



Eine wissenscha sphilosophische Auseinandersetzung mit Magnus Hundt ( 1449–1519 )
Eine wissenschaftsphilosophische Auseinandersetzung mit Magnus Hundt (1449–1519)
Schwabe Verlag
Die Druckvorstufedieser Publikation wurde vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unterstützt.
Open Access:Wonichtandersfestgehalten, istdiese Publikation lizenziert unterder Creative-CommonsLizenz Namensnennung (CCBY)
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2025 Karsten Engel,veröffentlichtdurch Schwabe Verlag Basel, Schwabe Verlagsgruppe AG, Basel, Schweiz
Abbildung Umschlag:Magnus Hundt (mittig)zusammen mit zwei Verwandten (Universitätsarchiv Leipzig, Matrikel der Artistenfakultät, Sommersemester 1521, Vol. II, Bl. 36 (Rückseite)).
Korrektorat:Julia Müller, Leipzig
Cover:icona basel gmbh, Basel
Satz:3w+p, Rimpar
Druck:CPI books GmbH,Leck
Printed in Germany
Herstellerinformation:Schwabe Verlag, Schwabe Verlagsgruppe AG, Grellingerstrasse 21, CH-4052 Basel, info@schwabeverlag.ch
Verantwortliche Person gem. Art. 16 GPSR:Schwabe Verlag GmbH, Marienstraße 28, D-10117 Berlin, info@schwabeverlag.de
ISBN Printausgabe 978-3-7965-5301-1
ISBN eBook (PDF)978-3-7965-5302-8
DOI 10.24894/978-3-7965-5302-8
Das eBook ist seitenidentisch mit der gedruckten Ausgabe und erlaubt Volltextsuche. Zudem sind Inhaltsverzeichnis und Überschriften verlinkt.
rights@schwabe.ch www.schwabe.ch
5Aller Anfang
5.1 Die Frage nach dem Anfang
5.2 Propädeutik und Didaktik des Anfangs.
5.2.1 Didaktik am Anfang. Bittere Wurzeln und Merkverse.
5.2.2 Orientierung am Anfang. Wissenschaftstheorie als Wissenschaftspropädeutik
5.3 Logik als Prinzipienwissenschaft und Direktive des Verstandes
5.4 Zusammenfassung
6Tradition und Vielfalt:Das etablierte und institutionalisierte Wissen
6.1
6.2
6.3 Hundts Beziehung zum etablierten Wissen und zu Thomasvon Aquin
8.3 Wie
Gegenwart
Vergangenheit
Bei diesem Buch handelt es sich um eine überarbeitete Fassung meinerDissertation an der Philosophisch-Historischen Fakultätder Universität Basel. Ich bin Christian Barth für die Aufnahme ins Verlagsprogramm, Julia Müller für das Lektorat und Teresa Keller für ihre Unterstützung beim Publikationsprozess zu grossem Dank verpflichtet.
Für die finanzielle und ideelle Förderung bin ich der Studienstiftung des deutschen Volkes dankbar, die mir mit einem Exposéstipendium den Einstieg in die Doktoratszeit ermöglicht hat. Auch dem SchweizerischenNationalfonds danke ich, der das Forschungsprojekt «Das Logikverständnis bei Magnus Hundt. Eine Untersuchung zum Thomismus am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit» (Projektnummer 192196)finanziert hat, in dem ich während meiner gesamten Doktoratszeit angestellt war. Diese Monografie wurde publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfondszur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und auch die Druckvorstufe dieser Publikation wurde vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung unterstützt.
Die Arbeit wäre weiterhin ohne den Beistand so vieler lieber Menschen nicht zustande gekommen, die mir mit ihrer fachlichen Expertise, ihrem freundschaftlichen Rat, ihrem kollegialen Rückhalt und ihrer elterlichen Fürsorge so sehr geholfen haben.
