Soli Deo Gloria Magazin 2020

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SAISON 2020

15 JAHRE

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Sir John Eliot Gardiner war seit 2003 regelmäßiger Gast in der Region. Ihm gebührt besonderer Dank, bei der Umsetzung der Idee zu diesem Festival aktiv Anteil genommen zu haben.


Liebe Festivalgäste ich begrüße Sie herzlich zur nunmehr 15. und letzten Saison von Soli Deo Gloria – Braunschweig Festival, die wir dem Werk Ludwig van Beethovens widmen. Ludwig van Beethoven gilt als der meistgespielte klassische Komponist – und er war ein radikaler Künstler, der sich immer wieder neu erfunden hat, die Grenzen der Musik stets erweiterte und dabei auch die Gesellschaft infrage stellte. Anlässlich seines 250. Geburtstages dürfen Sie sich mit mir auf vier herausragende Konzerte freuen. Bereits vor der Sommersaison steht im Februar ein Highlight auf dem Programm: Mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden wird eines der führenden und traditionsreichsten Orchester der Welt unter Leitung ihres Chefdirigenten Christian Thielemann im Scharoun Theater Wolfsburg gastieren und Beethovens Sinfonien Nr. 4 und Nr. 5 zur Aufführung bringen. Im Juni gibt es im Rittersaal der Burg Dankwarderode ein Wiedersehen mit der russischen Violinistin Viktoria Mullova, eine der vielseitigsten Geigerinnen der Gegenwart. Gemeinsam mit dem schottischen Pianisten Alasdair Beatson wird sie sich Beethovens Violinsonaten Nr. 4, Nr. 5, der »Frühlingssonate« sowie Nr. 9, auch bekannt als »Kreutzer-Sonate«, widmen. Der weltweit gefeierte Pianist Igor Levit wird im Lessingtheater Wolfenbüttel Beethovens letztes großes Klavierwerk, die Diabelli-Variationen, spielen. Der junge Ausnahmekünstler hat das Werk bereits 2015 auf CD eingespielt und dafür 2016 im Rahmen der Grammophone Classical Music Award den Instrumen-

tal-Preis sowie den Preis »Aufnahme des Jahres« erhalten. Außerdem wurde er im Dezember 2019 mit dem Internationalen Beethovenpreis für Menschenrechte ausgezeichnet. Concerto Köln – seit mehr als 30 Jahren eines der führenden Ensembles im Bereich der historischen Aufführungspraxis – präsentiert im September unter der Leitung von Kent Nagano Beethovens Missa Solemnis. Die Messe gilt als eine der bedeutendsten Leistungen des Komponisten und zählt zu den berühmtesten Messen überhaupt. Be-

Auf den folgenden Seiten breiten wir einen Bilderbogen aus – von den Anfängen des Festivals bis heute. Das Inhaltsverzeichnis zur diesjährigen Saison finden Sie auf Seite 21.

schließen werden wir das Festival im Dezember traditionell mit dem Weihnachtsoratorium von Johann Sebastian Bach in St. Martini Braunschweig, in diesem Jahr aufgeführt von der Gaechinger Cantorey unter der Leitung von Hans-Christoph Rademann. Unser ausdrücklicher Dank gilt wie stets unseren Sponsoren und Förderern, ohne die Soli Deo Gloria – Braunschweig Festival auch 2020 nicht realisierbar wäre. An dieser Stelle danke ich aber auch Ihnen, liebes Festivalpublikum, für Ihre jahrelange Treue und Unterstützung. Es war mir stets eine große Freude, Ihnen ein abwechslungsreiches Programm mit eigener Handschrift und vielen weltberühmten Künstlern an besonderen Orten und in den schönen Kirchen im Braunschweiger Land zu präsentieren. Nach 15 Jahren werde ich das Festivalformat beenden, aber mir weiterhin Gedanken machen, einzelne Projekte auch in Zukunft zu realisieren. Besonders dankbar bin ich Sir John Eliot Gardiner, mit dem ich die Idee zu diesem Festival entwickelt habe und der seit 2003 regelmäßiger Gast in der Region war. Soli Deo Gloria bedeutete stets auch Demut und Freude, vor allem dank der großartigen Werke von Johann Sebastian Bach, die wir in vielen wunderbaren Aufführungen mit diesem herausragenden Künstler und seinen Ensembles erleben durften. Ich freue mich nun mit Ihnen gemeinsam auf das Beethoven-Jahr 2020 zum Abschied von Soli Deo Gloria – Braunschweig Festival. Ihr Günther Graf von der Schulenburg Künstlerischer Direktor

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INTERPRETEN 2020

KONZERTE 2020

Christian Thielemann | 22 Sächsische Staatskapelle Dresden | 24 Viktoria Mullova | 28 Alasdair Beatson | 30 Igor Levit | 34 Concerto Köln | 44 Vokalensemble Kölner Dom | 46 Jeanine De Bique | 48 Rachel Frenkel | 49 Sebastian Kohlhepp | 48 Tareq Nazmi | 49 Kent Nagano | 50 Gaechinger Cantorey | 54 Isabel Schicketanz | 56 Henriette Reinhold | 57 Patrick Grahl | 56 Matthias Winckhler | 57 Hans-Christoph Rademann | 58

DO 20. FEBRUAR 2020 | 20.00 UHR SCHAROUN THEATER WOLFSBURG

LUDWIG VAN BEETHOVEN SINFONIE NR. 4 B-Dur op. 60 SINFONIE NR. 5 c-moll op. 67 SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE DRESDEN CHRISTIAN THIELEMANN LEITUNG Seite 26 DI 9. JUNI 2020 | 20.00 UHR BURG DANKWARDERODE BRAUNSCHWEIG

LUDWIG VAN BEETHOVEN SONATEN FÜR KLAVIER UND VIOLINE NR. 4 a-moll op. 23 NR. 5 F-Dur op. 24 »FRÜHLINGSSONATE« NR. 9 A-Dur op. 47 »KREUTZER-SONATE« VIKTORIA MULLOVA VIOLINE ALISDAIR BEATSON KLAVIER Seite 32 DO 11. JUNI 2020 | 19.30 UHR LESSINGTHEATER WOLFENBÜTTEL

LUDWIG VAN BEETHOVEN 33 VERÄNDERUNGEN ÜBER EINEN WALZER VON DIABELLI op. 120 (DIABELLI-VARIATIONEN) IGOR LEVIT KLAVIER Seite 40 SO 13. SEPTEMBER 2020 | 17.00 UHR ST. MARTINI BRAUNSCHWEIG

LUDWIG VAN BEETHOVEN MISSA SOLEMNIS D-DUR op. 123 CONCERTO KÖLN DOMCHOR KÖLN JEANINE DE BIQUE SOPRAN RACHEL FRENKEL MEZZOSOPRAN SEBASTIAN KOHLHEPP TENOR TAREQ NAZMI BASS KENT NAGANO LEITUNG Seite 52

SAISON 2020 BEETHOVEN 1

Igor Levit und die Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven Seite 36 K O M M E N TA R

Gegengift Beethoven Seite 38 BEETHOVEN 2

Beethovens Stern und Diabellis Sternschnuppen Seite 42 S P I E L S TÄT T E

Rittersaal der Burg Dankwarderode Seite 62 INTERVIEW

Braunschweigs Bürgermeister und das Festival Seite 64

SA 19. DEZEMBER 2020 | 17.00 UHR ST. MARTINI BRAUNSCHWEIG

JOHANN SEBASTIAN BACH WEIHNACHTSORATORIUM BWV 248 KANTATEN 1-3 UND 6 GAECHINGER CANTOREY ISABEL SCHICKETANZ SOPRAN HENRIETTE REINHOLD MEZZOSOPRAN PATRICK GRAHL TENOR MATTHIAS WINCKHLER BASS HANS-CHRISTOPH RADEMANN LEITUNG

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DIE KÜNSTLER

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eit der Saison 2012/13 ist Christian Thielemann Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Über Stationen an der Deutschen Oper Berlin, in Gelsenkirchen, Karlsruhe, Hannover und Düsseldorf kam er 1988 als Generalmusikdirektor nach Nürnberg. 1997 kehrte der gebürtige Berliner in seine Heimatstadt als Generalmusikdirektor der Deutschen Oper Berlin zurück, bevor er das gleiche Amt von 2004 bis 2011 bei den Münchner Philharmonikern innehatte. Neben seiner Dresdner Chefposition ist er seit 2013 Künstlerischer Leiter der Osterfestspiele Salzburg, deren Residenzorchester die Staatskapelle ist. Intensiv widmete sich Christian Thielemann in den vergangenen Spielzeiten den Komponistenjubilaren Wagner und Strauss. Aber auch Werke von Bach bis hin zu Henze, Rihm und Gubaidulina standen für ihn in Dresden

und auf Tournee auf dem Programm. Im Graben der Semperoper leitete er zuletzt Neuproduktionen von »Der Freischütz« und »Ariadne auf Naxos«. Bei den Osterfestspielen Salzburg dirigierte er unter anderem »Die Walküre« und »Tosca«. Eine enge Zusammenarbeit verbindet Christian Thielemann mit den Berliner Philharmonikern und den Wiener Philharmonikern, deren Neujahrskonzert er 2019 dirigierte. Nach fünf Jahren als musikalischer Berater auf dem »Grünen Hügel« wurde er 2015 zum Musikdirektor der Bayreuther Festspiele ernannt, die er seit seinem Debüt im Sommer 2000 alljährlich durch maßstabsetzende Interpretationen prägt. Darüber hinaus folgte er Einladungen der großen Orchester in Europa, den Vereinigten Staaten, Israel und Asien. Christian Thielemanns Diskographie als Exklusivkünstler der UNITEL ist umfangreich. Zu seinen jüngsten Einspie-

lungen mit der Staatskapelle gehören die Symphonien von Johannes Brahms und Anton Bruckner sowie zahlreiche Opern. Christian Thielemann ist Ehrenmitglied der Royal Academy of Music in London sowie Ehrendoktor der Hochschule für Musik »Franz Liszt« Weimar und der Katholischen Universität Leuven (Belgien). Im Mai 2015 wurde ihm der Richard-Wagner-Preis der RichardWagner-Gesellschaft der Stadt Leipzig verliehen, im Oktober 2016 wurde er mit dem Preis der Stiftung zur Förderung der Semperoper ausgezeichnet. Christian Thielemann ist Schirmherr der RichardWagner-Stätten zu Graupa und hat die Schirmherrschaft für den 49. Internationalen Jugendwettbewerb »jugend creativ« der Volksbanken und Raiffeisenbanken übernommen. 2019 wurde ihm die Ehrenmitgliedschaft der Gustav Mahler Vereinigung Hamburg verliehen. Für seine Einspielungen wurde er mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt.

Christian Thielemann DIRIGENT

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DIE KÜNSTLER

Staatskape urch Kurfürst Moritz von Sachsen 1548 gegründet, ist die Sächsische Staatskapelle Dresden eines der ältesten und traditionsreichsten Orchester der Welt. Seit ihrem Bestehen haben bedeutende Kapellmeister und international geschätzte Instrumentalisten die Geschichte der einstigen Hofkapelle geprägt. Zu ihren Leitern gehörten u.a. Heinrich Schütz, Johann Adolf Hasse, Carl Maria von Weber und Richard Wagner, der das Orchester als seine »Wunderharfe« bezeichnete. Bedeutende Chefdirigenten der

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letzten 100 Jahre waren Ernst von Schuch, Fritz Reiner, Fritz Busch, Karl Böhm, Joseph Keilberth, Rudolf Kempe, Otmar Suitner, Kurt Sanderling, Herbert Blomstedt und Giuseppe Sinopoli. Ab 2002 standen Bernard Haitink (bis 2004) und Fabio Luisi (2007-2010) an der Spitze des Orchesters. Seit der Saison 2012/2013 ist Christian Thielemann Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle. Im Mai 2016 wurde der ehemalige und langjährige Chefdirigent Herbert Blomstedt zum Ehrendirigenten des Orchesters ernannt. Diesen Titel hatte bislang einzig Sir Colin Davis von 1990 bis

zu seinem Tod 2013 inne. Myung-Whun Chung trägt seit der Spielzeit 2012/2013 den Titel des Ersten Gastdirigenten. Richard Strauss war der Staatskapelle mehr als sechzig Jahre lang freundschaftlich verbunden. Neun seiner Opern, darunter »Salome«, »Elektra« und »Der Rosenkavalier« wurden in Dresden uraufgeführt; seine ­»Alpensinfonie« widmete er der Staatskapelle. Auch zahlreiche andere berühmte Komponisten schrieben Werke, die von der Staatskapelle uraufgeführt wurden bzw. ihr gewidmet sind. An diese Tradition knüpft das Orchester


elle Dresden seit 2007 mit dem Titel »Capell-Compositeur« an. Nach Hans Werner Henze, Sofia Gubaidulina, Wolfgang Rihm, György Kurtág, Arvo Pärt und Peter Eötvös trägt diesen Titel in der Spielzeit 2019/2020 der deutsche Komponist Aribert Reimann. Als neue Capell-Virtuosin wird die Cellistin Sol Gabetta in unterschiedlichen Konzertformaten zu erleben sein. Die Sächsische Staatskapelle ist in der Semperoper beheimatet und hier pro Saison in etwa 250 Opernund Ballettaufführungen zu hören. Hinzu kommen etwa 50 symphonische und kammermusikalische Konzerte

sowie Aufführungen in der Dresdner Frauenkirche. Als eines der international begehrtesten Symphonieorchester gastiert die Staatskapelle regelmäßig in den großen Musikzentren der Welt. Seit 2013 ist die Sächsische Staatskapelle Dresden das Orchester der Osterfestspiele Salzburg, deren Künstlerische Leitung in den Händen von Christian Thielemann liegt. Die Staatskapelle engagiert sich als Patenorchester des Gustav Mahler Jugendorchesters für den musikalischen Nachwuchs und ist zudem in der Region aktiv: Sie ist Partner des Meetingpoint Music Messiaen in

der Doppelstadt Görlitz-Zgorzelec und rief 2010 die Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch (Sächsische Schweiz) mit ins Leben, die sich – als erstes Festival weltweit – jährlich dem Schaffen des Komponisten Dmitri Schostakowitsch widmen. 2007 erhielt die Sächsische Staatskapelle Dresden als bislang einziges Orchester in Brüssel den »Preis der Europäischen Kulturstiftung für die Bewahrung des musikalischen Weltkulturerbes«. Volkswagen ist Partner der Sächsischen Staatskapelle Dresden

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ls Beethoven 1792, vermittelt durch Joseph Haydn, nach Wien kam, das er nicht wieder verlassen sollte, ereignete sich vor seinen Augen ein Epochenwandel. Das himmelstürmende Pathos dieser ersten industriellen Revolution, wie wir sie heute nennen, findet ihr Echo in seinen Sinfonien. Im Vergleich der 4. und der 5. Sinfonie wird eine musikalische Erneuerung besonders deutlich. Die 4. Sinfonie präsentiert eher die alten Stilelemente und verbirgt die neuen, sie stellt sie zurückhaltender aus und erscheint uns weniger dramatisch als ihre beiden Nachbarn, die »Eroica« und die »Schicksalssinfonie«. In letzterer wird geradezu der Hymnus des neuen Zeitalters angestimmt. Gewöhnlich wird es nur verstanden als das Zeitalter Napoleons, und die »Revolution« meint nur die »französische« von 1789 und ihre Folgen. Doch in das musikalische Weltbild spielt auch die technisch-industrielle Revolution hinein, ja im Grunde konstituiert sie viel mehr als jene das himmelstürmende Pathos seiner Musik. Auch in der 4. Sinfonie findet es sich, obwohl ihr manchmal gebrauchter Beiname »Die Liebliche« uns in die Irre führt. Im ersten Satz wächst das Allegro-Thema aus gestaltloser Düsternis des einleitenden Adagios heraus, in der Überleitung wirft es seine Schatten ab und rast in neuem Tempo beschwingt dahin. Es beginnt piano, »lieblich«, doch schon nach acht Takten ist es vorbei, der Sturm bricht los. Das erste Thema, und noch mehr das zweite, wird mit den Hammerschlägen des Orchesters bearbeitet und, wie ein Kritiker schreibt, geradezu »zerdroschen«. Der zweite Satz scheint die erhoffte Idylle zu bringen, die der erste andeutete. Eine durchaus liebliche Melodie erhebt sich auf dem »Laufband« einer endlos wiederholenden Ostinato-Formel, die den Gesang quasi in Galopp versetzt, doch am Ende erhebt sich wieder ein Orkan und fegt durch den Raum der Träume. Das folgende Menuett verschachtelt

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DONNERSTAG 20. FEBRUAR 2020 20.00 UHR SCHAROUN THEATER WOLFSBURG LUDWIG VAN BEETHOVEN (1770 – 1827)

SINFONIE NR. 4 B-Dur op. 60 ADAGIO – ALLEGRO VIVACE ADAGIO MENUETTO-TRIO: ALLEGRO VIVACE – UN POCO MENO ALLEGRO ALLEGRO MA NON TROPPO

