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„Es wird nichts mehr so wie früher sein!“

Roman Borch zählt zu den führenden Köpfen bei Innovationen und Konzepten für digitale Lösungen in der Touristikindustrie. Mit seinem Berliner Software-Unternehmen versorgt er seit über 20 Jahren die Branche mit technischen Dienstleistungen und ist auch fest in die Entwicklung von TecOff Spider mit eingebunden. my smile wollte von ihm wissen, wie er die Zukunft der Reisebüros in Deutschland sieht.

my smile: Ein Jahr Corona hat die Arbeit in den Reisebüros grundlegend verändert. Werden wir nach der Pandemie wieder zur Routine zurückkehren oder müssen wir uns mit manchen Änderungen dauerhaft abfinden? Borch: Die Reisebranche war schon vor Corona im Umbruch, das althergebrachte System der Vertriebslandschaft und der Pauschalreisestruktur bröckelt ja seit Jahren. Corona war lediglich der Katalysator, durch den vieles beschleunigt wurde, was ohnedies passiert wäre. Wir müssen uns damit abfinden, dass nichts mehr so wie früher sein wird. Viele Büros haben dies zum Glück erkannt und nutzen die Zeit, um sich für die neuen Herausforderungen zu rüsten und deren Chancen zu nutzen.

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my smile: Welche Herausforderungen kommen aus Ihrer Sicht auf die Branche zu? Borch: Wir erleben einen ständig wachsenden Trend zum Direktvertrieb und parallel dazu sinkende Provisionen für Reisevermittler. Veranstalter und Reedereien, auch Destinationen und einzelne Leistungsträger richten ihre Angebote längst direkt an den Endkunden. Erst vor Kurzem haben Hoteliers auf den Kanaren sogar eine eigene Airline gegründet, um unabhängig von Veranstalterstrukturen ihr Produkt zu vermarkten. Dazu kommen viele neue Anbieter, die sich mit Nischenprodukten wie etwa Kanureisen, Fahrradtouren oder Camping-Plattformen erfolgreich am Markt etablieren. Der Kunde von heute weiß das und surft erst einmal durchs Internet, ehe er – hoffentlich – im Reisebüro seine Buchung tätigt.

my smile: Dann sehen Sie also eine düstere Zukunft für den stationären Vertrieb? Borch: Nein, keineswegs, im Gegenteil! Ich sehe das durchaus als Chance! Es ist lediglich ein Umdenken erforderlich. Viele Reisebüros meinen noch immer, ihr Job

besteht lediglich darin, Reisen zu verkaufen – und sie agieren daher wie Verkäufer. In Wahrheit ist die Rolle der Reisebüros aber eine ganz andere: Sie müssen Träume wahr werden lassen, Inspirationen liefern, Emotionen wecken und vor allem einen Service bieten, der eben nur hier zu bekommen ist. Mut und Vertrauen in eigene Erlebnisse sind gefragt, die kann man nämlich auch authentisch verkaufen! Dazu gehört eine gut organisierte und optimal abgestimmte Kundenkommunikation, die sich nicht auf das Versenden von Reiseschnäppchen beschränkt, sondern neue Reiseideen und aktuelle Informationen ins Haus liefert. Ich bin überzeugt davon, dass Reisebüros mit eigenen Produkten, die im Idealfall durch persönliche Erfahrung und Insiderwissen unvergleichbar sind, die Zukunft gehört. Denn dank dem Internet ist der mögliche Kundenkreis für jedes noch so kleine Reisebüro unermesslich groß. Mit einer starken und attraktiven Präsenz auf den verschiedenen Kommunikationskanälen lässt sich da viel machen!

