






MITTELNIEDERDEUTSC HE BIBLIOTHEK
Bernd Bastert
Elisabeth de Bruijn (Hg.)
![]()







MITTELNIEDERDEUTSC HE BIBLIOTHEK
Bernd Bastert
Elisabeth de Bruijn (Hg.)
Edition, Übersetzung, Kommentar.
Mit einem Anhang zum ‚Trierer Floyris‘ und zu ‚Flors inde Blanzeflors‘
Herausgegeben von Andreas Bieberstedt, Jörn Bockmann, Franz-Josef Holznagel und Ingrid Schröder
Band 2
Edition, Übersetzung, Kommentar. Mit einem Anhang zum ‚Trierer Floyris‘ und zu ‚Flors inde Blanzeflors‘
Schwabe Verlag

Open Access: Wo nicht anders festgehalten, ist diese Publikation lizenziert unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung, keine kommerzielle Nutzung, keine Bearbeitung 4.0 International (CC BY-NC-ND 4.0)
Jede kommerzielle Verwertung durch andere bedarf der vorherigen Einwilligung des Verlages.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2025 bei den Autor:innen; Zusammenstellung © 2025 Bernd Bastert, Elisabeth de Bruijn, veröffentlicht durch Schwabe Verlag Berlin GmbH, Marienstraße 28, 10117 Berlin
Abbildungen Umschlag: Kungliga Biblioteket, Cod. Holm. Vu 73; Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 1203 Helmst.; Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Ms. Germ. 8o 186; Biblioteka Gdańska Polskiej Akademii Nauk, Ms. 2418; Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Fragm. 2 Umschlaggestaltung: icona basel gmbh, Basel
Layout: icona basel gmbh, Basel
Satz: Anika Meißner, Bochum
Druck: Hubert & Co., Göttingen
Printed in Germany
ISBN Printausgabe 978-3-7574-0063-7
ISBN eBook (PDF) 978-3-7574-0149-8
DOI 10.31267/978-3-7574-0149-8
Das eBook ist seitenidentisch mit der gedruckten Ausgabe und erlaubt Volltextsuche. Zudem sind Inhaltsverzeichnis und Überschriften verlinkt.
rights@schwabeverlag.de www.schwabeverlag.de
1.1BearbeitungenimdeutschsprachigenRaum..........10
1.2DiemittelniederländischeBearbeitung.............12 2ZurForschungsgeschichte........................13
3Dermittelniederdeutsche„FlosundeBlankeflos“............17
3.1DiemittelniederdeutscheBearbeitung.............17
3.2DiehandschriftlicheÜberlieferungvon„FlosundeBlankeflos“18
4DieripuarischenFragmentevon„FlorsindeBlanzeflors“(M).....24
5Der„Trierer(maasländische)Floyris“(T)................25 6ZurTextausgabe.............................27




DieerstenÜberlegungenfürdienunvorliegendenAusgaben,Übersetzungenund Kommentaredernieder-undmitteldeutschenVersionendes„FloireetBlanchefleur“StoffesgehenaufGesprächezurück,diediebeidenHerausgebervornunmehrüber einemJahrzehntgeführthaben.ImRahmeneinesWorkshopsanderUniversitätHamburg,beidemesumdieGründungderReihe‚MittelniederdeutscheBibliothek‘ging, habensichdieseGedankenspieledannspäterkonkretisiert.IndieTatumsetzenließen siesich,nachdemdieDFGdenAntragzurArbeitandieserAusgabeimMai2020positivbeschied.AufgrundderdamaligenEinschränkungendurchdieCorona-Pandemie verzögertesichderStartdesprojektiertenVorhabenszwareinwenig,dochdanach gingendieArbeitenzügigvoran.
EinwichtigesZielunsererAusgabebestandvonAnfangandarin,denmittelniederdeutschen„FlosundBlankeflos“,dermitfünfTextzeugeneineungewöhnlich breiteÜberlieferungaufweist,inderForschunggleichwohlwenigbekanntistund bislangnurseltenbehandeltwurde,ineinermodernenStandardsentsprechenden AusgabezupräsentierenunddurchdieBeigabedernhd.Erstübersetzungsowieeines KommentarsfürdieForschungwiefürdenakademischenUnterrichtattraktiver zumachen.DasGleichegiltfürdieebenfallswenigbehandeltenmitteldeutschen Versionen:den„Trierer(maasländischen)Floyris“,derdieälteste,aberleidernur fragmentarischerhalteneschriftlichüberlieferteFassungdeseuropaweitverbreiteten Stoffesüberhauptdarstellt,sowiedengleichfallsnurin,mittlerweileverschollenen, Fragmentenerhaltenenripuarischen„FlorsindeBlanzeflors“,derebenfallseinwichtigerTextzeugefürdiefrüheVerbreitungdesStoffesistundzudemeinegroßeRolle beidessenVerbreitungindenniederdeutschenSprachraumgespielthabendürfte.
UmderEinzigartigkeitallerÜberlieferungszeugenvon„FlosundeBlankeflos“ gerechtzuwerden,wurdeaufeinezwangsläufigatomisierendeundunübersichtliche Darstellungineinem‚klassischen‘ausführlichentextkritischenApparatverzichtet undnursemantischwichtigeLesarten,Plus-undMinusverse,Umstellungenund UmformulierungenindenübrigenHandschriftenverzeichnet.DierelativeKürze
derErzählungerlaubteesjedoch,ineinemAnhangalleTextzeugenineinersemidiplomatischenWiedergabesynoptischdarzustellen,sodasssämtlicheAbweichungen indenjeweiligenHandschriftenundFragmentenleichtmiteinanderverglichenwerdenkönnen(vgl.S.222–261).ÜberdiesgelangtmandurcheineQR-CodeaufS.221 zueinerSeitedesSchwabeVerlags,diedieAnsichtderSynopseingrößererSchrift undbessererLesbarkeitermöglicht,alsdiesinunsererAusgabeausdrucktechnischenGründenmöglichwar.DiplomatischeTranskriptionenderHandschriftenund FragmentehabenwirzudemdensieaufbewahrendenBibliothekenzurVerfügunggestellt,diesieimgünstigstenFallzusammenmitdenDigitalisatenonlinepräsentieren können.
