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Streifzug durch Biel
AUSFLUG
Biel ist weit mehr als nur eine Stadt mit See. Rollstuhlfahrerin Verena Kümin zeigt uns ihre liebsten Ecken.
Von Nadja Venetz
«Ganz schön steil», finden wir, als wir in die Bieler Altstadt einbiegen, um uns mit Verena Kümin zu treffen. Sie wird uns heute ihre Wahlheimat zeigen und uns Tipps geben, was man in Biel und Umgebung im Rollstuhl alles erleben kann. Nach unserem ersten Eindruck hegen wir allerdings Zweifel, wie rollstuhlgängig die Stadt im Seeland wirklich ist.
Verena Kümin wartet sodann auch mit ihrem liebsten Begleiter am Burgplatz auf uns, ihrem Swiss-Trac. «Ein Zuggerät ist schon nötig, wenn man hier vorwärtskommen will», antwortet die 59-Jährige auf unsere Bedenken. Gleich am Burgplatz findet ein Obst- und Gemüsemarkt statt. Jeweils Dienstag, Donnerstag und Samstag bieten Produzenten aus der Region hier ihre Waren an. Die Stadt achte sehr darauf, dass die Qualität stimmt, erklärt uns Verena Kümin und kauft eine Schale Erdbeeren. Zuvorkommend geht der Verkäufer um den Stand herum und verstaut die Früchte gleich in der Einkaufstasche auf dem Swiss-Trac. «Das hat er jetzt nicht nur gemacht, weil ihr gefilmt habt», kommentiert sie sein Verhalten. Die Händler seien sehr aufmerksam im Umgang mit Personen im Rollstuhl.
Kopfsteinpflaster
Die Bieler Altstadt liegt etwas abseits des geschäftigen Zentrums. Kleine Läden, Cafés und Restaurants verstecken sich in den engen Gassen. Historische Brunnen stehen auf lauschigen Plätzchen. Die mittelalterlichen Zunfthäuser sind in einem Ring angeordnet. Verena Kümin holpert mit ihrem Swiss-Trac über die Pflastersteine und empfiehlt den Besuch bei schönem Wetter: «Die Restaurants in der Altstadt sind leider kaum rollstuhlgängig, aber bei gutem Wetter werden Stühle und Tische rausgestellt und man kommt trotzdem zu seinem Kaffee.» Auf dem Platz hinter der Kirche schweift der Blick auf die Untergasse. «Während oben die Obrigkeit residierte, hauste hier das einfache Volk.»
Engagement für Barrierefreiheit
Biel scheint uns bis jetzt wenig rollstuhlfreundlich. Es sei aber viel passiert, versichert uns Verena Kümin. Zurückzuführen
ist das auch auf ihren eigenen Einsatz. Seit sie von Affoltern am Albis als junge Erwachsene nach Biel zog, hält sie hartnäckig den Finger auf die Missstände. Die Früchte ihres Einsatzes zeigen sich beispielsweise an den zahlreichen Rollstuhlparkplätzen, die in Biel vorhanden sind. Die Expo.02 gab der Stadt auch hinsichtlich Rollstuhlgängigkeit einen ordentlichen Schub. So wurden etwa die Velowege verbreitert, die auch dem See entlangführen, damit sie zeitgleich von Menschen im Rollstuhl, mit dem Velo oder auf Inlineskates genutzt werden können.

Erholung im Schrebergarten
Auf und am Wasser
Bekanntestes Highlight der grössten zweisprachigen Stadt der Schweiz ist natürlich der See. Hier lässt sich wunderbar flanieren. Mit dem Schiff lohnt sich ein Ausflug auf die St.Petersinsel. Wer lieber längere Zeit auf dem Wasser verbringt, hängt auf einer Schiffrundfahrt grad noch den Neuenburger- und Murtensee mit an. Sowohl die Schifffahrtsgesellschaft von Biel als auch von Neuenburg bieten diese Tour an. Wo man aus- und einsteigen will, darf man frei wählen. «Die Schiffe sind alle zu 70 bis 100% rollstuhlgängig. Ich war mitbeteiligt bei der Schulung des Personals. Die Angestellten sind sensibilisiert und extrem hilfsbereit», versichert uns Verena Kümin.

Wer lieber von oben auf die Seenlandschaft blickt, fährt hoch nach Magglingen. Die Standseilbahn sei für Gäste im Rollstuhl eingerichtet und das Personal ebenfalls nett und zuvorkommend, berichtet Verena Kümin. «Es kann vorkommen, dass die Bahn voll ist und man warten muss. Aber das geht den Fussgängern genauso.» Bei klarer Sicht erblickt man von der Terrasse des Bundesamts für Sport ein herrliches Alpenpanorama.
Volle Kraft voraus
Am liebsten ist Verena Kümin mit dem Swiss-Trac unterwegs. Sie gehört zu den Nutzerinnen der ersten Stunde und stellt mit Vorliebe Touren zusammen, die sie auf www.swisstractours.ch der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Das Bieler Seeland bietet schier unbegrenzte Möglichkeiten. Die Heilpädagogin schwärmt vor allem vom Aareweg. Wer Ausdauer hat, kann auf
Abseits Die Altstadt von Biel
dem Radweg von Biel bis nach Solothurn fahren. «Das dauert aber schon rund sechs Stunden», weiss Verena Kümin. Besonders reizvoll sei aber eine Kombination aus Swiss-Trac und dem Schiff, das im Sommer ebenfalls mehrmals täglich von Biel nach Solothurn fährt.
Kultur
Biel und Umgebung bieten nicht nur viele Freiluftaktivitäten. Das ganze Jahr über finden zahlreiche kulturelle Veranstaltungen statt. Gleich mehrere Museen widmen sich der Uhrmacherei. Besonders im Winter geht Verena Kümin gern ins Stadttheater und hört sich ein Konzert an. Das kleine Lokal verfügt über zwei Rollstuhlplätze.
Oase im Grünen
Viel lieber als im Konzertsaal aber sitzt Verena Kümin in ihrem Garten. Im Verein Familiengarten Mösli-Madretsch bewirtschaftet die Heilpädagogin eine Parzelle, die sie zugleich mit ihren Schülerinnen und Schülern nutzt. Die Beete befinden sich in kniehohen Kisten und sind so für die Rollstuhlfahrerin gut erreichbar. «Ich habe zunächst für den Verein die Buchhaltung gemacht. Der Vorstand hat schon etwas schräg geguckt, als ich sagte, dass ich auch einen Garten haben will», erinnert sie sich.
Zur idyllisch in einer Waldlichtung gelegenen Schrebergartenanlage gehört das Vereinslokal «Mösli Bistro». Neben Mitgliedern bewirtet das Lokal auch Gönner und vorbeiwandernde Passanten. Das Bistro verfügt gar über ein Rollstuhl-WC und einen Rollstuhlparkplatz. «Ich bin gerne hier. Oft treffe ich jemanden, den ich kenne. Und mir schmeckt das Essen. So muss ich nicht selber kochen», sagt Verena Kümin. Das Schnitzel und die Burger seien besonders lecker.
Videoclip Schauen Sie sich den Ausflug an