

SOZIALES ENGAGEMENT ZAHLT SICH
AUS
Martin Arnold
VomIch zumWir
Soziales Engagement zahlt sich aus
Der VerlagNZZLibrowirdvomBundesamtfürKulturmiteinemStrukturbeitrag fürdieJahre2021–2025unterstützt.
FinanziertwurdedasBuchdurch:
LotteriefondsSt.Gallen;SchweizerischeGemeinnützigeGesellschaft,Zürich; AargauischeGemeinnützigeGesellschaft,Wohlen;AppenzellischeGemeinnützige Gesellschaft,Appenzell;GemeinnützigeGesellschaftdesKantonsZürich,Zürich; Steinegg-Stiftung,Herisau;Bertold-Suhner-Stiftung,Herisau; Grütli-Stiftung,Zürich;DätwylerStiftung,Altdorf;TemperatioStiftung,Kilchberg; StiftungFürstl.KommerzienratGuidoFeger, Vaduz; VereinfürGemeinwohlundGemeinsinn,St.Gallen/Basel.
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© 2025 NZZ Libro, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel
Covergestaltung: Eveline Arnold, Zürich
Lektorat: Anna Ertel, Göttingen
Korrektorat: Thomas Lüttenberg, München
Layout: icona basel gmbh, Basel
Satz: 3w+p, Rimpar
Druck: Hubert & Co., Göttingen
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«Wir wollen überzeugen, selbst wenn wirwütendsind»: Die Letzte Generation.
«InkurzerZeit sind 100Artikel zu Burgen entstanden»: Wikipedia, die generische Wissensmaschine
«Michfasziniertder intellektuelle Austausch»: Frauen
«FreiwilligesEngagement istwie dunkleSchokolade essen. Es macht glücklich»:Gesprächmit Cornelia
III:Freiwilligenarbeit und die Kraft der Emotionen
lässt, und es plädiert für eineWechselbeziehung zwischen den beiden. Niemand kann sagen, dass ihn die Not der anderen nichts angehe, es werde schon geholfen, von welcher Seite auch immer. «Das Erste, was wir aus der Katastrophegelernt haben, ist, dass die erstendrei bis fünf Tage allein mit Nachbarschaftshilfe überstanden werden müssen. Der Staat kann gar nichts machen. Er kann nicht einmal zu den Quellen der grössten Not vordringen.» Der Mann, von dem diese Sätze stammen, arbeitete als Führer im Hanshin-Awaji-Erdbeben-Gedenkmuseum der japanischen Hafenstadt Kobe. Dort bebte 1995 mit einer Stärke von 7,3 Magnituden die Erde. 4.500 Menschen verloren ihr Leben, 61.000 Gebäude wurden völlig zerstört. Warum war (staatliche)Hilfe in dieser Situation unmöglich?«Die Feuerwehrmänner kamen nicht zu ihren Stützpunkten, Menschen verloren die Orientierung, weil sich die Geografie der Stadt in Sekunden völlig veränderte, gegen den Strom von aus der Stadt Flüchtenden konnte man nicht ankämpfen», erinnert sich der Mann, der das Beben überlebt hat. Er erinnert sich aber auch an ein weiteres grosses Problem. «Eskamen in zwei Tagen über eine Million freiwillige Helferinnen und Helfer.Wir konnten nicht so viele einsetzen. Sie waren ja nicht ausgebildet und wurden zur zusätzlichen Last, weil wir sie ernähren mussten.»
Nützlich sind Freiwillige nur dann, wenn sie auch benötigt werden bzw. sinnvoll eingesetzt werden können. Zentral war und ist in solchen Situationen hingegendie unmittelbare Nachbarschaftshilfe. Das war auch bei dem schweren Erdbeben in der Türkei und in Syrien am 6. Februar 2023 nicht anders.Diese Erfahrung zeigt:Der Staat kann nicht alle Probleme lösen.
