „Der Standard“ dagegen hat schon im Jahr 2000 umgesetzt, was viele dieser Diskussionen verlangen: Mit „dieStandard“ gibt es eine eigene Plattform für frauenspezifische Themen. Entstanden ist das Portal damals auf Initiative von Printund Onlineredakteurinnen des „Standard“. Über Geschlechterverhältnisse Der Frauenanteil unter den LeserInnen des „Standard“ bewegt sich mittlerweile knapp unter der Hälfte. Bei denen, die aktiv posten, ist die Geschlechterlage jedoch asymmetrischer: Etwa 80% sind Männer und nur 20% Frauen. Die Verteilung wurde anhand der früheren Angabe der „Anrede“ bei einer Neuregistrierung festgestellt. Ob sich hinter den Nicknames aber wirklich eine Frau oder ein Mann verbirgt, kann man nicht mit Sicherheit sagen. Dies ist nur bei verifizierten UserInnen möglich, also jenen, die unter ihrem realen Namen posten. Inhaltlich lässt sich dennoch eine Tendenz feststellen. Unter den Artikeln auf der frauenspezifischen Plattform wird nämlich häufig kritisiert, dass die Sicht der Männer außen vor gelassen werden würde. „dieStandard“-Ressortleiterin Beate Hausbichler erläutert dieses Phänomen am Beispiel Frauen und Gewalt: Unter Artikeln, die Gewalt gegen Frauen thematisieren, komme etwa oft reflexhaft die Frage, warum nicht über häusliche Gewalt gegen Männer berichtet wird, da ja Männer hauptsächlich Opfer von Gewalt würden. Dies sei zwar richtig, beiseite geschoben werde aber, dass auch die Täterschaft vorwiegend männlich sei. Bei Artikeln zu allgemeineren Themen, wie etwa feministischen Aktivismus, werde oft argumentiert, dass diese Art der Berichterstattung „die wahren Probleme“ nicht treffen würde. Man versucht also unter frauenspezifischen Artikeln verstärkt einen Ausgleich in die andere Richtung zu schaffen. Immer

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wieder werde gefragt, warum denn hier nicht auch die Perspektive der Männer betrachtet wird, warum diese ausgeblendet werde. „Dieser Einwand ist insofern schwierig, weil eine frauenpolitische Perspektive – wenn man das auf die gesamte Medienlandschaft umlegt – eine sehr vernachlässigte Perspektve ist“, meint Hausbichler, und: Wenn man auf eine frauenpolitische Seite wie „dieStandard“ geht, müsse man sich natürlich auch frauenpolitische Artikel dort erwarten. Töne treffen im Onlineforum Onlineportale können durchaus als Ventil für Meinungen dienen, denen im sozialen Alltag nicht Ausdruck verliehen werden kann. Dies bestätigt auch Peter Vitouch. Der emeritierte Professor am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien hatte dort den Lehrstuhl für Medienpsychologie inne. Wenngleich im allgemeinen Konsens eine Gleichberechtigung der Geschlechter in der Gesellschaft schon als angekommen gilt, muss das nicht heißen, dass dem auch so ist. Im Schutz eines anonymen Forums werden Meinungen laut Vitouch ungeschminkter mitgeteilt und auch unqualifizierte Äußerungen gemacht, die man im persönlichen Kontakt kaum so von sich geben würde. Bei „dieStandard“ kümmern sich professionelle Community ManagerInnen um die Aufrechterhaltung einer konstruktiven Diskussion. Unterstützt werden sie dabei vom „Foromat“. Die hauseigene Software filtert die Postings vor der Veröffentlichung anhand formaler Kriterien und den Foren-Regeln, lernt dabei aber auch laufend von der manuellen Moderation neue Regeln für die Bewertung der Postings und vergibt sogar Karmapunkte. Das bedeutet, dass vergangene Beiträge der UserInnen beeinflussen, ob ihre neuen Postings eher automatisch freigeschalten oder in die manuelle Moderation geschickt werden. Die Aufgabe der menschlichen ModeratorInnen ist es etwa, darauf hinzuweisen, wenn themenferne Behauptungen aufgestellt werden oder man sich in eine unsachliche Argumentation verläuft. So kann der Diskurs in den Foren laufend optimiert werden.

