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PRÄSIDIUM
PRÄSIDIUM
Ein Haus mit vielen Zimmern
Die Delegiertenversammlung 2020 wählte Olga Manfredi zur Präsidentin und der Zentralvorstand ernannte Annick Meystre zur VizePräsidentin. Ein Gespräch mit Olga Manfredi macht deutlich, wohin die Reise der SPV gehen soll.
Von Nadja Venetz
Mit Olga Manfredi als Präsidentin und Annick Meystre als VizePräsidentin stehen erstmals zwei Frauen an der Spitze des Verbands. Macht das überhaupt einen Unterschied? Das Amt der Präsidentin und der VizePräsidentin mit Frauen zu besetzen, ist Ausdruck eines Kulturwandels innerhalb der SPV, der klar gewünscht wurde. «Ich finde es wichtig, dass auch Frauen in der SPV nach aussen repräsentiert werden», führt Olga Manfredi aus. «Für mich persönlich hatte die SPV zu lange kein Gesicht für uns Frauen. Auf frauenspezifische Fragen habe ich hier anfänglich keine Antwort gefunden.» Frauen sind anders von Querschnittlähmung betroffen, sei es in Fragen der Versicherung, der Familienplanung, der Haushaltsführung usw. Hier hat sich in den letzten Jahren einiges getan.
Aufgabenteilung
Olga Manfredi und VizePräsidentin Annick Meystre pflegen einen intensiven Austausch. Die diversen repräsentativen Aufgaben haben sich die beiden aufgeteilt. Olga Manfredi vertritt die SPV bei Inclusion Handicap. Annick Meystre bringt die Anliegen der SPV als Mitglied der Nomi
Präsidentin Olga Manfredi nationskommission bei der Schweizer ParaplegikerStiftung und als Stiftungsrätin bei Swiss Paralympic ein. Als Präsidentin trägt Olga Manfredi jedoch die Hauptverantwortung.
Generationenwechsel
Die SPV befindet sich in einem wichtigen Veränderungsprozess. Mit neuen Köpfen kommen neue Themen zur Sprache. «Wir müssen unsere Mitglieder breiter abbilden. Wir haben tausende von stillen Heldinnen und Helden», meint Olga Manfredi. Die grosse Mehrheit der Querschnittgelähmten steht nicht im Rampenlicht, ist die Präsidentin überzeugt. «Ich glaube, wir müssen die Leute aus den Schneckenhäusern rauslocken. Da ist viel Potenzial vorhanden.» Weniger wertend, weniger erfolgsorientiert, weniger hierarchisch, sondern auf Augenhöhe und das Soziale im Zentrum, so wünscht sich Olga Manfredi die SPV. «Das entspricht auch meinem Wesen, und so sehe ich meine Rolle als Präsidentin. Ich suche den Austausch, mit allen.» Dabei ist es wichtig, die Querschnittgelähmten in ihrer persönlichen Vielfalt abzuholen. «Es muss uns gelingen, eine 75Jährige, die im gesetzten Alter in den Rollstuhl kommt, genauso zu gewinnen wie einen 20Jährigen.»
Eingespielt
Bereits nach wenigen Monaten fällt auf, dass die neue Präsidentin oft in Nottwil ist. Eine ganz bewusste Entscheidung. «Es ist
mein persönlicher Anspruch, bei der Führung und den Mitarbeitenden präsent zu sein», erklärt Olga Manfredi. Die Zusammenarbeit mit Direktor Laurent Prince habe sich innert Kürze gut eingespielt. Olga Manfredi möchte, dass man nicht nur sie als Präsidentin spürt, sondern auch den gesamten Zentralvorstand. «Mir ist wichtig, dass man sieht, wir sind eine neue Crew, wir wollen anpacken, wir wollen vorwärts gehen.» Ganz im Bewusstsein, dass der Zentralvorstand die Aufgaben übernimmt, die ihm statuarisch übertragen wurden und sich nicht in operative Geschäfte einmischt. Die Trennung der Zuständigkeiten ist hier ganz klar.
Kontakte in die Clubs
Austausch und Kommunikation sind wegweisend in der neuen Strategie. Die ganze SPV bewegt sich mehr hin zu den Sektionen. Das ist aber nicht nur die Aufgabe der strategischen Führung, sondern auch des operativen Teams. Der Dialog zwischen
Vize-Präsidentin Annick Meystre
den Clubs, dem Zentralvorstand und den Mitarbeitenden soll sich intensivieren. «Als ich unter Werner Waldispühl Mitglied wurde, habe ich eine sehr warme, familiäre SPV erlebt. Ich will nicht zurück zu alten Zeiten, aber diese Willkommenskultur möchte ich wiederherstellen.» Die Mitglieder sollen sich gerne an die SPV wenden, weil sie wissen, dass sie willkommen sind, dass Knowhow vorhanden ist und dass sie Unterstützung erhalten. Die lebenslange Begleitung, die wir uns auf die Fahne schreiben, muss erlebbar und keine leere Floskel sein.» Wie die SPV allen Altersgruppen, allen Sprachregionen und Interessen gerecht wird, soll in nächster Zeit erarbeitet werden. Die Strategieworkshops mit den Clubs waren ein erster Schritt in diese Richtung. Olga Manfredi ist sich aber sicher: «Präsenz braucht kein konkretes Projekt.»

