„In neuen Welten“

4x Humboldt

Ein Namensbeitrag von Peter Korneffel
Im Schatten der Jahrhundertbäume
Der Naturforscher Aimé Bonpland –
Humboldts leitender Botaniker, Freund
effel und Buchautor
Ein Kooperationsprojekt: Mit Unterstützung:
Aimé Jacques Alexandre Goujaud-Bonpland war Ende des 18. Jahrhunderts einer der ambitioniertesten, jungen Botaniker Frankreichs. Sein Studium absolvierte
Aimé Bonpland in der europäischen Wissenschafts
-metropole Paris bei den führenden Medizinern und Naturwissenschaftlern. Wenig überraschend nomi
-nierten diese ihn 1798 zur Teilnahme als entsandter Botaniker der Wissenschaftsakademie an einer mehrjährigen Weltreise des berühmten Kapitäns Nicolas Baudin.
Die geplante Forschungsroute war Le Havre - Buenos Aires - Paraguay - Patagonien - Chile - Peru - Mexiko -
Kalifornien – Tahiti - Australien - Madagaskar - Guinea in Westafrika - Frankreich.
Für diese große Forschungsexpedition löste auch ein reicher Mineraloge und Chemiker aus Berlin sein Ticket zur Mitreise. Dass Aimé Bonpland Jahre später vielfach als der „Mann im Schatten“ dieses nur vier Jahre
älteren Preußen wahrgenommen wurde, geht zurück auf Napoleon. Dessen Krieg in Nordafrika und Kämpfe um die internationalen Seewege führten zu einem
Aussetzen der Baudin-Expedition auf unbestimmte Zeit. Mission impossible.
Nun wendete sich das Blatt, als der reiche Humboldt, selbst Sohn einer Französin, Bonpland zu einer eigenen
und äußerst abenteuerlichen Reise in die Tropen einlädt. Der examinierte Arzt und Botaniker Aimé Bonpland willigt ein. Er erhält von seinem weltberühmten Lehrmeister in der Botanik, Antoine-Laurent De Jussieu, sogar einen Geleitbrief mit dem Wunsch nach reger Korrespondenz und der Einladung zur Sammlung für die Wissenschaft Frankreichs.
Alexander von Humboldt finanzierte diese Expedition, privat, mit dem immensen Erbe seiner Mutter, was ihn de facto zum Leiter der Expedition machte. Insbesondere bezüglich der hoch improvisierten und mehrfach veränderten Reiseroute war Humboldt der Entscheider. Aimé Bonpland wiederum nahm die Position des leitenden Botanikers ein. Daneben war er der zoologische Experte und Expeditionsarzt, unbezahlt und bei vollem Risiko eines Scheiterns oder Sterbens. Und wenn die Reise Humboldt berühmt gemacht hat, dann auch, weil Bonpland ihn mindestens einmal vor dem Tod bewahrte, als ihr Kanu im reißenden Strom des Orinoko kenterte und Bonpland den Berliner Nichtschwimmer Humboldt vor dem Ertrinken rettete.
Im Reisepass des spanischen Königs fungiert Bonpland formell zwar als „Sekretär“ und „Gehilfe“. Doch in sechs Jahren ihrer lebensgefährlichen Expedition, 2113 Tage
und Nächte zusammen auf engstem Raum und in unbekannten Länder, wuchsen Bonpland und Humboldt zu engen, ja brüderlichen Freunden zusammen und bildeten ein ausgezeichnetes Reiseund Forscherteam.
Dafür, dass diese epochale Reise, beschleunigt nach ihrer Rückkehr nach Europa im Jahr 1804, als „Humboldts große Amerika-Reise“ in die Geschichtsbücher eingeht, hat mehrere Gründe: Wieder war es der reiche Humboldt, der über die gemeinsame Expedition das aufwändige Reisewerk finanzierte, publizierte und präsentierte, während Bonpland an der wissenschaftlichen Auswertung arbeitet und sich als Praktiker der Pflanzenforschung zunehmend einer neuen Leidenschaft zuwendet, der Arbeit und späteren Intendanz in den berühmten Gärten von Kaiserin Josephine.
In den ersten zwölf Jahren der Auswertung entwickelt sich Humboldt derweil zu einem gefeierten Wissenschaftsstar des frühen 19. Jahrhunderts und wird zum Begründer der Popularisierung von Wissenschaft. Doch zu gern wird vergessen, dass Humboldts Ruhm in wesentlichen Teilen und Werken auf der Geographie der Pflanzen basiert. Genau dafür hat Bonpland die Grundlagen in Fachkenntnis, Sammlung, und Beschreibung geliefert.
Bonpland ist nicht nur der Mitautor des Reisewerks. Humboldt selbst machte von Anbeginn keinen Hehl aus Bonplands Bedeutung. 1805 schrieb er: „Wir haben über sechs Jahre lang gemeinsam herbarisiert. Die Pflanzen wurden von uns beiden gesammelt [...]. Es war Herr Bonpland, der [...] allein fast sechzigtausend Pflanzenproben vorbereitet und getrocknet hat [...].
Wenn mein Unternehmen eines Tages als interessant für den Fortschritt der Botanik angesehen wird, muss dieser Erfolg fast vollständig dem aktiven Eifer von Herrn Bonpland zugeschrieben werden.“ Kaiser Napoleon gewährte Bonpland dafür eine Pension auf Lebenszeit.