„dieStandard.at“ und ihre männliche Community Thema


Aber wessen Stimme ist das? Die Stimme einige weniger – denn die Gruppe, die wirklich viel postet ist nicht so groß. Viele posten gar nicht, viele reden hin und wieder mit und nur eine Minderheit meldet sich ständig zu Wort. Diese erscheint dann sehr präsent. Laut Vitouch wirken gesellschaftliche Meinungen in Onlineforen auch weniger objektiv als in anderen Medien: „Es entsteht eine negative Gewichtung hin zu den Populationen, die sich dort auskotzen.“ Mittlerweile gebe es außerdem einen starken Fokus der Medien auf Genderthemen, auch durch die #MeToo-Bewegung. Dies führe dann eben zu Gegenreaktionen: Bestimmte Gruppierungen fühlen sich in ihrem Weltbild angegriffen und reagieren ablehnend: zum Beispiel Männer, die negativ auf ein Portal für frauenpolitische Themen reagieren. Aus dieser Ablehnung wiederum entstehen viele kritische Kommentare. Besieht man sich im Selbstversuch auf „Der Standard“ sehr stark kommentierte Beiträge, fällt auf, dass gerade bei negativ aufgenommenen Themen die Anzahl der Postings tendenziell höher ist. Das Österreichische Forschungsinstitut für Artificial Intelligence (ÖFAI) hat nun gemeinsam mit dem „Standard“ ein Projekt gestartet, das mehr Diversität in die Postings bringen will. In einem Zeitraum von zweieinhalb Jahren sollen die Inhalte dabei hinsichtlich der Geschlechterthemen analysiert werden. Ziel ist es, die Ursachen für die Unausgewogenheit der Geschlechter sowie auch die Einflüsse darauf zu erforschen. Anschließend soll das Gleichgewicht der Geschlechter in den Foren gefördert werden. Die Foren des „Standards“ sollen für Frauen nicht nur attraktiver zum Posten, sondern auch zum Lesen werden.

„dieStandard“ gegen Diskriminierung Trägt ein eigenes Portal für frauenspezifische Themen zur Gleichberechtigung der Geschlechter bei? Ja, sagt Medienpsychologe Peter Vitouch. „Es gibt einfach diesen fixen Raum, der nicht in Frage gestellt wird“, bekräftigt Hausbichler. Man müsse nirgends etwas reinreklamieren und habe alle frauen-und genderspezifischen Meldungen gebündelt. Dadurch sei „dieStandard“ ein wichtiges Recherchetool für andere und als tagesaktuelles feministisches Medium auch eine starke Marke im deutschsprachigen Raum. Natürlich bringen auch andere Medien wie etwa der „Falter“ viele Frauenthemen, ohne dafür ein eigenes Label zu führen. Beides legitime Zugänge, meint Hausbichler. Sie bekomme allerdings auch immer wieder Beschwerden, man solle die Frauenthemen doch in den allgemeinen Teil des Mediums überführen – mit dem Argument, die Inhalte würden „aufgewertet“, wenn sie im „normalen“ Teil der Zeitung zu finden wären. „Das finde ich sehr entlarvend. Einer Zeitung wird die Objektivität nicht so schnell abgesprochen, nur weil etwa 80% Prozent der Themen weiße Männer aus der Mittelschicht betreffen, doch bei einem Medium wie ‚,dieStandard,‘ das die Lebensrealität von Frauen abbilden will, passiert das dauernd. “ von Magdalena Stocker

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Trotz der Vormoderation bleibt auf „dieStandard.at“ großteils eine abwertende Tonalität zurück. Hausbichler beschreibt eine verniedlichende und belehrende Art unter vielen Artikeln. KritikerInnen würden den Artikeln auch immer die Objektivität absprechen. Ganz stark verankert sei auch der Vorwurf der Ideologie: „Es wird vielfach die Haltung eingenommen, eine frauenpolitische Perspektive sei extrem ideologisch, doch diese Kritik ist selbst alles andere als politisch neutral. Wir machen transparent, dass wir entlang des gesellschaftlichen Ziels Gleichberechtigung eine ansonsten marginalisierte Perspektive einnehmen, und das ist eine klare Haltung – nicht mehr und nicht weniger.“ Offen als „frauenfeindlich“ bezeichnen könne man die Postings aber nicht. Die Stimmung sei subtiler, das Forum rede eher von „übertriebenen“ Inhalten, als dass direkt sexistische Äußerungen gemacht würden. Um zurück zum Beispiel Gewalt gegen Frauen zu kommen, wo die Grenzüberschreitungen dennoch deutlicher werden: Hier hat man sich im Forum beispielsweise darüber unterhalten, dass die Frauen sich eben den falschen Partner ausgesucht hätten.

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Thema „dieStandard.at“ und ihre männliche Community

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Frauen lesen, Männer schreiben Auf eine Autorin kommen zwei Autoren. In Verlagen arbeiten mehr Frauen, doch die Männer haben das Sagen. Beim Lesen von Büchern ist es genau umgekehrt. Im Gespräch mit SUMO klären Gerhard Ruiss, Geschäftsführer der Interessensgemeinschaft österreichischer Autoren und Autorinnen, und Buchhändlerin Susanne Sandler diese Ungleichheit am Buchmarkt.

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Die junge Generation auf der Überholspur Bei den jüngeren Generationen soll die Geschlechterverteilung schon ganz anders aussehen, denn laut Ruiss gebe es phasenweise bereits mehr Autorinnen als Autoren. Vor allem bei Debüt-Romanen hätten Frauen hier die Nase vorne. Auch die Suche nach Verlagen falle ihnen nicht mehr so schwer wie früher, vielmehr entscheide das Alter: Mit „Jung und begabt“ Kategorisierte fänden eher einen Verlag als „Länger da und nicht mehr jung“, das Geschlecht spiele hierbei weniger eine Rolle. Da sich die Literaturszene in Richtung junger AutorInnen bewege, sprechen manche bereits von Altersdiskriminierung. Der Buchmarkt sei also in den letzten Jahren für Frauen durchlässiger geworden, so Ruiss, doch er gibt auch zu bedenken, ob dies nicht Folge von Stereotypen sein könnte. Der Vermarktungsprozess männlicher Autoren tendiere zum Jung-Genie und wärme dieses im generellen Genie-Kult immer