SINFONIE NR. 5 c-moll op. 67 ALLEGRO CON BRIO ANDANTE CON MOTO ALLEGRO ALLEGRO

SÄCHSISCHE STAATSKAPELLE DRESDEN CHRISTIAN THIELEMANN LEITUNG

IN KOOPERATION MIT

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gegen alle Regel zwei Taktarten ineinander, denn auf die ersten vier Takte im Dreivierteltakt montiert Beethoven sechs Zweivierteltakte; ein polyrhythmisches Gebilde entsteht, das die gewohnte musikalische Ordnung zerstört. Das Menuett im Saal und der Bauerntanz auf der Wiese stoßen aufeinander. Wenn das Fenster geschlossen wird, ist der Rüpeltanz vorbei und die Ordnung wieder hergestellt, aber nun haben die Musikanten die Melodie vergessen und fiedeln irritiert daher. Das volkstümliche Trio versöhnt beide Sphären – ein geradezu »illuminatischer« Gedanke. Die wissenschaftliche BeethovenMetaphorik bezieht ihre Bilder vornehmlich aus der Natur oder dem antiken Mythos und vermeidet technische Vergleiche. Deshalb hat man den letzten Satz eine »Gewittermusik« genannt. Man könnte ihn auch eine »Fabrik-Musik« nennen, oder vielleicht doch besser nicht, denn mit »Fabrik« verbinden wir die Vorstellung von Öl und Schmutz, Mühsal und Lärm, und das assoziiert die lichte und lebhafte Musik des Finales nicht. Die Bauern des Menuetts betreten nun selbst die Bühne. Ein prometheischer Gedanke schimmert hier durch. Diese Idee wiederholt Beethoven in den Finalsätzen aller neun Sinfonien. Die 5. Sinfonie in c-Moll ist das Pendant zur Vierten, ähnlich und unähnlich zugleich, in gleicher Art, aber aus anderem Stoff. Unausrottbar klebt ihr der Beiname »Schicksalssinfonie« an, der weder von Beethoven stammt noch überhaupt zutrifft. Beethoven skizzierte die Sinfonie unmittelbar nach der »Eroica«, und sie ist wie diese eine »Prometheus«-Sinfonie. Sie endet nicht mit einem Tanz, sondern mit einem heroischen, aber höchst eigentümlichen Hymnus, denn die Melodie, die Beethoven im Finale nach einer gewaltigen Steigerung anstimmt, ist nichts anderes als eine triviale Wiener Karnevalsweise auf den alles andere als poetischen Text »Hoh, hoh, hoh, de Fassenacht is do!« Doch kein ausgelas-


PROGRAMM sener Karneval folgt, kein übermütiger Tanz, sondern aus dem Schlager wird ein pathetischer Militärmarsch, ein Freiheitslied im Stile der Marseillaise. Die »Fassenacht« ist aufgefasst als das Fest der Revolution, die das Unterste nach oben und das Oberste nach unten kehrt. 1806/07, als die Sinfonie entstand, konnte das nur verstanden werden (wenn man Musik überhaupt politisch verstehen wollte) als Fanal des antinapoleonischen Widerstands. Die Sinfonie war Teil der neuen romantischen Geistesrichtung, die einen »deutschen Napoleon« erhoffte. Der einstige deutsche Jakobiner Joseph Görres gab damals der Barbarossa-Sage einen aktuellen Sinn von der Wiederkehr alter deutscher Kaiserherrlichkeit, und Friedrich Rückert dichtete: »Der alte Barbarossa,/ der Kaiser Friederich, / im unterirdschen Schlosse / hält er verzaubert sich. / Er ist niemals gestorben…« In diese Geistesströmung gehört auch Beethovens Sinfonie. Berühmt wurde vor allem ihr erster Satz, in dem angeblich »das Schicksal an die Pforte klopft«, das der Biograf Anton Schindler, der die Metapher erfunden hat, in persona auftreten lässt. Doch während bei Mozart der Komtur mit eisernen Schritten und in klirrrender Rüstung kommt, um dem Bösewicht die Hand zu reichen, vernehmen wir bei Beethoven nichts als

+WERKBESCHREIBUNG

Das himmelstürmende Pathos der ersten industriellen Revolution findet ihr Echo in seinen Sinfonien.

nur ein Klopfen, aber dafür in endloser Wiederholung. Die Metapher »Schicksalssinfonie« passt nicht zu den Noten. Der erste Satz ist ein Unikat in Beethovens gesamter Sinfonik – eine athematische Musik, die fast ausschließlich (es gibt noch ein rudimentäres zweites Thema) auf einem simplen ViertonMotiv im Terzfall aufgebaut wird. Es handelt sich um einen Fall äußerster Rationalisierung des musikalischen Produktionsprozesses, der ein äußerst triviales Werksstück, die Weise des Kinderliedes vom »Hänschen klein«, in eine Art Sturmgewehr umbaut. Doch diese Geistesverbindung stellt sich beim Hören dieser Musik nicht ein. Es fällt überhaupt schwer, für sie ein tref-

fendes Adjektiv zu finden. Es ist weder ein Marsch noch ein Tanz, weder ein Lied noch ein Choral, es ist noch gar nichts, oder, um in der Sprache der Technik zu bleiben, immer noch ein akustisches Rohmaterial. In den folgenden Sätzen schleift Beethoven aus ihm einen dunklen musikalischen Edelstein, in dem sich eine ganze Welt spiegelt. Er erreicht eine traumhafte Balance zwischen Trivialität und Sternenklang. Nach dem rasenden Räderwerk des ersten Satzes kehrt der zweite in konventionellere und kantablere Bahnen zurück. Ein inniges Thema und vier Variationen entfalten sich zu einem betörenden Schönklang, der umso tiefer empfunden wird, als er im äußersten Kontrast zum vorangegangenen steht. Im dritten Satz ist Unruhe, Ungewissheit, Aufbruch. Er beginnt mit einem Schluss – ein Walzer verklingt, und jäh und harsch schmettern die Bläser hinein. Wie eine Drohung ertönt wieder das maschinelle ta-ta-ta-taa! des ersten Satzes. So geht es fort, aber wie das Scherzo keinen richtigen Anfang hat, so hat es auch keinen regulären Schluss. Die Musik sinkt in die Tiefe, wird fast unhörbar, und von dort steigt nun ein mächtiges Crescendo auf, auf dessen Höhepunkt die triumphale Karnevalsweise wie eine Kampfansage hervorbricht.

Wenn man einen Finanzpartner hat, der wundervolle Augenblicke möglich macht. Wir engagieren uns für das Festival Soli Deo Gloria, weil es kulturelle Highlights für alle Sinne bietet. So können Sie sich bei klassischer Musik an besonderen Orten eine bereichernde Auszeit gönnen.

Erleben ist einfach.

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DIE KÜNSTLER VON SOLI DEO GLORIA

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iktoria Mullova studierte an der Zentralen Musikschule Moskau und am Moskauer Konservatorium. Ihr außergewöhnliches Talent erregte internationale Aufmerksamkeit, als sie 1980 beim Sibelius-Wettbewerb in Helsinki den ersten Preis und 1982 beim Tschaikowski-Wettbewerb die Goldmedaille gewann. 1983 folgte ihre dramatische und viel beachtete Flucht in den Westen. Seitdem musiziert sie mit den besten Orchestern und Dirigenten der Welt und tritt auf den wichtigsten internationalen Festivals auf. Heute kennt man sie weltweit als Geigerin mit außergewöhnlicher Vielseitigkeit und musikalischer Integrität. Ihr Interesse gilt der musikalischen Entwicklung von Barock und Klassik bis hin zu den modernsten Einflüssen aus der Welt der experimentellen Musik. Ihre authentische Herangehensweise führte zur Zusammenarbeit mit Originalklangensembles wie dem Orchestra of the Age of Enlightenment, Il Giardino Armonico, Venice Baroque und Orchestre Révolutionaire et Romantique. Viktoria Mullova hat eine große Affinität zu Bach, dessen Werk einen Großteil ihrer CD Einspielungen ausmacht. Ihre Interpretationen von Bach sind weltweit anerkannt. Tim Ashley schrieb im Guardian: »Mullova Bach spielen zu hören, ist eine der größten Erfahrungen, die man erleben kann…« Ihre jüngste Bacheinspielung mit der Accademia Bizantina und Ottavio Dantone wird hoch gelobt, und ihre Aufnahme von Bachs Solosonaten und Partiten stellt einen wichtigen Meilenstein auf ihrem

persönlichem Weg in diese Musik dar. Die Aufnahme erhielt von Kritikern aus der ganzen Welt fünf Sterne. Ihr Engagement für kreative zeitgenössische Musik begann im Jahr 2000 mit ihrem Album »Through the Looking Glass«, in dem sie von Matthew Barley arrangierte Musik aus den Bereichen Weltmusik, Jazz und Pop spielte. In ihrem zweiten Album »The Peasant Girl« setzte sie die Arbeit in diesem Bereich fort und tourte in Begleitung des Matthew Barley-Ensembles um die Welt. Dieses Projekt zeigte eine andere Seite Mullovas. Sie befasste sich mit ihren bäuerlichen Wurzeln in der Ukraine und dem Einfluss der Zigeunermusik auf die klassischen Genres und JazzGenres im 20. Jahrhundert. Ihr jüngstes Projekt »Stradivarius in Rio« ist inspiriert von ihrer Liebe zu brasilianischen Liedern von Komponisten, wie z.B. Antonio Carlos Jobim, Caetano Veloso und Claudio Nucci. Eine gleichnamige CD ist mit Begeisterung aufgenommen worden und jetzt präsentiert sie das Projekt in Konzerten in ganz Europa. Neben ihren eigenen Projekten gab sie auch Werke von jungen Komponisten wie Fraser Trainer, Thomas Larcher und Dai Fujikura in Auftrag. Für ihre reiche musikalische Vielfalt wurde sie in mehreren renommierten Häusern gefeiert, darunter in der Londoner Southbank, im Wiener Konzerthaus, im Auditorium du Louvre in Paris, beim Musikfest Bremen, beim Barcelona Symphony Orchestra und beim Helsinki Music Festival. In dieser Saison spielt Viktoria Mullova klassisches und romantisches Repertoire mit mehreren großen Orchestern

und Dirigenten. Höhepunkte sind Auftritte mit dem Melbourne Symphony Orchestra und Auckland Philharmonia, Orchestra, dem Orchestre National de France und dem Baltimore Symphony Orchestra sowie eine Tournee mit der Academy of Ancient Music mit Bachund Haydn-Konzerten. Zu ihren Kammermusikprojekten gehören »Music we Love«, ein Duo mit Misha MullovAbbado am Kontrabass, mit seinen Originalkompositionen, Arrangements aus brasilianischen und hebräischen Liedern und Werken von Schumann und Bach sowie ein Duo mit Alasdair Beatson mit Beethoven-Rezitals auf Darmsaiten und Hammerklavier. Die umfangreiche Diskografie von Viktoria Mullova für Philips Classics und Onyx Classics wurde mit zahlreichen renommierten Preisen ausgezeichnet. Ihre Aufnahme der Vivaldi-Konzerte mit Il Giardino Armonico, dirigiert von Giovanni Antonini, gewann den Diapason D’Or 2005 und ihre Aufnahme mit Beethovens Op. 12 Nr. 3 und Kreutzer Sonaten mit Kristian Bezuidenhout erhielten hervorragende Kritiken. Weitere CDs waren das Schubert-Oktett mit dem Mullova-Ensemble, »Recital« mit Katia Labèque, Bachsonaten mit Ottavio Dantone und »6 Solosonaten und Partiten« von Bach. Im September 2018 erschien ihre neueste CD mit den kompletten Werken für Violine und Orchester von Arvo Pärt mit dem Estonian National Symphony Orchestra und Paavo Järvi für das Onyx-Label. Viktoria Mullova spielt entweder die Stradivari »Jules Falk« aus dem Jahr 1723 oder eine Guadagnini-Geige.

Viktoria Mullova VIOLINE

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DIE KÜNSTLER VON SOLI DEO GLORIA

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er schottische Pianist Alasdair Beatson ist als Solist und Kammermusiker tätig. Zu den Höhepunkten der Saison 2019/20 zählen Auftritte in der Londoner Wigmore Hall und am Kings Place, eine Residenz in Sage Gateshead, Konzerte am Hammerflügel mit Beethovens Violinsonaten mit Viktoria Mullova und Auftritte bei Festivals, wie dem Bath Mozartfest, Edinburgh International Festival, Esbjerg Festival und Kamara.hu und West Cork Festival. Alasdair Beatson ist als ernsthafter und wagemutiger Musiker bekannt. Neben seiner besonderen Affinität zum klassischen Repertoire und zur Musik von Schumann und Fauré erkundet er häufig das Exotischere: Catoire, Pierné, Thuille, Debussys Jeux (in der Bearbeitung des Komponisten für Soloklavier, Ligeti Horn Trio, Harrison Birtwistles Harrison-Uhren) und Thomas Adès Klavierquintett. Sein Konzertrepertoire umfasst Werke von Bach, Bartok, Fauré,

Hans Abrahamsen, Hindemith, Mozart, Sally Beamish, Strawinsky und Messiaen. In den letzten Jahren trat er mit Britten Sinfonia, Moscow Virtuosi, dem Scottish Chamber Orchestra, dem Scottish Ensemble, dem Royal Scottish National Orchestra, dem S­ønderjyllands Symphony Orchestra und Tapiola Sinfonietta auf. Zu den jüngsten Aufnahmen gehören die Veröffentlichung der vollständigen Werke für Cello und Klavier von Felix und Fanny Mendelssohn im Jahr 2019, aufgenommen auf einem Erard Hammerflügel von 1837 mit dem Cellisten Johannes Moser, und eine Aufnahme mit Alec Frank-Gemmill für Horn und Klavier aus dem 19. Jahrhundert auf vier exquisiten historischen Klavieren (und vier historischen Hörnern) aus der Zeit zwischen 1815-1895. Diese Veröffentlichungen ergänzen eine gefeierte Diskographie von drei Solo-Aufnahmen und zahlreichen Kammeraufnahmen der Labels BIS, Claves, Champs Hill,

Evil Penguin, Pentatone und SOMM. Als regelmäßiger Teilnehmer an der Open Chamber Music im IMS Prussia Cove nahm Alasdair Beatson an deren Tourneen in den Jahren 2007 und 2011 teil und gewann in deren Namen den RPS Award 2008 für Kammermusik. Er arbeitet eng mit den Komponisten George Benjamin, Harrison Birtwistle, Cheryl Frances-Hoad und Heinz Holliger zusammen und plant die Uraufführung eines Klavierkonzerts, das Helena Winkelman für ihn geschrieben hat. Beatson studierte bei John Blakely am Royal College of Music in London und bei Menahem Pressler an der Indiana University. Er unterrichtet Soloklavier am Royal Birmingham Conservatoire und ist regelmäßig Mentor für das in London ansässige Chamber Studio. Von 2012 bis 2018 war Alasdair Beatson Gründer und künstlerischer Leiter von Musique à Marsac und seit 2019 ist er Co-Art Director des Schweizer Kammermusikfestivals in Ernen.

Alasdair Beatson KLAVIER

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DIENSTAG 9. JUNI 2020 20.00 UHR BURG DANKWARDERODE BRAUNSCHWEIG LUDWIG VAN BEETHOVEN (1770 – 1827)

SONATE FÜR KLAVIER UND VIOLINE NR. 4 a-moll op. 23 PRESTO ANDANTE SCHERZOSO PIÙ ALLEGRETTO ALLEGRO MOLTO

SONATE FÜR KLAVIER UND VIOLINE NR. 5 F-Dur op. 24 »FRÜHLINGSSONATE« ALLEGRO ADAGIO MOLTO ESPRESSIVO SCHERZO. ALLEGRO MOLTO RONDO. ALLEGRO MA NON TROPPO

SONATE FÜR KLAVIER UND VIOLINE NR. 9 A-Dur op. 47 »KREUTZER-SONATE« ADAGIO SOSTENUTO - PRESTO ANDANTE CON VARIAZIONI I-IV FINALE. PRESTO

VIKTORIA MULLOVA VIOLINE

ALASDAIR BEATSON KLAVIER

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ehn Violinsonaten hat Ludwig van Beethoven komponiert, alle in den frühen Wiener Jahren zwischen 1797 und 1803, als er noch selbst als Pianist in den Wiener Salons hervortrat. Anders, als man heute meint, war nicht die Violine das führende Instrument, sondern das Klavier. Auch Beethoven selbst bezeichnete sie als »Sonaten für das Pianoforte und Violine«. Zwei der zehn Sonaten für Pianoforte und Klavier erfreuen sich besonderer Popularität und sind mit besonderen Namen ausgezeichnet, die allerdings, wie die meisten der metaphorischen Bezeichnungen seiner Werke (»Mondschein-Sonate«, »Pathétique« usw.), nicht von Beethoven selbst stammen, sondern hinzuerfunden wurden. Es sind dies die »Kreutzer-Sonate« A-Dur, op. 47 und die »Frühlings-Sonate« F-Dur op. 24. Ihr voraus ging die melancholischere Sonate a-Moll op. 23, die das Konzert einleitet. Sie zeichnet sich durch eine dramatische Grundstimmung aus und mehr als eine gefällige Gelegenheitskomposition. Ein inniges »Andante scherzoso« wird gerahmt von einem dramatischen »Presto« am Beginn und einem »Allegro molto« als Finale. Dafür setzte Beethoven dreimal die Notenfeder an. Es existieren drei unterschiedliche Entwürfe, von denen der Komponist den düstersten wählte. Die »Frühlings-Sonate« hingegen zählt zu seinen heitersten und beschwingtesten Werken. Sie war sogar in der Lage, den mürrischen Rochlitz zu besänftigen, der sie nun zum Besten zählte, das … gerade jetzt überhaupt geschrieben« werde. Von den Spielstücken der damaligen Hausmusiken unterschieden sich beide Sonaten durch ihren zum Sinfonischen strebenden, gesteigerten Ausdruck, was im Falle der »Frühlingssonate« auch durch die von der Sinfonie übernommene Viersätzigkeit unterstrichen wird. Zwischen das Andante und das Rondo ist noch ein zusätzliches Scherzo eingeschoben.