Eine weitere Erkenntnis ist, nebenbei bemerkt, die, dass in Katastrophensituationen die unterschiedlichen Charaktere der Menschen deutlicher als sonst in Erscheinung treten. Da gibt es Menschen, die kaum mehr schlafen und stattdessenhelfen, wo sie nur können. Es gibtaber auch Menschen, die solcheSitua-
tionen ausnutzen. Als ich am 23. Juni 2001 in der südperuanischen Metropole Arequipa in ein noch stärkeres Erdbebenals jenes in Kobe geriet, war das Chaos unbeschreiblich,aber auch die Hilfsbereitschaft – sowie die Schlitzohrigkeit beispielsweise der Taxifahrer, deren Tarife sich innerhalb einer Minuteverzehnfachten. Zwar haben die meisten Menschen zuerst die Sicherheit der eigenen Familie im Sinn, doch schon der zweite Blick gilt oft den Nachbarn und der näheren Umgebung. Es zeigt sich hier bei vielen eine grundsätzlicheHilfsbereitschaft, die sich entfalten möchte – genauso wie bei anderen eben die eigene kriminelle Energie zum Tragen kommt. So glasklar erkennbar werden die verschiedenen Charaktere wie gesagt nur in Ausnahmesituationen.
Weil das Gemeinwohl für einen modernen Staat so wichtig ist, hat sich die Professionalisierung der Hilfeleistungen verstärkt. Dazu gehören notwendig Organisationsstrukturen und ein gewisses Mass an Verwaltung. Dadurch ist auch die Distanz jedes Einzelnen zum aktiven Einsatz für das Gemeinwohl grösser geworden. Unsere Kleinkindersind in Krippen, unsere Kinder in Schulen, die Kranken und Verunfallten in Spitälern und die Alten in Altersheimen untergebracht. Um die Armen kümmert sich die Sozialhilfe, Brände löscht die Feuerwehr, aus der Seenot rettet uns die Seepolizei, die Verteidigung übernimmtdie Armee, Diebstahl verfolgt die Polizei, um den Verlust kümmert sich die Versicherung, und wenn wir uns verantwortungslos bei schlechtem Wetter im Gebirge verirren, rettetuns die Rega. Was uns beschäftigt, ist allenfalls die Frage, wie sogenannte Schmarotzer von dieser für uns selbstverständlich gewordenen Hilfe ferngehaltenwerden können. Doch wer ein soziales System ausnutzen will oder sich pausenlos über jene Gedanken macht, die es ausnutzen könnten, hat das Wesen der Solidarität aus den Augen verloren. Solidarität verlangt, sich in andere ein-
Freiwilliges Engagement lässt sich differenzieren:Esgibt die freiwillige Arbeit für die Allgemeinheit, die der ausübenden Person höchstens indirekt als Beitrag zu einer stabilen Gesellschaft nützt. Auch in dieser selbstlosen Variante des Engagements steckt jedoch mitunter Eigennutz:Jemand engagiert sich vielleicht, weil die helfende Tätigkeit eine Kompetenzerweiterung verspricht. Der freiwillige Einsatz kann zur Beziehungspflege genutzt werden und karrierefördernd sein oder er erweitert schlicht den Horizont. Diese und weitere Motive sind völlig legitim:Niemand solltesich zum alleinigen Nutzen anderer aufopfern. Neben dieser Form der Freiwilligenarbeit gibt es auch das nicht immer oder nicht im vollen Umfang freiwillige Engagement für andere – beispielsweiseimKreis der Familie. Wenn die erwachsene Tochter eine Betreuungfür ihr Baby braucht oder die Schwiegermutter Pflege, beugen sich die Hilfeleistenden meist den familiären Erwartungen oder setzen sich selbst unter Druck, dieses oder jenes zu leisten. Unbezahltes Engagement contre cœur führt auf Dauer jedoch zum unguten Gefühl, ausgenutztzuwerden. Dagegen sollten sich Betroffene wehren. Es gibt aber auch eigennützige Gratisarbeit, die sich direkt auszahlt:Wenn ich Fussball spielen will und es über Nacht überraschend geschneit hat, greife ich eben zur Schaufel – und anschliessend können alle spielen. Das ist der direkte Lohn. Zu unterscheidensinddarüber hinaus Freiwilligenarbeit undEhrenamt. EinEhrenamtist zwar Freiwilligenarbeit,aberdie Freiwilligen werden in ihrAmt,beispielsweiseden Vorstand einesVereins,gewählt.Ein Ehrenamt istmeist mitmehrPrestige verbunden. Solche Freiwilligen engagieren sich oftjahrzehntelang in einer Organisation.Sie sind unverzichtbarfür einfunktionierendes Vereinswesen in einemLand. Genausowichtig sind aber diespontan Engagierten, diesichbeispielsweisebei NaturschutzeinsätzenengagierenoderGeflüchtetenDeutschunterricht geben. KurzzeitigeEinsätzesindfür jungeLeute oftder Einstieg
in einregelmässigeres Engagement.DieserBereich,zudem auch Crowdfunding-Projekte zählen,zeichnetsichdurch eine hohe Innovationskraft aus. Crowdfunding-Plattformen bilden eine bunteMischungvon Eigennutz undGemeinnutz, oftlässt sich beides auch nichtgenau voneinandertrennen.