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wieder auf. Bei Autorinnen sollen in der Vermarktung auch die eigene Attraktivität, Intelligenz und die literarischen Kenntnisse eine große Rolle spielen, das sogenannte „Fräulein-Wunder“ der Literatur. Beide Geschlechter betreffend trete nunmehr auch der „Popsterncheneffekt“ auf: Nach zwei bis drei Büchern hätten AutorInnen und Autoren heute bereits Schwierigkeiten, weitere Werke zu verfassen. Schuld daran sei der veränderte Schreibrhythmus, dem sie ausgesetzt sind. „Früher hat kein Mensch von AutorInnen verlangt, mindestens jedes zweite Jahr einen Roman liefern zu müssen“, meint Ruiss. Während das Lebenswerk früher aus zehn Romanen bestand, sollte man mit dem vorgegebenen Tempo heute auf 50 oder gar 100 Bücher kommen. Krimis sind Männersache, Kinderbücher sind Frauensache Zumindest was Rezensionen angeht, scheint die Welt der Krimis den Männern zu gehören. Laut einer Studie der Universität Rostock waren 82% der von Männern verfassten und 66% der von Frauen verfassten Kritiken über Krimis aus Autorenhand. Ruiss ist aber der Meinung, dass Männer im Unterschied zu früher nicht mehr Krimis schreiben als Frauen. Während in der Kriminalliteratur damals das Verbrechen an sich im Vordergrund stand, sei sie jetzt durch detektivische Elemente sowie von logischen Denkprozessen geprägt und somit weiter fortgeschritten. So wie den Männern die Kriminalliteratur zugeschoben werde, seien Kinder-und Jugendromane für Frauen typisch. Diese genrebezogenen Dominanzen sind laut Ruiss historischen Ursprungs, denn früher waren es die Männer, die über Gewalt und Abenteuer und schrieben, die sanften Themen wie Kinder- und Jugendliteratur, Lyrik sowie Liebesgeschichten blieben den Frauen. Diese Genredominanzen entstünden ob der verschiedenen Blickwinkel, aber auch Erfahrungen. „Trotzdem kann nicht gesagt werden, das eine ist typisch für Männer und das andere typisch für Frauen.“ Der Verlegerin und die Lektor In der Buchbranche arbeiten mehr Frauen als Männer. Je höher die Posi-

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Laut der Studie „Zur Sichtbarkeit von Frauen in Medien und im Literaturbetrieb“ der Universität Rostock aus dem Jahr 2018 publizieren doppelt so viele Männer Bücher als Frauen. Gerhard Ruiss konstatiert innerhalb einer historischen Rückschau, dass sich das Geschlechterverhältnis geändert habe. Noch in den 1970er-und 1980er-Jahren sei das Verhältnis Autor zu Autorin bei Dreiviertel zu einem Viertel gelegen, schließlich bei Zweidrittel zu einem Drittel und liege heute nur mehr bei 55% männlicher Autoren. Ursache für diese Ungleichheiten lägen in der Berufsrolle: „Es hat die Berufsvorstellung Autorin weniger gegeben als Autor, zur Wende zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert waren Autorinnen eine Ausnahmeerscheinung.“ Daraus resultierte ein Nachholprozess, der bis heute noch erkennbar sei. Dies gilt nicht nur in Sachen Buchpublikation, auch Buchrezensionen werden laut Studien öfter von Männern verfasst. Nicht nur in der Häufigkeit, auch in der Länge einer Besprechung sind Rezensenten ihren Kolleginnen voraus. Auf 4 Kritiker treffen 3 Kritikerinnen, die jedoch beide öfter über die Werke von männlichen Autoren schreiben.


um Pflichttantiemen, sondern auch um ausverhandelten Tantiemen-Vorschuss und -Satz. Besonders zu spüren bekommen die Ungerechtigkeit weibliche Angestellte in Verlagen, sie verdienen bis zu 30% weniger als ihre Kollegen. LeserINNEN Auf die Frage, welches Geschlecht mehr lesen würde, haben Sandler und Ruissdie gleiche Antwort: Frauen, und das in allen Altersgruppen. So erzählt Sandler, die auch als Lehrerin arbeitet, dass Burschen die Schulbibliothek meiden, während die Mädchen durchaus viel und auch regelmäßig lesen. Laut Ruiss sei die Bedeutung von Literatur für Frauen viel höher als die der Männer: „Literatur spielt für sie einfach eine andere Rolle im Leben.“ Diese andere Rolle zeigt sich auch in den Genres, die das jeweilige Geschlecht präferiert. Während Frauen Belletristik bevorzugen, seien es bei Männern Fachzeitschriften, Management-und Sachbücher, sind sich Sandler und Ruiss einig. Diese Unterschiede in Rezeptionsvorlieben sind allesamt legitim, die Branche jedoch – ob auf Seiten der AutorInnen oder Angestellten in der Buchwirtschaft – bedarf einer Gleichstellung. Der Markt entscheidet, doch – so Ruiss: „Ohne Frauen gäbe es keinen Buchmarkt.“

