
2 minute read
Wenn Sprache behindert
ABLEISMUS
Inklusion hat auch damit zu tun, wie wir über Behinderung sprechen. Ein Pausengespräch im Team Lebensberatung.
Von Silvia Affentranger und Angela Fallegger
Wir, Silvia Affentranger, Sozialarbeiterin, und Angela Fallegger, Peer-Beraterin, warten an der Kaffeemaschine und unterhalten uns über die Ferien.
Silvia: «Und, war dein Hotel behindertengerecht?» Kaum habe ich die Frage ausgesprochen, ist sie mir peinlich. Angela: Um die Stille zu durchbrechen, antworte ich: «Ja für mich hat alles gut gepasst, jedoch…» Silvia: «Entschuldigung, ich meine barrierefrei», unterbreche ich und stelle die zwei Tassen unter die Kaffeemaschine. «Ich beschäftige mich mit Ableismus (siehe Box), da will ich schon sehr auf meine Wortwahl achten. Immer wieder passiert es mir, dass ich behindertengerecht anstatt barrierefrei sage.» Angela: «Das ist doch eh dasselbe; aber was ist denn Ableismus?», frage ich und rolle mit dem Tetrapak Milch auf dem Schoss Richtung Tisch. Silvia: «Behindertengerecht schränkt den Menschen auf seine Behinderung ein und ist abwertend. Barrierefrei bedeutet, dass der Zugang durch bauliche Anpassungen für alle Menschen erleichtert wird», erkläre ich, laufe mit den beiden Tassen in der Hand zum Pausentisch und schiebe gleichzeitig mit einem Fuss den Stuhl beiseite, um Platz zu machen. «Bei der SPV haben wir einen Sprachleitfaden, auch Agile Suisse hat einen solchen veröffentlicht. Und in den sozialen Medien stosse ich immer wieder auf das Thema Ableismus in der Sprache. Mir ist die Auseinandersetzung damit wichtig.» Angela: «Ich finde es spannend, dass du als Fussgängerin damit kommst.» Silvia: «Wie oder wo erlebst du denn Aussagen, die deiner Meinung nach diskriminierend sind? Wenn ich zum Beispiel zu dir sage: ‹Angi, ich finde es super, dass du trotz deiner Behinderung Auto fahren und klettern kannst›?» Angela: «Mmh, also den Begriff Ableismus habe ich bis jetzt noch nie gehört. Eigentlich wollen wir doch alle einfach eine wertschätzende Unterhaltung. Für alles, was ich mir erkämpft habe, was mir ein Aufwand ist, habe ich noch gern ein bisschen Bewunderung. Für alles, was für mich selbstverständlich ist, möchte ich jedoch nicht gelobt werden. Dass ich zum Beispiel Auto fahren kann, hat nicht viel mit meinen Fähigkeiten zu tun, sondern damit, dass Autos entsprechend umgebaut werden können und der Gesetzgeber diese bewilligt. Ich glaube, die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen mit Behinderung würden nicht verstehen, weshalb gewisse Wörter ein Problem darstellen.» Silvia: «Du meinst, wir machen uns eventuell zu viele Gedanken? Trotzdem, in den sozialen Medien äussern sich viele Menschen mit einer Behinderung dazu.» Angela: «Mag sein, aber nur weil ich gerne auf eine Art und Weise angesprochen werde, weiss ich noch nicht, ob es für meinen Kollegen im Rollstuhl auch okay ist. Ableismus… Wieso gibt es kein deutsches Wort für dieses Thema? Dann würde ich es wohl besser verstehen. Wenn man aus meiner Sicht über solche Kleinigkeiten diskutiert, werden die relevanten Sachen vergessen. Je nachdem wie nahe ich jemandem stehe, in welcher Beziehung ich mit meinem Gegenüber bin oder wie ich mich an diesem Tag in diesem Moment fühle, nehme ich Äusserungen oder Fragen verletzend wahr oder eben nicht. Die eigentliche Diskriminierung besteht in meinen Augen darin, dass man ein Dossier erstellen muss, eine Anleitung, wie man von bzw. mit behinderten Menschen spricht.»
Am Ende der Pause sind wir uns einig, ob mit oder ohne Fachbegriffe, was für uns beide zählt, ist der respektvolle Umgang miteinander.
DEFINITION
Ableismus ist ein sozialwissenschaftliches Konzept, dass aus der US-amerikanischen Behindertenbewegung stammt. Der Begriff bezeichnet die Beurteilung von Menschen anhand ihrer Fähigkeiten (engl. able = fähig). Fehlen Fähigkeiten, kann dies zu einer Abwertung oder gar Diskriminierung von Menschen mit Behinderung führen.