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Rock ’n’ Roll in Airolo

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Evelyn Schmid

Evelyn Schmid

MOUNTAINBIKE

Der Mountainbike-Kurs unter der Leitung des früheren Monoskibob-Fahrers Murat Pelit wird für eine kleine Gruppe zum grossen Erlebnis.

Von Peter Birrer

Lou Brunner weiss nicht so recht, was auf sie zukommt. Was die 21-Jährige aber weiss: Sie mag das Biken. Darum hat sie keine Sekunde gezögert, sich für diesen Kurs in Airolo anzumelden. Sport bedeute für sie Freiheit, sagt sie, ein Loslassen vom Alltag.

Die junge Frau aus Emmenbrücke, die in Schönenwerd SO lebt, mag Action. Früher kletterte sie, machte Karate oder stand auf dem Snowboard. Bis im November 2016 eine funktionelle neurologische Störung einsetzte. Seither benötigt sie einen Rollstuhl. Aber deswegen resignieren? Keine Abenteuer mehr wagen? Kein Thema.

An der Talstation der Seilbahn AiroloPesciüm steht für sie ein Mountainbike bereit, «Modell Rock’n’ Roll», wie Murat Pelit sagt. Lou Brunner sitzt nicht aufrecht hinter dem Lenker, sondern winkelt die Beine an, legte sich mit dem Oberkörper auf ein Polster und fährt Kopf voran.

Ab in die Berge

Der 40-Jährige, der im April seine Monoskibob-Karriere beendete, ist mit seinem Verein «Ti-Rex Sport» der Organisator des Events. «Unser Bestreben ist es, möglichst viele Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung in die Berge zu bringen», sagt er, «wir wollen ihnen die Gelegenheit bieten, die wunderbare Natur zu entdecken und etwas zu erleben.»

Tatsächlich wird der Kurs ein spektakuläres Erlebnis, bei dem sich die Teilnehmenden auf kompetentes Fachpersonal verlassen können. Kursleiter Murat Pelit setzt auf Praxis statt Theorie. Natürlich erklärt er Neulingen, worauf sie zu achten haben, wie sich die Stufe der Unterstützung ändern lässt oder Kurven zu meistern sind. «Aber am effizientesten lernt man unterwegs», sagt er. Sein Wagenpark hat einen durchaus stattlichen Umfang. Acht Bikes kann er zur Verfügung stellen, jedes hat einen Wert von 11000 bis 12000 Franken. Und alle sind mit einem 500 Watt starken Motor ausgestattet.

Sechs Anmeldungen hat der Tessiner erhalten, nach vier kurzfristigen Absagen geht die Reise mit einem Duo los. Das tut der Stimmung keinen Abbruch. Lou Brunner taucht in die Bikewelt ein, in der es für sie kaum Grenzen zu geben scheint. Auf der Strada degli Alpi gewinnt sie schnell an Sicherheit, bewältigt mühelos Anstiege wie jenen zur Alpe di Cristallina, wo es zur Stärkung Alpkäse gibt. Und sie demonstriert Furchtlosigkeit, wenn es in bemerkenswerter Geschwindigkeit talwärts geht. Ihr Vater Rolf begleitet sie auf der Tour, der passionierte Mountainbiker hat Spass am Ausflug. Just diese Konstellation ist das, was sich Murat Pelit eigentlich wünscht: Menschen mit Beeinträchtigung und Fussgänger gemeinsam unterwegs. «Das verstehe ich unter Inklusion», sagt er.

Verlässliche Partner der SPV

Mit seinem Unternehmen Ti-Rex pflegt die Schweizer Paraplegiker-Vereinigung (SPV) eine enge Zusammenarbeit wie mit Défisport im Wallis und dem Wasserskiclub Walensee. Diese drei Partner übernehmen im Auftrag der SPV die Organisation und Durchführung von Sportevents und liefern danach einen Rapport ab. «Weil die Ressourcen nicht vorhanden sind, um alles von Nottwil aus abzudecken, sind wir diese Partnerschaften eingegangen», sagt Thomas Hurni, Leiter Breitensport – Freizeit – Gesundheit, und fügt an: «Es lohnt sich. Wir haben es mit höchst zuverlässigen Leuten zu tun.» Mit Leuten wie eben Murat Pelit, den Thomas Hurni als Topmotivator kennengelernt hat. In Airolo fährt er vorneweg, gefolgt von Lou Brunner – und Teodosio Margherita. Auch der 60-jährige Italiener, der im Südtessin lebt und nach einer Kinderlähmung auf Krücken angewiesen ist, schlägt ein flottes Tempo an. Und hat Spass daran. Velofahren ist für ihn nicht neu, bis zu dreimal pro Woche trainiert er mit dem Handbike oder E-Bike. Im Juni erst hat er an einer Veranstaltung teilgenommen, die um Mitternacht losging, und dabei mit dem E-Bike 100 Kilometer von Ferrara bis zum Meer entlang des Flusses Po zurückgelegt.

Dass es happige Passagen zu überwinden gilt und manchmal steil abwärts geht, das treibt ihm keine Schweissperlen auf die Stirn. Das Mitglied des Tessiner Rollstuhlclubs InSuperAbili fühlt sich wohl in der Gruppe, was ihn aber nicht überrascht: «Wir Velofahrer sind unkompliziert.»

Rund zweieinhalb Stunden dauert die erste Runde, über 17 Kilometer zeigt der Tachometer an. Und nach dem gemeinsamen Mittagessen mit Blick auf den Sasso della Boggia und den Pizzo Mezzogiorno geht es erneut auf die Piste. Das kostet zwar Substanz, aber das Vergnügen ist grösser als die Müdigkeit.

Tessiner schmieden Pläne

Teodosio Margherita ist nicht alleine angereist. Begleitet wird er von zwei Freunden: Moreno Sassi, ebenfalls Mitglied im Club InSuperAbili, und Damiano Zemp, Sportchef der Gruppo Paraplegici Ticino, dem zweiten Rollstuhlclub im Kanton. Beide sind Fussgänger, beide ziehen ein überaus positives Fazit des Tages. «Da war ziemlich viel Adrenalin dabei», sagt Moreno Sassi. Und Damiano Zemp lobt die Organisatoren: «Sie überzeugen mit ihrer Kompetenz und coolen Art.» Zemp sucht in seiner Rolle als Sportchef immer wieder nach neuen Angeboten für die Mitglieder. Jetzt hat er wieder eines gefunden. «Wir planen, im nächsten Jahr einen MountainbikeKurs auszuschreiben. Ich kann allen nur empfehlen, selber herauszufinden, wie toll das ist.» Das freut Murat Pelit, den unermüdlichen Athleten mit den vielen Ideen und Plänen. Er war an Winter-Paralympics dabei, er möchte auch im Sommer einmal teilnehmen – als Tontaubenschütze. Seine Leidenschaft für den Sport vermittelt er, wo und wann immer er kann. Und das mit Erfolg. Lou Brunner fährt mit ihrem Vater glücklich wieder in die Deutschschweiz: «Meine Erwartungen sind übertroffen worden.»

Weitere Sportangebote spv.ch/breitensport

Spass total Lou Brunner ist mit Begeisterung unterwegs

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