Gerhard Ruiss Copyright: Dieter Scherr

von Theresa Rogl

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tionen, umso weniger sind Frauen mit diesen besetzt. Ruiss: „Da gibt es noch die traditionelle Aufteilung: Männer sind im Verlagswesen tätig und Frauen in den Bibliotheken.“ Susanne Sandler, Inhaberin der Buchhandlung Schubert in St. Pölten und Wirtschaftspädagogin, ist der Meinung, dass im Prozess der Erstellung eines Buchs bis zum Verkauf im Hintergrund die „Knochenarbeit“ an Frauen hängen bleibe. Im Buchhandel habe sich das Blatt bereits gewendet, war dieser früher von Männern beherrscht, dominieren diesen heute die Frauen. „Die Buchhändlerin ist selbstverständlich geworden, genauso wie der Bibliothekar“, so Ruiss. Auch in Lektoraten seien Frauen stärker präsent als Männer. Aber nur die Präsenz sagt nichts über die Spitzenpositionen aus, denn dort werde sich laut Sandler erst etwas ändern, sobald die Gleichberechtigung in allen Berufen eintrete. Und im Einkommen? Hier herrscht sowohl bei AutorInnen, als auch bei Angestellten in der Buchbranche ein großes Ungleichgewicht. Unter den Top Drei der Bestverdiener weltweit befand sich im Jahr 2016 mit J. K. Rowling („Harry Potter“) eine Frau auf dem dritten Platz, hinter Jeff Kinney („Gregs Tagebuch“) und James Patterson (div. Kriminalromane). Nur im Jahr 2013 erklomm E. L. James mit „Fifty shades of Grey“ als Frau die Spitze. Dabei geht es nicht rein

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Geschlechterhass im Netz Verachtung, Diskreditierung, blanker Hass: vor allem Frauen schlagen sie entgegen. Zum Rückschritt in puncto geschlechtsausgewogener Debatten bat SUMO Lena Jäger, Projektleiterin des Frauenvolksbegehrens 2018,und Caroline Kerschbaumer, Leiterin der Beratungsstellen bei „ZARA –Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit“zum Gespräch.

Auf der Website von „WomanInterrupted“ lassen sich 99 Länder vergleichen: Negativer Spitzenreiter mit 11Unterbrechungen pro Minute sind die briti-

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Geschlechterhass im Netz Thema

„Männerrechteforen“als Gegenbewegung Allerdings wollen viele Männer nicht nur auf allgemein zugänglichen Social Media-Plattformen Frauen die „Welt erklären“, sondern auch ineigenen Männerrechteforen. „Wikimannia“, „Manndat“ und „Ichhasse.at“ stechen hierbei heraus. „Wikimannia“ beispielsweise ist eine Art „Wikipedia“ für Männer, die gerne Beiträge über Themen wie Abtreibung, Kopftücher, Feminismus oder ähnliches lesen bzw. auch schreiben. Die Themenvielfalt ist besonders auf „Wikimannia“ sehr breit gefächert und lässt kaum ein Themengebiet aus. Jedoch schreiben sie nicht nur über Feminismus und Männerrechte, sondern auch über allgemein politische Themen und auch über Familie bzw. Wissenschaft. Wie gut recherchiert und objektiv diese Beiträge dann wirklich sind, ist allerdings fraglich. „Manndat“ ist im Gegensatz zu Wikimannia kein Online-Lexikon, sondern eigentlich ein Verein. Dieser Verein postet auf seiner Webseite regelmäßig Beiträge zu diversen „Männerrechte-Themen“, egal ob Vaterschaft, „Jungen“ oder Feminismus, hier wird kein Männerrechtethema ausgelassen. Auf ihrer Seite kritisieren sie stark radikalen Feminismus, der nur Rechte fürFrauen einräumt, allerdings keine für Männer. „Ichhasse. es.at“ ist im Gegensatz dazu ein reines Forum, wo es nicht nur um feministische Themen geht, sondern allgemein um Hass. In diesem Forum bzw. in vielen Unterforen kann jeder und jede

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Wenn Männer Frauen die Welt erklären Aber nicht nur dieaktive Hasseruptionim Netz ist heutzutage ein großes Problem.Auch „Mansplaining“ und „Manterruption“ irritieren Frauen zumindest im sogenannten westlichen Kulturkreis. Mansplaining bedeutet, wie ein Mann einer Frau Themen und Dinge erklärt, die sie selbst schon längst weiß. Der Mann tut dies allerdings auch im Bewusstsein, dass sein Gegenüber bereits dieses Wissen besitzt, will sich ihr gegenüber jedoch erheben, da er der „Klügere“ sein möchte. Manterruption definiert Situationen, in denen Frauen immer wieder von Männern mitten im Satz unterbrochen werden, besonders in beruflichen Situationen wie Sitzungen und Meetings. Um aufzuzeigen,wie häufigFrauen im alltäglichen Leben von Männern unterbrochen wurden gibt es eine App namens „womaninterrupted“. Diese App läuft den ganzen Tag im Hintergrund mit und zählt, wie oft eine Frau von einem Mann unterbrochen wird. Anschließend wertet sie die Unterbrechungen aus und resultierteine Anzahl, wie oft die Nutzerindurchschnittlich pro Minute unterbrochen wurde.