BeiderArbeitandiesemVorhabenhabenwirHilfeundUnterstützungvonvielen Seitenerfahren.Fürdiegroßzügige,nichtnurfinanzielleUnterstützungmöchtenwir unsbeiderDFGbedanken,ohnederenFörderungeineRealisierungdesVorhabens kaummöglichgewesenwäre.DankgebührtebensodenBibliotheken,dieunsbereitwilligEinblickindieHandschriftenundFragmentegewährtenundDigitalisatezur Verfügungstelltenbzw.anfertigten:derKungligaBiblioteketinStockholm,derHerzogAugustBibliothekinWolfenbüttel,derStaatsbibliothekzuBerlin,derBiblioteka GdańskaPolskiejAkademiiNaukinGdansk(Danzig)sowiederStadtbibliothekTrier.
ImLaufederJahrehabenvielePersonenbeiderErstellungderEditionen,ÜbersetzungenundKommentaremitgeholfen.BeiFragenundProblemenzurdigitalenUmsetzungmitTranskribuskonntenwirunsanWouterHaverals(Antwerpen/Princeton) wenden.OhneAnikaMeißner(Bochum),derengeduldigeArbeitundingeniösenLösungenhättenwirdieUmsetzungundEinrichtungderTextefürdenDruckniemals bewältigenkönnen.MiriamKunna,GesaBlankemeyerundPilarGarciaDiazhaben inBochumunermüdlichLiteraturbesorgt,Editionen,ÜbersetzungenundKommentarekorrigiertundvielewertvolleHinweisegegeben.ChristinePutzo(Lausanne)und FrankWillaert(Antwerpen)warenunsstetskompetenteAnsprechpartnerinfachlichenFragen.Ihnenallendankenwirherzlich.Undschließlichgebührtauchdem SchwabeVerlagDankfürdieguteZusammenarbeit.
WenndieindenletztenJahrenentstandenenEditionen,Übersetzungen,KommentareundErschließungendazubeitragen,dass„FlosundBlankeflos“,der„TriererFloyris“und„FlorsindeBlanzeflors“zukünftiginUnterrichtundForschungstärkerberücksichtigtwürden,wäreunsereHauptabsichterreicht.
BerndBastertundElisabethdeBruijn,imJuli2024
Um1150/60entstandinFrankreicheineErzählung,dievonderunverbrüchlichen LiebeundTreuedesspanischen,unddasheißthiermuslimischen,KönigssohnsFloire zurchristlichenSklaventochterBlanchefleurhandelt,dieseineElternzuverhindern suchenunddeshalbdaswunderschöneMädchenverkaufen.Nacheinergefahrvollen Suche,beiderderPrinzeherseinenVerstandalsseineKörperkräfteeinsetzt,spürt erdieGeliebteendlichbeimHerrschervonBabylonaufundgelangtdurcheineList späterzuihr.DasPaarwirdjedochentdecktundzumTodeverurteilt,schließlichaber begnadigt.GemeinsamkehrensienachSpanienzurück,umdortdieHerrschaftzu übernehmenund,nachdemderneueKönigFloirezumChristentumkonvertiertist, dasLandzuchristianisieren.
DiefranzösischeErzählungistinzwei,inderälterenForschungstraditionmitden vonÉdélestandDuMéril(1856)geprägtenBegriffen‚versionaristocratique‘und‚versionpopulaire‘bezeichnetenVersionenüberliefert,dieseitKrüger(1938)meistneutraleralsVersionIundIIbezeichnetwerden.InderRomanistikwirdheuteeineUnterscheidungnachGattungsmerkmalenbevorzugt,wobeidieersteVersioninAnlehnung andiezeitgenössischenAntikenromaneals‚conte‘bezeichnetwird,währenddiezweiteaufgrundihresErzählverlaufsundderstärkerakzentuiertenritterlichenWerte,wie sieauchdiesogenannten‚romansd’aventures‘kennzeichnen,‚roman‘genanntwird (Obry2022).WirsprechenindieserEditionvonVersionIundII,womitjedochkeineswegseineHierarchiedesEntstehensimpliziertist.BeideVersionenstammenaus dem12.Jahrhundert,wobeiVersionIindreiHandschriftenausdem12.und13.Jahrhundert(sowieeinerKopieeinesdieserZeugenausdem15.Jahrhundert)erhalten
blieb.1 VersionIIistnurauseinerHandschriftausdemAnfangdes14.Jahrhunderts bekanntunddortleiderunvollständig,daderSchlussdesTextesfehlt.2
DiefranzösischenVersionenerlebteneinegewaltigeRezeptionsgeschichteundwurdensehrraschinvieleeuropäischenSprachenübersetzt.Nebendenfranzösischen Fassungenvon„FloireetBlancheflor“existierendeutsche,mittelniederländische(DiedericvanAssenede,„FlorisendeBlancefloer“,13.Jh.),mittelenglische(„Florisand Blancheflour“,Mitte13.Jh.),norwegische(„FloréssagaokBlankiflúr“,13.Jh.),schwedische(„FloresochBlanzeflor“,14.Jh.),dänische(„FloresocBlanzeflor“,um1500), spanische(„CrónicadeFloresyBlancaflor“oder„Chrónicacarolingia“,Ende13.Jh.), italienische(„CantaredeFiorioeBiancifiore“,toskanischum1300;Boccacios„IlFilocolo“,1338)undgriechische(„FlorioskaiPlatziaflora“,um1400)Fassungen.Im Drucksindzudemnocheinetschechische(„FloriazHispanij“,1519)sowieeinejiddische(„FlereBlankeflere“,17.Jh.)Fassungüberliefert.3 Diefürmanchemittelalterliche ErzählstoffezuhoheHürdedesBuchdruckskonntedieErzählunggleichinmehreren Volkssprachenüberwindenundging,infreilichveränderterForm,schließlichsogarin dieHochkulturderwestlichenModerneein,indemderStoffdasLibrettofürMozarts 1782uraufgeführtesSingspiel„DieEntführungausdemSerail“lieferte.4
1.1BearbeitungenimdeutschsprachigenRaum
ImdeutschsprachigenRaumwurdederStoffzwischendem12.und16.Jahrhundert nichtwenigeralssechsMalbearbeitet.VondiesenBearbeitungenhatdiemittelhochdeutschedurchKonradFleckinderForschungbeiweitemdiemeisteAufmerksamkeit gefunden.5 Seineum1220verfasste,als„FloreundBlanscheflur“bezeichneteFassung istmitrund8000VersenmehralsdoppeltsolangwiederfranzösischePrätext.VollständigüberliefertwirdsieallerdingsnurinzweiHandschriftendes15.Jahrhunderts.