Obwohl sich Beethoven an die klassische Sonatenform mit ihren etwas pedantischen Tonarten und Themenregeln hält, entführt seine Musik den Hörer in das Reich einer phantastischen Erzählung. Es handelt sich nicht um »absolute«, also von jedem anderen Bereich geschiedene Musik, die keinen anderen Gedanken als den an C-Dur und fis-Moll zulässt, sondern um wortlose musikalische Erzählungen. Die »Frühlingssonate« beginnt mit dem hohen a wie mit einem Freudenruf und eilt dann in Sechzehnteln ab und auf durch eine melodisch aufblühende Landschaft, in der uns diesmal keine bösen Geister begegnen. Der langsame zweite Satz gehört fast völlig dem Klavier, die Violine steuert ihm nur wenige schmale harmonische Stütztöne bei, doch auch hier zeigte sich Beethovens umstürzlerisches Gemüt, das es liebte, gegen geschriebene wie ungeschriebene Regeln zu komponieren. Die ungeschriebene Regel lautete: Der Violine gehört im Andante die Melodie, dem Klavier nur die Begleitung. Hier ist es anders. Das Klavier singt, und die Geige nickt beifällig mit dem Kopf. Auch das Scherzo dieser Sonate ist ein solcher musikalischer Spaß. Die beiden Instrumentalisten an Geige und Klavier verwandeln sich in zwei Dilettanten, die dauernd ihr Zusammenspiel verfehlen; einmal kommt der eine zu spät, dann der andere zu früh. Es fehlt nur, dass sie, mit den Füßen aufstampfend, sich den Takt vorzählen. Auch den gemeinsamen Schlusston verfehlen sie, so gibt es deren zwei. Während die beiden Binnensätze einen intermezzoartigen Charakter haben, ist das Rondo-Finale wie der erste Satz wiederum ein Schwergewicht. Die beiden Instrumente duettieren souverän miteinander und werfen sich gegenseitig die Rondo-Bälle zu. Das Rondo-Thema wandert nicht nur zwischen Klavier und Violine hin und her, sondern auch durch die Tonarten, und Beethoven experimentiert im Kleinen mit der Großform der Sinfonie.


PROGRAMM Anders allerdings verhält es sich mit der Sonate A-Dur op. 47, die den Beinamen »Kreutzer-Sonate« trägt. Das Werk geht musikalisch wie technisch weit über die vorangegangenen acht Violinsonaten hinaus und ist eher ein Solokonzert mit Klavierbegleitung als eine unterhaltsame Sonate, worauf auch der ursprüngliche und von Beethoven autorisierte Titel hinweist: »Sonata per il Pianoforte ed un Violino obligato, scritta in uno stile molto concertante, quasi come d‘un concerto.« - …geschrieben in einem sehr konzertanten Stil, gleichsam wie ein Konzert. Spieltechnisch nimmt diese Sonate weitaus mehr als das Beethovensche Violinkonzert das romantische Virtuosenkonzert des 19. Jahrhunderts voraus. Es verlangte einen Interpreten, der seinen Part nicht nur technisch beherrschte, sondern auch als dämonische Person, als »Teufelsgeiger« das Publikum faszinierte. Die Sonate ist ein Beispiel für den Einfluss der Zigeunermusik und des zigeunerischen Musizierstils auf die mitteleuropäische Musik. Die Musik schwankt zwischen höchster, trunkener Leidenschaft und abgrundtiefer Traurigkeit, anstelle des klassischen Ebenmaßes waltet äußerste Exaltation. Eine solche, quasi außer Rand und Band geratende Musik war vorher kaum je geschrieben

+WERKBESCHREIBUNG

Beethovens Sonate hatte eine literarische Nachgeschichte, denn Lew Tolstoi machte aus ihr eine zwielichtige Metapher bürgerlicher Moral in seiner späten Erzählung »Die Kreutzersonate« von 1889. worden, während das nachfolgende 19. Jahrhundert sie geradezu zu einem Standard erhob. Die Sonate beginnt mit einer viertaktigen, vollgriffigen Solopassage der Violine, die das Klavier wiederholt und fortsetzt, wobei es das strahlende A-Dur der Violine verlässt und sich »zigeunerisch« nach a-Moll eintrübt. Ein feierlicher Dialog zwischen beiden Instrumenten entwickelt sich. Der musikalische Fluss scheint dann zu stocken, bis die Violine mit einem entfesselten Presto hereinbricht. Akkordbrechungen, Tremoli, rasende Läufe und anderes Virtuosenwerk beherrschen das Geschehen, ein zweites Thema scheint es aufzuhalten, doch bald bricht der Sturm umso wilder los. Der zweite Satz – Andante con va-

riazioni – wandelt ein gesangliches Thema in fünfmal unterschiedlicher Weise ab. Eine effektvolle Tarantella in Rondoform setzt den Schlusspunkt. Sie war der erste fertige Satz, aber ursprünglich für ein anderes Werk bestimmt, die Klaviersonate op. 31 Nr. 2 mit dem von Shakespeare entlehnten Untertitel »Der Sturm«. Doch Beethoven überlegte es sich anders, vervollständigte ihn mit einer Violinstimme und platzierte ihn in der neuen Sonate, die den Namen Kreutzers erhielt. Beethovens Sonate hatte eine literarische Nachgeschichte, denn Lew T ­ olstoi machte aus ihr eine zwielichtige Metapher bürgerlicher Moral in seiner späten Erzählung »Die Kreutzersonate« von 1889. Sie rahmt das Liebesverhältnis einer verheirateten Frau, das in einem tödlichen Eifersuchtsdrama endet. Beethovens Musik ist dabei nicht nur der Auslöser, sondern geradezu die Ursache der Tragödie und ein Symbol sexueller Ausschweifung, der Tolstoi sein rigoroses Keuschheitsgebot entgegenstellte. Allerdings war Tolstoi selbst in seiner Jugend der Bruder Leichtfuß gewesen, der allem leidenschaftlich frönte, was er den Helden seiner Erzählung vorwarf. »Huhuhu! Ein furchtbares Werk ist diese Sonate«, ruft ­Posdnyschew aus, der Ich-Erzähler des Romans.

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DIE KÜNSTLER VON SOLI DEO GLORIA

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gor Levit verbindet in seinem Klavierspiel »klanglichen Charme, intellektuellen Antrieb und technische Brillanz« (The New Yorker). Mit wachem und kritischem Geist stellt er seine Kunst dabei in den Kontext des gesellschaftlichen Geschehens und begreift sie mit diesem als untrennbar verbunden. Die New York Times beschreibt Igor Levit darin als einen der »bedeutendsten Künstler seiner Generation«, die Süddeutsche Zeitung als »Glücksfall« für das heutige Konzertgeschehen. Seine künstlerische Vielfältigkeit bringt Igor Levit nicht nur als einer der weltweit führenden Pianisten zum Ausdruck. Er ist Künstlerischer Leiter der Kammermusikakademie und des Standpunkte Festival des Heidelberger Frühlings. Im Frühjahr 2019 erfolgte der Ruf als Professor für Klavier an seine Alma Mater, der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover. 1987 in Nizhni Nowgorod geboren, siedelte Igor Levit im Alter von acht Jahren mit seiner Familie nach Deutschland um. Sein Klavierstudium in Hannover absolvierte er mit der höchsten Punktzahl in der Geschichte des Instituts. Zu seinen Lehrern gehörten KarlHeinz Kämmerling, Matti Raekallio, Bernd Goetzke, Lajos Rovatkay und Hans Leygraf. Als jüngster Teilnehmer gewann Igor Levit beim 2005 ausgetragenen International Arthur Rubinstein Wettbewerb in Tel Aviv neben Silber auch den Sonderpreis für Kammermusik, den Publikumspreis und den Sonderpreis für die beste Auffüh-

rung zeitgenössischer Pflichtstücke. Die Saison 2019/20 steht für Igor Levit ganz im Zeichen der Klaviersonaten Ludwig van Beethovens. Zu Beginn der Saison veröffentlicht Sony Classical Igor Levits erste Gesamteinspielung der Klaviersonaten von Beethoven. Die Saison markiert den Auftakt dreier Zyklen der gesamten Klaviersonaten – an der Elbphilharmonie, beim Lucerne Festival und am Konserthuset Stockholm. Zum Saisonabschluss tourt Igor Levit mit einem reinen Beethoven-Sonatenprogramm in den USA, das ihn unter anderen an die Carnegie Hall in New York, nach Washington, Princeton, Chicago und San Francisco führt. Am Barbican Centre in London ist Igor Levit »Featured Artist« der Saison 2019/20. Die Residenz umfasst ein Solorezital und zwei Duo-Abende mit Markus Becker und Markus Hinterhäuser sowie ein Konzert mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Mit dem Pittsburgh Symphony Orchestra unter der Leitung von Manfred Honeck ging Igor Levit auf Europatournee und gemeinsam mit der Kammerakademie Potsdam unter der Leitung ihres Chefdirigenten Antonello Manacorda präsentiert Igor Levit an zwei aufeinanderfolgenden Abenden jeweils das dritte und das fünfte Klavierkonzert von Beethoven an der Elbphilharmonie und im NDR Sendesaal Hannover. Zu den Höhepunkten vergangener Spielzeiten zählen Debüts mit dem Royal Concertgebouw Orkest, den Berliner Philharmonikern, den Wiener Philharmonikern der Staatskapelle Dresden

sowie Tourneen mit dem Bayerischen Staatsorchester, den Wiener Philharmonikern und dem Tonhalleorchester Zürich. Igor Levit ist exklusiver Künstler bei Sony Classical. Mit seiner Debüt-CD der fünf letzten Sonaten Beethovens gewann er den Newcomer-Preis des Jahres 2014 des BBC Musik Magazins sowie den Young Artist Preis 2014 der Royal Philharmonic Society. In Zusammenarbeit mit dem Festival Heidelberger Frühling brachte Sony Classical Igor Levits drittes Soloalbum heraus mit Bachs Goldberg Variationen, Beethovens Diabelli-Variationen und Rzewskis The People United Will Never Be Defeated. Dieses Album erhielt 2016 im Rahmen der Gramophone Classical Musikpreisverleihung den Instrumental-Preis sowie den Preis »Aufnahme des Jahres«. Im Oktober 2018 veröffentlicht Sony Classical Igor Levits viertes Album für das Label: »Life«, mit Werken von Bach, Busoni, Bill Evans, Liszt, Wagner, Rzewski und Schumann. Igor Levit ist Preisträger des »2018 Gilmore Artist Award« und »Instrumentalist des Jahres 2018« der Royal Philharmonic Society. Für sein politisches Engagement wurde Igor Levit 2019 der 5. Internationale Beethovenpreis verliehen. Im Januar 2020 folgte die Auszeichnung mit der »Statue B« des Internationalen Auschwitz Komitees anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz. In seiner Wahlheimat Berlin spielt Igor Levit auf einem Steinway D Konzertflügel – eine Schenkung der Stiftung »Independent Opera at Sadler‘s Wells«.

Igor Levit KLAVIER

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VON DER PFLICHT, ICH ZU SAGEN

Igor Levit spielt Beethovens 32 Klaviersonaten

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ie ist das eigentlich mit Beethoven – ist er eher ein disziplinierter oder doch ein impulsiver Typ? Die Frage ist nicht ganz ernst gemeint, sie soll erst mal der Auflockerung dienen. Der Interviewte darf ausweichen, er kann vor Verallgemeinerungen warnen. Doch Igor Levit braucht kein Warm-up. Die Antwort kommt rasch und eindeutig. »Extrem diszipliniert!«, ruft Levit aus. In geschwinden, kurzen Sätzen spricht er von der Prägnanz der Formulierungen Beethovens, von scharf gezeichneten Charakteren und einem steten Bewusstsein für formale Zusammenhänge. Levit sagt viel, und das in kurzer Zeit. Kaum sind zwei Minuten vergangen, da ist er dort angekommen, wohin seine Gedanken ohnehin immer wieder

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gravitieren: bei den Freiheitszonen, den ungezähmten Ausbrüchen, jenen Situationen, in denen der losgelassene Impuls tatsächlich über alle Disziplin zu siegen scheint. Ein musikalisches Vorbild Levits ist Thelonious Monk, der Anwalt alles Direkten, Ungekünstelten und Rauen im Umgang mit der Tastatur. Monks Credo – »The piano ain’t got no wrong notes« – ist seit Jahren eine stete Orientierung in Levits Nachdenken über das eigene Klavierspiel: vielleicht gerade deshalb, weil die fundamentale Richtigkeit der authentisch »eigenen« Note in der Jazzimprovisation so viel leichter zu begründen ist als bei der Aufführung klassischer Meisterwerke. Ebenso viel Bedeutung für Levits Interpretationshaltung hat daneben die Perspektive Ferruccio Busonis, des Pianisten, Komponisten und Theore-

tikers. Anfang des 20. Jahrhunderts erträumte der weltläufige Italiener in seinem Entwurf einer neuen Ästhetik der Tonkunst eine wahrhaft utopische Kunst. Die Musik sei menschheitsgeschichtlich doch noch immer eine junge Kulturleistung, so Busoni – im Grunde ein ungebundenes »Kind«, das der Schwerkraft fester ­Konventionen noch gar nicht recht unterworfen sei: »Es ist fast unkörperlich. Seine Materie ist durchsichtig. Es ist tönende Luft. Es ist fast die Natur selbst. Es ist frei.« Eine »freie« Musik zu propagieren, auch im Hinblick auf ihre Interpretation, das bedeutet, sich zu widersetzen: keine starren ­Kommunikationsregeln gelten zu lassen, gegen Normen auch dort zu opponieren, wo sie lediglich implizit sein mögen, und Deutungen stets nur für den einen Moment vorzunehmen. Gerade bei Beethoven, dem kanoni-


sierten Meister schlechthin, ist dies ein subversiver Akt. Eine emphatisch moderne Geisteshaltung kommt da zum Vorschein: die starke Sehnsucht nach dem Neuen, Frischen, die – beinahe im Stil der Avantgardisten vor rund hundert Jahren – der Über-Ich-Last des historischen Bewusstseins zu entfliehen versucht. Auch jugendlicher Trotz gegenüber der Tradition mag hineinspielen. »Ich habe zu Hause kein Beethoven-Bild über dem Flügel hängen, das mahnend auf mich hinabschaut«, sagt der 32-Jährige. »Beethovens Musik beschäftigt mich quasi ununterbrochen. Alle Stunden, alle Tage. Beinahe die Hälfte meines Lebens ist das schon so. Aber ich weiß niemals, was ›er‹ will und was ›er‹ meint. Geschweige denn, wer ›er‹ ist. Was ich hier vor mir habe, das ist der Text. Und was wir hören, wenn wir seine Musik hören, will ich verbal nie fixieren. Es ist jedem Einzelnen selbst überlassen.« Gegenfrage: Wie steht es dann mit all dem geprägten Vokabular – den Chiffren des Militärischen, des Tänzerischen, des Religiösen oder Humoristischen, die doch so stark zum spezifischen Ton der Kompositionen beitragen? Geben sie nicht entscheidende Hinweise zum Verständnis dieser rund 200 Jahre entfernten Werke? »Natürlich bezieht sich Beethoven auf bestimmte Ideen und Formen und möglicherweise auch auf Regeln«, gesteht Levit ein. »Beethoven wusste und kannte so unglaublich viel. Bekanntlich hat er schon als Kind in Bonn Bachs Wohltemperiertes Klavier studiert. Er hat sich mit Josquin Desprez beschäftigt und mit Palestrina. Selbstverständlich kannte er die Werke Haydns und Mozarts ganz genau, und er nahm auch die französische Revolutionsmusik wahr. Aber im Grunde hat er sich um die Konventionen seiner Zeit überhaupt nicht geschert. Beethoven hat eigentlich immer Zukunftsmusik geschrieben«. Wer Igor Levits Beethoven-Spiel lauscht, stellt schnell fest, wie sorgsam alles Radikale darin dosiert ist. Selbst dort, wo

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Epochale, mitreißende, wegweisende und erhabene Werke, präsentiert von gefeierten Meisterinnen und Meistern ihres Fachs. Wir freuen uns mit Ihnen auf beeindruckende Begegnungen im Beethovenjahr 2020.