Maarten Hoenen danke ich, dass er sich auf das «Experiment»mit mir eingelassen hat, als ich als völlig Fremder im Frühjahr 2018 vor seinerTür stand und die Bitte äusserte, mehr über die Philosophie und die Universität im Mittelalter lernen zu dürfen. Ich bin ihm für seine Betreuung sehr dankbar. Auch Ueli Zahnd, der die Arbeit zweitbegutachtet hat, dankeich sehr für die Unterstützung während meiner Doktoratszeit – aber ebenso für die vielenkonstruktiven Ratschläge, alternativen Lesarten und auch die gute Zusammenarbeit in gemeinsamen Projekten.
Ich danke Michael Franz, Henning Moritzund meinen anderen Lehrer:innen und Freund:innen, die mich auf den Weg in die Philosophie vorbereitet und dabei liebevoll-kritisch meine Texte gelesen haben. Das gilt auch für meine Kolleg:innen und Freund:innen am Philosophischen Seminar Basel, insbesondere Gabriel Müller, Stephanie Schuster, Joachim Rautenberg, Susanne Kress, Lukas
Bickel, Iris Simon und Dominique Wilk. Ihnen danke ich für die wunderbaren Gespräche, die Unterstützung im Projekt und auch die eine oder andere Übersetzungshilfe. Auch meinen Studierenden bin ich zu grossem Dank verpflichtet. Sie haben sich mit mir die Quellen angeschaut und mit ihrem ganz frischen Blick auf Hundt und andere mittelalterliche Philosophen für mich neuePerspektiven eröffnet.
Für die mentale Unterstützung – auch wenn ’smal nicht so rund gelaufen ist – dankeich meinen Freund:innen und insbesondere Svenja Brand, Aaron Mayer und MadeleineLüthi.
Ausserdemgilt mein Dank Alice Keller, die sich bei meiner beruflichen Orientierung sehr für mich eingesetzt hat, woraus eine wunderbare Möglichkeit an der Universitätsbibliothek Basel erwachsen ist, – und meinen anderen UB-Kolleg:innen, die sich immer wieder für meine Arbeit interessiert und auch während meiner Doktoratsprüfung mitgefiebert haben.
Marie Christine Lorgé danke ich, weil sie viele meiner wissenschaftlichen Aufsätze und anderenTexte gegengelesenund tolle Kommentare angebracht hat.
Der grösste Dank gilt MichaelBoltshauser, der mich immer wieder liebevoll daran erinnert hat, dass es auch ein Leben jenseits des Doktorats gibt, und meiner Familie – insbesondere meinen Eltern, die mir mein Studium in vollstem Vertrauen ermöglicht und mich auch während des Doktorats jederzeit unterstützt haben.
Die Universität ist keine und war nie eine Einrichtung, die sich ausschliesslich mit Wissenschaft beschäftigt. Als eine Institution hat und hatte sie mindestens immer auch die Aufgaben, ein Selbstverständnis zu kreieren, mit dem sich ihre Mitglieder identifizieren, sich selber und ihre Mitglieder zu verwalten,auch politische Entscheidungen zu treffen und schliesslich zu überlegen, auf welche gesellschaftlichen Trends sie reagieren will und auf welche nicht.Diese institutionellen Aufgaben sind dennoch zweifelsfreivon wissenschaftlichen Entwicklungen beeinflusst. Die Universität ist dabei keine Institution wie jede andere.
In den vergangenen Jahren haben sich ihre Aufgaben nicht grundsätzlich geändert, aber die Erscheinungsformen sind doch zum Teil neuartig. Gegenwärtige Herausforderungen der Universität jenseits der Wissenschaft im engeren Sinne bestehenetwa in der Digitalisierung der akademischen Arbeitsprozesse, die die Kommunikation ihrer Mitglieder wesentlich verändert hat. Ein immer dezentraler werdender Forschungsprozess und nicht zuletzt auch die Covid-19-Pandemie führten beispielsweise dazu, dass persönliche Gespräche über Distanzen hinweg immer häufiger durch Videotelefonate ersetzt wurden.