1 A (Paris,BnF375,Bl.247vb–254va);B(Paris,BnF1447,Bl.1r–20v);C(Paris,BnF12562, Bl.69r–89r)(eineKopievonAausdem15.Jahrhundert)undV(Vatikan,palat.Lat.1971,Bl.85r–90v).WirzitierendieseVersionimFolgendennachderAusgabevonLeclanche(2003);einedeutsche Übersetzung,dieinderVerszählungallerdingsdifferiert,findetsichbeiKolmerschlag(1995).
2 D(Paris,BnF19152),Bl.193ra–205vc.WirzitierendieseVersionimFolgendennachderAusgabevonPelan(1975).
3 AusschnitteausallengenanntenWerkenundkurzeEinführungenzuihnenfindensichinder französischsprachigenAnthologievonLodèn,Obry(2022).
4 EinenkritischenÜberblickzureuropäischenStoff-undÜberlieferungsgeschichtebietetPutzo (2015,S.1–27),zurniederländischenunddeutschenStofftraditionvgl.Winkelman(2010).
5 WirzitierendieseFassungimFolgendennachderAusgabevonPutzo(2015),vgl.auchSommer (1846).
AufderGrundlagedermittelhochdeutschenFassungentstandimspäten15.JahrhundertinZüricheineindreiHandschriftenerhalteneKurzfassungnamens„Florusund Pantschiflur“,dieim„BuchvomHeiligenKarl“alsVorgeschichteeinerhagiographischenKarls-Darstellungdient.DieVerbindungzwischendiesen,aufdenerstenBlick ganzunterschiedlichenStoffbereichenergibtsichdaraus,dassFloreundBlanscheflur beiKonradFleck,ebensowieinvielenanderenBearbeitungendesStoffes,alsEltern vonBerta,derFrauKönigsPippins,undsomitalsGroßelternKarlsdesGroßenerscheinen.ImJahr1499erschienderStoffunterdemTitel„FlorioundBianceffora“bei KonradHochfederinMetzauchingedruckterForm;dieserDruck,derzahlreicheAuflagenerlebte,istdieQuellefürdieBearbeitungdesStoffesdurchHansSachs(„Florio, deskönigssonaußHispania“,1551).DieVorlagedesdeutschenDruckswarallerdings nichtFleck,sondernBoccaccios„IlFilocolo“undsomiterstmalsimdeutschsprachigenRaumeineFassung,dieeindeutigaufdieVersionIIzurückgeht.DieanderendeutschenBearbeitungenlassensich,derbisherigenForschungsmeinungzufolge,direkt oderindirektaufdieVersionIzurückführenoderlehnensichzumindeststarkansie an,wobeiineinigenBearbeitungenallerdingsauchMotiveausVersionIIbegegnen (s.u.).
Schonum1170undsomitnurwenigeJahrenachderfranzösischenVorlageentstandimmaasländischenRaum,wohlinderGegendumKrefeldundVenlo,dieerste deutscheBearbeitungdesStoffs.Erhaltenistsieheuteallerdingsnurnochinmehreren,auseinereinzigenHandschriftstammendenFragmenten,dievermutlichEndedes 12.JahrhundertsvoneinemhessischenAbschreiberkopiertwurden.Dieinsgesamt 369VersewerdennachihremEntdeckungs-undAufbewahrungsortals„Trierer“,aufgrundderOriginalsprachemanchmalaberauchals„maasländischerFloyris“bezeichnet(vgl.Abschnitt5).Im13.JahrhundertentstandimripuarischenRaum,vielleicht inKölnoderUmgebung,eineweiteredeutscheBearbeitung,diedenfranzösischen Prätextoffenbarkürzte.WiestarkdieseKürzungeninsgesamtwaren,lässtsichheute ebensowenigbeantwortenwiedieFragenachderVorlage,dadieripuarischeBearbeitung,diedenTitel„FlorsindeBlanzeflors“erhielt,nurinmehrerenkleinenPergamentstreifenerhaltenistbzw.war,dieinsgesamt184Verseumfassen.DieFragmente sindheuteverschollen.DieseripuarischeVersionscheintdieVorlagefüreinerund 1500VerseumfassendeniederdeutscheAdaptationmitdemTitel„FlosundeBlankeflos“gewesenzusein,dienochim14.Jahrhundertentstandenseinkönnte,dochnur ausHandschriftendes15.Jahrhundertsbekanntist(vgl.Abschnitt4).
NurwenigeJahrzehntenachderÜbersetzungKonradFlecksentstandvermutlichum dieMittedes13.JahrhundertseineflämischeÜbersetzungdesFloire-Stoffes:„Floris endeBlancefloer“ . 6 DerAutordieser,unabhängigvonderhochdeutschenFassungentstandenen,ebenfallsaufderfranzösischenVersionIbasierendenÜbersetzungnennt sichDiedericvanAssenede,dessenNameseit1262inUrkundenalsgräflicherBeamtererscheint.AuchwenndieseIdentifizierungnichtganzsicherist,passtderDichter dochindasProfileinesgebildetenGeistlichen,dernebenderVolksspracheauchFranzösischundLateinbeherrschte(Janssens,2015,S.139).Seine3974Verseumfassende ÜbersetzungfolgtdemfranzösischenOriginalziemlichgetreu,enthältabereinigeEingriffe,diedenlogischenAblaufderGeschichteverbessernundUnvollkommenheiten inderQuellekorrigieren.AußerdemhebtDiederichöfischeElementenochstärker hervoralsdiefranzösischeFassung,möglicherweiseweilerfüreinPublikumschrieb, dasdiehöfischenNormenundWertedesHochadelsnachahmenwollte.DiedericsBearbeitungistineinemFragmentausderZeitum1300undineinereinzigen,fastvollständigenSammelhandschriftausderZeitum1350erhalten.
DiedericsFassungbildetzugleichdieGrundlagefürdieProsabearbeitung,diezu Beginndes16.JahrhundertsinAntwerpenindenDruckgelangte:die„Historievan FlorisendeBlancefleur“.WährendinvielenandereneuropäischenSprachen,darunter auchimDeutschen,BoccacciosAdaptationalsVorlagefürDruckbearbeitungendiente,fanddermittelniederländischeVersromanDiedericsindenNiederlandendurch eineProsifizierungeinneuesPublikum.WieausdemProloghervorgeht,wendetsich derDruckunteranderemaneinPublikumvonjungenMännernundFrauen,dieausdrücklichaufgefordertwerden,sich(imangeblichenGegensatzzuFlorisundBlancefleur)vonderLiebezuGottleitenzulassen–eineBotschaft,dieinsostarkemWiderspruchzumunverändertenInhaltderErzählungsteht,dassderPrologalsMittelzur UmgehungeinermöglichenZensurverstandenwordenist(Winkelman1993).Vom frühestenbekanntenDruck(Antwerpen:JanvanDoesborch,um1517)istlediglich einFragmenterhalten.DenältestenvollständigenTextvon„FlorisendeBlancefleur“ kennenwirauseinemAntwerpenerDruckvonGuillaemvanParijs(1576).