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die sehr hohen Tempi ganz außergewöhnliche technische Anforderungen stellen, klingt die Musik niemals forciert. »Es gibt ja auch dynamisch so wenige Mittelwerte bei Beethoven. Die extremen Ausdrucksbereiche verleiten leicht zur Übertreibung. Die Energie der Musik pusht das Adrenalin, deshalb muss man sich sehr gut im Griff haben«, hat Levit erfahren. Sicher, nichts motiviert ihn als Künstler so sehr wie das Maßlose, das beinahe widervernünftig Exzessive. Allein schon an seiner Vorliebe für hypertrophe Monumentalzyklen wie Frederic Rzewskis The People United-Variationen oder Ronald Stevensons knapp 80-minütige Passacaglia über Schostakowitschs »DSCH«-Motiv ist dies erkennbar. Dennoch ist Levit kein expressionistisch überzeichnender Interpret. Ganz im Gegenteil: Jede gestalterische Entscheidung scheint aus einer tiefen, selbstverständlichen Vertrautheit mit der Sprache heraus getroffen. Man staunt über die blitzartige Geschwindigkeit, die punktgenaue Sicherheit, mit der Beethovens musikalische Charaktere erfasst werden. Prä-

gnant modelliert Levit die Situationen, jede einzelne auf individuelle Weise. Vollkommen elastisch setzt er sie dann aber auch wieder mit anderen in Beziehung. »Dass mir Beethoven so viel bedeuten würde, das habe ich erstmals mit 14, 15 Jahren gespürt, als ich die Missa solemnis im Konzert erlebte. Ganz schnell entwickelte sie sich zu meinem absoluten Lieblingswerk, sie wurde mir im wahrsten Sinne des Wortes heilig, und das ist sie bis heute. Ich könnte sie quasi aufschreiben. Das erste Eintauchen in die Klaviermusik kam dann wenig später mit dem Studium der frühen A-Dur-Sonate op. 2/2. Viereinhalb Jahre lang hat mein Lehrer Karl-Heinz Kämmerling mit mir immer wieder an diesem Stück gearbeitet. Egal, was ich vorbereitet hatte – in jeder Unterrichtsstunde kam Kämmerling auf die A-DurSonate zurück. Oft ging es um kleinste Details, um agogische Schwingungen zwischen einzelnen Noten einer Passage etwa. An diesem Notentext habe ich das allermeiste über Beethoven gelernt. Ich habe mir ein Vokabular angeeignet, das ich später auf die anderen Texte

übertragen konnte. Auf merkwürdige Weise habe ich mich mit Beethoven immer besonders geborgen gefühlt. Seine Musik hat unglaubliche Zentrifugalkräfte aber sie zieht diese Kräfte auch zusammen und stellt die Ordnung wieder her.« In den fünfzehn Jahren seit seiner ersten Beschäftigung mit Opus 2/2 war Beethoven die alles prägende Konstante in der Repertoiregestaltung

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus »Von der Pflicht, ich zu sagen – Igor Levit spielt Beetovens 32 Klaviersonaten« von Anselm Cybinski erschienen im Booklet der CD-Box: IGOR LEVIT LUDWIG VAN BEETHOVEN THE COMPLETE PIANO SONATAS © 2019 Sony Music Entertainment

GEGENGIFT BEETHOVEN

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ndlich bricht es an, das große Beethoven-Gedenkjahr. Bei aller Skepsis, mit der man solchen Jubiläumssausen mit ihrem Hang zum Breittreten und zur Kommerzialisierung entgegentreten mag, hier gilt es dem Richtigen. Der Komponist, aber auch der faszinierende Mensch Beethoven ist wie kein anderer geeignet, das schwindende Interesse an klassischer Musik neu zu entzünden. Sein Werk drängt aus dem entrückten Reich sich selbst genügender Hochkultur heraus. Die Dynamik, die Wucht, das Feuer, die Zerrissenheit seiner Kompositionen lassen unmittelbar spüren, dass ihr Schöpfer damit etwas ausdrücken will, das größer ist als Musik allein. Beethovens Werk ist Klang gewor-

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dener Humanismus. Es gilt dem Menschen mit seinen Abgründen, Zweifeln, Schwächen – aber mehr noch seinen Möglichkeiten. Seinen Idealen. An ihnen hält Beethoven unbedingt und trotz allem fest. Das macht ihn für unsere Zeit zugleich begreifbar und wichtig. Beethoven ist ein Gegengift gegen Fatalismus und Menschenverachtung, gegen das zynische Verächtlichmachen alles Utopischen. »Alle Menschen werden Brüder« – Beethoven bleibt dabei. Wer das Finale seiner Neunten hört – und nicht nur das –, gewinnt den Glauben daran immer wieder neu. Weil es so mitreißend und strahlend schön ist, dass in der Herrlichkeit der Musik die Größe des Menschen unmittelbar evident wird. Beethovens Musik ist allerdings auch

ein Fanal gegen die Oberflächlichkeit der Populärkultur unserer Zeit. Sie verlangt einiges ab. Sie fordert Konzentration, Durchhaltevermögen, das Aushalten von Reibung, Ruhe und Dauer. Wer ihre Wucht und Tiefe auskostet, wird allerdings auch immun gegen die Vergötterung purer Oberflächlichkeit, gegen die hohle Harmonie- und Phrasenseligkeit aktueller Schlager- und Pop-Ikonen. Zugleich ist Beethoven nicht so vergeistigt wie Bach, nicht so gedrechselt wie Händel, nicht so gefällig wie Haydn. Seine Musik ist ganz von dieser Welt. Roll over Formatradio. Hier kommt Beethoven. Reißt die Regler auf. Florian Arnold (Braunschweiger Zeitung)


des Pianisten, der innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne vom hoch begabten Studenten zu einem der prominentesten Klaviersolisten unserer Tage avanciert ist. »Seit damals ist er tatsächlich der wichtigste Komponist in meinem Leben. Das hat auch ganz pianistische Gründe. Mir liegt dieses gleichsam ›positionelle‹ Spiel: kein Gleiten übers Handgelenk hinweg wie bei einer Melodie, die à la Chopin in bewegten Figurationen begleitet wird. Sondern die ganze Hand als relativ geschlossene Einheit, die die verschiedenen Stimmen innerhalb einer stabilen Position zusammenführt und dabei sinnvoll gewichten muss.« Gemessen an der rhapsodischen Freiheit eines Artur Schnabel, dessen Aufnahmen er so viel gehört hat, lebten wir heute in geradezu reaktionären Zeiten, ist Levit überzeugt. »Das Kernrepertoire ist überall verfügbar, die Erwartungen sind eng gefasst, die Verbote entsprechend rigide. Da brauche ich eine innere Freiheit, ein Selbstbewusstsein auf höherer Ebene. Ich bin doch derjenige, der die Musik zu klingendem Leben erweckt. ›Ich‹ zu sagen ist in meinen Augen gar nichts Verwerfliches, schon gar keine Eigenmächtigkeit dem Komponisten gegenüber. Nein, ›Ich‹ zu sagen ist die Voraussetzung für die offene Zwiesprache von Mensch zu Mensch, für die Kommunikation mit dem Publikum!« Hans von Bülows Wort vom »Neuen Testament der Klaviermusik« kommt Levit kaum in den Sinn, wenn er Beethovens Klaviersonaten spielt. Der humorvolle, mitteilsame, körperlich so fitte Mann ist so ziemlich das Gegenteil eines gläubigen Schriftdeuters, eines Priesters gar, der in aller Stille die tiefsten Wahrheiten eines heiligen Textes erforscht. »Natürlich übe ich wie ein Besessener, ich versenke mich in die Noten, versuche sie immer besser zu verstehen. Doch das Entscheidende geschieht da draußen, zusammen mit den Menschen im Saal«, weiß der Pianist.

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DONNERSTAG 11. JUNI 2020 19.30 UHR LESSINGTHEATER WOLFENBÜTTEL LUDWIG VAN BEETHOVEN (1770 – 1827)

33 VERÄNDERUNGEN ÜBER EINEN WALZER VON DIABELLI op. 120 (DIABELLI-VARIATIONEN) IGOR LEVIT KLAVIER

18.30 UHR EINFÜHRUNG IN DAS KONZERT DURCH CLAUDIA BIGOS

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er Wiener Musikverleger und Komponist Anton Diabelli war ein österreichischer Patriot und fragte sich eines Tages im Jahre 1819, was er mit seinem Verlag für sein Vaterland tun könne. Er fasste den Plan zu einer musikalischen Anthologie, wie sie auf literarischem Gebiet niemals hätte zustande kommen können. Er entwarf den Plan zu einer Publikation unter dem Titel »Vaterländischer Kunstverein«, wandte sich an die österreichischen Komponisten und bat sie um Beiträge. Sie sollten aus Variationen über einen seiner Walzer oder vielmehr Ländler bestehen. Über 50 Musiker schrieb Diabelli an, unbekannte wie berühmte wie Franz Schubert, die Pianisten Franz Liszt und Ignaz Moscheles und auch Ludwig van Beethoven, den berühmtesten von allen. Der fand allerdings zunächst keinen Geschmack an der Sache. Während alle anderen brav und pünktlich je eine Variation schickten, kam vom großen Meister zunächst nichts als Schweigen, dann aber – endlich! – ein dickes Paket Noten. 33 grandiose Variationen hatte er geschrieben, jede einzelne ein vollendeter Edelstein. Der Verleger, der sich eigentlich nur eine gut verkäufliche Gelegenheitspublikation erwartet hatte, hielt eines der bedeutendsten Kunstwerke des Jahrhunderts in den Händen – die »Diabelli-Variationen«, die nun auch seinen eigenen Namen unsterblich machten. Es erschienen 1824 zwei Noten-Bände, der erste mit Beethovens 33 Variationen, der zweite mit den Unikaten aller anderen. Ohne Beethoven wären sie vergessen, doch mit ihm kommen sie auch heute noch in die Konzertsäle. Die »Diabelli-Variationen« sind ein magnum opus Beethovens und allen übrigen seiner zahlreichen, auch sehr bedeutenden Variationswerke überlegen. Aus der musikalischen Weltliteratur ist ihnen nur wenig zur Seite zu stellen, die »Goldberg-Variationen« oder die »Kunst der Fuge« von Johann Sebastian Bach, die Händel- und Bach-

Variationen von Max Reger, oder, um ein zeitgenössisches Beispiel zu nennen, die Variationen über das chilenische Revolutionslied aus der AllendeZeit »El pueblo unido jamas sera vencido« des Amerikaners Frederic Rzewski. Diabelli hatte, als er seinen Ländler als Thema vorschlug, sich eine Reihe tänzerischer Charakterstücke vorgestellt, denn die waren populär. Der Aufstieg der Strauß-Dynastie begann damals, Josef Lanner und Johann Strauß Vater begeisterten die Wiener, und Franz Schuberts Walzer waren beliebt. Nichts davon war jedoch in Beethovens Variationen zu vernehmen. Seine Variationen waren anders, ernsthafter; er griff auf Vergangenes zurück, auf Mozart, Carl Philipp und Johann Sebastian Bach, auf Toccata, Fuge oder Menuett, niemals auf die Mode- und Popularmusik seiner Tage. Es ist nützlich, ja unerlässlich, sich beim Hören dieser Musik auch das zu vergegenwärtigen, was sie meidet. Beethoven, der sein Leben lang nach vorn geschaut und eine Zukunft in Freiheit, Glück und Freude beschworen hatte, komponierte hier mit dem Blick zurück. Mit schlecht verhohlener Enttäuschung setzt er sich ein Denkmal: Beethoven – der Wiener Salonlöwe des Klaviers, lässt seine Pranken noch einmal sehen, oder hören. Das erneuerte »ancien régime« war nicht mehr seine Zeit. Doch sein »Rückblick« ist avantgardistisch. Er beschwört nicht die gute alte Gemütlichkeit, sondern die einstigen klassischen Ideale. Die Diabelli-Variationen folgen keinem dramaturgischen Steigerungsgesetz, wie etwa die »Eroica«Variationen op. 35. Sie reihen sich aneinander wie die Kapitel eines Buches. Man muss sich, um sich nicht im Meer der Noten zu verlieren, seine eigenen Einteilungen schaffen. Am einfachsten in drei Zehnergruppen und einer Coda mit den drei letzten Variationen. Das merkt man sich. Beethoven scheint es auch selbst im Sinn gehabt zu haben, denn die 10., die 20. und die 30. Variation, die als einzige nicht wiederholt werden,


PROGRAMM bilden eine Art Schlussgruppen, nach denen die Musik neu ansetzt. Zweimal bedient sich Beethoven der Fugenform, in der 24. und 32. Variation, hier sogar in Form einer Doppelfuge, und ruft damit die Manen Johann Sebastian Bachs herbei. Die Nr. 31 »Largo, molto expressivo« erinnert an die Klavier-Fantasien von Carl Philipp Emmanuel Bach, und Mozarts »Don Giovanni« wird beschworen in der 21. Variation mit der Auftrittsarie des Leporello »Keine Ruh bei Tag und Nacht«. Aber handelt es sich überhaupt um Variationen im Wortsinne? Beethoven bearbeitet kein einziges Mal das vollständige Diabelli-Thema. Jeder der Abschnitte greift ein anderes Detail heraus, den Vorschlag am Beginn des Themas, die Ton-Repetitionen, den Quart- bzw. Quintfall, die Synkopen, die Bass-Gänge usw. Er zeigt, dass er aus allem etwas machen kann, und reißt die Kunst förmlich aus den hermetischsten Gattern ihrer symmetrischen Gesetze.

+WERKBESCHREIBUNG

Die »DiabelliVariationen« sind ein magnum opus Beethovens und allen übrigen seiner zahlreichen, auch sehr bedeutenden Variationswerke überlegen.

Die einzelnen Teile des Werks sind eher aphoristische Klavier-Fantasien als schulmäßige Variationen, und offenbar nicht zufällig nennt er sie auch nicht so. Sie heißen »33 Veränderungen über einen Walzer von Diabelli«, nicht »Thema und 32 Variationen«. Für seine »Veränderungen« hat Beethoven einen eigentümlichsten und einzig-

artigen Schluss gefunden. Gewöhnlich krönte er die Sinfonien und Sonaten mit einer triumphalistischen oder - seltener - mit einer fugierten Musik. Das schien sich auch hier anzubieten. Aber er endet ganz anders. Die 31. Variation ist ein tief empfundenes gesangliches Klavierstück und auch die längste aller Variationen. Es folgt eine Doppelfuge, die sich leicht zu einem heroisch-pathetischen Finale hätte steigern lassen. Stattdessen verrieselt sie und löst sich am Ende in Nichts auf. Sechs Takte leiten über zu 33, der letzten Veränderung – und das ist unerwartet ein galantes Menuett. War es eine Erinnerung – an Joseph Haydn? Oder an Antonie von Brentano, der die »Veränderungen« gewidmet sind und die vielleicht die »Unsterbliche Geliebte« war, an die er 1812 seinen berühmten, nicht abgeschickten Brief richtete? Waren die »33 Veränderungen…« der zweite Brief an sie? Das wissen wir nicht, es ist eines der Rätsel dieser Musik.

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Beethovens B Stern und Diabellis Sternschnuppen EIN BEETHOVENPROJEKT MIT DER KLAVIERKLASSE VON CLAUDIA BIGOS Wenn wir das Licht eines Sterns am Himmel betrachten, ist dieser meist schon viele Jahre erloschen. Beethovens Stern leuchtet ungebrochen und weil das Jahr 2020 anlässlich seines 250. Geburtstags Beethoven gewidmet ist, wird ihm noch mehr Strahlkraft durch unzählige Veranstaltungen weltweit verliehen. Nach der positiven Auseinandersetzung mit der Musik Haydns im letzten Jahr protestierte niemand aus meiner Klavierklasse, als ich Stücke von Beethoven ankündigte, aber Diabelli? Warum noch ein Diabelli? Doch das hat einen wichtigen Grund.

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eethovens großartige 33 Veränderungen über einen Walzer von Anton Diabelli op. 120 (1824) wären ohne Diabellis Walzerthema nie entstanden. Dieser einfache, aber zugleich genial komponierte Walzer besticht durch seine eingängige Melodie. Diabelli war scheinbar vom Variationspotential seines Themas sehr überzeugt, denn er gab es den zahlreichen zu dieser Zeit in Wien lebenden bekannten Komponisten und bat, je eine Variation für das Jubiläumsheft seiner Firma beizusteuern, die er dann in einem Sammelband veröffentlichen wollte. Beethoven lehnte zunächst eine Teilnahme ab, fand dann aber den schlichten Walzer doch so reizvoll, dass er ihn zur Grundlage seiner »Diabelli-Variationen« machte, an denen er zirka vier Jahre lang, von 1819-1823, arbeitete. Diabelli war von dem Ergebnis so begeistert, dass er Beethovens Beitrag als Band 1 »Erste Abteilung« zuerst veröffentlichte. In zirka fünf Jahren trug Diabelli mehr als fünfzig weitere Variationen anderer Komponisten als Beiträge zu seinem Projekt zusammen, die er dann alphabetisch geordnet als Band 2 (»Zweite Abteilung«) herausgegeben hat. Diese Variationen waren lange Zeit ein in der Musikgeschichte einmaliges Projekt und spiegeln in der Mehrheit den musikalischen Geschmack der Zeit wider. Dass die Komponisten nicht voneinander abschreiben konnten, ist klar. Die Schüler beeindruckte jedoch am meisten, dass es erstaunlicherweise dennoch keine zwei Stücke gibt, die sich in der Idee ähneln würden. Darin liegt die Faszination der Musik mit ihren unendlichen Möglichkeiten, genährt einzig und allein von der musikalischen Phantasie und den harmonischen Regeln! Das vier Zeilen lange Thema von Diabelli kann jeder Schüler leicht lernen und so aktiv das Walzerthema, das auch Beethoven vorlag, auf sich wirken lassen. Die übrigen Variationen aus Diabellis zweiter Sammlung sind nicht für jeden leicht zu bewältigen. Hier kann aber ein

Teil der fortgeschrittenen Schüler in einen Kosmos eintauchen, in dem jede Variation für sich wie ein kleiner Stern funkelt, wenn sie auch vor dem übermäßigen Glanz des Sterns Beethovens heute oft blass und nichtig erscheint. Dabei sind einige der angefragten Komponisten damals wie heute bekannt, wie Ignaz Moscheles, Franz Schubert, Carl Czerny, Johann Nepomuk Hummel oder Franz Liszt. Andere Namen wie Joachim Hoffmann, Franz Schoberlechner, Leopold E. Czapek sind auf Anhieb nichtssagend, bis man ihre Musik anspielt und die Freude an der Erfindung immer wieder neuer Lösungen für Diabellis Stück von 32 Takten teilt. Und eben auf diese Freude kommt es an. Einige Schüler werden auserwählte Walzer der zweiten Sammlung spielen und vielleicht feststellen, dass sie im Sinne der Variationsform das vorgegebene Thema sehr abwechslungsreich und erfinderisch aufgreifen und umformen, sich teils aber doch nur wie gut konzipierte Klavieretüden spielen lassen und vom Beethovenschen Schwierigkeitsgrad ganze Galaxien weit entfernt sind. Darin liegt der Beweis für Beethovens Genialität. Beethovens Variationen sind wie die Goldberg Variationen von Bach ein Kunstwerk: vollkommen, unerreichbar, einzigartig, und sehr komplex und anspruchsvoll zu hören wie zu spielen.


