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DIE AUSSPRACHE
WOMEN TALKING | DRAMA | USA | 2022
Inspiriert vom wahren Fall einer Mennoniten-Gemeinde, in der Männer Dutzende Frauen betäubt und sich an ihnen vergangen haben. Stark besetzt, toll gefilmt, wundervoll musikalisch untermalt – und mit einer Geschichte, die niemanden kaltlässt.
Seit längerer Zeit vergehen sich Männer an den Frauen einer Mennoniten-Gemeinde. Sie betäuben sie und vergewaltigen sie. Als einer der Männer erwischt wird, nennt er auch die anderen Täter. Doch es passiert – nichts. Von den Frauen wird erwartet, ihren Peinigern zu vergeben. Es wird nicht nur erwartet, es wird gefordert. Vergebung für die Täter oder die Exkommunikation der Frauen. Doch die Frauen wollen dies nicht hinnehmen, obwohl sie es immer getan haben, weil sie in dem patriarchalischen System dieser Glaubensgemeinde noch nie etwas zu sagen gehabt haben. Diesmal stimmen sie ab: Nichts tun, bleiben und kämpfen oder weggehen. Das sind die Optionen. Die Wahl liegt schließlich zwischen den letzten beiden, weswegen entschieden wird, dass die Familien der Betroffenen nach einer Diskussion entscheiden sollen, was die Frauen tun sollen.
Der wahre Fall ist nur die Ausgangslage, ebenso der Roman, den Sarah Polley nutzt, um eine Geschichte zu erzählen, die auf vielen Ebenen funktioniert, den Zuschauer aber sofort in die Handlung zieht. Man fühlt mit diesen Frauen, denen Bildung vorenthalten wurde, die kaum lesen und schreiben können, von denen immer erwartet wurde, nicht zu denken, nicht zu sprechen, hinzunehmen, was man ihnen antut. Aber sie beginnen, sich zu emanzipieren. Ein großer, ein mutiger Schritt, besonders für Menschen, die immer klein gehalten wurden. Die nie ein anderes Leben gekannt haben, und nicht einmal die nähere Umgebung ihrer eigenen, kleinen Kolonie kennen. Der Film behandelt ein schweres Thema, aber er findet immer auch Momente zum Lachen. Diese Frauen lachen, während sie versuchen, eine schwere Entscheidung zu treffen. Mit Rooney Mara, Claire Foy und Jessie Buckley in den Hauptrollen ist der Film exzellent besetzt, Produzentin Frances McDormand ist nur in einer kleinen Rolle zu sehen. Ben Whishaw ist der einzige Mann in dieser Geschichte – ansonsten gibt es keine männliche Perspektive, aber sie ist auch nicht vonnöten in einer Geschichte, in der es um das Gefühlsleben der Unterdrückten geht.
REGIE & BUCH Sarah Polley DARSTELLER Rooney Mara, Claire Foy, Frances McDormand, Ben Whishaw LAUFZEIT 104 Minuten FSK ab 12
AB 9. FEBRUAR SCHATTENKIND
DOKUMENTATION | DEUTSCHLAND | 2022
Im Mittelpunkt des filmischen Portraits steht Andreas Reiner der Fotograf. Mit seiner Kamera reist er zu Menschen, die am Rande der Gesellschaft und selten im Licht der Öffentlichkeit stehen.


Andreas Reiner ist der Sohn eines erfolgreichen Fabrikanten. Als sein Vater mit 47 Jahren stirbt, wird seine Mutter manisch-depressiv. In den frühen Morgenstunden seines 20. Geburtstags klingelt die Polizei, erklärt, dass sich seine Mutter vor den Zug geworfen hat. Als Geschenk hinterlässt sie ihm eine Levi`s 501 und 50 Mark – aber keinen Abschiedsbrief. Reiners Leben bricht zusammen. Bald ist der Fabrikantensohn arbeitslos, wohnsitzlos. Ein Aufenthalt in der Psychiatrie folgt. Dann entdeckt er seine Passion – die Fotografie.
Seither will er mit seiner Kamera den Vergessenen und Verlorenen dieser Gesellschaft ein Gesicht geben. Er schaut dorthin, wo andere wegsehen, fotografiert Gesichter von Hinterbliebenen, Hände von Toten oder deren Grabbeigaben, Menschen mit Behinderung oder Frauen, die Sternenkinder zur Welt gebracht haben. Reiner hat einen Sinn für Außenseiter und Ausgestoßene, weil er sich selbst als einen solchen empfindet. Der Film verfolgt den Ausnahme-Fotografen bei seiner Arbeit und zeigt sein genügsames Leben auf einem baufälligen Bauernhof zusammen mit Ochse Anton und Hund Pauline. Eine Reise ins Herz der Finsternis seiner Vergangenheit, gleichzeitig aber auch eine Hymne auf die menschliche Existenz. Reiners fotografische Grenzerfahrungen sind oft provokativ, erzeugen fruchtbaren Zorn, zeugen aber genauso von einer grimmigen Lust am Leben.
Final Cut Of The Dead


Verblüffende Horrorkomödie, deren brillant strukturierte Handlung mit einem sensationellen Einstieg in die brutalsten Tiefen des Entertainments führt, in eine aberwitzige Trash-Welt voller Zombies und durchgeknallter Filmleute.