schen Jungferninseln, am seltensten werden Frauen in Luxemburg mit 0,03 Unterbrechungen pro Minute „interrupted“. Österreich liegt aufPlatz 75, hier werden Frauen durchschnittlich einmal pro Minute im Gespräch unterbrochen. Manspaining und Manterruption sind zwar seltener online aufzufinden als im echten Leben – in dem sie wohl noch häufiger stattfinden –, aber besonders Mansplaining ist auch virtuellein echtes Problem. Und oft wird es als ein solches gar nicht wahrgenommen. Laut Lena Jäger seidie Gesellschaft noch in alten Mustern verankert, innert derer eineBelehrung als gut gemeint und nicht als beleidigend betrachtet werde, und zwar von beiden Seiten.

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„Ihr habt das falsch verstanden.“ „Nein, lass mich dir das erklären.“ „Das schaut so aus.“ Frauen dürfen wählen, arbeiten und ihre Stimme erheben. Obwohl, dürfen sie tatsächlich ihre Stimme erheben? Gerade online werden sieimmer wieder eines „besseren belehrt“. Auch ein Fall wie bei Sigi Maurer, der vormaligen Politikerin der GRÜNEN, kommt nicht selten vor. Immer wieder werden speziell Frauen online belästigt oder verbal angegriffen. Laut Caroline Kerschbaumer ist Hass –besonders im Internet–großteils gegen bestimmte Gruppen gerichtet, egal ob eine religiöse Gemeinschaftoder einem ganzen Geschlecht. Die Täter, oder auch Täterinnen, haben meist eine große Aggression in sich, für die Web 2.0 eine perfekte Plattform biete. Denn dort seidie Hemmschwelle sehr viel geringer als bei einer Face-To-Face-Situation.


seinen bzw. ihren Hass zu den unterschiedlichsten Themen freien Lauf lassen. Hier kommt es letztendlich auch in manchen Unterforen zu genderspezifischen Hass und einer allgemeinen Abwertung von Frauen. In diesen Foren werden nicht nur ehrenamtliche Organisationen wie das „Frauenvolksbegehren 2.0“ in ein sehr schlechtes Bild gerückt, sondern Frauen auch dazu aufgefordert, wieder ihren alten Platz in der Gesellschaft einzunehmen: Küche und Schlafzimmer. Diese Foren seien laut Jäger Antworten auf den Feminismus. Die Betreiber stützten sich stark auf das Ideal von „Früher war alles besser“ und hätten letztlich Angst vor Veränderung. Denn um Frauen zu stärken, müssen Männer einen gewissen Anteil an Macht abgeben, und das wollen viele schlichtweg nicht. Und da es stark an einem konstruktiven Dialog mangele, flüchten sich die „verdrängten Männer“ letztendlich in solche Foren. Jedoch sind sie nicht alle in einen Topf zu werfen. Beispielsweise gibt es auch Väterrechte-Foren, die einen durchaus positiven Einfluss auf die Gesellschafthaben können. Einige sprechen sich beispielsweise positiv in puncto Frauenvolksbegehren aus, da sie selbst der Meinung sind, dass nicht die gesamte finanzielle Verantwortung auf denSchultern der Männer lasten sollte und

auch viele Väter für einige Monate zu Hause bei ihren Kindern bleiben wollen. Erste Schritte in die richtige Richtung Laut Jäger und Kerschbaumer könne man auch als Einzelperson etwas gegen Hass im Netz tun, wichtig sei jedoch gleichzeitig die Hilfe und Einsicht der Regierung. Beispielsweise könne jedes Individuum bei einem Fall von Hass im Netz kommentieren und eine andere Meinung kundtun, um aufzuzeigen, dass es auch andere Sichtweisen auf ein Thema gibt. Außerdem ist es auch möglich Fälle zu Hass im Netz bei den Plattformen selbst, oder bei der von ZARA betriebenen Beratungsstelle #GegenHassimNetz zu melden. Laut Jäger seies aber trotzdem wichtig, dass die Regierung einschreite. Und zwar indem sie das zivile Strafrecht verändere, damit Frauen, die sich online belästigt fühlen, auch wirklich die Möglichkeit zur Klageund möglichst schnell einen finanziellen und rechtlichen Beistand bekämen. Bis zur absoluten Gleichstellung ist es letztendlich noch ein langer Weg, jedoch ist die österreichische Gesellschaft bereits am richtigen Pfad mit Initiativen wie dem Frauenvolksbegehren 2.0 – welches Aufmerksamkeit für das Thema schürt –und ZARA– einer Organisation, die sich speziell für Opfer

von Hass im Netz einsetzt. Letztendlich liegt der Großteil der Verantwortung, um Hass im Netz aktiv zu bekämpfen bei jedem und jeder selbst. Indem man kontert und Vorfälle tatsächlich meldet. Nur damit, und mit Unterstützung der Regierung, kann man gegen Hass im Netz nachhaltig vorgehen. von Denise Docekal

Lena Jäger Copyright: Frauenvolksbegehren

Geschlechterhass im Netz Thema

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„Revenge Porn“ - Kontrollverlust der eigenen Identität im Netz Ein schneller Klick –und ein durch den Ex-Partner gebrochenes Herz, Eifersucht auf erfolgreiche Personen oder grundlose Willkür lassen intime Fotos im Netz erscheinen. SUMO diskutiert mit der dänischen Online-Menschenrechtsaktivistin Emma Holten und dem Internet Security-Experten Matthias Jax (ÖIAT) über die Ernsthaftigkeit und die verheerenden Auswirkungen eines zerstörerischen Phänomens.