6 Wir zitierendieseVersionimFolgendennachderAusgabevonWinkelmanundWolf(2015).
Einderartintensives,sichübermehrereJahrhunderteerstreckendes,inzahlreichen unterschiedlichenBearbeitungenundDialektenmanifestierendesInteresseaneinem weltlichenErzählstoffausderRomaniaistsingulärinderdeutschenLiteraturdes Mittelaltersundmanwürdeerwarten,dasssichdasauchindergermanistischenForschungwiderspiegelt.DochdasGegenteilistderFall.VondenangeführtensechsunterschiedlichenBearbeitungendesfranzösischenStoffesistbislangnurdiemittelhochdeutscheFassungdesKonradFleckstärkerindenFokusderForschunggeraten–und auchdas,nacheinemgewissenHöhepunktim19.undfrühen20.Jahrhundert,erst wiederindenletztenzehnbiszwanzigJahren.
WesentlichschlechteristesumneuereStudienundUntersuchungenzudendrei Bearbeitungenbestellt,dienichtdemoberdeutschenRaumentstammen.ImFallder beidennurfragmentarischerhaltenenWerkeliegtdasvorallemamnichtoptimalen Überlieferungszustand,dochspieltedabeisicherlichauchdieungünstigeEditionslageeineRolle.„FlorsindeBlanzeflors“warbisherlediglichineineranentlegenemOrt veröffentlichtenArbeitgreifbar(Schafstaedt1905/06).DiedabeiverfolgtenEditionsrichtlinienhatderHerausgebernichtdeutlichoffengelegt.Der„Trierer(maasländische)Floyris“wurdedurchSteinmeyer(1877/78),späternocheinmaldurchG.de SmetundM.Gysseling(1967)mehroderwenigerdiplomatischabgedruckt,wasdie Lesbarkeitnichtunbedingterleichterte.FürbeideschonaufgrundderEditionsweise,aberauchwegendesSprachstandesnichtganzeinfachrezipierbarenTextefehlte überdieslangeZeiteineneuhochdeutscheÜbersetzung,wasderenGebrauchzusätzlicherschwerthat;eineniederländischeÜbersetzungdes„Trierer(maasländischen) Floyris“findetsichbeiWinkelman2013;eineÜbersetzungvon„FlorsindeBlanzeflors“jetztbeiPutzoundBastert2024.DieBeschäftigungmitdiesenTextzeugenhat sicherlichgleichfallsnichtgefördert,dassdiebeidenWerkfragmente,genauwie„Flos undeBlankeflos“,ausden‚NiderenLanden‘,alsodemniederdeutschenbzw.demheutigenniederländisch/deutschenGrenzraumstammen.DenndiemittelalterlicheLiteraturdiesesRaumsstehtfastschontraditionellnichtimFokusderstarkaufdenoberdeutschenRaumfokussierendenmediävistischenGermanistik.Untersuchtwordenist derstoffgeschichtlichinteressante,frühhöfische,bereitsum1170verfasste,abernur fragmentarischerhaltene„Trierer(maasländische)Floyris“,derdieersteBearbeitung desStoffesinderGermaniadarstellt,dannauchindenletztenJahrzehnten–bisaufwenigehandbuchartigeArtikel(z.B.Tervooren2006)–ingrößeremUmfangganzüber-
wiegenddurchdieNiederlandistikbzw.durchniederländischeundbelgischeForscher (DeSmet1962–1995,Winkelman1977–2008,vanOostrom2006,S.175–178).„Flors indeBlanzeflors“istderinternationalenForschungsogutwieunbekanntgeblieben undauchdieGermanistikhatdieFragmentebisherlediglichregistriert,kaumjedoch untersucht;vgl.neuerdingsallerdingsPutzoundBastert(2024).
NichtsehrvielbessersiehtesmitderAufmerksamkeitfürdenmittelniederdeutschen„FlosundeBlankeflos“selbstaus,dermitfünfHandschriftennichtnurdasmit AbstandambestenüberliefertevolkssprachigeWerkdergesamtenmittelniederdeutschenerzählendenLiteraturüberhauptbildet.EineähnlichdichteÜberlieferungwie dermittelniederdeutsche„FlosundeBlankeflos“,dieaugenscheinlichfüreineintensiveRezeptiondiesesWerkesspricht,hatimgesamteneuropäischenRaumansonsten keineandereFassungdesStoffesaufzuweisen.GleichwohlfanddieseBearbeitungbislangnurwenigBeachtung.ZuBeginndes20.JahrhundertswurdederTextvorallemfürstemmatologischeÜberlegungenherangezogen.L.Ernst(1912)erstellteein, inzwischeninmehrerenPunktenumstrittenes,Stemmadereuropäischen„Floireet Blancheflor“-Überlieferung.Demnachdürftedieniederdeutsche/ripuarischeFassung von„FlosundeBlankeflos“,fürdiesichkeinedirektenAbhängigkeitsbeziehungenzu denübrigendeutschenundniederländisch-flämischenFassungenkonstatierenlassen, aufeinenichterhaltenefranzösischeVorlagezurückgehen,diedenflämischenund hochdeutschenBearbeitungennahesteht.DiemeistenÜbereinstimmungenweistsie mitderfranzösischenHandschriftB(Paris,BnF,1447)auf,dieVersionIrepräsentiert. DerunbekanntefranzösischePrätextvon„FlosundeBlankeflos“mussallerdingsauch mindestenseinePassageenthaltenhaben,dieinderPariserHandschriftBebensowie inderniederländisch-flämischenundderhochdeutschenFassungfehlt,jedochaus