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Dank Joystick die Piste runterkurven
Ein Traum geht in Erfüllung: Ab sofort können auch Menschen mit hoher Lähmung wieder autonom Ski fahren.
Von Evelyn Schmid
Der TetraSki macht es möglich: Dank der elektronischen Steuerung des neuen Skibobs über einen Joystick oder per Mundstück erobern auch hochgelähmte Personen die Pisten. Das an der University of Utah entwickelte Gerät TetraSki wurde in Sörenberg Mitte Dezember 2022 zum ersten Mal eingesetzt. Pilot Martin Friedli war begeistert.
Für Menschen mit hoher Lähmung gibt es eher wenig Möglichkeiten, Sport zu treiben und sich aktiv zu betätigen. Winteraktivitäten im Schnee beschränkten sich bisher auf ein passives Erlebnis: Jemand anderes fuhr mit ihnen den Hang hinunter. Ein selbstständiges Gestalten der Abfahrt war ausgeschlossen. Mit dem TetraSki ist das jetzt vorbei.
Freiheitsgefühl
Martin Friedli, der für uns und für das Schweizer Fernsehen den Skibob testete, war anfangs noch skeptisch. Er war in seiner Jugend zusammen mit Beat Feuz Skirennen gefahren, weshalb er sicher einen kleinen Vorteil hatte, aber auch einen gewissen Anspruch an das Skierlebnis stellte. Schon nach wenigen Abfahrten glänzten seine Augen vor Freude. Vor fünf Jahren sei er erstmals seit seinem Unfall wieder auf der Piste gewesen. Dies in einem Dualskibob, der von einem Freund gesteuert wurde. Das Erlebnis mit dem TetraSki sei aber etwas ganz anderes: «Ich fahre selbstständig, muss schauen wie der Schnee beschaffen ist, ob es eisige Stellen hat und kann entscheiden, an welcher Stelle ich eine Kurve ansetze.»
Mit jeder Fahrt wurde er besser und sicherer. Er schien den Skilehrer hinter sich manchmal fast zu vergessen und brauchte immer weniger Anweisungen. Die Handhabung des Joysticks sei recht einfach und der Sitz bequem, auch dank eines angenehmen Sitzkissens, das vor Druckstellen schützt. Martin Friedli genoss das neue Freiheitsgefühl: «Es ist ein tolles Erlebnis, selbstständig zu kurven und das Tempo zu bestimmen. Das hat meine Erwartungen mehr als übertroffen. Am liebsten würde ich morgen gleich wieder fahren.»
Innovation mit Potenzial Rollstuhlsport Schweiz schaffte den TetraSki zur Skisaison 2022/2023 an und gehört damit zu den Pionieren. Entdeckt hat Thomas Hurni, Leiter Breitensport – Freizeit –Gesundheit, das Gerät an einem Workshop der ParaSkiAlpinWeltmeisterschaft 2019 in Kranjska Gora (Slowenien). Er konnte den TetraSki selber testfahren und war von Beginn weg hell begeistert: «Seit Jahren begleite ich Menschen mit Querschnittlähmung beim Skifahrenlernen und weiss, dass viele es sehr geniessen, Schwünge in den Schnee zu ziehen und mit Freunden oder der Familie Zeit draussen zu verbringen. Bislang musste man zum Selberfahren aber eine gute Rumpfstabilität und gute Armfunktionen haben. Ich wusste daher sofort, dass der TetraSki einer weiteren Zielgruppe diese gesunde Freizeitaktivität ermöglicht. Wir schliessen damit zudem eine Angebotslücke in unserer BreitensportPalette.»
Das in den USA entwickelte Gerät kommt auf Europas Pisten nur in der Schweiz und in Frankreich zum Einsatz. Auch in den Niederlanden können Personen mit dem Skibob fahren, doch mangels Bergen nur in Schneehallen.
