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Badeferien und Städtereisen

Daniel Galliker zählt zur Stammkundschaft der SPV­Reisen. Den 50­jährigen Aargauer erfüllen Tetra­Ferien mit Zufriedenheit – und unterwegs entstehen schöne Freundschaften.

Von Peter Birrer

Er liebt die Sonne von Teneriffa und das Pulsierende von London; er geniesst die Abende in geselliger Runde und lässt sich so schnell nicht aus der Ruhe bringen; und er hat sich nicht nur zu einem Reise­Routinier entwickelt, sondern auch zu einem Experten in Sachen Kofferpacken: Daniel Galliker.

Der 50­jährige Tetraplegiker aus Oberentfelden ist ein Stammgast, wenn es mit der Schweizer Paraplegiker­Vereinigung in die Ferien geht. Zweimal pro Jahr ist der Hochbauzeichner in der Regel dabei. Daniel Galliker, der am 1. Oktober 1990 als erster Patient überhaupt im SPZ registriert wurde, gehört zu den dankbaren, zufriedenen Kunden – und fühlt sich an vielen Orten wohl.

Unbedingt möchte er einmal nach Paris. Aber zuerst eröffnet er das Reisejahr 2023 mit einem Abstecher nach Spanien: Daniel Galliker taucht zum zweiten Mal in die Hauptstadt Madrid ein.

Dani, du bist unbestritten ein ReiseRoutinier. Was war das Verrückteste, das du bislang erlebt hast?

Das liegt nicht so lange zurück. An einem Samstag im Juni 2022 sassen wir bereits im Flugzeug, das uns nach Portugal hätte bringen sollen. Auf einmal hiess es: Ein Start ist nicht möglich, der Abflug erfolgt erst am frühen Sonntag. Dann fing das grosse Organisieren an: Wo übernachten wir? Wann geht es am anderen Morgen genau los?

Schnellt in solchen Momenten dein Puls in die Höhe?

Das hält sich in Grenzen. In diesem Fall dachte ich kurz: Muss das sein? Aber als ich draussen wieder im Rollstuhl sass, legte sich das wieder. Ich lasse mir die Vorfreude nicht so schnell verderben. Ausserdem müssen wir selten so improvisieren wie an jenem Tag in Kloten. Die Reisen sind alle bestens geplant und organisiert. Und die Fachkräfte von Parahelp sorgen mit ihrer Anwesenheit erst recht dafür, dass wir Teilnehmenden völlig ruhig und entspannt bleiben können, wir wissen: Wir sind in besten Händen, es kommt gut.

Wo hat es dir am besten gefallen?

Grundsätzlich bin ich gerne unterwegs. Ich finde es überall schön. Wenn ich aber doch eine Destination wählen müsste, würde ich wohl Teneriffa nennen, allein des Klimas wegen. Ich mag die Wärme. Was ich weni­ ger mag, sind überaus lange Busreisen. Zehn, zwölf Stunden in einem Car, das muss nicht mehr sein. Ideal sind Ferien mit dem Flugzeug wie nun nach Portugal oder eben die Kanarischen Inseln.

Woher kommt dein ausgesprochenes Reise-Gen?

Ich fuhr als Kind mit den Eltern liebend gern in die Campingferien nach Frankreich oder Italien. Und auf eigene Faust zog ich vor meinem Unfall eigentlich nur einmal los – ins Tessin. Das Reise­Gen entwickelte sich erst, als ich im Rollstuhl sass. Angefangen hat alles 2002 mit einer Fahrt ins Piemont.

Welche Erinnerungen hast du daran?

Ich dachte mir, dass etwas Abwechslung nicht schaden würde. Nach dem Unfall hatte ich bis dahin keine Ferien ausserhalb meiner eigenen vier Wände gemacht oder machen können. Bis ich das Inserat entdeckte, das Ferien für Tetraplegiker im Piemont bewarb. Ich wollte herausfinden: Ist das etwas für mich?

Die Antworten hast du schnell erhalten. Ja. Obwohl ich mit einem mulmigen Gefühl nach Nottwil fuhr, weil ich ja keine Ahnung hatte, was mich erwartet, was für Leute dabei sind, ob ich es packe. Aber ich brauchte nicht lange, um herauszufinden: Das passt. Spätestens nach 24 Stunden war die Nervosität total verflogen. Im Piemont unternahmen wir verschiedene Ausflüge, besuchten die Stadt Alba oder machten Abstecher in die Weinberge. Wenn ich mich richtig erinnere, waren wir etwa zehn Leute. Es hat mir so zugesagt, dass ich regelmässig buchte. Je nach Angebot bin ich zweimal pro Jahr dabei, auf Städtetrips oder bei Badeferien.