Darüber hinaus sind Universitätsreglemente derzeit durch die immer weiter massentauglichwerdende Nutzung von «machine learning»(künstlicher Intelligenz)anzupassen. Nicht nur die Fragen wie den Studierenden der Unterrichtsstoff angesichts der neueren Entwicklungen in diesem Bereich vermittelt werden soll oder welche Kriterien formal korrekten wissenschaftlichen Arbeitens in Zukunft bei der Bewertung von Prüfungsleistungen angelegt werden sollen, sind neue Herausforderungenfür Universitäten. Auch die Frage, wie ihre forschenden Mitglieder mit künstlichen Intelligenzen in Zukunft umgehen sollten, setzt einen Diskurs voraus, den die Universitäten begleiten müssen.
Sowohl die genannte Dezentralisierung und Digitalisierung der Forschung als auch die Einflüsse KI-basierter Arbeit in der Wissenschaft läuten Debatten über sich verändernde zentrale Einrichtungen der Universität ein. Nicht nur der Ausbau eigener Serverkapazitäten in den Universitätsrechenzentren sind von diesem Wandelbetroffen, sondern insbesondere auch die Universitätsbibliotheken. Sie suchen bereits seit einigen Jahren ihren Platz und neue Aufgabenfelder
in der akademischen Welt des 21. Jahrhunderts, in der sich die Form der Bücher und Zeitschriften nach und nach transformiert.
Nachhaltigkeitsfragen und Umweltaspekte sind ein weiterer Faktor, der das Zusammenleben und -arbeiten in der Universität wohl gegenwärtig verändert. Ob der Austausch an Tagungen und Kongressen vor Ort, zu denen Forschende aus aller Welt anreisen müssen, ein nach wie vor wichtiger Wert sein soll, bei dem die Universitäten in der Vergangenheit auch immer weiter Expertise ausgebaut haben, ist zwar (noch)eine offene Frage. Wie viel persönlicher Kontakt unter den Forschenden tatsächlich sein muss und was sich vom Standpunkt der Umweltverträglichkeit eigentlich verbietet, ist allerdings bereits gegenwärtig ein Diskurs, der von den Universitäten schon begleitetwird.
Andere gegenwärtige Herausforderungen der Universität betreffen weniger die Praktiken des Forschens, sondern immer mehr auch Fragen nach der Mitglieder- und Personalrekrutierung. Fragen von Gleichstellung, Qualifikationund einer diversifizierten Personalstruktur nehmen immer weiter Einfluss auf den Lehr- und Forschungsprozess. Dies geschieht durch einegezieltePersonalauswahl nach verschiedenenKriterien,die diskursivverhandelt werden und an denen sich in Zukunft wohl auch Universitäten messen können müssen.
Doch die Universitätsleitungen und -mitglieder sehen sich aktuell nicht nur mit diesen sehr neuen Problemen und Herausforderungen konfrontiert, sondern sind häufig auch zu Reaktionen auf Probleme gezwungen, die bereits einige hundert Jahre alt sind.
Das betrifft zum Beispiel die Prekarität ihrer Mitglieder, über die nicht nur die mittelalterlichen Magister, die frühneuzeitlichen Professores, die modernen Privatdozenten, sondern auch der akademische Mittelbau der Gegenwart bereits Unmut äusserten. Die Debatten über die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes im Jahr 2023 sind nur eines von vielen Beispielen aus der jüngeren Vergangenheit, das zeigt, dass die Diskussionenfortwähren.
Eng damit in Verbindung stehen immer wieder auch Fragen nach den Machtkonstellationeninnerhalb derUniversität:Welcheverschiedenen Statusgruppen (Professor:innen, Mitarbeitende, Assistierende)kennt die Universität? Welche Rechte und Pflichten haben sie?Welche Eigenschaften haben (mittelbar oder unmittelbar)Einfluss auf die Zuordnungzur einen oder anderen Gruppe?
