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Wieder studieren

Im Frühjahr 2021 verunfallt Marco Michel schwer. Im September 2022 nimmt der junge Tetraplegiker sein Studium in Maschinentechnik an der Hochschule Luzern wieder auf.

Von Nadja Venetz

Der junge Mann mag Ziele. Vor dem Unfall macht der heute 25­Jährige eine Lehre zum Polymechaniker. Er wird Schweizermeister in seinem Beruf, reist an die Weltmeisterschaft und holt sich den Vize­Weltmeistertitel. «Nach der Weltmeisterschaft habe ich ein neues Ziel gebraucht.» Er ab­

Reha habe er wieder an seine beruflichen Möglichkeiten gedacht. Er hat gelernt, wie er trotz Einschränkungen den Computer bedienen kann. «Maschinentechnik besteht zu einem grossen Teil aus CAD­Zeichnen am Computer. Ich habe festgestellt, dass ich das nach wie vor tun kann. Daraufhin habe

Eine Operation an den Händen soll ihm weitere Handfunktionen zurückgeben. Zwischen dem Ende der Erstreha und dem OP­Termin verstreichen fünf Wochen, die der Obwaldner im Elternhaus verbringt. Eine schwierige Zeit. «Ich bin fast in ein Loch gestürzt. Mir fehlte eine Aufgabe.»

Durchblick im Versicherungswesen Während seines zweiten Klinikaufenthalts findet ein Übergabegespräch statt, an dem die Sozialberatung der Klinik sein Dossier an die Lebensberatung der SPV abgibt. Diese nahtlose Zuständigkeit ist wichtig, damit der oder die Betroffene stets eine Ansprechperson hat und weiss, an wen er oder sie sich bei Fragen wenden kann. Im Fall von Marco Michel ist dies Sozialarbeiterin Silvia Affentranger. Zu klären gab es zunächst vor allem administrative Angelegenheiten. «Als erstes haben wir das Gespräch mit dem Vater gesucht. Verunfallt jemand im jungen Erwachsenenalter, übernehmen die Eltern oftmals wieder viel Verantwortung. Wir möchten die Betroffenen befähigen, ihre Versicherungsfragen mit unserer Unterstützung eigenständig zu managen.» solviert die Berufsmatur und beginnt das Studium der Maschinentechnik. Dann passiert der Unfall. Eine komplette Tetraplegie ist die Folge.

Marco Michel verbringt mehrere Monate im Schweizer Paraplegiker­Zentrum (SPZ) in Nottwil. Bereits in der zweiten Hälfte der ich mir Gedanken gemacht, ob und wie ich mein Studium an der Hochschule Luzern fortsetzen kann», erinnert sich Marco Michel. Schon während der Reha lernte er Personen mit ähnlichen Einschränkungen kennen, die im Ingenieurwesen arbeiten. «Da habe ich gesehen: Doch, das sollte gehen.»

Gemeinsam mit Marco Michel und seinen Eltern prüft Silvia Affentranger IV­Entscheide und welche Hilfsmittel ihm zustehen. Im Zentrum stehen Themen der Sozialversicherungen. «Wir nehmen oftmals eine Vermittlerrolle ein», erklärt Silvia Affentranger. Sie stellte fest, dass Marco Michel keine Taggelder erhält, obwohl er in einer beruflichen Massnahme ist, und dass die IV sich stärker am Autoumbau hätte beteiligen sollen. Sie vermittelte ihren Klienten daraufhin ans Institut für Rechtsberatung der SPV.

Zurück in die Vorlesung Seine beruflichen Perspektiven erarbeitet der gelernte Polymechaniker mit seinem Jobcoach Nicolas Egger. Nachdem er sich von der Hand­OP erholt hat, beginnt er im Juni 2022 mit einer Integrationsmassnahme bei ParaWork. Die Massnahme simuliert die Struktur des Arbeitsalltags. Marco Michel beginnt mit einer AchtStunden­Woche und steigert schliesslich auf fünf volle Tage. Es geht darum herauszufinden, wie belastbar er ist. Er möchte sein Studium wieder aufnehmen, doch was ist möglich?