derfranzösischenHandschriftA(Paris,BnF375)sowieausderVersionIIbekannt ist.EshandeltsichumdieLöwengrubenszene,inderFlossichausTrauerumden vermeintlichenTodvonBlankeflosineinerArtTiergehegeamHofseinesVatersvor dieLöwenwirft,dochdurcheinWundervonihnennichtgefressenwird(vgl.auch denKommentarzuVv.471–501).OttoDeckerlegte1913eineAusgabevor,dieden VorgabenderLachmann’schenTextkritikvorbehaltlosfolgtundschonalleindeshalb nichtmehrdenaktuellenEditionserfordernissengerechtwird.Ererwogdabeiallerdings,dassdieniederdeutscheBearbeitungaufeinerfranzösischenFassungbasieren könnte,diewederVersionInochVersionIIentspricht,wasneuerdingsauchPutzo undBastert(2024)wiederdiskutieren.Die1941abgeschlossene,maschinenschriftli-
cheDissertationvonE.SchadbliebbislangdieeinzigegrößereArbeit,diesichgleichermaßenmitdermittelhochdeutschenwiemitdermittelniederdeutschenBearbeitungdesStoffesbeschäftigt.ÜberallgemeineErklärungsmuster,wiez.B.dieAnnahme,dassKonradFlecksBearbeitungfüreinhöfischesPublikumgeschriebenworden sei,währenddermittelniederdeutscheBearbeiter,denSchadfüreinen„westfälischen Kaufmann“hält(S.11),„unbeschwertvondenBegriffenderhöfischenEthik“(S.31), fürein„volkstümlichesPublikum“geschriebenhabe,dasvorallem„inbürgerlichen Kreisen“zusuchensei(S.17),gelangtdieVerfasserindabeifreilichkaumhinaus.Die ThesevondermittelniederdeutschenLiteraturals‚Hanseliteratur‘,diesichseitStammlers1919erschienenerStudie„DiedeutscheHanseunddiedeutscheLiteratur“durchgesetzthatteundvonDieperink(1939/40),Teske(1938/39)undKrogmann(1971) aufgenommenwurde,übernahm1977auchHartmutBeckersinseinerBesprechung derRomane„FlosundBlankeflos“und„ValentinundNamelos“,indemerpostulierte, dass„diefünfHss.,indenensieüberliefertsind,fastallenachweislichausdemBesitz hansischerKaufleutestammen,fürdieliterarischenInteressendesniederdt.Bürgertumsim14./15.Jh.[zeugen]“(Beckers1977,S.28).InspiriertwurdeBeckerszudieser AussagevermutlichdurchdieBesitzgeschichtedes„Hartebok“(Hamburg,Staats-und Universitätsbibliothek,102cinscrinio),das„ValentinundeNamelos“enthältundsich alseinzigederfünfHandschriftenwohlimBesitzdes‚Flandernfahrers‘und‚Aldermanns‘(d.h.nichteinesregulärenKaufmanns)JohannCoepbefand.7 Auchwenndie HansemöglicherweiseeinengewissenEinflussaufdieVerbreitungvonLiteraturhatte, istihreRollebeiderenProduktionwenigeroffensichtlich(Geeraedts1987).Darüber hinausgibteseinigeBeispielemittelniederdeutscherHandschriftenmiterzählender weltlicherLiteratur,diegerademitadeligenBesitzerninVerbindunggebrachtwerdenkönnen,wiedieStockholmerHandschriftvon„FlosundeBlankeflos“(s.u.),aber aucheineweitereStockholmerHandschrift(Stockholm,KB,Vu82)sowiederBurgsteinfurterCodex(FürstzuBentheimscheSchloßbibliothek,Hs.28[B37])mitdem niederdeutschen„BoecvanMerline“(vgl.DeBruijn2013und2021).AuchCieslik, dienoch1989BeckersAnsichtzustimmte,plädiertineinerjüngerenStudie(2019),in dersie„FlosundBlankeflos“mitErgebnissenderneueren„FloreundBlanscheflur“Forschungvergleicht,fürbreitereRezeptionskreise.
AussprachgeschichtlicherPerspektivewurdenzweimittelniederdeutscheSammelhandschriften,dieu.a.ebenfalls„FlosundeBlankeflos“enthalten,imspäteren20.Jahr-
7 BeckerskanntedamalswohldasFragmentAnochnicht,dasererst1980edierte.
hundertinzweiMünsteranerDissertationenuntersucht(Geeraedts1984zurStockholmerHandschrift;Krobisch1997zurWolfenbüttelerHandschrift;jeweilsmitTranskriptionendesgesamtenCodex).EineAusgabederBerlinerHandschriftliegtnur inFormeinerMagisterarbeitvor(Sporbeck1987)undistdaherschwerzugänglich.
MehrfachhatsichinderletztenZeitElisabethdeBruijnmitliteraturwissenschaftlichenbzw.buchhistorischenFragestellungenzu„FlosundBlankeflos“auseinandergesetzt(2011,2012a,2012b,DeBruijnundKestemont2013).AuchinihrerStudie ‚Verhalendeverzamelingen‘(2021),inderKontextualisierungsprinzipienmittelalterlicherCodicesuntersuchtwerden,dieüberwiegendweltlicheErzählliteraturenthalten, nimmt„FlosundeBlankeflos“einewichtigeStellungein.EineneueEinschätzungvon „FlosundBlankeflos“imRahmenderStoffgeschichtebietenPutzoundBastert(2024). InsgesamtabergiltfürdieAdaptationendesStoffes,dienichtdemoberdeutschenBereichzuzurechnensind,nochdeutlicherdas,wasPutzo(2015,S.33)alsForschungsaufgabefürKonradFlecksBearbeitungformulierthat:Siebleibenzuentdecken.