Schliesslich gibt es innerhalb des Freiwilligensektors, also bei Non-Profit-Organisationen wie Caritas, WWF, Pro Natura, dem Roten Kreuz, der Berghilfe, aberauch bei der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG)und anderenOrganisationen,auch die bezahlte Mitarbeit.Eskann als Kompliment für die geleistete Arbeit betrachtet werden, wenn eine Organisation, an deren Ursprung das freiwillige Engagement von Idealisten stand, wächst und deshalb auch eine professionelle Führung braucht. Das heisst aber umgekehrt nicht, dass nicht auch freiwillig Engagierte einen professionellen Beitrag für ihreOrganisationen leisten. Sie werden sogar immer professioneller, und die damit einhergehendensteigenden Ansprüche vieler Organisationen generieren ein Problem, das auch in diesem Buch behandelt wird. Denn die helfenden Tätigkeiten der Hunderttausenden von Freiwilligen im Land geschehen nicht im luftleeren Raum. Sie sind, wie jeder Arbeitsalltag, eingebettet in ein Korsett von Gesetzen und Verordnungen.
In derLiteratur werden verschiedene Begriffe fürFreiwilligenarbeitoderfreiwilligesEngagementverwendet.Gemeinsam istihnen jedoch,dassdiese Dienste freiwillig undautonom sind, selbst oder institutionell organisiert, aber nichtdem eigenenNutzendienen. Freiwilligenarbeit istmeist öffentlich sichtbar,wirksamund nachhaltig,steht aber nichtunter staatlicherKontrolle. Ausgenommenist dieCare-Arbeit in derFamilie oder derNachbarschaft, diedeutliche mehr vonFrauengeleistet wird undwenigersichtbarist.Die Freiwilligenarbeit dientdurchausder Wertschöpfung, folgtabernicht derklassischen ökonomischen Logik. Sieist modern,weilsie denWeg in eine zukünftige Sorge-
ökonomie weist. Sieist zwar unbezahlt, liesse sich aber monetarisieren.Oftmals werden nurSpesenentschädigt.
Dieses Buch möchteeinen grundsätzlichen Blick auf freiwilliges Engagement werfen und aufzeigen, wie es mit neuer Kraft erfüllt werden kann und wohin es sich entwickeln könnte. Denn der Klimawandelund die damit verbundenen sozialen Verwerfungen werden den Bedarf an freiwilligem Engagement noch ansteigen lassen. Engagement lohnt sich:Wer es eingeht, spürt, dass er das Richtige tut. Doch ein Missverständnis muss an dieser Stelle unbedingt ausgeräumt werden:Care-Arbeit –beziehungsweise freiwillige Arbeit oder Engagement oder wie immer man unbezahlte Arbeit für andere bezeichnen möchte –darf niemals Behörden, Institutionen und Regierungen als Alibi dienen, sich selbst aus der Fürsorgeverantwortung gegenüber den Bürgern davonzustehlen. Denn das wäre ein verheerender Rückschritt in der Geschichte und würde dem Sozialreformer Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827)recht geben, der angesichts der seinerzeit aufblühenden gemeinnützigen Tätigkeit vieler Gesellschaften sagte:«Wohltätigkeit ist das Ersäufen des Rechts im Mistloch der Gnade.»
Fürdie Unterstützung bei derRealisierungdes Buchesmöchte ich folgenden Stiftungen und Institutionen danken:Lotteriefonds St. Gallen;Schweizerische GemeinnützigeGesellschaft, Zürich; Aargauische GemeinnützigeGesellschaft, Wohlen;Appenzellische GemeinnützigeGesellschaft, Appenzell;Gemeinnützige Gesellschaft desKantons Zürich, Zürich;Steinegg-Stiftung,Herisau; Bertold-Suhner-Stiftung,Herisau;Grütli-Stiftung, Zürich;DätwylerStiftung, Altdorf; Temperatio Stiftung, Kilchberg; Stiftung Fürstl. KommerzienratGuido Feger, Vaduz; Verein für Gemeinwohl undGemeinsinn, St.Gallen/Basel.