Dauerhaftes Konfliktpotenzial bietet denn auch die Frage, wie ein zeitgemässer bzw. den Wissenschaften angemessener Unterricht für die Studierenden aussehen soll. Während der scholastische Unterricht sich im Mittelalter als ein Erfolgsmodell herausgestellt hatte, war es unter anderemer, der in der Frühen Neuzeit die Universität als steif und verknöchert in Verruf brachte. Erst als sich das Bildungsideal und mit ihm die Veränderung der Lehrpläne im 19. Jahrhundert eingestellt hatten – so zumindestdie klassischen Erzählungen – fanden die (deutschsprachigen)Universitäten wieder Zulauf und die Wissenschaften erlangten mehr Innovationskraft. Daran lässt sich leicht erkennen, dass jede Form
der Wissensvermittlung ihre Zeit hat. Zu antizipieren, welche Form für die Gegenwart und nahe Zukunft die angemessene ist, ist also kein triviales Problem.
WeiterhindrehensichvieleDebattenimmer wieder um einSelbstverständnis der Universität. Das gilt auch für ihre Verhältnisbestimmung in Abgrenzung zur Gesellschaft, anderen Forschungseinrichtungen, wirtschaftlich organisierten Institutionen, aber auch Fachhochschulen etc. Man könnte meinen, die Universität befinde sich in einer ewig andauernden Identitätskrise, die seit vielen Jahren ihre Mitglieder beschäftigt.
Im Übrigen betrifft dies auch die Diskurse um die traditionellen und fortschrittlichen Elemente der Universität. Wo man teils noch heute mit Talar in einer Prozession durch alte Universitätsstädte zieht, fühlt man sich doch im Grossen und Ganzen in erster Linie dem Innovativen und Rationalen verpflichtet undscheutromantischesVerklären beider eigenenwissenschaftlichen Arbeit.
In der Tat lassen sich auch historische Beispiele vorbringen, die zeigen, dass das Selbstverständnis der Institution und ihrer Angehörigen der Motorfür das Gelingen des Projektes Universität sein kann. Dass in der Frühen Neuzeit die Studierendenzahlen einbrechen und die Universitäten auch an gesellschaftlichem Prestige einbüssen, wird immer wieder auch auf ein unklares Selbstverständnis der Institution und mangelndeOrientierung im wissenschaftlichen Treibenan der Universität zurückgeführt.1 Dass Denker wie Schleiermacher, Fichte und Humboldt im 19. Jahrhundert der Universität eineneue «Idee»gaben, schien deshalb nicht ganz unwichtig für die Renaissance dieser alten Einrichtung zu sein. Dabei war das Selbstverständnis der Universität ein wichtiger Antrieb für ihre positive Entwicklung.
Gerade die Herausforderung dieser letzten Aufgabe ist besonders. Denn die Frage danach,was eine Universität ist und sein sollte, regiert alle aktuellenund auch bereits in der Vergangenheit aufgeworfenenFragen und Debatten, die oben bereits gestellt wurden. Vondieser Frage hängt am Ende ab, welche Antworten sich auf die anderen Fragen anbieten und welche Lösungen für die entstandenen Probleme gewählt werden sollten. Weil uns die Antwort auf solch globale Fragen wie nach der «Idee»bzw. dem Wesen einer Universität sicher fremd geworden ist, ist sie doppelt schwierig.
Die meisten der genanntenaktuellenHerausforderungen sind daher Erscheinungsformen tiefer liegender Fragestellungen, die die Universität in der Regel bereits seit mehreren Jahrhunderten beschäftigen und die sie wohl auch in Zukunft weiter beschäftigen werden. Debatten, Argumenteund Begründungen in den Themenfeldern Universität und Bildung sind deshalb häufig nur sehr
1 Vgl. beispielsweise Jürgen Mittelstrass, «Die Weisheit hat sich ein Haus gebaut. Die europäische Universität und der Geist der Wissenschaft», in Die unzeitgemäße Universität,hrsg. Jürgen Mittelstrass, Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1159 (Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1994), 68–76, der sich mit der Krise der Universität in der Frühen Neuzeit beschäftigt. 1.1
schwer zu verstehen, wenn die hintergründigen historischen Ideen, die aus längst vergangenen Zeiten stammen, unbekanntsind.