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Von Revenge Porn spricht man, wenn intime Bilder oder Videos ohne Einwilligung der gezeigten Person im Internet veröffentlicht werden. Täter sind meist Ex-Partner, die diese Bilder oder Videos während der Beziehung erhalten oder erstellt haben, oder Hacker, die sich illegal privater Dateien bemächtigen. Dies geschieht aus rachsüchtiger, unterhaltender oder politischer Intention. Laut Matthias Jax – Projektleiter Digitale Medien am Österreichischen Institut für angewandte Telekommunikation (ÖIAT) – besteht, wie bei Cyber-Mobbing, eine große Gefahr darin, dass durch digitale Medien diese Fotos sehr breit gefächert viele Leute über einen langen Zeitraum erreichen. Sobald diese Bilder oder Videos online sind, werden sie das erfahrungsgemäß auch für immer sein. Es bleibt nicht bei einem Nacktfoto, dieses verbreitet sich rasch über verschiedenste (Soziale Medien-) Kanäle, es wird kommentiert, private Details werden öffentlich gestellt. Die ursprüngliche Quelle des Bildes verschwindet häufig in der Komplexität des Internet. Die Weiterverbreitung scheint nicht mehr aufhaltbar und darüber hinaus erhält das Opfer Hassbotschaften und Drohungen von Unbekannten und nicht immer anonymen Absendern. Diese Online-Zurschaustellung führt bei Opfern oftmals zu Vertrauensproblemen, posttraumatischer Belastungsstörung, Angstzuständen, Depressionen oder Selbstmordgedanken.

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Wenn man plötzlich die Kontrolle verliert Die Dänin Emma Holten musste 2011 diese Art von „Non-consensual Pornography“ am eigenen Leib erfahren. Weil sie sich nicht mehr in ihre Accounts einloggen konnte, dachte sie zuerst, sie hätte die Passwörter vergessen. Doch wie aus dem Nichts kamen unzählige E-Mails von unbekannten Absendern. Die Nachrichten enthielten Nacktfotos oder Links zu den Webpages, auf denen die Fotos veröffentlicht wurden. Diese Bilder hatte sie einige Zeit zuvor ihrem damaligen Freund geschickt und nicht mehr weiter darüber nachgedacht. Ihr Ex-Freund war auch nicht der Tä-

ter, sondern eine – noch immer – unbekannte Person, die ihre Online-Accounts gehackt hatte. Als sie den Links zu den Webpages folgte, musste sie feststellen, dass nicht nur ihre Nacktfotos gepostet wurden, sondern darüber hinaus ihre Passwörter, ihre Adresse, ihre Handynummer, die Namen ihrer Familienmitglieder – „Almost all the identifying information of me was out there“, so Holten. Die Dänin rief bei der Polizei an, die Antwort war ernüchternd: „,We are pretty sure that something illegal is happening here and you can make a report but if I were you, I wouldn’t waste my time doing that because we are not going to do anything.’” Holten versuchte, die Betreiber der Webpages zu kontaktieren mit der Aufforderung, ihre Bilder zu löschen. Doch dieser wurde nur selten stattgegeben. Die Betreiber verlangten Beweise, dass die Bilder ohne ihre Zustimmung gepostet wurden. Das einzige Argument, dem stattgegeben wurde war, dass sie auf einigen Bildern noch minderjährig war. Beim Zugänglichmachen von pornographischen Darstellungen einer minderjährigen Person sind die Gesetze hart – vor allem in den USA. Das schreckte zwar Betreiber ab, war jedochder einzige Grund, einen Teil der Bilder von der Seite zu nehmen. Ansonsten gab man ihr selbst die Schuld, für solche Fotos überhaupt zu posieren. Ob dieser Demütigung und Stigmatisierung versuchte sie, die gehackten Nacktfotos vorerst geheim zu halten, damit keiner in ihrem persönlichen Umkreis davon erfuhr. Aber natürlich musste sie herausfinden, dass dies unmöglich war. Sie wurde online bloßgestellt, erniedrigt und erpresst. Die Fotos wurden an Familie, FreundInnen und ArbeitskollegInnen gesendet. Das Ganze hatte Dimensionen angenommen, die nicht mehr kontrollierbar waren. „I felt an extreme sense of a loss of control. And since then I couldn’t decide who I was anymore or what my name meant or what a picture of me was supposed to mean.”

