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Aha-Erlebnisse im Wasser
SCHWIMMKURS
Wie Kinder und Jugendliche das Schwimmen lernen – und warum sich für Teilnehmende auch eine weite Anreise lohnt: ein Augenschein im Hallenbad des Schweizer ParaplegikerZentrums.
Von Peter Birrer
Lena lässt nicht locker. Die Achtjährige mit der blauen Badekappe hat eben ein erstes Mal geübt, wie sie allein vom Beckenrand ins Wasser gelangt, beim zweiten Anlauf soll es noch besser funktionieren. Und wieso das Ganze nicht gleich ein drittes Mal wiederholen?
Zwischen den Versuchen hört die Zweitklässlerin aus Malters aufmerksam zu, was Esther Zünd ihr erklärt, sie schaut genau hin, welche Bewegungen die Chefin des Schwimmkurses vormacht. Ein Kopfnicken von Lena. Weiter gehts.
Ein Samstagmittag im März im Schwimmbad des Schweizer Paraplegiker-Zentrums (SPZ) in Nottwil. Drei Kinder mit körperlicher Beeinträchtigung sind daran, ihre schwimmerischen Fähigkeiten voranzutreiben. Esther Zünd organisiert den Unterricht, der von der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV) angeboten wird. Zur Seite stehen ihr ein halbes Dutzend Leiterinnen, die unentbehrlich sind.
Franziska Döhler, Selina Weisshaupt und Sina Lang vermitteln diesmal ihr Wissen und können eine 1:1-Betreuung anbieten. «Nur dank ihnen sind wir überhaupt in der Lage, solche Lektionen durchzuführen», sagt Esther Zünd und hebt sowohl die Flexibilität ihres Teams als auch den konstruktiven Austausch untereinander hervor.
Mit Routine – und Hingabe
Seit Jahren schon trägt die 53-Jährige aus Ebmatingen ZH die Verantwortung für diese Kurse, die sie zwar mit reichlich Routine bewältigt, aber unverändert bleibt ihre Hingabe. Für die Schwimminstruktorin mit eidgenössischem Fachausweis vereinen Kurse in ihrem Lieblingssport viele Vorteile für alle, die ihn absolvieren.
Da ist zum einen der Sicherheitsaspekt: Die Teilnehmenden werden mit Techniken vertraut, die ihnen helfen, sich im Wasser richtig und – idealerweise – selbstständig zu bewegen. Da ist zum zweiten der Therapieansatz, Schwerelosigkeit zu erleben und auch das Selbstwertgefühl zu steigern. Und da ist zum dritten der Faktor Sport, das Kennenlernen und auch Verschieben der eigenen Leistungsgrenze. «Manchmal sind die Mädchen und Buben nach einem Training nudelfertig», sagt Esther Zünd. «Die intensive Stunde kostet verständlicherweise viel Energie.»
Übung macht die Meisterin Esther Zünd und Lena
Sie und ihr Team kümmern sich liebevoll um den Nachwuchs unterschiedlichen Alters; Kindergärtler sind ebenso willkommen wie Jugendliche bis 18 Jahre. Zwischen Februar und November treffen sie sich jeweils am letzten Samstag des Monats zur Mittagsstunde in Nottwil, normalerweise acht Teilnehmende in zwei Gruppen. Die Leiterinnen gehen auf die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten ein. Sie probieren viel aus und suchen nach immer neuen Lösungen. In den Kursen können auch Abzeichen erlangt werden, wobei Esther Zünd eines betont: «Es werden keine Geschenke verteilt. Jede und jeder muss sich ein solches Abzeichen erarbeiten.»
Die Feedbacks der Leiterinnen
Nach jedem Unterrichtstag wird schriftlich festgehalten, wer was gelernt hat, was gut und was weniger gut gelungen ist. Die Feedbacks werden allen Leiterinnen zugestellt und die gewonnenen Erkenntnisse fliessen in die nächsten Lektionen ein. In der Vorbereitung auf die Schwimmstunde wird definiert, wer in welchem Bereich geschult werden soll.
Fortgeschrittenen wird beispielsweise beigebracht, wie sie richtig atmen oder die Augen offen halten können. Aber es gibt auch Anfänger, für die alles mit der Wassergewöhnung im kleinen Becken beginnt, das heisst, sie sollen die Scheu ablegen und auf spielerische Weise lernen, wie sich Bewegung im Wasser anfühlt.