Über die Handlung soll hier nur so viel gesagt werden: Es geht irgendwie um einen relativ erfolglosen Filmregisseur, der noch einmal eine Chance bekommt. Er soll im Auftrag einer japanischen Produktionsfirma einen Low-BudgetZombiefilm drehen. Und wie das nun mal so ist: Es läuft nicht alles so, wie es laufen sollte. Mehr wird nicht verraten, denn ein großer Reiz des Films beruht auf Überraschungseffekten, und allein das schon zu sagen, ist ein bisschen spoilermäßig.
Michel Hazanavicius und sein Team extrem spielfreudiger Darsteller machen aus der Komödie, die vielleicht manchmal an „The Blair Witch Project“ erinnern könnte und gelegentlich an Filmklassiker wie „The Rocky Horror Picture Show“ oder „Little Shop of Horrors“ („Der kleine Horrorladen“) eine wilde und wüste Show, die in den ersten Minuten auf Uneingeweihte schockierend und sehr irritierend wirken könnte. Aber nur Mut! Einfach dranbleiben und genau hinschauen – hier gibt es eine Menge zu sehen, und zwar durchaus Erstaunliches! Besonders Bérénice Bejo ist dabei sehr überzeugend. Der weibliche Star aus „The Artist“– sie spielte die Peppy Miller – zeigt hier verblüffende Fähigkeiten, was sowohl ihr komisches Talent als auch ihre vielseitigen schauspielerischen Möglichkeiten betrifft. Wer das japanische Original nicht kennt, kann sich einfach überraschen lassen. Man könnte es auch anders sagen: Der Film macht vor nichts und niemand halt, er ist ein außergewöhnlich unterhaltsames Gesamtpaket, ein sehr cooles Vergnügen und ein gelungenes Horror-Splatter-Spektakel, in dem keiner verschont wird.
PROGRAMMKINO.DE / GABY SIKORSKI
LAUFZEIT 112 Minuten FSK ab 16
BIGGER THAN US DOKUMENTATION | FRANKREICH | 2022
Aufwändig produzierter, weltumspannender Dokumentarfilm über eine junge Generation von Aktivist*innen und ihrer Botschaft, dass nur das Wir gewinnt.
Sie sind jung und sie wollen etwas bewirken. Die 18-jährige Melati kämpft seit sechs Jahren gegen die Plastikverschmutzung ihrer Heimat Indonesien. Sie hatte Erfolg, doch sie ist noch lange nicht fertig. Um neue Kraft zu schöpfen, bereist Melati die Welt: Sie will Gleichgesinnte treffen, von ihnen lernen, sich vernetzen. Sie sucht nach der Energie und dem Momentum des gemeinsamen Kampfes – und wird fündig. Sechs junge Menschen vom Libanon über Afrika bis Rio de Janeiro zeigen Melati ihre ganz eigene Welt der Courage und des Engagements. Sie kämpfen für Menschenrechte, für das Klima, für Meinungsfreiheit, soziale Gerechtigkeit und den Zugang zu Bildung oder Nahrung. Und sie sind in der Lage, alles zu verändern. Getragen von einem überzeugten Humanismus, von Mut und Hoffnung vereinen sie sich um Teil von etwas zu sein, das größer ist als sie selbst. Ihr Kampf steht erst am Anfang, aber ihr unbedingter Wille hat die Kraft, zu inspirieren und uns alle aus der Lethargie der Gewohnheit zu reißen.
Produziert von Oscar®-Preisträgerin Marion Cotillard, zeichnet der Dokumentarfilm “Bigger Than Us” das Bild einer neuen Generation, die sich nicht mehr mit dem Zustand dieser Welt abfinden will und für ihr Recht auf eine lebenswerte Zukunft kämpft. Der Regisseurin Flore Vasseur (“Meeting Snowden”) gelingt ein einfühlsames Porträt einer jungen globalen Bewegung, das Kraft gibt und zeigt, dass Veränderung nicht nur unerlässlich sondern auch möglich ist.