Mit Diabelli können sich die Schüler aber auf die Reise in dieses Universum machen: kleine Sternschnuppen statt des alles überstrahlenden Fixsterns Beethoven. Die Kurzfassung der Biografie Beethovens ist schnell durchgelesen, die Menge an Informationen aber, die in diesem Jahr führende Zeitschriften und Sendungen liefern, ist so überwältigend groß und komplex, dass man sie keinem Jugendlichen zumuten kann. Beethovens Biografie wird buchstäblich wie eine Leiche auf der Suche nach immer neuen Erkenntnissen seziert. Was die Schüler wahrnehmen ist aber, dass Beethoven zum Cover-Man des Jahres 2020 wurde und dass sein berühmtestes Portrait von Joseph Karl Stiehler aus dem Jahr 1819 als Vorlage für unzählige Variationen dient: mal im Popart-Stil, mal verkitscht glitzernd, mal als Collage, immer bunt, grimmig-nachdenklich und geheimnisvoll wie La Gioconda. Der Kreativität sind keine Grenzen ge-

setzt. Ebenso wie beim Komponieren gibt es zahllose Variationsmöglichkeiten. Franz Liszt war elf Jahre alt, als er den Walzer für Diabelli komponierte (es ist übrigens die erste erhaltene Komposition des jungen Komponisten). Diese Tatsache lieferte mir die Idee, dass die Schüler selbst eine Variation zu komponieren versuchen sollten: ein kreativer Beitrag, aus dem vielleicht doch noch ein neuer Stern am Firmament aufgeht, um das Licht von Beethoven weiter zu tragen. Wer weiß? Wenn man sich am Anfang des Jubiläumsjahres die Daten zum Festakt anschaut, dass z.  B. deutschlandweit 1000 Veranstaltungen zu Beethovens Ehren geplant sind, dass die Geburtsstadt Bonn ca. 25 Millionen Euro für die Beethoven-Feierlichkeiten vorgesehen hat, dass seine Sinfonien in einem Marathon nacheinander aufgeführt werden, seine Sonaten mehrere neue Gesamtaufnahmen bekommen, ist man fasziniert und erschlagen zugleich. So

eine globale Party hat noch kein anderer Künstler der Welt gefeiert. Selbst auf Spotify wird Beethoven millionenfach geklickt und hier nur ganz knapp von Bach auf den 2. Platz der klassischen Komponisten verwiesen. Ich wünsche meinen Schüler*innen und uns allen, dass nach all diesen Feiern die Musik von Beethoven immer noch durch ihre Genialität und Schönheit strahlt, uns durch ihren Ideenreichtum berührt und wir ihrer nicht durch mediale Überpräsenz überdrüssig werden. Möge der Leitstern Beethovens seine Strahlkraft behalten: damals wie heute. Claudia Bigos ist Klavierlehrerin in Braunschweig und betreibt musikalische Nachwuchsförderung mit Leidenschaft.

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DIE KÜNSTLER VON SOLI DEO GLORIA

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eidenschaftliches Musizieren und die ungebrochene Lust an der Suche nach dem Unbekannten sind die Markenzeichen von Concerto Köln. Seit mehr als 30 Jahren zählt das Orchester mit dem unverwechselbaren Klang zu den führenden Ensembles im Bereich der historischen Aufführungspraxis. Fest im Kölner Musikleben verwurzelt und gleichzeitig regelmäßig in den Musikmetropolen der Welt und bei renommierten Festivals zu Gast, steht Concerto Köln für herausragende Interpretationen Alter Musik. Die Spielzeit 2019/20 eröffnete Concerto Köln mit dem Oratorium »Il Trionfo del Tempo e del Disinganno« von Georg Friedrich Händel in einer Inszenierung von Folkert Uhde im Rahmen des neugegründeten Kölner Festivals »Felix! Originalklang in Köln«. Händel wird

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das Ensemble auch weiterhin in prominenter Besetzung begleiten: Im November führten die Kölner zusammen mit dem Chorwerk Ruhr unter der Leitung von Ivor Bolton Händels »Alexanderfest« und »Ode for St.Cecilia’s Day« in der Essener Philharmonie und der Hamburger Laeiszhalle auf. Im Januar spielt Concerto Köln im Orchestergraben der Oper Amsterdam »Rodelinda, Regina de Longobardi« unter der Leitung des italienischen Barockspezialisten Riccardo Minasi. Zwei CD-Neuveröffentlichungen stellen die ungebremste Spielfreude der Kölner unter Beweis: Zum einen rückt eine Einspielung mit Werken von Francesco Geminiani dessen kühne Kompositionen in ein neues Licht. Zum anderen haben die Konzertmeister von Concerto Köln virtuose italienische Concerti für vier Solo-Violinen in einer

Live-Aufnahme festgehalten und werden dieses Repertoire bei Tourneen in Deutschland, Österreich, Spanien, Kanada und den USA präsentieren. Musikalische Partner in der neuen Saison sind der Geiger Giuliano Carmignola, mit dem das Ensemble eine langjährige Zusammenarbeit pflegt, die Sopranistin Emöke Baráth, der Konzertdesigner Folkert Uhde sowie die Dirigenten Kent Nagano, Ivor Bolton und Riccardo Minasi. Mit der Sopranistin Julia Lezhneva reist das Ensemble zum Festival de Fénétrange, nach St. Petersburg und in die Hamburger Elbphilharmonie. Internationale Aufmerksamkeit erregte der Start des mehrjährigen Forschungsprojekts »Wagner-Lesarten«, das in der Spielzeit 2017/18 ins Leben gerufen wurde. Dieses Projekt, von Concerto Köln zusammen mit Kent Nagano initiiert und geleitet, beschäftigt sich in


Concerto Köln den kommenden Jahren mit der Erarbeitung von Richard Wagners Tetralogie »Der Ring des Nibelungen« aus dem Blickwinkel der historischen Aufführungspraxis. Die Kunststiftung NRW und die Strecker-Stiftung, das Land Nordrhein-Westfalen und MBL unterstützen das Ensemble bei diesem künstlerisch-wissenschaftlichen Projekt. Das Beethoven-Jahr 2020 markieren die vielseitigen Kölner zusammen mit Kent Nagano mit einer Serie von Aufführungen von Beethovens grandioser Missa Solemnis. Mayumi Hirasaki, Evgeny Sviridov und Shunske Sato als ständige Konzertmeister stehen zusammen mit dem Künstlerischen Leiter Alexander Scherf für die charakteristische Ausrichtung des selbstverwalteten Orchesters. Seit vielen Jahren beweisen die Musiker in der Auswahl ihrer Projekte, dass sich

künstlerischer Anspruch und Publikumserfolg nicht widersprechen. Seit 2008 ist das Ensemble eng mit dem Label Berlin Classics verbunden, bleibt daneben aber auch für andere Labels aktiv. Mittlerweile umfasst seine Diskografie mehr als 75 Aufnahmen, die zahlreiche Preise gewannen, darunter der ECHO Klassik und der Opus Klassik, der Grammy Award, der Preis der Deutschen Schallplattenkritik, der MIDEM Classic Award, der Choc du Monde de la Musique, der Diapason d’Année und der Diapason d’Or. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die Aufnahme der »Brandenburgischen Konzerte« und die fulminante Neueinspielung der »Vier Jahreszeiten« durch Shunske Sato (beide bei Berlin Classics). Diese Aufnahme entstand in enger Zusammenarbeit mit dem HighEnd-Spezialisten MBL: In dem Bestre-

ben, das Live-Erlebnis wiederzugeben, wurde das Konzert ohne korrigierende Schnitte und in höchster audiophiler Qualität aufgezeichnet. Als Kulturbotschafter der Europäischen Union (2012) gehört das Orchester in Köln und Nordrhein-Westfalen zu den musikalischen Aushängeschildern. Dabei kann es sich für die Umsetzung seiner Ideen auf die Hilfe zahlreicher Partner verlassen: Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen sowie die Kunststiftung NRW und das Goethe-Institut unterstützen das Ensemble unter anderem bei der Umsetzung von musikalischen Projekten. Seit 2009 besteht zudem eine enge Partnerschaft mit dem High-End-Audiospezialisten MBL, die dem Orchester eine intensive Auseinandersetzung mit dem Klang und der Wiedergabe seiner Einspielungen ermöglicht.

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DIE KÜNSTLER VON SOLI DEO GLORIA

Vokalensemble it Beethovens »Missa Solemnis« im Kölner Dom und dem Gürzenich-Orchester Köln feierte das Vokalensemble Kölner Dom 2016 sein zwanzigjähriges Jubiläum. Im Wechsel mit den anderen drei Chören am Kölner Dom gestaltet es die sonntäglichen Kapitels- und Pontifikalämter sowie die Chorvespern/Choral Evensongs. Beide Gottesdienste aus dem Kölner Dom werden über www.domradio.de live in Bild und Ton übertragen. Der Schwerpunkt des Repertoires liegt im Bereich der A-Cappella-Chormusik von der Renaissance bis zu zeitgenössischen Kompositionen. Mehrere CD-Aufnah-

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men sind bisher erschienen, darunter eine Aufnahme aus dem Kölner Dom mit Orgelmessen von Vierne, Widor und Langlais. Auch außerhalb Kölns hat sich der Chor inzwischen einen ausgezeichneten Ruf erworben: Konzertreisen führten ihn bisher in viele europäische Länder. Die Teilnahme an Chorfestivals rundet das Betätigungsfeld ab, darunter eine Einladung zum Festival Internazionale di Musica e Arte Sacra nach Rom und Loreto. Im April 2015 sang er auf Einladung der Philharmonic Society Moskau ein Konzert in der dortigen Tschaikovsky Concert Hall. 2011 sang der Chor sowohl unter Marc Minkowski wie auch unter Daniel Ba-

renboim Beethovens 9. Sinfonie. Unter Markus Stenz hat sich eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem GürzenichOrchester Köln entwickelt, die sich nun unter Francois Xavier Roth mit Konzerten im Kölner Dom und der Kölner Philharmonie fortsetzt. Im September 2018 haben das Vokalensemble Kölner Dom und das Gürzenich-Orchester Köln Haydns »Missa in tempore belli« im Kölner Dom aufgeführt. Eberhard Metternich ist seit mehr als dreißig Jahren Domkapellmeister am Hohen Dom zu Köln. Während er in den ersten zehn Jahren seiner Tätigkeit die Kölner Dommusik beständig auf nun vier Chöre und eine eigene Musikschule erweiterte, ent-


Kölner Dom Eberhard Metternich DOMKAPELLMEISTER

wickelte er in den letzten Jahren künstlerische Partnerschaften zu den anderen Kulturinstitutionen in Köln und Umgebung wie Gürzenich-Orchester Köln, Oper Köln, WDR und Orchestern der Region. Er leitet neben dem Vokalensemble Kölner Dom auch den Kölner Domchor (Knabenchor). Selbst Chorknabe bei den Limburger Domsingknaben studierte er Schulmusik und Gesang in Köln, später Chorleitung bei Prof. Uwe Gronostay an der Musikhochschule Frankfurt. Weitere Studien führten ihn nach Wien und Stockholm. Mit seinen Chören unternimmt Eberhard Metternich regelmäßig Konzertreisen, die ihn bis nach Kanada, USA, Mexiko, Israel, Argentinien, Brasi-

lien und im Oktober 2019 erstmals nach China führten. Er arbeitet häufig mit anderen Orchestern Kölns zusammen, wie Gürzenich-Orchester Köln, Kölner Kammerorchester und Concerto Köln, und war mit den Chören des Domes kultureller Botschafter Kölns in Partnerstädten wie Bethlehem, Tel Aviv, Cork, Liverpool, Barcelona, Rio de Janeiro und Peking. In diesem Zusammenhang leitete er auch Orchester wie das Israel Chamber Orchestra, das Royal Liverpool Philharmonic Orchestra und Camerata Salzburg. Seit 1993 hat Eberhard Metternich einen Lehrauftrag im Fach Chorleitung an der Musikhochschule Köln, die ihm 2001 den Titel »Professor« verlieh.

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DIE KÜNSTLER VON SOLI DEO GLORIA ie Trinidad-Sopranistin Jeanine De Bique gilt als Künstlerin mit »dramatischer Präsenz und Vielseitigkeit« (Washington Post, USA) und »echter Starqualität« (New York Amsterdam News). In der Spielzeit 2019/20 gibt sie Debüts als Susanna in »Nozze di Figaro« für die Oper von San Francisco, als Helena in Ted Huffmans Inszenierung von »Ein Sommernachtstraum« an der Deutschen Oper und als Micaëla in Calixto Bieitos gefeierter Carmen im Gran Teatre del Liceu in Barcelona. Zu den Konzertauftritten und Opernhighlights zählen u.  a. Brahms »Ein deutsches Requiem« mit den Münchner Philharmonikern und L’Orchestra della Svizzera Italiana unter der Leitung von Lorin Maazel, Rachel in Kurt Weills »Die Verheißung« mit dem MDR Symphonie Orchester unter der Leitung von Kristjan Jaervi, Consuelo in John Adams »Ich sah die Decke und dann den Himmel« im Teatro dell‘ Opera di Roma, Sophie

in »Werther« am Theater Basel, Pearl in »Morning Star« an der Cincinnati Opera, Clara in »Porgy und Bess« für die Royal Danish Opera, Schwester Rose in Jake Heggies Totem Mann beim Gehen mit der Central City Opera, »Messiah« mit Boston Baroque und Mozarts Krönungsmesse mit dem Atlanta Symphony Orchestra. Jeanine De Bique war Mitglied der Wiener Staatsoper und hat einen Masterabschluss der Manhattan School of Music. Zu ihren Auszeichnungen zählen der erste Preis beim Young Concert Artists, Inc. Music Competition, der Arleen Auger Prize beim Hertogenbosch International Vocal Competition und der dritte Preis beim Viotti International Music Competition. Sie war Preisträgerin des Gerda Lissner-Gesangswettbewerbs (New York) sowie Finalistin und Stipendiatin der Metropolitan Opera National Council Auditions 2011. Sie wurde von der UNESCO zur Friedensbotschafterin ernannt.

ebastian Kohlhepp zählt zu den arriviertesten deutschen Tenören seiner Generation und ist auf internationalen Opern- und Konzertbühnen ein gefragter Gast. Mit seinem Debüt als David in »Die Meistersinger von Nürnberg« bei den Salzburger Osterfestspielen 2019 unter der Leitung von Christian Thielemann, gelang ihm ein herausragender, von Publikum und Presse gefeierter Erfolg. In jüngster Vergangenheit konnte sich Sebastian Kohlhepp vor allem als versierter Mozart-Tenor einen Namen machen. So sang er den Tamino im Theater an der Wien (Ltg. René Jacobs), am Theater Basel und der Volksoper Wien, debütierte als Belmonte bei der Salzburger Mozartwoche. Geboren in Limburg an der Lahn, erhielt Sebastian Kohlhepp seine erste musikalische Ausbildung im dortigen Knabenchor. Dem Studium bei Hedwig Fassbender in Frankfurt/Main folgte ein erstes Festengagement am Badi-

schen Staatstheater Karlsruhe. Zur Saison 2013/14 wechselte er ins Ensemble der Wiener Staatsoper. Von 2015-2017 war Sebastian Kohlhepp Ensemblemitglied der Staatsoper Stuttgart, wo er in einer Vielzahl lyrischer Fachpartien zu erleben war. Auch als Konzertsänger ist Sebastian Kohlhepp international gefragt. Im Sommer 2018 gab er sein Debüt bei den Salzburger Festspielen und sang dort unter Teodor Currentzis Beethovens 9. Sinfonie. Im Dezember desselben Jahres führte ihn eine Einladung des Boston Symphony Orchestra und seines Chefdirigenten Andris Nelsons erstmalig in die USA. Kohlhepp konzertiert regelmäßig mit namhaften Chören und Orchestern unter der Leitung renommierter Dirigenten. Zahlreiche CD-, DVD- und Rundfunkaufnahmen belegen sein vielseitiges Schaffen.