Nichts ist schöner und emotionaler als ein Aha-Erlebnis im Wasser: zwei Meter mehr als im letzten Training zurücklegen, ohne fremde Hilfe ins Wasser gelangen, erstmals tauchen – jeder noch so kleine Lernfortschritt ist ein Erfolg, den nicht nur die Teilnehmerin oder den Teilnehmer freut, sondern auch die Kursleitung, und der allen Beteiligten als Ansporn dient, nie nachzulassen.
Schwimmen «wie die anderen»
An Eifer mangelt es kaum. Noemi Studer ist eine Jungschwimmerin, die sich keine Stunde in Nottwil entgehen lassen will. 14 ist die Schülerin aus Kriens, sie liebt es, im Sommer mit Kolleginnen und Kollegen viel Zeit in der Badi zu verbringen. Noemi, die mit einer Cerebralparese zur Welt gekommen ist, möchte sich im Wasser bewegen können «wie die anderen», so sagt sie das. Die anderen – es sind die Kinder ohne körperliche Behinderung.
Brustschwimmen ist Noemis bevorzugte Disziplin, darauf konzentriert sich die Siebtklässlerin an diesem Samstag. Spass hat sie ausserdem am Tauchen. «Ich mag Sport», erzählt sie und berichtet davon, dass sie auch am Monoskibob interessiert ist. Wie das auf hohem Niveau klappt, hat sie mitbekommen, als sie die Paralympics in China verfolgte.
Auch für Lena ist der Sport ein Vergnügen. Je stilsicherer sie im Wasser unterwegs ist, desto stärker wird ihr Selbstvertrauen. «Sie ist eine Kämpferin», sagt ihr Vater Christian Iten, «sie schwimmt sehr gerne. Es gibt ihr ein Gefühl von Freiheit.» Beharrlichkeit zeichnet Lena aus, sie zeigt einen starken Willen und grosse Lust, mit Fleiss stetig besser zu werden. Müde ist auch sie nach einem Kurstag, «aber zufrieden müde», wie Christian Iten anmerkt. «Sie fühlt sich in den Schwimmkursen sehr wohl.»
Nathanael sammelt Abzeichen
Dasselbe gilt für Nathanael Stutz, der in der Berner Gemeinde Boll daheim ist. Die Anreise nach Nottwil dauert zwar über eine Stunde mit dem Auto, aber seine Mutter Barbara betont: «Ein vergleichbares Angebot wie dieses von der SPV gibt es in unserer Nähe nicht. Hier haben wir die Gewissheit, dass er richtig schwimmen lernt, weil man sich gezielt um ihn kümmert.»
Dass sich Nathanael immer wohler und sicherer im Wasser fühlt, ist für die Bernerin nicht zuletzt deshalb von grosser Bedeutung, weil es für sie im Sommer dazu gehört, Ausflüge auf der Aare zu unternehmen: «Es ist wichtig, dass Nathanael sich möglichst selbstständig zurechtfindet.» Noch ist die Familie oft gemeinsam mit dem Gummiböötli unterwegs, aber eines Tages soll Nathanael selber mit Freunden den Spass in der Aare geniessen können.
Furchtlos ist er, das zeigt er im Hallenbad, als er dynamisch ins Wasser springt. Dann zeigt er, wie gut er schwimmen kann. Vier


Ambitioniert Noemi (oben links) und Nathanael (unten) haben klare Ziele
Abzeichen hat er sich bereits verdient, für jedes einzelne hat er eine Prüfung ablegen müssen. Aber die Sammlung ist noch nicht komplett, drei fehlen noch. Ob er vor einem Test jeweils nervös ist? Kopfschütteln.
Esther Zünd ist zufrieden, wie der Kurstag verläuft. Seit über 30 Jahren engagiert sie sich in der Ausbildung, der Schwimmsport wird sie noch lange begleiten. Die ausgewiesene Fachfrau, die früher als Athletin der Schweizerischen LebensrettungsGesellschaft SLRG an Weltmeisterschaften teilnahm, packt da an, wo es nötig ist. Eine ihrer Aufgaben besteht auch darin, Ängste zu nehmen, wie an jenem Samstag. Eine Mutter begleitet ihren Sohn zum Kurs. Der Bub hat Tränen in den Augen, er weiss nicht, was auf ihn zukommt.
«Keine Sorge», sagt Esther Zünd zu ihm. «Du musst nichts tun, was du nicht willst. Du darfst ganz allein entscheiden.» Sie schaut ihn an, klatscht mit ihm ab. Kurz darauf ist der Bub im Wasser. Und strahlt.
Schwimmkurs 2023 Anmeldungen sind ab Dezember 2022 über unsere Webseite www.spv.ch möglich.