MitindiesenZusammenhanggehören,wiegesehen,auchdieheuteverlorenen Bruchstückevon„FlorsindeBlanzeflors“,dieeinevermutlichnochausdem13. JahrhundertstammenderipuarischeFassungrepräsentierten.DiegenaueBeziehung zwischendemmittelniederdeutschen„FlosundeBlankeflos“unddemripuarischen „FlorsindeBlanzeflors“kannaufgrunddesfragmentarischenCharaktersdesLetzterenzwarnichtganzgeklärtwerden,dochzeigeneinzelneÜbereinstimmungenauf derVersebene,dassdiebeidenVersionenoffenbardiegleicheFassungdesStoffesbieten(s.Kap.4sowiePutzoundBastert2024).ObschonderWortlautderfrühenripuarischenHandschriftteilweisedemdermittelniederdeutschenFassungentspricht, weichterinanderenPassagendochsostarkdavonab,dasssieindenknappenLesartenapparatunsererAusgabedesmittelniederdeutschenWerkesnichtgutintegriert werdenkonnte.„FlorsindeBlanzeflors“wurdedeshalbalseigenständigerTextbehandeltundediert,nichtzuletztauchdeshalb,weilerstoffgeschichtlichvoneiniger Bedeutungist.DenndieripuarischeBearbeitungdes13.Jahrhundertsbildetnach Beckers(1980a)dieVorstufeeinerverlorenenniederdeutschenAdaptationausdem 14.Jahrhundert,dieihrerseitsPrätextfürdiesämtlichdem15.Jh.entstammenden „FlosundeBlankeflos“-Handschriftenseinkönnte(füreineausführlicheDiskussion ihrerBeziehungvgl.auchPutzoundBastert2024).SomithättesichdieWanderung desStoffesvomfranzösischsprachigenRaum,vielleichtüberHandelswege,durchdas RheinlandnachNorddeutschlandvollzogen(vgl.Dieperink1939–40,Geeraedts1987,
Krobisch1997)undnichtunbedingt,wiediesdie(ältere)Forschungvermutete,durch VermittlungvonHansekaufleutenüberNord-undOstsee(vgl.Stammler1919und Teske1938/39).
DerInhaltvon„FlosundeBlankeflos“entsprichtimGroßenundGanzendemanderer westeuropäischerVersionen,allerdingsmiteinigenAbweichungenaufderEbeneder Details(vgl.dazuauchdenKommentar).SowirdderspanischeHerrscherhieralsKönigvon(vermutlich)NavarrakonkretisiertunddiegefangeneChristinistdieEhefrau undnichtdieTochtereinesfranzösischenGrafen.Andersalsindenmeistenanderen VersionenwerdenFlosundBlankefloszuOsternundnichtamPalmsonntaggeboren. UndalsderKönigmitdersichentwickelndenLiebezwischendenKindernunzufriedenist,entfernternichtFlos,sondernBlankeflosvomHof.Nachdemdiesnichtden gewünschtenEffekthat,wirdBlankeflos,imUnterschiedzudenanderenBearbeitungen,inRomstattineinerHafenstadtverkauft.ImGegensatzzuanderenVersionen fließtWasserindas(oderausdem)ScheingrabvonBlankeflos,wennesgeöffnetwird, ohnedassesdafüreineklareErklärunggäbe.RestederStofftraditionfindensichin derBemerkung,dassderPokal,fürdenBlankeflosverkauftwurde,‚vonTroja‘sei, d.h.SzenenausdemTrojanerkriegenthält,wieesz.B.inderniederländischenund mittelhochdeutschenTraditionausführlicherzähltwird.ZudenDetailabweichungen amEndegehörenunteranderemdieBemerkungen,dassdieLiebendenmit„presters bant“verheiratetwerdenunddassihrKindVredelingh(undnichtBerta)heißt.
StoffgeschichtlichvongroßerBedeutungistjeneSzene,inderFlossichausTrauer umdenvermeintlichenTodBlankeflossesnichtnurmiteinemSchwert(Hs.W)bzw. einemMesser(Hs.B)(undnichtmiteinemGriffelwieindersonstigenStofftradition) vergeblichdasLebenzunehmenversucht,sondernsichzusätzlichineineLöwengrubewirft.PutzoundBastert(2024)habendaraufhingewiesen,dasseinigestarkbeschädigteVersederripuarischenFassung(Vv.140–150)miteinigerWahrscheinlichkeit ebenfallsdieseLöwengrubenszenerepräsentieren.DamitwäredieältereAnsichtder romanischenForschung,dassderSuizidversucheineEigenheitderVersionIIunddie entsprechendeStelleinderfranzösischenHandschriftAsowieimmittelniederdeutschenRomaneineInterpolationsei,widerlegt.Esscheintvielmehrnaheliegend,dass
esBearbeitungengab,dieElementebeiderÜberlieferungenenthieltenundsomitAbweichungenzwischendenTextzeugenimwesteuropäischenRaumerklärenkönnen: „DererstaunlichenVariabilitätundzugleichvergleichsweiseschlechtenÜberlieferung desfranzösischen‚Floire‘-Romansim12.undbeginnenden13.Jahrhundert–fürdie auchdieniederländisch-deutschenFassungenmitihrenunterschiedlichen,durchweg nichterhaltenenfranzösischenVorlagensprechen–wirddasinderFrühzeitderForschungetabliertezweiteiligeModellnichtgerecht.“(PutzoundBastert2024).
Derniederdeutsche„FlosundeBlankeflos“umfasstindenüberliefertenTextzeugen nurca.1500Verse,wenigeralsdieHälftedesfranzösischenTexts.DurchdieKürzungenwurdedieErzählungbisaufdenKernreduziert.Innerhalbderniederdeutschen Literaturgehört„FlosundBlankeflos“indeszudenlängerenerzählendenTextenund wirddortnurvon„ValentinundeNamelos“(ca.2600Verse)anLängeübertroffen.8 Andersalsdiemhd.Fassung,die,soweitwirdasbeurteilenkönnen,offenbaralsEinzeltextüberliefertwurde,war„FlosundBlankeflos“inallenbekanntenFällenTeileiner größerenTextsammlung,sodassseineRezeptionindiesenHandschriftenzumTeil durchdieDynamikeinerVergesellschaftungmitanderenTextengeprägtwordenist.
3.2DiehandschriftlicheÜberlieferungvon„Flosunde Blankeflos“
DiefünfTextzeugenvon„FlosundeBlankeflos“deckendengesamtenniederdeutschenSprachraumab(vgl.Abbildung1).SiesindallesamtimTextverbundeinerSammelhandschriftüberliefert(s.o.),wasvermutlichzuihrerKonservierungbeigetragen hat.DreiderSammelhandschriftensindmehroderwenigervollständigerhaltengeblieben,zweianderenurfragmentarisch.IhrejeweiligenSiglenverweisenaufihren derzeitigenAufbewahrungsort.Nurdiezuletztentdeckten,1980vonHartmutBeckers herausgegebenenundebenfallsinBerlinaufbewahrtenDoppelblättererhieltendieSigleA.
Stockholm(S)(KungligaBiblioteket,Cod.Holm.Vu73)
DieStockholmerHandschrift(vgl.Abbildung2),dieLeithandschriftdervorliegendenEdition,istderältesteundbisaufdasfehlendeAußenblattdersechstenLageam vollständigstenüberlieferteTextzeuge.GenaueruntersuchtwurdesievonGeeraedts
8 AusgenommendasSteinfurter„BoecvanMerline“,dasallerdingseineniederdeutsche‚Umschreibung‘einesursprünglichniederländischenTextsbietet.