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Jeanine De Bique SOPRAN

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Sebastian Kohlhepp TENOR

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ie Mezzosopranistin Rachel Frenkel, Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, ist auf den internationalen Bühnen zunehmend gefragt, insbesondere als Interpretin von Mozart und Rossini. Höhepunkte der letzten Zeit waren ihr Debüt als Sesto in La Clemenza di Tito am Théâtre du Capitole in Toulouse, Dorabella in Cosi fan tutte an der Semperoper Dresden, Idamante an der Opéra de Lille unter der Leitung von Emmanuelle Haïm und Ramiro in La Finta Giardiniera unter der Leitung von Robin Ticciati beim Glyndebourne Festival, Rosina bei Il barbiere di Siviglia an der Staatsoper Berlin unter Daniel Barenboim und Semperoper Dresden, Nicklausse bei Stefan Herheims Inszenierung von Les contes d‘Hoffmann bei den Bregenzer Festspielen und Mercédès in Carmen bei den Osterfestspielen Salzburg mit Sir Simon Rattle. Mit Christian Thielemann trat sie als Dryade in Ariadne auf Na-

xos im Festspielhaus Baden-Baden und als Stimme des Falken in Die Frau ohne Schatten bei den Salzburger Festspielen auf. 2019/20 kehrt Rachel Frenkel an die Wiener Staatsoper zurück, um ihr Rollendebüt als Hermia in einer neuen Inszenierung von Irina Brooks Ein Sommernachtstraum unter der Leitung von Simone Young zu geben und die Rollen von Cherubino und Lea zu wiederholen. Konzertieren wird sie u.a. in Beethovens Messe in C mit den BBC Philharmonikern unter Omer Meir Wellber, in Missa Solemnis mit Concerto Köln unter Kent Nagano sowie in Mahlers Symphonie Nr. 8 mit Ingo Metzmacher. Rachel Frenkel absolvierte die BuchmannMehta Musikschule in Tel Aviv und nahm am New Israeli Opera Young Artist Program teil. Sie ist Stipendiatin der Universität Tel Aviv und der AmericaIsrael Sharet Artists Foundation.

er Bass Tareq Nazmi studierte an der Hochschule für Musik und Theater in München bei Edith Wiens und Christian Gerhaher sowie privat bei Hartmut Elbert. Zuerst als Teilnehmer des Opernstudios, danach als Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper. Die Saison 2019/20 eröffnet Tareq Nazmi mit einer Europa Tournee als Papst Clemens VII in Benvenuto Cellini unter Sir John Eliot Gardiner, bevor er als Colline (La Bohème) sein Debüt an der Metropolitan Opera in New York gibt. Außerdem wirkt er an einer szenischen Neuproduktion von Beethovens Fidelio in Baden-Baden unter Kirill Petrenko am Pult der Berliner Philharmoniker mit, kehrt mit Haydns Schöpfung zur Accademia Nazionale di Santa Cecilia nach Rom zurück, singt in Amsterdam Schumanns Faust Szenen sowie in Genf, New York und Barcelona Beethovens 9. Sinfonie. Zu wichtigen Engagements der letzten drei Spielzeiten

zählen sein Rollendebüt als Leporello an der Oper Köln und sein Debüt unter Ivor Bolton als Masetto am Theater an der Wien sowie die Rolle des Bottom in Damiano Michielettos Neuproduktion von Brittens A Midsummer Night´s Dream am Theater an der Wien. Als gefragter Konzertsolist verfügt Tareq Nazmi über ein breit gefächertes Repertoire, das von Bach bis Beethoven, von Haydn bis Brahms und von Mozart bis Dvorak reicht. Er arbeitet mit dem Tonhalle Orchester Zürich unter Sir John Eliot Gardiner, mit dem Orchestre de Paris unter Daniel Harding, dem Orquestra Gulbenkian unter Alain Altinoglu, dem WDR Sinfonieorchester unter Bernard Labadie und Jukka-Pekka Saraste, mit dem Deutschen Symphonieorchester Berlin unter Manfred Honeck, dem Balthasar-Neumann-Chor und Ensemble unter Thomas Hengelbrock oder dem Mozarteum Orchester Salzburg unter Constantinos Carydis bei den Salzburger Festspielen.

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Rachel Frenkel

MEZZOSOPRAN

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Tareq Nazmi BASS

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DIE KÜNSTLER VON SOLI DEO GLORIA

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ent Nagano gilt als einer der herausragenden Dirigenten sowohl für das Opern- als auch das Orchesterrepertoire. Seit September 2006 ist er Music Director des Orchestre symphonique de Montréal (OSM). Mit der Spielzeit 2015/16 begann er seine Amtszeit als Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper sowie als Chefdirigent des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg. Seit 2006 ist er Ehrendirigent des Deutschen Symphonie-Orchester Berlin sowie seit 2019 Ehrendirigent von Concerto Köln, dem auf historische Aufführungspraxis spezialisierten Orchester, mit welchem er das Projekt »Wagner Lesarten« musikalisch leitet. Mit dem OSM ging Kent Nagano Anfang Oktober 2019 auf eine ausgedehnte Tournee durch Lateinamerika. Im Januar 2020 veranstaltet das Orchester unter Kent Naganos Leitung erstmals ein Schubert-Festival in Montreal, bei dem u.a. sämtliche Symphonien des Komponisten aufgeführt werden. Ein Höhepunkt von Kent Naganos Zusammenarbeit mit dem OSM war die Einwei-

hung des neuen Konzertsaals Maison symphonique im September 2011. In Hamburg bringt die Saison 2019/20 für Kent Nagano Schostakowitschs Die Nase in einer Inszenierung von Karin Beier an der Hamburgischen Staatsoper, im April 2020 die Premiere von Strauss‘ Elektra, inszeniert von Dmitri Tcherniakov, sowie wenig später im Rahmen des Internationalen Musikfests Hamburg Olivier Messiaens KultOper Saint François d’Assise in einer eigens für die Elbphilharmonie entwickelten szenographischen Version von Georges Delnon. Im Januar 2020 präsentieren er und das Orchester in der Elbphilharmonie die Welt-Uraufführung von Pascal Dusapins Werk »Waves« für Orgel und Orchester. Für Gastspiele ist Kent Nagano in der Saison 2019/20 u. a. beim Orchestre Philharmonique de Radio France, zu Konzerten mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin in München und Berlin, bei den Wiener Symphonikern und bei den Münchner Philharmonikern. Mit Concerto Köln führt er das wissenschaftlich-künstlerische Projekt »Wagner-Lesarten« fort, in dem

Richard Wagners Der Ring des Nibelungen erstmals aus der Perspektive und mit Methoden der historisch informierten Aufführungspraxis erarbeitet und aufgeführt werden soll. Mit Labels wie Decca, Sony Classical, FARAO Classics und Analekta verbindet ihn eine langjährige Zusammenarbeit, aber auch bei BIS, Berlin Classics, Erato, Teldec, Pentatone, Deutsche Grammophon und Harmonia Mundi hat er CDs eingespielt. Für seine Aufnahmen von Busonis Doktor Faust mit der Opéra National de Lyon, Prokofjews Peter und der Wolf mit dem Russian National Orchestra sowie Saariahos L’amour de loin mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin wurde er mit Grammys ausgezeichnet. Im Oktober 2019 erschien die Einspielung von John Adams’ Common tones in simple time & Harmonielehre bei Decca sowie die 4-CD-Edition mit Beethovens Nulltem Klavierkonzert Es-Dur WoO 4, einem nahezu unbekannten Jugendwerk des Komponisten, und seinem Rondo für Klavier und Orchester WoO 6 gemeinsam mit Mari Kodama und dem Deutschen Symphonie-Orchester.

Kent Nagano DIRIGENT

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SONNTAG 13. SEPTEMBER 2020 17.00 UHR ST. MARTINI BRAUNSCHWEIG LUDWIG VAN BEETHOVEN (1770 – 1827)

MISSA SOLEMNIS op. 123 KYRIE GLORIA CREDO SANCTUS AGNUS DEI

CONCERTO KÖLN VOKALENSEMBLE KÖLNER DOM KENT NAGANO LEITUNG

JEANINE DE BIQUE SOPRAN

RACHEL FRENKEL MEZZOSOPRAN

SEBASTIAN KOHLHEPP TENOR

TAREQ NAZMI BASS

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ie »Missa Solemnis« – das bedeutet »Feierliche Messe« – hielt Beethoven für sein größtes Werk. Sie gilt als das kühnste und ernsthafteste Werk aus Beethovens Feder, das weit über die liturgische Gebundenheit seiner ursprünglichen Veranlassung hinausging. Sie fand aber, anders als die 9. Sinfonie, nicht nur bei den Zeitgenossen, sondern auch bei der Nachwelt ein geringeres Echo und erweckte mehr Hochachtung und Ehrfurcht als Begeisterung. In der Tat ließ Beethoven hier alles hinter sich, was die Werke seiner früheren und mittleren Jahre auszeichnete, den hymnischen Schwung, die atemberaubende Virtuosität, die romantische Emotionalität, das Spiel mit Zitaten oder mit ins Phantastische gewendeten Volkslied- oder TanzmusikIntonationen und auch die aufwühlende dramatische Zuspitzung. In der Tat, das alles fehlt; die vier Solisten, die Beethoven verlangt, sind eigentlich nur eine solistische Chorgruppe, der große, vierstimmige Chor selbst beherrscht von Anfang an das Feld, und als musikalische Form dominiert einzig die Fuge, so dass man die Messe geradezu als Beethovens »Kunst der Fuge« bezeichnen könnte. In allen fünf großen Messe-Teilen – Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus und Agnus Dei – bestimmen umfangreiche Chorfugen, Fugati oder Kanons das Klangbild. Allerdings erinnern sie uns nicht an die klar gegliederten, maßvollen Fugen Johann Sebastian Bachs. Beethoven trieb seine Kunst über alles tradierte Maß hinaus, es klingt und tönt, als ob eine Welt im Entstehen gezeigt würde. Man muss sich bei dieser Musik über den eigentümlichen und vertrackten Zustand klarwerden, in dem sie komponiert wurde. Die gesundheitliche Lage Beethovens war desolat, denn auch die Reste des Hörens schwanden ihm nun. Ein noch größerer Schlag traf ihn, als mit der zunächst erwünschten Niederlage Napoleons im Jahre 1815 nicht die europäische Freiheit anbrach,

sondern die Metternichsche Restauration der »Heiligen Allianz«. Alle philosophischen Glaubenssätze, alle Träume von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, denen er bis dahin angehangen hatte, waren dahin. Beethoven beschäftigte sich, was uns heute fast unvorstellbar erscheint, intensiv mit der mittelalterlichen Mystik, sie wurde die erstaunliche Quelle seiner neuen künstlerischen Inspiration, und aus diesem Geiste wurde die »Missa solemnis« geboren. Beethovens Religiosität war kein Kotau vor der katholischen Kirche. Er rief Gott nicht an als Erlöser eines geschlagenen, passiven Geschlechts, sondern als Helfer und Befreier beim Menschenwerk der neuen »schönen Ordnung« in der »endlosen Zeit«. Wie die »Zauberflöte« beginnt die »Missa Solemnis« mit drei Akkorden, das folgende »Kyrie eleison« ruft keine heroischen Gefühle wach, sondern versetzt den Hörer in eine andächtige Stimmung. Über das Widmungsexemplar der Partitur für Erzherzog Rudolph schrieb Beethoven: »Von Herzen – Möge es wieder – zu Herzen gehen!« In der Tat, kein Napoleon, kein Egmont assoziiert sich in unserer Phantasie zu diesen Tönen, sondern die des Mozartischen Sarastro sind es, die wir zuerst vernehmen. Ihn rufen die einleitenden Instrumentaltakte des »Kyrie« in unserer Phantasie herbei, und der uralte Huldigungsruf »Kyrie!«, mit dem die antiken Griechen den großen Alexander grüßten, gilt hier dem von Mozart gestalteten Lehrer der Menschheit. Das ist das Bild, das uns hinter dem lateinischen Text erscheint, der oft nur als eine liturgische Formalität betrachtet wird, mehr Vorwand als Inhalt der Musik. Er zählt auch jenseits seiner religiösen Bedeutung zu den großen Dichtungen und Geschichtserzählungen unserer Kultur. In den Kyrie- und GloriaRufen der ersten beiden Teile erscheint uns die Menschheit auf dem Wege zu einem unbekannten Ziel. Der mosaische Auszug aus Ägypten, die Diaspora,


PROGRAMM aber auch die alexandrinischen Feldzüge stehen uns vor Augen. Dann folgt das »Credo«, das Glaubensbekenntnis, in dem die Passionsgeschichte erzählt wird als die Geschichte einer großen Hoffnung. »…iterum venturus est con gloria, judicare vivos et mortuis, cujus regni non erit finis…« (Er wird wiederkommen in Herrlichkeit, Gericht zu halten über Lebende und Tote, und sein Reich wird kein Ende haben. …) Zeit findet durchaus bei Gott nicht statt, hatte Beethoven notiert, und seine Inspiration folgte diesem Spruch. Zeitlosigkeit ist hier Musik geworden, in der Kreisform der Fugen, in dem oftmals fast gestaltlosen Reigen der Töne, in denen die »schöne Ordnung« kommender Jahrhunderte ahnungsvoll aufsteigt und wieder schwindet. Der dritte und letzte Teil der »Missa« endet mit dem »Dona nobis pacem«, es ist der berühmteste Abschnitt des Werkes. »Bitte um innern und äußern Frieden« überschrieb

+WERKBESCHREIBUNG

Missa Solemnis gilt als das kühnste und ernsthafteste Werk aus Beethovens Feder, das weit über die liturgische Gebundenheit seiner ursprünglichen Veranlassung hinausging. ihn Beethoven; inmitten des frommen Gesangs rief er noch einmal mahnend ein Kriegsbild herbei. In die pastoralen Töne des Gebets mischen sich martialische Pauken und Trompeten, und der Chor antwortet »timidamente« (angstvoll): »Agnus Dei…« (»Lamm Gottes…, erbarme dich unser!«) 29 Takte vor Schluss wiederholt sich die PaukenIntervention, »sempre piano«, aber unüberhörbar, die Drohung bleibt, und der Chor wiederholt seine inständige Bitte. Das selbstbewusste »Gloria« des Beginns fehlt.

Dreifach gut ist einfach.

Zwischen das Benedictus, das die Ankunft des Messias ankündigt, und die Friedensbitte des »Agnus Dei« hat Beethoven ein eindrucksvolles »Engelskonzert« eingeschoben, ein Sextett mit je zwei Flöten, Bratschen und Celli, dem sich mit dem Einsatz der Stimmen ein verzaubertes Violinsolo in höchster Lage anschließt. Die Trinität von Gott-Vater, Sohn und Heiligem Geist beschwört Beethoven auch metaphorisch in seiner musikalischen Dramaturgie. Seine drei musikalischen Gottheiten sind Georg Friedrich Händel, Wolfgang Amadeus Mozart und Johann Sebastian Bach. Auf den Sarastro-Anfang wurde bereits hingewiesen. Am Ende erscheint Vater Händel, denn die Fuge des »Agnus Dei« benutzt ein Fugen-Subjekt aus dem »Messias«. Johann Sebastian Bach ist aber mit seiner gesteigerten Fugen-Technik der Schutzgeist und Schirmherr des gesamten Werkes.

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DIE KÜNSTLER VON SOLI DEO GLORIA

Gaechinger Cantorey d

ie Gaechinger Cantorey sind die Ensembles der Internationalen Bachakademie Stuttgart und vereinen europäische Spitzenmusiker unter dem Dirigat von Akademieleiter HansChristoph Rademann. Dieser Name markiert seit der Saison 2016/17 eine neue Zeitrechnung für die bereits weltbekannten Ensembles der Bachakademie, die jahrzehntelang als Bach-Collegium Stuttgart und Gächinger Kantorei Stuttgart unter Helmuth Rilling als Bach-Botschafter gewirkt haben. Nun verbinden sich ein neu gegründetes Barockorchester und der reformierte Chor zu einem homogenen Originalklangensemble. Ziel ist die Entwicklung eines neuen »Stuttgarter Bachstils«, der das Markenzeichen einer Bachakademie der Zukunft verkörpern wird. Mit der Entscheidung für ein eigenes Barockorchester und einen nach aufführungspraktischen Kriterien zusammengestellten Chor hat die ­Bachakademie einen neuen Weg eingeschlagen. Klangliches Fundament und internationales Alleinstellungsmerkmal dieses neuen Weges ist der von der Bachakademie in Auftrag gegebe-

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ne Nachbau einer 2013 im sächsischen Seerhausen entdeckten, originalen Truhenorgel aus der Orgelwerkstatt des legendären Bach-Zeitgenossen Gottfried Silbermann, der als originalgetreues Exponat barocker Klangvorstellungen das ideelle Zentrum der neuformierten Ensembles verkörpert. Erste, erfolgreiche Schritte auf dem Weg zum neuen »Stuttgarter Bachstil« waren Auftritte der Ensembles im Jahr 2017 im Musikfest Stuttgart, in der Bachwoche Ansbach, bei den Festspielen Europäische Wochen Passau, beim Rheingau Musik Festival, im Festspielhaus Baden-Baden sowie sechs Konzerte im Rahmen einer USA-Tournee in Fort Lauderdale, Chapel Hill, Norfolk, Princeton, Los Angeles und Irvine. 2018 haben sich die Musiker der Gaechinger Cantorey bereits im Dresdner Kulturpalast, in der Bachkirche Arnstadt und im Pariser Théâtre des Champs-Élysées hören lassen. Im Mai 2018 führte sie eine Tournee mit sechs Konzerten nach Südamerika, und im Juni gaben sie mit großem Erfolg ihre klingende Visitenkarte beim Bachfest Leipzig als Teilnehmer an einem prominenten »Kantaten-Ring« (u.a. mit Masaaki Suzuki, Ton

­Koopman und Sir John Eliot Gardiner) ab. Die Debüt-CD der neuformierten Gaechinger Cantorey »Erhalt uns, Herr, bei Deinem Wort« mit Reformationskantaten von J.S. Bach erschien im Mai 2017 beim Stuttgarter Carus-Verlag. Die Kritik war begeistert: »Die Gaechinger Cantorey ist in neuer Besetzung und Ausrichtung ganz oben dabei im Konzert der deutschen Barockensembles.« (kulturradio des rbb Nach der Neueinspielung von Bachs »Weihnachtsoratorium«, die im Oktober 2018 (Carus) erschienen ist, sind im April 2019 zwei weitere CD-Veröffentlichungen mit der Gaechinger Cantorey und Hans-Christoph Rademann auf den Markt gekommen: ein Programm mit Bach-Kantaten (aus der Stadtkirche St. Wenzel mit der originalen Hildebrandt-Orgel) bei accentus music, sowie G. Fr. Händels »Utrechter Te Deum« und »Jubilate« beim Stuttgarter Carus-Verlag. Im Frühjahr 2020 erscheinen im Carus-Verlag die selten gespielte vierte Fassung von Bachs »Johannes-Passion« sowie eine Einspielung der Dubliner Fassung (1742) von Georg Friedrich Händels »Messiah« bei accentus music.

