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Zurück in die Berge

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Evelyn Schmid

Evelyn Schmid

CHALET

Der bald 80-jährige Herr M. wohnt seit vielen Jahren mit seiner Frau während der Sommermonate in einem Ferienort in den Bergen. Dank eines in den steilen Hang gebauten Liftturms konnte die Familie wieder in ihr geliebtes Paradies zurückkehren.

Von Gerald Pappe

20 Meter langer und mit 25% Neigung relativ steil ansteigender Naturweg sowie eine Aussentreppe mit fünf Stufen überwun den werden. Und dann ist erst das Untergeschoss erreicht. Weiter führt eine Innentreppe vom Untergeschoss ins Erdgeschoss. Obschon auch im Untergeschoss mehrere Zimmer und ein Sanitärbereich vorhanden sind, befinden sich im Erdgeschoss alle zum Wohnen, Schlafen und Leben dienenden Räumlichkeiten wie auch der Zugang zum Garten.

Die Aussicht auf die Dächer des Ferienorts und die umgebenden, mit Schnee bedeckten Riesen ist phänomenal. Uns war klar, dass wir mit allen Mitteln versuchen mussten, eine sinnvolle Erschliessungslösung zu finden, damit die Familie diesen Ort nicht aufgeben muss. Drei Varianten stellen wir der Familie vor.

Ein Lift verbindet die Zufahrt mit dem Garten und dem neuen Hauseingang

Wenn ein Unterländer eingeladen wird, eine Liegenschaft in einer bekannten Bergregion auf ihre Rollstuhlgängigkeit zu prüfen, verschlagen ihm die imposanten Dreitausender schon mal die Sprache. So erging es mir, als ich im April 2020 im Ort und dann zu Fuss beim Gebäude an steiler Hanglage ankam.

Während Herr M. im Schweizer Paraplegiker-Zentrum in der Reha weilte, fand die Hausbegehung statt. Es durften jedoch pandemiebedingt weder der Hauseigentümer noch die Ergotherapeutin des SPZ anwesend sein. Herr M.s Sohn empfing mich herzlich. Gemeinsam gingen wir durchs Haus. In einem Konferenzgespräch präsentierten wir Herrn M. die ersten Anpassungsideen. Wie beim ZHB üblich, erstellten wir im Anschluss ein detailliertes Protokoll mit dokumentierendem Bildmaterial.

Knacknuss Hauszugang

Wie für Liegenschaften in Bergregionen typisch, sind horizontale Flächen rar. Nach dem Parkieren des Autos muss ein rund

Der Witterung ausgesetzt

Variante 1 verlängert den Zugangsweg, wodurch die Neigung verringert wird. Zudem wird der Weg mit einem Hartbelag versehen. Damit könnte dieser zumindest mit einem Elektro-Vorspanngerät bewältigt werden. Zusätzlich wird je ein PlattformTreppenlift bei der Aussentreppe wie auch bei der Innentreppe montiert. Vorteil dieser Lösung ist, dass alle Geschosse der Liegenschaft mit dem Rollstuhl zugänglich sind. Nach dem Parkieren des Autos das Vorspanngerät anzuhängen und vor dem Haus wieder abzukuppeln, wäre jedoch mühselig. Bei viel Schnee wäre der Weg auch mit Zuggerät nicht zu überwinden. Auch müsste Herr M. vom einen Treppenlift auf den anderen umsteigen.

Variante 2 sieht vor, anstelle von Treppenliften einen neuen befestigten Weg anzulegen, der vom Untergeschoss rund ums Haus ins Erdgeschoss führt. Die ganze Wegführung ab Autoparkplatz via Untergeschoss bis ins Erdgeschoss wäre mit dem Elektro-Vorspanngerät zu bewältigen. Der neue Hauseingang erfolgt dann via Garten und angepasster Gartenzugangstüre. Ohne Installation eines Treppenlifts im Hausinnern wäre für Herr M. jedoch nur das Erdgeschoss zugänglich.

Variante 3 besteht aus einem Liftturm, der das untere Strassenniveau mit dem Gar tenniveau verbindet. Der neue Hauseingang erfolgt auch hier via Garten und angepasster Gartenzugangstüre. Ohne Installation eines Treppenlifts im Haus bleibt nur das Erdgeschoss erschlossen. Weiter ist eine längere Planungs-, Bewilligungs- und Umsetzungsphase nötig. Nach Austritt aus der Reha bedarf es einer Übergangslösung. Der Vorteil dieser Lösung ist aber, dass Herr M. vom Parkplatz das Erdgeschoss der Liegenschaft relativ bequem und weitgehend vor Witterung geschützt erreichen kann.

