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Thomas Köppel und Hugo Müller

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Bruno Weibel

Bruno Weibel

IM GESPRÄCH

«Dieses Amt ist eine Art Lebensschule»

Zwei Präsidenten, ein Gespräch: Thomas Köppel und Hugo Müller diskutieren über ihre Rollen. Und sagen, wie sie versuchen, Neumitglieder zu gewinnen.

Von Nadja Venetz und Peter Birrer

Sie engagieren sich nicht nur mit Leidenschaft und ehrenamtlich für ihre Clubs, sondern scheuen sich auch nicht vor der Verantwortung: Thomas Köppel ist Präsident des Rollstuhlclubs St.Gallen, Hugo Müller des Rollstuhlclubs Zentralschweiz. Die beiden reden über Herausforderungen der Vorstandsarbeit, sagen, warum das auch in der heutigen Zeit spannend ist – und erklären, dass der Austausch untereinander ein zentraler Punkt ist.

Was macht für euch den Reiz des Clublebens aus?

Thomas Köppel: Miteinander Sport zu treiben und Ausflüge zu machen sind wesentliche Bestandteile. Aber genauso reizvoll ist das gesellige Beisammensein nach einem Training in der Beiz. Oft ist es einfach auch lustig. Ich bin seit jeher ein Teamsportler und als Vereinsmensch schätze ich es, wenn man füreinander da ist und sich gegenseitig hilft.

Mit Herzblut dabei Hugo Müller (links) und Thomas Köppel Hugo Müller: Mit Gleichgesinnten Sport machen und Ausflüge unternehmen, das macht das Clubleben aus. Miteinander und nicht gegeneinander!

Darum war für dich immer klar, dass du Mitglied eines Clubs wirst?

Thomas Köppel: Ja. Nach meinem Unfall im Jahr 2000 kam ich in die Reha nach Nottwil und dort in Kontakt mit dem Rollstuhlfahrer Erwin Zemp, der als Bereichsleiter der Lebensberatung bei der Schweizer Paraplegiker-Vereinigung arbeitete. Er sagte mir, dass es in der Nähe meines Wohnortes den Rollstuhlclub St.Gallen gebe, der verschiedene Sportarten und Freizeitaktivitäten anbiete. Und noch während der Reha in Nottwil schaute dessen damaliger Präsident Hanspeter Bieri bei mir vorbei und stellte mir den Club näher vor. Einen jungen Kerl wie mich könnten sie im Basketball gut brauchen, sagte er. Nach dem Ende der Reha besuchte ich gleich ein erstes Training – und seither bin ich bei den Rolling Rebels dabei. Das sind mittlerweile 22 Jahre. Hugo Müller: Ich bin wie Thomas seit jeher ein Vereinstyp. Auch mich hat Erwin Zemp ins Clubleben eingeführt, und mit ihm zusammen habe ich angefangen, Rennrollstuhl zu fahren. Sport war für mich die beste Therapie. Das Clubleben besteht aus Treffen, aus dem Austausch mit anderen Leuten, angeregten Gesprächen und schönen Ausflügen. Das müsste meines Erachtens auch den Nachwuchs reizen, sich rege

zu beteiligen. Dem ist leider nicht so. Das Interesse am Sport ist da, daneben hält es sich in Grenzen. Es wäre schön, wenn die Jüngeren auch an Clubaktivitäten aktiver mitmachen würden.

Was führte euch dazu, im Vorstand mitzumachen?

Thomas Köppel: 2018 gab es in unserem Vorstand einen Todesfall, und die Verantwortlichen kamen auf mich zu: Thomas, du bist schon lange dabei, kennst alle und alles, hast eine eigene Meinung – hast du Lust, Vizepräsident zu werden? Für mich war innert fünf Minuten klar, dass ich das mache. Hugo Müller: Ich bin seit 1991 im Club, konnte viel profitieren und lernte viele gute Leute kennen, die mir das Leben im Rollstuhl vereinfachten. Seit 2016 bin ich im Vorstand.

Und jetzt seid ihr beide gar Präsidenten. Gewollt oder ungewollt?

Thomas Köppel: Unser vorheriger Präsident «Hampi» Bieri sagte mir nie offen, dass ich einmal für ihn nachrutschen sollte, aber ich spürte schon, was er vorhatte (lacht). Ich hatte das Glück, gut vorbereitet zu sein. Während drei Jahren konnte ich Hampi über die Schulter schauen. Dass ich mich mit voller Überzeugung und Lust engagiere, hat nicht zuletzt mit unserem hervorragenden Vorstand zu tun, in dem man sich gegenseitig hilft und grosser Wert auf Zuverlässigkeit gelegt wird. Die Aufgaben sind fair auf die Ressortchefs verteilt. Hugo Müller: Nicht ganz ungewollt! Aber ich liess mich mit dem Wissen in den Vorstand wählen, dass ich ab 2018 die Nachfolge von Andrea Emmenegger übernehme, die zehn Jahre lang Präsidentin war.

Ihr habt Erfahrungen gesammelt und dürft nun ein bisschen die Werbetrommel rühren: Warum ist es cool, Präsident eines Rollstuhlclubs zu sein?