Marco Michel, Jobcoach Nicolas Egger und eine Ergotherapeutin schauen sich auf dem Campusgelände in Horw an, wie der Rollstuhlfahrer ins Gebäude kommt, wo die Parkplätze und die Toiletten sind. Nicolas Egger trifft Abklärungen mit der Hochschule Luzern. Er führt Gespräche mit der Schulleitung und den Dozierenden. «Diese Unterstützung durch ParaWork ist sehr wertvoll», betont Marco Michel. Gemeinsam entscheiden die beiden, dass Marco Michel im September sein Studium wieder aufnimmt. Testweise an zwei Nachmittagen pro Woche. Praktischerweise ist das Studium der Maschinentechnik modular aufgebaut. «Ich kann auswählen, wie ich meinen Stundenplan gestalte.» Eine Anpassung des Pensums ist aber nur semesterweise, sprich halbjährlich möglich. Eine Steigerung soll schrittweise erfolgen.

Von der ParaWG in Schenkon fährt er mit dem Auto zum Campus in Horw. Dieses Auto verhindert beinahe, dass die IV seinen Platz in der ParaWG finanziert. Mit dem Auto könne er auch vom Elternhaus nach Horw fahren, lautete die Begründung. Die in der ParaWG erlangte Selbständigkeit kommt Marco Michel aber auch bei einer späteren Anstellung zugute, ist er überzeugt: «Wenn ich in der ParaWG lerne, wie ich meinen Alltag eigenständig meistere, hilft mir das auch auf der Arbeit.»

Bedingt hindernisfrei

Die Hochschule muss ihre Infrastruktur barrierefrei zugänglich machen. Da der Standort Horw jedoch in den kommenden Jahren umfassend renoviert werden soll, beschränken sich die baulichen Anpas­ sungen auf das Notwendigste. «Es ist alles einigermassen rollstuhlgängig, aber natürlich nicht so barrierefrei wie in Nottwil», kommentiert Marco Michel die Gegebenheiten vor Ort. Der Student reist mit dem eigenen Auto an. «Würde ich den Weg mit dem öffentlichen Verkehr zurücklegen, nähme das viel zu viel Zeit in Anspruch.» Der Lift, den er benutzen muss, ist ein alter Warenlift. Eine rollstuhlgängige Toilette gibt es nur auf einem Stockwerk.

Zurück im Vorlesungssaal ist der Student darauf angewiesen, Lösungen zu finden. Weil er nicht so schnell schreiben kann, bekommt er eine Kopie der Notizen eines mit die Energie für die ganze Woche reicht, haben Marco Michel und sein Coach die Belastung an den drei Tagen bei ParaWork reduziert. Dennoch, der 25­Jährige will mehr.

Mitstudenten. Die Prüfungen diktiert er einem Dozenten. «Bei praktischen Modulen mache ich die Arbeiten, die ich kann.» Damit Marco Michels Leistungen gleichwertig anerkannt werden, trifft Coach Nicolas Egger im Hintergrund die nötigen Vereinbarungen mit der Hochschule.

Fordernd

Gegen Ende seines «Probesemesters» zieht Marco Michel ein klares Fazit: «Die zwei Tage in Horw sind strenger als die Tage bei ParaWork. Gleich Vollzeit ins Studium zurückzukehren, wäre zu viel gewesen.» Da­

Das nächste Semester möchte Marco Michel an fünf Tagen studieren. Die Integrationsmassnahme der ParaWork endet damit. Sein Coach begleitet ihn aber weiterhin. Sein Fernziel: eine Anstellung als Ingenieur.

Maschinentechniker seien gefragt. Lediglich an verfügbaren Teilzeitstellen hapere es noch. Und das zweite Ziel: selbständig wohnen. Damit er hier Unterstützung erhält, hat er mit Silvia Affentranger bereits die Selbstdeklaration für einen Assistenzbeitrag ausgefüllt. «Ich kann vieles selbst, es dauert einfach länger. Allein schaffe ich es nicht, einen Haushalt zu führen.» Der junge Mann mag Ziele.

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