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HIGHLIGHT DES JAHRES
HIGHLIGHT DES JAHRES
Wenn die Arbeit Früchte trägt
Das IRB setzte sich dafür ein, dass die Unfallversicherung die Kosten der Grundpflege für alle Querschnittgelähmten übernimmt. Es gibt erste Erfolge.
Von Thomas Wehrlin, Mitarbeiter IRB, Rechtsanwalt
Als 2017 die revidierte Unfallversicherungsverordnung in Kraft trat, hatten wir uns im Institut für Rechtsberatung bereits intensiv über die Neuerungen ausgetauscht. Unser Interesse galt insbesondere einem einzigen Satz, der wie folgt lautete: «Der Versicherer leistet einen Beitrag an die nichtmedizinische Hilfe zu Hause, soweit diese nicht durch die Hilflosenentschädigung nach Artikel 26 abgegolten ist.» Rasch merkten wir, dass dieser unscheinbare Satz für Personen, die unfallbedingt querschnittgelähmt sind, von enormer Tragweite sein könnte. Für uns war nämlich klar: Damit wird eine grundsätzliche Leistungspflicht der Unfallversicherung für die Grundpflege eingeführt.
Die Übernahme der Pflegekosten ist für die Mitglieder der SPV ein zentrales Thema. Die monatlichen Spitex-Kosten betragen oftmals mehrere Tausend Franken und stellen dementsprechend eine grosse finanzielle Belastung dar. Gerade bei Personen mit einem hohen Lähmungsniveau übersteigen die Kosten der Grundpflege (nichtmedizinische Hilfe, wie etwa Hilfe bei Transfers oder bei der Körperpflege) regelmässig diejenigen der Behandlungspflege (medizinische Pflege). Wir stellten daher mit Genugtuung fest, dass die Unfallversicherung neu auch für die Grundpflege aufkommen muss.
Gleichzeitig drängten sich erste Fragen auf. Ist diese Bestimmung auf alle anwendbar oder nur auf Personen, die nach Inkrafttreten der neuen Bestimmung, also ab 2017 verunfallt sind? Was hat die Formulierung zu bedeuten, dass die Unfallversicherung nur für die Grundpflege aufkommen muss, «soweit diese nicht durch die Hilflosenentschädigung abgegolten ist»? Wir diskutierten diese Fragen im Team, recherchierten in den Materialien zur Gesetzesrevision und versuchten, in der Rechtsprechung des Bundesgerichts und der kantonalen Gerichte zu ähnlichen Fragen Antworten zu finden. So gelangten wir nach und nach zu einer gemeinsamen Haltung und zur Überzeugung: Alle verunfallten Querschnittgelähmten (und nicht nur diejenigen, die nach 2017 verunfallt sind) haben Anspruch darauf, dass die Unfallversicherung die Grundpflegekosten übernimmt. Und die Unfallversicherung muss grundsätzlich die gesamten Grundpflegekosten tragen. Somit ist in vielen Fällen zusätzlich zur Hilflosenentschädigung ein Grundpflegebeitrag geschuldet.
Es ging nicht lange, bis erste Fälle von Betroffenen aus der ganzen Schweiz bei uns eintrafen, deren Unfallversicherung nur einen Teil der Grundpflegekosten übernehmen wollte. Wir empfahlen unseren Mitgliedern, sich zu wehren und den Rechtsweg zu beschreiten. Dabei setzen wir in allen Fällen auf die von uns erarbeitete gemeinsame Haltung.
Es ist für uns eine grosse Genugtuung zu sehen, dass diese Arbeit nun langsam Früchte trägt. Inzwischen hat das Bundesgericht unsere Auffassung bestätigt, dass sämtliche Unfallversicherten von der neuen Bestimmung profitieren. Somit haben auch Personen, die vor 2017 verunfallt sind, Anspruch darauf, dass die Unfallversicherung für ihre Grundpflege aufkommt.
Auch liegen erste kantonale Entscheide vor, die unsere Haltung bekräftigen, wonach sich die Unfallversicherungen nicht einfach mit der Ausrichtung einer Hilflosenentschädigung begnügen können, sondern zusätzlich einen Beitrag für die Grundpflege schulden. Aktuell warten wir gespannt auf ein Urteil des Bundesgerichts zu dieser höchstrichterlich noch nicht geklärten Frage – seit September 2020 ist der Fall eines SPV-Mitglieds hängig.