Nun soll die vorliegende Arbeit nicht alle diese Problemezulösen versuchen. Sie möchte allerdings Inspiration aus der Vergangenheit holen. Die kommenden Kapitel sind daher beseelt von der Überzeugung, dass gerade auch das Mittelalter zu diesen häufig brandaktuell erscheinenden Themen mehr zu sagen hat, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Die Arbeit wird zeigen, wie sich einebesondere Persönlichkeit des Spätmittelalters zu einigen der aufgeworfenen Fragen positioniert hat. Der Philosoph Magnus Hundt wird in diesem Sinne dem Mittelalter eine Stimme geben.
Die vorliegende Arbeit nimmt sich fünf Topoi vor, die in gegenwärtigen Diskussionen um den Wert und die beste Organisationsformder Universität häufig vorgebracht werden. Sie versucht, diese Debatten aber mit einer Position aus der Vergangenheit zu konfrontieren. Dabei handelt es sich um eine Position, die aus einer Zeit stammt, in der die Institution der Universität durchaus vor einigen ähnlichen Problemen gestanden hat wie heute.
Dieser «Austausch»mit derVergangenheit,der zugegebenermassenanachronistisch ist, soll die Historizitätdieser Topoi aus gegenwärtigen Debatten deutlich machen und diese im Idealfall auch inspirieren. Die Arbeit soll dabei die Wichtigkeit der gegenwärtigen Probleme und Gedanken zur Funktionsweise der Universität nicht relativieren.
Hier aber eine Warnung vorweg:Zwar versucht die Arbeit, das für uns heute manchmal skurril wirkendeMittelalter für die Gegenwart zu «übersetzen», damit auch Argumente hörbar werden, die wir ansonsten vergessen würden. Das heisst abernicht, dass wir diese Argumentegenauso bei unseren aktuellenFragen und Problemen verwenden können.Manchmal bleiben sie auch nach der Übersetzung in die Gegenwart skurril, aber helfen uns möglicherweise bei der Frage, welches Argumentwir heute wirklich nicht mehr vorbringen und wovon wir uns abgrenzen wollen.Manchmal kann aber auch etwas dafür sprechen, sich von den übersetzten Argumenten inspirieren zu lassen.
Das heisst:Der Blick ins für uns fremd Gewordene kann dabei helfen, Gründe und Argumente zu finden, um die gegenwärtige Situation mit einem anderen Blick zu betrachten. Die Universität, die sich häufig auf ihre sehr lange Geschichte und Tradition beruft, eignet sich daher ausgezeichnet, um die Diskussionen über sie durch die Brille der Geschichtsschreibung zu betrachten. Die Hoffnung besteht jedenfalls, dass dieses Vorgehen dabei helfen kann – trotz der vielen Unterschiede, die sich in den letzten 500 Jahren entwickelt haben –,die
aktuellen Diskussionen einerseits besser verstehenund andererseits diederzeit vorgebrachtenPositionenauchbesserbewerten zu können.
Im Grunde unterscheidet sich dieses Vorhaben nicht von der Herangehensweise, die die Geschichtsschreibung üblicherweise kennzeichnet. Einzig der ausformulierte Gegenwartsbezug zählt wohl nicht durchweg zum Standard der Geschichtswissenschaft. Vermutlich schrecken vor diesem einige Geschichtsschreibende aus guten Gründen durchaus zurück. Die Fallstricke eines solchen Vorgehens, könnten sie behaupten, lägen immerhin auf der Hand:Jede Epoche sei anders.Das beträfe natürlich auch die Universität. Sie sei nicht mehr die gleiche Institution wie ihre mittelalterliche «Vorgängerin», sondern eigentlich etwas ganz anderes. Daher müsse sich eigentlich jeder Vergleich verbieten.
Die vorliegende Arbeit soll dennoch zeigen, wie eine Reflexion über Umstände, Ereignisse und Probleme aus der Vergangenheit auch für die Gegenwart hilfreich ist. Sie arbeitetnämlich kontrolliert die Historizität gegenwärtiger Debatten über Wissenschaft und die Institution der Universität heraus und hält damit präsent, warum die Vergangenheit für die eigene Gegenwart wichtig sein kann.