„Revenge Thema Porn“ - Kontrollverlust der eigenen Identität im Netz


Perfekte Profilbilder verstecken häufig unehrenhafte Gesichter Obwohl Holten auf ihren Profilen regelmäßig belästigt wurde, nützte sie Soziale Medien nach wie vor. Einerseits, damit nicht alles hinter ihrem Rücken geschah und sie ein Gefühl hatte zu wissen, was los war. Andererseits um zu versuchen, eine andere Geschichte über sich selbst zu präsentierenund den Bildern nicht die Macht zu geben, das Einzige zu sein, was von ihr im Netz zu finden war. Auf die Frage, warum sich UserInnenan der Weiterverbreitung dieser Bilder beteiligen, meint sie: „I think obviously there are a lot of people who look at those pictures for sexual use. It is my impression that the people who go so far as to harass, threaten or blackmail others – they definitely do it because it makes them powerful. It makes them feel that there is someone below them and it gives them a sense of controlling and using another person for their game.” Und diese Taten führten NutzerInnen von Sozialen Medien in Holtens Fall mit ihren persönlichen, nicht anonymen Accounts aus. Mit Profilbildern, von denen eine sympathische Familie herunter lächelte. Denn, so Holten, sie würden denken, dass sich die Opfer für die Inhalte schämen und somit sie selbst keine Konsequenz zu befürchten hätten. Internet Security-Experte Matthias Jax sieht genau darin ein großes Problem. Viele Soziale Medien-NutzerInnen glauben, sie befänden sich online in scheinbarer Anonymität und ließen sich dadurch, anders als auf offener Straße, schneller auf Beleidigungen und andere Taten ein. Herrscht im Internet ein Zustand der gesetzlosen Anarchie? Jax betont jedoch, dass es sich im Internet nicht um einen gesetzlosen Raum handelt. „Gesetz ist Gesetz. Revenge Porn ist ja nichts anderes als die Verletzung von ureigenen Urheber-und Persönlichkeitsrechten. In dem Moment, wo es passiert, gegen mich selber –und ich bin Österreichische/rStaatsbürger/ in–sind die Gesetze auch anwendbar. Es hat gar nichts damit zu tun, ob das von einer ausländischen oder inländischen IP-Adresse oder sonst woher gekommen ist.“ Neben Cybermobbing und pornografischer Darstellung Minderjähriger könnten auch Straftaten wie Verleumdung und üble Nachrede im Rahmen von Revenge Porn geschehen. Eine Schwierigkeit in Fällen von Revenge Porn läge jedoch darin, herauszufinden, wer der/die Anschlussinhaber/in sei, um in weiterer Folge den/ die Täter/in zu identifizieren. Hier wer-

de es komplexer, wenn der/die Täter/ in beispielsweise IP-Adresse und den Standort des Computers verschlüsselt. Außerdem würden Opfer oft aus Angst und Scham keine rechtlichen Schritte einleiten. Bei Sozialen Medien wie „Facebook“ und „Instagram“ können Opfer die Fotos sofort melden, damit diese gesperrt und nicht mehr gepostet werden können. Bei anderen Websites rät Matthias Jax mit dem „Internet Ombudsmann“ in Kontakt zu treten. Dabei handelt es sich um eine kostenlose Rechtsberatungs- und Schlichtungsstelle vom ÖIAT. Über den „Internet Ombudsmann“ können die Fotos auf

dieser Bilder zu verhindern. Man sendet also höchst vertrauliche Fotos an ein US-amerikanisches Unternehmen, das allzu oft durch schwerwiegende Verstöße gegen die Privatsphäre auffällt? Matthias Jax jedenfalls würde dringend davon abraten, „Facebook“ eigene Nacktbilder vorab zur Verfügung zu stellen. Auch Emma Holten ist skeptisch und sieht es nicht als Verantwortung von mächtigen Social Media-Konzernen, sich durch solche Kampagnen um die Rechte der UserInnen zu kümmern. Proaktiv würde sie das Tool nicht verwenden.

den Plattformen durch ein spezielles Programm direkt gemeldet und dadurch schneller gelöscht werden.

Was tun gegen Revenge Porn? Das Erstellen und Versenden von eigenen Nacktbildern sei ein persönliches Recht, das nicht eingeschränkt werden dürfe, so Holten. Sie findet es außerdem wichtig, keine Angst zu schüren. Es existiere sehr viel Solidarität und Anstand auf der Welt. Täglich werden unzählige Nacktfotos untereinander versendet und nicht publiziert, sondern gelöscht, wenn Beziehungen auseinander gehen.

Den Tätern zuvorkommen – das Pro-Active Reporting Tool von „Facebook“ „Facebook“ sorgte im Mai 2018 für Aufsehen, als ein Testlauf für das „Facebook Pro-Active Reporting Tool“ in Großbritannien, Kanada, den USA und Australien durchgeführt wurde. Es sei laut Konzern speziell entwickelt worden für UserInnen, die Angst hätten, dass Nacktbilder von ihnen zukünftig auf „Facebook“ veröffentlicht werden könnten. Dabei sollten jene die sensiblen Fotos vorab „Facebook“ zusenden. Diese würden von einem speziell ausgebildeten „Community Operations Safety Team“ geprüft, daraufhin ein „Hash Code“ erzeugt werden und die Fotos wären nach einer Woche wieder von den „Facebook“-Servern gelöscht. Der „Hash Code“ sei nach wie vor abgespeichert, um das zukünftige Posten