my smile: Wie kann das in der Praxis aussehen und wie soll das für ein einzelnes Reisebüro umsetzbar sein? Borch: Ganz allein ist das schwierig, aber dazu gibt es ja Kooperationen wie rtk. Innovationen werden für die gesamte Gruppe entwickelt und vorangetrieben. TecOff Spider ist zum Beispiel ein perfektes Gerüst für Marketing, Kundenkommunikation und damit verbundene Techniklösungen. Mit diesem System kann man Kunden auf alle erdenkliche Arten erreichen und ihnen zeitgemäß aufbereitete Angebote zukommen lassen. Entscheidend ist es auch, sich als Reisebüro sichtbar zu machen. Dazu gehört attraktiver Content auf der Website und in Social-Media-Kanälen, etwa Destinationsvideos, Urlaubsfotos samt Feedback von Kunden oder Podcasts der eigenen Experten. Das allein ist aber noch kein Erfolgsgarant. Es geht auch darum, immer den Markt zu beobachten und die richtigen Ideen und Inspirationen zu liefern. Ich sehe zum Beispiel einen starken Trend zur Verknüpfung von Homeoffice und Urlaubsdestination. Warum sollte der Arbeitsplatz nicht ans Meer verlegt werden? Dafür wäre es wichtig, entsprechende Angebote für Langzeitquartiere mit der erforderlichen technischen Infrastruktur zu haben, die aber auch für die Familie das passende Umfeld bieten – das kann bis zur Buchung einer Nanny für die Kinder führen. Oder wie wäre es mit einem Camper als mobilem Reisebüro? Und warum nicht außergewöhnliche Reisen gemeinsam mit einer NGO ausrichten und Länder von einer ganz anderen Seite kennenlernen? Es ist ganz viel Platz für innovative Ideen und Produkte, mit denen auch ein einzelnes Reisebüro Nischen besetzen und punkten kann. Wenn solche Angebote dann gemeinsam in der Allianz vermarktet werden, ist man den Mitbewerbern, egal ob stationär oder Web, gleich wieder eine Nasenlänge voraus.

my smile: Viele Reisebüros klagen derzeit über die niedrigen Margen. Sehen Sie da Licht am Ende des Tunnels? Borch: Mit einer starken Allianz im Rücken lassen sich auch heute noch gute Verträge abschließen, das zeigt sich ja beim aktuellen Kollektivvertrag. Ich bin jedoch überzeugt, dass die Reisebüros ihre Einnahmequellen grundlegend überdenken sollten. Die umfassende Leistung, die hier erbracht wird, muss honoriert werden. Wir wissen aus vielen Branchen, dass der Kunde gerne bereit ist, für Leistung zu bezahlen. Die Vorbehalte gegen dringend erforderliche Servicegebühren liegen da eher bei den Reisebüros als beim Kunden. Es gibt aber auch viele andere Möglichkeiten, Zusatzerträge zu erzielen. Ich denke da etwa an Kundenclubs, für die eine eigene VIP-Hotline zur Verfügung steht, die vorab über besondere Aktionen informiert werden, zu digitalen Events eingeladen werden und vielleicht auch gewisse Basisleistungen für Reisen inkludiert haben. Diese Vorteile kosten natürlich, so wie ich auch anderswo für eine goldene Kreditkarte oder eine Prime-Mitgliedschaft Gebühren zahlen muss. Die Erfahrung zeigt, dass dieses System funktioniert.

my smile: Aber spricht das nicht gegen die Geiz-ist-geil-Mentalität, die wir in den letzten Jahren erlebt haben? Denken wir doch nur an die Billig-Airlines … Borch: Durch die von Corona verursachten Reisebeschränkungen einerseits und die schon davor geführte Nachhaltigkeitsdebatte andererseits hat sich der Zugang zum Thema Reisen stark verändert. Die Wertigkeit des Reisens ist gestiegen und man ist bereit, für Qualität und ökologische Standards mehr Geld auszugeben. Ich denke, die Zeit des „schnell einmal weg und zurück“ ist vorbei. Wir werden künftig Reisen intensiver erleben und genießen wollen, uns dafür wieder mehr Zeit nehmen und dementsprechend auch dem Wert des Reisens angepasste Kosten akzeptieren. Und da wird die Beratungsqualität der Reisebüros eine wichtige Rolle spielen.

Roman Borch Geschäftsführer e-confirm GmbH

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