Mit Pinsel, Palette und Perücke

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Einleitung

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ie Idee zum vorliegenden Buch kam mir bei der Vorbereitung zu einem Proseminar, das ich 2010 an der Universität Zürich zum Thema Barocke Malerei in der Schweiz durchführte. Dabei wurde mir einmal mehr bewusst, dass ein neueres, gattungsspezifisches Übersichtswerk zu dieser künstlerisch ungemein reichhaltigen und spannenden Epoche fehlt. Seit Linus Birchlers summarischer Übersicht¹ sowie dem Standardwerk von Joseph Gantner und Adolf Reinle² aus der Mitte des letzten Jahrhunderts sowie Oskar Bätschmanns inspirierender Gesamtschau zur Schweizer Malerei der Neuzeit von 1989³ sind viele monografische und grundlegende Arbeiten zu Künstlern und Bauensembles erschienen. Im Kapitel Barockforschung in der Schweiz werden diese detailliert vorgestellt. Viele dieser Untersuchungen thematisieren die inhärenten, teilweise weit verstrickten Netzwerke von Familien- und Werkstattbetrieben, sie bleiben aber naturgemäss punktuell und meist regional. Daher leitet sich aus ihnen noch kein Gesamtbild der Malerei des Barocks und Rokoko in der Schweiz ab. Ziel dieses Buches ist es deshalb, der Leserschaft eine systematische Übersicht zur Malerei im Gebiet der heutigen Schweiz im barocken Zeitalter zu liefern. Weder Archivforschung noch Neuentdeckungen stehen dabei im Vordergrund, sondern das Überprüfen, Zusammentragen und Verknüpfen bereits bekannter Fakten. Eine weitere Eigenschaft dieser Abhandlung liegt in ihrem strikten Fokus auf eine einzelne Kunstgattung, der Malerei. Denn gerade ihr Zusammenspiel mit Skulptur, Architektur und Dekor ist ein zentrales Wesensmerkmal des barocken Gesamtkunstwerks. Wo notwendig, etwa im Bereich der profanen und sakralen Dekorationsmalerei, sollen solche Bezüge aufgezeigt werden, sie können aber nicht systematisch auf alle Bereiche angewandt werden. Die vorliegende Studie erstreckt sich über einen Zeitraum von rund 200 Jahren. Dieser setzt mit der beginnenden Gegenreformation im Nachgang des Konzils von Trient ein und endet im Zuge der Französischen Revolution, die für die Schweiz weitreichende Konsequenzen hat. Die geografische Reichweite der vorliegenden Untersuchung umfasst ungefähr das Gebiet innerhalb der heutigen Landesgrenzen, wohlwissend, dass im besagten Zeitraum verschiedene Regionen noch nicht zum eigentEinleitung

lichen helvetischen Territorium unserer Tage zählen, mit diesem aber eng verbunden sind. Als Aufbau bietet sich eine Schau nach einzelnen Gattungen und Motiven an. Damit lassen sich internationale Einflüsse, lokale und regionale Eigenheiten ebenso wie Gemeinsamkeiten am besten darlegen. Um mit den Protagonisten der Epoche und dem Habitus der Zeit bekannt zu werden, behandeln wir – entgegen dem Kanon – die Bildnis- vor der Historienmalerei. Die Abfolge orientiert sich innerhalb einer Gattung an einem möglichst chronologischen Aufbau. Ein Künstlerverzeichnis im Anhang listet die wichtigsten Kunstschaffenden der Epoche auf und gibt jeweils einen kurzen biografischen Abriss mitsamt bibliografischer Auswahl. Abschliessend seien hier noch einige (selbst-)kritische Überlegungen zu unserer Vorgehensweise ausgeführt. Man mag gegen dieses Buch einwenden, es sei in seiner methodischen Anlage antiquiert. Ist denn die Zeit für ein epochenbegrenztes Übersichtswerk zu einer einzelnen Kunstgattung nicht längst abgelaufen? Haftet diesem monothematischen Vorgehen nicht eine anachronistische Sichtweise einer längst überholten linearen Entwicklungs- und Stilkundetheorie an, die versucht, vielfältige Erscheinungsformen unter einem konstruierten Mantelbegriff zusammenzufassen? Übergeht eine solche Gesamtschau in der Tradition kunsthistorischer Epochenreihen des 20. Jahrhunderts wie Pelican History of Art oder Propyläen Kunstgeschichte nicht die singulären Eigenheiten und Beziehungen von Künstler, Werk und Rezipienten? Solchen kritischen Fragen kann entgegengehalten werden, dass es mit der springflutartigen Zunahme von Informationen und Detailkenntnissen immer schwieriger wird, eine einigermassen geordnete Übersicht zu bewahren. Oder um es mit Umberto Eco zu formulieren: «Angesichts des immensen Gedächtnisspeichers, den der Computer uns bieten kann, kommen wir uns vor wie Funes el memorioso: überflutet von Millionen Einzelheiten, können wir jedes Auswahlkriterium verlieren. Zu wissen, dass es über Julius Cäsar zehntausend Bücher gibt, ist dasselbe wie nichts über ihn zu wissen.»4 Und überdies: Ist eine solche nationale Eingrenzung heute noch zulässig? Darf man überhaupt von Schweizer Kunst sprechen? Michel Thévoz bestreitet dies vehement

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