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Selbstständig wohnen

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IN KÜRZE

IN KÜRZE

DIENSTLEISTUNGEN UND PROJEKTE

Eine Studie im Auftrag des Bundesamtes für Sozialversicherungen mit dem Titel «Bestandsaufnahme des Wohnangebots für Menschen mit Behinderungen» beweist: Immer mehr Menschen mit Behinderungen wohnen selbstständig.

Von Felix Schärer, Bereichsleiter ZHB

Seit 2008 im Rahmen der «Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen» (abgekürzt NFA) Heime, Sonderschulen und ähnliche Institutionen an die Kantone übergingen, ist ein Wandel weg vom Wohnen im Heim hin zu möglichst selbständigen Wohnformen feststellbar. Die Studienverfasser der Berner Fachhochschule empfehlen den Kantonen und Anbietern, die Diversifizierung der Angebote verstärkt voranzutreiben in Richtung persönlich gestaltbarer Wohn- und Lebensformen. Dort, wo die privaten Wohnangebote dazu noch nicht existieren, kommen wir vom Zentrum für hindernisfreies Bauen (ZHB) ins Spiel.

Kompetente Bauberatung für hindernisfreies Bauen

Die Bauberater des ZHB sind täglich in der ganzen Schweiz für unsere Kunden und Mitglieder unterwegs. Sie kümmern sich um das Kerngeschäft und beraten Menschen mit Körperbehinderungen in der ganzen Schweiz bei der Hindernisfreiheit im Wohn- und Arbeitsumfeld. Sie erbringen im Rahmen des umfassenden Leistungsnetzes der Schweizer Paraplegiker-Gruppe ihren Teil, damit die Rückkehr ins angestammte private Umfeld gelingt. Trotz den Einschränkungen durch das Coronavirus konnte das Team 2020 insgesamt 285 neue Bauberatungen durchführen. Über das Jahr gesehen, ist das mehr als eine Bauberatung pro Arbeitstag, und dies in allen Landesteilen und im angrenzenden Ausland (30km).

Das Team leistete ganzjährig etwa 6700 kostenlose Bauberatungsstunden für unsere Kunden. Im Tessin und im angrenzenden Italien führte die Fachstelle aus Muhen die zehn Bauberatungen in Zusammenarbeit mit einem externen Büro durch. In allen anderen Landesteilen ist das Team mit eigenen, bei der SPV angestellten Architekten und Bauberatern tätig. Wir arbeiten intensiv mit den Rehakliniken der Schweiz zusammen: dem Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil, der Uniklinik Balgrist in Zürich, dem REHAB Basel und der Clinique romande de réadaption in Sion. In 169 Fällen konnten wir mit unseren Bauberatungen bewirken, dass Patienten nach einem schweren Schicksalsschlag nach Hause zurückkehren konnten.

Pandemie fördert die Digitalisierung

Nachdem im Vorjahr die Koordination der Bauprojekte mit den Rehakliniken bereits digitalisiert wurde (siehe Jahresbericht 2019), konnte das Architektenteam ab Frühling 2020 problemlos und ohne Leistungseinbusse vermehrt im Homeoffice arbeiten.

Die Pandemie zwang das ZHB trotzdem, die Beratungsprozesse teilweise anzupassen respektive zu ergänzen. In der Regel finden Wohnraumabklärungen vor Ort gemeinsam mit dem Patienten und den Ergotherapeuten statt. Zusammen mit den Rehakliniken entwickelte die SPV ein Konzept, das in begründeten Fällen wie etwa der Pandemie eine teilweise virtuelle Abklärung erlaubte. Teilvirtuelle Wohnraumabklärungen wurden und werden nur bei vorhandener Dringlichkeit (z.B. Austritt aus einer Klinik) durchgeführt. Falls möglich wird abgewartet, bis eine ordentliche Besichtigung vor Ort mit allen Beteiligten möglich ist.

Bei der teilvirtuellen Wohnraumabklärung ist der Informationsaustausch vor der Abklärung sehr wichtig. Der Bauberater des ZHB besichtigt anschliessend die Wohnsituation mit einer Patienten-Vertretung und dokumentiert alle Punkte, welche über die CheckListe gefordert wurden. Teil der Besichtigung ist dann ein Videoaustausch zwischen Ergotherapeut und Bauberater. Im Idealfall nimmt auch der Patient daran teil und diskutiert mit.