Parkplatz Der Liftzugang befindet sich auf Strassenniveau

Langfristig die bessere Lösung

Herr M. hat die Varianten im Familienrat besprochen und sich für die etwas aufwändigere, aber langfristig geeignetere und damit sinnvolle Liftturmvariante entschieden. Das ZHB wurde mit der Planung und Umsetzung beauftragt. Das hat mich ganz besonders gefreut. Denn solche Aufgaben in traumhafter Umgebung planen und ausführen zu dürfen, ist nicht alltäglich. Ich war von diesem Ort und der Umgebung so angetan, dass ich dort mit meiner Frau und unseren Hunden im Sommer 2020 die Wanderferien verbrachte.

Es ist für Architekten eine schöne Aufgabe und ein Anspruch, einerseits für Personen im Rollstuhl das Richtige zu tun, damit nach langem Reha-Aufenthalt eine Rückkehr ins gewohnte Umfeld möglich ist, und andererseits eine architektonische Lösung zu finden, die dem sensiblen Bergdorf gerecht wird. Während meiner Ferien in dieser Gemeinde konnte ich dafür ein gutes Verständnis für den Ort entwickeln. Dank einer guten Zusammenarbeit mit Herrn M., seiner Frau und vor allem auch seinem Sohn sowie der Kurzentschlossenheit bei anfallenden Entscheiden konnte das Bauprojekt inklusive Umbau des Badezimmers und weiteren kleineren Anpassungen im Gebäudeinnern effizient, fristgerecht und innerhalb der veranschlagten Kosten abgeschlossen werden.

Im Juli 2021 konnte die Familie nach zirka 12-monatiger Übergangslösung in der Wohn- und Pflegeinstitution Tertianum in der Nähe von Zürich in ihren Sommersitz zurückkehren.

AUS DER SICHT DES BAUHERRN

Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich als Zehnjähriger mit meinen Eltern und meinen beiden Geschwistern zum ersten Mal unser neues Ferienhaus in den Bergen betrat. Das zweistöckige Holzhaus und der zugehörige Garten machten auf uns Kinder einen imposanten Eindruck: All die Zimmer und kleinen Winkel, die es zu entdecken gab – ein regelrechtes Abenteuer! Schnell wurde das Haus zu einem zweiten Daheim: ein Platz, an dem man nicht nur seine Ferien, sondern regelrecht jede freie Minute verbringen wollte. Auch als ich etwas älter wurde, fuhr ich gerne rauf, besonders zum Skifahren, aber auch im Sommer, wo es mir in den Bergen besser gefiel als in der Stadt. Erst mit Studienfreunden, später mit meiner Ehefrau und meinem damals kleinen Sohn, der übrigens am gleichen Hügel das Skifahren erlernte wie ich.

Als meine Eltern verstarben, durfte ich das Chalet erben. Im Winter fuhren wir praktisch jedes Wochenende hoch. Hätte es damals schon Homeoffice gegeben, wir hätten noch viel mehr Zeit hier verbracht. Im Sommer spielten wir im Garten Tischtennis, bauten Vogelhäuser und sogar einen kleinen Golfparcours. Der allerdings entstand aus Versehen. Ein Feuerwerkskörper sprengte ein Loch in den Rasen. Als ich den ersten Schock meines Unfalls überwunden hatte und in Nottwil an meiner Reha arbeitete, dachte ich oft an den Ort: Würde ich das Haus jemals wiedersehen, geschweige denn, darin wohnen können? Meine Ergotherapeutin Mélisande Fantoni und auch meine Sozialberaterin Silvia Lötscher stimmten mich zuversichtlich und verwiesen mich ans ZHB. Ein erstes Orientierungsgespräch mit dem Architekten Gerald Pappe machte die Idee noch weiter fassbar. Schliesslich entschieden wir uns gemeinsam für die aus unserer Sicht nicht nur praktischste, sondern auch nachhaltigste Variante. Gerald Pappe feilte geduldig an den Feinheiten und machte mich auf so manches bauliche Detail aufmerksam, das mir damals noch nicht unmittelbar bewusst war. Auch die ausgewählten Arbeitskräfte, allesamt aus der Region und zum Teil alte Familienbekannte, machten eine ausgezeichnete Arbeit.

Meine Freude am Tag des Einzugs war riesig und ich bin mit der Entscheidung durchwegs zufrieden! Ich kann mit meiner Frau nun wie bisher die Sommermonate in den Bergen geniessen, und unser Sohn kommt oft zu Besuch. Einzig der Golfparcours ist weg; ob wir uns am nächsten 1. August einen neuen kreieren?

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