Thomas Köppel: Man begegnet vielen spannenden Menschen und lernt vieles. Ich würde sogar von einer Art Lebensschule reden. Hugo Müller: Es ist wirklich wie eine Lebensschule. Zu Beginn gab es Zweifel, aber vieles hat sich danach eingependelt. Ich war früher sportlich sehr aktiv und wurde vom

RC St. Gallen beim Spanferkelessen und im Austausch mit dem Buspersonal der Stadt

Club tatkräftig unterstützt. Nun kann ich dem Club etwas zurückgeben. Auch wenn es heute noch Sachen gibt, die mich fordern und manchmal überfordern.

Wann ist das der Fall?

Hugo Müller: Strategien und Statuten sind nicht mein Ding. Bei der Schweizer Paraplegiker-Gruppe den Durchblick zu behalten, das ist nicht ganz einfach. Zum Glück sind sehr gute Leute im Vorstand. Es ist spannend, zusammen Lösungen zu finden.

Wie gross ist der zeitliche Aufwand?

Thomas Köppel: Ich habe den Vorteil, genügend Zeit zu haben, weil mein Arbeitspensum nur 50 Prozent beträgt. Die Mails rufe ich jeden Tag ab. Pro Woche investiere ich in ruhigen Zeiten etwa eine Stunde. Hugo Müller: Das kommt hin. Manchmal gibt es auch Wochen, in denen der Aufwand deutlich grösser ist, etwa im Vorfeld einer Generalversammlung. Oder wenn der nächste Jahresbericht ansteht… (lacht).

Welche Aufgaben bleiben bei euch als Präsidenten hängen?

Thomas Köppel: Oft geht es darum, Dinge zu delegieren und später nachzufragen, ob alles geklappt hat oder noch Hilfe von meiner Seite benötigt wird. Die Gesamtverantwortung trägt halt der Präsident, darum möchte ich stets auf dem Laufenden sein. Hugo Müller: Das ist bei uns nicht anders. Aber eigentlich kann man als Präsident ja gut delegieren (lacht).

Thomas, du sagtest vorhin, du würdest viel lernen. Was vor allem?

Thomas Köppel: Ich sah mich anfänglich mit verschiedenen Fragen konfrontiert wie zum Beispiel: Wie produziere ich einen Jahresbericht? Was gehört alles dazu? Oder wie trete ich vor Leuten auf? Zu Beginn machte ich fast in die Hosen, wenn ich vor einer Zuhörerschaft reden musste. Inzwischen schnellt der Puls nicht mehr in die Höhe. Oder wenn ich am Ende eine saubere Broschüre in der Hand halte, ist die Freude umso grösser. Mir macht dieser Job einfach Spass.

Was bietet ihr in euren Clubs alles an?

Hugo Müller: Schwimmen, Turnen 50 plus, Leichtathletik, Basketball, Tischtennis und natürlich auch kulturelle Angebote. Ein grosser Vorteil ist zweifellos unsere geografische Nähe zu Nottwil, denn wir profitieren von der Topinfrastruktur. Demnächst wollen wir uns an einer Tagung mit Fragen auseinandersetzen: Wie soll die Zukunft im Club aussehen? Ist unser Angebot noch zeitgemäss? Wie können wir jüngere Leute ins Clubleben oder auch in den Vorstand einbinden? In den verschiedenen Riegen besteht eine Überalterung, ausser im Sportbereich. Thomas Köppel: Bei uns ist der Sport sehr wichtig, aber grosse Bedeutung hat auch das Kulturelle. Wir sind 200 Aktiv- und rund 100 Passivmitglieder. An der Hauptversammlung sind jeweils etwa 50 Leute dabei, an den Ausflügen 30 bis 40 und meistens dieselben. Wir werben intensiv darum, dass es mehr werden. Was wir ebenfalls feststellen: Es ist schwierig, die Jungen zu begeistern. Als ich Mitglied wurde, hätte ich es cool gefunden, zum Beispiel einen Baumwipfelpfad entdecken und anschliessend gemeinsam grillieren zu können.

Liegt es nicht am mittlerweile riesigen Freizeitangebot?

Thomas Köppel: Doch, es ist der Lauf der Zeit: Früher konnten wir im Dorf wählen zwischen Fussball, Turnen und Velofahren. Heute haben wir etwa 60 verschiedene Vereine. Und es will sich auch kaum mehr jemand zu irgendetwas verpflichten. Was wir ebenfalls merken: Die Coronazeit hinterlässt Spuren. Als alles wieder aufgegangen war, blieben einige, die vorher regelmässig dabei waren, dem Training fern.

Wieso das?

Thomas Köppel: Sie füllen ihre Freizeit anders aus, bleiben daheim, sind vielleicht bequem geworden oder haben ein FitnessAbo abgeschlossen. Wir müssen sehr viel Überzeugungsarbeit leisten, um wieder die Zahlen vor der Pandemie zu erreichen.

Wie versucht ihr, Mitglieder zu aktiverem Mitmachen zu bringen?