Abbildung1:Verbreitungder„FlosundeBlankeflos“-Handschriften (1984)undDeBruijn(2021).Sieentstandca.1420imNordendesniederdeutschen Raumes,vermutlichinderNähevonSzczecin(Stettin).Dieeinspaltigbeschriebene Papierhandschriftmisst202x141mm.SiewurdevonzweiHändenineinerordentlichenKursivschriftgeschrieben.DiesorgfältigeSchriftunddieTatsache,dassdie TextgrenzendieLagengrenzenüberschneiden,erweckendenEindruckeinerplanmäßigenKompositionderHandschrift.SieenthältdiefolgendenTexte:
Bl.1r–33r„ValentinundeNamelos“
Bl.33r–47r„Devorlornesone“
Bl.47r–67r„FlosundeBlankeflos“
Bl.67r–83r„Theophilus“
Bl.83v„DieBuhlschaftaufdemBaume“
Bl.84r–95v„Dedeifvanbrugghe“
Bl.96r–97v„Desegheler“
Bl.98vKostenübersicht
InhaltlichzeigtdieHandschriftInteresseanweltlichenerzählendenTexten,wobeidie längerenTexteamAnfangunddieKurzgeschichtenamEndestehen.„DieBuhlschaft aufdemBaume“istdereinzigeText,derzweispaltigaufeinerFolioseitegeschriebenwurde.AufgrundderTatsache,dassderSchreiberfürdieSchlusszeilenanden
Randausweichenmusste,hatdieserKurztextdenCharaktereinesspäterenEinschubs. DerKostenüberblickaufFol.98v,deraufdasDeckblattgeklebtist,istvermutlich demniederdeutschenErstbesitzerzuzurechnen.DaerseineAusgabenfüreineReise aufzeichnete,dieüberZiegenort,Altwarp,Anklam,Ranzin,GreifswaldundPolice (Pölitz)führte,wurdevermutet,dassereinKaufmanngewesensei(Meier1970).Noch im15.JahrhundertmussdieHandschriftaberindenBesitzdesschwedischenRitters undRatsherrnArendBentssongelangtsein,wieauszweiWappenhervorgeht,die mitdenBuchstaben‚A‘und‚B‘indasfreigelegteHolzdesEinbandsgeschnittensind (Geeraedts1984).AufgrundderengenVerbindungenzumdeutschenSprachraum unddesStatusdesNiederdeutschenalsZweitsprachederskandinavischenOberschichtverwundertesnicht,dassderschwedischeAdelzumRezipientenkreisder niederdeutschenLiteraturgehörte.EinederwenigenanderenerhaltenenniederdeutschenSammelhandschriftenmitweltlicherLiteratur(Stockholm,KB,Cod.Holm.Vu 82)enthältnichtnureinigeniederdeutscheTexte,sondernauchdiedänische„Karl MagnusKrønike“vondergleichenKopistenhand.Schließlichseidaraufhingewiesen, dassdiezweischwedischen„FloresochBlanzeflor“-Handschriften(Stockholm,KB,D 3undD4a)ebenfallsdenText„NämnlosundValentin“enthaltenundsomitInteresse andengleichenErzählstoffenbezeugen.
Wolfenbüttel(W)(HerzogAugustBibliothek,Cod.Guelf.1203Helmst.)
DieWolfenbüttelerHandschrift(vgl.Abbildung3)bietetnachderStockholmerHandschriftdenvollständigstenundzuverlässigstenTextzeugenvon„FlosundeBlankeflos“.
UntersuchtwurdedieHandschriftvonKrobisch(1997)undDeBruijn(2021).„Flos undeBlankeflos“stehtamBeginndeszweitenTeilseinesKonvoluts,dessenersterTeil zwischen1451und1457inOstfalen,nördlichvonGoslar,unddessenzweiterTeilin den1440erJahrenebenfallsinOstfalen,südlichvonBraunschweig,entstandensein dürfte.BeideTeilesindeinspaltigbeschriebenundmessen140x95mm.DieTexte deszweitenTeilswurdenbisaufdasEndedes„Theophilus“voneinunddemselben Kopistengeschrieben,dersichmitseinerKursivschriftvondenniederdeutschen HybridadeserstenTeilsunterscheidet.DiebeschmutztenAußenseitenderLagen zeigen,dassdieseeinigeZeitungebundengewesenseinmüssen,bevorsienochim 15.Jahrhundertszusammengebundenwurden.LetzteresgehtausdemEinbandhervor,denSchunke(1979)dembis1479tätigen‚BraunschweigerWebmustermeister‘ zugeordnethat.DiebeidenTeiledesKonvolutsdürftenalsozwischen1450und1479 imBraunschweigerRaumzusammengefügtwordensein.Angesichtsdesheterogenen
Inhalts(vertretensindeinHeiligenleben,eineMinnerede,einLiebeskommentar, eineTierallegorie,einHeldentopos,einProsa-Exemplum,eineLegendeundeine legendenartigeReiseerzählung)istesdurchausmöglich,dassdieTeileaufgrundihrer ähnlichenGrößezusammengestelltwurden.DieHandschriftenthältfolgendeTexte:
Bl.1r–37r„Zeno“
Bl.37v–41v„DesKranichhalsesneunGrade“
Bl.41v–44v„VruwenLoff“
Bl.44v–46v„RatderVögel“
Bl.46v–47r„DieNeunHelden“
Bl.47r–71v„VanAllexander“
Bl.72r–80v„Marina“
Bl.81r–107v„Brandan”
Bl.108r–142v„FlosundeBlankeflos“
Bl.143r–159v„Theophilus“
Bl.159v–160r„Carmenlatinum“
„FlosundeBlankeflos“bildetdabeidenerstenTexteinerneuenkodikologischen Einheit.Dasshier,wieauchinderStockholmerHandschrift,„FlosundBlankeflos“ von„Theophilus“gefolgtwird,deutetaufeinegemeinsameÜberlieferungderTextein einerälterenQuellehin.DaslateinischeSpottgedicht(„Carmenlatinum“)wurdevon einerspäteren,dochallemAnscheinnachkontemporärenHandindenleerenRaum unter„Theophilus“eingetragenundentstammtvermutlicheinemSchulkontext.