Bauplanung und Realisation

Die Architekten des ZHB planten 2020 nebst den üblichen Wohnraumanpassungen erfolgreich verschiedene grössere Projekte wie Liftanbauten, Hausanbauten, Umnutzungen für das Wohnen im Alter und vieles mehr. Damit wurden jeweils bauliche Voraussetzungen in Richtung persönlich gestaltbarer Wohn- und Lebensformen für unsere Kunden geschaffen.

So realisierte das ZHB für das Ehepaar Müller aus Wettingen einen verglasten Aussenlift für das bestehende Wohnhaus. Der Lift bildet neu, neben der bestehenden Innentreppe, eine hindernisfreie vertikale Erschliessung aller Geschosse, vom Untergeschoss bis zum ausgebauten Dachgeschoss. Rosmarie Müller ist glücklich darüber, dass sie seit Oktober 2020 wieder alle Bereiche des Wohnhauses unbeschwert erreichen kann. Damit wurde für das Ehepaar der Wohnraum für eine langfristige gemeinsame und individuell gestaltbare Zukunft zu Hause geschaffen. Wichtig ist bei allen Projekten die Sicherstellung der Finanzierung des Gesamtprojektes. Dazu erhalten unsere Kunden bei Bedarf Hilfestellung von den Sozialberatungsstellen der Rehakliniken. Und gerade für terminlich enge Projekte helfen immer öfters verschiedene Stiftungen mit Vorfinanzierungen. In einzelnen Fällen wird aber auch auf den Entscheid der IV-Stellen gewartet, bevor ein Umbau realisiert werden kann oder die Kunden finanzieren selber.

Kurzberatungen und Dokumentation

Neben der kostenlosen Bauberatung für Menschen mit Behinderungen und ihren Angehörigen fanden auch täglich Kurzberatungen statt. Diese Tätigkeit wird durch umfassende Informationen auf der Webseite der SPV unterstützt.

Zusammenarbeit

Die Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPS) erhält von Direktbetroffenen Gesuche für die Kostenübernahme von baulichen Anpassungen. Das ZHB hat 2020 insgesamt 24 Beurteilungen und Fachexpertisen für die SPS erstellt.

Für die SPS konnte das ZHB 2020 auf dem Areal in Nottwil kein Bauprojekt realisieren. Wir sind aber dankbar, dass wir zu Projektbeginn des Neubaus der Kinderkrippe SPZ mitwirken durften. Dies zeigt die seit jeher gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der SPS.

Förderung der Autonomie

Die SPV ist ein sozialer Arbeitgeber. Ende 2020 hat das ZHB entschieden, einer Rollstuhlfahrerin aus Cham bei uns das 4. Lehrjahr als Zeichnerin zu ermöglichen. Dies in enger Zusammenarbeit mit ParaWork. Wir freuen uns, Sophie Wiesbauer ab Februar 2021 im Team zu haben.

Anbau Glaslift UG-DG, Wettingen

In der Planungs- und Realisierungsphase wurden notwendige Bauprojekte bis zur Inbetriebnahme umgesetzt, teilweise unter enormem Zeitdruck. Die Zusammenarbeit in diesem Bereich mit Fachpersonen aus Therapie, Sozialberatung, Hilfsmittelversorgung, Versicherungen, Baubehörden, Baufachleuten und vielen mehr war für das neunköpfige Team selbstverständlich. Es erforderte aber von den Architekten, den Zeichnern und der Sachbearbeiterin funktionales und emotionales Denken.

Zukunft

Gemeinsam mit den SPV-Mitgliedern wollen wir ein Netzwerk aufbauen, um die Vertretung der Interessen bei baulichen Themen in der ganzen Schweiz zu stärken. In Zusammenarbeit mit anderen Institutionen sollen die mandatierten Interessenvertreter schweizweit Bauverantwortliche sensibilisieren und die Erfüllung der hindernisfreien Bauweise fordern. Erstens treiben wir damit Leuchtturm-Beispiele voran, wie die Gemeinde Uster (MOVE-Award Preisträger 2020), die beispielhaft die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen fördert. Und zweitens erfolgt damit ein Beitrag zu mehr bezahlbarem Wohnraum. Ein Thema, welches viele unserer Mitglieder und Kunden beschäftigt.

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