Auch Matthias Jax ist der Meinung, dass „nichts gegen diese Art von Kommunikationen spricht. Es geht nur darum, dass man sich dessen bewusst ist, dass online gestellte Inhalte auch gegen einen verwendet werden können.“ Daher sei es wichtig, mit der Zielgruppe regelmäßig über diese Themen zu sprechen und mit Nachdruck darauf aufmerksam zu machen, dass es sich um extrem intime Fotos und bei der unerlaubten Weiterleitung um einen absoluten Eingriff in die Privatsphä-

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re handelt. Banale Tipps wären, darauf zu achten, dass Gesicht und Hintergrund nicht erkennbar sind und diese Fotos durch Passwörter schwerer zugänglich zu machen. Holten meint, es müsse eine Sensibilisierung in der Gesellschaft stattfinden und eine Umsetzung klarer Gesetze gegen Gewalt im Netz seitens der Staaten erfolgen.

Emma Holton Copyright: Peter Stanners

Mathias Jax Copyright: ÖIAT

Vox populi – die öffentlich gebilligte Meinung in Medien und Politik Die öffentliche Meinung vom starken Täter und dem schwachen Opfer scheint zu bröckeln. Bestärkt durch die #MeToo-Bewegung des letzten Jahres. Bestärkt durch Menschen wie Emma Holten, die sich von solchen Missbräuchen nicht unterkriegen lassen, öffentlich über das Thema sprechen und Opfern ein Gesicht geben. Holten hat auf ihre Geschichte 2014 in besonderer Weise aufmerksam gemacht und die Kontrolle über die Situation teilweise zurückgewonnen. Vor der Linse der dänischen Fotografin Cecilie Bødkerstellte sie fast nackt Alltagssituationen dar. Dieses Mal auf keine pornografische Weise. Sondern beim Buchlesen oder Zähneputzen. Dann stellte SIE diese Fotos FREIWILLIG online, mit einem Video über ihre Geschichte. Dadurch brachte sie auch außerhalb von Dänemark einen Stein ins Rollen. Laut der Menschenrechtsaktivistin sei die Gesellschaft in den letzten Jahren bereits viel offener und zuvorkommender geworden. „When this happened to me in 2011, I didn’t meet any people except for feminists who didn’t say it was my own fault. And that is a much rarer thing now.“ Wo der Fortschritt noch stark gebremst wird, sei die Politik. „I think it is very telling that types of violence that mostly hit teenagers, young women or gay men – that that type of crime is not seen as serious and as important. It is my understanding that if the majority of victims of Revenge Porn were extremely rich, powerful men who are 50 years old, there would be laws.” Und sie fügt an: „If thousands of people in your country are getting their privacy violated you are failing as a government to protect their human rights.“

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Medien tragen durch ihre Funktion der Information dazu bei, Unkenntnis zu verringern. Die Scheinwerfer müssen daher auch auf Randthemen wie „Revenge Porn“ gerichtet werden,umein Umdenkenin der gesamten Struktur der Gesellschaft voranzutreiben.Bei Rachepornografie gehtes nicht um die Nacktheit oder Sexualität der Person auf den Bildern. Durch die Tat wird das Recht auf Einverständnis ignoriert und die Kontrolle der eigenen Intimsphäre entzogen. Diese Tatsache darf nicht durch dominierende Unwahrheiten Unwissender oder MittäterInnenin den Tiefeneiner Schweigespirale verloren gehen. von Karin Pargfrieder

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Impressum Fachliche Leitung: FH-Prof. Mag. Roland Steiner E-Mail: roland.steiner@fhstp.ac.at Telefon: +43(2742) 313 228 -425 Fax: +43(2742) 313 228 -409 www.sumomag.at

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Medieninhaberin: Fachhochschule St. Pölten GmbH Matthias Corvinus-Straße 15 A-3100 St. Pölten Telefon: +43(2742) 313 228 www.fhstp.ac.at

Das Team der Ausgabe 32 und des Onlinemagazins www.sumomag.at von links nach rechts: Hannah Schreier, Roland Steiner, Anna Putz, Magdalena Stocker, Karin Pargfrieder, Christiane Fürst, Denise Docekal, Katharina Samsula, Sophie Bezensek, Kristina Wagner, Alice Meuer, Lisa Wögerbauer, Sophie-Luise Karson, Sabrina Bichler, Janina Schmid, Stefanie Brandstetter, Lukas Pleyer, Johanna Aigenberger, Natascha Schäffer, Kathrin Weinkogl, Nadja Malinowsky, Nicolas Hofbauer, Jan Müllner, Lara Hubmann, Theresa Rogl Nicht am Bild: Katharina Glück, Teresa Takacs, Bettina Berger, Anastasia Malyavko, Christian Woltran, Johanna Schrey, Katharina Arbeithuber, Manfred Binder

TEAMLEADERS REDAKTION: Putz PRODUKTION: Glück, Takacs BILDREDAKTION: Berger, Schreier VERTRIEB: Malyavko, Woltran KOMMUNIKATION RELEASE: Schrey SALES: Arbeithuber, Weinkogl SUMOMAG: Binder

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