Ein entscheidender Grund, warum Aimé Bonpland in Europa dennoch bald in Vergessenheit gerät, ist seine Auswanderung nach Südamerika Ende 1816, eine Schicksalsreise, von der er nie zurück kehrt und auf der er recht früh, 1821-1831, zehn Jahre unter Spionageverdacht in Gefangenschaft auf einer Finca in Paraguay verbringt, zwar in landwirtschaftlicher Arbeit, aber ohne irgendeinen Kontakt in die Außenwelt der Länderei.
Buenos Aires empfing Bonpland Anfang 1817 bereits mit höchsten Ehren und Erwartungen: „Die Ankunft dieses Gelehrten in einem bis heute nicht erforschten Land wird von großem Wert sein für das Wissen, welches der Welt noch fehlt“, schrieb La Gaceta. Die Verhaftung Bonplands durch den Diktator Paraguays löst zweifelsohne auch in Europa Empörung aus, so bei Humboldt und einigen führenden Wissenschaftlern.
Welche Bedeutung Bonpland aber insbesondere für Lateinamerika erlangt hat, belegt eine Petition Simón
Bolívars zur Freilassung Bonplands. In seinem flammenden Brief aus Lima vom 22. Oktober 1823 formuliert der Befreier seine „inbrünstige Bitte, (...) den besten Mann und den berühmtesten Reisenden zu befreien.“ Bolívar kämpft um „die Freiheit von Monsieur Bonpland“ mit flehenden Zeilen: „Bitte hören Sie den Schrei von vier Millionen Amerikanern, die durch die von mir befehligte Armee befreit wurden und die alle mit mir im Namen der Menschlichkeit, der Weisheit und der Gerechtigkeit, im Namen von Monsieur Bonpland, um Ihre Gnade flehen.“ Bolívar droht dem Diktator gar mit einem Einmarsch seiner Truppen in Paraguay!
Bereits im Arrest in Paraguay und mehr noch in den 27 Jahren nach der Freilassung wird Aimé Bonpland in der Region Rio de la Plata zu einem der wichtigsten Bo-
taniker, Pharmaforscher und Agrartechniker seiner Zeit. Sein Wirken in Argentinien, Uruguay und Süd-Brasilien, seine Nachfahren am Rio de la Plata und selbst seine Rehabilitation in Paraguay machen ihn zu einem hoch geachteten Naturforscher. Hier tragen Dörfer, Museen und Sammlungen seinen Namen. Argentinien gibt als einziges Land der Welt Bonpland zu Ehren 2009 eine Briefmarke heraus.
In Bonplands Nachlässen seiner Geburtsstadt La Rochelle und in den wissenschaftlichen Archiven von Paris finden wir zahlreiche Dokumente Bonplands. Die größte Sammlung an Korrespondenzen, Handschriften und weiterem Bonpland-Nachlass pflegt hingegen Buenos Aires, wo das Museo de Farmacobotánico Juan
Aníbal Domínguez soeben im Jahr 2023 die 2049
originalen Dokumente seines Archivo Aíme Bonpland vollständig digitalisiert hat. Nicht zufällig erscheint in Argentinien bis heute das botanische Fachmagazin Bonplandia.
Bonplands publizistisches Lebenswerk, der Atlas Floresta Americana von 1850, wurde nie veröffentlicht. Das botanische Manuskript, eine Identifizierung und Systematisierung von rund 8.000 Pflanzen der Region
Rio de la Plata vom Beginn der Conquista bis Mitte des 19. Jahrhunderts, war über 150 Jahre verschollen.
Dieses Werk, das auch die Materia Medica Misionera, eine einzigartige naturmedizinische Sammlung des Jesuiten Pedro de Montenegro, umfasst, tauchte erst 2009 als ein Sensationsfund der Wissenschafts -geschichte in einer staatlichen Sammlung in Ecuador auf und ist seither Gegenstand internationaler Forschung.
So früh auch Aimé Bonpland vom europäischen Parkett der Wissenschaft verschwand, so bedeutend war und ist er für die auch wissenschaftliche Emanzipation bedeutender Teile Lateinamerikas. Dort wählte Bonpland sein ganz besonderes Leben im Schatten:
„Ich habe mich daran gewöhnt, frei zu leben, im Schatten der Jahrhundertbäume Amerikas, dem Gesang der Vögel lauschend […]. Ich ziehe vor, was mir am meisten Freude bereitet: Meine liebste Gesellschaft, meine Pflanzen, die mein Glück und mein Leben sind. Nein, nein, hier lebe und hier sterbe ich.“
Herausgeber
Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland
An der Feuerwache 19
95445 Bayreuth
+49 (0) 921-15108240
info@stiftung-verbundenheit.de www.stiftung-verbundenheit.de
Stand
September 2023
Redaktion und Gestaltung
Verantwortlicher: Dr. Marco Just Quiles
Team: Amélie Bischoff, Jan Wilms, Martina Tortorelli
Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland
Stiftungsrat:
Parl. Staatssekretär a. D. Hartmut Koschyk (Vorsitzender), Florian Weisker (Stellv. Vorsitzender),
Ruth Maria Candussi, Thomas Kropp, Jörn Linster
Stiftungsvorstand:
Oberbürgermeister a. D. Prof. Dr. Oliver Junk (Vorsitzender),
Daniel Walther (Stellv Vorsitzender),
Knut Abraham MdB, Prof. Dr. Christopher Huth, Thomas Konhäuser