Thomas Köppel: Wir haben eine stets aktuelle Mitgliederliste, kennen die Art der Behinderung sowie den Jahrgang der Personen, und dann telefonieren wir mit ihnen. Bei einem Jungen meldet sich vielleicht der Zuständige des Ressorts Basketball, wenn einer 40 oder 50 ist und zum Beispiel halbseitig gelähmt ist, ruft der CurlingVerantwortliche an. Manchmal bekommen

RC Zentralschweiz an einer Feier in Kriens und in den Bergen

wir zu hören: «Super, was ihr macht. Aber ihr müsst nicht mehr anrufen.» Dann wissen wir, dass diese Leute im Club sind, weil sie von den Vorzügen profitieren wollen. Doch es gibt auch viele andere. Hugo Müller: Das fängt eigentlich schon in der Erstrehabilitation an. Die SPV hat Peers angestellt, welche die Frischverletzten besuchen und ihnen die SPV vorstellen, ihnen den Rollstuhlclub in ihrer Nähe vorstellen und die vielen Vorteile aufzeigen, wenn sie einem Club beitreten.

Junge Leute wollen Argumente hören. Warum lohnt es sich, am Vereinsleben teilzunehmen?

Thomas Köppel: Jungen Menschen, die zum Basketball kommen, sage ich immer: Kommt mit uns nach dem Training auf ein Getränk. In dieser Runde erfahrt ihr Interessantes von den Routiniers. Beim Bier drehen sich die Diskussionen beispielsweise um Ferien, und vielleicht hat einer einen guten Tipp: ein rollstuhlfreundliches Hotel mit barrierefreiem Zugang zum Pool, solche Sachen. Oder einer kennt jemanden, der ein umgebautes Auto zu günstigen Konditionen verkauft. Mehrmals schon habe ich erlebt, dass die Zuhörenden mitgeschrieben haben, wenn jemand aus der Runde etwas Spannendes erzählt hat. Damals mit 18 staunte ich als Grünschnabel selber, wenn die älteren Füchse referierten. Amortisationsbeitrag! Skifahren! Ferien! Aha! Ich hätte nie so viel erfahren, wenn ich nicht mitgegangen wäre. Hugo Müller: Am meisten lernt man von Rollstuhlfahrern, wenn man zusammen unterwegs ist. Die Angst vor dem Ungewissen wird so überwunden. Man sammelt gemeinsam Erfahrungen, sieht, wie Kolleginnen und Kollegen vorgehen, und man hilft einander. Wenn ich einem Fussgänger von Inkontinenz oder Katheterisieren erzähle, verstehen die meisten nur Bahnhof.

Worin besteht im Jahr 2022 die Aufgabe eines Rollstuhlclubs?

Thomas Köppel: Sicher darin, eine breite Palette an sportlichen und kulturellen Aktivitäten anzubieten. Wir müssen aber auch alte Strukturen überdenken und neue, attraktive Dinge ins Programm aufnehmen. Es gehört auch dazu, Überzeugungsarbeit zu leisten, innovativ zu sein. Ein Thema ist zudem die Digitalisierung. Und wir haben die Webseite aufgefrischt, wir achten darauf, dass regelmässig News aufgeschaltet werden. Hugo Müller: Strukturen und Angebote im Club zu überdenken, dazu die Angebote anzupassen – da sind wir gefordert.

Was wünscht ihr euch als Clubpräsidenten für die Zukunft?

Hugo Müller: Ich wünsche mir viel neuen Schwung nach unserer Tagung, die wir im Herbst in Angriff nehmen. Thomas Köppel: Freude und Spass an der Sache. Dass alle gesund bleiben. Und dass es nicht zu einer neuerlichen Coronapause kommt.

Was wünscht ihr euch von der SPV?

Thomas Köppel: Grundsätzlich sind wir zufrieden. Und wir sind froh, dass wir der SPV angehören. Und es ist super, dass Kurse aufgegleist werden: Wie sieht die Rolle eines Präsidenten aus? Was muss ein Kassier können? Bei uns in St.Gallen läuft es hervorragend, aber ich höre von anderen Vereinen, bei denen der Vorstand aus einer Person besteht. Darum finde ich es gut, wenn die SPV unterstützend zur Seite steht. Hugo Müller: Wir und die SPV sind nicht immer gleicher Meinung. Die neue Mitgliederverwaltung (genannt OM) für den Versand der Vereinsrechnung oder der Mitgliederverwaltung läuft nicht nach unseren Vorstellungen. Anfragen von Schülern oder Schulen sollten über die SPV laufen oder koordiniert werden. Ich glaube aber, dass mit dem neuen Direktor Laurent Prince vieles auf dem richtigen Weg ist. Wir sind im Dialog, das ist schon einmal gut. Insgesamt können wir uns glücklich schätzen, eine Vereinigung und eine Stiftung im Rücken zu haben. Thomas Köppel: Wir haben auch ein gutes Gefühl mit Laurent Prince und dem ganzen Team der SPV. Wir werden ernst genommen, der Austausch klappt, und ihr kämpft für uns Clubs um Rechte. Ihr seid mit Herzblut dran und probiert, das Beste für uns Rollstuhlfahrer herauszuholen.

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