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the red bulletin
helden
juni 2008
Karl Wendlinger
hat als
Motorsportler Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Kaum jemand passt in Le Mans besser in den Aston Martin mit der Nummer 007. Text herbert völker Bild flo hagena
Name Karl Wendlinger geburtsdatum/-Ort 20. Dezember 1968, Kufstein, Tirol wohnort Thiersee, Tirol familienstand verheiratet, zwei Kinder Sportliche Erfolge 1989 Deutscher F3Meister; 1991 Sport wagen-Weltmeister mit Sauber-Mercedes; 1991 bis 1995 Formel 1 (Leyton House, March, Sauber); 1999 FIA-GT-Weltmeister; 2000 Sieger 24 Stunden von Daytona web www.karlwendlinger.com
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Juni 1994. Es war eine Riesensache damals, weit über den Motorsport hinaus. Sogar die „Bild“-Zeitung war ganz aufgeregt, ging aber höchst behutsam mit dem Karl um. Er hatte alle Sympathien der Welt. Im Zweifelsfall wurde die Wahrheit höchstens noch ein bisschen verbessert. Als Karl Wendlinger nach drei Wochen zum ersten Mal die Augen aufschlug, sagte er: „Wo bin ich?“ „Bild“ protokollierte: „Sophie, ich liebe dich.“ In jenem Frühling von 1994 war man geschockt durch die tödlichen Formel-1-Unfälle von Ayrton Senna und Roland Ratzenberger in Imola. Kurz darauf, beim Grand Prix von Monaco, kam der SauberMercedes des Karl Wendlinger auffällig holpernd über die Bodenwellen nach dem Tunnelausgang, ließ sich bei Speed 270 offensichtlich nicht mehr in die Schikane einlenken und prallte an die Leitschiene, die man rund um einen Baum der Hafenpromenade gewickelt hatte. (Die Einrichtungen in Monte Carlo sehen heute etwas fürsorglicher aus.) Wendlingers Erinnerung war drei Tage zuvor stehen geblieben, bei der Fernsehübertragung von der Salzburger Austria bei Inter Mailand. 0:1 verloren, dann nichts mehr. Das Erinnerungsloch hat den Vorteil, dass ihn auch das Unterbewusstsein nicht quälen kann. Er ist im Mai eingeschlafen und im Juni aufgewacht, und er hat danach nie vom Unfall oder vom Drumherum geträumt, kein einziges Mal. Karl war 25, wurde auf behutsame Weise wieder völlig gesund und hatte bald wieder nichts anderes im Schädel als die Formel 1. Mit dem einzigen Problem, dass die Karawane mittlerweile ohne ihn weitergezogen war, auch nach einer Serie durchaus dramatischer Comebackversuche. Sein Leben war total auf die Formel 1 zugespitzt gewesen, von der sensationellen F3-Performance (Endstand der Saison 1989: Wendlinger 164 Punkte, Heinz-Harald Frentzen und Michael Schumacher je 163) über das Sportwagen-Championat im berühmten Mercedes-„Junioren“-Team, wieder mit Schumi und Frentzen. Ganz logisch ergab sich daraus die oberste Liga, wo der knapp zehn Jahre ältere Gerhard Berger schon Fuß gefasst hatte. Der Wesensunterschied zwischen den beiden war allerdings eklatant. Fragte man damals den Karl, wie er das beschreiben könnte, sagte er: „Ja“ und wiegte langsam den Kopf, „ja“, sagte er und wartete noch ein bisserl, „der Gerhard, der kimmt glei am Start, und i kimm
erscht nåcha“. Damals war Sten Nadolnys Buch „Die Entdeckung der Langsamkeit“ äußerst populär, und auch Karl liebte es. Es geht dabei ja um die Idee, dass du erst über die Wahrnehmung der Langsamkeit zur wahren Schnelligkeit (im Sinn des Wortes oder aber auch als Symbol für Erfüllung) finden wirst. Dieses total unhektische Wesen eines alten Indianers in Gestalt eines auffallend feschen jungen Tirolers war als Typ natürlich extrem gefragt, darum gab es auch keine Gefahr, dass man ihn abschreiben würde, nur weil ihm die Formel 1 haarscharf davongedampft war, nach all den Schrecknissen eines unglaublichen Unfalls und dessen Überwindung. Am heikelsten war die neue Ausrichtung für ihn selber: die Schwierigkeit, nach der Formel 1 eine andere Art des Rennsports zu lieben. Es klappte auch nicht auf Anhieb, aber dann war der Zauber von Le Mans zu entdecken und die Köstlichkeit eines Sieges in Daytona. Als die FIA-GTMeisterschaft nach einigen Anläufen ihr modernes Format fand, war auch Karl Wendlinger richtig aufgestellt fürs neue Bild vom klassischen Rennsport mit den „Big Bangers“. Kein Auto könnte da besser passen als Aston Martin mit dem unglaublichen Charme seiner Markengeschichte, dem CEO Ulrich Bez als ultimativem Autotier und der knalligen Erfolgsstory der jüngsten Jahre. Nach hinreichend WendlingerSiegen in „normalen“ FIA-GT-Läufen steht nun der Werkseinsatz in Le Mans an – mit Heinz-Harald Frentzen und Andrea Piccini als Partnern im DBR9 mit der Nummer, die einfach so sein muss: 007. Frentzen also wieder. Soweit man sich good vibrations zwischen Rivalen im Rennsport vorstellen mag, haben Wendlinger und Frentzen ihre freundschaftliche Wellenlänge bewahrt, finden es hetzig, mal mit- statt gegeneinander zu fahren. Wenn wir schon vom menschlichen Antlitz des Rennsports reden: Die wahre Heldenstory, damals, in den dunkelsten Wochen, hat die schöne Sophie geschrieben, und nach dem märchenhaften Erwachen des jungen Prinzen haben sie dann auch geheiratet. Mit Laura und Jonas leben sie jetzt in Tirol nahe am See hinter den Sieben Bergen, ganz schön kitschig, die ganze Geschichte, und wenn man den Karl fotografieren will, stellt man ihn am besten in eine grüne Wiese. ♉ 24 Heures du Mans: 14./15. juni 2008, Le Mans, Frankreich www.lemans.org
20.05.2008 15:34:28 Uhr