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DIE KÜNSTLER VON SOLI DEO GLORIA

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Isabel Schicketanz SOPRAN

ls gefragte Solistin arbeitet Isabel Schicketanz regelmäßig mit dem ­Dresdner Barockorchester, dem Barockorchester Breslau, dem Collegium 1704 Prag, der Gaechinger Cantorey, der Lautten Compagney Berlin, der Batzdorfer Hofkapelle, der Nederlandse Bachvereniging Utrecht, der Capella Sagittariana und »Wunderkammer« Berlin. Sie studierte in Dresden bei Hendrikje Wangemann und Olaf Bär. Ludger Rémy, Dorothee Mields und Britta Schwarz begeisterten sie schon während des Studiums für das Konzertfach des 16.–18. Jahrhunderts, dem sie sich fortan widmete. Ihre Liebe zum Ensemblegesang führte sie zum Calmus Ensemble, mit denen sie Europa, Asien und die USA bereiste. Dankbar ist sie über die langjährige Zusammenarbeit mit Hans-Christoph Rademann, unter deren Leitung die Gesamtaufnahme Heinrich Schütz’ verwirklicht wurde und ebenso über

»Opella Musica«, mit denen eine Gesamtaufnahme der Kantaten Johann Kuhnaus entsteht.

er gebürtige Leipziger war zunächst Mitglied des Thomanerchores unter Georg Christoph Biller, anschließend erhielt er seine Gesangsausbildung an der Musikhochschule Leipzig »Felix Mendelssohn Bartholdy« bei Friedemann Röhlig und Berthold Schmid und schloss dort auch sein Studium mit dem Meisterklassenexamen (mit Auszeichnung) ab. 2016 gewann der Tenor den 1. Preis beim XX. Internationalen Johann-Sebastian-Bach-Wettbewerb in Leipzig. Seitdem ist er insbesondere ein viel gefragter Oratorien- und Konzertsänger und gastiert u. a. mit Klangköpern wie dem Gewandhausorchester Leipzig, der Dresdner Philharmonie, der NDR Radiophilharmonie, dem London Symphony Orchestra unter der Leitung von Dirigenten wie Sir John Eliot Gardiner, Daniele Gatti, Hartmut Haenchen, Ludwig Güttler, Peter Schreier, Andrew Manze. Die Saison 2019/20 kommt zunehmend international daher: nach

der Spielzeiteröffnung bei der Internationalen Bachakademie in Stuttgart mit Bachs Johannes-Passion geht es weiter nach Bukarest und Wien, wo er mit dem Basler Kammerorchester unter Giovanni Antonini den Don Ottavio in einem konzertanten Don Giovanni singt; in Warschau und Dijon gastiert er mit Mozarts Requiem unter Andreas Staier, in Tokyo mit dem NHK Symphony Orchestra unter Ton Koopman, auf Tour durch Poitiers, Paris, Modena und Kattowitz ist er mit dem Collegium Vocale Gent unter Philippe Herreweghe und mit dem RIAS Kammerchor ist er in Neapel, Amsterdam und Dortmund zu erleben. Auch wenn der Schwerpunkt seines Repertoires die großen Werke J. S. Bachs sind, ist auch das Repertoire der laufenden Saison höchst abwechslungsreich. Neben seinen zahlreichen Engagements auf der Konzert- und Opernbühne legt Patrick Grahl großen Wert auf kammermusikalische Projekte und Liederabende.

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Patrick Grahl TENOR

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ie Mezzosopranistin Marie Henriette Reinhold wurde in Leipzig geboren. Seit Oktober 2011 studiert sie klassischen Gesang/Operngesang bei Prof. Elvira Dreßen an der Musikhochschule »Felix Mendelssohn Bartholdy« Leipzig, aktuell als Meisterklassenstudentin. Solistische Auftritte führen Marie Henriette Reinhold in die Konzertsäle und Hauptkirchen Deutschlands und des europäischen Auslands. Sie musizierte als Solistin u.a. mit dem Orchestre des Champs-Élysées und dem Collegium Vocale Gent, der Batzdorfer Hofkapelle, dem Münchener Bachchor, dem Concerto Köln, dem Gewandhausorchester Leipzig, der Staatskapelle Halle, den Bamberger Symphonikern, dem Barockorchester »Il Giardino Armonico«, dem Kölner Kammerorchester, der Gaechinger Cantorey, dem Windsbacher Knabenchor, dem Barockorchester »La Scintilla« und der Zürcher Singakade-

mie, dem Stuttgarter Kammerchor uva. Opernerfahrungen sammelte sie als Dritte Dame in Mozarts »Zauberflöte«, als Gräfin in Lortzings »Wildschütz«, als »Rustena« in Vivaldis »La verità in cimento«, als »Fricka« in Wagners »Rheingold« und als »Cornelia« in Händels »Giulio Cesare in Egitto«. Im Sommer 2019 war sie als »Blumenmädchen« in Wagners »Parsifal« bei den Bayreuther Festspielen zu hören. Dort wird sie auch 2020 die »Grimgerde« in der Neuproduktion des »Ring des Nibelungen« übernehmen. Meisterkurse bei Jonathan Alder, Alexander Schmalcz und Peter Schreier gaben ihr entscheidende Impulse im Bereich der Liedinterpretation. Sie ist erste JuniorPreisträgerin des Bundeswettbewerbes Gesang Berlin 2012, Preisträgerin der Kammeroper Schloss Rheinsberg 2014 und war im Jahr 2017 Richard-WagnerStipendiatin. Marie Henriette Reinhold ist auf zahlreichen CDs verschiedener Label vertreten.

eboren in München, begann Winckhler seine musikalische Ausbildung in der Bayerischen Singakademie und studierte anschließend Gesang an der Universität Mozarteum Salzburg bei Andreas Macco, sowie in der Liedklasse von Wolfgang Holzmair. 2017 wurde er mit dem Trude Eipperle Rieger-Förderpreis ausgezeichnet, beim Internationalen Mozartwettbewerb 2014 in Salzburg mit dem ersten Preis, sowie dem Sonderpreis der Stiftung Mozarteum. Außerdem ist er Preisträger beim Internationalen Bachwettbewerb 2012 in Leipzig, beim Bundeswettbewerb Gesang 2010 in Berlin, sowie beim Schubert-Lied-DuoWettbewerb 2014 in Dortmund. Von 2015 bis 2018 war Matthias Winckhler Ensemblemitglied der Niedersächsischen Staatsoper Hannover. Im November 2018 gab er sein Debüt als Franck in Korngolds »Die tote Stadt« am Théâtre du Capitol de Toulouse.

Matthias Winckhler tritt regelmäßig mit Dirigenten wie Giovanni Antonini, Karl-Friedrich Beringer, Fabio Bonizzoni, Matthew Halls, Pablo Heras-Casado, Gianandrea Noseda, Ralf Otto, Vasily Petrenko, Ivan Repušić, Helmuth Rilling, Andreas Spering, Christoph Spering, Masaaki Suzuki und Jos van Veldhoven auf. Er konzertierte mit Klangkörpern wie der Akademie für Alte Musik Berlin, den Wiener Philharmonikern, der Camerata Salzburg, der Gaechinger Cantorey, dem Mozarteumorchester Salzburg, dem NDR-Elbphilharmonieorchester, der Deutschen Radiophilharmonie Saarbrücken und Kaiserslautern, dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg, der Nederlandse Bachvereniging, dem Bach Collegium Japan und Oslo Filharmonien. Konzerteinladungen führten ihn zu vielen namhaften Festivals. Einen besonderen Schwerpunkt in seinem musikalischen Wirken hat das Kunstlied.

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Henriette Reinhold

MEZZOSOPRAN

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Matthias Winckhler BASS

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DIE KÜNSTLER VON SOLI DEO GLORIA

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er Dirigent Hans-Christoph Rademann ist ein ungemein vielseitiger Künstler mit einem breiten Repertoire, der sich mit gleicher Leidenschaft der Aufführung und Wiederentdeckung Alter Musik wie der Uraufführung und Pflege Neuer Musik widmet. Geboren in Dresden und aufgewachsen im Erzgebirge (Schwarzenberg), wurde er früh geprägt von der großen mitteldeutschen Kantorenund Musiktradition. Er war Schüler im traditionsreichen Kreuzgymnasium, Mitglied des berühmten Kreuzchors, der 2016 sein achthundertjähriges Bestehen feierte, und studierte an der Musikhochschule Dresden Chor- und Orchesterdirigieren. Während seines Studiums gründete er den Dresdner Kammerchor und formte ihn zu einem internationalen Spitzenchor, der bis heute unter seiner Leitung steht. Ein eindrucksvoller Beleg für die Qualität dieser künstlerischen Zusammenarbeit ist die gefeierte Einspielung des Gesamtwerks von Heinrich Schütz beim Stuttgarter Carus-Verlag, die 2018 ihren Abschluss gefunden hat.

Hans-Christoph Rademann arbeitet mit führenden Chören und Ensembles der internationalen Konzertszene zusammen. Von 1999 bis 2004 war er Chefdirigent des NDR Chors und von 2007 bis 2015 Chefdirigent vom RIAS Kammerchor. Regelmäßige Gastdirigate führten und führen ihn zum Collegium Vocale Gent, der Akademie für Alte Musik, dem Freiburger Barockorchester, Concerto Köln, den Rotterdamer Philharmonikern, der Sächsischen Staatskapelle Dresden u. a. Seit Juni 2013 ist Hans-Christoph Rademann der Akademieleiter der Internationalen Bachakademie Stuttgart. Für seine künstlerische Arbeit ist Hans- Christoph Rademann mit Preisen und Ehrungen ausgezeichnet worden, darunter die Johann-Walter-Plakette des Sächsischen Musikrats (2014), die Sächsische Verfassungsmedaille (2008), der Förder- sowie der Kunstpreis der Landeshauptstadt Dresden (1994 bzw. 2014). Mehrmals erhielt er für seine zahlreichen CD-Aufnahmen den Preis der Deutschen Schallplattenkritik (zuletzt 2016) sowie den Grand Prix du Disque (2002), den Di-

apason d’Or (2006 & 2011), den CHOC de l’année 2011, den Best Baroque Vocal Award 2014. Außerdem wurde er 2016 mit dem Preis der Europäischen Kirchenmusik der Stadt Schwäbisch Gmünd ausgezeichnet. Seine im Oktober 2017 auf DVD beim Label Accentus Music erschienene Aufnahme einer getanzten Produktion von Bachs Matthäus-Passion (Choreografie: Friederike Rademann) mit der Gaechinger Cantorey, ausgewählten Solisten und rund einhundert Schülern aus der Region Stuttgart und aus Minden wurde für die International Classical Music Awards 2018 nominiert. Für seine beispielhafte Interpretation und Einspielung der gesamten Werke von Heinrich Schütz hat Hans-Christoph Rademann im September 2018 den neu gestifteten Internationalen Heinrich-Schütz-Preis erhalten. Hans-Christoph Rademann ist Professor für Chorleitung an der Hochschule für Musik Carl Maria von Weber in Dresden. Außerdem ist er Intendant vom Musikfest Erzgebirge, Botschafter des Erzgebirges und Schirmherr des Christlichen Hospizdienstes Dresden.

Hans-Christoph Rademann DIRIGENT

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SAMSTAG 19. DEZEMBER 2020 17.00 UHR ST. MARTINI BRAUNSCHWEIG JOHANN SEBASTIAN BACH (1770 – 1827)

WEIHNACHTSORATORIUM BWV 248 KANTATEN 1-3 UND 6 KANTATE 1 JAUCHZET, FROHLOCKET, AUF PREISET DIE TAGE KANTATE 2 UND ES WAREN HIRTEN IN DERSELBEN GEGEND KANTATE 3 HERRSCHER DES HIMMELS, ERHÖRE DAS LALLEN KANTATE 6 HERR, WENN DIE STOLZEN FEINDE SCHNAUBEN

GAECHINGER CANTOREY ISABEL SCHICKETANZ SOPRAN

HENRIETTE REINHOLD MEZZOSOPRAN

PATRICK GRAHL TENOR

MATTHIAS WINCKHLER BASS

HANS-CHRISTOPH RADEMANN LEITUNG

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n sechs selbständigen Kantaten erzählt Johann Sebastian Bach die Geschichte von der Geburt des Jesus Christus. Als in sich geschlossenes oratorisches Werk war es nicht gedacht. Die Uraufführung verteilte sich auf sechs Gottesdienste zwischen dem ersten Weihnachtstag (25. Dezember 1734) und Epiphanias (6. Januar 1735). Die Teile I, II, IV und VI wurden zweimal an einem Tag aufgeführt, abwechselnd morgens und nachmittags in der Thomas- und der Nikolai-Kirche, die dritte und fünfte Kantate nur in der Nikolai-Kirche. Das waren und sind historische Orte in der einst sehr reichen Handels- und Musikstadt Leipzig. Beide Kirchen sind dank ihrer Bachischen Tradition zentrale Punkte des gesellschaftlichen Lebens, die alljährlichen Aufführungen der Weihnachtskantaten und der Kreuzigungs-Passionen Bachs durch den Thomanerchor, dessen Direktor Bach einst war, gehören zu den unerschütterlichen kulturellen Traditionen der Stadt, die sich 1989 auch politisch manifestieren sollten. Denn beide Kirchen waren auch Ausgangspunkte der »Montagsdemonstrationen«, die zum Sturze der DDR-Regierung und zur Vereinigung beider deutscher Nachkriegsstaaten führten. So ist das Weihnachtsoratorium – unter diesem Begriff fasste man die sechs Kantaten später zusammen – auch etwas von unserer eigenen Geschichte. In der ersten Kantate wird die Geburt Jesu dargestellt. Die zweite berichtet von den Hirten, denen in der Nacht ein Engel erscheint, der sie ihnen verkündigt. Die dritte Kantate schildert den Gang der Hirten nach Bethlehem. In der sechsten und letzten Kantate tritt Herodes als Erzfeind und falscher Christ auf. Doch der feierliche Schlusschor erinnert daran, dass Jesus »Tod, Teufel, Sünd und Hölle« überwunden hat. Vom üblichen Kantaten-Schema weichen die Weihnachtskantaten ab, indem sie nicht nur auf die Arien, Chöre und Cho-

Die gute Nacht Gedicht von Bertolt Brecht, geschrieben 1926 Der Tag, vor dem der große Christ Zur Welt geboren worden ist, war hart und wüst und ohne Vernunft. Seine Eltern hatten keine Unterkunft Und auf den Straßen herrschte ein arger Verkehr Und die Polizei war hinter ihnen her. Und sie fürchteten sich vor seiner Geburt Die gegen Abend erwartet wurd. Denn seine Geburt fiel in die kalte Zeit. Aber sie verlief zur Zufriedenheit. Der Stall, den sie noch gefunden hatten War warm und mit Moos zwischen seinen Latten Und mit Kreide war da auf die Tür gemalt Daß der Stall bewohnt war und bezahlt. So wurde es doch noch eine gute Nacht Auch das Heu war wärmer als sie gedacht Ochs und Esel waren dabei Damit alles in der Ordnung sei. Eine Krippe gab einen kleinen Tisch Und der Hausknecht brachte ihnen heimlich einen Fisch. (Denn es mußte bei der Geburt des großen Christ Alles heimlich gehen und mit List.) Doch der Fisch war ausgezeichnet und reichte durchaus Und Maria lachte ihren Mann wegen seiner Besorgnis aus. Denn am Abend legte sich sogar der Wind Und es war nicht mehr so kalt, wie die Winde sonst sind. Aber bei Nacht war er fast wie ein Föhn. Und der Stall war warm. Und das Kind war sehr schön. Und es fehlte schon fast gar nichts mehr – Da kamen auch noch die Dreikönig daher! Maria und Joseph waren zufrieden sehr. Sie legten sich sehr zufrieden zum Ruhn Mehr konnte die Welt für den Christ nicht tun.

räle verteilten religiöse Reflexionen und Meditationen bringen, sondern eine tatsächliche Geschichte erzählen. Aus dem »Krippenspiel«, mit dem seit dem Mittelalter der größtenteils analphabetischen Gemeinde die Weihnachtsgeschichte gefühlvoll verdeutlicht wurde, entstand unter den Händen Bachs (und seiner Vorgänger) ein dramatisches Konzert, in dem mit verteilten (Solisten-)Rollen und einem durchaus opernhaften Chor das biblische Geschehen erzählt und diskutiert wurde. Die Hauptfigur dieser religiösen »Oper« war der Evangelist, der »Vorleser« des


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Wir fügen zusammen, was zusammen gehört.