EineEigentümlichkeitdesWolfenbütteler„FlosundeBlankeflos“istdasVorkommenvonsogenanntenTrunkbittenimText.DerTextwirdvomErzählerviermalunterbrochenmitderBitte,ihmetwaszutrinkenzugeben(vgl.dieKommentarezuV.591, V.947,V.1253undV.1427).DadieTrunkbittendenErzählertextundzweimalsogar dieFigurenredeunterbrechenunddahereineneherarbiträrenEindruckerwecken, stelltsichdieFragenachderFunktionalitätdieserEinschübe.DasVorkommenähnlicherTrunkbitteninzeitgenössischerdeutscherErzählliteraturdeutetdaraufhin,dass wiresmiteinerliterarischenModeerscheinungzutunhaben.AuchdieKoexistenzmit „Theophilus“(bezeichnenderweiseeineLesefassungeinesSchauspiels)lässtvermuten, dassderKopistderWolfenbüttelerHandschriftdenEindruckeinerperformativenSituationhervorrufenwollte–ungeachtetdertatsächlichenRezeptionsweise(DeBruijn 2012a).
Berlin(B)(Staatsbibliothek PreußischerKulturbesitz,Ms.Germ.8o 186)
InLivland,dassichungefährmitdemheutigenEstlandundLettlanddeckt,entstand 1431dieBerlinerHandschrift(vgl.Abbildung4);vgl.dazuauchSporbeck(1987)und DeBruijn(2021).DierelativgenaueDatierungundLokalisierungverdankenwirdrei SchreiberkolophonenamEndederHandschrift,vondeneneinerauchdieJahreszahl angibt:„scriptuminlivoniapermanusjohannis1431“.ÜberdiesenJohanneswissen wiransonstennichts.DiebesonderskleinePapierhandschriftmisstnur136x102 mmundwurdeimLaufederZeitdurchWasserundandereSchädenangegriffen.An mehrerenStellenfehlenBlätteroderTeilevonBlättern,wodurchauchdieerstenVerse unddergesamteSchlussdes„FlosundBlankeflos“-Textesverlorengegangensind. InhaltlichzeichnetsichdieHandschriftdurchTextemitstarkminnedidaktischem Charakteraus;daruntersindMären,MinneredenundeinLiebesgedicht:
Bl.1r–14v;102r„SchulederMinne“
Bl.15r–20v„StreitgesprächzweierFrauenüberdieMinne“
Bl.21r–25v„Frauentreue“
Bl.26r–26v„DiebeidenRosen“
Bl.27r–42v„DietreueMagd“
Bl.43r–66r„DesMinnersAnklagen“
Bl.66v–67vMinnelied„Worherteleffanherteleuesarmelijt“
Bl.68rFragmenteinesunbekanntenGedichts,vermutlicheinMäre Bl.68v–101v„FlosundeBlankeflos“
MitAusnahmevon„FlosundeBlankeflos“weisendieTexteeineüberwiegendhochdeutscheHerkunftundVerbreitungauf.DiemeistendieserMinnetextefindensich auchinanderenhochdeutschenHandschriften,wosieebenfallsthematischund gattungsmäßigzusammengehörendeGruppen,sogenannte‚Minnekonstellationen‘, bilden.DieBerlinerHandschriftscheintalsoeinVertretereineshochdeutschenHandschriftentypszusein,beidem„FlosundeBlankeflos“eineSonderstellungeinnimmt. DieErzählungbildetdenkrönendenAbschlussdieseroffenbaranMinnekonstellationeninteressiertenSammlung,wobeidieVerfügbarkeitdesTextesimniederdeutschen RaumderGrundfürseineAufnahmegewesenseindürfte.EinigeverstreuteMarginalienzeigen,dassdieHandschriftintensivrezipiertwurde.EinfrüherBenutzerhat schlechtlesbarenTextbessersichtbarzumachenversucht,Wörterverbessertundeine Textgliederunghinzugefügt.Esistunklar,obdiesePersonauchfürdiedreidilettan-
tischenfigürlichenZeichnungenimLeerraumunterdenTextenverantwortlichwar, diedieBerlinerHandschriftzureinzigenillustriertenHandschriftimKorpusmachen (vgl.DeBruijn2021,332–345).Der„FlosundeBlankeflos“-Textselbstenthältkeine Illustrationen.
Gdansk(D)(Danzig)(BibliotekaGdańskaPolskiejAkademiiNauk,Ms.2418)
DiejüngsteAbschriftvon„FlosundeBlankeflos“findetsichinderteilsverstümmelten HandschriftD(vgl.Abbildung5),vgl.dazudeBruijn(2021).DerWortlautdiesesZeugenistdemvonWsoähnlich,dasshiereinegemeinsameVorlagevermutetwerden kann,obschondieMengederVariantenindenfünfTextzeugendieRekonstruktion derAbhängigkeitsverhältnisseansonstennichtzulässt.DieHandschriftwurde1462 ineinernordniedersächsischenoderostfälischenSchriftspracheverfasst.DasEntstehungsjahrwirdineinemKolophonamEndevon„FlosundeBlankeflos“erwähnt, indemsichderSchreiberalsnichtnäheridentifizierbarer„Tileman“vorstellt.Die Fragmentemessen210x142mmundlassensichindreiTeile(A,BundC)gliedern, wobeinichtklarist,obsiezuderselbenkodikologischenEinheitgehörten.BeiDe Bruijn(2021,S.34–39)findetsicheineRekonstruktionderBlättermitfolgendem Inhalt(allerdingsunterBerücksichtigungandererverlorenerTexte):
A.Bl.1r,3v,4r–22v„FlosundeBlankeflos“
Bl.1v,2r–3r„DasandereLand“
B.Bl.23r–24v„DesKranichhalsesneunGrade“
C.Bl.25r „Desottegratias“
Bl.25v–32v„DerMinneLeben“
ImVergleichmitderBerlinerHandschriftistdieHerkunftderTexteinDdeutlichnördlicher:DerTotentanz-Text„DasandereLand“unddieMinnerede„Der MinneLeben“stammenausdemniederländisch-deutschenGrenzgebietundhaben dortdiewichtigsteParallelüberlieferung.DasSpottgedicht„Desottegratias“istnur ausspäterenAntwerpenerDruckenbekanntund„DesKranichhalsesneunGrade“ isteineursprünglichmitteldeutscheMinneredemiteinerreichenÜberlieferungin diesemGebiet.EinwichtigesSelektionskriteriumbeiderZusammenstellungder HandschriftwardaherwohldieVerfügbarkeitderTexte.