Gesamtgesellschaftlich hat das Vereinsleben an Bedeutung verloren. «Ich kenne persönlich einige, die nicht in einem Verein aktiv sein möchten und das ist vollkommen in Ordnung.» Die Clubs deswegen aufzulösen, sei aber keine Option. «Gerade für Leute, die die Tendenz haben, sich zu isolieren, ist der Verein eine wertvolle Stütze. Aktuell merke ich in unserem Club wegen der Pandemie enorm, wie vielen der persönliche Kontakt zueinander fehlt.»
Dass sich die Clubs mit grossen Herausforderungen konfrontiert sehen, erlebt die Präsidentin des RC ZürichOberland selber: «Unser Club ist wie ein SechsZimmerHaus mit vier Sportarten, den Leuten, die keinen Sport machen, aber an unsere Anlässe kommen, und den Mitgliedern, von denen wir nie etwas vernehmen. Als Verein bilden wir das Dach, unter dem wir allen gerecht werden sollten. Bei der SPV ist die Herausforderung noch grösser, das Haus noch viel umfassender.»
Künftige Ausrichtung
«Wir sind die SPV», soll die Losung der Zukunft sein. «Wir», das sind die einzelnen Mitglieder, die Rollstuhlclubs, die Mitarbeitenden und der ZV. Damit dieses Gemeinschaftsgefühl entsteht, sind alle, auch die Sektionen, gefordert. Dabei sollen die Clubs vom Verband die nötige Unterstützung erhalten, beispielsweise im Bereich der Adressverwaltung oder der Buchhaltung. Dabei könnten Clubs zusammenarbeiten, ein versiertes Vorstandsmitglied die Buchhaltung für mehrere Clubs machen, so dass vorhandene Kompetenzen und Synergien sinnvoll genutzt werden. Engagierte Vorstände sind da eine Grundvoraussetzung. «In jeder Generation gibt es Leute voller Tatendrang und es gehört etwas Glück dazu, diese zu finden. Ab und zu muss man geeignete Personen direkt anfragen und ihnen dann Raum geben, um auch neue Wege zu gehen. Ich wünsche mir für die Clubs, dass sie diesen Mut haben und offen sind für Veränderung.»
Familienbande
Auch der Austausch innerhalb der SPG wird wieder intensiver gepflegt. Olga Manfredi sieht vor, der Stimme der SPV mehr Gewicht zu verleihen: «Ich wünsche mir, dass die Rolle der SPV intensiver wahrgenommen wird. Wir sind das Sprachrohr der Betroffenen innerhalb der Gruppe. Diese Perspektive muss an Bedeutung gewinnen. Wir sollten als Schwester und nicht als Tochter oder Partnerorganisation angesehen werden. Die Analogie zur Familie passt sehr gut. Jeder lebt sein eigenes Leben und trotzdem sind wir eine Familie. Wo es Sinn macht, spannen wir wie Schwestern auf Augenhöhe zusammen.»
Lobbying
Immer wieder wird gefordert, die SPV solle in der nationalen Politik mitmischen. Olga Manfredi vertritt die Querschnittgelähmten bei Inclusion Handicap, dem Dachverband der Behindertenorganisationen. Diese gemeinsame Stimme sei wesentlich, glaubt Olga Manfredi. «Es gibt nicht nur ein bisschen Gleichstellung, so wie man nicht nur ein bisschen schwanger sein kann. Gerade auf Bundesebene müssen wir uns mit den anderen Behindertenorganisationen an einen Tisch setzen. Wir können nur eine Behindertenpolitik machen und nicht fünf verschiedene.»
Auf kantonaler Ebene sehe es anders aus. Öffentlicher Verkehr, Bildung, Baugesetzgebung, Gesundheitsversorgung: Viele zentrale Bereiche werden kantonal geregelt. Fehlen hier regionale Lobbystrukturen, kann sich Olga Manfredi vorstellen, dass die SPV die Clubs unterstützt, um diese aufzubauen. «Die Clubs sollen spüren, dass wir ihnen auch in diesem Bereich unter die Arme greifen», hält Olga Manfredi fest. «Wir wollen die Stimme der Betroffenen sein, auch auf politischer Ebene.»