Was ziehst du vor?

Ich mag Badeferien – obwohl ich nicht gerne bade.

Das musst du erklären … (Lacht.) es klingt doof, aber es ist so: Badeferien sind gemütlich, man kann ausschlafen, sich erholen und sich einen feinen Drink auf dem Liegebett am Pool oder Meer gönnen. Städtereisen sind anstrengender. Aber das hat eben auch seinen Reiz: Man will ja etwas mitbekommen von einer Stadt. Darum geht es am Morgen rechtzeitig los. Es ist sicher von Vorteil, wenn man unkompliziert, flexibel und offen für Neues ist. Das bin ich.

Wie ist es beim Kofferpacken: Bringst du das mittlerweile in ein paar wenigen Minuten hinter dich?

Wir packen mit System und relativ zügig. Ich habe zwei Listen angefertigt, eine für Badeferien und eine für Städtereisen. Bevor wir packen, drucke ich je nach Destination die entsprechende Liste aus, auf der detailliert steht, was in den Koffer gehört. Meine Assistentin packt anhand dieser Liste. Ein zweiter Koffer wird mit Pflegematerial gefüllt. Das ändert sich praktisch nie. Beim Packen bin ich ziemlich pedantisch. Aber es ist wichtig, dass nichts fehlt.

Bist du kein überaus anspruchsvoller Kunde?

Nein. Ich bin relativ bescheiden. Wenn ein Hotel einmal nicht optimal ist, beschwere ich mich nicht gleich. Ich schlafe ja nur dort. Wenn das Essen nicht super schmeckt, geht man in ein anderes Restaurant. Es gibt für alles eine Lösung, man muss sie nur wollen. Und man muss nicht stur an irgendwelchen Gewohnheiten festhalten. Kritisch wird es erst, wenn die Tür zum Badezimmer zu eng für den Rollstuhl wäre. Dann würde ich das beanstanden. Aber das habe ich bis jetzt nie erlebt.

Wo ist es für dich mit dem Rollstuhl besonders angenehm, und wo ist es eher schwierig, was die Infrastruktur angeht? Problemlos ist es in den USA. Ich war schon in Florida und Kalifornien. Da muss man sich keine Sorgen um einen grossen Parkplatz machen, die Hindernisfreiheit ist auch angemessen. Schwieriger ist es in Städten wie Florenz, Siena oder Madrid: So wunderbar es da ist, auf dem Kopfsteinpflaster wirst du schön durchgeschüttelt. Das hält mich trotzdem nicht von einem Besuch ab. Man muss einfach etwas mehr Zeit einrechnen und sich darauf einstellen, dass es holpert. Zudem hat sich die Situation an vielen Orten in den vergangenen Jahren verbessert, sei es in den U­Bahnen oder in Sachen Rollstuhl­WC oder Rampen.

Teneriffa ist deine bevorzugte Destination für Badeferien. Welche Stadt hat es dir besonders angetan?

London bietet unheimlich viele Sehenswürdigkeiten und ein pulsierendes Leben. Es läuft immer etwas. Und erwähnen möchte ich auch Hamburg, die lockere und gemütliche Atmosphäre in der Stadt und am Hafen, das fand ich toll.

Und welche Stadt steht auf deiner Bucket List?

Paris. Ich nehme zwar an, dass es dort auch ziemlich viel Kopfsteinpflaster hat. Aber das ändert nichts daran: Paris ist ein Ziel.

Sind Tage in einer so grossen Stadt nicht auch ermüdend?

Doch. Nach einer anstrengenden Woche in London zum Beispiel bin ich froh, wenn ich nach der Rückkehr zwei ruhigere Tage habe, an denen ich mich erholen kann. Ich bin schon ziemlich auf den Felgen, aber das ist mir bewusst, bevor es losgeht. Gleichwohl kommt es für mich nicht infrage, einen Programmpunkt auszulassen und im Hotelzimmer zu bleiben. Dort bin ich nur in der Nacht. Ansonsten will ich etwas sehen und meine Neugier stillen. Und am Abend bin ich selten der Erste, der ins Bett geht, Energie habe ich jedenfalls genügend. (Schmunzelt.)