Hirten von den Bergen in die Stadt und spielten, in der Hoffnung auf eine milde Gabe, auf ihren Flöten und Oboen eine fromme und anrührende Musik, die mit der Zeit auch ihren Namen bekam: Pastorale, Hirtenmusik. Solche Pastorales finden wir auch in vielen Weihnachtskonzerten der italienischen Barockmeister, doch die schönste ist die aus dem »Weihnachtsoratorium«. Die Weihnachtsgeschichte ist eine Geschichte von armen Leuten. Kein Prinz wird da geboren in prachtvollen Gemächern, keine livrierten Domestiken durcheilen sie geschäftig, und selbst die heiligen drei Könige kommen zu Fuß. Nur die Musik, die Bach dazu macht, ist so prachtvoll, reich und gewaltig, wie sie sich arme Leute erträumen und geniale Musiker realisieren können. Auch Bertolt Brecht hat, wie Johann Sebastian Bach, die Weihnachtsgeschichte neu erzählt. Er fand die Worte zu dem »Engelskonzert« Johann Sebastian Bachs.

Braunschweig Stadtmarketing GmbH / Peter Sierigk

Was für seinen Londoner Kollegen Georg Friedrich Händel das dramatische, ebenfalls für den kirchlichen Raum geschaffene Oratorium war, das stellte für Bach in Leipzig, wo es noch kein Opernhaus gab, die kirchliche Kantate dar. Das Weihnachtsoratorium enthält einige der schönsten Arien Bachs, darunter die Alt-Arie »Bereite dich, Zion« mit einer obligaten Oboe d’amore, die Bass-Arie »Großer Herr und starker König« mit Trompeten-Begleitung oder die Tenor-Arie »Frohe Hirten, eilt, ach eilet« mit einer Travers-Flöte, die dem Hirten gleichsam vorauseilt. Der Auftritt der Hirten in der zweiten Kantate machte Bach zum zentralen Ereignis seiner »Sextologie«, und die »Hirtenmusik«, die die zweite Kantate einleitet und schließt, gehört zu den schönsten und innigsten Partien des Werkes. Sie geht auf einen tatsächlichen Brauch zurück. Am ersten Weihnachtstag kamen in Rom traditionell die

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jüdischen wie des christlichen Rituals. Wie man heute vermutet oder weiß, war er nicht auf der Orgel-Empore postiert, sondern im Kirchenraum an einer der mächtigen gotischen Säulen, und auch die anderen Solisten befanden sich dort und waren durch signifikante Gewänder kenntlich. Eine theatralische Darbietung wurde so zumindest angedeutet. Nicht allen gefiel das damals, und vor allem ältere fromme Damen beschwerten sich schriftlich wie mündlich bei den Kirchenoberen, dass man in Leipzig aus den Gottesdiensten eine weltliche »opera« mache. Die Kritik bezog sich vor allem auf die Musik, die vielen ebenfalls zu opernhaft war mit ihren kunstvollen, oft durch ein Instrumentalsolo begleiteten Arien und den komplizierten kontrapunktierten Chören, die das schlichte einstimmige Choralbewußtsein überstiegen. Indes ließ sich Bach zum Glück nicht beirren und bleib seinem Stil treu.

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Björn Hickmann

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D I E S P I E L S TÄT T E N VO N S O L I D E O G L O R I A

Rittersaal Burg Dankwarderode Viktoria Mullova und Alasdair Beatson werden 2020 diesen Raum mit Klang erfüllen

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ie Burg Dankwarderode wurde um 1160-1175 anstelle einer brunonischen Anlage als Palast Heinrichs des Löwen erbaut und nach häufigen Um- und Anbauten ein letztes Mal vom Stadtbaurat Ludwig Winter 1885-1906 wieder errichtet - als neoromanischer Bau im

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Geiste des Historismus. Sie ist seit Jahrhunderten ein identitätsstiftendes Monument der Löwenstadt. Die Ausmalung des Rittersaales im Obergeschoß wurde von Adolf Quensen ausgeführt, jedoch durch Kriegsschäden fast völlig zerstört. Die aufwendige Restaurierung des Saales mit seinen Säulen, zehn

­ ronleuchtern und den WandmaleK reien war 1995 abgeschlossen. Der Knappensaal im Untergeschoss der Burg dient seit 1963 als Ausstellungsraum der Sammlung mittelalterlicher Kunst und seit 1989 als Bleibe des von Heinrich dem Löwen im Jahr 1166 als Gerichts- und Herrschaftsmal auf dem Burgplatz


errichteten bronzenen Burglรถwen. Auf dem Platz befindet sich eine Kopie. Die Burg Dankwarderode, eines der Wahrzeichen der Stadt Braunschweig, gehรถrt zum Herzog Anton Ulrich-Museum und beherbergt die Mittelalter-Sammlung, wie z.B. Teile des Welfenschatzes oder den Kaisermantel Ottos IV.

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die entscheidende Voraussetzung für die solide Finanzierung und damit für den Erfolg des Projekts.

Dr. Gert Hoffmann Oberbürgermeister der Stadt Braunschweig (2001-2014) und Kuratoriumsvorsitzender von Soli Deo Gloria – Braunschweig Festival (2012-2015) Sie haben bei der Entwicklung von Soli Deo Gloria - Braunschweig Festival eine entscheidende Rolle gespielt, waren Mentor von Beginn an. Wie kam das? Graf von der Schulenburg hatte von 2003 bis 2005 klassische Konzerte organisiert, die viel Anklang – auch bei mir – fanden. Als er mir dann auch in meiner Eigenschaft als Präsident der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz (SBK) sein Konzept für ein Festival »Feste Alter Musik im Braunschweiger Land« vorstellte, hat mich das überzeugt. Die SBK wurde dann ein Hauptförderer und hat ihr Engagement noch weiter gesteigert, als diese ­Konzertreihe sich in der neuen Form von Soli Deo Gloria in der ganzen Region etablierte. Das war

Was hat Sie motiviert, sich so einzubringen und die Entwicklung des Festivals so zu unterstützen? Die Region Braunschweig ist ja ein klassisches, traditionsreiches Musikland mit einem für die klassische Musik sehr zu begeisternden Publikum. Als Oberbürgermeister von Braunschweig und Präsident der SBK war ich der Meinung, hier solle neben dem schon ohnehin großartigen, kontinuierlichen Angebot (insbesondere unseres Staatsorchesters) noch etwas Besonderes im Angebot sein. Zumal etwa zu diesem Zeitpunkt das auch sehr attraktive und überregional auch beachtete Festival Braunschweig Classix gerade beendet worden war. Wir brauchten meines Erachtens wieder ein Festival dieser Art als musikalisches Markenzeichen mit bundesweiter Ausstrahlung. Und mir als Präsident der Stiftung war wichtig, dass unser Kaiserdom in Königslutter als fantastische Lokalität für solche Konzerte eine wichtige Rolle spielte. Zugegebenermaßen war auch nicht unwichtig, dass ich persönlich diesem Musikangebot sehr zugeneigt bin. Was bedeutet Ihnen Musik? Meine Frau und ich sind Liebhaber klassischer Musik und besuchen regelmäßig die vielen großartigen Konzerte insbesondere in unserer Stadthalle, aber auch anderswo, wenn sich die Gelegenheit ergibt (in Salzburg oder jetzt auch in Hamburg zum Beispiel). Auch einen Opernbesuch hier wie anderswo

machen wir gerne – wenn nicht die Gefahr besteht, dass uns der Genuss durch das angeblich nicht mehr bestehende Regietheater und den oft peinlichen Hang zu politischer Aktualisierung verdorben wird. Für mich gehört die deutsche, klassische Musiklandschaft zu dem großen Kulturerbe der Menschheit, und ich hoffe, dass sie auch im Internetzeitalter weiter bestehen wird. Welche der Konzertveranstaltungen von Soli Deo Gloria sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben? Das waren viele großartige Veranstaltungen auf Weltklasse-Niveau, und es fällt schwer, irgendwas herauszugreifen – zumal ich mich sicher jetzt auch nicht mehr so genau an alles erinnere. Aber ich greife einmal aus diesen Erlebnissen die wunderschönen Konzerte von Sir John Eliot Gardiner in unserem dafür so hervorragend geeigneten Kaiserdom oder auch ein fantastisches Dirigat von Christian Thielemann im Staatstheater Braunschweig heraus. Auch die Veranstaltung mit Klaus Maria Brandauer in Wolfenbüttel war sehr beeindruckend und bleibt bei mir in Erinnerung. Was wünschen Sie sich in musikalischer Hinsicht für Braunschweig und die Region in der Zukunft? Ich hoffe, dass auch nach dem Ende von Soli Deo Gloria weiter neben dem normalen, guten Angebot Konzerte mit Weltstars stattfinden, und dass entsprechende Initiativen und Veranstaltungen weiter ihre Sponsoren finden. Das hat das musikinteressierte Publikum hier wirklich verdient.

»Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.« FRIEDRICH NIETZSCHE 64


an interessanten Aufführungsorten in Verbindung mit hochkarätiger klassischer Musik.

Ulrich Markurth Oberbürgermeister der Stadt Braunschweig (seit 2014) und Kuratoriumsvorsitzender von Soli Deo Gloria – Braunschweig Festival (seit 2016) Seit 2015 sind Sie Kuratoriumsvorsitzender von Soli Deo Gloria – Braunschweig Festival. Was ist für Sie das Besondere an Soli Deo Gloria – Braunschweig Festival? Das Festival »Soli Deo Gloria« hat seinen Ursprung im Kaiserdom zu Königslutter. Es startete dort 2003 mit Bachs Johannes-Passion unter der Leitung von Sir John Eliot Gardiner und dem Schwerpunkt »sakrale Musik«. Ab 2006 stieg die Zahl der Veranstaltungen und »Locations« stark an. Mit durchschnittlich acht Veranstaltungen pro Jahr hat sich das Festival in der Region etabliert und öffnete sich der weltlichen Musik. Die Präsentation großer Musikwerke in Sakralbauten, historischen Gebäuden und an ausgefallenen Orten in Verbindung mit der jeweiligen Architektur und Akustik verleiht jeder Aufführung eine ganz eigene Aura. Ich denke dabei etwa an den Schafstall Bisdorf, das Bergwerk Rammelsberg und das Universum Filmtheater in Braunschweig. Das ist das Alleinstellungsmerkmal des Festivals »Soli Deo Gloria« in der Region Braunschweig: eine große Bandbreite

Welche Rolle spielt Soli Deo Gloria – Braunschweig Festival Ihrer Meinung nach für die Region? Das Festival bringt einem musikalisch oft säkular geprägtem Publikum insbesondere die Schönheit und hohe Qualität der Kirchenmusik näher. Mit diesem Profil schließt es eine Angebotslücke. Nebenbei bemerkt: Es sind internationale »Größen« zu hören, die ohne »Soli Deo Gloria« vermutlich nicht in unsere Region kommen würden. Das Festival führt unter anderem den Reichtum an norddeutscher Kirchenbaukunst und europäischer Musikkultur vor den Augen und Ohren eines breiten Publikums zusammen. De facto schlägt es eine Brücke zwischen der christlichen Religion und der abendländischen Musik. Es nimmt einen wichtigen Platz im gesellschaftlichen Miteinander und in der Musikvermittlung ein und spielt dadurch eine wichtige Rolle im Konzertleben der Region. Was bedeutet Ihnen Musik? Musik ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Jedes Konzert fordert eine Haltung und eine Meinungsbildung zum Gehörten. Das Bekannte wird mit neuen Impulsen bereichert, in Frage gestellt, durch Irritationen überprüft. Musik ist aber auch Entspannung – die braucht jeder Mensch in seinem Alltag. Ich selbst höre und erlebe Musik in unterschiedlichen Kontexten und Konstellationen und bin immer wieder erstaunt, welch positive Wirkung sie auf Menschen ausübt. Übrigens: Schon Friedrich Nietzsche hat das Magische in der Musik auf den Punkt gebracht. »Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum«, schreibt er in der »GötzenDämmerung«. Ich bin überzeugt, dass Musik Kräfte freisetzen kann, die das Leben – auch in problembehafteten Phasen – immer wieder bereichern.

Welches Konzert im Rahmen des Festivals war Ihr persönliches Highlight in den letzten Jahren? Zu meinen persönlichen KonzertHighlights gehörte Haydns »Schöpfung«, die im Juni 2019 in Braunschweig in St. Martini aufgeführt wurde. Aber auch an das Weihnachtsoratorium im letzten Jahr oder die Wiener Sängerknaben im Dezember 2018 denke ich besonders gern zurück. Was wünschen Sie sich in musikalischer Hinsicht für Braunschweig und die Region in der Zukunft? Die Angebotsvielfalt in Braunschweig und der Region ist beeindruckend, das Festival Soli Deo Gloria hat dazu bisher einen großen Beitrag geleistet. Auch das Staatstheater ist in diesem Kontext zu nennen: Die Region kommt nach Braunschweig, das Theater geht in die Region. Die »Kontaktstelle Musik Region Braunschweig«, die von den Kommunen und Landkreisen gemeinsam getragen wird, organisiert das Musikfest in der Region und weist damit den Weg einer zunehmenden Vernetzung. Mein Wunsch wäre: Mindestens Erhalt, noch lieber aber Ausbau der Angebote auf hohem Niveau, denn Musik ist gerade für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen unverzichtbar – Impulsgeber und Fördermedium für die Entfaltung mentaler und emotionaler Intelligenz. Musik ist letztlich ein unabdingbares Kulturgut, dessen Spektrum sich durchaus noch intensivieren lässt. Vor allem meine ich die Intensivierung der Interaktion, Kooperation und Koordination der vielen musikalischen Initiativen der Region, damit noch mehr Menschen daran teilhaben können.

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Veranstalter: Soli Deo Gloria – Braunschweig Festival Verein zur Förderung der Feste Alter Musik im Braunschweiger Land e.V. Haus der Braunschweigischen Stiftungen Löwenwall 16, 38100 Braunschweig www.solideogloria.de Vorstand: Günther Graf von der Schulenburg, Künstlerischer Direktor Hans Reimann, Kaufmännischer Direktor Dr. Anja Hesse Tobias Henkel Julius von Ingelheim in Kooperation mit: Cm Reimann GmbH Lindenstraße 5, 18574 Garz Kuratorium: Ulrich Markurth, Stefan Gratzfeld, Julien Mounier, Nikolaus Külps, Knud Maywald, Elisabeth Pötsch, Claas Schmedtje, Werner Schilli, Dr. Wolf-Michael Schmid, Thomas Stieve, Prof. Dr. Christoph Stölzl Einführungen: Dr. Gerhard Müller Redaktion: Claudia Reimann, Juliane Tegtmeyer Bildredaktion: Nina Leyer Layout: Siegmar Förster (www.sfbdesign.de) Titelfoto: Matthias Creutziger

Bildnachweis: Matthew Andrews (S.5/6) Marco Borggreve (S.48/49) Felix Broede (S.35) Claus Cordes für Herzog Anton Ulrich Museum (S.62-63) Matthias Creutziger (U1, S.23–25) Benjamin Ealovega (S.29) Martin Foerst (S.54/55) Steve Forrest (S.6) Máté Gál (S.57) Andreas Greiner-Napp (S.4, S.7–20) G. Harri (S.5) Harald Hoffmann (S.44–45) Kaupon Kikka (S.31) Allessandro Marcofulli (S.5)Pfaden, wie die alten Meister, di auf klassischen Peter Meisel (S.36) Daniela Nielse (S.65) unaufgeregte, solide Geldanlage. Als lizensiert Kirsten Nijhof (S.6, S.56) Güdeverwalter Renken (S.42) unserer Region arbeiten wir mit einem eig Gisela Schenker (S.57) Holger Schneider team, sind(S.59) selbstbestimmt und zum Anfassen. W Peter Sierigk (S.64) für Tomasetti Sie da, insbesondere, wenn die Märkte ansp Beatrice (S.46/47) Sergio Veranes Studio (S.51) Julia Wesely (S.48)

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Redaktionsschluss: 24. Januar 2020

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Bild– und Tonaufnahmen sind nicht gestattet. Programm– und Besetzungsänderungen vorbehalten.


FOTO: ANDREAS GREINER-NAPP

Tradition bewahren – Zukunft fördern Die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz trägt die reiche Geschichte einer selbstbewussten Region in der Mitte Europas in die Zukunft. Sie ist lebendiges Beispiel dafür, dass traditionell und modern, zukunftsorientiert und historisch keine Gegensätze sind. Seit ihrer Gründung im Jahr 2005 vereint die Stiftung unter ihrem Dach den Braunschweigischen Vereinig-

ten Kloster- und Studienfonds und die Braunschweig-Stiftung. Aus den Erträgen des Teilvermögens Braunschweigischer Vereinigter Klosterund Studienfonds unterstützt die Stiftung kirchliche, kulturelle und soziale Projekte. In den Genuss der Zuwendungen aus dem Teilvermögen der Braunschweig-Stiftung kommen die Technische Universität, das Braunschweigische Landesmuse-

Erfolgsmodell Stiftung Die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz ist seit der Errichtung des Klosterfonds 1569 eine Erfolgsgeschichte. Immer wieder hat die Intention Herzog Julius’ als Begründer der Stiftung ihre Kraft entfaltet: ein großes Vermögen zu widmen und nachhaltig für die Zukunft zu bewahren. Und in eben dieser Tradition ist

auch die Entscheidung von Niedersächsischem Parlament und Landesregierung im Jahr 2004 zu sehen, als das neue Dach für die überkommenen Vermögen geschaffen worden ist. Die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz ist in jeglicher Hinsicht ein Erfolgsmodell – ein Braunschweigisches Erfolgsmodell!

um und das Staatstheater Braunschweig. So bewahrt und fördert sie seit 1569 die kulturelle und historische Identität des ehemaligen Landes Braunschweig und sichert die Grundlagen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung in dieser Region. Außerdem hat sie für das Land Niedersachsen die Organisation der regionalen Kulturförderung übernommen.


Kunstmuseum Wolfsburg

Freier Eintritt jeden letzten Mittwoch im Monat 16 – 21 Uhr


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