Auch das Schulen will gelernt sein Vom 25. bis 27. November instruierten die Entwickler, die eigens aus den Vereinigten Staaten angereist waren, neun Skilehrerinnen und Skilehrer der Behindertensportorganisationen Rollstuhlsport Schweiz, PluSport, Handiconcept und Différences solidaires im Umgang mit dem Gerät. Denn aus sicherheitstechnischen Gründen werden die Fahrten im TetraSki von einem ausgebildeten Skilehrer begleitet, der im Notfall per Fernbedienung oder durch ein Seil eine Bremsung oder Richtungsänderung durchführen kann. Die Fernsteuerung und das Bremsseil werden aber nur eingesetzt, wenn die Sicherheit für die Fahrerin oder den Fahrer nicht mehr gewährleistet ist.
Bei den ersten Versuchen stellten auch die erfahrensten DisabledSkiSpezialisten fest, wie anspruchsvoll es ist, jemanden im TetraSki zu begleiten. Der Skilehrer kontrolliert und unterstützt bei schwierigen Fahrmanövern und muss zeitgleich immer die Piste im Auge behalten, um Zusammenstösse zu vermeiden. Der Transport am Skilift ist mit dem gewohnten Zugriemen möglich und den Sessellift benutzt man, indem das Fahrgestell aufgeklappt wird wie beim Mono oder Dualskibob.
Skilehrer Fabian Emmenegger, der Martin Friedli auf dem Gerät schulte, sieht grosses Potenzial: «Der TetraSki ist eine grossartige Innovation für Personen mit starken Einschränkungen der Oberkörperfunktionen. Die Steuerung erfolgt per Hand über einen Joystick oder per Atmung am Mundstück, je nach Einschränkungen der jeweiligen Person.» Er ist begeistert von seinem ersten Skitag und freut sich, dass sein Gast so rasch Fortschritte machte. «Für uns Instruktoren ist es sehr anspruchsvoll, denn wir müssen immer aufmerksam sein. Eine Hand hält das Seil, die andere die Fernbedienung, da muss man sich konzentrieren und wenn nötig sofort reagieren.» Nötig war das zum Glück nur einmal, als die erste Kurve nach dem Skilift nicht richtig gelingen wollte und plötzlich ein Baum im Weg stand. Gut, dass beide rechtzeitig bremsen konnten.
Neues Angebot ab 2023/24
Der TetraSki steht seit Januar 2023 in Sörenberg bereit. Der Einsatz des neuen Geräts wird aber erst in der nächsten Saison offiziell angeboten. Bis dahin werden die ausgebildeten Skilehrer mit den Gästen situativ über den Einsatz des TetraSkis entscheiden. Die TetraSkiCrew in Sörenberg mit Richard Studer, Fabian Emmenegger, Franz Schöpfer und Davide Bogiani werden diesen Winter so viele Pistenkilometer wie möglich sammeln, damit das Gerät in der kommenden Saison möglichst viele neue Skifahrerinnen und fahrer glücklich macht.
Videos
Martin Friedlis Abfahrten im TetraSki
TetraSki in Action
Play SRF: Skifahren trotz stark ausgeprägter Querschnittlähmung
FREIZEIT «move on» Yverdon
Das Sport- und Freizeitlager «move on» in Yverdon findet vom 9. bis 11. Juni 2023 statt.
Lust, eine Sport oder Freizeitaktivität zu entdecken, die eigene Rollstuhltechnik zu verbessern oder einfach gemeinsam mit den anderen Teilnehmenden Spass zu haben? Für jeden Geschmack hat es etwas dabei. Von Tennis bis Kajak zu Salsa, das Angebot ist breit gefächert.
Informationen und Anmeldung www.spv.ch (Sport/Breitensport)
Bildung
Neues lernen
Die Aus- und Weiterbildungskurse der SPV bieten spannende und informative Tage für alle motivierten Trainerinnen und Trainer. Egal ob Sie bereits im Rollstuhlsport tätig oder ein Neuling sind, bei uns finden Sie das passende Kursangebot. Die Grundausbildung beginnt mit dem Basis- und Praxismodul, welches an zwei aufeinanderfolgenden Tagen stattfindet.
Mehr dazu Infos zu Ausbildungsmöglichkeiten gibt es auf www.spv.ch unter Sport/Ausbildung.
Ilaria Renggli, Badminton

23-jährig, wohnhaft in Hottwil AG, gehört zum Athletenfördergefäss «Para Top Potential» von Rollstuhlsport Schweiz.