In den einzelnen Kapiteln dieser Arbeit sind aktuelle Anlässe oder gegenwärtige Probleme und Fragestellungen rund um das Selbstverständnis und die Organisation der Universität die Ausgangspunkte für eine historische Analyse. Das betrifft beispielsweiseden Nimbus, der die Universität häufig umgibt, Fragen zu einer angemessenen Governance der Hochschule und dem angemessenen Aufbaueines Lehrplansfür ein bestimmtes Fach.
Davon ausgehend wird jeweils die Position des spätmittelalterlichen Leipziger Magisters Magnus Hundt zu diesem Themavorgestellt und kontextualisiert. Dessen Philosophie und Argumente, so die Hoffnung, könnten dabei helfen, auch aktuelle Debatten anzureichern und intellektuell zu durchdringen
Es bietet sich aus verschiedenen Gründen an, gerade Magnus Hundt für dieses Projekt zu Ratezuziehen: Erstens sind seine Person, seine Werke und also auch seine Meinungen zu den verschiedenenThemen von der Forschung bislang noch nicht umfangreich porträtiert worden. Es lässt sich also eine vergleichsweise unbekannte Figur entdecken und mit ihr eine weitere Position im Konzert verschiedener Stimmen auf der historischen Bühne. Geht es darum, unterschiedliche Probleme besser zu verstehen und dabei auch andere Sichtweisen kennenzulernen, ist ein «Mehr»anPerspektiven fast immer besser.
Zweitens bietet Hundt aber nicht nur quantitativ einen Mehrwert, sondern auch qualitativ. Seine bemerkenswerten philosophischen Positionen zeigen die Vielfalt mittelalterlicher Philosophie – und das sogar innerhalbder für die Scholastik des Spätmittelalters typischen Schulen.
Für Hundt gilt dies auch für die Logik. Deren Nutzen und Gegenstand beschreibt er in einer recht eigentümlichen Weise und versteht damit verbunden auch das Verhältnis von Begriff, Gegenstand und dem erkennenden Subjekt auf eine interessante Art.Diese lohnt sich, hier und auch anderswo eingehender vorgestellt zu werden, weil seine Position zur Natur der Logik ein wichtiger Teil seiner Vorstellungen von Bildung und von der Universität ist.2 Doch nicht nur Hundts besonderes inhaltsbezogenes Logikverständnis, sondern auch sein Menschenbild, das er umfänglichineinem eigenen Traktat thematisiert hat, verdienen es aus dem gleichen Grund, etwas detaillierter besprochen zu werden. Hundt ist der Forschungslandschaft also auch qualitativ von Nutzen und stellt sich auch philosophiehistorisch als eine grosse Bereicherung heraus.
Drittens ist Magnus Hundt zur Lösung der bevorstehenden Aufgabe deshalb von besondererBedeutung, weil die (wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen) Herausforderungen in der Zeit, in der er lebte, durchaus den gegenwärtigen Herausforderungen ähnlich waren. Ein veränderter Umgang mit Öffentlichkeit durch neu entstehende Medien, die Frage nach sich ändernden wissenschaftlichen Paradigmen und universitären Curricula, der Umgang mit gesellschaftlicher Spaltung und polemischenKonfrontationen und insgesamtein sich änderndes Verständnis von der Rolle der Universität in der Gesellschaft sind nur einige Beispiele dafür.