Lässt du dich auch kulinarisch überraschen?

Ich tue mich mit Neuem gar nicht schwer und probiere Dinge, die ich nicht kenne. Was sicher immer geht: Tapas in Spanien. Ich esse gern gut und schön.

Gibt es Momente, in denen ihr auf Reisen mit der Gruppe Blicke von fremden Leuten erntet?

Ja, die gibt es. Zum Beispiel, wenn wir in einer Bar etwas trinken wollen. Da glaubt man, in den Köpfen einiger Leute lesen zu können: Was wollen die denn da? Aber das ist mir völlig egal. Sowieso nehme ich solche Blicke mehrheitlich gar nicht mehr wahr.

Was gibt dir das Reisen?

Zufriedenheit, ein Stück weit auch Glück. Ich erlebe mit der Gruppe sehr schöne Momente, die in Erinnerung bleiben. Und das Reisen gibt mir auch das Gefühl, immer noch sehr viel unternehmen zu können, trotz Einschränkung und Rollstuhl. Natürlich gibt es Hindernisse, und es ist halt nicht möglich, ganz alles zu machen, zum Beispiel ein Schloss besichtigen, in dem kein Lift installiert ist. Oder den Ausblick von einem Turm zu geniessen. Aber so oft kommt das ja nicht vor. Wenn ein Fussgänger dabei ist, kann er zwei, drei Fotos mit dem Handy machen, dann kenne ich die Perspektive von da oben ja auch (Schmunzelt.)

Entstehen unterwegs auch Freundschaften in der Gruppe?

Ja. Man trifft regelmässig die gleichen Leute an. Inzwischen ist es so, dass ich mit dem einen oder anderen telefoniere, sobald das neue Programm vorliegt. Vor allem Sadmir Mujanovic ist ein richtiger guter Freund geworden. Wir machen jeweils zusammen ab, für welche Reise wir uns anmelden. Inzwischen ist es für mich ein wichtiges Kriterium, dass ich nicht zu lange im Bus oder Flugzeug sitzen muss.

Wer so viel reist wie du, erlebt sicher auch Kurioses. Erzählst du die eine oder andere Episode?

Vor vielen Jahren fuhren wir einmal mit dem Bus nach Amsterdam. Auf halber Strecke meldete der Chauffeur, er müsse bei nächster Gelegenheit bei einem Supermarkt anhalten und Bier einkaufen, wir hätten den ganzen Vorrat leergetrunken. Er meinte noch, das habe er noch nie erlebt … Oder ein Kollege, der aus der Ostschweiz stammt, bringt stets eine Flasche Weisswein mit an den Flughafen. Dann stossen wir gemeinsam vor der Abreise auf schöne Ferien an. Und befremdlich war einmal, dass wir am Zoll gebeten wurden, uns aus dem Rollstuhl zu erheben, um uns zu kontrollieren.

Wie hast du reagiert?

Gelassen. Ich sagte ganz ruhig: Sorry, geht nicht … Es gibt Leute, die meinen, ich könne doch sicher rasch aufstehen und ein paar Schritte zurücklegen. Bis ich sie aufkläre und ihnen verständlich mache, dass ich Tetraplegiker bin. Ich rege mich nicht auf, das bringt nichts.

Gibst du Neulingen auch Tipps?

Wenn ich Auskunft geben kann, tue ich das. Am Flughafen etwa, wenn es nicht läuft, wie es laufen sollte, und es darum geht, Geduld zu bewahren. Und wenn jemand, der noch nie dabei war, nicht so recht weiss, ob er sich anmelden soll, sage ich: Komm mit, es lohnt sich.

Dir steht in den Ferien eine betreuende Person an der Seite, die du vor der Reise aber nicht kennst. Stört dich das nicht?

Nein. Erstens sind wir nur eine Woche zusammen. Und zweitens kann man sich ein bisschen arrangieren. Daraus muss sich ja keine Freundschaft auf Lebzeiten ergeben.

Wie ist es mit dem Schlaf?

Kein Problem. Wenn ich mich hinlege, schlafe ich ein. Und wenn jemand von uns beiden schnarcht, bin ich das. (Lacht.)

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