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Laufen dank Elektrostimulation
NACHGEFRAGT
Querschnittgelähmte gehen wieder. Einem Forschungsteam der ETH Lausanne und der Lausanner Uniklinik ist das dank gezielter Elektroimpulse gelungen. Anke Scheel-Sailer, Leitende Ärztin Paraplegiologie des SPZ, ordnet diesen Erfolg ein.
Von Nadja Venetz
Die Nachricht, dass Menschen mit Querschnittlähmung dank Elektrostimulation wieder laufen können, klingt nach einem Wunder. Was hat es damit auf sich?
Speziell entwickelte Elektroden werden operativ an die Nervenwurzeln, eventuell über das Rückenmark positioniert, damit sie dort differenzierte Impulse abgeben. Durch die Weiterentwicklung dieser Technik ist es einem Team in Lausanne gelungen, dass drei Patienten nach mehrmonatigem Training und mit Hilfsmitteln wie einem Rollator einige Schritte gehen können. Gelungen ist das aber auch dank den drei Probanden, die hochmotiviert und intensiv mitgearbeitet haben und zudem über eine ausreichende Rumpfstabilität verfügen. Ohne deren Ausdauer und Anstrengung wäre das nicht geglückt.
Wie lässt sich dieser Durchbruch einordnen?
Ein Pilotprojekt ist da, um innerhalb einer definierten Gruppe die Machbarkeit zu zeigen; zu zeigen, das ist möglich. Und das ist den Forscherinnen und Forschern gelungen. Das ist genial. Es ist machbar, dass eine mittelhoch gelähmte Person durch Elektrostimulation wieder eine Gehfähigkeit erreicht. Für die breite Bevölkerung hat das aber in diesem Stadium noch keine direkten Auswirkungen.
Welche Personen profitieren von einem solchen Projekt?
Wie gesagt ist die Technik nach wie vor in der Entwicklungsphase. Von einem routinierten Einsatz sind wir noch weit weg. Das Studienteam in Lausanne sucht natürlich immer wieder Probanden für die Entwicklung des nächsten Prototyps. Die Probanden dürfen keine wesentlichen Miterkrankungen haben, sie dürfen nicht zu alt sein, damit die Knochen nicht zu fragil sind, sie dürfen nicht zu viele Dekubitus und nicht zu viel Spastik haben, weil das sonst Probleme gibt. Sprich, es müssen sehr gesunde Menschen mit einer Querschnittlähmung sein. Und sie müssen Lust haben, sich stundenlang über Wochen und Monate in diese Rehabilitation zu begeben und das weiter auszuprobieren.
Was könnten nächste Schritte sein in der Entwicklung?
Mehrere Richtungen sind denkbar. Die Bemühungen können dahin gehen, die Steuerung der Bewegungsabläufe zu verbessern, damit das Gangbild besser wird. Ein nächster Schritt könnte auch sein, dass versucht wird, differenziert über die Haut zu stimulieren. Das würde die Technik etwa für die Rehabilitation einsetzbar machen. Aktuell ist ein operativer Eingriff notwendig, und das birgt immer Risiken. Und dann wird man sehen, wie weit man das nutzen kann, etwa in Kombination mit einem angepassten Exoskelett und anderen Unterstützungen, die von aussen helfen.
Welche Hoffnungen weckt ein solches Forschungsprojekt?
Ich glaube, es stimmt zuversichtlich, dass Menschen mit dem Ziel forschen, irgendwann eine alltagstaugliche Unterstützung für Menschen mit einer kompletten Querschnittlähmung zu entwickeln, damit diese wieder gehen können. Da steckt viel Arbeit dahinter, die viel Respekt verdient. Aber es ist nicht so, dass nächstes Jahr alle Menschen mit einer Querschnittlähmung laufen können. Dennoch, ein solches Projekt nährt die Hoffnung und zeigt die Wahrscheinlichkeit, dass es eines Tages vielleicht mit anderen unterstützenden Massnahmen möglich ist. Und das ist toll!
Mit Rollator einige Schritte gehen