Viertens offenbaren mannigfaltige Quellen, die von und über Magnus Hundt im Laufe seines Lebens und darüber hinaus entstanden sind, auch verschiedene Rollen, die er im akademischen Leben gespielt hat. Sie sind für die Zwecke dieser Arbeit besonders interessant. Neben der Rolle des Philosophen und Logikers,die eben bereits schon vorgestellt worden ist, trifft man Hundt auch als bekennenden Thomisten an. Was es im späten 15. Jahrhundertheisst, Anhänger einer solchen Schule zu sein und sich trotzdem(oder sogar gerade deshalb)verschiedenste Ideen und Gedankenanzueignen, führt Hundt in den verschiedensten Traktaten
2 Zur Logik vgl. Kapitel 5.3 und Maarten Hoenen, «Being as the Object of Knowledge. On the Relationship between Logic and Metaphysics in the Late Middle Ages», in Being,hrsg. Nadja Germann und Pasquale Porro, On What There Was 1(Turnhout:Brepols, angenommen). Ausserdem Maarten Hoenen, «Grammar, Logic, and Cognition:Magnus Hundt (1449–1519) and the Notion of Material Supposition», Mediaevalia. Textos eEstudos 41, Nr. 1(2022): 75–94.
deutlich aus. Vondiesen Quellen kann man einiges über Schuldynamiken im universitären Umfeld erfahren.
Als Lehrer und wohl auch als recht erfolgreicher Didaktiker erfahren wir insbesondere aus einem Lehrbuchzur Logik (dem «Compendium totius logicae»), mit welchen pädagogischen Mitteln sich Logik im Spätmittelalter an der Universität unterrichten liess und wodurch sich guteselbst konzipierte Lehrbücher schnell verbreiteten und eine hohe Auflagenzahl erreichten.
Doch auch aus der Rolle des Universitätsmitgliedes,das mit verschiedenen
Aufgaben der akademischen Selbstverwaltung betraut war, kann Hundt den modernen Lesendenseine Sicht schildern. Als früherer Dekan, Rektor, Gutachter und Mitglied der Fakultätsversammlungander Universität Leipzig ist er eine wichtige Quelle zur Rekonstruktion eines Standpunktesfür die akademische Selbstverwaltung.
Vonseiner Rolle als späterer Theologeund Anthropologe lernt die an Hundt interessierte Person aus seiner anthropologischen Schrift, wie akademischeAnsichten insbesondere auch von einem gewissen Welt- und Menschenbild gesteuert werden, aber sich auch Prototypen einer neuen akademischen Disziplin entwickeln und Disziplintraditionenetabliert werden.
In seiner von aussen aufgezwungenen Rolle des Feindbildes der hegemonialhumanistischen Bewegung kann man von Hundt erfahren, was es heisst, mit gesellschaftspolitischem Druck auf und polemischen Diffamierungen gegen die etablierte universitäre Wissenschaft umgehen zu müssen. Hundt war nämlich auch in den sogenannten «Dunkelmännerbriefen»persönlich diffamiert worden, um die damals institutionalisierte Wissenschaft zu karikieren. Schliesslich verrät Hundt auch in der Rolle des historiografisch Rezipierten einiges über akademische Dynamiken. Seine Rezeptionsgeschichte war nach den hegemonial-humanistischen Verunglimpfungen im frühen16. Jahrhunderteher negativ konnotiert. Dieses Bild scheint sich erst in den letzten Jahren zu wandeln. Damit wird er zum paradigmatischen Fall für die Notwendigkeit einer diversifizierten und quellenkritischen Philosophiegeschichtsschreibung
All diese unterschiedlichen Rollen,die Hundt als historische Figur gespielt hat, machen ihn zum idealen Charakter für einen Austausch zu aktuellenund vergangenen Debatten über die Universität.
Nachdem Magnus Hundt im Kapitel 2als der Austauschpartner und Inspirationsquelle für diese vorliegende Arbeit dargestellt ist und seine Biografie und Werke vorgestellt sind, werden in fünf weiteren Kapiteln die bereits angekündigten Fragestellungen zum Verständnis der Universität genauer betrachtet.
Im Kapitel 3über die Ambiguität und Vereindeutigung zeigt Hundts Rezeptionsgeschichte, dass gegenwärtige Vereindeutigungstendenzen, die jetzt in der Hundt-Forschung gegenläufig sind, in der Regel mit Schwierigkeiten für eine akademischePersönlichkeit und ihre Nachwirkung verbunden sein können.